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Sprachbasierte Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen

von Franc Wagner (Band-Herausgeber:in) Ulla Kleinberger (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 256 Seiten

Zusammenfassung

Wie unterscheidet sich die Nutzung neuer Medien bei Kindern und Jugendlichen von derjenigen bei Erwachsenen?
Im vorliegenden Band wird diese Frage aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Im ersten Teil steht die theoretische Beschreibung der Kompetenzen im Zentrum, über welche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verfügen sollten, wenn sie erfolgreich an der medialen Kommunikation teilhaben wollen. Im zweiten Teil finden sich Kompetenz-Analysen zu Texten aus unterschiedlichen Kommunikationsformen der neuen Medien. Die empirischen Analysen umfassen das Schreiben aller Altersstufen junger NutzerInnen: Texte von Vorschul- und Grundschulkindern, von Studierenden unterschiedlicher Semester, aber auch Texte von gemischten Altersgruppen. Die Beiträge des Bandes erfassen ein breites Spektrum der aktuellen medialen Kommunikation. Sie eröffnen einen breit gefächerten Einblick in die Thematik und geben fundierte Antworten auf die gestellte Frage.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Zur Situierung sprachbasierter Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen: Franc Wagner
  • 1. Einleitung in das Thema
  • 2. Die Nutzung neuer Medien durch Kinder und Jugendliche
  • 3. Sprachbasierte Kompetenzen für die Nutzung neuer Medien
  • 4. Die Beiträge dieses Bandes
  • I. Beschreibung von Medienkompetenzen und Medientexten
  • II. Empirische Studien zum Schreiben in den neuen Medien
  • 5. Fazit und Ausblick
  • 6. Bibliographie
  • I. Beschreibung von Medienkompetenzen und Medientexten
  • Medienkompetenz von Vorschulkindern und jungen Schulkindern: Ulla Kleinberger
  • 1. Verortung der Kompetenzen
  • 1.1 Skizze der Voraussetzungen Kleiner Kinder bis zur Einschulung
  • 1.2 Forschungsstand
  • 1.3 Beispiel Zeichen
  • 1.4 Beispiel Lesen
  • 1.5 Beispiel Schreiben
  • 1.6 Medienkompetenz
  • 2. Resümee
  • 3. Bibliographie
  • Das Zürcher Textbeschreibungsmodell: Sprachliche Besonderheiten von Texten in neuen Medien: Franc Wagner
  • 1. Einleitung
  • 2. Theoretischer Ausgangspunkt
  • 2.1 Analysieren von Schreibprodukten: das Zürcher Textanalyseraster
  • 2.2 Analysieren der Textqualität: das Textqualitätenmodell
  • 2.3 Das Zürcher Projekt „Schreibkompetenz und neue Medien“
  • 2.4 Die Leitidee des Textbeschreibungsmodells: unabhängige Dimensionen
  • 3. Die Textbeschreibungs-Dimensionen
  • 3.1 Die Dimension Kommunikationssituation
  • 3.2 Die Dimension Kommunikationsform
  • 3.3 Die Dimension Textcharakterisierung
  • 3.4 Die Dimension Textrealisierung
  • 4. Das Textbeschreibungsmodell als Kategoriensystem
  • 4.1 Die Konstruktion des Kategoriensystems
  • 4.2 Die Hypothesenbildung anhand des Kategoriensystems
  • 4.3 Das Kategoriensystem für das Schreiben von Schülerinnen
  • 4.3.1 Kommunikationssituation
  • 4.3.2 Kommunikationsform
  • 4.3.3 Textcharakterisierung
  • 4.3.4 Textrealisierung
  • 5. Fazit
  • 6. Bibliographie
  • Über kompetentes und gekonntes Lesen in den Neuen Medien: Christoph Bräuer
  • 1. Lesekompetenz als ‚Rezeptionsbasis‘ in den Neuen Medien
  • 2. Gekonntes Lesen als Fähigkeit, den eigenen Leseprozesses zu gestalten
  • 2.1 Der Leseprozess als Lerngegenstand
  • 2.2 Lesestrategie als Handlungsmodalität
  • 2.3 Zwischen kompetentem und gekonntem Lesen — ein Beispiel
  • 2.4 Gekonntes Lesen — wenn die „Strategie mit ins Feld zieht“…
  • 3. Gekonntes Lesen in den Neuen Medien
  • 3.1 Medienspezifische Unterschiede der Rezeptionsprozesse in den Neuen Medien
  • 3.2 Implikationen für eine medienspezifische Lesedidaktik
  • 4. Zur Medienspezifik gekonnten Lesens — ein (vorläufiges) Fazit
  • 5. Bibliographie
  • Medienbildung in der Schule: Jochen Hettinger
  • 1. Einleitung
  • 2. Was ist „Medienbildung“?
  • 2.1 Medien
  • 2.2 Bildung
  • 2.3 Medienbildung
  • 2.4 Medienkompetenz als Teil der Medienbildung
  • 3. Perspektiven schulischer Medienbildung
  • 4. Bibliographie
  • II. Empirische Studien zum Schreiben in den neuen Medien
  • Kompetenzen für das kollaborative Schreiben in Wikis — am Beispiel von Greifswald Virtuell: B. Odile Endres
  • 1. Einleitung
  • 2. Kollaboratives Schreiben im Wiki
  • 2.1 Wiki-Dimensionen
  • 2.2 Schreibkompetenzmodelle
  • 2.3 Zwischenfazit
  • 3. Die Wiki-Dimensionen im Textprojekt „Greifswald_Virtuell“
  • 3.1 Projektsetting
  • 3.2 Die Wiki-Dimensionen im Projekt
  • 4. Potential Und Wirklichkeit: Die Wiki-Dimensionen in der Praxis
  • 4.1 Aktive Partizipation
  • 4.2 Selbstorganisation und Interaktion
  • 4.3 Verlinkungsprinzip
  • 4.4 Partizipation Durch Kommunikative Interaktion
  • 4.5 Rollen
  • 5. Statt Eines Fazits: Kollaborierende oder Kollabierende Studierende?
  • 6. Bibliographie
  • Schreiben mit digitalen Medien: Über Kontext und Kooperation zu Kompetenz: Esther Wiesner
  • 1. Einleitung: Schreiben mit digitalen, vernetzten Medien
  • 2. Schreibkontext
  • 2.1 Konzeption des interaktiven Schreibkontexts
  • 2.2 Kontextbezogen schriftlich interagieren
  • 2.3 Exkurs: Produzieren und Rezipieren
  • 3. Kompetenz: Schriftliches Sprachhandeln
  • 3.1 Kontextualisieren: Sprachduktus und Register
  • 3.2 Adressatenorientiert schreiben
  • 4. Schreibformen: Kooperatives und kollaboratives Schreiben
  • 5. Zusammenfassung
  • 6. Bibliographie
  • Telecollaborative learning with interaction journals: Karin Vogt, Keiko Miyake
  • 1. Intercultural learning in telecollaborative environments
  • 2. The study: interaction journals in telecollaborative environments
  • 3. Results
  • 3.1 Tracing intercultural learning processes in interaction journals
  • 3.2 Interaction journals as a teaching tool
  • 3.3 Interaction journals as a learning tool
  • 4. Conclusion
  • 5. References
  • Kommunikativ-stilistische Hybridität und Bricolage im Internet: Hajo Diekmannshenke
  • 1. Medialer Wandel
  • 2. Alte und neue Textsorten im Internet
  • 3. Textsorten und ihre Konventionen
  • 4. Hybridität und Bricolage in der E-Mail-Kommunikation
  • 5. Fazit
  • 6. Bibliographie

Zur Situierung sprachbasierter Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen

FRANC WAGNER

1.Einleitung in das Thema

Die linguistische Analyse von Texten in den neuen Medien existiert seit ca. 15–20 Jahren und hat somit bereits eine zwar kurze, aber dennoch reichhaltige Tradition aufzuweisen. Vor zehn Jahren war es beispielsweise noch offen, wie sich die neuen Medien weiterentwickeln und welche Nutzungsszenarien sich herauskristallisieren würden. Bestimmte damals noch die Sorge um mangelnde Kompetenzen der UserInnen bei der Produktion und Rezeption von Texten die Diskussion (vgl. z. B. Wagner/Kleinberger Günther 2004: 4), so zeigt die wachsende Zahl von Online-Texten, dass heute zumindest das Problem der Produktion entschärft zu sein scheint, wenn auch nicht primär durch Verbesserung der Kompetenzen, sondern durch Absenken der technischen Hürden (Stichwort ‚Web 2.0‘). Zum heutigen Zeitpunkt haben sich die neuen Medien etabliert und sind omnipräsent. Mit zunehmender Verbreitung von WLAN und Datenfunk hat sich die Nutzung von Internet-Diensten vom Substrat einer verkabelten PC-Hardware gelöst und ist mobil geworden. Jugendliche setzen mobile Geräte wie Handys, Smartphones und Tablet-Computer besonders häufig ein, und mit der Vermarktung von ‚tablets for children‘ haben die neuen Medien nun auch die Zielgruppe ‚Kinder‘ erreicht. Viele Jugendliche und junge Erwachsene sind nun ‚always on‘ und organisieren ihre sozialen Kontakte überwiegend über Social Networking Sites. Dies hat wiederum eine gewisse Abhängigkeit von einem mobilen Internetanschluss zur Folge. So erachtete es beispielsweise eine ← 9 | 10 → universitäre Forschungsstation als notwendig, auf ihrem Ostsee-Insel-Campus ein WLAN-Netz einzurichten, damit die Studierenden während ihres Aufenthalts nicht an sozialer Isolation leiden.

Die spezifische Nutzung durch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unterscheidet sich von derjenigen von älteren Erwachsenen außer in der Häufigkeit auch in den bevorzugten Kommunikationsformen und den Ausprägungen sprachlicher und medialer Kompetenzen. Aufgrund der Häufigkeit und der Interaktivität der Nutzung sind für diese Gruppe die neuen Medien stärker in ihrem Alltag verankert und erhalten dadurch eine stärkere Gewichtung: Für sie sind neue Medien keine Nebenbei-Medien, sondern Medien, welche oft die ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten und die das ‚Fernsehen‘ als Leitmedium abgelöst haben. Aus diesen Gründen sollen im vorliegenden Band die spezifischen sprachbasierten Kompetenzen dieser Altersgruppe in den Fokus gerückt werden. Die breitgefächerte Problematik der sprachbasierten Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen, die zur erfolgreichen Nutzung neuer Medien erforderlich sind, wird in den einzelnen Beiträgen dieses Bandes unter jeweils eigenen Perspektiven beleuchtet. Diese umfassen theoretische, systematische und empirische Untersuchungen, verschiedene Altersgruppen (Kinder, Jugendliche, Studierende) und auch unterschiedliche Aspekte des Schreibens (vgl. die Darstellung in Kap. 3.).

2.Die Nutzung neuer Medien durch Kinder und Jugendliche

Die erste zentrale Frage dieses Bandes, ob und wie sich die Nutzung neuer Medien bei Kindern und Jugendlichen von derjenigen von Erwachsenen unterscheidet, wurde im Verlaufe des letzten Jahrzehnts unterschiedlich beantwortet. Die These vom „digital divide“, welche eine Spaltung der Gesellschaft in jene, die die elektronischen Medien beherrschen und benutzen und in jene, bei denen dies nicht der Fall ← 10 | 11 → ist, postulierte, wurde zunächst auch auf Altersgruppen wie z. B. ‚Junge‘ versus ‚Ältere‘ angewandt. Dadurch entstand der Eindruck, es handle sich um eine Wissenskluft, d. h. um eine unterschiedliche Verfügbarkeit von Wissen, wie sie Bonfadelli 1994 beschrieb, als das Internet noch kein Massen-Phänomen war. Hugger provozierte 2003 mit der Frage, ob die „älteren Erwachsenen“ die „Muggles des Digitalzeitalters“ seien. Inzwischen wird diese Diskussion weniger spekulativ geführt, da mehrere periodische Studien dazu vorliegen. Seit 1998 werden in Deutschland im Auftrag des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest jährlich Studien zur Mediennutzung von Jugendlichen (JIM-Studie 2012) und seit 1999 auch von Kindern (KIM-Studie 2012) durchgeführt. In der Schweiz werden ebenfalls seit 2010 alle zwei Jahre über 1’000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren in den drei großen Sprachregionen der Schweiz zu ihrem Medienverhalten befragt (JAMES-Studie). Auch von ARD und ZDF werden jährlich gemeinsam Studien zur Mediennutzung durchgeführt. Diese beziehen im Unterschied zu den vorgenannten Studien aber alle Altersgruppen mit ein.

Mit der zunehmenden mobilen Verfügbarkeit des Internets hat sich auch das Nutzungsverhalten geändert. Während in den 1990er-Jahren der erste Kontakt mit dem Internet meist im Beruf erfolgte und einer E-Mail-Adresse die Funktion eines modernen Identitätsausweises zukam, so hat inzwischen die Mitglieder-ID einer Social Networking Site wie Facebook oder Xing diese Funktion übernommen. E-Mail ist immer noch der am häufigsten genutzte Webdienst – diesen nutzten 2012 79 % der deutschen Online-UserInnen (Mende/Oehmichen/Schröter 2013: 41) – doch überwiegt heute die private die berufliche Nutzung deutlich. Ein Großteil der netzbasierten Kommunikation hat sich seit 2008 von E-Mail-Diensten hin zu Chats, Foren und Online-Communities, die sich in Instant-Messaging-, Microblog- und Social Networking Diensten etabliert haben, verlagert.

Für Deutschland belegt die jüngste ARD/ZDF-Studie, dass 76 % der Deutschen online sind und dass die neuen Medien inzwischen von allen Altersschichten genutzt werden (Eimeren/Frees 2012: 362), ← 11 | 12 → wenn diese auch unterschiedliche Anwendungsbereiche bevorzugen. Die Gruppe der häufigsten NutzerInnen ist zwar nach wie vor diejenige der 14–29-Jährigen: 79 % davon betrachten das Internet als „täglichen Begleiter für alle möglichen Fragen und Themen“; in der Gruppe der 30–49-jährigen sind es noch 65 % und in der Gruppe der ab 50-jährigen mit 52 % ebenfalls noch mehr als die Hälfte (Eimeren/ Frees 2012: 365).

Ein signifikanter Unterschied zwischen den Altersschichten zeigt sich hingegen in der Art der Nutzung: Jüngere UserInnen sind deutlich häufiger (6,3 Tage/Woche), intensiver und länger (168 Min./ Tag) im Netz unterwegs als ältere (Eimeren/Frees 2012: 364). Die jüngeren NutzerInnen zeigen dabei ein wesentlich größeres Interesse an sogenannten „Web 2.0 Applikationen“ wie Foto-Blogs (z. B. Flickr, Instagram), Microblogs (z. B. Twitter, Tumblr) oder Social Networking Sites (z. B. Facebook, Xing); ältere NutzerInnen bevorzugen hingegen eher E-Mail, Informationssuche im WWW und Online-Shopping (Eimeren/Frees 2012: 364). Jüngere tauschen sich häufig in den Online-Communities der Social Networking Sites aus, dies aber bevorzugt im Rahmen privater Kommunikation und weniger in öffentlich einsehbaren Diensten. Sie nutzen das Netz somit weniger häufig interaktiv zum kollaborativen Erstellen neuer Inhalte (Stichwort ‚Mitmach-Web‘), sondern öfter zur Pflege und Erweiterung ihrer persönlichen Kontakte. Eine Ausnahme stellen Weblogs dar: Zwischen 2007 und 2012 ist der Prozentsatz derjenigen Weblog-UserInnen, die nicht nur passiv mitlesen, sondern selbst aktiv Beiträge verfassen, von 25 % auf 47 % gestiegen (Mende/Oehmichen/Schröter 2013: 37).

Online-Communities sind bei Jüngeren NutzerInnen „nicht mehr wegzudenken“: 88 % der Teens und 74 % der Twens sind Mitglied in zumindest einer Community (Busemann/Gscheidle 2012: 380). Auch bei den 30–39-Jährigen sind noch 56 % Mitglieder und erst in der Altersschicht der ab 40-Jährigen nimmt der Anteil der Community-NutzerInnen deutlich ab (Busemann/Gscheidle 2012: 380). Die Communities werden dabei von rund einem Drittel der NutzerInnen (36 %) regelmäßig genutzt, wobei von den unter 30-Jährigen 75 % mindestens einmal wöchentlich in einer Community aktiv sind ← 12 | 13 → (Busemann/Gscheidle 2012: 368). Jugendliche nutzen dabei die kommunikativen Kommunikationsformen besonders häufig auf mobilen Geräten wie Handys, Smartphones und Tablet-Computern. Gemäß der ARD/ZDF-Onlinestudie verfügen in Deutschland 33 % der Onlinehaushalte über ein Smartphone und 8 % über einen Tablet-Computer (Klumpe 2012: 391f.). Durchschnittlich gehen 23 % der Onlinenutzer mobil ins Internet (Klumpe 2012: 396). Die Altersschicht der 14–19-Jährigen liegt dabei mit 46 % deutlich über dem Durchschnitt, ebenso diejenige der 20–29-Jährigen mit 40 %.

Auch die Schweizer JAMES-Studie bestätigt, dass Jugendliche 2012 ihr Smartphone signifikant häufiger als Zugang zum Internet nutzten als früher. Dies erklärt sich u. a. dadurch, dass der Anteil an Smartphones in dieser Altersgruppe mit 79 % überdurchschnittlich hoch ist (JAMES-Studie 2012: 46).

Noch ist offen, wie sich die verstärkte Nutzung des mobilen Internets auf das Nutzungsverhalten auswirkt. Die ARD/ZDF-Onlinestudie vertritt zwar die Ansicht, dass sich trotz erheblicher technischer Veränderungen und unzähliger neuer Netz-Angebote die Online-Nutzerbedürfnisse nach Kommunikation und Informationssuche nicht wesentlich verändert haben (Eimeren/Frees 2012: 368). Dennoch ist eine weitere Zunahme der Tendenz zur kommunikativen Nutzung des mobilen Internets nicht auszuschließen. In einer qualitativen Ergänzungsstudie zur ARD/ZDF-Studie wurden etwa folgende drei NutzerInnen-Typen von neuen Medien postuliert und empirisch belegt: Die „Digital Visitors“ (ca. 60 % der Online-UserInnen) nutzen Social Networking Angebote nicht oder wenn, dann eher passiv. Die „Digital Residents“ (ca. 25 %) nutzen täglich Online-Communities (insbesondere Facebook). Die „Digitale Avantgarde“ (ca. 1 %) schließlich nutzt neben privaten Communities auch aktiv informationsbasierte Dienste wie z. B. Weblog- und Microblogging-Sites. Dies würde bedeuten, dass die Internetnutzung zu privaten Kommunikationszwecken deutlich überwiegt und dass das kollaborative Erarbeiten von Informationen, wie es z. B. in Wikis der Fall ist, eher selten stattfindet. Ein besonderes Nutzungsverhalten der Grup ← 13 | 14 → pe jüngerer NutzerInnen wird von den Studien jedenfalls deutlich belegt, was es erlaubt, die erste zentrale Frage eindeutig zu bejahen.

3.Sprachbasierte Kompetenzen für die Nutzung neuer Medien

Die zweite zentrale Frage dieses Bandes resultiert aus den dargestellten Unterschieden in der Nutzung neuer Medien von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Vergleich zu den anderen NutzerInnen: Tangiert dieser Unterschied deren sprachbasierte Medienkompetenz? Eignen sich verschiedene Altersschichten neue Medien unterschiedlich an – müssen für deren Ausbildung unterschiedliche Kompetenzen zugrunde gelegt werden?

In der Fachliteratur wurden voneinander abweichende Kompetenz-Modelle präsentiert, welche unterschiedliche Kompetenzen unter verschiedenen theoretischen Aspekten erfassen und modellieren: Heine (2010) diskutiert beispielsweise dreizehn Modelle zur Schreibkompetenz. Den meisten Modellen ist gemeinsam, dass sie nicht deskriptiv, sondern deduktiv angelegt sind. Das bedeutet, sie leiten das Modell von einem theoretischen Konstrukt – dem Ausgangsmodell – ab und versuchen, dieses durch Subklassifizierung an den zu modellierenden Gegenstand anzunähern. Dabei bleiben aber die Merkmale des Ausgangsmodells erhalten und können sich negativ auf das resultierende Modell auswirken. So sind etwa einige Modelle dem kognitiven Ansatz der 60er- und frühen 70er-Jahre verpflichtet. Diese modellieren entsprechend die Schreibaufgabe als ein Problem und die Schreibkompetenz als ein Problemlösungsverfahren, was nicht mehr dem heutigen Stand der Kognitionstheorien entspricht. Auch zeitgemäße deduktive Kompetenzmodelle weisen oft den Nachteil auf, wenig Übereinstimmung mit dem modellierten Gegenstand aufzuweisen. Entsprechend gestaltet sich deren empirischer Einsatz schwierig und ← 14 | 15 → für die meisten Modelle wurde ein Nachweis ihrer empirischen Validität gar nicht erbracht.

Hier sollen Kompetenzen einerseits in Zusammenhang mit der Mediennutzung betrachtet werden, andererseits spezifischer als solche, die bei der sprachbasierten Nutzung von neuen Medien durch Kinder und Jugendliche wirksam werden. Die spezifischen Merkmale des Schreibens von Kindern und Jugendlichen finden in pädagogisch orientierten Modellen am ehesten Berücksichtigung, welche etwa die Schreibkompetenz ins Zentrum der Betrachtung rücken. Diese sind in der Regel mit mehr Praxisnähe entwickelt worden und entsprechend einfacher empirisch umzusetzen. So hat etwa Ossner (1994; 2006) ein vielbeachtetes Modell für den Einsatz in der Schule, speziell im Deutschunterricht erstellt. Ebenfalls auf Erfahrungen im Schulunterreicht basieren die Überlegungen zur Schreibkompetenz von Fix (2006).

Auch für die Kompetenzen, welche die spezifischen Herausforderungen des Schreibens in neuen Medien berücksichtigen existieren systematische Beschreibungen (vgl. u. a. Dürscheid/Wagner/Brommer 2010; Lehnen/Jakobs 2003; Wagner/Kleinberger 2009; Jakobs/ Lehnen/Schindler 2010; Lehnen 2011) und auch ein erster Modellierungsansatz (Beißwenger 2012).

Die Entwicklung der neueren Schreibkompetenzmodelle wird im Beitrag von Endres in diesem Band u. a. in Hinblick darauf diskutiert, inwieweit diese nutzbar gemacht werden können, um die besonderen Kompetenzen Studierender beim kollaborativen Erstellen von Online-Texten zu beschreiben. Welche Kompetenzen erforderlich sind, um angemessene Texte zu schreiben, thematisiert der Beitrag von Wagner. Der Fokus dieses Bandes liegt allerdings nicht auf der Modellierung von Schreibkompetenz, sondern auf der theoretischen und empirischen Beschreibung von sprachbasierter Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beim Schreiben in neuen Medien.

Die Nutzung neuer Medien erfordert spezifische sprachbasierte Kompetenzen, sowohl beim Lesen, Interpretieren und Einordnen von Texten, als auch beim Schreiben eigener Beiträge. Dies gilt für ← 15 | 16 → Erwachsene ebenso wie für Kinder und Jugendliche, wobei die ungesteuerte Aneignung von Kompetenzen im Umgang mit Online-Medien durch Kinder eine besondere pädagogische Herausforderung darstellt. Viele Kinder und Jugendliche haben sich den Umgang selbstständig und unbegleitet angeeignet – und sie haben entsprechend individuelle Nutzugsformen und Schreibstile herausgebildet. Gerade das private Schreiben in neuen Medien unterliegt oft einer geringeren Normierung als etwa das offizielle Schreiben in der Schule. Obwohl sich in den verschiedenen Kommunikationsformen und Textsorten auch unterschiedliche Usancen, Konventionen und Stile herausgebildet haben, sind diese weniger stark normiert und damit weniger verbindlich. Dennoch gehören deren Kenntnis und Anwendung zu den wichtigsten Kompetenzen in Zusammenhang mit dem Schreiben in neuen Medien (vgl. Beitrag Kleinberger). Diese sprachbasierten Kompetenzen haben erst in wenigen Fällen Berücksichtigung in etablierten Beschreibungs- und Kompetenzmodellen gefunden. Dennoch können bei der Beschreibung und Beurteilung von Texten aus neuen Medien nicht herkömmliche Maßstäbe angelegt werden. Die oft flüchtige Aktualität von Texten im Internet, das interaktive, teilweise quasi-synchrone Schreiben, das Schreiben in einer (schul-)normfernen Umgebung, die teilweise wechselnden Adressaten – all dies können konstitutive Merkmale von Texten in neuen Medien darstellen, welche in klassischen Schreibumgebungen eher selten vorkommen und entsprechend bislang noch nicht theoretisch modelliert wurden, bei der Beschreibung von Texten im Internet aber eine wichtige Rolle spielen (vgl. Beitrag Wagner).

Details

Seiten
256
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035106695
ISBN (ePUB)
9783035196733
ISBN (MOBI)
9783035196726
ISBN (Paperback)
9783034314893
DOI
10.3726/978-3-0351-0669-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Februar)
Schlagworte
Kompetenz-Analysen zu Texten mediale Kommunikation Kommunikationsformen
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 256 S., 7 farb. Abb., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Franc Wagner (Band-Herausgeber:in) Ulla Kleinberger (Band-Herausgeber:in)

Franc Wagner ist Koordinator des Graduiertenkollegs «Text und Normativität – TeNOR» und Mitglied im Leitungsteam des Forschungsschwerpunkts TeNOR der Universität Luzern. Seine Forschungsthemen sind: sprachlicher und sozialer Wandel im Schreiben in den neuen Medien, Text- und Metaphern-Analyse, Sprachphilosophie, Sprachpsychologie und sprachliche Diskriminierung. Ulla Kleinberger ist Professorin für Text- und Gesprächslinguistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Institut für Übersetzen und Dolmetschen, und Titularprofessorin der Universität Zürich, Deutsches Seminar, für «Germanistische Linguistik». Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Text- und Medienlinguistik, der Gesprächsanalyse, der Semantik und Pragmatik.

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