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Quintilian

Nachantike Spuren der «Institutio oratoria». Mutmaßungen über das «Libro dell’Arte» von Cennini. Notate zu Sulzers «Theorie»

von Florens Deuchler (Autor:in)
©2017 Monographie 228 Seiten

Zusammenfassung

Quintilians Ruhm – im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung aufgebaut –, sein Ruf als Lehrer, Denker und Gelehrter sind nie verblaßt; seine Institutio oratoria verharrte als sichtbarer Meilenstein und Zeuge in der memoria der Rhetorik, und der Verfasser fand als Kenner der Materie selbst noch am Hofe des Sonnenkönigs in Versailles hohe Beachtung und würdiges Lob. Friedrich der Große rief im 18. Jahrhundert eindringlich zum Studium der Institutio an höheren Schulen auf. Die bildungsgeschichtliche Leistung Quintilians ist beachtlich, und sie ist trotzdem kaum bekannt, denn die Institutio wird außerhalb von Fachzirkeln der Redekunst selten zu Rate gezogen. Neuere Kunst- oder Künstlergeschichten gingen mit staunenswerter Achtlosigkeit an ihr vorbei – und so entgingen der Forschung mögliche Quellen und Anregungen sowie grundlegende Impulse für weitergehende Einsichten. Den Auswirkungen Quintilians wird vor allem im Libro dell’Arte des Cennino Cennini (um 1400) nachgegangen. Der aus der Toskana stammende Maler übernahm aus der spätantiken Quelle vor allem die Wegweisungen zu einem gesunden, geordneten und moralisch einwandfreien Lebenswandel.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Prooemium
  • Quintilians Ruhm
  • Kannte Cennino Cennini die Institutio Quintilians?
  • Unzulänglichkeiten der Textüberlieferung
  • Die Zielsetzung Quintilians: den ganzen Menschen ins Auge fassen, begreifen und entsprechend fördern
  • Dank
  • Erster Teil Marcus Fabius Quintilianus ad personam
  • Fragmente eines curriculum vitae
  • Die Institutio oratoria kein Alterswerk: die Summe einer Lebensleistung
  • Das politische Umfeld unter Vespasian
  • Domitian als Dienstherr
  • Domitian: ein vermeintlicher Dichter?
  • Die Institutio oratoria: Quintilians Vermächtnis
  • Grundlagen der Rhetrorik als scientia dicendi
  • Das Vorbild: Cicero
  • Rhetorik als ‹Gesamtkunstwerk›
  • Titel und Struktur der Institutio oratoria
  • Tradierung und Auswirkungen der Institutio
  • Traktate mit neuen Anliegen und Inhalten
  • Die Beherrschung der Sprache in der Redekunst
  • Quintilians Sprache und Sprechweisen
  • Ersuchen um himmlischen und kaiserlichen Beistand
  • Regeln und Ansprüche der Institutio
  • Philosophie und Akademie
  • Quintilians gradus ad parnassum
  • Griechisch und Latein
  • Richtiges Lesen und Parameter der Unterrichtsformen
  • Das Gedächtnis (memoria)
  • Der Beitrag der Schüler
  • Die Wahl des Lehrers
  • Plinius zum Lehrer-Thema
  • Eigenschaften des Lehrers als formator und rector
  • Was man tun sollte
  • Die imitatio
  • Kritik an Ovid sowie an Seneca, und: Was man sprachlich meiden sollte
  • Quintilians Umgang mit ‹Zeit› und ‹Geschichte›
  • Über die Zeit
  • Seneca über die Zeit
  • Geschichtsschreiber
  • Wörter aus früheren Zeiten
  • Bildungsvoraussetzungen
  • Die Handschrift als Spiegel des Schreibenden
  • Quintilian und die Natur
  • Quintilian und die Künste
  • Architektur und Skulptur
  • Kunstsammler
  • Cicero über Bilder
  • Quintilian über Malerei
  • Quintilian über Musik und Gesang
  • Plinius’ Lob der Größe (amplitudo)
  • Zur Äußeren und inneren Gestalt des Rhetors
  • Das Erscheinungsbild
  • Der Rhetor im Ruhestand
  • scripta sichern das Andenken
  • Quintilians Zeitgenosse Plutarch
  • Weitere Reflexionen Quintilians über die Zeit
  • Zweiter Teil Mittelalterliche Rhetorik bis 1200. Belege und Hinweise
  • Quintilian in der frühen christlichen Literatur
  • Cassiodorus
  • Gregor der Große
  • Hugo von St. Victor
  • Johannes von Salisbury
  • Dritter Teil Cennino Cennini
  • Zur Person
  • Der Traktat Il Libro dellArte
  • Notate zur englischen Übersetzung des Libro von Lara Broecke (2015)
  • Cennini pictor oder technisch bewanderter Sachverständiger?
  • Aufbau und Sprache des Libro
  • Einleitung
  • Zur Wahl des Lehrers
  • Allgemeine Lebens- und Arbeitsregeln
  • Die Sprache des Libro
  • Cennini in Padua
  • Textproblematik und Hypothesen
  • Padua 1400
  • Cenninis Ratschläge zur bewältigung des Alltags
  • Kunst als Handwerk: operazione di mano
  • Vom Umgang mit Lehrern und Schülern
  • Zeitlogik, Naturbegabung und Pflichten
  • Obliegenheiten der Schüler
  • Musen, Heilige und Nothelfer
  • Cenninis pondi e fatiche
  • Zur Sprache Ghibertis
  • Vasaris Trecento
  • Vierter Teil Quintilian und Cennini in Vergleichbaren Zeiten des Wandels
  • Alte und neue Zeitmuster
  • Wandel und Wende
  • Zeitgemäße Bildung
  • Kulturelle Bedenken und Zweifel Quintilians
  • Kulturelle Bedenken Cenninis
  • antichi, vecchi und moderni im Trecento
  • ‹Renaissannce›: ein hybrides Konzept
  • Neue Begriffe der forma
  • Bisher unbekannte Stilimpulse
  • Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen
  • vetustas und antiquitas
  • Neoteriker
  • Fünfter Teil Auswahl neuzeitlicher Zeugnisse zu Quintilian
  • Hartmann Schedel in der Weltchronik, 1493
  • Martin Luther
  • Michel de Montaigne
  • Rabelais
  • Jean de la Fontaine
  • Friedrich der Große von Preußen
  • Buffon
  • Quintilians Rolle im Briefwechsel von Diderot und Falconet
  • Goethe und Quintilian
  • Johann Georg Sulzer
  • Sulzers Definition der Sprache
  • Zum Rhetorik-Begriff Sulzers
  • Sulzers Auswahl der ‹Kunstwörter›
  • Nachwort Quintilian – Heute. Versuch einer Legitimierung
  • Sechster Teil Bibliographie, Register
  • 1. Abkürzungen und abgekürzt zitierte Literatur
  • 2. Zitierte und weiterführende Literatur
  • 3. Personenverzeichnis
  • 4. Realienregister, Begriffe, Sachwörterverzeichnis und wichtige Örtlichkeiten (Auswahl)
  • Siebter Teil
  • 1. Griechische, lateinische und italienische Begriffsverzeichnisse
  • 2. Notate zum Rhetorikbegriff in Sulzers «Ordnung Der Kunstwörter»
  • 1. Griechische und lateinische Fachbegriffe in Rhetorik, Kunst und Zeitbestimmung
  • 2. Italienische Fachbegriffe im Libro dell’Arte und in Vasaris Vite
  • 3. Venezianische und / oder paduanische Elemente im Wortschatz des Libro dell’Arte
  • 4. Sulzers «Ordnung der Kunstwörter»
  • Daten zu Leben und Wirken Quintilians

PROOEMIUM

Um sich Quintilian und seinem einzigen vollständig erhaltenen Werk, der Institutio oratoria, zu nähern, verlagerten sich im Verlauf der Jahrzehnte mehrfach Neugierde und Fragestellungen. Es ging dabei aus kulturgeschichtlicher Sicht stets weniger um die Finessen der Sprache und der Kunst des Redens an sich, sondern immer öfters ebenso um die sie rahmenden stadtrömischen Voraussetzungen sowie das geistige ‹Umfeld› der Generation Quintilians im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Im Mittelpunkt blieb jedoch nach wie vor die Absicht, das persönliche Profil eines bedeutenden literarischen Schöpfers der ausgehenden Antike zu erkunden.

Quintilians Ruhm und Ruf als Lehrer, Denker und Gelehrter sind tatsächlich nie verblaßt; seine Institutio oratoria verharrte als sichtbar bleibender Meilenstein in der memoria der Rhetorik, und der Verfasser fand als Kenner der Materie selbst am Hofe des Sonnenkönigs (dank der Übersetzung von Michel de Pure, 1663), noch hohe Beachtung und würdigendes Lob. Friedrich der Große rief im 18. Jahrhundert eindringlich zum Studium der Institutio an höheren Schulen auf; der frankophile Preuße kannte das Lehrbuch dank französischer Ausgaben.1

Die bildungsgeschichtliche Leistung Quintilians bleibt beachtlich, und sie ist trotzdem kaum bekannt, denn die Institutio wird außerhalb von Fachzirkeln der Redekunst selten zu Rate gezogen.2 Neuere Kunst- oder Künstlergeschichten ← 11 | 12 → gingen mit staunenswerter Achtlosigkeit an ihr vorbei – und so verpaßte die Forschung mögliche Quellen und Anregungen sowie grundlegende Impulse für weitergehende Einsichten. Die von Quintilian ausgebreiteten, teils assoziativen Gedankengänge, stellen, neben der von ihm angestrebten Vollständigkeit, vergleichbare Texte in den Schatten – selbst die zwei fachbezogenen Schriften Ciceros Orator sowie De oratore, die in der Literatur als Vorbilder allerdings ebenfalls allgegenwärtig bleiben.

Kannte Cennino Cennini die Institutio Quintilians? Als erst nur erhoffter, dann als allmählich sichtbar werdender Kenner und Benutzer Quintilians, trat, um 1400, der in Padua tätige Toskaner Cennino Cennini ins Rampenlicht – zwar weniger als Künstler des späten Trecento bekannt, sondern vielmehr als Autor des berühmten, von ihm verfaßten Traktates: des kunstweltbekannten Libro dell’Arte. Diese Schrift erinnert in der Tat mehrfach an die große Vorlage, was bereits Karl Borinski 1914 im Zusammenhang mit dem Begriff der Phantasiefreiheit auffiel (Borinski, 1965, I, S. 96–97).

Das Libro dürfte, auf Grund der eingefügten persönlichen Ratschläge und allgemeinen Maß- und Lebensregeln für den geneigten Benutzer, das älteste erhaltene mittelalterliche Rezeptbuch dieser besonderen Art sein: nämlich untermischt und angereichert mit tugendpreisenden Zwischentönen und, dem antiken Paradigma entsprechend, mit gut gemeinten Fingerzeigen für einen moralisch vertretbaren Lebenswandel.

Cennini mußte also, in einer kaum je ganz zu klärenden Weise, von Quintilian Kenntnis genommen haben. Diese Verbindung erweist sich letztlich nur insofern als Akt des Zufalls, als aus den Jahrhunderten zwischen den beiden Autoren keine weiteren und vergleichbaren Dokumente vorliegen – oder zumindest den Titeln nach bekannt geworden sind.

So rücken die Texte mit ihren einerseits didaktischen Ansprüchen und andererseits ihren Winken für eine vernünftige Lebensführung, dies zumindest in der Geschichte der moralisierenden Ideen-Tradierung, erstaunlich nahe zusammen – über ein Jahrtausend hinweg; diese Bezugnahmen und vermuteten Verbindungen sollen in der Folge erwogen und geprüft werden.

Im Brennpunkt stehen Gegenüberstellungen von zwei berufspezifisch ausgerichteten Lehren, als Handschriften auf uns gekommen: die eine für die Kunst der Rhetorik am Ende einer langen, nach Griechenland zurückreichenden Tradition; die andere für den Malerberuf. Am Beginn einer jeweils neuen Epoche haben beide, unter verschiedenen Bewertungsmaßstäben, dank ihrer Rezepturen und Anweisungen, zahllose Leser, Kritiker, Exegeten und Anhänger gefunden. ← 12 | 13 →

Allerdings sollte der Historiker, konfrontiert mit entsprechenden Material-und Wissenslücken, «seine Welt so aufbauen, daß die sämtlichen Bruchstücke hineinpassen, welche die Geschichte auf uns gebracht hat. Deswegen wird er niemals ein vollkommenes Werk liefern können, sondern immer wird die Mühe des Suchens, des Sammelns, des Flickens und Leimens sichtbar sein» (Goethe am 19. August 1806 an den Historiker Heinrich Luden in Jena).

Unsere Bezugstexte, in der Folge öfters dominant in tragenden Hauptrollen, wurden außerdem jeweils am Vorabend tiefgreifender, ja einschneidender politischer und kultureller Umwälzungen geschrieben: es ging um nichts Geringeres als um den sich ankündigenden Untergang der römischen antiken Welt sowie des dahinschwindenden westeuropäischen Mittelalters angesichts einer augenfällig emporsteigenden renovatio, die als ‹Renaissance› in das kollektive abendländische Bewußtsein und Verständnis eingehen wird.

Diese unerwarteten Entsprechungen historischer Umstände, äußeren Vorbedingungen, inneren Verquickungen und Sachverhalten, dienten als zusätzliche gedankliche Leitfäden, da entscheidende Parallelen in den ursächlichen geistes- und kunstgeschichtlichen Begleiterscheinungen gründen.

Quintilian und Cennini lebten in der Tat an den Peripherien risikoreicher Wenden. Nahende Umbrüche erkannten die Autoren offensichtlich frühzeitg – und sie haben reagiert. Sie begriffen die sich ankündigenden Wechsel und deren Bewältigung als akut drohende Probleme sowie als Herausforderungen an die eigene Zukunft und an das Überleben ihrer beruflichen Wirkungsbereiche.

Sie waren dabei in ihrer jeweiligen Zunft keine Neuerer, sondern beriefen sich auf vertraute Traditionen. Es schien angemessen, intellektuelle und künstlerische Aspekte im gebotenen Umfang nicht nur einzubeziehen, sondern selbst in den Brennpunkt der Überlegungen zu stellen.

So zum Beispiel: die keine Aufschübe duldenden, turbulenten Zeitläufe, die gefräßigen tempora; für unsere Zeitzeugen gingen sie zu hastig und zu geschwinde voran. Eine sich wiederholende Frage lautet folglich: Wie wurde, vor allem auf Quintilians Seite, mit dem Bewußtsein und der Bewältigung der ‹Zeit› überhaupt umgegangen? Wie wurden ‹Zeit›-Phänomene formuliert und, für den Leser nachvollziehbar, zu Papier gebracht? Was beinhaltet überhaupt ‹Renaissance› als Epochenbegriff?

Zeit handelt weitgehend von der Vergangenheit und ihren Gepflogenheiten, Überlieferungen und ihren Generationenbeziehungen, kurz von dem, «was von Glied zu Glied sich vererbt» (Adorno, Bd. X/1, S. 310: Über Tradition); es geht letztlich um nichts Geringeres als um den jeweiligen Umgang mit der eigenen Vergangenheit und Gegenwart sowie der großen Unbekannten: der Lebenszeit. Sie bündelt sich in der Auseinandersetzung mit dem ferneren oder soeben eingetretenen Gewesenen; sie wirft ihren Mantel über den konfliktuellen Verkehr mit Zeitgenossen und zu guter Letzt über das eigene Alter. Denn Quintilian ← 13 | 14 → richtete sich mit seinen Mahnungen an die studiosi iuvenes (Inst., XII, 11, 31), die Leben und Werk noch vor sich hatten.

Unzulänglichkeiten der Textüberlieferung. Die Kenntnis der hier in den Zeugenstand gerufenen Traktate stützt sich auf handgeschriebene und von wechselnden Händen und Augenpaaren immer wieder kopierte Weitergaben: libri manu scripti decken, auch im vorliegenden Sachverhalt, einige ihnen anhaftende diesseitige menschliche Schwächen auf, welche eines Hinweises bedürfen.

Vor dem Buchdruck (in dem ‹Auflagen› als verbessert, gar erweitert vermerkt – etwa in der später zu erwähnenden Theorie von Sulzer, 1778), erinnern Skripten daran, daß derjenige, der sich auf solche Zeugnisse stützt, es mit möglicherweise verwässerten Varianten, gar mit nachweisbaren Fälschungen oder Verfälschungen späterer Zeiten zu tun hat; einfallsreiche Mönche und eilfertige weltliche Hofschreiber fanden in diesem dubiosen Bereich und Geschäft der Geschichtserfindung und Geschichtsklitterung gelegentlich krisensichere Arbeitsaufträge; frei ersonnene Chroniken, rück- oder umdatierte Schriftstücke, gar unwahre Urkunden samt beglaubigenden Siegeln (doch ebenfalls nachempfunden und falsifiziert), mahnen zur Vorsicht.3

Anzufügen ist überdies eine Bemerkung über das endgültig untergegangene Schriftgut, das weitere Unabwägbarkeiten bietet. Selbst wenn dank überlieferter Titel noch dem Namen nach bekannt, liegt es de facto nicht vor und vermag sich in den Diskursen gleichwohl beharrlich zu halten. Ein Beispiel bietet hierzu Quintilians verschwundenes Pamphlet De causis corruptae eloquentiae – ein Verlust, der gewisse Aspekte der Institutio oratoria, zumindest an den Rändern, trübt, manche Verknüpfung ausblendet oder zur Hypothese mindert.

Die tradierten Stoffe offenbaren an manchen Stellen Brüche. Die ursprünglich bunt eingewobenen mentalen ‹Bild›-Bestände verschwimmen – vor allem dann, wenn von Quintilian herangezogene griechische Belege heute als verloren zu gelten haben. Bei manchem Eiland der persönlich-individuellen oder kollektiven memoria – ein zentrales Stichwort im ‹Zeit›-Repertoire – stellt sich dabei heraus, daß Herkunftsbestimmungen nicht mehr zu bewerkstelligen ← 14 | 15 → sind. Zu welchen geistigen Kontinenten gehörten sie einst? Wann, wie und von wem wurden sie aus welchen Gründen abgesprengt? Warum und unter welchen Voraussetzungen haben sie anderswo öfters erfolgreich fortgelebt und weitergeklungen?

Die Zielsetzung Quintilians war, den ganzen Menschen ins Auge zu fasssen, alle Aspekte seiner Begabungen zu begreifen und entsprechend zu fördern. Die folgenden Ausführungen wollen nun sich den kulturell rahmenden und menschlichen Dimensionen nähern, die später, zumindest von der Fragestellung her, gleicherweise für Cennini Geltung haben. Denn Quintilian erweist sich im Verlaufe seiner Anweisungen und Kommentare zur Redekunst als scharfer Beobachter und als einfallsreicher Beschreiber von Alltäglichkeiten, von Fakten, menschlichen Schwächen und Verhaltensmustern, die er vergleichend oder metaphorisch in die Texte einflicht – und dies in der noch höchst gegenwärtigen und unvergleichlichen ciceronischen Sprache.

Anderswo wurde bereits versucht, Quintilian wenigstens zu erwähnen und kunstgeschichtlich in Erinnerung zu rufen (Deuchler, 2014, S. 159–161). In einer früheren Duccio-Monographie (Deuchler, 1984, S. 189) vermochte das Wagnis, Quintilian und Cennini in einem Atemzug zu nennen, aus Mangel an tragfähigen Kenntnissen, in den jetzt getanen Schritten noch nicht vollzogen werden; zu meiner Rechtfertigung sei des Weiteren auf den S. 128 zitierten Text des Musikwissenschaftlers Hans Heinrich Eggebrecht hingewiesen.

Die lateinischen wie auch die italienischen Sprachregister und Erklärungen am Ende des Bandes verstehe ich – trotz scheinbarer Fülle – als bescheidene Aushilfsbrücken, die einem wortgenaueren Verständnis der beiden Haupttexte förderlich sein könnten und Wege zu den maßgeblichen Lexika und Nachschlagewerken zumindest verkürzen.

Bei den zitierten Belegen stehen die Inhalte im Vordergrund. Ich verlasse mich diesbezüglich auf Helmut Rahn für Quintilian und auf Franco Brunello für Cennino Cennini. Was Letzteren anbetrifft, so dürfen die jüngst (2015) veröffentlichte Übertragung und die präzisen Kommentare der englischen Historikerin und Bilderrestauratorin Lara Broecke als Glücksfälle in der Cennini-Forschung bezeichnet werden. An mehreren Stellen konnten ihre Ansichten noch einbezogen werden.

Zitate aus der von der Forschung ebenfalls selten konsultierten Allgemeinen Theorie der Schönen Künste von Johann Georg Sulzer (1720–1779) bieten abschließend Ein- und Rückblicke in die Ästhetik der Aufklärung und belegen Auseinandersetzungen mit Quintilian sowie dessen Rezeption zur Zeit Goethes (1749–1832) und Diderots (1713–1784); mit beiden soll der in Berlin tätige ← 15 | 16 → Winterthurer Professor in Verbindung gestanden haben; er besuchte Goethe in Frankfurt; dies bleiben indessen Seitenaspekte und Nebenschauplätze; am Rande notiert, doch mehr als nur eine Verneigung vor dem Landsgenossen.

Details

Seiten
228
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783034326766
ISBN (ePUB)
9783034326773
ISBN (MOBI)
9783034326780
ISBN (Paperback)
9783034326759
DOI
10.3726/b10564
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (April)
Schlagworte
Quintilian Institutio Oratoria Rhetorik Libro dell'Arte Cennino Cennini Altphilologie
Erschienen
Bern, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 226 S.

Biographische Angaben

Florens Deuchler (Autor:in)

Florens Deuchler, 1931 in Zürich geboren, studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte, Musikwissenschaft sowie Kunstgeschichte in Bern, Zürich, London und Bonn. Assistentenjahre in Bonn und Rom (Bibliotheca Hertziana). Habilitation in Zürich. Chairman der Mittelalter-Abteilung, Metropolitan Museum; Direktor der Cloisters und Professor am Institute of Fine Arts, New York University. Berufung auf den Lehrstuhl für mittelalterliche Kunstgeschichte, Universität Genf. Einrichtung der Stiftung «Langmatt» Sidney und Jenny Brown in Baden. Direktor des Istituto Svizzero in Rom. Lebt seit 2016 wieder in der französischen Schweiz.

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