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Die Sorben und Wenden in deutschen Konversationslexika des 19. Jahrhunderts

von Cornelius Lehmann (Autor:in)
©2016 Dissertation 266 Seiten

Zusammenfassung

In Sachsen und Brandenburg lebt die nationale Minderheit der Lausitzer Sorben, die auch „Wenden" genannt werden. Die Deutschen begegnen der slawischen Volksgruppe teilweise mit Vorurteilen. Der Autor fragt nach den Ursprüngen dieses Phänomens. Dafür untersucht er historische Konversationslexika, die im 19. Jahrhundert eine wichtige Medien-Gattung darstellten. Die darin enthaltenen Texte fanden Einzug in das Denken der Menschen jener Epoche. Die Auswertung des Brockhaus und anderer Nachschlagewerke zeigt, dass das Thema teilweise heftig diskutiert wurde. Die lexikalischen Darstellungen erstrecken sich von wissenschaftlichen Analysen über die slawische Besiedlung Mitteleuropas bis hin zu stereotypen Bildern einzelner Bevölkerungsteile.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Herangehensweise und Fragestellung
  • 1.2 Forschungsliteratur
  • 1.2.1 Forschungsstand Sorbenbild in deutschen Medien
  • 1.2.2 Untersuchungen zu deutschen Nachschlagewerken
  • 2. Begriffe der Theorie und Methodik
  • 2.1 Nation und Minderheit
  • 2.2 Bild und Stereotyp
  • 2.3 Quellen- und Diskursanalyse
  • 3. Quellengattung Konversationslexikon
  • 3.1 Die Vorläufer im 18. Jahrhundert
  • 3.2 Brockhaus
  • 3.3 Pierer
  • 3.4 Meyer
  • 3.5 Herder
  • 4. Historischer Hintergrund: Die Sorben im 19. Jahrhundert
  • 4.1 Die Lausitzer Sorben vor 1815
  • 4.2 Nach dem Wiener Kongress
  • 4.2.1 Die Sorben in Preußen
  • 4.2.2 Die Sorben in Sachsen
  • 4.3 Märzrevolution 1848/1849
  • 4.4 Das nationale Erwachen
  • 4.5 Teilnahme an Slawen-Kongressen und Panslawismus-Vorwürfe
  • 4.6 Die Sorben im Deutschen Kaiserreich
  • 4.7 Religion, Konfession und Kirche
  • 4.8 Das Selbstbild der Sorben im 19. Jahrhundert
  • 5. Bilder von ausgewählten ethnischen Minderheiten und Nachbarn der Deutschen
  • 5.1 Tschechen und Slowaken
  • 5.2 Polen, Masuren und Kaschuben
  • 5.3 Franzosen, Wallonen, Schweizer und Italiener
  • 5.4 Dänen und Friesen
  • 5.5 Ungarn (Magyaren)
  • 5.6 Zwischenfazit
  • 6. Quellen und Autoren: Zum Hintergrund der Sorben- und Wenden-Artikel
  • 6.1 Problemstellung: Mangelnde Quellen- und Autoren-Hinweise
  • 6.2 Die Sorben / Wenden in Enzyklopädien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts
  • 6.3 Werke sorbischer Intellektueller zur Zeit der Aufklärung und der nationalen Bewegung
  • 6.4 Wenden-Darstellungen deutscher Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts
  • 6.4.1 Potentiell verwendete Literatur der Frühphase
  • 6.4.2 In den Lexikon-Artikeln genannte Literatur
  • 6.5 Mitteldeutsche Autoren und Verleger
  • 6.6 Zusammenfassung
  • 7. Quantitative Quellenanalyse
  • 7.1 Nennung von Sorben und Wenden
  • 7.2 Länge der Sorben- und Wenden-Artikel
  • 8. Qualitative Quellenanalyse
  • 8.1 Übersicht der Artikel-Inhalte
  • 8.2 Stamm, Volk oder Nation?
  • 8.3 Die Begriffe Wenden / Winden und Sorben / Serben
  • 8.3.1 Auslegung und Anwendung des Wenden-Begriffs
  • 8.3.2 Semantischer Wandel des Sorben-Begriffs
  • 8.4 Der Beginn slawischer Besiedlung zwischen Elbe-Saale und Oder-Bober
  • 8.5 Historiographie: Sorben / Wenden im Mittelalter
  • 8.6 Religion: Heiden oder Christen?
  • 8.7 Zahlen: Die Größe eines Volkes je nach Zählweise und Quelle
  • 8.8 Zeitgenössische Stereotype gegenüber den Lausitzer Sorben
  • 8.9 Kritik an deutscher Politik der Neuzeit
  • 9. Exkurs: Das Sorbenbild in ausgewählten Damen-Lexika
  • 10. Schlussfolgerungen
  • 11. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • 11.1 Lexika
  • 11.1.1 Brockhaus
  • 11.1.2 Pierer
  • 11.1.3 Meyer
  • 11.1.4 Herder
  • 11.1.5 Damen-Lexika
  • 11.1.6 Zedler
  • 11.1.7 Hübner
  • 11.1.8 Reichenbach
  • 11.1.9 Sonstige Lexika
  • 11.2 Quellen
  • 11.2.1 Publizierte Quellen
  • 11.2.2 Archivalien
  • 11.3 Sekundärliteratur
  • 11.3.1 Literatur vor 1918
  • 11.3.2 Literatur nach 1918
  • 12. Abkürzungsverzeichnis und Personenregister
  • 12.1 Abkürzungsverzeichnis
  • 12.2 Personenregister

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1.   Einleitung

Abstract: The objective of this study is to find out what the Germans thought about the Sorbs in the 19th century or, respectively, what they could know about this minority. For this purpose, the major German encyclopaedias of that epoch will be searched. Besides such sources, contemporary literature and current research will be considered.

1.1   Herangehensweise und Fragestellung

Mit der vorliegenden Arbeit soll ein Beitrag zur deutsch-sorbischen Verständigung geleistet werden, der auf einer auf das 19. Jahrhundert bezogenen, historisch-germanistischen Fragestellung beruht. Er soll einen Teil zu der Erforschung beitragen, welche Vorstellung in „deutschen Köpfen“ über Sorben herrschen, genauer gesagt, wodurch sich dieses Bild historisch generiert. Ziel dieser Arbeit kann es nicht sein, diese Bilder zu begründen, bewerten, verteidigen oder zu widerlegen. Vielmehr soll die aktuelle Forschung der deutsch-sorbischen Verständigung und Kommunikation durch eine historische, ausgiebig analysierte Grundlage ergänzt und somit gefördert werden. Das lange 19. Jahrhundert5 mit seinen Revolutionen, Nationsbildungen und vor allem den aufkommenden Massenmedien scheint hier das geeignete Zeitalter zu sein, einen wichtigen Grundstein für die Vorstellungswelt der Menschen im 20. und 21. Jahrhundert gelegt zu haben.

Als Grundlage dieser Analyse wird das deutschsprachige Konversationslexikon herangezogen, das über die gesamte Epoche hinweg die Zeitgenossen informiert und somit beeinflusst hat, aber seinerseits auch durch jene beeinflusst worden ist. Die Texte in den Nachschlagewerken eignen sich daher gut, einen Einblick in die Denkweise und Vorstellungswelt jener Menschen zu bekommen, die zur Zeit der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege, des Wiener Kongresses und seiner Restauration, des Wartburgfestes, der Märzrevolution, der Bismarckschen Kriege, der Reichseinigung, des deutschen Kolonialismus und Imperialismus und des ← 15 | 16 → Ersten Weltkrieges lebten (um nur einige Beispiele zu nennen) und der deutschen Sprache mächtig waren. Als fokussiertes Beispiel der Beschreibung werden die Sorben herangezogen, die als Staatsangehörige Sachsens und Preußens bzw. als Bewohner des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Kaiserreichs die gleichen, oben genannten großpolitischen Ereignisse erfuhren, aber zusätzlich zeitgleich ihre eigene Nationsbildung durchliefen bzw. zumindest begannen.

Das Konversationslexikon des 19. Jahrhunderts stellt eine sehr wichtige, aber in der Forschung vielfach unterschätzte oder missachtete Quelle dar.6 Die lange und konsequente Erscheinungsdauer, die hohe Auflagenzahl, die auf Aktualität bedachten immer wiederkehrenden Neuauflagen und der selbsterhobene Anspruch auf Vollständigkeit und Wissenschaftlichkeit einerseits und Unterhaltungscharakter andererseits machen das Lexikon zu einem nützlichen Forschungsgegenstand für Historiker, Germanisten und andere Geisteswissenschaftler.7 Man kann es als eine Art Spiegel der geistigen Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts bezeichnen. In erster Linie hat sich das Konversationslexikon an das Bildungsbürgertum, also zusagen an den „gebildeten Laien“ gerichtet. Es ist darüber hinaus aber auch im Zusammenhang mit Alphabetisierung, Aufklärung und Bildung der unteren Schichten zu sehen (vor allem in Bezug auf den Herder sowie die kleinen Ausgaben von Brockhaus und Meyer).

Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet nicht, wie Deutsche und Sorben im 19. Jahrhundert zusammen gelebt haben oder wie sorbische Protagonisten den nationalen Gedanken ihres Volkes initiierten oder förderten. ← 16 | 17 → Die Frage lautet vielmehr, welche Vorstellung über bzw. welches Wissen um die Sorben die Leserschaft deutschsprachiger Nachschlagewerke, also hauptsächlich Deutsche, aber durchaus auch gebildete Sorben, Tschechen, Polen etc., haben oder erlangen konnte. Detaillierte Fragen, auf die im Verlauf der Analyse eingegangen wird, beziehen sich auf das Nachschlagen der Lemmata (Schlagwörter) Sorben und Wenden sowie artverwandter Artikel. Zusätzlich stellt sich aber auch die Frage, wie Sorben / Wenden in den gesamten Werken, also in artfremden Lexikonartikeln, auftauchten, wenn man nicht explizit nach ihnen gesucht hat. Schließlich soll herausgefunden werden, ob im 19. Jahrhundert das deutsche Sorbenbild konstant geblieben ist oder sich zu bestimmten Zeiten nachweislich verändert hat. Darüber hinaus wird die Frage aufgeworfen, was sich in den jeweiligen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hinter den deutschen Begriffen Sorben und Wenden versteckt hat, also was Autoren und Leser darunter verstanden. Außerdem sollen die vier großen deutschen Konversationslexika des 19. Jahrhunderts (Brockhaus, Meyer, Pierer und Herder) untereinander verglichen werden: Unterscheidet sich das jeweils vermittelte Sorbenbild je nach Verlagshaus?

Um die Analyse (Kapitel 6 bis 9) in das historische, methodische und komparatistische Umfeld einordnen zu können, sind ihr einige Kapitel vorangestellt. Zunächst wird sich mit den theoretischen Grundlagen rund um Nationsbildung, Minderheitsbewegung und Stereotypisierung auseinandergesetzt (Kapitel 2), bevor auf die Quellengattung und den historischen Hintergrund der einzelnen Konversationslexika eingegangen wird (Kapitel 3). Auf einen ausführlichen, eigenständigen historischen Abriss der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert wird verzichtet, da zum einen ein hierauf bezogenes Grundwissen des Lesers vorausgesetzt werden kann und zum anderen die für die Fragestellung und Analyse wichtigen Informationen zur deutschen Geschichte jeweils in den verschiedenen Kapiteln an Ort und Stelle geliefert werden. Ein ausführliches Wissen des Lesers über die Situation der Sorben im 19. Jahrhundert (Kapitel 4) kann jedoch nicht vorausgesetzt werden und ist daher je nach Wissensstand entweder als neue Vorabinformation, oder als Fokussierung auf die in der Analyse folgenden Punkte zu verstehen und daher unerlässlich. In dem letzten, vor die Analyse gestellten Kapitel werden anhand von Sekundärliteratur Bilder der Deutschen über verschiedene Nachbarn oder Minderheiten nachgezeichnet (Kapitel 5), um ← 17 | 18 → anschließend das (re-)konstruierte lexikalische Sorbenbild einordnen und vergleichen zu können.

Die Quellenanalyse befasst sich zunächst mit dem Hintergrund der Lexikonartikel (Kapitel 6). Wer waren die Autoren und welche Quellen lagen ihnen beim Verfassen der Texte vor? Anschließend werden einige quantitative Analysen vollzogen (Kapitel 7), bevor ausführlich der Inhalt der jeweiligen Texte mit unterschiedlichen Fragestellungen untersucht und sozusagen detailliert zerlegt wird. Der Exkurs zu den Damen-Lexika (Kapitel 8) ist lediglich als Marginalie der gesamten vorliegenden Arbeit zu betrachten.

Eine Arbeit dieser Art, die neben historischen auch viele germanistische und literaturwissenschaftliche Elemente enthält, muss darauf bedacht sein, nicht unübersichtlich zu werden. Zur Unterscheidung gleicher Wörter mit unterschiedlicher semantischer Bedeutung wird hier vielfach mit der Kursivschrift gearbeitet. So ist beispielsweise mit „Brockhaus“ das Buch und mit „Brockhaus“ der Verleger gemeint. „Sorben“ sind die Menschen und „Sorben“ ist das Wort oder Lemma. Weitaus komplizierter wird es bei dem Begriff Wenden. Da es weder im 19. Jahrhundert noch heute eine eindeutige Definition dieses Begriffs gibt, muss jeder (menschenbezogene) Inhalt dieses Wortes berücksichtigt werden. Das geht von allgemeinen Slawen im Mittelalter über Slowenen bis hin zu Kaschuben, wie die Analyse zeigen wird. Wichtig ist nur zu betonen, dass sich die vorliegende Arbeit nicht alleine mit dem Bild der Lausitzer Sorben befassen kann, auch wenn diese natürlich Ausgangspunkt der Fragestellung sind und daher auch im Mittelpunkt der Analyse stehen. Es wird versucht, aus heutiger Sicht meist von Sorben zu sprechen, auch wenn der Wenden-Begriff derzeit in der Niederlausitz eine Renaissance erfährt. Wird in dieser Arbeit einzig und allein von Wenden gesprochen, so ist der jeweilige Satz in der Regel thematisch auf das Mittelalter bezogen. Aufgrund des schwierigen Umgangs mit den beiden Begriffen ist in dieser Arbeit durchaus mal von „Sorben und Wenden“, mal von „Sorben oder Wenden“ und mal von „Sorben / Wenden“ die Rede; dieses Verfahren ist nicht mit nachlässiger Arbeitsmoral zu erklären, sondern wird mit Absicht angewendet. Durch die lange Zeitspanne, mit der sich die Lexikon-Artikel befassen, tauchen weitere begriffliche Probleme auf: In den Texten wird meistens von Deutschen gesprochen, auch wenn von der Antike oder dem Frühmittelalter die Rede ist und heutzutage in diesem Zusammenhang eher von Germanen gesprochen wird. Außerdem tauchen ← 18 | 19 → in der vorliegenden Arbeit potentielle Verwechslungsmöglichkeiten auf bei Sachsen, Franken, Preußen und anderen Bezeichnungen für Menschengruppen. Der gemeinte Inhalt ergibt sich dem Leser aus dem jeweiligen Kontext und wird daher in der Regel nicht näher erläutert.

Einige weitere kurze, editorische Hinweise: Die in dieser Arbeit verwendeten Nachschlagewerke werden aufgrund der langen Titel und der häufigen Nennung in den Fußnoten als Siglen angeführt. Literaturangaben werden bei der Erstnennung ausführlich und bei wiederholender Nennung mit einem Kurztitel angegeben. Die ausführlichen Titel der Lexika und Literatur finden sich im dafür vorgesehenen Register. Die Herausgabe einer Lexikon-Auflage mit mehreren Bänden hat meist mehrere Jahre beansprucht. Wenn im Text der vorliegenden Arbeit für eine Auflage nur ein einziges Jahr angegeben wird, bezieht sich diese auf den vorliegenden Band oder auf das Abschlussjahr der Auflage (was im Falle des Wenden-Artikels aufgrund der alphabetischen Sortierung meist übereinstimmt). Die ausführlichen Jahreszahlen einer Auflage sind im Register zu finden. Zahlen von 1 bis 12 werden in der Regel ausgeschrieben, außer sie stehen (wie in diesem Fall) für die wirkliche Zahl (und nicht die Anzahl) oder sind Bestandteil eines Buchtitels (z. B. als Hinweis auf die Auflage) oder eines Zitates. Das Gebiet vom Spreewald im Nordwesten bis zum Zittauer Gebirge im Südosten wird in dieser Arbeit als „die Lausitz“ bezeichnet. Aufgrund der sowohl politisch-administrativen als auch sprachlich-kulturellen Unterteilung in Nieder- und Oberlausitz wird in der aktuellen Fachliteratur teilweise aber auch von „den beiden Lausitzen“ gesprochen.

1.2   Forschungsliteratur

1.2.1   Forschungsstand Sorbenbild in deutschen Medien

Die Liste der wissenschaftlichen Arbeiten mit Bezug auf die Darstellung der Sorben in deutschen Medien ist relativ überschaubar. Stellen die Sorben im Allgemeinen sowohl in der deutschen als auch in der osteuropäischen beziehungsweise ostmitteleuropäischen Geschichtsforschung eher ein Randthema dar, so ist auch die historische Aufarbeitung der Verbindung der beiden Themen „Sorben“ und „Medien“ eher gering. Beinahe alle Autoren, die diese Themen miteinander verknüpfen, haben eine persönliche Beziehung zu der Lausitz bzw. den Sorben. Daher ist es kaum verwunderlich, dass die ← 19 | 20 → meisten dieser Publikationen in Bautzen herausgegeben werden. Dem überwiegenden Anteil der Arbeiten, die „Sorben“ und „Medien“ in Relation zueinander setzen, liegt eine Fragestellung über sorbische Medien zugrunde. Die Geschichte vornehmlich sorbischer Zeitungen und Zeitschriften ist demnach gut aufgearbeitet. Die sorbischen Printmedien des 19. Jahrhunderts stehen im engen Zusammenhang mit dem „nationalen Erwachen“. Ihre Herausgeber und Autoren waren zugleich auch führende Köpfe dieser Bewegung. Das erklärt das große Interesse der Historiker und Sorabisten an diesem Gebiet.

Im Gegensatz zu sorbischen Printmedien wird deutschen Printmedien mit Bezug auf die Sorben vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zuteil. Im Folgenden werden die wichtigsten Publikationen mit Medienbezug, ob historisch oder aktuell, kurz charakterisiert.

Mit dem Bild der Sorben in deutschen Schriften der Frühen Neuzeit hat sich 2011 Friedrich Pollack in seiner Magisterarbeit beschäftigt.8 Räumlich fast ausschließlich auf die Oberlausitz fokussiert, wertet Pollack gelehrte Schriften wie Reiseberichte oder sorabistische Forschungen aus, um daraus die deutsch-sorbischen Beziehungen jener Zeit in Form der zeitgenössischen Fremdcharakterisierung der Sorben zu analysieren. Der Autor hat knapp über 100 Titel ausgewertet, die zum Großteil religiöse Schriften und wissenschaftliche Abhandlungen darstellen.

Bis zum späten 17. Jahrhundert waren Druckerzeugnisse mit Sorben-Bezug sehr selten. Pollack stellt für das 17. und 18. Jahrhundert fest, dass im Großteil der untersuchten Schriften die Sorben nicht das Hauptthema waren, sondern allenfalls am Rande erwähnt wurden. Im Wesentlichen werden den Sorben keine besonderen Kuriositäten oder fremden Eigenschaften zugeschrieben. Ihre Merkmale seien je nach Text entweder ihre evangelische Konfession, ihr bäuerlicher Stand oder ihre Sprache. Dadurch treten sie in der zeitgenössischen Literatur in der Regel nur als Objekte und nicht als politisch oder andersartig aktive Subjekte in Erscheinung. In Bezug auf die Historiographie des 17. Jahrhunderts treten die Sorben, so wie andere Slawen an Elbe, Oder, Weichsel oder Moldau, als Heiden auf, ← 20 | 21 → die von den „Deutschen“ christianisiert wurden. In diesem Zusammenhang werden ihnen charakterliche und moralische Laster zugeschrieben, die sie im Mittelalter gehabt haben sollen.

Ein anderer Grund für eine Nennung der Sorben in der Geschichtsschreibung ist die Erklärung von slawischen Flur- und Ortsnamen. Im 18. Jahrhundert erscheinen in lausitzischen Periodika einige sorabistische Aufsätze. Pollack vermutet, dass die Sorben aufgrund dieser Schriften zu jener Zeit Einzug in verschiedene Enzyklopädien fanden. Ende des 18. Jahrhunderts seien laut Pollack die Sorben dann erstmals als Gruppe oder Gemeinschaft, die neben den Deutschen existiere, in deren Bewusstsein getreten.

Der Autor resümiert, dass in der Historiographie des untersuchten Zeitraums die Stereotypen des Mittelalters übernommen wurden. Nachdem im 16. Jahrhundert die Sorben so gut wie keine Erwähnung fanden, werden sie im 17. und 18. Jahrhundert zeitgenössisch als fromm und fleißig dargestellt, wenngleich auch übliche antislawische Stereotypen auftauchen. Das hänge laut Pollack teilweise vom jeweiligen Autor und seiner Einstellung zur Aufklärung ab.

Mit einer ähnlichen Fragestellung wie Pollack hat Hartmut Zwahr 1984 eine Quellensammlung herausgebracht. In „Meine Landsleute. Die Sorben und die Lausitz im Zeugnis deutscher Zeitgenossen. Von Spener und Lessing bis Pieck“ hat er ausgewählte Schriften vom 17. bis 20. Jahrhundert zusammengetragen.9 Es handelt sich hierbei nur um eine Sammlung und nicht um eine Analyse oder Interpretation. Zwahr hat die Quellen in sechs Epochen unterteilt: 1689–1789, 1789–1871, 1871–1918, 1918–1933, 1933–1945 und 1945–1955. In der ersten Rubrik befinden sich Schriften unter anderem von Johann Heinrich Zedler, Gotthold Ephraim Lessing und Johann Gottfried Herder. In der Zeit zwischen der Französischen Revolution und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs äußerten sich beispielsweise Johann Gottlieb Fichte, Robert Blum und Theodor Fontane zu den Sorben. Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs gehören Georg Sauerwein und Karl Liebknecht zu den aufgeführten Autoren. Während vor der Reichsgründung meist literarische Texte mit Sorbenbezug vorzuweisen sind, werden sie um die Jahrhundertwende mehr und mehr politisch, bis sie sich nach ← 21 | 22 → der Ausrufung der Weimarer Republik zum überwiegenden Teil mit der sogenannten Sorbenfrage beschäftigen.

Maria Mirtschin, Mitarbeiterin des Sorbischen Instituts in Bautzen, hat in einem 2009 erschienenen Buch das Bild der Sorben anhand zeitgenössischer Postkarten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts untersucht.10 Eingangs stellt sie unter anderem die These auf, dass die Lausitz über keine überragenden, deutschland- oder weltweiten Sehenswürdigkeiten verfüge. Das Besondere an der Region seien die Trachten. Wenn also Sorben auf Bild-Postkarten abgebildet werden, dann hauptsächlich in ihrer Funktion als Trachten tragende Lausitzer. Es wird etwas Ursprüngliches, Naturbelassenes und Ländliches gezeigt, wodurch den Sorben das Bild des Traditionellen und Konservativen zugesprochen werde. Auf der Ebene des Massenmediums Postkarte ist die Abbildung von Sorben laut Mirtschin eine Randerscheinung. Betrachtet man sämtliche Abbildungen der Sorben, so stellen Postkarten im späten 19. Jahrhundert einen großen und wichtigen Teil dar. Regional betrachtet erkennt die Autorin folgende Unterschiede: Im Spreewald ist der Anteil von Postkarten mit sorbischen Motiven weitaus höher als in anderen sorbischen Regionen. Grund hierfür sei der Massentourismus, vornehmlich mit Besuchern aus der Großstadt Berlin, dessen Anspruch sich von jenem des Fremdenverkehrs in der Oberlausitz unterscheide.

Häufig wird auf den Postkarten nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei den Abgebildeten um Vertreter der Sorben oder bei den gezeigten Bräuchen und Trachten um sorbische Elemente handelt. In einigen Fällen sind die Abbildungen aber mit dem Hinweis „Wende“, „Wendin“ etc. versehen und in seltenen Fällen befinden sich auf von Deutschen für Deutsche produzierten Postkarten auch sorbisch-sprachige Wörter oder sogar ganze Sätze. Mirtschin untersucht mehr als 70 deutsche Postkarten, die Motive mit sorbischen Elementen aufweisen. Sie fasst diese in verschiedene Kategorien zusammen. Die größte Gruppe ist jene mit der Aufschrift „Gruß aus…“ und einem Hinweis auf das Sorbentum. Im Gegensatz dazu stehen die Postkarten im Sinne des „Heimatschutzes“, die auf einen solchen Hinweis systematisch verzichten. Zwischenzeitlich befasst sich die Autorin in einem Kapitel mit 22 Postkarten, die durch sorbische Initiative entstanden sind. Sie enthalten ← 22 | 23 → meistens Elemente der nationalen Bewegung. Auf eine Schlussbetrachtung, in der die verschiedenen Rubriken miteinander verglichen werden, sowie ein Fazit über das Bild der Sorben in deutschen und sorbischen Postkarten hat die Autorin verzichtet.

Details

Seiten
266
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631692554
ISBN (PDF)
9783653070422
ISBN (MOBI)
9783631692561
ISBN (Paperback)
9783631676493
DOI
10.3726/978-3-653-07042-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 266 S.

Biographische Angaben

Cornelius Lehmann (Autor:in)

Cornelius Lehmann studierte Geschichte und Volkswirtschaft an der Ruhr-Universität in Bochum sowie Geschichte und Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sein Forschungsschwerpunkt konzentriert sich auf nationale Minderheiten in Mitteleuropa.

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Titel: Die Sorben und Wenden in deutschen Konversationslexika des 19. Jahrhunderts
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