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Der deutsche Film im Kalten Krieg

Mit einem Vorwort von Hans Helmut Prinzler

von Christin Niemeyer (Band-Herausgeber:in) Ulrich Pfeil (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 344 Seiten

Zusammenfassung

Filme gelten gewöhnlich in erster Linie als Unterhaltungsmedium. Der Blick in die Filmgeschichte zeigt jedoch auch, dass sie immer als politische Waffe eingesetzt wurden. Das galt ganz besonders in der Zeit des Kalten Krieges, in der sich die beiden verfeindeten Blöcke nicht nur einen ideologischen, sondern zugleich einen bilderreichen Konflikt lieferten. So war der Film auch in der deutschdeutschen Systemkonkurrenz ein beliebtes Medium, um die Überlegenheit der eigenen Ordnung zu demonstrieren. Er sollte ideologisch auf die kollektive Vorstellungswelt einwirken und Indikator für die technologische bzw. industrielle Macht dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs sein. Der Film spiegelte somit nicht alleine den ideologischen Zusammenstoß, sondern alimentierte ihn zugleich. Charakteristisch für den deutschen Film im Kalten Krieg war besonders die wechselseitige Bezogenheit der Filmproduktionen in den beiden deutschen Staaten. Eine deutsche Besonderheit war in dieser Hinsicht das Frontstaat-Motiv, thematisierten die Filmemacher doch wiederholt Mauer und Stacheldraht, so dass sie sich an der Konstruktion eines Bildes von der Grenze beteiligten, das noch heute die Erinnerung prägt. So bietet dieser Band einen facettenreichen Einblick in die Formen und Funktionen, die Inhalte und Rezeption des deutschen Films im Kalten Krieg.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis / Table des matières
  • Kalter Krieg im Film: ein Vorwort
  • Deutscher Film im Kalten Krieg: eine Einführung
  • I. Zwischen Propaganda, Ideologieproduktion und politischer Ästhetik / I. Entre propagande, production idéologique et esthétique politique
  • Verurteilt auf Zelluloid. Filme über die Nürnberger Prozesse im Spannungsfeld des Kalten Krieges
  • Seid wachsam! Georg Wilhelm Pabsts Der letzte Akt (1955) als pazifistische Positionierung im Kontext des Kalten Krieges
  • Politik als Kunst der Inszenierung. For eyes only (streng geheim) – und jeder soll’s wissen
  • Inszenierung von Freund und Feind in der Vergangenheit. Szenenbildbeispiele aus dem DEFA-Zweiteiler über Ernst Thälmann (1954/55)
  • Rote Filme unter Waffen. Das Filmstudio der Nationalen Volksarmee als Musterknabe des östlichen Militärbündnisses?
  • Les marxistes à la conquête du pays des merveilles. Les films de contes de fées de la DEFA : Le cas de Dornröschen
  • II. Teilung und Mauer im Film: ein deutsches Spezifikum im Kalten Krieg / II. Division et Mur dans les films : une particularité allemande en temps de guerre froide
  • Zwischen Angst, Action und Antikommunismus. Der Kalte Krieg in Spielfilmen und Fernsehfilmen der frühen Bundesrepublik
  • Die Mauer als filmischer Glücksfall. Mediale Vorbilder und ästhetische Potentiale im Dispositiv des Kalten Kriegs
  • « Projecteurs sur le Mur ». La représentation du Mur de Berlin dans le cinéma de fiction est- et ouest-allemand de 1961 à 1990
  • „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ oder Die Architekten
  • III. Filmbeziehungen über den Eisernen Vorhang hinweg / III. Relations cinématographiques par-delà le « rideau de fer »
  • Les signataires du « Manifeste » d’Oberhausen entre alignement et contestation (1958-1965)
  • Zwischen Filmaustausch und politischem Auftrag. Die Teilnahme der DDR an den Westdeutschen Kurzfilmtagen in den 1950er Jahren
  • Quand le Sud s’invite dans le conflit Est-Ouest. Cinéma et « solidarité internationale »
  • Le documentaire en tant qu’arme dans la guerre froide. Les films est-allemands du Studio H&S et leur réception en France
  • Von Anti-deutsch zu Anti-sowjetisch. Die politische Positionierung des österreichischen Nachkriegskinos im Kalten Krieg (1946-1955)
  • Le cinéma allemand : miroir et acteur de la guerre froide. Éléments de conclusion
  • Namensindex / Index des noms de personnes
  • Die Autoren / Les auteurs

Kalter Krieg im Film: ein Vorwort

Hans Helmut PRINZLER

Vor rund 22 Jahren ging der „Kalte Krieg“ zu Ende. Ohne Friedensvertrag, aber mit einer präsidialen Erklärung zur Lage der Nation:

„Dank der Gnade Gottes hat Amerika den Kalten Krieg gewonnen. Eine einstmals in zwei bewaffnete Lager geteilte Welt erkennt jetzt eine einzige und herausragende Macht an, die Vereinigten Staaten von Amerika. Und sie betrachtet dies ohne Schrecken, denn die Welt vertraut in unsere Macht“1.

Aus heutiger Sicht klingen die drei Sätze aus dem Januar 1992 wie der Beitrag für eine Satire, die das gegenseitige Vertrauen in der Weltpolitik zum Thema hat. Aber beim Datieren wird die Bush-Rede oft als Endpunkt des Kalten Krieges benannt. Symbolischer ist für uns Deutsche natürlich der 9. November 1989, der Tag des „Mauerfalls“, oder, etwas versachlicht, der Tag der Öffnung der Grenzen zwischen Ost und West.

Die Literatur über die Zeit des Kalten Krieges ist umfangreich und hat sich in den letzten Jahren noch vergrößert und differenziert. In diesem Buch geht es speziell um die Darstellung des Kalten Krieges im deutschen Film. Das ist, aus medialer Perspektive, ein sehr spannendes Thema und wurde bisher kaum bearbeitet. Im ← 11 | 12 → Zeughauskino gab es 2009 eine Retrospektive (deutscher_film_im_kalten_krieg.html), aber keine Publikation. Im internationalen Kontext widmete die „Berlinale“ dem Kalten Krieg zeitnah an seinem Ende 1991 eine große Retrospektive und zeigte 60 Filme aus Ost und West. Sie umfasste viele Genres – Drama, Thriller, Science-fiction-Film, Komödie – und bot einen repräsentativen Querschnitt von The Iron Curtain (1948) bis The Red Dawn (1984). Dazu erschien ein Katalog (Redaktion: Helga Belach, Wolfgang Jacobsen) mit einem zentralen Essay von Rolf Aurich („Geteilter Himmel ohne Sterne“), einer Chronik, verschiedenen Textbeiträgen und vielen Abbildungen. Das Buch hat bis heute seine Bedeutung behalten.

1. Persönliche Erinnerungen

Wenn schon mit der ersten Phase des Kalten Krieges persönliche Erinnerungen verbunden sind, dann lässt einen das Thema nicht mehr los. Ich war neun Jahre alt, als im Juni 1948 die Berlin-Blockade begann und West-Berlin durch die Luftbrücke versorgt werden musste. Wir wohnten im amerikanischen Sektor, es gab ständig Stromsperren, kaum Kohle zum Heizen, bis zum Überdruss Trockenkartoffeln und Knäckebrot zum Essen. Im Mai 1949 war die Blockade überstanden und die Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern groß. Als im August 1961 die Mauer gebaut wurde, studierte ich an der Freien Universität Publizistik und Theaterwissenschaft. Ein westdeutscher Reisepass erlaubte mir den Übergang nach Ost-Berlin. Ich schrieb speziell über DEFA-Filme, zum Beispiel über den Geteilten Himmel von Konrad Wolf2 und Spur der Steine von Frank Beyer3. Ich sah mich im Kalten Krieg durchaus zwischen den Fronten und versuchte, in dem mir vertrauten Filmbereich für Information und Orientierung zu sorgen: in Texten und Publikationen4.← 12 | 13 →

Ich betrachte mich als Zeitzeuge. Mein Interesse ist auf die Qualität der Filme gerichtet, nicht auf ihre Herkunft oder ihren Erfolg.

2. Zehn ausgewählte Filme

Wenn ich persönlich eine kleine Reihe deutschsprachiger Filme zum Kalten Krieg zusammenstellen dürfte, wären dies zehn dafür nominierte Titel:

Die Vier im Jeep (Schweiz 1950) von Leopold Lindtberg. Der Film spielt im besetzten Wien unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Militärpatrouille mit drei Westalliierten und einem Rotarmisten sucht nach der Frau eines aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft geflohenen Österreichers. Es gibt interne Konflikte, private Verstrickungen und ein Happyend. Der Film ist spannend erzählt, wirkt noch heute authentisch und thematisiert den Kalten Krieg im Verhalten von vier beispielhaften Protagonisten.

Himmel ohne Sterne (1955) von Helmut Käutner. Der Film schildert die komplizierte Liebesbeziehung zwischen einem westdeutschen Grenzschutzbeamten und einer ostdeutschen Fabrikarbeiterin. Ihre Verbindung findet im Niemandsland statt. Auch das Kind der Fabrikarbeiterin, dessen Vater im Krieg gefallen ist, gerät zwischen die Fronten. Das Verhalten eines sowjetischen Soldaten wird missverstanden. Die Geschichte endet mit dem Tod des Liebespaares. Gefilmt als Plädoyer für mehr Menschlichkeit.

Eine Berliner Romanze (1956) von Gerhard Klein. Die Liebesgeschichte zwischen einer Ost-Berliner HO-Verkäuferin und einem West-Berliner Autoschlosser. Die Verkäuferin will Mannequin werden und wechselt nach West-Berlin. Als der Autoschlosser arbeitslos wird, sehen beide ihre Zukunft eher im Osten. Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase. Die Stärke des Films ist seine lakonische Beobachtung, der Verzicht auf Pathos oder melodramatische Zuspitzung.

Zwei unter Millionen (1961) von Victor Vicas und Wieland Liebske. Der Lastwagenfahrer Karl hilft dem jungen Mädchen Christine, vor dem Bau der Mauer, bei ihrer Flucht nach West-Berlin. Für Karl und Christine beginnt eine Liebesbeziehung, sie heiraten relativ schnell. Aber sie haben Probleme, eine solide Lebensexistenz aufzubauen. Der Film lebt von seinem authentischen Blick auf die Origi ← 13 | 14 → nalschauplätze des zerrissenen Berlin. Mit Hardy Krüger und Loni von Friedl in den Hauptrollen.

Der geteilte Himmel (1963) von Konrad Wolf. Ein ideologisches Psychodrama nach einem Roman von Christa Wolf. Die Beziehung zwischen einer Lehramtsstudentin und einem Chemiker in der DDR zerbricht, als der Mann aus beruflichen Gründen in den Westen geht, während sich die Frau für ein Verbleiben in ihren Arbeitszusammenhängen entscheidet. Erzählt aus der Perspektive der Frau, ist der Film ein Bekenntnis zur ‚neuen Gesellschaft’ der DDR. Die Anstrengung, den Konflikt plausibel zu machen, ist bis in die metaphorische Bildsprache zu spüren.

Abschied von gestern (1966) von Alexander Kluge. Ein deutscher Lebenslauf: Anita G., Jahrgang 37, flieht aus Leipzig in den Westen, wird straffällig und auf Bewährung freigelassen, durchquert die Bundesrepublik, arbeitet als Vertreterin und Verkäuferin, will studieren, aber das Ost-Abitur wird nicht anerkannt. Sie streunt, betrügt, wird von einem Ministerialrat schwanger und bringt ihr Kind im Knast zur Welt. Diese Lebensstationen in einem geteilten Land zeigt Kluge in Spielszenen, Interviews, Reportagen, mit improvisierten Dialogen, Literaturzitaten und Kommentaren.

Der Mann auf der Mauer (1982) von Reinhard Hauff. Die Tragikomödie, nach einer Erzählung von Peter Schneider, erzählt die Geschichte eines Mauerspringers, der es weder in der Bundesrepublik noch in der DDR lange aushält und die Behörden in Ost und West mit seinen Grenzwechseln in Atem hält. Mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle. Der Film wirkt heute noch absurder als zu seiner Zeit.

Der Himmel über Berlin (1987) von Wim Wenders. Zwei Engel durchstreifen die geteilte Stadt. Sie können alles hören und sehen. Der eine (dargestellt von Bruno Ganz) verliebt sich und wird Mensch. 1993 dreht Wenders die Fortsetzung: In weiter Ferne, so nah!, in der auch der andere Engel (dargestellt von Otto Sander) zum Menschen wird, Michael Gorbatschow einen denkwürdigen Auftritt hat und der populäre deutsche Schauspieler Heinz Rühmann zum letzten Mal vor der Kamera steht.

Die Mauer (1990) von Jürgen Böttcher. Der Dokumentarfilm des Malers (Strawalde) und Filmemachers ist eine eigenwillige Sammlung von Impressionen kurz nach dem Fall der Mauer. Das Grenzgebiet zwischen Ost- und West-Berlin wird kurzfristig von Menschen ← 14 | 15 → bevölkert, die fassungslos, neugierig oder besessen sind. Böttcher beobachtet die „Mauerspechte“, die mit unzulänglichem Werkzeug den „Schutzwall“ zerstören wollen, eine Frau, die dort Geräusche sammelt, zwei Wachposten, die lange wortlos in die Kamera schauen, den ungenutzten U-Bahnhof Potsdamer Platz, der wie eine Katakombe wirkt. Die Bilder und Töne des Films opponieren gegen gängige Fernsehreportagen, sie nehmen sich Zeit. Der Film dauert 100 Minuten.

Die meisten dieser zehn Filme thematisieren den Kalten Krieg nicht unmittelbar, aber sie sind Resultate der politischen und gesellschaftlichen Situation, der Teilung und – am Ende – der Vereinigung. Sie erzählen individuelle Schicksale, oft mit tragischem Ausgang. Sie verweisen auf eine Anormalität, auf Diskrepanzen zwischen politischem Willen und privatem Wollen. Ihre Protagonisten sind in der Regel „normale“ Menschen mit Wünschen, Hoffnungen, Gefühlen. Sie müssen sich mit Trennung, Bewachung, Grenzsicherung auseinandersetzen. Es gibt einen so genannten „Eisernen Vorhang“ zwischen zwei Gesellschaftssystemen und eine sichtbare Mauer ab 1961. Mehrere deutsche Filmtitel nutzen den Himmel als Metapher (Himmel ohne Sterne, Der geteilte Himmel, Himmel über Berlin, Vom Himmel gefallen) oder metaphorisieren auf andere Weise: Abschied von gestern, Das Leben beginnt,… und Deine Liebe auch, Weg ohne Umkehr, Zwei unter Millionen, sie geben geografische Hinweise: Flucht nach Berlin, Verspätung in Marienborn oder bereiten auf ein Drama vor (Durchbruch Lok 234). Filmtitel sollen ins Kino locken. Viele, vor allem westdeutsche Filme über den Kalten Krieg, haben das nicht geschafft. Das Thema war den Kinozuschauern nicht attraktiv genug.

Und doch gibt es auch unter den ausländischen Filmen zum Thema Kalter Krieg vor allem in den 1950er und 1960er Jahren viel versprechende Titel mit unterschiedlichem Genrebezug: I Married a Communist (1949), ein Melodram von Robert Stevenson, The Big Lift (1950), eine Liebesgeschichte zur Zeit der Luftbrücke von George Seaton, I Was a Communist for the FBI (1951), ein Agentenfilm von Gordon Douglas, Red Planet Mars (1952), ein Science-fiction-Film von Harry Horner, The Man Between (1953), ein Berlin-Drama von Carol Reed, One, Two, Three (1961), eine Komödie von Billy Wilder, die unmittelbar nach dem Mauerbau ein Flop war, From Russia with Love (1963), ein James Bond-Film von Terence Young, The Spy Who Came In from the Cold (1963), ein Agenten-Thriller von Martin Ritt ← 15 | 16 → nach dem Roman von John Le Carré, Turn Curtain (1966), ein Thriller von Alfred Hitchcock, The Kremlin Letter (1969), ein Spionagefilm von John Huston.

Die Filme über den Kalten Krieg sind vorwiegend von Düsternis geprägt, von Bedrohung, von kriminellen Handlungen, die mit den politischen Fronten im Zusammenhang stehen. Gut und Böse werden natürlich ideologisch definiert, eine neutrale Position gibt es im Prinzip nicht. Das betrifft auch die Bewertung der Spionage, sie soll der Beschaffung von geheimen Informationen oder der Entlarvung von Verrätern dienen, die im Auftrag des Gegners tätig sind. The Spy Who Came In from the Cold ist ein paradigmatischer Titel und steht für ein Genre, das vor allem in den 1960er Jahren sehr erfolgreich war.

Filme sind – auch wenn das Authentische oder Dokumentarische vielleicht gar nicht angestrebt wird – Dokumente ihrer Zeit, sofern sie an konkreten Orten spielen und die dargestellten Personen mit einer Realität verbunden sind. Sie verraten uns sogar im Science-fiction-Genre manches über die Gegenwart, in der sie gedreht wurden. Notwendig sind genaues Hinsehen, Informationen über den Produktionshintergrund und einige Kenntnisse über filmische Mittel. Insofern sind alle in diesem Band gesammelten Texte Rückblicke in eine spannende Zeit, die viele von uns zumindest partiell miterlebt haben.

1Zitiert nach: Götz Schwarzrock (Red.), Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichten in Darstellung und Dokumentation, Frankfurt/M. 1992.

2Sozialistische Genesung, in: Film (München), November 1964, Nr. 10.

3Kinospuk in Ostberlin. Die überraschende Absetzung eines DEFA-Films und ihre Vorgeschichte, in: Die Zeit, 29. Juli 1966.

4Datenteil in: Peter W. Jansen, Wolfram Schütte (Hg.), Film in der DDR, München 1977; Hans Günther Pflaum, Hans Helmut Prienzler, Film in der Bundesrepublik Deutschland, München 1977/1992 ergänzt um einen DDR-Teil; Hans Helmut Prienzler, Chronik des deutschen Films 1895-1994, Stuttgart 1995.

Deutscher Film im Kalten Krieg:eine Einführung

Ulrich PFEIL

1. Der Kalte Krieg: ein anderer „totaler Krieg“ im „Zeitalter der Extreme“

Die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende und mit dem Zerfall des Sowjetimperiums endende Periode des 20. Jahrhunderts wird bis heute gerne mit dem von dem amerikanischen Journalisten Walter Lippmann 1947 geprägten Begriff „Kalter Krieg“ umschrieben1. Er war ein Kampf der Ideologien, bei dem zwei Weltanschauungen miteinander um die Überlegenheit ihrer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungen und ihre daraus abgeleiteten Machtansprüche rangen, wie die folgenden Worte von Marc Nouschi treffend illustrieren: „Der Freiheitsstatue, Coca-Cola, der Jeans und der Rockmusik standen der rote Stern, Hammer und Sichel, die prächtigen U-Bahn-Stationen in Moskau und die Tänzerinnen des Bolschoi-Theaters gegenüber“2.← 17 | 18 →

Der Kölner Historiker Jost Dülffer hob unlängst jedoch nochmals hervor, dass der Begriff „Kalter Krieg“ „ein hohes Maß an Geschlossenheit und Permanenz für die Zeit zwischen 1945 und 1990“ suggeriere und dabei „den ständigen Wandel der Beziehungen zwischen den ‚Blöcken’“ vernachlässige3. Und in der Tat war er mit seinen verschiedenen Entspannungs- und Eskalationsphasen ein Aggregatzustand des Ost-West-Konflikts4, der durch seine Totalität eine „weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung [darstellte], die ihre Auswirkung bis in den Alltag zeitigte“5. Er wurde zu einer globalen Auseinandersetzung, „in der alle Kriege und Konflikte unterhalb der Schwelle eines Dritten Weltkrieges zulässig waren“6.

Die Historiographie zum Kalten Krieg hat seit Anfang der 1990er Jahre wesentliche neue Einsichten in die Geschichte dieses globalen Konflikts gewonnen7, doch wird der Blick der Historiker weiterhin von dem Verhältnis zwischen den beiden Supermächten dominiert. Damit geht einher, dass die politische Dimension und das staatliche Handeln, „die den Ost-West-Konflikt als Macht- und ← 18 | 19 → Systemkonflikt abbilden“8, im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. In der Verlängerung der totalen Kriege während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts9 war er deshalb nicht nur ein Konflikt der „großen Politik“, sondern überschritt den traditionellen Rahmen der zwischenstaatlichen Beziehungen. Er mobilisierte die Gesellschaften in ihrer Gesamtheit und wirkte in alle Lebensbereiche hinein, denn sie waren permanente Konkurrenzfelder, wie sich nicht zuletzt beim Wettlauf der Supermächte im All und im Sport zeigte10.

Bei Studien zur Geschichte des Kalten Krieges gilt es daher, die Interaktionen zwischen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie, Kultur und Wissenschaft11 zu berücksichtigen, um nicht nur zu verstehen, was im Kalten Krieg geschah, sondern immer auch, was durch den Kalten Krieg geschah. Während sich innerhalb der entstehenden Blöcke friedensstiftende Mechanismen herausbildeten, schob sich parallel über die Nachkriegsgesellschaften in Europa eine aggressive Kultur des Kalten Krieges, die ihre Grenzen durch das atomare Patt definierte12. Genau dieses ermahnte die politisch Verantwortlichen immer wieder, die konstitutive Grundlage des Konflikts nicht aus den Augen zu verlieren: ein heißer Krieg war mit allen Mitteln zu verhindern13. Treffend charakterisierte somit der französische Philosoph Raymond Aron diesen „Krieg der schweigenden Waffen“: „Frieden unmöglich, Krieg unwahrscheinlich“,

Bundesdeutsche Demoskopen ermittelten, dass sich die Westdeutschen in den 1950er Jahren in einer Übergangsphase zwischen dem Zweiten Weltkrieg und einem noch zerstörerischen Dritten Weltkrieg wähnten14. Denn obwohl die Waffen schwiegen, wurde ← 19 | 20 → permanent projiziert, was geschehen würde, wenn die Waffen sprechen. Bedrohung mit Krieg bzw. das Prinzip der militärischen Abschreckung bedeutet, den Krieg zu denken, fähig und bereit zu sein zum Krieg. Dass es nur ein schmaler Grat zwischen Verharmlosung und permanent prepardness war, wusste auch Bundeskanzler Konrad Adenauer: „Glauben Sie mir: die Angst vor der Atombombe ist etwas Emotionales, und dieses Emotionalen Herr zu werden, nachdem das deutsche Volk diesen letzten Krieg hat über sich ergehen lassen müssen, wird sehr schwer sein“15.

Diese Aussage bekräftigt die zentrale Bedeutung von Bildern, Emotionen und mentalen Prägungen bei der Beschäftigung mit dem Kalten Krieg und verdeutlicht die Notwendigkeit, sich Fragen nach der Erzeugung von Ideologien zu stellen, nach der Perzeption von Bedrohung und Bedrohtsein, nach den Interdependenzen von Angst haben und Angst machen16, nach der Verdrängung der Gefahr und der „Produktion“ von Sicherheit und ihren Vermittlungskanälen. Dieser Ansatz macht es nötig, „alle Politikfelder und Lebensbereiche im Lichte der säkularen Konfrontation“17 zu beleuchten und sie als einen sozio-kulturellen Konflikt zu verstehen, um die sozio-kulturellen Rückwirkungen auf die Gesellschaften genauer zu analysieren18.

Weil der Kalte Krieg in vielerlei Hinsicht auch ein Krieg der Worte und Bilder war, wurde das kulturelle Feld zu einer Waffe ← 20 | 21 → ausgebaut. Wenn wir daraus folgend Gesellschaft und Kultur als autonome Felder historischen Interesses begreifen, dann gilt es, ein Beziehungsgefüge zwischen sozio-kulturellen Aktivitäten und der politischen Agenda zu zeichnen, um die Eigendynamik des Cultural Cold War zu definieren19.

Auch die verschiedenen Beiträge in diesem Band deuten darauf hin, dass der Einsatz der Kultur meinungs- und damit konsensbildend im Innern und subversiv gegenüber den Gesellschaften auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wirken sollte20. Sie unterstreichen, dass der Kalte Krieg vor allem in der Frühphase eine permanente Suche nach (inneren) Feinden und Feindbildern war, die Ausdruck von Angst in einer Gesellschaft war, die im Westen zugleich – nicht zuletzt durch den Systemkonflikt – ein erstaunliches Maß an privater Initiative, Idealismus und Kreativität an den Tag legte. Gerade im Bereich der Kultur gab es neben den staatlichen Aktivitäten eine (zivil-)gesellschaftliche Mobilisierung, die sich traditionell vom Staat abgrenzt. Während des Kalten Krieges ließen sich diese beiden Sphären aber immer schwerer auseinanderdividieren, so dass es auch hier die Interaktionen zu analysieren gilt. Diese Verquickungen von öffentlicher und privater Sphäre veranlassen Tony Shaw sogar zu folgender Frage: „War die ganze Kultur, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, nicht bloß ein Fortsatz der Politik?“21← 21 | 22 →

Details

Seiten
344
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035264463
ISBN (ePUB)
9783035295658
ISBN (MOBI)
9783035295641
ISBN (Paperback)
9782875741806
DOI
10.3726/978-3-0352-6446-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Ideologie Deutsch-deutschen Systemkonkurrenz Vorstellungswelt Filmproduktion
Erschienen
Bruxelles, Bern, Berlin, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 344 S.

Biographische Angaben

Christin Niemeyer (Band-Herausgeber:in) Ulrich Pfeil (Band-Herausgeber:in)

Christin Niemeyer ist Doktorandin an den Universitäten de Lorraine (Metz) und Potsdam. Ihre Forschungsinteressen liegen bei der Geschichte des Films in der DDR. Sie bereitet aktuell eine Doktorarbeit zum Thema «Ideologie in den Märchenfilmen der DEFA (1946–1990)» vor. Ulrich Pfeil ist Professor für Deutschlandstudien an der Université de Lorraine, Metz. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die Geschichte Deutschlands, der deutsch-französischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, sowie auf die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Folgen des Kalten Krieges in Europa.

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