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Tod und Sterben – Zwei Begriffe, eine Bedeutung?

von Matthias Gruber (Autor:in)
©2022 Monographie 222 Seiten

Zusammenfassung

Die Begriffe Tod und Sterben werden häufig im alltäglichen Sprachgebrauch synonym verwendet. Wie kommt es zur Gleichstellung dieser unterschiedlichen Bedeutungen? Mithilfe historischer und philosophischer Betrachtungen über den Umgang mit Sterben und Tod in der Gesellschaft wird diesem Phänomen nachgespürt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. „Tod“ und „Sterben“ synonym
  • 1.1. Synonymer Gebrauch in alten Lexika-Beschreibungen
  • 1.2. Aktueller synonymer Gebrauch
  • 2. Ursache(n) für synonymen Gebrauch
  • 2.1. Das historische Argument
  • 2.1.1. Personifikationen des Todes
  • 2.1.1.1. Mesopotamien (Gilgamesch-Epos)
  • 2.1.1.2. Ägypten
  • 2.1.1.3. Die Antike
  • 2.1.1.4. Lessings Ansicht
  • 2.1.1.5. Herders Ansicht
  • 2.1.1.6. Jüdische Sicht mit Einfluss auf Christentum
  • 2.1.1.7. Das Mittelalter
  • 2.1.1.7.1. Vorbereitung auf ein gutes Sterben – „ars moriendi“
  • 2.1.1.7.2. Die Totentänze
  • 2.1.1.7.2.1. Geschichte der Totentänze
  • 2.1.1.7.2.2. Wirkung von Bildern beim Totentanz
  • 2.1.1.7.2.3. Literarische Vorlagen – Johannes von Tepl
  • 2.1.1.7.3. Die Totentanzspiele
  • 2.1.2. Fazit aus Hypothese 1
  • 2.2. Das gesellschaftliche Tabu-Argument
  • 2.2.1. Definitionsproblematik
  • 2.2.2. Kirchliches Sterbegeleit
  • 2.2.2.1. Katholisch
  • 2.2.2.2. Evangelisch (lutherisch)
  • 2.2.3. Unterschiede bei der Bestattung
  • 2.2.4. Veränderungen durch die Reformation zur Säkularisierung
  • 2.2.5. Wandel der Bestattungsriten
  • 2.2.6. Verdrängung
  • 2.2.6.1. Tabu des eigenen Todes
  • 2.2.6.2. Max Scheler
  • 2.2.6.3. Tabu der Gesellschaft
  • 2.2.6.4. Merkmale der Verdrängung
  • 2.2.6.4.1. Argumente gegen Verdrängung
  • 2.2.6.4.2. Doch Tabu
  • 2.2.6.5. Euphemismen
  • 2.2.6.5.1 Ausnahme: Selbstmord
  • 2.2.6.5.2 Euphemismen in Todesanzeigen
  • 2.2.7. Fazit zu Hypothese 2
  • 2.3. Das assoziierende (kombinierende) Argument
  • 2.3.1. Ist der Tod ein Übel?
  • 2.3.1.1. Philosophischer Überblick
  • 2.3.1.1.1. Platon (428/27 v.Chr. – 348/47 v.Chr.)
  • 2.3.1.1.2. Aristoteles (384 v.Chr. – 322 v.Chr.)
  • 2.3.1.1.3. Materialisten (Epikur 341 v.Chr. – 371/370 v.Chr.)
  • 2.3.1.1.4. Lukrez (99–94 v.Chr. – 55/53 v.Chr.)
  • 2.3.1.1.5. Seneca (ca. 1 – 65)
  • 2.3.1.1.6. Cicero (106 – 43 v. Chr.)
  • 2.3.1.1.7. Ambrosius von Mailand (340 – 397)
  • 2.3.1.1.8. Augustinus (354 – 430)
  • 2.3.1.1.9. Thomas von Aquin (um 1225 – 1274)
  • 2.3.1.1.10. Michel de Montaigne (1533 – 1592)
  • 2.3.1.1.11. Immanuel Kant (1724 – 1804)
  • 2.3.1.1.12. Deutscher Idealismus Fichte (1762 – 1814), Schelling (1775 – 1854), Hegel (1770 – 1831)
  • 2.3.1.1.13. Philosophen des 19. Jahrhunderts
  • 2.3.1.1.14. Martin Heidegger (1889 – 1976)
  • 2.3.1.1.15. Karl Jaspers (1883 – 1969)
  • 2.3.1.1.16. Thomas Nagel (*4. Juli 1937) / Ernst Tugendhat (*8. März 1930)
  • 2.3.1.1.17 Eugen Fink (1905 – 1975)
  • 2.3.1.1.18 Fazit des philosophischen Überblicks
  • 2.3.2. Todesangst und Todesfurcht
  • 2.3.2.1. Die Angst vor dem Sterben
  • 2.3.2.2. Glaubensabfall / Religionsrückgang
  • 2.3.2.3. Religiöse Abkehr vom Thema Tod und Sterben?
  • 2.3.3. Verantwortung und Fürsorge
  • 2.3.3.1. Menschenwürde als Grundlage zur Verantwortung
  • 2.3.3.1.1. Exkurs: Kleine Geschichte der Verantwortung
  • 2.3.3.2. Verantwortung und Fürsorge gegenüber Sterbenden
  • 2.3.3.2.1. Exkurs: Beispiel Bundestagsdebatte zum § 217 StGB
  • 2.3.3.2.2. Autonomie vs. Gesellschaftliche Verantwortung
  • 2.3.3.3. Die „Person“ post mortem
  • Resümee
  • Literatur

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1. „Tod“ und „Sterben“ synonym

Bei Beobachtungen in der Alltagssprache wird auffällig, dass die Begriffe „Tod“ und „Sterben“ in der praktischen Anwendung einer synonymen Verwendung unterliegen, welche die Genauigkeit dieser Bezeichnungen infrage stellt. So stirbt der Mensch einen „guten Tod“ oder er erleidet einen „schrecklichen Tod“, wobei sich die Attribute auf eine qualitative Zustandsbeschreibung des Sterbevorgangs beziehen. Der Sterbevorgang aber – und das wird bei Aussagen dieser Art nicht bedacht – ist ein zum Leben gehörender Prozess im Gegensatz zum Tod, der einen im Anschluss an das Leben bedeutenden Zustand darstellt.

Obwohl die Begriffe „Tod“ und „Sterben“ klar zu unterscheiden sind, erhebt sich doch die Frage, weshalb sich im Laufe der Zeit eine synonyme Verwendung entwickelt hat, die ihre eigentlichen Bedeutungen nicht mehr exakt differenzieren.

1.1. Synonymer Gebrauch in alten Lexika-Beschreibungen

Dass der Begriff „Tod“ mit „Sterben“ synonym verwendet wird, kann schon anhand von Wörterbüchern der deutschen Sprache nachgewiesen werden.

Bereits Johann Heinrich Zedlers „Grosses vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden“ aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschreibt den Tod wie folgt:

„Lat. Mors, Frantz.: Mort, ist insgemein und in natürlicher Betrachtung die Endschafft oder das Aufhören des Lebens. Insbesondere bey den Thieren heisset der Tod eine gänzliche Auflösung der Gewercke, woraus der Cörper zusammen gesetzet, oder ein Stillstand des Umlauffs des Geblüts und der Lebens=Gänce. Bey dem Menschen ist der Tod, nach der gemeinsten Meynung, ein Abscheiden der Seele von dem Leibe, aus Mangel der Wärme und der Bewegung, wenn sie durch zufällige Ursachen verhindert worden. Es kommen bey dem Tode des Menschen verschiedene Umstände vor, die sowohl nach den Gründen der Vernunfft als der heil. Schrifft untersuchet werden können, obschon die Erkänntnis, die man aus der Schrifft hat, weit vollständiger ist, daraus wir sonderlich die Ursache und moralische Beschaffenheit des Todes erkennen müssen.“1

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Durch den Versuch einer Erklärung mit Hilfe des Substantivs „Endschafft“ wird eine Ungenauigkeit erzeugt, die eine Trennung der Begriffe „Tod“ und „Sterben“ nicht verdeutlicht. Dass „verschiedene Umstände bey dem Tode des Menschen vorkommen“ weist auf den Prozess des Sterbens und nicht auf den an das Leben angeschlossenen Zustand des Todes hin.

Der Tod wird hier mit dem Sterben gleichgesetzt und somit synonym verwendet.

Der Begriff „Sterben“ wird in umgekehrter Handhabung jedoch nicht für den Begriff „Tod“ ersatzweise gebraucht. Allerdings wird in Zedlers Definition des Sterbens „Das Aufhören zu leben“ in gleicher Weise wie bei der Todesdefinition wiederholt, ebenso der Moment des „Abscheidens der Seele vom Leib“.

Johann Christoph Adelung differenziert in seinem Ende des 18. Jahrhunderts erschienenen Wörterbuch dagegen die Begriffe genau. Als

„[…] das Ende des natürlichen oder thierischen Lebens, der Zustand und der Zeitpunct der Trennung der Seele von dem Leibe“2

unterscheidet er „Tod“ von „Sterben“ und beugt so einer Vermischung der Bedeutungen vor.

Dass im alltäglichen Sprachgebrauch das Wort „Tod“ als Beschreibung für die Art und Weise des „Sterbens“ verwendet wird, darauf wird besonders hingewiesen, kann aber nur mit dem Verb „sterben“ kombiniert werden.

„Welche Wortfügung des Zeitwortes sterben mit der zweyten Endung dieses Hauptwortes alsdann richtig ist, wenn die Todesart ausgedruckt werden soll.“3

Das „Sterben“ wird von Adelung in der Hauptsache in seiner Funktion als Verb erläutert. In Form der Beschreibung

„[…] von organischen Körpern, aufhören zu leben, wo es als allgemeiner Ausdruck von allen Arten des Todes gebraucht wird; besonders von Menschen“4

wird auch hier einem synonymen Gebrauch vorgebeugt. Es wird darauf verwiesen, dass in Kombination mit dem Wort „Tod“ auf die Todesart im Besonderen gedeutet wird.

„Welche Endung auch das Wort Tod bekommt, wenn es die Todesart, die Art und Weise, wie man stirbt bedeutet.“5

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So wie bei Zedler und Adelung wiederholen sich die Beschreibungen von „Tod“ und „Sterben“ als Gegensatz oder Aufhören des Lebens. Diese unterschiedlichen Definitionen bringen auch im 19. Jahrhundert immer wieder den Tod mit den Merkmalen des Sterbens zusammen. Das Sterben wird jedoch in der Regel als der Übergang oder das Hinscheiden, also als ein noch dem Leben zugehöriger Prozess formuliert. Üblicherweise wird das Sterben auch selten in der substantivierten Form, sondern meistens als Verb behandelt.6

Im 11. Band des Grimm‘schen Wörterbuches7 ist das Lemma „Sterben“ als Substantiv überhaupt nicht zu finden. Es wird ausschließlich in der Verbform abgehandelt. Es werden lediglich Beispiele für den Gebrauch als Hauptwort in unterschiedlichen Kombinationen aufgeführt. Bei der Erklärung des Verbums „sterben“ wird beschrieben, dass es nahe liegt

„von ‚starr‘, ‚steif werden‘ auszugehen, eine bedeutung, die nicht nur etymologisch verwandte altnordische wörter zeigen, sondern auch engl. starve, von kälte oder hunger umkommen, falls hier keine sekundäre bedeutungsverengung vorliegt.“8

Es wird sodann darauf verwiesen, dass es alle Todesarten umfasst und gibt erst daraufhin die korrekte Definition

„übergehen aus dem Leben in den Tod“9

wieder. Besonders wird noch vermerkt, dass „sterben“

„[…] vom natürlichen wie auch vom gewaltsamen tode gilt.“10

Das Lexem „Tod“ wird in Grimms Wörterbuch mit dem Begriff „Sterben“ gleichgesetzt. Der Tod wird direkt als

„das sterben sowohl als das gestorbensein, mag es auf natürliche oder gewaltsame weise erfolgen“11

benannt.←13 | 14→

Weiter wird auf sehr undeutliche Art und Weise in den Lexika des 20. Jahrhunderts zwischen beiden Begriffen mehr oder weniger deutlich unterschieden.12

Lediglich „Meyers Großes Konservations-Lexikon“ beurteilt schon 1908 den „Tod“ sorgsam differenziert vom „Sterben“, wobei zweiter Begriff, wie häufig in alten Lexika zu beobachten, unter dem Lemma des ersten einen großen Teil der Erklärungen einnimmt.

Was schon in den Wörterbüchern der letzten zwei Jahrhunderte zu beobachten ist, lässt sich auch in der aktuellen Gegenwartssprache häufig erkennen.

1.2. Aktueller synonymer Gebrauch

So ist im Zuge der Diskussion um die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vom Recht auf den eigenen Tod zu hören, wobei vermieden werden soll, dass im Gegensatz zu einem schönen Tod ein leidvoller, schrecklicher Tod vermieden werden soll. Eine solche Sterbehilfe kann den Tod beschleunigen. Hier ist sicher der Eintritt des Todes, also die Vorverlegung des Todeszeitpunkts gemeint. Somit haben wir es hier mit dem Wunsch einer Beschleunigung des Sterbeprozesses zu tun.

Wir sehen den Tod im Fernsehen. Häufiges Sterben ist nicht allein schon durch die hohe Anzahl von Kriminalfilmen zu konsumieren. Es handelt sich bei diesen zahlreichen Todesfällen jedoch im strengen Sinn um den letzten Prozess des Lebens. Wir sehen also das Sterben im Fernsehen, bestenfalls tote Personen, niemals aber den Tod.

Auch in diversen Beschreibungen ist zu lesen, dass die Sterbehilfe im heutigen Sprachgebrauch bedeute, den Tod eines Menschen zu erleichtern.

Häufig ist die Formulierung zu finden, dass etwas nach dem Tod geschieht oder geschehen soll, obwohl wir gar keine Ahnung haben, was nach unserem Tod (eigentlich: nach unserem Sterben) auf uns zukommt.

In Patientenverfügungen und Informationsmaterialien zu diesem Thema ist häufig die Frage zu finden, was nach dem Tod geschehen soll.

Details

Seiten
222
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631876190
ISBN (ePUB)
9783631876206
ISBN (Hardcover)
9783631876183
DOI
10.3726/b19615
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 222 S.

Biographische Angaben

Matthias Gruber (Autor:in)

Vor seinem Studium der Germanistik, Theater- und Musikwissenschaften arbeitete der Autor im intensivmedizinischen Bereich der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Promotion zum Thema „Tod und Sterben in der Medizin" motivierte ihn, sich mit diesem Thema aus anderer Perspektive weiter zu beschäftigen. Neben seinem ehrenamtlichen Engagement in der Sterbebegleitung arbeitet er an einer Förderschule in Bonn.

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