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Simpliciana

Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft- XXXV. Jahrgang / 2013

©2014 Dissertation 524 Seiten
Open Access
Reihe: Simpliciana, Band 35

Zusammenfassung

In Band 35 (2013) der Simpliciana werden sechzehn Vorträge veröffentlicht, die während einer Tagung mit dem Rahmenthema «Der Teutsche Michel. Kulturpatriotismus und Sprachverhalten im Werk Grimmelshausens und in der oberrheinischen Literatur der Frühen Neuzeit» Mitte Juni 2013 in Oberkirch und Renchen gehalten wurden. Darüber hinaus erscheinen in diesem Jahrbuch drei weitere Beiträge zum Werk des simplicianischen Autors und ein Aufsatz zum Fortleben der Figur des deutschen Michels in Karikatur und Volkskunde in Böhmen. Der Rezensionsteil berichtet wie gewohnt über Neuerscheinungen zu Grimmelshausen und zur Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Editorial
  • Beiträge der Tagung „Der Teutsche Michel. Kulturpatriotismus und Sprachverhalten im Werk Grimmelshausens und in der oberrheinischen Literatur der Frühen Neuzeit“
  • „so fang das vatter unser auch auf calvinisch an“. Sprachliche Konfessionalismen in der Frühen Neuzeit: Jürgen Macha
  • 1. Einleitung
  • 2. Sprachhistorische Situierung des Themas
  • 3. Sprachliche Konfessionalismen
  • 3.1. Graphematische Konfessionalismen
  • 3.2. Lexikalische Konfessionalismen
  • 3.3 Onomastische Konfessionalismen
  • 3.4 Sprachpragmatische Konfessionalismen: Grußverhalten
  • 4. Ausblick
  • Grimmelshausens Ansichten vom „allergottsbesten Teutsch“. Simplicianischer Stil und „teutsche Bewegung“ (Teutscher Michel, Caput XI): Dieter Breuer
  • Grimmelshausen und der sprachpatriotische Diskurs: Sebastian Rosenberger
  • 1. Der sprachpatriotische Diskurs im 17. Jahrhundert
  • 2. Zur Analysemethode
  • 3. Der Topos ,Turmbau zu Babel‘ im sprachpatriotischen Diskurs
  • 4. Der Topos ,Turmbau zu Babel‘ bei Grimmelshausen
  • 5. Schlussbemerkungen
  • Grimmelshausen und die Sprachtheorie seiner Zeit: Rosmarie Zeller
  • Wie „teutsch“ ist Grimmelshausens Teutscher Michel?: Timothy Sodmann
  • I. Regionales
  • II. „un kanst der Teutsch nit guter spreck“
  • III. Rotwelsch
  • Sprachkrise und Identität. Der Teutsche Michel als Leseanleitung für den Simplicissimus-Roman: Peter Hess
  • I. Einführung
  • II. Sprachbewusstsein und Sprachfähigkeit
  • III. Mehrsprachigkeit und ethisches Sprechen
  • IV. Sprachliche Fehlleistungen
  • V. Selbsterkenntnis und Identität
  • VI. Schlussbetrachtung
  • Der offene Garten. Ordnung und Pluralität in Grimmelshausens Teutschem Michel: Simon Zeisberg
  • I
  • II
  • III
  • IV
  • V
  • Johann Rists Rettung der Edlen Teutschen Hauptsprache. Eine satirische Präsentation barocker Sprachpragmatik und ihre Spuren im Teutschen Michel von Grimmelshausen und im Horribilicribrifax Teutsch von Gryphius: Dirk Niefanger
  • Hirnschleiferei. Die Umdeutungskunst des Aegidius Albertinus in der Perspektive auf Grimmelshausen: Thomas Althaus
  • 1. Die Macht der Zunge
  • 2. Umdeutungskunst
  • 3. „Ein Mann sicht im Spiegel einen Narren“
  • 4. Grimmelshausens Gewinn
  • 5. Zurück zum Teutschen Michel
  • Abbildungen
  • Die Aktualität von Grimmelshausens Sprachschrift Teutscher Michel im 19. Jahrhundert. Ein Überblick über die Rezeption zwischen 1810 und 1864: Jakob Koeman
  • Einleitung: Romantische Logotherapie
  • Joseph von Eichendorff: Tagebuchnotizen (1810), Ahnung und Gegenwart (1815)
  • Theodor Echtermeyer: Abhandlung über Grimmelshausen (1838)
  • Wilhelm Arthur Passow: Abhandlung über Grimmelshausen (1843)
  • Joseph von Eichendorff: Literaturhistorische Analysen (1846, 1847, 1857)
  • Karl Rosenkranz: „Anarchie der Deutschen Tendenzen“ (1855)
  • Heinrich Kurz: Einleitung zur Textausgabe Der Deutsche Michel (1864)
  • Fazit: „in unsern Tagen zeitgemäß“
  • „Ein unruhiges jmmerwehrendes Ellend“. Zur ‚Europa‘-Semantik im Simplicissimus Teutsch: Nicolas Detering
  • I. Weltabsage versus Europaabsage. Erfahrungsraum und Erzählerresümee im pikarischen Erzählen
  • II. Der ‚teutsche Frieden‘ und das Lerna malorum. Europa als Kontinent der Kriege
  • III. Der Außenblick auf Europa. Perspektivismus und kontinentale Identität
  • Abbildung
  • Reflexionen über deutsche Sprache und Kunst. Mathias Holtzwart, Johann Fischart und die Profilierung der Emblematik aus dem Geist des Patriotismus: Sylvia Brockstieger
  • I. Facetten des Sprach- und Kulturpatriotismus im Straßburger Kreis um Johann Fischart
  • II. Grundlegung einer vernakularen Emblematik in Holtzwarts Emblematum Tyrocinia (1581)
  • III. Ausblick
  • Abbildungen
  • Georg Rodolf Weckherlin als Advokat von „reichtumb und schönheit“ der deutschen Sprache. Zur Kontroverse mit Opitz um die prosodische Suprematie: Klaus Haberkamm
  • I.
  • II.
  • III.
  • IV.
  • Johann Heinrich Schills Der Teutschen Sprach Ehren-Krantz (1644) im Kontext seiner Zeit: Dieter Martin
  • 1. Schills Der Teutschen Sprach Ehren-Krantz
  • 2. Johann Heinrich Schill im Straßburger Kontext
  • Anhang: Quellenübersicht zu Johann Heinrich Schill
  • 1) Selbständige Publikationen (ohne Dissertationen/Disputationen)
  • 2) Dissertationen/Disputationen mit Schills Beteiligung
  • 3) Schills Casualcarmina, Widmungsgedichte u. ä.
  • 4) An Schill gerichtete Gelegenheitsdrucke
  • 5) Stammbucheinträge Schills
  • „Teutschlands Tob-sucht“. Positionen und Formen des affektiven Patriotismus bei Zincgref, Rompler und Grimmelshausen: Wilhelm Kühlmann
  • Der Germanenmythos im frühneuzeitlichen Straßburg. Funktionen des ästhetischen Atavismus bei Caspar Brülow und Johann Michael Moscherosch: Michael Hanstein
  • Weitere Beiträge
  • Deutscher Michel in Böhmen. Zum Fortleben der Figur in Karikatur und Volkskunde: Jana Maroszová
  • Deutscher Michel in der tschechischen Karikatur
  • Adolf Hauffens Geschichte des deutschen Michel
  • Abbildung
  • Der Spiritus familiaris in Grimmelshausens Courasche, ein Flaschenteufel im historischen Kontext: Marius Pietruschka
  • 1. Einleitung
  • 2. Spiritus familiaris und Flaschenteufel im historischen Kontext
  • 2.1 Beschreibung der physikalischen Funktion
  • 2.2 Erstmalige Nennung und Entstehung
  • 2.3 Zugesprochene magische Fähigkeiten
  • 3. Parallelen und Abweichungen in der Darstellung des Flaschenteufels und des Spiritus familiaris bei Grimmelshausen
  • 4. Schluss
  • Abbildungen
  • Zigeuner bei Grimmelshausen. Negatives oder utopisches Bild?: Nikos Saul
  • 1. Zigeunerbilder des 17. Jahrhunderts
  • 1.1 ‚Herkunft‘ der Zigeuner und ihres Namens
  • 1.2 Zusammensetzung der Zigeuner
  • 1.3 Lebensweise der Zigeuner
  • 2. Zigeuner bei Grimmelshausen
  • 2.1 Zigeuner im ‚Courasche‘-Roman
  • 2.2 Zigeuner im ‚Springinsfeld‘-Roman
  • 2.3 Zigeuner im ‚Rathstübel Plutonis‘
  • 3. Fazit
  • „Der Wein auf dieser Erd ist der Poeten Pferd!“ Grimmelshausen und der Wein: Karl Ebert
  • 1. Von der Wetterau in die Ortenau – von der Weinregion in die Weinregion
  • 2. Berufstätigkeiten im Umfeld des Weins
  • 3. Die Weinkarte Grimmelshausens
  • Die Weinkarte Grimmelshausens
  • 4. Der Wirt
  • 5. Bräuche – Trinksitten – Sprüche
  • 6. Maß und Übermaß
  • 7. Die Bedeutung des Weins für Grimmelshausen
  • Abbildungen
  • Simpliciana Minora
  • Grimmelshausen und Claus von Schauenburgs Teutscher Friedens-Raht (Straßburg 1670) digital: Peter Heßelmann
  • Grimmelshausen-Preis 2013 für Ulrike Edschmid: Peter Heßelmann
  • „Ins Unendliche geschrieben“. Grimmelshausen-Ausstellung in der Universität Duisburg-Essen: Jörg Wesche
  • Nur ein kurioser Zufallseffekt? Zum Titelkupfer des Simplicissimus Teutsch: Klaus Haberkamm
  • Rudolf Augstein und Grimmelshausen: Klaus Haberkamm
  • Grimmelshausen-Zitat in aktueller Medizinsatire: Dieter Martin
  • Regionales
  • Grimmelshausen-Gesprächsrunde in Oberkirch-Gaisbach: Fritz Heermann
  • Veranstaltungen in Renchen 2013: Martin Ruch
  • Rezensionen und Hinweise auf Bücher
  • Rainer Hillenbrand: Simplicianisches Erzählen in Grimmelshausens „Wunderbarlichem Vogel-Nest“. Ein poetologischer Kommentar. (Die Redaktion)
  • Jana Maroszová: „Denn die Zeit ist nahe“. Eschatologie in Grimmelshausens Simplicianischen Schriften: Zeit und Figuren der Offenbarung. (Guillaume van Gemert)
  • Werner Besch: Grimmelshausens „Simplicissimus“. Das zweite Leben eines Klassikers. (Torsten Menkhaus)
  • Astronomie – Literatur – Volksaufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben. Hrsg. von Klaus-Dieter Herbst. (Jörg Jochen Berns)
  • Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Flemming Schock. (Peter Heßelmann)
  • Bodo Gotzkowsky: Die Buchholzschnitte Hans Brosamers in naturwissenschaftlichen, humanistischen und satirischen Drucken des 16. Jahrhunderts. (Klaus Haberkamm)
  • Hans Christoph Fuchs: Der Mückenkrieg (1600). Ein frühneuzeitliches Tierepos. Hrsg. und mit einem Kommentar von Sabine Schu. (Michael Schilling)
  • Catharina Banneck: Georg Philipp Harsdörffers „Specimen Philologiae Germanicae“. Strategien zur Profilierung des Deutschen im 17. Jahrhundert. (Jürgen Macha)
  • Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter. (Torsten Menkhaus)
  • Ernst Christoph Homburg: Schimpff- und Ernsthafte Clio. Hrsg. von Achim Aurnhammer, Nicolas Detering und Dieter Martin. (Volker Meid)
  • Irmgard Scheitler: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. 1. Materialteil. (Dirk Niefanger)
  • Franz Callenbach (1663–1743). Acht Schulkomödien. Hrsg. von Reinhard Roth. (Peter Heßelmann)
  • Literatur des 17. Jahrhunderts. Barock. Das modulare Medienkonzept für den Unterricht. Deutsch interaktiv 7. 2 DVDs. Mit didaktischem Begleitmaterial (CD-ROM). (Torsten Menkhaus)
  • Nachricht von dem Geschlecht und der Herkunft der Cunoen (1672–1957). Ergänzt und hrsg. von Reiner Stephany. (Torsten Menkhaus)
  • Michael Köhlmeier: Die Abenteuer des Joel Spazierer. (Simon Zeisberg)
  • Mitteilungen
  • Walter Ernst Schäfer verstorben – Ein Nachruf: Wilhelm Kühlmann
  • In memoriam Erich Graf (1923–2013): Peter Heßelmann
  • Bericht über die Tagung „Der Teutsche Michel. Kulturpatriotismus und Sprachverhalten im Werk Grimmelshausens und in der oberrheinischen Literatur der Frühen Neuzeit“, 20.–22. Juni 2013 in Oberkirch und Renchen: Peter Heßelmann
  • Protokoll der Mitgliederversammlung der Grimmelshausen-Gesellschaft am 22. Juni 2013 in Oberkirch
  • Top 1: Feststellung der Tagesordnung
  • Top 2: Protokoll der Mitgliederversammlung vom 10. Juli 2010
  • Top 3: Ehrung der verstorbenen Mitglieder
  • Top 4: Tätigkeitsbericht des Präsidenten
  • Top 5: Bericht des Geschäftsführers
  • Top 6: Bericht des Schatzmeisters
  • Top 7: Bericht der Kassenprüfer
  • Top 8: Entlastung des Vorstandes
  • Top 9: Wahlen
  • Top 10: Planungen für die nächsten Jahre
  • Top 11: Verschiedenes
  • Einladung zur Tagung „Chiffrieren und Dechiffrieren in Grimmelshausens Werk und in der Literatur der Frühen Neuzeit“, 12.–14. Juni 2014 in Gelnhausen: Peter Heßelmann
  • Ankündigung der Tagung „Grimmelshausens Der Seltzame Springinsfeld“, 11.–13. Juni 2015 in Oberkirch und Renchen: Peter Heßelmann
  • Anhang
  • Beiträger Simpliciana XXXV (2013)
  • Simpliciana und Beihefte zu Simpliciana. Richtlinien für die Druckeinrichtung der Beiträge
  • Bezug alter Jahrgänge der Simpliciana
  • Grimmelshausen-Gesellschaft e. V.
  • Beitrittserklärung

Editorial

In diesem Band der Simpliciana werden sechzehn Vorträge veröffentlicht, die während einer Tagung mit dem Rahmenthema „Der Teutsche Michel. Kulturpatriotismus und Sprachverhalten im Werk Grimmelshausens und in der oberrheinischen Literatur der Frühen Neuzeit“ Mitte Juni 2013 in Oberkirch und Renchen gehalten wurden. Darüber hinaus erscheinen in diesem Jahrbuch drei weitere Beiträge zum Werk des simplicianischen Autors und ein Aufsatz zum Fortleben der Figur des deutschen Michels in Karikatur und Volkskunde in Böhmen. Der Rezensionsteil berichtet wie gewohnt über Neuerscheinungen zu Grimmelshausen und zur Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit.

Im Dezember 2012 ist das achte Beiheft zu unserem Jahrbuch erschienen. Es handelt sich um die Dissertation von Jana Maroszovà mit dem Titel „Denn die Zeit ist nahe“. Eschatologie in Grimmelshausens Simplicianischen Schriften: Zeit und Figuren der Offenbarung.

Unsere nächste Tagung widmet sich dem Thema „Chiffrieren und Dechiffrieren im Werk Grimmelshausens und in der Literatur der Frühen Neuzeit“. Sie wird vom 12. bis zum 14. Juni 2014 in Gelnhausen stattfinden. Die Einladung und das Tagungsprogramm sind in diesem Jahrbuch in der Rubrik „Mitteilungen“ zu finden. Ich hoffe, daß zahlreiche Mitglieder der Grimmelshausen-Gesellschaft und weitere Gäste in die Geburtsstadt des Dichters kommen werden, um dort nicht nur interessante Vorträge zu hören, sondern auch das Stadtmuseum mit der neuen „Grimmelshausenwelt“ zu besuchen.

Vom 11. bis zum 13. Juni 2015 wird die Grimmelshausen-Gesellschaft in Oberkirch und Renchen eine Tagung zum Thema „Grimmelshausens Der Seltzame Springinsfeld“ durchführen. Die Ankündigung befindet sich ebenfalls in der Rubrik „Mitteilungen“. Vortragsangebote nimmt der Präsident der Grimmelshausen-Gesellschaft gern entgegen.

Dieter Breuer, langjähriger Präsident und nunmehr Ehrenpräsident der Grimmelshausen-Gesellschaft, beging im Februar 2013 seinen 75. Geburtstag. Klaus Haberkamm, Gründungs- und Vorstandsmitglied der Gesellschaft, konnte im Oktober 2013 auf 75 Lebensjahre zurückblicken. Beiden gebührt der Dank für ihr jahrzehntelanges Wirken im Vorstand. Im Namen aller Mitglieder der Grimmelshausen-Gesellschaft gratuliert ihnen der amtierende Vorstand nachträglich herzlich.

Peter Heßelmann

Münster, im Dezember 2013 ← 11 | 12 → ← 12 | 13 →

BEITRÄGE DER TAGUNG „DER TEUTSCHE MICHEL. KULTURPATRIOTISMUS UND SPRACHVERHALTEN IM WERK GRIMMELSHAUSENS UND IN DER OBERRHEINISCHEN LITERATUR DER FRÜHEN NEUZEIT ← 13 | 14 → ← 14 | 15 →

JÜRGEN MACHA (Münster)

„so fang das vatter unser auch auf calvinisch an“. Sprachliche Konfessionalismen in der Frühen Neuzeit

1.Einleitung1

Den Veranstaltern der Oberkircher und Renchener Grimmelshausen-Tagung sei auch hier noch einmal für ihre freundliche Einladung gedankt und dafür, dass ein Sprachhistoriker, sozusagen ein ‚nonresident alien‘, ein ‚nichtansässiger Ausländer‘ im Lande der Literaturgeschichte, über einige Befunde zu Sprache und Konfession berichten kann. Diese Ausführungen haben zwar durchaus mit dem Rahmenthema des Treffens „Kulturpatriotismus und Sprachverhalten“ zu tun, insofern auch im vorliegenden Beitrag – jedenfalls anrainend – Fragen berührt werden, die mit der barocken Debatte um die „drei Großen R“ der deutschen Sprache (Reinheit, Richtigkeit, Redlichkeit) zusammenhängen, dennoch ist die grundsätzliche Thematik anders gelagert. Während der letzten Jahre ging es unseren münsterschen Forschungen um eine Analyse der frühneuzeitlichen Sprachwirklichkeit, bei der weniger die Rela ← 15 | 16 → tion ‚Sprache und Nation‘ als vielmehr die Relation ‚Sprache und Konfession‘ ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde.2

2.Sprachhistorische Situierung des Themas

Man kann wohl als Tatsache konstatieren, dass die Frühe Neuzeit in beträchtlichem Maße durch die Ausbildung konfessionskultureller Eigenwelten gekennzeichnet war. Hier sei die plakative Aussage aus einem Beitrag zur Geschichte der Universität Dillingen zitiert: „Der evangelische und katholische Konfessionalisierungsprozeß im 16. und 17. Jahrhundert hatte zur Ausbildung grundverschiedener Verhaltensund Denkweisen in allen Lebensbereichen geführt. Die Konfessionalität prägte zutiefst das jeweilige Bewußtsein und wirkte polarisierend. In jedem Territorium schottete man sich gegen den andersgläubigen Nachbarn ab.“3 Auch wenn in der historischen Forschung durchaus kein Konsens darüber herrscht, wie verhaltensprägend der Einfluss der Konfessionalisierung insgesamt und im Einzelnen war,4 so ist doch kaum zweifelhaft, dass zeitgenössische Lebenswelten unter den Signaturen ‚katholisch‘, ‚evangelisch-lutherisch‘ oder ‚evangelisch-reformiert‘ in je eigener Weise ausgebildet und profiliert wurden. Vertreter der Theologiegeschichte, der historischen Volkskunde und der historischen Frühneuzeitforschung haben das Konfessionalisierungs-Paradigma in den letzten dreißig Jahren ausführlich traktiert. Ihnen konnte nicht entgehen, dass konfessionelle Sonderung in vielerlei Hinsicht mit spezifi ← 16 | 17 → schen Manifestationen gekoppelt erscheint. Man denke an Lebens- und Essgewohnheiten (z. B. in Spitälern u. ä.), aber auch an das Kleidungsverhalten in konfessionell verschiedenen Milieus, wo zur gegenseitigen Abgrenzung gerade auch die subtileren Unterschiede dienten. Angesichts der Situation in Augsburg bemerkt Etienne François dazu: Es zeigt sich, „[…] daß man zwar nicht von ‚katholischer Tracht‘ und ‚protestantischer Tracht‘ sprechen kann, daß die beiden Konfessionen aber überall dort, wo sie zusammenlebten, ihre Verschiedenartigkeit durch Details zum Ausdruck brachten, die je nach Ort und Milieu variierten.“5 Es gab also offenbar eine konfessionelle Divergenz, die sich auf eine Reihe von kulturellen Formen und Praktiken erstreckte. In diesem Zusammenhang fragt man sich, inwieweit Sprache davon betroffen war. Diente die Sprache gewissermaßen ubiquitär und unmarkiert als neutrales Medium? Der rhetorische Unterton dieser Frage lässt es bereits erahnen: Im Hintergrund der folgenden Ausführungen steht die Erwartung, dass dem nicht so gewesen ist. Dabei ist einzuräumen, dass die germanistische Sprachgeschichtsforschung erst in neuerer und neuester Zeit begonnen hat, die Relevanz der Größe ‚Konfession‘ für die Sprache der Frühen Neuzeit unter kontrastivem Blickwinkel ernst zu nehmen und systematisch zu untersuchen. Bei den Gründen für die auffällige disziplinhistorische Ausblendung kommt Verschiedenes zusammen. Unter anderem ist hier möglicherweise immer noch ein sprachhistorischer Mythos aus dem 19. Jahrhundert virulent, in dem unter Bezug auf die herausragende Sprachgewalt Martin Luthers bereits für das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine weitgehende Spracheinheitlichkeit des Deutschen angesetzt wird.6 In der neueren Forschungsgeschichte ist es da vor allem das große Verdienst Dieter Breuers, seit den 1970er Jahren diese monokulare, preußisch-protestantische Optik der Dinge in Frage gestellt und der südlich-katholischen Hemisphäre des deutschen Sprachraums zu mehr Dignität verholfen zu haben.7 ← 17 | 18 →

3.Sprachliche Konfessionalismen

Hier ist nicht der Raum, das theoretische Verhältnis zwischen Sprache und Konfession ausführlich zu erörtern, zu seiner Modellierung finden sich in der Forschungsliteratur verschiedene Ansätze, die zum Teil so weit gehen, die Existenz von ‚Glaubenssprachen‘ oder ‚Konfessiolekten‘ zu postulieren.8 Solche Bezeichnungen scheinen allerdings aufgrund ihrer terminologischen Grobschlächtigkeit nur bedingt dazu geeignet, die komplexen Beziehungen zwischen Sprache und Konfession – gerade auch in historischer Perspektive – angemessen auf den Punkt zu bringen. Man sollte sich meines Erachtens deshalb lieber an einer vorsichtig gehaltenen Aussage von Wolfgang Moelleken orientieren: „Language registers can contain subtle evidence capable of classifying speakers according to their religious affiliation.“9 In diesem Statement wird nicht mehr und nicht weniger eingeräumt als die Möglichkeit, aufgrund typischer Merkmale des Sprachgebrauchs auf religiöse Zugehörigkeit schließen zu können. Man kann eine solche merkmal- bzw. variablenorientierte Betrachtungsweise sprachkulturellen Gegebenheiten der Frühen Neuzeit applizieren und in diesem Zusammenhang die Kategorie der ‚sprachlichen Konfessionalismen‘ einführen.10 Im deutschen Sprachgebrauch ist der Terminus ‚Konfessionalismus‘ semantisch bereits besetzt, weshalb seine begriffliche Modifikation und Neufassung knapp zu erläutern ist. In Lexika und Wörterbüchern findet man das Lemma ‚Konfessionalismus‘ mit den Erklärungen ‚strenge Bekenntnistreue‘, ‚einseitige Überbewertung einer der christlichen Konfessionen gegenüber dem gesamtkirchlichen Erbe‘ oder ähnlich.11 Dagegen wird hier mit dem Begriff der ‚sprachlichen Konfessionalismen‘ eine andere Bedeutung intendiert: Der Terminus soll dazu dienen, Klas ← 18 | 19 → sen von Erscheinungen sprachlicher Art zusammenzufassen, bei denen der Erklärungsgröße ‚Konfession‘ ein besonderer Stellenwert zukommt. Die Begriffsbildung geschieht somit in Analogie zu anderen, mittlerweile fest etablierten linguistischen Fachausdrücken wie ‚Anglizismen‘‚ ‚Regionalismen‘ oder dergleichen. Die Redeweise von ‚Erscheinungen sprachlicher Art‘ soll zudem deutlich machen, dass ‚Konfessionalismen‘ verschiedenen Sphären der Sprachlichkeit zugehören können. Sie finden sich auf graphisch-lautlicher, grammatischer und lexikalischer Ebene; es gibt sie aber nicht nur dort, sondern auch in den Dimensionen der Onomastik und der Sprachpragmatik. Im Folgenden werden ausgewählte Fälle aus der Frühen Neuzeit vor Augen geführt.

3.1.Graphematische Konfessionalismen

Es spricht einiges an empirischer Evidenz dafür, dass in der geschriebenen und gedruckten Sprache der Frühen Neuzeit bisweilen auch scheinbar marginale Schreibspezialitäten zu Trägern konfessioneller Symbolik werden konnten. Zu denken ist etwa an das sogenannte ‚e Saxonum‘ bzw. ‚lutherische e‘, das einige Berühmtheit erlangt hat.12 Beispielsweise findet sich im Schlusschor der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, deren Textdichter Christian Friedrich Henrici alias Picander aus dem ostmitteldeutschen Sprachraum, genauer: aus der Nähe von Dresden stammt, das -e in der Formulierung ‚Ruhe sanfte, sanfte ruh!‘ Das angehängte -e taucht hier also auch im adverbialen Zusammenhang von ‚sanfte‘ auf. Es erscheint aber ebenso in einer Reihe anderer grammatischer Kontexte, so z. B. im Nominativ bestimmter Feminina. Dazu passt ein zeitgenössisches Zitat von 1782:

Wenn Nichts wäre als das Lutherische e, das sie [die Katholiken, J. M.] sich durch Lesung derselben [ostmitteldeutscher Autoren, J. M.] allmählig angewöhnten, immer Schade genug! Es klang doch ehemals so genuin katholisch: die Seel, die Kron, die Sonn, die Blum u. s. w., und nun schreiben die Unsrigen [die Katholiken, J. M.] fast durchgängig: die Seele, die Krone, die Sonne, die ← 19 | 20 → Blume, wie die leibhaften Ketzer auch schreiben. In Wahrheit, man sollte sich schämen!13

Wie man an der Ironie dieser Passage merken kann, wird in der Zeit der Aufklärung das Phänomen konfessionstypischer Schreibungen heruntergespielt. Ähnliches spricht auch aus einem weiteren Zitat von 1764. Im Rückblick auf die Karriere des ‚armen Buchstabens‘ -e schreibt Ignaz Weitenauer:

Woher entspringet doch dieser unversöhnliche Haß wider das unglückliche E? […] Von der Religion […] zu reden, ist es schwer zu begreifen, wie man sie in die Rechtschreibung eingemischet. Was hat immermehr die Glaubenslehre mit dem E zu thun?14

In der Tat: Retrospektiv gesehen mag dieser Zusammenhang tatsächlich unverständlich erschienen sein, einige Generationen zuvor war das freilich nicht der Fall. Das lutherische -e hatte sich zeitweilig zu einem veritablen Streitpunkt entwickelt, man registrierte die Unterschiedlichkeit und zog gegebenenfalls Konsequenzen daraus.

Im Folgenden rückt ein bisher wenig bekanntes, zeitweilig aber wohl ebenfalls konfessionell markiertes Schreibphänomen in den Blick. In gedruckten und handschriftlichen Texten der Frühen Neuzeit findet sich eine graphematische Auffälligkeit, die beispielsweise bei genauer vergleichender Betrachtung der Titelblätter von gedruckten Leichenpredigten zutage tritt. Bekanntlich haben katholische und lutherische Protagonisten in inhaltlicher Hinsicht unterschiedliche Auffassungen von dem, was eine ‚richtige‘ Predigt sein und bewirken soll. Aber dass sie in der Frühen Neuzeit tendenziell auch andere Schreibformen des Wortes ‚Predigt‘ favorisiert haben, ist vermutlich überraschend.15 Tatsächlich realisieren jedoch manche Texte das Wort ‚Predigt‘ ohne t am Ende, während sich in anderen nahezu stets die Form mit -t findet. Man könnte geneigt sein, dies als Petitesse unter der Rubrik ‚frühneuhochdeutsche Variabilität‘ zu verbuchen. Eine Stichprobe an Titelblät ← 20 | 21 → tern von gedruckten Leichen- und anderen Predigten ergibt jedoch einen charakteristischen Verteilungsbefund: Von den Titelblättern katholischer Provenienz enthalten 83, 3% die Form ohne auslautendes -t (also: Predig), noch klarer ist die Lage bei den evangelisch-lutherischen Quellen: 96, 5% zeigen die t-haltige Form (also: Predigt). Ein Blick auf andere Textsorten bestätigt die Vermutung, dass der Gebrauch der spezifischen Wortformen ‚predig‘ oder ‚predigt‘ in Zusammenhang mit einer konfessionellen Ausrichtung der jeweiligen Texte steht. Gibt es also vergleichbar dem ‚lutherischen -e‘ gewissermaßen auch ein ‚lutherisches -t‘? Es spricht Einiges dafür. Dieses epithetische -t begegnet zwar nicht in einer Vielfalt von grammatischen Kontexten, wie das beim lutherischen -e der Fall ist, es kann freilich als wortgebundenes Phänomen wegen seiner Verankerung und Verbreitung in kultusbezogenen Kontexten bei den Zeitgenossen durchaus den Status eines ‚Identifikationsmarkers‘ besessen haben. Die heute gebräuchliche neuhochdeutsche Wortform ‚Predigt‘, zu der sich der normale Sprachbenutzer kaum eine Alternative vorstellen kann, bildet nach dem Ausweis der Wörterbücher erst seit Adelung 179816 und Campe 180917 die allein vorfindliche Normalform. Die andere, daneben existierende Variante ‚predig‘ wird vom Grimmschen Wörterbuch als eine ältere sowie z. T. noch mundartlich vorhandene Erscheinung charakterisiert.18 In diese Richtung weist auch eine sprachhistorische Aussage vom Beginn des 20. Jahrhunderts: „In obd. Ma. gelten bis heute Formen wie P r e d i (g). Für das nhd. P r e d i g t hat Luther entschieden […].“19 Aufschlussreich ist in diesem Kontext, dass die räumliche Ausbreitung der -t-haltigen Form im 16. und 17. Jahrhundert von Virgil Mosers Frühneuhochdeutscher Grammatik so beschrieben wird, dass ihr sprachgeographischer Vormarsch im Wesentlichen mit der arealen Ausbreitung der protestantisch-lutherischen Lehre zusammenstimmt.20 ← 21 | 22 →

3.2.Lexikalische Konfessionalismen

Es liegt auf der Hand, dass allfällige Differenzen zwischen den Bekenntnissen vor allem in den kultnahen Bereichen des Wortschatzes auftreten, also in solchen, die im weitesten Sinne mit der Ausgestaltung und Ausübung religiöser Praxis zusammenhängen. Ein Punkt betrifft etwa die lexikalische Konkurrenz von Kommunion versus Abendmahl versus Nachtmahl, wobei das Phänomen durchaus europäische Parallelen aufweist. Ein Blick auf das frühneuzeitliche Frankreich mit seinem Antagonismus zwischen Altgläubig-Katholischen und Hugenotten lässt erkennen, was gemeint ist. „Die kirchlichen Institutionen der Protestanten werden auf Französisch nicht mit denselben Termini wie ihre katholischen Entsprechungen benannt. Statt von église spricht man von temple, statt messe sagt man culte, statt curé heißt es pasteur, statt communion zieht man cène vor.“21 Verschiedene Benennungspraktiken zeigen sich auch im anglophonen Raum. „Particular words, phrases or schemata will characterize the interactions of a group. For example, while most Catholics say mass, some Anglicans say Eucharist, others the Lord’s Supper, and others Holy Communion; Presbyterians say The Lord’s Supper, or communion, while Pentecostals are more likely to refer to a Remembering Service.“22 Für die deutschen Verhältnisse ergibt sich Vergleichbares. Erste lexikographische Hinweise gibt das Grimmsche Wörterbuch: „abendmahl oder nachtmahl kamen erst durch die reformation auf, jenes bei den Lutheranern, dieses bei den Reformierten […].“23 Bei Werner Besch heißt es: „Konfessionell scheinen dann Abendmahl und Nachtmahl kennzeichnende ‚Fahnenwörter‘ für Lutheraner und Reformierte geworden zu sein.“24 Und ähnlich liest man bei Hugo Moser: „So wird durch Luther Abendmahl statt Abendessen ← 22 | 23 → in die protestantische Kirchensprache eingeführt; die Ausdrücke Sakrament, Tisch des Herrn und Kommunion treten dort zurück, halten sich aber im katholischen Gebrauch.“25 Solche und ähnliche Unterschiede im kirchlichen Vokabular finden sich nicht selten, wobei aber in der linguistischen Interpretation darauf zu achten ist, ob sich die jeweiligen Bezeichnungen auch auf identische Referenten in der kultischliturgischen Wirklichkeit beziehen. Nur wenn die Bezeichnungen in der Tat dasselbe meinen würden, hätte man es mit einer echten konfessionellen Heteronymik zu tun.

Die nächsten Beobachtungen betreffen die Wort- bzw. Formelverwendung in der Sphäre des Gebets, speziell den Umgang mit dem Vaterunser. Dabei ist es zum Einen der Anfangspassus, der die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. So betont ein Ingolstädter katholischer Druck von 1608 die konfessionelle Unterschiedlichkeit in der Anrede Gottes: „Wie sollte doch das jmmer müglich noch glaublich seyn/ dass er solt ein Kelchle gestolen haben/ der inn so jnnbrünstiger Andacht […] ein Vatter vnser/ oder auf Lutherisch ein vnser Vatter/ offeriert/ vnd darbeut […]“.26 Der Beginn des Vaterunsers scheint also wie ein Schibboleth gewirkt zu haben. Auch in einem anderen katholischen Druck von 1602 tauchen entsprechende Formulierungen auf, mit denen der Verfasser eine Differenz zur evangelischen Seite markiert. Es geht um „[…] das Vatter vnser (oder wie es vonn ewren Predicanten vonn der hand verbessert worden) das Vnnser Vatter […]“.27 In der ‚Belehrungsszene‘ des Wunderbarlichen Vogel-Nests von Grimmelshausen ← 23 | 24 → äußert die Bettler-Prinzipalin klare Gebetsvorgaben: „[…] wann du eigendlich weist/ daß du an einem Calvinischen Ort bist/ so fang das Vatter Unser auch auff Calvinisch an/ und sag Unser Vatter/ etc. und nicht Vatter Unser wie es vor Alters der Brauch gewesen ist […].“28 Dass diese Initialformel in reformierten Kontexten tatsächlich üblich war, bezeugt für das anhaltische Fürstentum eine Passage aus dem ‚Coswiger Superintendenturbuch‘ vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Ihr kann man entnehmen, dass der damalige Superintendent „[…] den Geistlichen seiner Inspektion den Auftrag erteilt hat, […] nicht ‚Vater Unser‘ sondern ‚Unser Vater‘ zu beten.“29 Nicht nur der Beginn, sondern auch der Schluss des Vaterunsers hat offenbar als konfessionelles Signal gewirkt. Noch einmal sei Grimmelshausen zitiert, dessen Bettlerin ihrem Lehrling einschärft:

Gib nur Achtung daß du im beten nicht fehlest/ wo du merckest daß es nicht Catholisch ist/ da laß bey leib das Ave Mariæ aus/ und heisch auch nicht umb unserer lieben Frauen willen/ aber hingegen bete das Reich und die Krafft und die Herrligkeit an das Vatter Unser […]. (VN I 318)

Die Doxologie erfüllt also ihre Funktion als eindeutiger Konfessionsindikator und dient dazu, potentielle, in diesem Falle protestantische Almosengeber günstig zu stimmen.

3.3Onomastische Konfessionalismen

In diesem sehr gerafften Überblick geht es im Folgenden um die Frage: Gab es in der Frühen Neuzeit ‚onomastische Konfessionalismen‘, anders formuliert: Welche Rolle spielte die Namengebung im Konfessionskontext? Beiläufig sei angemerkt, dass eine aus der damaligen Zeit ← 24 | 25 → stammende und für den Bibelleser bis heute spürbare Verschiedenheit in der deutschen Übertragung biblischer Eigennamen vorliegt. Bei ihrer Wiedergabe orientierten sich die Katholiken an der griechisch-lateinischen Vorlage, während protestantische Übersetzungen mit Luther auch auf den hebräischen Text schauten. Daraus ergab sich im Deutschen eine doppelte Eigennamentradition: katholisch Isaias – protestantisch Jesaja; katholisch Samson – protestantisch Simson; katholisch Ezechiel – protestantisch Hesekiel, katholisch Nabuchodonósor – protestantisch Nebukadnézar und anderes mehr.30

Was nun die gesellschaftliche Vergabe von Rufnamen in der Zeit nach der Reformation betrifft, so setzt eine Reihe von Studien eine starke Relevanz der Konfessionalisierung an, ebenso viele gehen vom Gegenteil aus.31 Es liegt deshalb auf der Hand, dass hier keine resümierenden Ausführungen zur tatsächlichen Mächtigkeit des Einflusses der Glaubensrichtungen auf die Rufnamengebung präsentiert werden können. Es sollen vielmehr ausgehend von den Ergebnissen einer Studie von Anna-Maria Balbach32 zur Entwicklung der Augsburger Rufnamengebung lediglich einige Punkte akzentuiert werden. Balbach hat auf der Grundlage von Grabinschriften ein umfangreiches Namenkorpus zusammengestellt, das die Zeit von vor 1500 bis 1800 diachron zu betrachten erlaubt. Dabei wurde Augsburg als Untersuchungsort gewählt, weil diese Stadt bekanntlich aufgrund ihres eigenartigen Status als paritätische Reichsstadt und ihrer guten Überlieferungslage ein besonders geeignetes Untersuchungsfeld für Konfessionsstudien bildet. Die Analyse der Rufnamengebung erbrachte u. a. folgende Ergebnisse:

1. Die spätmittelalterliche Rufnamengebung war durch starke Anteile sprachlich exogener, also vor allem griechischer und lateinischer Heiligennamen charakterisiert. Dieser Grundzug findet mit den Veränderungen der Reformation keineswegs sein abruptes Ende, sondern er bleibt partiell als gemeinsame deutsche Tradition auch nach 1517 erhalten. Für Augsburg kann nachgewiesen werden, dass die Namensvarianten Hans bzw. Johann(es) in beiden Konfessionen über die gesamte Untersuchungszeit, also von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis ← 25 | 26 → 1745 bei weitem am häufigsten gewählt werden. Zusammen mit Georg und Christoph, die ebenfalls zu den häufig optierten männlichen Rufnamen gehören, bildet also Johannes eine Art von gemeinsamem Namensockel, der quantitativ-statistisch betrachtet die beiden Glaubensrichtungen über die Zeiten hinweg verbindet. Einer ähnlichen ‚Dauerbeliebtheit‘ erfreut sich auch der weibliche Rufname Anna mit seiner stetigen Präsenz.

2. Dieser Konstanz bzw. Kontinuität in der Rufnamengebung stehen jedoch gewichtige Tendenzen einer Auseinanderentwicklung entgegen. Die Entscheidungen darüber, welche Namen zu welchen Zeiten neu ins Spiel kommen oder revitalisiert werden, fallen je nach konfessioneller Orientierung unterschiedlich aus. Zur besseren Transparenz empfiehlt es sich in diesem Zusammenhang allerdings, die Rufnamen nach dem Geschlecht auseinanderzuhalten. Für Augsburg wie auch für andere regionale Konstellationen stellt sich nämlich heraus, dass eine als programmatisch konfessionell zu deutende Namenwahl offenbar vor allem und weitaus sichtbarer im Blick auf den männlichen Nachwuchs praktiziert worden ist.

3. Was ‚Divergenzwellen‘ in der Rufnamengebung der schwäbischen Reichsstadt betrifft, so lassen sich zwei Phasen einer intensiveren Auseinanderentwicklung entdecken. Zum Einen finden sich bei den männlichen Rufnamen der protestantischen Seite in den ersten Jahrzehnten nach der Reformation vermehrt biblische, besonders alttestamentarische Namen wie Daniel, David oder Jakob, dazu kommen altdeutsche Formen, weniger hingegen werden fremdsprachlich entlehnte Heiligennamen vergeben. Nach den Befunden nähert sich die Namengebungspraxis der Konfessionen in der Zeit gegen und nach 1600 wieder an, um jedoch in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder verstärkt gegensätzliche Konturen zu zeigen. Diese haben dann bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Bestand. Aus den Häufigkeitsranglisten spricht eine recht klare Opposition. Auf katholischer Seite greifen Namen wie Franz oder Joseph Platz, die ihre neue Präsenz gegenreformatorischer Aktivität verdanken, andererseits demonstrieren die Protestanten mit der Orientierung an alttestamentlichen Namen und ihrer Vorliebe für deutschsprachige, sogenannte ‚pietistische‘ Neonyme wie Gottfried oder Gottlieb ein eigenes Namengebungsprofil.33 ← 26 | 27 →

3.4Sprachpragmatische Konfessionalismen: Grußverhalten34

In sprachwissenschaftlicher Perspektive gehört die Thematik ‚Grußverhalten und Grußformeln‘ zum Bereich der linguistischen Pragmatik.35 Konkret handelt es sich beim Grüßen um eine Sonderform von sprachlichem Handeln, nämlich um den Gebrauch fester Wendungen zur Eröffnung bzw. Beendigung eines interaktiven Kontaktes. Da Grußformeln als bedeutsame Bestandteile der sogenannten ‚phatischen Kommunikation‘36 primär soziale Funktion besitzen und zudem aufgrund ihrer häufigen Verwendung überall in einem Gemeinwesen präsent sind, bilden sie ein eminent auffälliges Element der gesellschaftlichen Sprachpraxis. Im Folgenden geht es um das sprachhistorische Schicksal der Grußformel ‚Gelobt sei Jesus Christus‘. Seitens der katholischen Kirche hat es in der Frühen Neuzeit zweimal den sprachpolitischen Versuch gegeben, massiv auf die konkrete Grußpraxis der Gläubigen Einfluss zu nehmen und einen sprachpragmatischen Konfessionalismus zu etablieren. Bereits 1587, in der Aufbruchszeit der Gegenreformation wird durch den Vatikan eine Verordnung von Papst Sixtus V. propagiert, mit der denjenigen, die sich dieser Grußformel bedienen, der Ablass eines Teiles ihrer zeitlichen Sündenstrafen im Fegefeuer in Aussicht gestellt wird. Im Jahr 1728 renoviert Papst Benedikt XIII. diese Bulle und bekräftigt sie erneut mit päpstlicher Autorität.37 Beide Male geht es um den Gebrauch der Grußformel ‚Gelobt sei Jesus Christus. – In Ewigkeit. Amen.‘ Erwähnenswert ist, dass dieser Lobspruch-Gruß als eine zweistufige Gruß-Gegengruß-Konstruktion ← 27 | 28 → funktioniert, was im Blick auf das damit verbundene sprachliche Handeln vor allem für den reagierenden Partner die soziale Verpflichtung bedeutet, das ‚Richtige‘ zu sagen und die Äußerung in angemessener Weise zum Abschluss zu bringen. Diese spezifisch katholische Verordnung einer bestimmten Grußformel hat genügend Zündstoff in sich getragen, um für Unruhe zu sorgen. In besonderer Weise trägt sie in der Causa der sogenannten ‚Salzburger Exulanten‘ um 1730 zur Eskalation der Lage bei.38 Aus der Sicht des protestantischen Zeitgenossen Theophilander wird der Ausgangspunkt des Gruß-Streites wie folgt gefasst:

Es hat Anno 1728. der Pabst Benedictus der XIII. an alle, die der Römischen Kirche unterthänig und gehorsam seyn, oder gehorsam seyn wollen, durch eine Bulle diese Verordnung und Befehl ergehen lassen […] daß alle Römisch Catholische an statt des Grusses: GOTT grüsse Euch! Oder eines Wunsches: GOtt gebe Euch einen guten Morgen, guten Abend, gute Nacht! […] sie hinführo sagen, und einander mit diesen Worten grüssen sollen: Gelobet sey Jesus Christus! Der Gegrüssete zur Antwort darauf geben solle: Amen, oder, In Ewigkeit. Und so oft sie dieses thun, 100 Tage Ablaß von dem Pabst bekommen.39

Außer dem Ablass-Moment werden noch andere Punkte hervorgehoben, derentwegen die protestantisch gesinnten Bewohner des Salzburger Erzstifts die Verwendung dieses Grußes ablehnen. Vor allem fürchtet man die konfessionelle Entlarvung:

Anbey ein jeder auch leicht ermessen kann, daß der Päbstliche Hof eine subtile Absicht unter dem Praetext dieser heiligen Parole gehabt habe, alle diejenigen dadurch erkennen zu lernen, welche dem Pabst nicht gehorsam leisten, oder leisten wollen […] Ist also dieser Gruß ein Signum distinctivum, und Unterscheidungs-Zeichen, diejenigen zu erkennen, welche sich zu der Römischen Kirche bekennen oder nicht […].40 ← 28 | 29 →

Die Propagierung der katholischen Grußformel durch den Salzburger Erzbischof Firmian trägt neben anderen Repressalien dazu bei, dass die Lage für die Protestanten im Bistum zunehmend schwerer erträglich wird und letztlich in die Auswanderung mündet.

4.Ausblick

Im Vorigen wurden in sehr abbrevierter Manier Phänomene vorgestellt, die man als frühneuzeitliche ‚sprachliche Konfessionalismen‘ interpretieren kann. In verallgemeinernder Perspektive wird darüber hinaus die Meinung vertreten, dass sich der Faktor Konfession gut zwei Jahrhunderte lang, beginnend mit der ersten Generation nach der Reformation und bis über die Generationen der Aufklärung hinaus nachhaltig in den kollektiven Sprachhaushalt deutschsprachiger Menschen eingeschrieben hat. Dieser sprachhistorisch folgenreiche Prozess hat Erscheinungen hervorgebracht und Spuren hinterlassen, die sowohl im engeren Sinne linguistische als auch soziopragmatische Dimensionen des Sprachgebrauchs betreffen. Im Rahmen des hier vorgelegten Überblicks lassen sich zum Schluss einige wenige Aspekte zumindest andeuten.41

Der Zusammenhang zwischen Sprache und Konfession erscheint in einem relativ klaren Licht, wenn man auf die spezifisch religiösen Ausdrucksdomänen der Bekenntnisse schaut. Dann treten sprachliche Differentialia ins Blickfeld, die sowohl mit Formen des persönlichen Frömmigkeitsverhaltens als auch mit kultisch-rituellen Bereichen der jeweiligen Institutionen verknüpft sein können Sie manifestieren sich primär auf den Ebenen der Lexik und des Textes. Es ist kaum verwunderlich, dass die Konfessionen im Gefolge von Reformation und Gegenreformation gerade auf diesem Sektor nachhaltig auseinanderdriften. Hier drückt sich der Konnex also in einer sehr unmittelbaren und direkten Weise aus.

Neben den eindeutigen Sachlagen existieren freilich Fälle, in denen eher von einer indirekten Wirkung der Konfession auf die Sprache auszugehen ist. Gemeint sind Veränderungen des Sprachgebrauchs, für die ← 29 | 30 → in Raum und Zeit keine unmittelbare konfessionelle ‚Verordnungsinstanz‘ verantwortlich gemacht werden kann und bei denen außer dem Faktor ‚Konfession‘ auch andere gesellschaftliche Einflussgrößen intervenierend wirksam gewesen sind. In einen solchermaßen komplizierten Zusammenhang gehört etwa die geschilderte frühneuzeitliche Rufnamengebung zwischen Tradition und Modernität. Weiterhin ist an den Sprachgebrauchswandel im Spannungsfeld von Religion und Politik zu denken, wie er sich in verschiedenen Städten und Regionen des deutschsprachigen Raumes beobachten lässt. Effekte konfessioneller Ausrichtung finden sich dabei auch in profanen Texten, die prima facie wenig bis gar nichts mit glaubensmäßiger und weltanschaulicher Orientierung zu tun haben.42

Ein letzter Punkt bleibt zu erwähnen: Betrachtet man den Einfluss konfessioneller Wirkkräfte auf den Sprachgebrauch der Frühen Neuzeit in chronologischer Sicht, so wird erkennbar, dass die entsprechenden Prozesse keinen gleichförmig-linearen Verlauf aufweisen, sondern dass es offenbar Konjunkturschwankungen in der Bedeutung des Faktors gegeben hat. Ein wichtiges Ergebnis ist in diesem Kontext: Die Erwartung, nach dem Ende des ‚Konfessionellen Zeitalters‘, das bekanntlich von manchen Historikern auf das Jahr 1648 datiert wird, sei die sprachkulturelle Unterschiedlichkeit der Konfessionen kleiner geworden oder gar minimiert worden, trifft nicht zu. Vielmehr ergeben Analysen zu bestimmten Textsorten und kommunikativ-sozialen Praktiken ein anderes Bild. Es hat offenbar auch und gerade nach der politisch-formellen Befriedung durch den Westfälischen Frieden und im juristisch geregelten Nebeneinander der Bekenntnisse weiterhin ein Bedürfnis danach bestanden, die eigene konfessionelle Identität zu betonen und die jeweilige Sonderart als Protestant oder Katholik zum Ausdruck zu bringen. ← 30 | 31 →

 

1Die Veröffentlichung des Vortrags geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Herausgebers. Drei Hinweise erscheinen in diesem Zusammenhang angebracht und notwendig: 1. In wichtigen Punkten repliziert der Beitrag Forschungsergebnisse, die bereits in einer jüngst erschienenen Monographie dargestellt sind: Jürgen Macha: Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit. Würzburg 2013. In diesem Band werden die theoretischen Grundlagen des Zugriffs auf ‚Sprache und Konfession‘ sowie einzelne sprachhistorische Forschungsfelder ausführlich und problemorientiert diskutiert. 2. Im Hinblick darauf ist auch der Anmerkungsapparat des vorliegenden Beitrags bewusst ‚schlank‘ gehalten worden. 3. Mit voller Absicht wurden dem ursprünglichen Vortrag für die literate Form nicht sämtliche Züge der Mündlichkeit ausgetrieben.

2Den organisatorischen Rahmen der Forschungsaktivitäten bildete der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster etablierte Exzellenzcluster ‚Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne‘. Er schuf die Möglichkeit, den Untersuchungsgegenstand unter verschiedenen Blickwinkeln zu vermessen.

3Herbert Rösch: Entwicklungsfaktoren im 17./18. Jahrhundert und die Auseinandersetzung mit der Aufklärung. In: Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben. Festschrift zum 450. Gründungsjubiläum. Hrsg. von Rolf Kießling. Dillingen 1999, S. 79–128, hier S. 89.

Details

Seiten
524
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035106923
ISBN (ePUB)
9783035196474
ISBN (MOBI)
9783035196467
ISBN (Paperback)
9783034315036
DOI
10.3726/978-3-0351-0692-3
Open Access
CC-BY
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Februar)
Schlagworte
Volkskunde Kulturpatriotismus Sprachverhalten
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 524 S.
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Titel: Simpliciana
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