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Was Ist Leben?

Naturphilosophische Grundlagen der Medizin

von Piet van Spijk (Autor:in)
©2014 Monographie 297 Seiten

Zusammenfassung

Spätestens dann, wenn sich das Fest dem Ende zuneigt, wenn Krankheit, Alter und Tod sich melden, möchten die meisten von uns das Leben doch zumindest ein wenig verstehen. In der vorliegenden Arbeit stellt der Autor – an Philosophen wie Leibniz, Schelling und Whitehead anknüpfend – die Hypothese auf, dass nicht tote Dinge, sondern lebende Organismen Grund und Ursprung der Welt sind. Leben wäre demnach als grundlegendes Prinzip gesetzt und das Tote wäre diesem als erschöpftes Leben, das seine Vielfalt und Komplexität verloren hat, nachgeordnet.
Die theoretischen Konsequenzen einer solchen organismischen Weltsicht sind vielfältig und werden der Reihe nach besprochen. Der Leser wird dabei zu einer spannenden und abenteuerlichen Reise durch wichtige Gebiete der Philosophie eingeladen.
Der Autor – zugleich Arzt und Philosoph – zeigt auf, dass diese neuen Wege des Denkens auch auf der praktischen Ebene vielversprechend sind und beispielsweise mithelfen können, eine «integrative Medizin» zu begründen, welche diesen Namen auch tatsächlich verdient.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Gängige Konzeptionen von Leben und ihre Unzulänglichkeiten
  • 1. Naturphilosophische Theorien in der gegenwärtigen Schulmedizin
  • 2. Das substanzontologische Verständnis von Leben und seine Unzulänglichkeiten
  • 3. Der dualistische Körper-Seele Interaktionismus und seine Unzulänglichkeiten
  • 4. Der physikalische Monismus und seine Grenzen
  • 5. Probleme im evolutiven Verständnis des Lebens
  • 6. Zwischenbilanz
  • 7. Leben kategorial neu fassen
  • II. Die grundlegenden Bausteine der Welt sind Organismen
  • 1. Atome in eine neue Ordnung gebracht
  • 2. Doppelaspekte der Atome
  • 3. Einfache und komplexe A-tome
  • 4. Organismen
  • III. Allen Organismen kommen dieselben grundlegenden Kategorien zu
  • 1. Die grundlegenden Kategorien des Lebens im Überblick
  • 2. Der physische Pol
  • a. Physische Daten
  • b. Affektive Tönungen
  • c. Kräfte und Kraftfelder als Kombination von physischen Daten und affektiven Tönungen
  • 3. Zeichen und Zeichensysteme
  • a. Ideen
  • b. Zeichen
  • c. Zeichensysteme oder Codes
  • 4. Der geistige Pol
  • a. Die Verbindung von Ideen mit affektiven Tönungen
  • b. Die Seele und deren ontologischer Status
  • 5. Der kategoriale Kontext der aE/aO
  • a. Kreativität
  • b. Vielheiten und deren Abgrenzung
  • c. Das Eine, die Einheit
  • 6. Das Sauerstoffatom als Organismus – ein Anwendungsbeispiel
  • a. Die Grundkategorien des Lebens im Sauerstoffatom
  • b. Spekulative Metaphysik und der Anthropomorphismus-Vorwurf
  • IV. Ergänzung (1) Erkenntnistheorie
  • 1. Erkenntnistheorie als Teil einer allgemeineren Theorie des Erfassens
  • 2. Zeichenbeziehungen
  • a. Zeichen und Objekte – die semantische Beziehung
  • b. Zeichen und Interpret – die pragmatische Beziehung
  • c. Das Zeichen als Objekt
  • 3. Theorie des Erfassens
  • a. Allgemeines
  • b. Das (physische) Erfassen
  • c. Die Erfüllung
  • d. Die Objektivierung
  • e. Der Konkretisierungsprozess
  • V. Einfache und komplexe Organismen
  • 1. Der Code
  • a. Allgemeines
  • b. Atomarer Zahlencode
  • c. Der Gencode
  • d. Der humoral vermittelte Code
  • e. Der neuronal vermittelte Code
  • f. Der Sprachcode
  • 2. Genealogie der Codes
  • 3. Code und Erkenntnis
  • a. Die Hierarchie der Codes und ihre Interaktionen
  • b. Das vorrangige Erfassen
  • c. Gestalt und Gestaltbildung
  • VI. Ergänzung (2): Organismen als Einheit
  • 1. Der Teil, das Ganze und die Einheit
  • a. Der Begriff der ‚Einheit‘
  • b. Stufenleiter der Verbundenheit
  • c. Von der Vielheit zur Ganzheit und Vereinheitlichung
  • d. Ganzheit versus Einheit
  • 2. Einheit in der Philosophy of Organism
  • a. Werdens- und Konkretisierungsprozesse als Einheit
  • b. Raum und Zeit – absolut und relativ
  • c. Einheiten sind nicht in Raum und Zeit
  • d. Die Einheit der Prozesse
  • 3. Quantenphysik und Philosophy of Organism
  • a. Die Gemeinsamkeiten
  • b. Superpositionen
  • c. Verschränkungen
  • d. Dekohärenz
  • 4. Die Philosophy of Organism und die konzeptuellen Probleme der Quantenphysik
  • a. Dekohärenz und Erfüllung
  • b. Die Schrödinger Dynamik als Einheit des Werdens
  • c. Vom Sein zum Werden und vom Werden zum Sein
  • d. Die Beziehung der Quantenobjekte zur makroskopischen Welt
  • 5. Makroskopische Prozesse als Einheit verstanden
  • a. Verschränkungen beim Menschen – eine Annäherung
  • b. Verallgemeinerte Quantentheorie (VQT)
  • c. Verallgemeinerte Quantentheorie und Philosophy of Organism
  • d. Subjektiv erlebte Einheit – Das Selbstgefühl
  • e. Entzweiung
  • VII. Gegenstände und Organismen
  • 1. Was sind Gegenstände?
  • 2. Naturgesetze
  • 3. Verschiedene Arten von Nexūs
  • 4. Von ganz grossen und ganz kleinen Gesellschaften
  • VIII. Evolution
  • 1. Evolutionstheoretische Glaubensgrundsätze
  • a. ‚Evolution‘ – eine Erfolgsgeschichte
  • b. Andere Kulturen, anderer Glaube
  • c. Die empirischen Grundlagen des Aufstiegsglaubens
  • 2. Kritik der neodarwinistischen Evolutionstheorie
  • a. Externe Kritik
  • b. Interne Kritik – das Problem der sog. präbiotischen Evolution
  • c. Interne Kritik – das Problem der Händigkeit, der Konvergenzen und der Evolutionseinheit
  • d. Interne Kritik – das Problem des Schönen
  • 3. Neue Horizonte in der Evolutionsforschung
  • a. Die genetische Dimension
  • b. Die epigenetische Dimension
  • c. Die Verhaltensdimension
  • d. Symbolische Dimension
  • e. Umwelteinflüsse und genetische Assimilation
  • f. Die vier Dimensionen der Evolution und die dazugehörigen Codes
  • 4. Das Neue und die Evolution
  • a. Das Neue als quantitative Veränderung von Bestehendem
  • b. Das Neue als Ausbildung von neuen Kontrasten
  • c. Das Auftreten von genuin Neuem
  • 5. Metaphysik des Neuen in der Philosophy of Organism
  • a. Pan-(proto-)Psychismus und Pan-(proto-)Logismus in der Philosophy of Organism
  • b. Neues als qualitative Veränderung von etwas bereits Bestehendem in der Philsophy of Organism
  • c. Neues als Ausdifferenzierung und Einführen zusätzlicher Kontraste
  • d. Genuin Neues in der Philosophy of Organism
  • IX. Zusammenfassung und praktische Konsequenzen
  • 1. Zusammenfassung
  • a. Philosophie der Organismen
  • b. Vom Werden zum Sein, vom Sein zum Werden
  • c. Das Werden des Werdens
  • 2. Philosophie der Organismen und die Medizin
  • a. Die Konsequenzen für die Medizin als Wissenschaft
  • b. Eine integrative Theorie der Medizin
  • Glossar
  • Literaturverzeichnis
  • Personen und Sachregister

Einleitung

Du musst das Leben nicht verstehen

Dann wird es werden wie ein Fest.

Und lass dir jeden Tag geschehen

So wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen

Sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

Es löst sie leise aus den Haaren,

drin sie so gern gefangen waren,

und hält den lieben jungen Jahren

nach neuen seine Hände hin.

R. M. Rilke

Diese Arbeit ist die Frucht meines Unbehagens als praktisch tätiger Arzt. Und sie ist das Resultat der Suche nach einem festen Fundament für die westliche Medizin, welche heute als eine Burg erscheint, die auf Sand gebaut, immer grösser werdende Rissen in ihrer einst so glänzenden Fassade zeigt. Vor Zeiten gab die (christliche) Religion der Medizin einen festen Grund. Dazu ist sie heute nicht mehr in der Lage. So sind in der zweiten Hälfte des 19. und im Laufe des 20. Jahrhunderts die (Natur-)Wissenschaften in die Bresche gesprungen. Die Medizin wurde zu einem Teil eines Wissenschafts- und Technikbetriebs, der gegenwärtig fast täglich mit neuen Errungenschaften auftrumpft und der, unterstützt von entsprechendem medialem Getöse, immer wieder den baldigen, endgültigen Sieg über Krankheit und Leiden verkündet. Ein Anliegen dieser Arbeit besteht darin, die Fraglosigkeit, mit welcher solches geschieht, zu durchbrechen und wieder Fragen zu stellen, die über das Technische und Naturwissenschaftliche hinausgreifend das Fundament der Medizin selbst zur Diskussion stellen. Die Chancen, dass dies Beachtung finden wird, stehen gegenwärtig gut. Denn das von mir eingangs erwähnte Unbehagen und die Risse in der Fassade (und zunehmend auch in den tragenden Strukturen) der westlichen Schulmedizin werden immer offensichtlicher: Da sind zum einen ← 13 | 14 → die stetig steigenden Kosten, welche zunehmend Sorge bereiten. Zum anderen kehrt ihr die Bevölkerung oftmals den Rücken zu und sucht sich in alternativen Medizinalsystemen Hilfe. Die Ärzte beklagen bei sinkendem Einkommen und Sozialprestige eine zunehmende Bürokratisierung ihrer Tätigkeit, eine immer stärker werdende Vereinnahmung durch Fremdinteressen und das Verschwinden einer industrieunabhängigen Forschung.

Die vorliegende Arbeit geht von der Hypothese aus, dass die heutige Krise der Medizin nicht in erster Linie eine solche der Finanzierung, der erlahmenden Forschung oder böswilliger Politiker, sondern eine Krise ihres theoretischen Fundaments darstellt.

Die Medizin ist in erster Linie eine aufs Praktische ausgerichtete Disziplin. Das aktive (und häufig auch schnelle) Handeln zugunsten von leidenden Menschen war und ist erstes Gebot eines jeden medizinisch Tätigen. Die Patienten und die Gesellschaft haben wenig Verständnis dafür, wenn sich Ärzte und andere im Gesundheitswesen Tätige von den Kranken, Verletzten und Gebrechlichen abwenden, sich in die Studierstube zurückziehen und über Theorien nachzudenken beginnen.

Jede praktische Tätigkeit ist aber immer und notwendigerweise auf eine entweder implizit oder explizit mitgeführte Theorie angewiesen. Selbst bei einfachen Tätigkeiten des Alltags ist das der Fall. Erst recht gilt dies, sobald es um komplexe Handlungen wie z. B. Operationen oder Medikamentenverabreichungen geht. Solche Tätigkeiten werden immer auf dem Boden ziemlich komplexer Theorien ausgeführt, welche Erfahrung so aufbereiten, dass sich daraus praktische Handlungen ableiten lassen und beispielsweise aussagen, wie sich Menschen verhalten, wenn man mit einem Skalpell in sie hineinschneidet oder sie chemische Substanzen einnehmen lässt.

In früheren Zeiten ist es Ärzten immer wieder gelungen, sich über das Praktische hinaus auch mit theoretischen Fragen auseinanderzusetzen. So waren Hippokrates und Galen nicht nur grosse Ärzte, sie steuerten auch für die Theorie der Medizin Wichtiges bei. Hippokrates beispielsweise war ein Förderer der Empirie und des wissenschaftlichen Denkens in der Medizin. Die Schrift ‚über die heilige Krankheit‘ steht exemplarisch für diesen Ansatz. Galen hat als erster eine umfassende, allgemeine Gesundheitslehre geschrieben, welche bis in die Gegenwart Vorbildcharakter behalten hat. Ähnliches hat es seither immer wieder gegeben. Namen wie ← 14 | 15 → Pietro Pomponazzi, Paracelsus, Christian Hufeland und Rudolph Virchow stehen für wichtige theoretische Beiträge durch Ärzte in der Medizin. Im 20. Jahrhundert ist es nach Sigmund Freud in dieser Hinsicht sehr ruhig geworden. Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, an diesem Umstand etwas zu ändern und die theoretischen Grundlagen der Medizin wieder zum Thema zu machen.

Indem die Medizin den Menschen als Lebewesen behandelt und dessen Leben stärken, fördern und schützen will, hat sie Leben als ein ganz zentrales und fundamentales Element im Blickfeld. Und so wird diese Arbeit vom Leben handeln.

Wenn sich die Frage „Was ist Leben?“ auf der einen Seite zum Menschen hin öffnet und die Grundlage für ein besseres Verständnis des Menschen ermöglichen kann, so betrifft sie auf der anderen Seite die unbelebte Welt, von der sich Leben ja notwendig unterscheidet und abgrenzt. Belebtes und Unbelebtes umfassen zusammen alles, was wir in der Welt kennen, sie umfassen den ganzen Kosmos. Damit lässt sich andeuten, dass die Frage nach dem Leben indirekt die Frage nach einer Kosmologie beinhaltet. Zwar wird es heute in Fachkreisen meist vermieden, Kosmologie zu betreiben, haftet ihr doch der zweifelhafte Ruf der sinnlosen metaphysischen Spekulation an. Ich will nicht leugnen, dass eine jede Kosmologie spekulative Elemente enthält, ja sogar enthalten muss, das heisst aber nicht, dass diese sinnlos wären. Wir können nämlich gar nicht anders als uns einen Platz innerhalb des Kosmos zuzuweisen. Wir sind als frei flottierende Singularitäten gar nicht denk- und vorstellbar. Entweder ordnen wir uns naiv und unreflektiert in einen grösseren Zusammenhang ein oder tun es als Folge eigenständigen und kritischen Denkens. Ich plädiere für die zweite Lösung.

Die Menschen ringen seit je mit der Frage, was Leben sein könnte. Diese Frage steht dann auch einem der grossen Geniewerke der europäischen Kulturgeschichte Pate: Aristoteles’ Werk ‚über die Seele‘. Zudem erschienen in den letzten Jahrzehnten gerade mehrere Werke mit diesem Titel „Was ist Leben?“. Erwin Schrödinger stellt in seinem 1944 erschienenen Buch tiefsinnige Überlegungen zur Beziehung zwischen physikalischen und biologischen Vorgängen an.1 Hans-Peter Dürr et al. schaffen 2002 in ← 15 | 16 → ihrem Sammelband ‚what ist life?‘ einen eindrücklichen Brückenschlag zwischen Naturwissenschaften und Philosophie.2 Und 2003 arbeitet Regine Kather die Frage, „Was ist Leben?“ besonders auch unter philosophie-historischer Perspektive auf.3 Nur wenige Jahre später stelle ich dieselbe Frage erneut. Dies geschieht zum einen, weil sie sich als eine genuin philosophische wahrscheinlich nicht abschliessend beantworten lässt und zum anderen, weil der hier eingenommene Blickwinkel ein etwas anderer ist: Es wird hier vorzugsweise darum gehen, eine Perspektive einzunehmen, die darauf abzielt, der Medizin eine bessere theoretischen Fundierung zu geben und damit zu einer wirkungsvolleren Praxis beizutragen.

Ich werde als erstes eine knappe Zusammenstellung der derzeit in der Medizin meist implizit mitgeführten Theorien vom Leben vorlegen und zeigen, dass sie nicht genügen (Kapitel I). In den Kapiteln II und III werde ich eine Alternative vorstellen, die den heutigen Anforderungen an eine Theorie von Leben gerecht zu werden verspricht. Es handelt sich um eine Theorie, von welcher Hans Jonas sagt, dass es sich dabei um den „kühnen Entwurf einer Fundamentalontologie der Natur (handle), dessen intellektuelle Kraft und philosophische Bedeutung in unserer Zeit nicht Ihresgleichen hat“.4 Damit sind die Arbeiten von Alfred North Whitehead gemeint. Meine Arbeit wird sich in weiten Teilen auf Whitehead abstützen.

Als Erstes werde ich die grundlegenden Bauelemente der Welt genauer beschreiben und die Kategorien vorstellen, welche allem Leben zukommen (Kapitel II und III). Daran anschliessend geht es darum, etwas weiter auszuholen, von der Beschreibung des Lebens vorübergehend zu abstrahieren und die Frage nach den Bedingungen des Erkennens von Natur und Leben aufzugreifen. Und so wird es in Ergänzung zu den naturphilosophischen Teilen in diesem Kapitel darum gehen, eine Erkenntnistheorie zu skizzieren, welche fähig ist, die seit der Neuzeit, d. h. seit Descartes festgestellte und beklagte Subjekt-Objekt-Trennung zu überwinden. Es ist dies eine der grossen Vorzüge der Whiteheadschen Erkenntnistheorie – bei ihm ‚Theorie des Erfassens‘ genannt – diese Trennung zu ← 16 | 17 → überwinden. Mit Hilfe von Theorieelementen der Peirce’schen Semiotik versuche ich, die Whiteheadsche Erkenntnistheorie noch breiter abzustützen (Kapitel IV).

Seit der Veröffentlichung von Whiteheads Hauptwerk ‚Prozess und Realität‘ ist es v. a. im Fachbereich der Biologie zu grossen Veränderungen gekommen – die Entdeckung der DNS und des Gencods seien hier ausdrücklich genannt. Dies macht Anpassungen der Theorie Whiteheads nötig, welche es in einem gesonderten Kapitel zu besprechen gilt (Kapitel V). Nach all diesen Vorarbeiten wird es möglich sein, die entscheidenden Unterschiede zwischen Lebewesen und toten Gegenständen, Dingen oder Maschinen herauszuarbeiten (Kapitel VII).

Dazwischen schiebt sich ein Kapitel, das ein Defizit der Whiteheadschen Philosophie zu beheben versucht: Es geht dabei um die mindestens seit der Romantik immer wieder postulierte Ganzheit bzw. Einheit von Lebewesen. Es wird in diesem VI. Kapitel nicht nur darum gehen, zu zeigen sein, dass Einheit und Ganzheit etwas ganz Unterschiedliches sind, sondern auch darum, dass es die neueren Erkenntnisse der Physik erlauben, Einheit einem ganz neuen Verständnis zuzuführen, einem Verständnis ausserdem, das sich für eine zukünftige Naturphilosophie und Anthropologie als bedeutungsvoll erweisen könnte.

Im letzten Kapitel VIII wird es um das Werden des Lebens insgesamt, um das, was gemeinhin ‚Evolution‘ genannt wird, gehen. Ich suche darin nach einem Ausweg aus dem festgefahrenen evolutionstheoretischen Diskurs, indem ich den Blick auf die grundlegende Frage lenke, wie das Entstehen von Neuem gedacht werden kann, ist es doch für die Evolution konstitutiv, dass darin und dadurch Neues entsteht. Wenn in diesem letzten Kapitel die heute vorherrschende neodarwinistische (oder synthetische) Evolutionstheorie kritisiert wird, will ich damit nicht zu einer christlich-fundamentalistischen Gegenposition überlaufen.5 Es geht mir vielmehr darum, den beiden Glaubenspositionen aus ← 17 | 18 → dem Weg zu gehen und Lösungen anzustreben, welche naturwissenschaftlich und philosophisch gut fundiert sind.

Zum Schluss möchte ich, neben einer Zusammenfassung der ganzen Arbeit, Hinweise auf daraus möglicherweise resultierende, praktische Konsequenzen geben.

Ein Glossar am Ende des Buches soll der Leserschaft helfen, sich im z. T. ungewohnten Vokabular besser zu orientieren. ← 18 | 19 →

1 E. Schrödinger: Was ist Leben?

2 H.-P. Dürr, F.-A. Popp, W. Schommers: What is Life? (Deutsch: Elemente des Lebens).

3 R. Kather: Was ist Leben?

4 H. Jonas: Das Prinzip Leben, S. 177.

5 Neodarwinismus (oder synthetische Evolutionstheorie) bezeichnet die Erweiterung der Evolutionstheorie von C. Darwin durch Erkenntnisse aus der Genetik, der Populationsbiologie, der Paläontologie, Botanik etc. Die letztgenannten Elemente waren zur Zeit Darwins weitgehend unbekannt und fehlten in seiner ursprünglichen Evolutionstheorie.

I.    Gängige Konzeptionen von Leben und ihre Unzulänglichkeiten

1. Naturphilosophische Theorien in der gegenwärtigen Schulmedizin

Details

Seiten
297
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035107128
ISBN (ePUB)
9783035199154
ISBN (MOBI)
9783035199147
ISBN (Paperback)
9783034313216
DOI
10.3726/978-3-0351-0712-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Tod integrative Medizin Psychologische Medizin
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 297 S.

Biographische Angaben

Piet van Spijk (Autor:in)

Piet Van Spijk, geboren 1956 in Aarau (Schweiz), studierte in Bern und Lausanne Medizin. Er arbeitete während knapp zwanzig Jahren als niedergelassener Internist und leitet seit 2008 in Luzern eine notfallmedizinische Einrichtung des örtlichen Spitals. Ab 1997 absolvierte er ein berufsbegleitendes Studium der Philosophie und Religionswissenschaften, welches er 2009 mit der Dissertation abschloss. Sein philosophisches Hauptinteresse liegt im Bereich der Anthropologie, der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes.

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