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Das lateinische Tierlobgedicht in Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit

von Franziska Schnoor (Autor:in)
©2017 Dissertation X, 470 Seiten

Zusammenfassung

Das lateinische Tierlobgedicht, eine poetische Untergattung des Enkomiums, ist in der Forschung bislang kaum beachtet worden. Die vorliegende Arbeit will diese Forschungslücke schließen. Sie schlägt einen weiten Bogen von den einflussreichen antiken Vorbildern aus der Feder von Catull und Ovid bis zur neulateinischen Dichtung im 17. Jahrhundert und präsentiert damit ein Textkorpus, das so vielgestaltig ist wie die Tierwelt selbst.
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die am häufigsten gepriesenen Tiere: die Nachtigall sowie Vögel im Allgemeinen, der Hund und das Pferd. Als Vertreter für Exoten wird der Elefant vorgestellt, und mit dem Floh kommt ein Tier zur Sprache, das vor allem Gegenstand von ironischem Lob ist. Neben den typischen Eigenschaften der Tiere werden die poetischen Mittel des Tierlobs und das intertextuelle Beziehungsnetz der Gedichte analysiert.
Die zahlreichen Berührungspunkte des Tierlobgedichts mit anderen poetischen Gattungen sowie seine sozio-funktionalen Aspekte werden ebenfalls betrachtet. Insgesamt zeigt sich, dass unter der Oberflächenschicht des Tierlobs meist eine Tiefenschicht verborgen ist, in der es um das menschliche Miteinander geht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Einleitung
  • 1. Die Theorie des Tier-Enkomiums
  • 1.1 Die Grundlagen in der antiken Rhetorik
  • 1.2 Mittelalter
  • 1.3 Frühe Neuzeit
  • 2. Antike Vorbilder
  • 2.1 Catull
  • 2.1.1 Sperlingsgedichte in der Nachfolge Catulls
  • 2.1.2 Von Catull inspirierte Gedichte über andere Vögel
  • 2.1.3 Von Catull inspirierte Gedichte über Vierbeiner
  • 2.2 Ovid
  • 3. Tiere
  • 3.1 Die Nachtigall
  • 3.1.1 Stand der Forschung
  • 3.1.2 Der Mythos von Philomela
  • 3.1.3 Plinius, die zentrale Quelle für Beschreibungen von Nachtigallen
  • 3.1.4 Das Nachtigallenlob im frühen Mittelalter
  • 3.1.5 Die Nachtigall als Musiklehrerin und Ruhestörerin
  • 3.1.6 Die Nachtigall singt von der Passion Christi
  • 3.1.7 Vielfalt des Gesangs und der dichterischen Ausdrucksmöglichkeiten
  • 3.1.8 Epitaphien für Nachtigallen
  • 3.1.9 Die Nachtigall im Dienst christlicher Dichtung
  • 3.1.10 Nachtigallenlob in Vollendung bei Nikolaus Bähr
  • 3.1.11 Zusammenfassung
  • 3.2 Andere Vögel
  • 3.2.1 Corporis dotes
  • 3.2.1.1 Vox
  • 3.2.1.2 Pulchritudo
  • 3.2.1.3 Fortitudo
  • 3.2.2 Animi dotes
  • 3.2.2.1 Fidelitas
  • 3.2.2.2 Sapientia
  • 3.2.3 Utilitas
  • 3.2.4 Iucunditas
  • 3.3 Hund
  • 3.3.1 Wachhunde
  • 3.3.2 Jagdhunde
  • 3.3.3 Schoßhunde
  • 3.4 Pferd
  • 3.4.1 Res corporis
  • 3.4.1.1 Einzelne Körperteile
  • 3.4.1.2 Pulchritudo
  • 3.4.1.3 Robur
  • 3.4.1.4 Velocitas/agilitas
  • 3.4.2 Animi dotes
  • 3.4.2.1 Fortitudo / alacritas ad pericula
  • 3.4.2.2 Mansuetudo/obsequium
  • 3.4.3 Utilitas
  • 3.4.4 Iucunditas
  • 3.4.5 Zusammenfassung
  • 3.5 Elefant
  • 3.5.1 Gedichte über individuelle Elefanten
  • 3.5.1.1 Das große Schweigen im Mittelalter
  • 3.5.1.2 Frühe Neuzeit
  • 3.5.2 Gedichte über die Tierart Elefant
  • 3.6 Floh
  • 4. Tiefenschichten des Tier-Enkomiums
  • 4.1 Berührungspunkte mit anderen Gattungen
  • 4.1.1 Enkomium und Lehrgedicht: Nikolaus Bährs Ornithophonia
  • 4.1.1.1 Autor und Werk
  • 4.1.1.2 Aufbau der Gedichte
  • 4.1.1.3 Elemente des Lobs
  • 4.1.1.4 Strategien des Lobs
  • 4.1.1.5 Prodesse et delectare – Nutzen und Unterhaltung der Vögel / Lehrgedicht und Lobgedicht
  • 4.1.2 Religiöse Dichtung
  • 4.1.3 Liebesdichtung
  • 4.2 Sozio-funktionale Aspekte
  • 4.2.1 Tierlob im Dienste der Beziehung zu Mächtigen
  • 4.2.1.1 Pferdelob und Panegyrik
  • 4.2.1.2 Löwenlob und Panegyrik
  • 4.2.1.3 Elefantenlob und Panegyrik
  • 4.2.1.4 Hundelob und Panegyrik
  • 4.2.1.5 Vogellob und Panegyrik
  • 4.2.1.6 Ein Sonderfall: Jean Passerats Neujahrsgedichte
  • 4.2.1.7 Zusammenfassung
  • 4.2.2 Freundschaft
  • 5. Zusammenfassung
  • Verzeichnisse
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Quellen
  • Literatur
  • Register
  • Register der Tiere
  • Register der Namen
  • Register der behandelten Gedichte
  • Register nicht behandelter Tier-Enkomien
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im November 2015 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommen wurde. Sie präsentiert mit dem Tierlobgedicht eine Gattung der lateinischen Dichtung, die bislang nicht als eigenständiges poetisches Genre wahrgenommen worden ist.

Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thomas Haye (Göttingen), der mich auf das faszinierende Thema des Tierlobs aufmerksam gemacht hat und die Arbeit über viele Jahre hinweg mit Interesse und wohlwollender Kritik begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Richard Trachsler (Zürich) danke ich für die Übernahme des Korreferats und für seine wertvollen Verbesserungsvorschläge.

Meinen ehemaligen Göttinger Kollegen und Freunden, Rainer Walter (Zürich) und Dr. Martin Borchert (Göttingen), sowie den Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums am Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung der Universität Göttingen schulde ich Dank für lebhafte Diskussionen und hilfreiche Anregungen.

Verschiedene Personen haben die Arbeit ganz oder in Teilen gelesen. Hierfür und für ihre Korrekturen, Kritik, aber auch Ermunterung, danke ich Dr. Elke Liebig (Wiesbaden), Dörthe Führer (Zürich), Rudolf Stäuble (Winterthur) und Julia Kuhnert (Leipzig).

Herrn Prof. Dr. Peter Stotz (Zürich) danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die von ihm betreute Reihe „Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters“ und für seinen unbestechlichen Detailblick.

Meine Begeisterung für das Latein des Mittelalters und der Neuzeit wurde in Freiburg entfacht. Prof. Dr. Paul Gerhard Schmidt (†), Prof. Dr. Elisabeth Stein, Dr. Christian Heitzmann, Dr. Johannes Mangei und Dr. Sven Limbeck, meine akademischen Lehrer am Mittellateinischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, haben mir ← ix | x → dieses spannende und facettenreiche Fach nahegebracht. Dafür bin ich ihnen von Herzen dankbar.

Last but not least danke ich meinen Eltern, die mir ein sorgenfreies Studium ermöglicht haben und immer daran geglaubt haben, dass diese Arbeit eines Tages erscheinen wird.

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Einleitung

Laus est expositio bonorum – „Lob ist die Darstellung guter Eigenschaften“. Mit diesen Worten beginnt der spätantike Grammatiker Priscian von Caesarea (5./6. Jahrhundert n. Chr.) den Abschnitt über das Lob (De laude) in seinen Praeexercitamina, einem Lehrbuch für den Rhetorik-Unterricht.1 Lob (mit dem terminus technicus: das Enkomium) ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit, genauer gesagt: das in lateinischer Sprache verfasste poetische Lob auf Tiere in Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit.

Tiere als Forschungsgegenstand

In den letzten dreißig Jahren sind Tiere auch außerhalb der Biologie vermehrt in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt. Als Begründer des sog. Animal Turn kann wohl Robert Delort gelten, der 1984 seiner grundlegenden Arbeit über die Geschichte der Tiere den programmatischen Titel Les animaux ont une histoire gab.2 Seither haben Tiere ihren Raum in den verschiedensten Forschungsdisziplinen erobert – in der Literaturwissenschaft3 sind sie ebenso präsent wie in der Kunstgeschichte,4 ← 1 | 2 → Mentalitätsgeschichte5 oder Theologie.6 Neben vielfältigen Einzelstudien, die ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansatzweisen und Themen abdecken,7 und Anthologien mit Texten zum Mensch-Tier-Verhältnis8 ← 2 | 3 → gibt es einige interdisziplinär angelegte Überblicksdarstellungen; diese zielen darauf ab, eine umfassende Kulturgeschichte des Tiers zu schreiben. Als Beispiel sei hier die im Jahr 2007 erschienene sechsbändige Cultural History of Animals genannt,9 die sowohl synchrone als auch diachrone Zugänge zum Thema ermöglicht – die sechs Bände entsprechen sechs Epochen, während sieben zentrale Themen in allen Bänden wiederkehren: Symbolik, Jagd, Domestizierung, Unterhaltung, Wissenschaft, Philosophie, Kunst.10

Der interdisziplinäre Ansatz ist für eine Synthese zweifellos fruchtbar, führt aber in der Praxis häufig dazu, dass verschiedene Quellenarten unterschiedslos als Abbilder der Realität interpretiert und ausgewertet werden. So greift etwa Frank Meier in seinem 2008 veröffentlichten Band Mensch und Tier im Mittelalter11 gleichermaßen auf die Bibel, Schriften der Kirchenväter, Gerichtsprotokolle, Chroniken, Legenden, Fabeln, Märchen, epische Dichtung etc. zurück, ohne die Unterschiede zwischen den einzelnen Textsorten zu thematisieren und quellenkritisch zu bewerten.12 ← 3 | 4 →

Immer wieder werden in solchen Untersuchungen auch Lobgedichte auf Tiere herangezogen, aber trotz des immensen Interesses an Tieren fehlt es nach wie vor an philologischer Grundlagenarbeit, insbesondere für den Bereich der lateinischsprachigen Literatur. So gibt es bisher keine umfassende literaturwissenschaftliche Darstellung der Gattung Tier-Enkomium.13

Themenstellung

Diese Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen. Sie widmet sich, wie eingangs erwähnt, lateinischen Tier-Enkomien aus Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Das Thema ist mithin in dreifacher Weise begrenzt: Es werden nur lateinischsprachige Werke betrachtet; unter diesen bilden ausschließlich Texte in gebundener Rede den Untersuchungsgegenstand. Schließlich muss das Kriterium des Tierlobs insofern erfüllt sein, als die Texte sich ausschließlich oder zumindest bei weitem überwiegend einem einzelnen Tier oder einer Tierart widmen müssen, über welches oder welche sie rühmende Aussagen treffen; ihr Zweck muss das Lob des Tiers bzw. der Tierart sein. Das Tier-Enkomium in seiner Reinform als Gegenstand dieser Arbeit ist somit dadurch definiert, dass es im Rahmen eines kohärenten und eigenständigen poetischen Textes in lateinischer Sprache das Ziel verfolgt, ein Tier zu loben.

Bewusst wird bei dieser Definition darauf verzichtet, vom alleinigen Ziel des Tierlobs zu sprechen. Bei der Materialsuche trat eine Eigenart des Tier-Enkomiums rasch zu Tage: Obwohl die Gattung theoretisch problemlos zu definieren ist, lassen sich die Texte in der Praxis oftmals nicht so eindeutig der Gattung zuordnen. Insbesondere das Kriterium des Zwecks stellte sich in einer zu strengen Formulierung als hinderlich bei der Auswahl des Materials heraus. Hätte ich mich auf Gedichte beschränkt, deren einziger Zweck darin besteht, das Tier zu loben, so wäre das Textkorpus sehr schmal geworden. Das Kriterium des Zwecks maßvoll aufzuweichen – das Tier zu loben, muss demnach ← 4 | 5 → nicht der einzige, wohl aber ein wichtiger Zweck des Gedichts sein –, war in zweierlei Hinsicht von Nutzen: Zum einen ließ sich auf diese Weise eine ausreichend breite Textbasis zusammenstellen, zum anderen stellt erst die Frage, welchem Zweck ein Tier-Enkomium außer dem Tierlob dient, die Texte in einen größeren Zusammenhang. Die Antworten auf diese Frage erweisen sich als besonders aufschlussreich.

Aus der Untersuchung ausgeschlossene Texte

Volkssprachliche Gedichte, Prosawerke oder lobende Passagen über Tiere in Dichtungen anderer Genera werden nicht berücksichtigt. Dass die volkssprachliche Dichtung ausgeschlossen bleibt, liegt in der Natur einer latinistischen Arbeit. Der Einbezug von Prosawerken würde die Grenzen der Arbeit sprengen. Lobende Passagen über Tiere in umfangreicheren Dichtungen bleiben unberücksichtigt, weil in diesem Fall das Tierlob nicht als texttypologisch definierte Gattung, sondern lediglich als Sprechhaltung erkennbar ist. Allerdings wurden in Ausnahmefällen Ausschnitte aus längeren Werken ins zu untersuchende Textkorpus aufgenommen – dann, wenn sie in frühneuzeitlichen Sammlungen von Enkomien als eigenständige Texte präsentiert werden.14

Da diese Arbeit das Tierlob behandelt, bleiben auch gewisse Textgattungen unberührt, in denen Tiere zwar eine zentrale Rolle spielen, aber nicht gelobt werden – die Fabel und das Tierepos.15 Tiere als quasi-menschliche handelnde Figuren einer Dichtung sind also ← 5 | 6 → nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Damit sind allerdings Texte, in denen Tiere sprechen,16 nicht per se ausgeschlossen: Der Dichter kann das Lob eines Tiers auch dem Tier selbst in den Mund legen, ohne dass dieses dadurch sein Tier-Sein einbüßt.

Eine weitere Gattung, die nicht behandelt wird, ist das Emblem. Auch wenn Embleme dichterische Texte sind, die sich durchaus lobend über Tiere äußern können, liegt der Schwerpunkt dieser Gattung doch insbesondere durch die Verknüpfung von Text und Bild auf einer anderen Ebene; außerdem steht im Emblem die symbolische Bedeutung des Tiers im Vordergrund.

Zeitlicher Rahmen der Untersuchung

Der zeitliche Rahmen wurde bewusst weit gesteckt, so dass Entwicklungslinien des Tierlobs sichtbar werden können. Bei einer Beschränkung auf das Mittelalter hätte nicht ausreichend Material für eine Monographie zur Verfügung gestanden, eine ausschließliche Betrachtung der Frühen Neuzeit hieße hingegen zu verkennen, dass auch in der Spätantike und im Mittelalter Tier-Enkomien geschrieben wurden, und ← 6 | 7 → zu suggerieren, dass die Dichtung der Frühen Neuzeit ohne jegliche Bezüge auf die Spätantike und das Mittelalter existierte. Dass beides nicht der Fall ist, zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchung.

Als zeitliche Obergrenze habe ich das Ende des 17. Jahrhunderts gesetzt, weil im 17. Jahrhundert nach und nach die Volkssprachen in der Dichtung allgemein und damit auch in der Tierlobdichtung gegenüber dem Lateinischen das Übergewicht gewinnen.17 In Sammlungen vom Beginn des 17. Jahrhunderts wie dem Amphitheatrum sapientiae Socraticae joco-seriae von Caspar Dornavius (1619) hingegen überwiegen noch die lateinischen Texte.

Betrachtet man das Korpus der untersuchten Texte, so fällt ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Anteilen an spätantiken/mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten ins Auge. Relativ wenige der untersuchten Texte stammen aus der Spätantike und dem Mittelalter, der überwiegende Teil entstand in der Frühen Neuzeit, vor allem im 17. Jahrhundert. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits ist grundsätzlich für die Spätantike und das Mittelalter stärker als für die Frühe Neuzeit mit Überlieferungsverlusten zu rechnen. Ferner hat nicht zuletzt die Erfindung des Buchdrucks dazu beigetragen, dass Texte aus der Druck-Ära wesentlich weiter verbreitet wurden als allein handschriftlich überlieferte Werke und infolgedessen eine größere Chance hatten, bis heute mindestens in einem Exemplar erhalten zu bleiben.

Andererseits erschlossen sich in der Frühen Neuzeit weitere Schichten Latein als Sprache der Literatur. Während im Früh- und Hochmittelalter lateinische Dichtung primär eine Domäne des Klerus war, sind schon ab dem Spätmittelalter vermehrt lateinkundige Laien unter den Dichtern zu finden.18 Das kann erklären, warum die Tierlobdichtung in der Renaissance einen Aufschwung erlebt – während eine enge Beziehung zu einem Tier, die Ausdruck in der Dichtung findet, ← 7 | 8 → einem Kleriker nicht unbedingt angemessen ist,19 stellt sie für einen Dichter aus dem Laienstand ein geringeres Problem dar.20 Bei dieser etwas vereinfachenden Feststellung ist allerdings zweierlei zu bedenken: Einerseits können Tier-Enkomien auch eine geistliche Ausrichtung haben, wie etwa die Nachtigallen-Gedichte von Alkuin oder Johannes Peckham zeigen. Tierlobdichtung ist also für Angehörige des geistlichen Standes nicht grundsätzlich mit ihren Standesnormen unvereinbar. Dementsprechend findet man auch in der Frühen Neuzeit eine Reihe von Tier-Enkomien mit stark religiöser Färbung – hier seien als Beispiel die Gedichte von Nathan Chytraeus genannt. Andererseits haben auch mittelalterliche Kleriker mitunter ohne geistliche Hintergedanken über Tiere gedichtet, so zum Beispiel der Mönch und spätere Abt Theoderich von St. Trond im Lob auf seinen Hund Pitulus.

Ein dritter Grund dafür, dass die Anzahl der Tierlobgedichte in der Frühen Neuzeit stark zunimmt, ist die ab dem 14. Jahrhundert aufkommende Catull-Rezeption. Catull hat mit seinen passer-Gedichten (carm. 2 und 3) zahlreiche Dichter zu Tier-Enkomien inspiriert. Da seine Werke aber im Mittelalter praktisch unbekannt waren, konnten sie in dieser Zeit keine Wirkung entfalten. Erst nach seiner Wiederentdeckung konnte Catull viele Dichtergenerationen beeinflussen. Andere Vorbilder waren zwar schon im Mittelalter bekannt, hatten aber geringeren Einfluss auf die poetische Tier-Enkomiastik, so etwa Ovids Gedicht auf Corinnas psittacus (am. 2, 6).21 ← 8 | 9 →

Räumlicher Rahmen der Untersuchung

Drei räumliche Schwerpunkte hat das Material dieser Arbeit, insbesondere für die Frühe Neuzeit: Italien, den deutschsprachigen Raum und Frankreich. Italien ist als Heimat der ersten Humanisten zentral für die Vermittlung antiker Vorbilder in der Frühen Neuzeit; die Gattung des Tier-Enkomiums erfuhr dort wichtige Impulse. Der deutschsprachige Raum steht in dieser Arbeit exemplarisch für die Gebiete nördlich der Alpen und die dortige Rezeption antiker Texte, sei es auf direktem Wege, sei es durch die Werke italienischer Humanisten vermittelt. Frankreich schließlich hat eine breite Tradition volkssprachlicher Tier(-lob-)dichtung, die bereits recht gut erforscht ist. Hier erschien es sinnvoll, die lateinische Tradition darzustellen, die zum Teil den volkssprachlichen Entwicklungen vorausgeht, zum Teil parallel zu ihnen verläuft, um so in Zukunft vergleichende Studien zu ermöglichen. Für das Mittelalter wurde versucht, das – nicht sehr umfangreiche – Material aus dem gesamten lateinischsprachigen Europa möglichst vollständig zu erfassen; auch Texte der Frühen Neuzeit aus anderen als den genannten Ländern, etwa aus den Niederlanden, England oder Böhmen, wurden aufgenommen, sofern sie in zeitgenössischen Sammlungen von Tier-Enkomien gemeinsam mit Texten aus Italien, Frankreich oder Deutschland überliefert sind.

Quellenbasis

Die wichtigste Quelle für Tier-Enkomien ist eine umfangreiche Sammlung aus dem Jahr 1619, zusammengestellt von Caspar Dornavius.22 Sie trägt den vollständigen Titel Amphitheatrum sapientiae Socraticae joco-seriae, hoc est, encomia et commentaria auctorum, qua veterum, qua recentiorum prope omnium. Quibus res, aut pro vilibus vulgo aut damnosis habitae, styli patrocinio vindicantur, exornantur. Opus ad mysteria naturae discenda, ad omnem amoenitatem, sapientiam, virtutem, publice privatimque utilissimum: in duos tomos partim ex libris editis, partim manuscriptis congestum tributumque, a Caspare ← 9 | 10 → Dornavio Philos[opho] et Medico. Dornavius hat in seiner Kompilation überwiegend epideiktische Texte23 in Versen und Prosa über Tiere, Pflanzen, Grundstoffe, Gegenstände, Personen und Eigenschaften zusammengetragen. Insgesamt umfasst die Sammlung über 600 hauptsächlich lateinische Texte von rund 300 Verfassern. Der überwiegende Teil stammt von italienischen und französischen Humanisten, vor allem aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Mittelalterliche Autoren sind kaum vertreten, auch nur sehr wenige Vor- und Frühhumanisten, hingegen finden sich knapp 35 antike Autoren unter den Verfassern. Mehr als die Hälfte der Texte widmet sich Tieren. Wie schon der Titel Amphitheatrum sapientiae […] joco-seriae verrät, enthält die Sammlung sowohl ernstgemeinte als auch scherzhafte (ironische) Enkomien sowie Texte, in denen sich beide Elemente vermischen.24 ← 10 | 11 →

Stand der Forschung

Während bislang keine umfassende Studie zum lateinischen Tier-Enkomium existiert, gibt es durchaus einige Arbeiten, die das Feld dieser Untersuchung am Rande berühren.

Gerhard Herrlinger widmete sich in seiner 1930 im Druck erschienenen Dissertation der Totenklage um Tiere in der antiken Dichtung.25 Diese Arbeit ist für die vorliegende Untersuchung insofern eine wichtige Basis, als Tier-Epikedien als eine Untergattung des Tier-Enkomiums aufgefasst werden können – als Lobgedichte auf tote Tiere.26 Sie sind insgesamt formal einheitlicher als Lobgedichte auf lebende Tiere, da sie durch die typischen Elemente des Epikedien-Stils geeint werden, etwa die Beschreibung der (oft heroischen) Umstände des Todes oder den Verweis auf den Begräbnisort, den tumulus.27 Ein weiteres zentrales Element ist das Lob: Nur wenn ein Tier als lobenswert angesehen wird (und sei es ironisch), ist es auch einer Totenklage würdig. Die Tier-Epikedien unterscheiden sich von Lobgedichten auf lebende Tiere primär dadurch, dass zum Lob das Moment der Trauer hinzukommt.

Herrlinger stellt zu Beginn seiner Arbeit knapp die kulturgeschichtlichen Grundlagen der antiken (griechischen wie lateinischen) Tierepikedien dar, widmet sich den Gedichten dann aber primär unter stilgeschichtlichen Gesichtspunkten. Er unterscheidet dabei drei Arten von Epikedien: ernst-sentimentale, parodistische und pointierte Epikedien. Diese Unterscheidung lehnt sich an eine bereits in der antiken Theorie des Enkomiums vorhandene Differenzierung nach dem Wert des gepriesenen Gegenstands an,28 entspricht dieser allerdings nicht gänzlich. Ich ziehe daher bei meinen Analysen die in der antiken Theorie belegten und von frühneuzeitlichen Theoretikern aufgegriffenen Bezeichnungen für verschiedene Arten von Enkomien den von Herrlinger geprägten ← 11 | 12 → Ausdrücken vor; die Terminologie der Rhetoren hat den Vorteil, dass sie für Enkomien im Allgemeinen gilt und eine zeitgenössische – antike bzw. frühneuzeitliche – Sichtweise auf die Texte vermittelt.

Herrlinger schließt seine Studie mit einem „Anhang byzantinischer, mittellateinischer und neuhochdeutscher Tierepikedien“ ab (unter den „mittellateinischen“ Texten sind auch solche aus dem 16. und 17. Jahrhundert enthalten). Er kommentiert die Gedichte jeweils knapp, mit Verweis auf Stilart, antike Vorbilder, Beziehungen zu zeitgenössischen Texten etc. Als Material für meine Untersuchung sind die insgesamt 23 lateinischen Gedichte aus Mittelalter und Früher Neuzeit wertvoll, auch wenn einige davon hier nicht berücksichtigt werden, weil das Element des Lobs in ihnen zu schwach ausgeprägt ist.29

Elegien auf gestorbene Haustiere von Gelehrten und Fürsten oder Fürstinnen betrachtet auch Kathleen Walker-Meikle im abschließenden Kapitel („Pets in Literature“) ihrer 2012 erschienenen Monographie über Haustiere im Mittelalter.30 Walker-Meikle, die in ihrer kulturwissenschaftlichen Untersuchung auch in großem Umfang auf literarische Quellen zurückgreift,31 beschränkt sich dabei auf Elegien, die Hunden und Katzen gewidmet sind, da in diesen individuelle Züge stärker zum Tragen kämen als etwa in Vogel-Elegien, die häufig bloße literarische Catull-Imitationen seien und bei denen sich schwer nachzuvollziehen lasse, ob sie einen realen Vogel beklagten. Für die untersuchten Werke postuliert Walker-Meikle ein Nebeneinander von echten Emotionen und Zurschaustellen dichterischer Kunstfertigkeit; eine Interpretation der ← 12 | 13 → Gedichte als rein ironische Enkomien lehnt sie ab.32 Obwohl Walker-Meikle am Rande auch auf stilistische Merkmale sowie literarische Vorbilder der von ihr zitierten Gedichte eingeht, also immerhin versucht, sich mit der Frage nach dem Realitätsbezug der Literatur auseinanderzusetzen, betrachtet sie die Texte primär aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive und liest sie als Abbilder der Lebenswirklichkeit. Ihre Arbeit verfolgt mithin andere Ziele als die vorliegende Untersuchung, berührt sich mit ihr aber in einigen Punkten: Die Frage nach dem Realitätsbezug der Dichtung steht in meiner Arbeit nicht im Vordergrund, kann aber auch nicht ganz ausgeklammert werden.

Zwei literaturwissenschaftlich ausgerichtete Studien, die lange vor dem Animal Turn entstanden sind, betreffen die volkssprachliche Dichtung und behandeln nur am Rand auch lateinische Texte. So liegen zur französischen und englischen Tierdichtung der Renaissance zwei umfangreiche Arbeiten vor: A. Lytton Sells, Animal Poetry in French and English Literature and the Greek Tradition (London 1957) und Hélène Naïs, Les animaux dans la poésie française de la Renaissance (Paris 1961). Bei teilweise überlappendem Forschungsgegenstand verfolgen die beiden Autoren leicht unterschiedliche Ansätze, wie bereits aus den Titeln hervorgeht: Sells betrachtet Tierdichtung; hierunter versteht er Gedichte, welche das jeweilige Tier „objektiv und einfühlsam“ beschreiben.33 Naïs hingegen untersucht das Tier in der Dichtung, mit einem Schwerpunkt auf der Frage nach dem Verhältnis zwischen Dichtung und Wissenschaft. Während Naïs das Material inhaltlich sehr weit fasst, grenzt sie ihren Untersuchungsgegenstand zeitlich auf das 16. Jahrhundert ein; Sells wiederum beschränkt sich inhaltlich, setzt aber den Zeitrahmen sehr weit. Nach einer kurzen Einführung über griechische und lateinische Tierdichtung der Antike und einem ebenfalls knapp gehaltenen Kapitel über die Zeit zwischen Antike und französischer Renaissance betrachtet er die französische und englische ← 13 | 14 → Dichtung von der Mitte des 16. Jahrhunderts (der Zeit der Pléiade in Frankreich) bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Sells konstatiert einen nahezu kompletten Niedergang der Tierdichtung im Mittelalter nach der frühen byzantinischen Zeit.34 Obgleich sich nicht bestreiten lässt, dass aus dem Mittelalter deutlich weniger Tier(-lob-)gedichte erhalten sind als aus der Frühen Neuzeit, gilt es hier doch zu differenzieren und für den Bereich der lateinischen Dichtung ausführlicher nach den Gründen für die Überlieferungssituation zu fragen.35

Auf die neulateinische Tierdichtung geht Sells praktisch nicht ein, da sein Untersuchungsgegenstand die volkssprachliche Literatur ist. Er erwähnt zwar die Existenz neulateinischer Texte und die Möglichkeit eines Einflusses auf französische und englische Dichtung, warnt jedoch davon, diesen Einfluss zu überschätzen; die Wiederentdeckung der antiken griechischen Dichtung sei – neben der Rezeption von Catull und Ovid – der entscheidende Faktor für das Wiederaufleben der Tierdichtung in der volkssprachlichen Dichtung der Renaissance gewesen.36 Auch wenn es nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein kann, Sells These zu überprüfen, so soll doch meine Untersuchung zumindest zeigen, dass die neulateinische Tier(-lob-)dichtung beileibe keine quantité négligeable ist.

Hélène Naïs konstatiert für das 16. Jahrhundert eine große Vorliebe für das Thema des Tiers; kaum ein Dichter habe der Versuchung widerstehen können, Tiere in seine Verse einzubauen.37 Man finde Tiere ← 14 | 15 → in jeder Form von Dichtung, sei sie episch, philosophisch, didaktisch, galant, satirisch oder dramatisch; oftmals würden die Tiere in verschiedenen Gattungen in derselben Weise behandelt. Naïs nennt diverse literarische Genera, in denen Tiere vorkommen – Fabel, Emblem, Jagdtraktate, Lehrdichtung, „hymne-blason“, Epitaph, galante Dichtung.38 Nicht alle Gattungen bezieht sie allerdings in ihre Untersuchung ein; so schließt sie etwa den „hymne-blason“ aus, weil die Gattung sehr uneinheitlich sei und darüber hinaus die Gedichte häufig nur den Anschein erweckten, sich einem Tier zu widmen – oft verließen die Dichter nach einigen wenigen Versen das im Titel angekündigte Tierthema.39 Eine Untersuchung von Tier-Epitaphien, galanter Dichtung mit Tierbezug und Jagddichtung verschiebt Naïs auf eine spätere Studie, ebenso wie eine Analyse poetischer Techniken, gebräuchlicher Klischees, literarischer Moden und mythologischer Bilder40 – sie scheint diese Ankündigung aber nicht eingelöst zu haben. Überhaupt steht Naïs literarischen Stereotypen skeptisch bis desinteressiert gegenüber.41 Diese Einstellung erstaunt in einer literaturwissenschaftlichen Arbeit. Zwar mögen die individuellen Züge eines Gedichts interessanter sein als die konventionellen, doch lässt sich erst beurteilen, was an einem Gedicht ungewöhnlich ist, wenn man zuvor die topischen Elemente eines Tiergedichts herausgearbeitet hat. Verzichtet man auf diesen Schritt, so läuft man Gefahr, eigene Vermutungen darüber, was als typisch für ein Tier gilt, auf die untersuchten Texte zu projizieren und damit Auffassungen des 21. Jahrhunderts mit solchen aus Mittelalter und Früher Neuzeit zu vermischen. Ferner muss nicht alles, was stereotyp ist, zwangsläufig schlecht sein – diese Elemente auszublenden, heißt auch, die Vitalität ← 15 | 16 → literarischer Traditionen zu ignorieren und moderne Kategorien von Originalität an vergangene Zeiten anzulegen.

Eine Unterkategorie des Enkomiums, die eine gewisse Schnittmenge mit dem Tier-Enkomium bildet, ist bereits häufig untersucht worden: das ironische oder paradoxe Enkomium.42 Dieses preist negativ konnotierte Gegenstände,43 die des Lobs eigentlich nicht würdig sind. Auch Tiere können in diese Kategorie fallen. Unmittelbar nachzuvollziehen ist diese Einordnung bei schädlichen oder lästigen Insekten wie der Laus und dem Floh. Bei Vögeln oder Säugetieren hingegen ist zu fragen, ob sie als würdiger oder unwürdiger Gegenstand des Lobs anzusehen sind. Eine solche Einschränkung machen Adolf Hauffen, Henry Knight Miller und Annette H. Tomarken gleichermaßen, auch wenn sie in ihren Arbeiten über paradoxe bzw. ironische Enkomien einzelne Tier-Enkomien untersuchen.44 ← 16 | 17 → Arthur Stanley Pease hingegen führt als Beispiele für Tiere als Gegenstand der „adoxography“ Esel, Pferd, Kuh, Papagei, Ameise, Hummel („which are more or less homely or mean“), Fliege, Mücke, Floh, Laus und Bettwanze („which are annoying or dangerous“) auf. Er weist allerdings darauf hin, dass sich die Grenze zwischen ernst gemeintem und ironischem Lob nicht immer klar ziehen lässt.45

Die Aussagen über ironische Enkomien gelten daher nicht für alle Tier-Enkomien. Dennoch sind die Ausführungen über ironische Enkomien eine wichtige Grundlage für die texttypologische Fundierung der Gattung Tier-Enkomium. Insbesondere Pease geht ausführlich auf angrenzende Gattungen ein und erörtert ihre Unterschiede zur „adoxography“.46 So unterscheidet sich gemäß Pease das Lob unwerter Gegenstände vom parodistischen Klein-Epos und Epyllion (der Batrachomyomachia und dem ps.-vergilischen Culex) durch das Fehlen einer Handlung („plot“), von der Tier-Fabel durch die Abwesenheit einer ausdrücklich geäußerten Moral, vom Mimus durch das Fehlen dramatischer Handlung („dramatic action“). Das Epigramm wiederum unterscheide sich vom ironischen Enkomium durch seine Kürze und die Versform, die suasoria und controversia – ebenfalls Formen der Epideiktik – durch ihre Ausrichtung auf die Zukunft, während das Enkomium sich Gegenwart oder Vergangenheit widme.

Unter den von Pease genannten Charakteristika des ironischen Enkomiums lassen sich einige auf das Tier-Enkomium übertragen, so die Abwesenheit von Handlung und die Hinwendung zu Gegenwart oder Vergangenheit – Kennzeichen, die für die Enkomiastik allgemein gelten. ← 17 | 18 → Inwieweit eine Moral ihren Raum im Tierlob hat, wird die Untersuchung zeigen. Hingegen sind Kürze und Versform mit Sicherheit keine Ausschlusskriterien für Tier-Enkomien.

Henry Knight Miller weist darauf hin, dass die poetischen ironischen Enkomien formal weniger stark festgelegt sind als die in Prosa verfassten Texte.47 Dies gilt es bei der Untersuchung der Texte zu berücksichtigen.

Annette H. Tomarken betrachtet in ihrer Studie des ironischen Enkomiums in der französischen Renaissance auch die Vorläufer dieser Texte in der antiken und neulateinischen Dichtung. Sie hebt dabei besonders die Bedeutung der neulateinischen Dichtung für die volkssprachliche Poesie hervor.48 Ein Abschnitt ihrer Monographie ist auch den neulateinischen Tier-Enkomien gewidmet.49 Sie nennt zwar als antike Quellen neben Lukians Lob der Fliege (Prosa) auch einige poetische Texte,50 geht aber bei den neulateinischen Enkomien vor allem auf Prosatexte in der Lukian-Nachfolge ein. Sie attestiert den Tier-Enkomien der Renaissance eine gewisse Nähe zu anderen Genera; gerade zwischen literarischen und wissenschaftlichen Texten werde in der Renaissance weniger scharf getrennt als in der heutigen Forschung. Dennoch stünden die Tier-Enkomien klar erkennbar in der Tradition des ironischen Enkomiums („mock-epideictic tradition“). Vielfach nähmen die Autoren in ihren Werken auf Lukian oder andere Autoritäten der Gattung Bezug.51 Dass dies nicht für alle Tier-Enkomien gilt, vor allem nicht für die poetischen Texte, sei hier angemerkt. ← 18 | 19 →

Positionierung der vorliegenden Untersuchung

Im Koordinatensystem der älteren Arbeiten über Enkomiastik und Tierdichtung positioniert sich meine Studie wie folgt: Sie ist einerseits umfassender angelegt als etwa die Arbeit von Herrlinger, indem sie einen weiteren Zeitrahmen berücksichtigt und Gedichte auf lebende und tote Tiere gleichermaßen ins Blickfeld nimmt. Verglichen mit den Untersuchungen von Sells und Naïs ist sie stärker eingegrenzt, da sie nur die Gattung Tier-Enkomium betrachtet, nicht aber „das Tier in der Literatur“ oder „Tierdichtung“ allgemein. Die Arbeiten zu ironischen Enkomien (Hauffen, Pease, Miller, Tomarken) bieten einen Hintergrund für die Theorie der Gattung.52 Mit diesen Studien teilt meine Untersuchung einen Ausschnitt des Materials, nämlich die Gedichte auf geringgeschätzte Tiere; die direkten Überschneidungen sind allerdings gering, da die Autoren, wo sie über neulateinische Enkomien sprechen, im Wesentlichen Prosatexte behandeln.

Gliederung

Die Arbeit gliedert sich in vier große Kapitel. Zu Beginn stehen die Grundlagen der Gattung Tier-Enkomium in der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rhetorik. Hierzu wird die Theorie der Lobrede von der Antike bis ins 17. Jahrhundert in ihren Grundzügen knapp ← 19 | 20 → dargestellt, mit einem besonderen Fokus auf den Äußerungen, die sich auf das Tierlob beziehen. Es ist festzustellen, dass erst in der Frühen Neuzeit eine elaborierte Theorie des Tierlobs im Rahmen der Behandlung des genus demonstrativum formuliert wird. Einige Grundsteine dafür sind bereits in der Spätantike gelegt, so vor allem in den Praeexercitamina Priscians. Im Mittelalter existiert hingegen praktisch keine Theorie des Tierlobs; hiermit korrespondiert eine geringe Produktion von Texten, die als Tier-Enkomien bezeichnet werden können. Sowohl die Anzahl der Gedichte als auch die Anzahl theoretischer Texte, die sich dem Thema widmen, nimmt ab dem 15. Jahrhundert stark zu. Es soll insbesondere für diese Zeit geprüft werden, ob die Aussagen der Theoretiker den Dichtern als Grundlage dienen oder ob diese auf die Dichtung reagieren – oder ob Theorie und Praxis ohne nennenswerte Berührungspunkte nebeneinander existieren.

Nach den theoretischen Grundlagen werden in einem zweiten Kapitel die wichtigsten antiken Vorbilder für Tier-Enkomien vorgestellt, jeweils mit Analysen einiger Texte, die in der jeweiligen Tradition stehen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Gedichte auf Tiere häufig Traditionslinien folgen, die bis in die Antike zurückgehen. Als einflussreichste Vorbilder sind hier Catulls passer-Gedichte (carm. 2 und 3) und Ovids Elegie auf den Papagei der Corinna (am. 2, 6) zu nennen.53 Eine weitere schier unerschöpfliche Quelle ist die antike Mythologie. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielen in einigen Gedichten naturwissenschaftliche Werke, allen voran die Historia naturalis des Plinius, ferner auch die freilich nur mit Einschränkungen der Naturwissenschaft zuzuordnende Physiologus-Literatur. Dass in der Frühen Neuzeit auch zeitgenössische Literatur rezipiert wird und diese mitunter die Perspektive auf die Antike entscheidend prägt, wird ebenfalls am Beispiel der Catull-Rezeption gezeigt: Der Blick auf Catulls Liebesdichtung im Allgemeinen und auf seine passer-Gedichte im Speziellen erfolgt nicht selten durch die Brille Giovanni Gioviano Pontanos. Weitere intertextuelle Bezüge werden im Rahmen der Einzelanalysen herausgearbeitet.

Details

Seiten
X, 470
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783034329293
ISBN (ePUB)
9783034329309
ISBN (MOBI)
9783034329316
ISBN (Paperback)
9783034329323
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juli)
Erschienen
Bern, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. X, 465 S.

Biographische Angaben

Franziska Schnoor (Autor:in)

Franziska Schnoor (1977) studierte Lateinische Philologie des Mittelalters, Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Freiburg im Breisgau. 2017 wurde sie an der Universität Göttingen im Fach Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit promoviert. Seit 2010 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stiftsbibliothek St. Gallen tätig.

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Titel: Das lateinische Tierlobgedicht in Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit
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