Lade Inhalt...

Legitimationsmechanismen des Biographischen

Kontexte – Akteure – Techniken – Grenzen

von Christian Klein (Band-Herausgeber:in) Falko Schnicke (Band-Herausgeber:in)
©2016 Konferenzband 394 Seiten

Zusammenfassung

Warum und unter welchen Umständen werden Biographien als sinnhafte und überzeugende Darstellungen anderer Leben anerkannt? Diese Frage nach der Legitimität adressiert ein Kernproblem der Biographik, das ungeachtet seiner fundamentalen Bedeutung bislang in der Biographieforschung nur am Rande reflektiert wurde. Welche Beglaubigungsstrategien werden wann und von wem in welchen Kontexten als gültig akzeptiert? Wer gilt als legitime Biographin, wer als legitimer Biograph und wessen Lebensgeschichte als angemessener Stoff für eine Biographie? Mithilfe welcher Techniken evozieren Biographinnen und Biographen die Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung? Der vorliegende Band diskutiert diese und ähnliche Fragen im Rahmen ganz unterschiedlicher Fallstudien und nimmt damit erstmals die Legitimationsmechanismen des Biographischen in den Blick, ihre historischen und kulturellen Kontexte, die Akteure, die Techniken der Legitimation und ihre Grenzen. Er präsentiert die Ergebnisse der internationalen Tagung «Legitimationsmechanismen des Biographischen», die im September 2012 an der Universität Wuppertal stattfand.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Legitimationsmechanismen des Biographischen: Bestimmung und Systematik
  • Historische Kontexte
  • Wie wird die Bearbeitung einer Biographie im frühen und hohen Mittelalter begründet? Zur Legitimation der Umstilisierung von lateinischen Biographien
  • Fragmentierung und Nekromantie. Strategien und Mechanismen der Legitimation biographischer Darstellung um 1800
  • Historische Biographik als „wahrer Roman“: Golo Manns Wallenstein-Erzählung
  • Kulturelle Traditionen
  • Geschlecht, Sexualität, Legitimation: Claude-Carloman de Rulhière über Katharina die Große
  • Japanische Biographie im Übergang von der feudalen Ständegesellschaft zur Moderne
  • Lebensläufe über Grenzen. Zur Transnationalisierung der Biographik
  • Akteure
  • Frontverläufe. Biographische Darstellungen John Miltons als politische Stellungnahmen im englischen 18. Jahrhundert
  • Briefbiographie um 1800. Legitimationsmechanismen einer Textsorte
  • Biographik als Provokation. Wilhelm der Zweite (1925) von Emil Ludwig
  • Techniken
  • Legitimationsmechanismen des biografischen Erzählens in Film und Fernsehen
  • Diesseits und jenseits der Dokumentation. Der Spielraum der Szenografie und die Regeln der Biografie im Dokumentarfilm
  • Köchelverzeichnis trifft Kamel. Musik und Paratexte in biographischen Filmen über Musiker
  • Wer schreibt hier Biographien? Autorität und Reputation beim Verfassen biographischer Wikipedia-Artikel
  • Ausschlüsse und Erweiterungen
  • … und raus bist du! Die Geschichte der Weißen Rose als Geschichte biografischer Ausschlüsse
  • Biographie als Möglichkeitsraum. Bitextualität in Emmy Hennings’ Hugo Ball-Erinnerungsbüchern jenseits von Faktenbezogenheit
  • Vom Unbehagen an der Biographie. Metabiographische Reflexionen in Literatur, life writing und Film
  • Reihenübersicht

Legitimationsmechanismen des Biographischen: Bestimmung und Systematik

Christian Klein und Falko Schnicke

Das Thema des vorliegenden Bandes ist ein Fundamentalproblem aller Biographik: Warum und unter welchen Umständen werden biographische Texte von ihren Rezipienten als glaubhafte Erzählungen eines anderen Lebens akzeptiert? Diese Frage liegt zum einen nahe, weil Biographien keine Autobiographien sind, die über die Autorauthentizität legitimiert werden und zum anderen, weil biographisches Schreiben und Prozesse der Legitimierung wechselseitig miteinander verbunden sind. So können Biographien etwa als Instrumente sozialer Legitimation fungieren, indem bestimmte Gruppen versuchen, ihre gesellschaftliche Anerkennung über biographische Darstellungen zu forcieren oder zu festigen. Mit Vasaris Künstlerviten sollte beispielsweise nicht zuletzt die Figur des Künstlers in der italienischen Renaissancegesellschaft gefestigt werden,1 und auch die deutsche Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, um ein weiteres Beispiel zu nennen, setzte gezielt darauf, ihre Anliegen über die Präsentation vorbildhafter Frauen zu befördern.2 Um als Legitimationsinstrument für solch ganz unterschiedliche Intentionen fungieren zu können, müssen biographische Texte als Darstellungsformen in der Gemeinschaft, in der sie Wirkung entfalten sollen, etabliert sein, d.h. in ihrer je spezifischen Ausprägung Anerkennung finden (können).

Legitimation – Ausgangspunkte und Begriff

Biographien zählen zu den faktualen Texten oder auch „Wirklichkeitserzählungen“, die eine besondere Rezeptionshaltung evozieren, denn ihre Leser ← 9 | 10 →

Gérard Genette spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wahrheitsverpflichtung“ des Autors faktualer Texte,4 Philippe Lejeune von einem „Pakt“.5 Dieser Pakt, der aus der Identität von Autor und Erzähler resultiert, erlaubt es dem Leser zum einen, das Geschilderte sinnvoll auf außertextuelle Wirklichkeit zu beziehen, bietet zum anderen dem Autor überhaupt erst die Möglichkeit, in ernst zu nehmender Weise auf außersprachliche Wirklichkeit zu rekurrieren. In ihrem Anspruch, Aussagen über außertextuelle Wirklichkeit zu treffen – und auf diesem Wege auf sie Einfluss zu nehmen, wie es Vasari und auch die Frauenbewegung intendiert hatten –, unterscheiden sich Biographien (wie faktuale Texte überhaupt) kategorial von fiktionalen Texten, die zwar ebenfalls Bezug auf die Welt nehmen können, mit denen aber nicht der Geltungsanspruch der Realitätsrepräsentation verbunden ist.6 Es ist eben dieser Geltungsanspruch, der der Frage nach den Legitimationsmechanismen des Biographischen besondere Relevanz verleiht.

Mit der Lektüre biographischer Texte sind mithin spezifische Erwartungshaltungen verbunden, die von ihnen evoziert werden und zu denen sich jede biographische Repräsentation zu verhalten hat. Nur so kann der jeweilige Kommunikationsversuch zwischen Sender und Empfänger, als der jede biographische Darstellung zu betrachten ist, gelingen. Von einer Biographie wird allgemein erwartet, dass sie zuverlässige Informationen liefert, die im Rahmen einer sinnhaften (und idealerweise gut oder sogar spannend lesbaren) Erzählung präsentiert werden. Dem vorliegenden Band liegt letztlich die Frage zugrunde, wieso und wodurch ein bestimmter Text als legitime biographische Darstellung, mithin als informative, sinn- und glaubhafte Repräsentation eines ← 10 | 11 → fremden Lebens akzeptiert wird. Legitimationsmechanismen des Biographischen werden dabei als Regeln sozialer Praxis verstanden, die die beschriebenen spezifischen Ansprüche an Textgeltung und -inhalt wie auch an die Art und Weise ihrer Präsentation evozieren und aus Rezipientenperspektive die Einlösung derselben begründeterweiser erwartbar erscheinen lassen. Im Gegensatz zu faktualen Textsorten, deren Legitimationsmechanismen relativ klar sind wie Forschungsberichte oder Krankenakten (Anwesenheit bei Untersuchungen, privilegierter Zugang zum Studienobjekt etc.), stellen sich diese Fragen für biographische Darstellungen auch deshalb, weil das Spektrum biographischen Erzählens von literarischen über populäre bis hin zu wissenschaftlichen oder filmischen Spielarten, zu Comic-Biographien oder biographischen Mischformaten im Internet reicht.7 Sie alle bewegen sich in verschiedenen Kontexten, die verschiedenen, auch konträren Regeln verpflichtet sind, und können doch unter dem Begriff der Biographie als ein Gattungszusammenhang beschrieben werden.

Angesichts der Tatsache, dass jede Biographie legitimiert werden muss und es (explizit oder implizit) auch wird und dass die Legitimation biographischer Darstellungen angesichts ihres Variantenreichtums und ihrer Formenvielfalt eine zentrale Rolle bei der Rezeption von Biographien spielt, ist es überraschend, dass die biographiologische Forschung dieses Thema bislang nicht systematisch fokussiert hat. Noch am besten hat die Forschung die Anerkennung von Biographien selbst beleuchtet: mit Blick auf mittelalterliche Herrschaft, die sich über biographisch-genealogische Reihen rechtfertigte;8 mit Blick auf die Legitimierung des bürgerlichen Anspruchs auf ein politisches Bildungsprimat, dem die Biographik des 18. und 19. Jahrhunderts verhaftet war;9 und mit Blick auf die Sichtbarmachung marginalisierter Lebensgeschichten und die Etablierung eines ‚Gegenkanons‘, wie es etwa die geschlechtergeschichtliche und postkoloniale Forschung unternimmt.10 Die grundlegende Be ← 11 | 12 → deutung von Legitimationsmechanismen für die Produktion – und auch die Rezeption – von Biographien wurde in der Fachliteratur, trotz der seit einigen Jahren belebten Diskussionen um das Biographische, allerdings nur am Rande thematisiert11 und stellt daher ein Desiderat dar.

Terminologisch leitet sich Legitimation vom lateinischen lex für Gesetz oder Rechtfertigung ab und nimmt Prozesse der Anerkennung in den Blick, während der verwandte Begriff Legitimität (von lat. legitimus, gesetzmäßig) eher Rechtmäßigkeit als das Ergebnis dieser Prozesse fokussiert. Ausgehend von diesem juristischen Ursprung bildeten sich diverse Varianten der Begriffsverwendung heraus, die nicht zwingend das Wortfeld erweiterten, aber die Reichweite des Begriffs erheblich über den engeren Rahmen juristischer Debatten ausdehnten. Wer nach der gegenwärtigen terminologischen Verwendung von ‚Legitimation‘ fragt, sieht sich dennoch einem rechtswissenschaftlich dominierten Themenfeld gegenüber. Dabei kann die Legitimation von Institutionen (z. B. von Gerichten oder Parlamenten)12 ebenso gemeint sein wie die Legitimation von Rechtssetzungen (etwa im Bereich der internationalen Strafgesetzgebung),13 oder die Rechtfertigung von Rechtsfolgen, d.h. etwa die Legitimität von Strafen.14 Hinzu kommen Untersuchungen zur Legitimation ← 12 | 13 → seinzelner Rechtskonzepte wie der Verantwortung im Öffentlichen Recht15 oder dem Prinzip der Gewaltenteilung.16 In den geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen wurden diese Bedeutungen zum Teil übernommen (etwa indem Fragen nach der Legitimation von Herrschaft wie auch ihrer Infragestellung historisiert wurden, s.u.),17 zum Teil aber auch erweitert. So arbeitete die literaturwissenschaftliche Forschung z. B. Sprachen der Legitimation und Muster theatraler Legitimation heraus,18 erkundeten kunsthistorische Studien die Begründungsgeschichten einzelner Gattungen19 oder Inhalte künstlerischer Darstellungen20 und fragten medienwissenschaftliche Untersuchungen nach einer Neuauflage der Paragone, d.h. nach Prozessen der wechselseitigen An- und Aberkennung von Künsten in intermedialen Arbeiten.21 Die historische Forschung widmete sich der „Legitimation durch Überlieferung“,22 Legitimations- ← 13 | 14 → mechanismen wissenschaftlicher Disziplinen23 und medizinischer Einrichtungen24 sowie den Rechtfertigungsnarrativen für Krieg und Gewalt.25 Als Teil der Beschäftigung mit den Funktionsweisen von Herrschaft wurden auch Großreiche und Imperien in den Blick genommen.26 Der Band von Hausteiner und Münkler kann dabei paradigmatisch für den Erkenntnisgewinn stehen, der in der Erforschung von Legitimationsmechanismen liegt. Die Herausgeber führen entsprechend aus, dass „die Frage der Legitimität und Legitimation als Grundvoraussetzung jedweder politischen Ordnung auch und gerade für Imperien von zentraler Bedeutung“ sei.27 Als Teilaspekt einer größeren Fragestellung ermöglicht der Fokus auf imperiale Legitimationsmechanismen neue, weil spezifische Einsichten in die Entstehung politischer Ordnungen.

Gleiches gilt für die Biographik und damit für den vorliegenden Band. Obwohl zumindest die europäische Biographik ein inzwischen relativ intensiv beforschtes Feld darstellt, erweitert ein legitimationssensibler Ansatz das Wissen um historisches wie aktuelles biographisches Schreiben, weil er dessen Bedingungen, Funktionen und Verwendungen in den Blick rückt. Anders formuliert, nähert sich der vorliegende Band stärker als bisher einer praxeologischen Analyse biographischen Schreibens an, die programmatische Intentionen einzelner Autoren konkreten Verwendungsweisen von Verlagen, Rezipienten und Kriti ← 14 | 15 → kern gegenüberstellt. Die dabei auftretenden Widersprüche begründen das produktive Potenzial dieses Ansatzes, denn erst als Summe vermitteln diese Aspekte ein vollständiges Bild biographischen Schreibens als sozialer Praxis. Exemplarisch kann die multiple Legitimationspraxis an Johann Gustav Droysen nachvollzogen werden, für dessen historiographische Arbeiten mindestens fünf Elemente biographischer Legitimation zu identifizieren sind. Auch für das 19. Jahrhundert reicht es nicht, wie in der Forschung zu Droysen oder der Biographik oft geschehen, nur auf seine erkenntnistheoretische Legitimation der Gattung in der Historik (1. Element) zu verweisen. Dadurch werden die wechselseitigen Wirkungen und Zwänge verkannt, die den virulenten politischen Interessen (2. Element), dem gewählten Thema (3. Element), der Methodik, der der Autor verpflichtet ist (4. Element), oder der ästhetischen Präsentation in Eduard Bendemanns Porträt von Droysen (5. Element) inhärent sind.28 Im Falle Droysens stellen alle diese Elemente Legitimitätsressourcen biographischen Schreibens dar, die zum einen auf die Multidimensionalität biographischer Legitimation hinweisen. Indem der legitimitätssensible Ansatz darüber hinaus über die Funktionen der historischen Forschung im Historismus aufklärt, weil er die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts als „kulturelle[s] Produk[t] ihrer Zeit“ konturiert,29 liefert er zum anderen den in Aussicht gestellten übergreifenden Beitrag, der Legitimationsmechanismen nicht isoliert, sondern im Kontext ihrer jeweiligen Praxis liest.

Diese Wechselbeziehung zwischen biographischem Schreiben und der je spezifischen Umwelt, in der es stattfindet, steht auch im Mittelpunkt der hier versammelten Beiträge. Das angedeutete breite Spektrum der Bedeutungen von Legitimation nehmen sie dabei insofern auf, als sie erstens Analysen zu ausgewählten Beispielfällen für Rechtfertigungen biographischen Schreibens darstellen. In den verschiedenen Studien werden an konkreten Fällen die Herstellung, aber auch Infragestellung und Fragilität biographischer Legitimation diskutiert. Zweitens fragt der Band nach Gesetzmäßigkeiten, Regeln und übergreifenden Mustern, um sich biographiespezifischen Elementen von Legitimation anzunähern. Da das eine Querschnittsaufgabe aller Artikel ist, sind sie in diesem Sinne als eine Art Einheit zu lesen. Bevor im übernächsten Abschnitt der Versuch einer systematischen Synthese dieser Elemente unternommen wird, die als Ausgangspunkte für künftige Präzisierungen zu verstehen ist, soll ← 15 | 16 → zuvor noch kurz darauf eingegangen werden, auf welcher Grundlage die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Legitimationsmechanismen aufbauen kann.

Theoretische Zugriffe: Legitimation als Forschungsgegenstand

Um die Mechanismen der Legitimierung biographischer Texte in den Blick zu bekommen, bietet es sich an, zunächst jene (sozial-)wissenschaftlichen Überlegungen zu beleuchten, die ähnlichen Fragestellungen nachgehen. So wurden insbesondere in politikwissenschaftlichen und soziologischen Zusammenhängen Ansätze entwickelt, die für den Kontext dieses Bandes von Interesse sind.30 Ausgehend von soziologischen und politikwissenschaftlichen Reflexionen, in denen es um Aspekte der Legitimität von Herrschaft geht, lässt sich zunächst ganz grundsätzlich festhalten, dass das Phänomen ‚Legitimation‘ aus deskriptiver oder aus normativer Perspektive fokussiert werden kann.31 Im Hinblick auf das Verständnis von Legitimation als deskriptivem Konzept wird zumeist auf Max Weber rekurriert, der ausmachen zu können meinte, dass sich jede Herrschaft darum bemühe, „den Glauben an ihre ‚Legitimität‘ zu erwecken und zu pflegen“.32 Weber erhebt Legitimität zu einer zentralen Kategorie seiner Herrschaftstypologie, die er ausgehend vom jeweiligen Legitimitätsanspruch bekanntlich in drei reine Typen legitimer Herrschaft ausdifferenziert: die traditionale, die charismatische und die rationale Herrschaft.33 Dabei leite sich die Legitimität von jeweils anderen Voraussetzungen ab: Der Glauben an die Legitimität der traditionalen Herrschaft beruhe „auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen“, die Legitimität der charismatischen Herrschaft beruhe auf der „außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“ und schließlich basiere die Legitimität der rationalen ← 16 | 17 → Herrschaft „auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen“.34 Hervorzuheben ist hier, dass Grundlage der Legitimität also erstens Eigenschaften sein können, die einer Person zukommen, weil diese in einer bestimmten Tradition steht bzw. die ihr aufgrund persönlicher Besonderheit zugeschrieben werden. Daneben kann zweitens die Basis der Legitimität aber auch unpersönlicher Natur sein, wenn sie auf sachliche („gesatzte“) Ordnungen zurückgeht und sich im Rahmen der formalen Einhaltung spezifischer Verfahren bewährt. Während Weber davon ausgeht, dass Legitimität letztlich stets die Grundlage von funktionierender Herrschaft ausmache, argumentieren Vertreter eines normativen Konzepts, dass Legitimation eigentlich nur eine Kategorie zur moralischen Beurteilung von Herrschaft sei. Politische Gebilde können in dieser Perspektive sehr wohl effektiv funktionieren, ohne deshalb legitim zu sein bzw. sich um Legitimität bemühen zu müssen.35

Ohne den Verästelungen und unterschiedlichen Akzentuierungen der Debatten um Legitimation und Legitimität von Herrschaft im Einzelnen folgen zu können,36 soll hier lediglich auf eine weitere unterschiedliche Perspektivierung aus der demokratietheoretischen Forschung eingegangen werden, die für die Beschäftigung mit biographischer Legitimation interessant ist und in gewisser Hinsicht mit der Frage danach, ob Legitimation ein deskriptives oder normatives Konzept ist, zusammenhängt. Die Rede ist von der Differenzierung zwischen Input- und Output-Legitimation. Dabei legen die beiden Varianten unterschiedliche Akzente auf die Rolle der Beherrschten: Während im Kontext der Input-Variante politische Entscheidungen dann legitim sind, „wenn sie von den authentischen Präferenzen der Mitglieder einer Gemeinschaft abgeleitet werden können“, legitimieren sie sich in der Output-Variante, „wenn und weil sie auf wirksame Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen fördern“.37 In der politischen Praxis werden beide Verfahren komplementär genutzt, wobei die jeweilige Grundlage der Legitimation unterschiedlich ist: (prinzipielle) Zustimmung einerseits und Nützlichkeit andererseits. Im ersten Fall wird die Legitimität von Entscheidungen mit dem Wahlakt begründet. Das Volk wählt jene Vertreter, deren Konzepten und Vorschlägen es am ehesten zustimmt, die es letztlich mit einem Vertrauensvorschuss ausstattet, indem es ← 17 | 18 → ihnen zutraut, anstehende Probleme in zustimmenswerter Weise lösen zu können. Im zweiten Fall gründet die Legitimität auf dem positiven Effekt, den bestimmte Entscheidungen für die Bürger zeitigen. So nehmen etwa internationale Organisationen in vielen Weltregionen quasi-staatliche Aufgaben wahr, was in der Regel solange als legitim gilt und nicht in Frage gestellt wird, solange sich deren Wirken als nützlich und hilfreich erweist. Deutlich wird hier, dass die Legitimierung der Entscheidungen zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten stattfindet: im Vorhinein oder im Nachhinein.

In der soziologischen und politikwissenschaftlichen Forschung findet sich daneben ein Ansatz zur Auseinandersetzung mit Legitimation, der im Kern auch schon bei Weber angelegt ist, wenn es ihm im Rahmen der rationalen Herrschaft um den Glauben an die Legitimität auf Grundlage korrekter Verfahren geht. Die Konzentration auf die Legitimität durch Verfahren rückt weniger die Ergebnisse bestimmter Entscheidungsprozesse ins Zentrum, als vielmehr die Art und Weise ihres Zustandekommens. So betont Niklas Luhmann: „Verfahren finden eine Art generelle Anerkennung, die unabhängig ist vom Befriedigungswert der einzelnen Entscheidung, und diese Anerkennung zieht die Hinnahme und Beachtung verbindlicher Entscheidungen nach sich.“38 Legitimation erscheint vor diesem Hintergrund als ein Effekt, der sich am Ende eines Prozesses einstellt und in dessen Rahmen Entscheidungen und Ergebnisse, die dieser Prozess zeitigt, dann akzeptiert werden, wenn er nach spezifischen Regeln abgelaufen ist.

Ein solches prozessurales Verständnis von Legitimation liegt auch diesem Band zugrunde: Eine biographische Erzählung wird dann als legitim wahr- und angenommen, wenn bestimmten Regeln folgend spezifische Techniken, Strategien und Mechanismen zum Einsatz kommen. Auch wenn nicht alle der skizzierten Ansätze eins zu eins auf Fragen der biographischen Legitimation zu übertragen sind (oder eine Übertragung in jedem Fall sinnvoll wäre), können einzelne Vorannahmen und Elemente aus den kurz angerissenen politikwissenschaftlichen und soziologischen Überlegungen dennoch für sie produktiv gemacht werden. Sie differenzieren den Blick auf biographisches Schreiben, indem sie seine Legitimationsmechanismen detaillierter beschreibbar machen. So lassen sich im Anschluss an (und in Variation von) Weber zunächst allgemein drei mögliche (miteinander kombinierbare) Grundlagen der Legitimation ausmachen: (1) kodifizierte Legitimität, (2) traditionale Legitimität und (3) personale Legitimität. So kann etwa einer biographischen Darstellung Legitimität deshalb zugeschrieben werden, weil sie (1) in Übereinstimmung mit kodifizierten Ordnungen (formal fixierten Regeln in Poetiken, Historiken etc.) ← 18 | 19 → zustande gekommen ist. Historische Beispiele dafür stellen etwa Johann Georg Wiggers Ueber die Biographie (1777) dar, ein proto-wissenschaftliches Traktat zur theoretischen Bestimmung und praktischen Anleitung von Biogra-phen,39 und nicht zuletzt auch Droysens Historik von 1857, in der er die Biographie als eine von vier möglichen Darstellungsformen des Historikers systematisch, d.h. mit bestimmten Aufgaben und Erkenntnisinteressen in der Geschichtswissenschaft des Historismus verortet.40 In beiden Fällen wurden sowohl generell das Genre Biographie als auch konkrete Texte legitimiert, die den aufgestellten Regeln gefolgt waren. Ein biographischer Text kann daneben Legitimität entfalten, weil er (2) mit bestimmten nicht kodifiziert überlieferten, aber in einem weiteren Sinne tradierten Ordnungen (etwa spezifischen Subjektkonzepten oder Erzählmustern) korrespondiert. Ein Beispiel dafür wäre die (heute oft problematisierte) Konvention, biographisches Erzählen chronologisch anzulegen und mit der Familie und der Jugend der Protagonisten zu beginnen. Auch wenn diese Erzählungen nicht zu Ende geführt werden (wie das im Fall von bemerkenswert vielen biographischen Werken des 19. Jahrhunderts, die auf mehrere Bände angelegt waren, durchaus zu beobachten ist),41 entsprechen sie dennoch der weithin akzeptierten Grundthese, dass diese beiden Kontexte (Familie und Jugend) auf entscheidende Weise prägend sind. Ferner können (3) bestimmte Eigenschaften des Biographen (Etablierung im biographischen Feld etc.) dazu beitragen, dass eine Biographie als legitim rezipiert wird. Ein Beispiel hierfür ist die Rezeption von Wolfgang Hildeshei-mers Biographie über den Kunsttheoretiker Andrew Marbot, die nach ihrem Erscheinen 1981 auch deshalb so intensiv diskutiert wurde, weil sich Hildesheimer mit seiner Mozart-Biographie nur wenige Jahre zuvor als Biograph ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geschrieben hatte.42 Dass Hildesheimer seine Reputation als Biograph dazu nutzte, um mit den Möglichkeiten des Biographischen zu spielen und dessen Grenzen auszuloten, stellte sich erst später heraus als er seiner irritierten Leserschaft offenbarte, dass Andrew Marbot nie ← 19 | 20 → existiert hatte, sondern allein seine Erfindung gewesen war. Wäre Hildesheimer nicht schon als Biograph nachhaltig etabliert gewesen, hätten Rezipienten vielleicht schon viel früher danach gefragt, wer Marbot eigentlich gewesen sei und was ihn für eine Biographie prädestiniert hätte – und wären Hildesheimer damit schnell auf die Schliche gekommen.

Die Differenzierung in Input- und Output-Legitimation ist deshalb für den biographischen Kontext relevant, weil sie weitere Facetten des Phänomens Legitimation in den Blick rückt, indem sie etwa betont, dass Legitimierung ein Prozess ist, der bereits vor der eigentlichen Textproduktion einsetzt und mit dem Ende der Textrezeption nicht abgeschlossen ist. Denn im Rahmen der Input-Legitimation ist es (neben etwa der Person des Biographen, die auch schon im Hinblick auf die personale Legitimität aus einer anderen Perspektive eine Rolle spielte) zum Beispiel ein auf dem Feld der Biographik besonders prestigereicher Verlag oder ein parallel erschienenes Buch, das zur Legitimation eines biographischen Textes beitragen kann. Dass damit auch potenziell delegit-mierende Wahrnehmungen einhergehen können, zeigt eine Besprechung der Schiller-Biographie von Peter-André Alt.43 Der Rezensent der FAZ stellte fest, dass sie in einem Verlag erschienen war, der kurz zuvor auch eine sehr positiv bewertete Goethe-Biographie eines anderen Autors publiziert hatte und leitete daraus Erwartungen an die als Folgepublikation wahrgenommene Studie Alts ab – „Ist das Vortreffliche einmal in der Nähe, dann setzt es sich auch zum Maßstab“44 – denen die Schiller-Biographie aus Rezensentensicht allerdings nicht gerecht wurde. Spezifische Rahmenbedingungen im Kontext der Produktion tragen in dieser Perspektive also dazu bei, dass einer biographischen Darstellung schon im Vorhinein ein Legitimationsvorschuss eingeräumt wird – oder eben gerade nicht. Demgegenüber setzt die Output-Legitimation an den Resultaten an und bietet einen Erklärungsansatz dafür, dass auch biographische Darstellungen, die ohne (oder mit wenig) Legitimationsvorschuss vor die Leser treten, sich als besonders gelungene und legitime Biographien durchsetzen können, weil im Rahmen der eingehaltenen Verfahren überzeugende Ergebnisse geliefert werden. Lothar Galls Bismarck-Biographie von 1980 war so ein Fall,45 denn in einer Zeit verfasst, in der biographischen Darstellungen in der von der Sozialgeschichte dominierten Geschichtswissenschaft beinahe jede Legitimation abgesprochen wurde, konnte sie selbst schärfste Kritiker überzeugen. Während zum Beispiel Hans-Ulrich Wehler Biographien zuvor ← 20 | 21 → noch als „individualistisch[e] Zuspitzung“ der Geschichte verworfen hatte,46 änderte er nach Galls Band seine Meinung. Galls Darstellung war so überzeugend, dass selbst Wehler ihr attestierte, sich auf „Höhe der gegenwärtigen internationalen Diskussion“ zu bewegen und ihr ein „reiches Maß an selbständigen Analysen und Deutungen“ zugestand.47

Die hier skizzierte Annäherung an das Phänomen der Legitimation profiliert sie als Effekt eines Verfahrens, in dem historische Kontexte und kulturelle Traditionen besondere Relevanz besitzen. Daneben spielen Akteure (Biographen, Biographierte, Leser) und spezifische Rahmenbedingungen der Produktion und Rezeption ebenso eine Rolle wie Fragen nach den Techniken biographischen Erzählens (etwa nach der Korrespondenz der biographischen Darstellung mit kodifizierten oder tradierten Ordnungen). Quer zu diesen Aspekten sind immer auch die Fragen nach den Ausschlüssen und Erweiterungsmöglichkeiten biographischer Legitimation zu berücksichtigen. Alle diese Dimensionen werden im vorliegenden Band aufgegriffen und bestimmen seinen Aufbau. Das Anliegen der einzelnen Beiträge ist es dabei allerdings nicht, allen ausgeführten Aspekten gleichzeitig nachzugehen. Vielmehr geht es um Detail analysen, die an konkreten Beispielen text- und kontextnah nach systematischen und historischen Mechanismen von Legitimation fragen. Als eine mögliche Synthese daraus wird im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein erster Entwurf für einen Katalog biographischer Legitimationsmechanismen präsentiert.

Historisch-systematischer Katalog biographischer Legitimationsmechanismen

Da der Legitimationsbegriff, wie gezeigt, aktuell vor allem im rechtswissenschaftlichen und herrschaftssoziologischen Diskurs volatil ist, besteht das synthetische Interesse des folgenden Katalogs von Legitimationsmechanismen des Biographischen darin, ein genaueres Verständnis für die kulturwissenschaftlichen Aspekte von Legitimation zu erarbeiten. „[E]ine Systematisierung ← 21 | 22 → dieser Muster und Entwicklungen [ist] auf eine Untersuchung ihrer historischen Erscheinungsformen angewiesen“,48 notieren Münkler und Hausteiner bezüglich der Legitimationsmechanismen von Imperien. Diese Ansicht ist auch für die folgende Sammlung zentral, denn sie muss systematische mit konkret empirischen Elementen kombinieren, um biographisches Schreiben als kulturelles Phänomen erfassen zu können. Das ist nötig, weil Biographien ein historisch wandelbares Phänomen darstellen, wie pointiert ihre fundamentale Umwertung in der Geschichtswissenschaft zwischen Aufklärung und Historismus zeigt,49 was allerdings nicht bedeutet, dass sie sich einer systematischen Annäherung entziehen.

Der Katalog ist historisch-kontextualisierend aufgebaut, um die Legitimationsmechanismen als Werkzeuge ihrer Zeit verstehen zu können. Damit rücken nicht nur gattungstypologische Elemente in den Mittelpunkt, die in diachroner Perspektive recht stabil erscheinen, sondern wesentlich auch konkrete historische Praxen und Erfahrungen. Insgesamt geht es nicht darum, einen gültigen Kriterienkatalog zu definieren, dessen Befolgung zu einer im höchsten Maße legitimen Biographie führen würde. Vielmehr steht die systematische Rekonstruktion historisch tatsächlich angewandter oder erwarteter Legitimationsmechanismen im Zentrum. Um diesen Empiriebezug einzufangen, wird im Folgenden in runden Klammern auf die Beiträge des vorliegenden Bandes verwiesen, die den jeweils erwähnten Aspekt in Auseinandersetzung mit ihren unterschiedlichen Beispielen diskutieren. Der Katalog ist insofern biographiespezifisch als er nicht auf Geschriebenes allgemein, sondern textsortenbezogen auf literarische und wissenschaftliche Biographik zielt und von ihr ausgeht. Aus dieser Anlage heraus erklärt sich, weshalb der Katalog nicht vollständig sein kann (wenn so etwas überhaupt möglich ist), denn er basiert auf einer lediglich begrenzten Auswahl an Quellen, den Beiträgen dieses Bandes. Darüber hinaus fokussiert der Katalog sowohl das Produkt Biographie, als auch den Prozess seiner Produktion und Rezeption. Diese drei Aspekte stehen in enger theoretischer und praktischer Beziehung, was sich daran zeigt, dass im Rahmen der Biographik unterschiedliche Dinge legitimiert werden: neben der Biographie als Gattung im Allgemeinen (vgl. Beitrag Schamoni) auch die ← 22 | 23 → spezifische Biographie als Text und Verfahren (vgl. u. a. Beitrag Dawson). Hinzukommt, dass sich biographische Legitimation aus der Erfüllung von Legitimationserwartungen ergibt, d.h. Legitimation ein Rezeptionsphänomen ist, auf das sowohl die Produktion als auch das Produkt ausgerichtet werden. In systematischer Perspektive lassen sich daher (1) kontextuelle, (2) personelle, (3) textuelle und (4) quellenbezogene Legitimationsmechanismen unterscheiden.

(1) Kontexte: Wie jeder Text entstehen Biographien in bestimmten zeitlichen, kulturellen und medialen Umgebungen, die erheblichen Einfluss auf das Konzept des Biographischen wie die Anlage und die Form der biographischen Erzählung haben. Diese vielfältigen und wandelbaren Kontexte sind für die Legitimation von biographischen Texten entscheidend, denn sie bestimmten darüber, welche außertextuellen Parameter in welchem Umfang anerkannt werden und welche Folgen sich aus einer Nichtberücksichtigung ergeben. Da es sich oft um implizites Wissen handelt, sind Transformationsphasen, in denen sich dieses zu wandeln beginnt, aus biographiologischer Perspektive besonders aufschlussreich.

        Korrespondenz mit spezifischen Wertesystemen: Mit am besten untersucht ist die Nähe von Biographien zu und ihre Indienstnahme für nationale Projekte oder Narrative.50 In dieser Funktion legitimieren sich Biographien als Ausdruck oder Stützen sozialer Werte, wie sich das für den japanischen Konfuzianismus (vgl. Beitrag Schamoni) oder die Demokratie in der Weimarer Republik (vgl. Beitrag Meid) nachweisen lässt.

        Gegenkorrespondenz: Den Ansatz nationalkonstitutiver Biographik in Frage zu stellen, ist das zentrale Anliegen der transnationalen Biographik (vgl. Beitrag Schweiger).

        Verbindung zum aktuellen Wissensparadigma: Biographien können dadurch legitimiert werden, dass sie einen (anerkannten) Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis leisten. Damit gilt auch die Umkehrung, wie die Kritik an der als veraltet geltenden Fokussierung auf große Männer in der Weimarer Republik zeigt (vgl. Beitrag Meid).

        Zensur: Mit dem Vorwurf, die offensichtlich enthaltene Wahrheit unterdrücken zu wollen, können sich zensierte Biographien als be ← 23 | 24 → sonders authentisch legitimieren (vgl. Beitrag Dawson). Der Versuch, die Wirkung einer Biographie durch ein Verbot zu untergaben, kann sie damit paradoxerweise fördern.

        Funktion: Die Biographien oft eignende didaktisch-exemplarische Funktion kann als solche oder im Rahmen von Bildungsprogrammen für Schulen legitimierend wirken (vgl. Beitrag Schamoni), weil sie das Genre einer größeren Aufgabe verpflichtet.

        Eindeutigkeit: Biographien tendieren dazu, ein Deutungsangebot zu unterbreiten, das das porträtierte Leben unter eine übergreifende These stellt und dadurch vermeintlich erklärt (vgl. Beitrag Schweiger). Gattungstypologisch ist dieses Vorgehen nicht zwingend,51 lässt sich textgeschichtlich aber überwiegend nachweisen.

        Medienspezifik: Legitimation kann aus der Wahl der Medien biographischen Erzählens entstehen, etwa dann, wenn im Fernsehen Aktualität und Gegenwärtigkeit evoziert werden kann (vgl. Beitrag Hickethier) oder wenn Filme Zusammenhänge, Entwicklungen oder Emotionen anders als Texte in ihrer Linearität transportieren können (vgl. Beitrag Bauer). Im Film kann darüber hinaus der biographische Pakt durch den Einsatz spezifisch filmischer Mittel gebrochen werden – etwa durch Szenen in Farbe, die anzeigen, dass es sich um nachgespielte Episoden handelt und Schwarz-Weiß-Szenen, die originales Bildmaterial darstellen (vgl. Beiträge Bauer u. Hickethier). Der Eindruck biographischer Unmittelbarkeit kann auch über den Einsatz von Musik plausibilisiert und gesteigert werden (vgl. Beitrag Unseld), während über die Erzählungen in Porträt-Gemälden die textuelle Linearität aufgehoben werden kann (vgl. Beitrag Pahl).

        Kontrolle: (Online-)Medien können – wie z. B. die deutsche Wikipedia – ihre Biographien vor der Veröffentlichung durch interne Kontrolle autorisieren oder – wie die italienische Wikipedia – darauf verzichten (vgl. Beitrag Baillot/Schöch), wodurch sie je unterschiedliche Legitimationsstrategien für sich in Anspruch nehmen.

        Ökonomie/Marktmacht: Wenn eine Nachfrage vorhanden ist, werden Biographien produziert (vgl. Beitrag Friederich). Das Genre wird damit über seinen wirtschaftlichen Erfolg wie seine Rezeptionsreichweite legitimiert. ← 24 | 25 →

(2) Personen: In der Regel (lässt man einmal sog. Sachbiographien beiseite) handelt jede Biographie von Personen. Mit Produzenten und Rezipienten sind über den Biographierten hinaus immer auch weitere Personen eingebunden, weshalb personenbezogene Mechanismen eine wesentliche Rolle im Hinblick auf biographische Legitimation spielen. Personenbezogene Legitimitätsmechanismen können sich auf die Person des Biographen, des biographischen Objekts oder auf Dritte wie zum Beispiel Zeugen oder die Leserschaft beziehen. Damit geht keine scharfe Trennung einher, denn einzelne Mechanismen können für mehrere oder alle Gruppen relevant sein, ohne dass das regelhaft so sein müsste.

        Augenzeugenschaft: Handelt es sich beim Biographen zugleich um einen Augenzeugen, kann das seine Biographie als gut informiert und nah am biographischen Objekt legitimieren (vgl. Beiträge Dawson u. Bosco). Vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich diese Nähe mit wissenschaftlicher Objektivität nicht vertrage, ist aber auch der gegenteilige Effekt möglich.

        Unparteilichkeit: Nimmt der Biograph keinen Standpunkt ein, sondern berichtet – soweit das möglich ist – als neutrale Instanz, kann das die Glaubwürdigkeit seines Textes erhöhen (vgl. Beitrag Dawson).

        Geschlecht: Wie andere Gattungen auch wurden Biographien vergeschlechtlicht. Das betraf zum einen die Autorrolle, die lange Zeit nur für Männer akzeptiert war,52 und die im 19. Jahrhundert (und darüber hinaus) grundsätzlich männliche Konzeption von Wissenschaft.53 Zum anderen betraf es die mitzuteilenden Inhalte, die etwa im 19. Jahrhundert – um seriös, wissenschaftlich und darin ‚männlich‘ sein ← 25 | 26 → zu können – auf das öffentliche Leben begrenzt wurden.54 Die Annahme, eine besondere persönliche Nähe zum Biographieobjekt sei erkenntnisfördernd (Augenzeugenschaft), kann umgekehrt allerdings auch zur Legitimation von Biographien von Frauen über Frauen beitragen.

        Gruppenzugehörigkeit: Die Zugehörigkeit von Autoren zu bestimmten religiös-weltanschaulichen Gruppen oder ihr Ausschluss daraus, tragen zur Glaubwürdigkeit und Legitimation als Biograph bei. Auch hier kann allerdings das Gegenteil der Fall sein, wie an der Delegitimation der Biographie eines jüdischen Autors gezeigt werden kann (vgl. Beitrag Meid).

        Reputation: Ist der Biograph schon durch andere Veröffentlichungen im Feld etabliert, kann das zur Legitimation einer neuen Biographie beitragen (vgl. Beitrag Busch). Die aus diesen vorgängigen Publikationen resultierende Reputation wird in solchen Fällen auf den neuen biographischen Text übertragen.

        Prominenz: Ist die biographierte Person bekannt, muss ihre biographische Würdigung nicht begründet werden, weil sie als selbstevident gilt (vgl. Beitrag Hickethier).

        Identifikation: Die Darstellung wirkt überzeugender, wenn die Leser sich in der Person des biographischen Objekts wiedererkennen können (vgl. Beitrag Pahl). Dieser Punkt berührt sowohl die Auswahl des biographischen Objekts – deren öffentliche Anschlussfähigkeit historischen und sozialen Konjunkturen unterworfen ist – als auch die Form der Darstellung, die die Erzählweise prägt.

        Zeugenschaft: Möglichst prominente Zeugen, die als Quellen dienen und im Text erwähnt werden, oder die die vorliegende Darstellung textextern bestätigen, tragen zur Legitimation der biographischen Erzählung bei (vgl. Beitrag Dawson). Auch in dieser Konstellation profitiert der biographische Text von originär externer Reputation.

(3) Text: Neben den Kontexten und den Personen ist es der biographische Text selbst, der wesentlichen Anteil daran hat, ob eine Biographie als legitim rezipiert wird oder nicht. Damit ein bestimmter Text als zuverlässige und überzeugende biographische Darstellung akzeptiert wird, steht eine Reihe an textbezogenen Legitimationsmechanismen zur Verfügung, die – wie die biographischen Legitimationsmechanismen überhaupt – historisch und kulturell variabel ← 26 | 27 → sind. Dabei ist festzuhalten, dass die textbezogenen Legitimationsmechanismen nur im Hinblick auf die jeweiligen biographischen Diskurse sinnvoll zu betrachten sind, für die sie geschrieben wurden, denn eine wissenschaftliche Biographie muss beispielsweise textuell anders legitimiert werden als eine populäre Biographie.

        Texttraditionen: Grundsätzlich gilt, dass sich jeder biographische Text zu vorgängigen biographischen Texten verhält und sich damit zu spezifischen Biographien ins Verhältnis setzt. Legitimierend wirkt dabei zumeist, wenn sich ein Text in die spezifischen Traditionen einpasst (vgl. Beitrag Ehrmann), je nach herrschendem Paradigma kann aber auch gerade eine kritische Positionierung zu den etablierten Traditionen legitimierend wirken.

        Korrektur: Je nachdem, ob es über eine biographierte Person bereits vorgängige Biographien gibt oder nicht, können die Biographen ihre Arbeit dadurch legitimieren, dass sie sich kritisch mit den Vorläufern auseinander- und von ihnen absetzen. Dabei können die Veränderungen zum einen inhaltlich begründet sein: Neues Material und neue Quellen sind aufgetaucht, mit dessen/deren Hilfe bestimmte Lücken geschlossen werden können. Daneben können neue methodische Erkenntnisse, die im Rahmen einer Neubearbeitung zu beachten sind oder neue Fragestellungen, die an das Leben des Biographierten heranzutragen sind, als Gründe für eine Neubearbeitung ins Feld geführt werden. Im Hinblick auf spezifische Erzähltraditionen lassen sich zum anderen auch Neubearbeitungen mit Verweisen auf stilistische und sprachliche Notwendigkeiten zur Überarbeitung und Aktualisierung oder mit Verweisen auf eine Neuordnung des Materials begründen (vgl. Beitrag Berschin).

        Darstellungsebene/Erzählverfahren: Neue erzählerische Modi können dann legitimierend wirken, wenn sich aus der sprachlichen Differenz ein Mehrwert ergibt (vgl. Beitrag Hickethier).

        Offenlegen der Methode: Die biographische Darstellung kann sich dergestalt legitimieren, dass sie aktuell oder allgemein anerkannten methodischen Standards verpflichtet ist und das entsprechend ausweist. Sie kann sich aber auch ganz explizit auf einen bestimmten methodischen Ansatz verpflichten, der möglicherweise nicht allgemein anerkannt ist; aber die Ausdrücklichkeit des Verweises steigert dennoch die Legitimität. So hat sich Golo Mann in seiner Wallenstein-Biographie einem speziellen, nicht mehrheitsfähigen einfühlsamen Historismus verschrieben, dieses aber offen gelegt (vgl. Beitrag Schlegelmilch). ← 27 | 28 →

Details

Seiten
394
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783035108927
ISBN (ePUB)
9783035197617
ISBN (MOBI)
9783035197600
ISBN (Paperback)
9783034314671
DOI
10.3726/978-3-0351-0892-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Lebensgeschichte Biograph Biographieforschung
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2016. 384 S.

Biographische Angaben

Christian Klein (Band-Herausgeber:in) Falko Schnicke (Band-Herausgeber:in)

Christian Klein ist Akademischer Rat (a.Z.) für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, Mitglied des dortigen Zentrums für Erzählforschung und Gründungsmitglied des Zentrums für Biographik. Forschungsschwerpunkte neben der Biographik sind Rezeptionsforschung (Kultbücher), Narratologie, Gegenwartsliteratur und Comics. Falko Schnicke war nach seiner Promotion an der HU Berlin Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Hamburg und ist seit 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHI London. Seine Forschungsschwerpunkte neben der Biographiegeschichte sind die Kulturgeschichte der Politik im 20. Jahrhundert, Wissenschaftsgeschichte sowie Geschlechter- und Körpergeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts.

Zurück

Titel: Legitimationsmechanismen des Biographischen
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
395 Seiten