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Österreichische Auswanderung in die USA zwischen 1900 und 1930

von Kurt Bednar (Autor:in)
©2017 Dissertation 296 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die Beweggründe der Menschen, die vor hundert Jahren aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, später aus der Republik, auf Ellis Island landeten. Auswanderer sahen in der Neuen Welt Chancen, die sie daheim vermissten. Im Ersten Weltkrieg strandeten viele mangels einer Gelegenheit zur Rückkehr. Viele, vor allem Slawen, wandten sich sogar gegen die Heimat. Im Zentrum des Buchs stehen die Umstände der Auswanderungswelle: Abfahrtshäfen, Überfahrt und Behandlung in Amerika. Der Autor diskutiert, ob man aus den Erfahrungen von damals gelernt hat, wenn Europa heute zum Zielland von Einwanderung geworden ist, oder ob sich die Fehler von damals wiederholen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autoren
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort des Reihenherausgebers
  • Herkunft: Auswanderung aus Österreich
  • Definitionen
  • 1.1 Wanderungen
  • 1.2 Das Rätsel Österreich
  • 1.3 Konsequenzen
  • 2. Rechtslage zur Auswanderung
  • 2.1 Monarchie
  • 2.2 Republik
  • Datenlage zur Auswanderung
  • Monarchie
  • Republik
  • Soft Facts zur Auswanderung
  • 4.1 Monarchie
  • 4.2 Das Österreich der Ersten Republik
  • Spurensuchen
  • Die Wanderung in Zeit und Raum
  • Der Abfahrtshafen
  • 1. Hafen-Übersicht
  • 1.1 Bremen
  • 1.2 Hamburg
  • Sonderrolle von Cuxhaven
  • 1.3 England
  • 1.4 Restliches ausländisches Europa
  • 1.5 Fiume und Triest
  • 2. Der Dampfer
  • 2.1 Norddeutscher Lloyd (NDL)
  • 2.2 HAPAG
  • 2.3 England
  • 2.4 Sonstige Dampfergesellschaften
  • Die Überfahrt
  • 3.1 „Huddled Masses“ im Zwischendeck.
  • 3.2 Rückwanderung
  • Der Ankunftshafen
  • Die beherrschende Figur: William Williams
  • Was passiert eigentlich auf Ellis Island?
  • Todesfälle auf Ellis Island
  • Einreiseverweigerung
  • Transmigration auch in Übersee
  • Deportation
  • Ankunft: Einwanderung in die USA
  • Definitionen
  • Rechtslage zur Einwanderung
  • Datenlage zur Einwanderung
  • Massive Kritik an der US-Statistik
  • Österreicher auf Ellis Island und nachher
  • Zeitgenössische Datenverarbeitung
  • Moderne Verarbeitung zeitgenössischer Daten
  • Soft Facts zur Einwanderung
  • Familie und Geschäft
  • Kirche und Schule
  • Presse und Kultur
  • Vereinswesen und Politik
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

Vorwort des Reihenherausgebers

Der Reihentitel „historisch-anthropologische Studien“ will auf das Wechselspiel zwischen biologisch-evolutionärer Prägung und historischer Ausgestaltung hinweisen, das die Geschichte menschlicher Gesellschaft prägt. Die Menschen finden sich in den alltäglichen Handlungsoptionen nicht in grenzenloser Freiheit, sondern in Entscheidungssituationen, die durch ihre Stellung zwischen Natur (biologische Vorprogrammierung) und Kultur (bewertende Selbstgestaltung) erst ermöglicht werden. Dieses Spannungsfeld erst schafft Kultur und Geschichte, in denen viele Bedeutungen, unterschiedliche Bewertungen und Normen möglich und legitim sein können.

In der Kultur der Menschen, wie sie uns in historischen und aktuellen Quellen zugänglich ist, gilt eine für Analyse und Verstehen des Menschen und seiner sozialen Verhältnisse hilfreiche Erkenntnis: Das kulturelle Geschehen und seine Interpretation ist vieldeutig und daher stets ambivalent. Gesellschafts- und Kulturforschung muss diese Vieldeutigkeit des Vorliegenden in ihren Hypothesen, Analysen und Methoden berücksichtigen. Die Diskurse, die aus den Quellen herausleuchten, sind stets offen und widersprüchlich, tragen zumindest Keime des Widersprüchlichen in sich. Es kann daher in der Kulturforschung nicht um „Wahrheit“ gehen. Wahrheit ist ein naiv-historisch-realistischer Begriff eines positivistisch behavioristischen Gesellschaftsverständnisses. Allerdings muss zugestanden werden, dass zum menschlichen Handeln, zu Gesellschaft im Großen und Kleinen, das Quantitative – das Ausmessbare – gehört, eine wesentlich gestaltgebende Rolle spielt. Erst durch die Quantitäten, in denen sie vorkamen und –kommen, erhalten Phänomene ihre Bedeutung in Kultur und Geschichte. Geschichte ist dadurch gekennzeichnet, dass Qualitäten eine Funktion des Quantitativen sind. Historische Forschung muss daher stets abzählen und ausmessen – in Zeit- und in Raumeinheiten – und festhalten, ob, warum und wie Quantität in Qualität übergeht.

Die „Menschenkunde“, die „Anthropologie“ wird aus der Perspektive der aktuellen „Life Sciences“ gegenwärtig neu programmiert, neu gestaltet, mit neuen Fragestellungen ausgestattet. Die Erkenntnisse der Molekularbiologie, der Genetik und immer stärker der Neurophysiologie verändern das Menschenbild und das Wissen über das Kultur- und Naturwesen Mensch. Die Anthropologie muss neu – wesentlich aus interdisziplinären Quellen – konzipiert werden. Geistes- und Kulturwissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits sind aufgefordert, ihre Ergebnisse miteinander auszutauschen, miteinander zu diskutieren, aufeinander zuzugehen. ← 7 | 8

Der aus Österreich stammende Neurowissenschafter Eric Kandel, der für seine Forschungen den Nobelpreis für Medizin erhielt, gab seinem Buch „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ den Untertitel „Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes“. Mit dem Blick auf die aufregenden neuen Ergebnisse dieser Neurophysiologie rücken die alten vertrauten Konzepte von „menschlicher Identität“ – z.B. „Herz“ und „Busen“ für den Ort, in dem Ich-Gefühle und Bewusstsein wurzeln – immer mehr in den Bereich des Mythologischen. Gleichzeitig sagen die Molekularbiologie und die Neurophysiologie über das eigentlich Menschliche, über den Inhalt des Denkens, über Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Kunst bis dato nichts aus. Die Erkundungen über die komplexen Strukturen und Ausdrucksformen z.B. der Wirtschaft und der Kunst bleiben dem diskursorientierten, „verhandlungsorientierten“ und nicht mathematisch genauen Gesellschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften vorbehalten. In Kenntnis der Strukturen und Aussageweisen der Kunst- und Kulturdiskurse kann festgehalten werden, dass Kulturaussagen nie ohne Wertaussagen und Normpostulate auskommen; ganz im Gegenteil, das Kultur- und Kunstfundament ist die Vieldeutigkeit, die Ambi- und Polyvalenz von Wahrnehmung, Erkenntnis und Handlung, die zugleich die prinzipielle Freiheit des Menschen autonom zu deuten und zu handeln fundiert.

Die neuen Naturwissenschaften geben bis dato jedoch trotz ihrer gleichermaßen wichtigen wie interessanten Kritik der alten Geisteswissenschaften und ihrer Methoden und Ergebnisse noch keine plausiblen Parameter für ein neues und aktuelleres wissenschaftliches Weltbild. Das Wissen über Geschichte und Gesellschaft basiert auf Texten, auf von Menschen gestalteten Objekten mit von Menschen gegebenen Sinngehalten und Funktionen. Mit von HistorikerInnen entwickelten Methoden der Quellen- und Textkritik analysieren und deuten wir die Handlungen der Menschen – Analyse und Erklärung einerseits und Verständnis und Deutung andererseits – ergänzen einander. Der Konstruktivismus hat in allen Wissenschaftsdisziplinen – in den Naturwissenschaften ebenso wie in den Kulturwissenschaften – die selbstreflexiven Perspektiven und die daraus entwickelten Methoden zur Berücksichtigung und Relativierung des „Standortes“, an dem sich der Beobachter befindet, gestärkt. In der Geschichtswissenschaft vertraut man heute weniger einem naiven Positivismus, der Würdigung von „Fakten“, als einer Perspektive, die davon ausgeht, dass die geistigkulturelle Welt aus „Erzählungen“ und „Texten“ besteht. Das Fragmentarische und Ephemere der geistes- und kulturwissenschaftlichen Deutung der menschlichen Handlungen und Gestaltungen war bis jetzt Grundlage und Garantie für die Offenheit der sozialen Welt und ihrer Deutungen: wenn unterschiedliche und immer neue Interpretationen des gesellschaftlichen Geschehens möglich sind, dann ist auch die gegenwärtige Gestaltung der Welt offen. ← 8 | 9

Die Naturwissenschaften sagen vereinfacht: beim Denken und Handeln, die den Menschen konstituieren, gibt es ein Geschehen, das die Molekularbiologen und die Neurophysiologen wissenschaftlich beschreiben können und in dem die „Willensfreiheit“, die Gestaltung der Welt durch autonome Individuen, eine immer geringere Rolle spielt – spielen kann, spielen soll.

Die Geistes- und Kulturwissenschaften sagen, aber zeigen auch andererseits, dass die Texte und Werke, mit denen sie arbeiten – z.B. Laurence Sternes Tristram Shandy, Voltaires Candide, Goethes Faust, Mozarts Zauberflöte –, unendlich viel mehr über den Menschen aussagen, als die von den Molekularbiologen sequenzierte DNA; was erfährt man – so argumentieren sie – über den Menschen, wenn man weiß, was beim Komponieren und Hören von Mozarts Requiem beim „Tanz der Proteine“ im Gehirn vorgeht. Deutung und Verständnis könnten doch einzig und allein über sprachliche Erkundungen der Qualität und der Inhalte der Werke geschehen.

In der Zeit, in der die historische Anthropologie in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden ist, waren die Perspektiven von Natur- und Kulturwissenschaften auf den Menschen noch weit verschwommener, die wissenschaftlichen Konflikte, aber auch die Möglichkeiten spannender, grenzüberschreitender Forschungsarbeit waren noch weniger deutlich. Vorschnell konnte man auf dem Wissenschaftsstand vor 25 Jahren von Biologismen und Soziologismen sprechen, wenn man Grenzüberschreitungen der Disziplinen ansprechen wollte.

Die naturwissenschaftlich orientierte Anthropologie erforscht den Menschen unter morphologischen und organfunktionellen, in wachsendem Maß aber unter genetischen und molekularbiologischen Aspekten, die Soziobiologie versucht, gesellschaftliche Prozesse als Kampffeld egoistischer Gene zu enttarnen, die Ethologie – gegenwärtig immer stärker die Evolutionsbiologie – untersucht Verhaltensprogramme, die sich in der Evolution herausgebildet haben. Von den Ergebnissen der Molekularbiologie, vor allem aber auch von jenen der Neurophysiologie und deren Anwendungen, die von Politik und Wirtschaft mit großem Interesse wahrgenommen werden, sind für Wissenschaft und Gesellschaft, für Ethik und Menschenbild entscheidende Impulse zu erwarten.

Die historische Anthropologie beschäftigt sich mit dem Menschen als einem durch die Kulturen geformten und formbaren Wesen, das die Fähigkeit hat, die Formungen mitzugestalten. Sie geht auf der Grundlage vielfältiger differenzierter Befunde über unterschiedliche Ethnien und Kulturen in verschiedenen Epochen davon aus, dass die Menschen in ihren Sprachen, Symbolen, Ritualen, Verhaltensweisen und Wahrnehmungsformen flexible Kulturwesen sind, die die Fähigkeit haben, über ihr individuelles und soziales Leben zu reflektieren. Das ← 9 | 10 → Handeln der Menschen – auch das wissenschaftliche Handeln – wird stets durch diese Reflexionstätigkeit gestaltet, modifiziert, weiterentwickelt.

Freie Gestaltung und kulturelle Prägung sind kein Widerspruch, sie bedingen sich vielmehr gegenseitig. In den Kulturen gibt es Lebensfelder, die in ihren Strukturen und Ausdrucksformen einander ähnlich sind, weil die durch die Natur vorgegebenen Probleme ähnliche Lösungen nahe legen und weil die Menschen sich in ihrem genetischen Potenzial jedenfalls in den letzten zwanzigtausend Jahren nicht – oder nur kaum – verändert haben. In dem Bereich dieser „Universalien“ gehört die Gesamtheit der Ausdrucksformen des Lebenszyklus, des generativen Verhaltens, der Umgang mit Körper und Sexualität, mit Raum- und Zeitstrukturen in unterschiedlichen kulturellen Situationen. Aus den Kulturwissenschaften wissen wir, dass die Bewältigung der Grundprobleme des Menschseins unendlich viele kulturelle Ausdrucks-, Interpretations- und Wahrnehmungsformen hervorgebracht und zugelassen hat. Die historische Anthropologie geht formalen, inhaltlichen und funktionalen Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Naturbewältigung nach und fragt nach deren Ursachen und Folgen.

Neben den biologisch-genetischen Strukturen, die Biologie, Molekularbiologie, Neurophysiologie, Genetik, Ethologie und Soziobiologie erforschen, gibt es die historisch geprägten Strukturen, die durch Gestaltbarkeit, Flexibilität und Reflexivität gekennzeichnet sind und die menschliche Geschichte und Kultur erst konstituierten und gestalten. Sie haben bisweilen eine über viele Generationen reichende „longue durée“. Die historisch-anthropologischen Studien analysieren diese in der Geschichte sich entfaltenden Strukturen von Verhaltensweisen und von symbolischen Ausdrucks- und Kommunikationsformen im Wechselspiel mit evolutionär entstandenen Verhaltensweisen und deren Wahrnehmung durch die Individuen.

Zum vorliegenden Buch

Migration, Emigration, Immigration sind jene gesellschaftlichen und kulturellen Gestaltungsvorgänge, die im Globalisierungsprozess eine immer größere Bedeutung gewonnen haben. Gesellschaftliche und politische Standards, kulturelle Muster, wirtschaftliche Chancen und Möglichkeiten werden in Bewegung gebracht und gleichsam aufgemischt. Aus nationalen „heimatsbezogenen“ oft rückwärtsgewandten Kulturen entstehen in ganz unterschiedlichen politischen Prozessen neue Segmente einer Weltgesellschaft, zu der sich die Staaten und bereits bestehenden vereinigten Staaten vielleicht einmal zusammenschließen werden.

Die Entscheidung für und die Tatsache der „Auswanderung“ ist für Individuen ein einschneidendes Geschehen. Die Auswanderer haben um 1900 eine ← 10 | 11 → Welt der Armut und vielfältiger feudaler Unterdrückung mit der Hoffnung verlassen, sich in der Fremde mit Mut und Fleiß eine Existenz in Wohlstand und Freiheit zu schaffen. Der Gründungsmythos der USA, insbesondere der „American Dream“ ist untrennbar mit dem Bild des Einwanderungslandes, der für Einwanderung offenen Gesellschaft, die durch Einwanderung geformten „States“ verbunden. Die Vorgeschichte dieses Forschungsfeldes ist von Mythen durchdrungen – von den nationalen Mythen der Zuwanderer ebenso wie von den neuen Mythen der USA.

Da die gegenwärtige Welt und die Globalisierung wesentlich durch Entwicklungen und Phänomene von Migration, Integration, Identitätsverlust, Identitätswandel, Leben mit Mehrfachidentität geprägt ist und die USA als Musterbeispiel für die Bewältigung von Problemen in diesem Zusammenhang stehen, ist die Lektüre des Buches von Kurt Bednar besonders interessant und nützlich. Kurt Bednar beschreibt die für die USA besonders prägende Phase der Einwanderung am Beginn des 20. Jahrhunderts, die rein quantitativ nur im Jahr 1990 noch etwas größer war als damals. Den gewählten Gesamtzeitraum vom Fin de Siècle bis zum Ende der 20er Jahre begründet Bednar sehr nachvollziehbar – zuerst eine Phase, in der Emigration um 1907 einen Höhepunkt erreicht; dann im großen Krieg ein Stillstand, schließlich seitens der USA ein Quotensystem und tendenziell ein Dichtmachen der Grenzen; gleichzeitig nimmt auch das Interesse potentieller MigrantInnen an den USA, die selbst in eine Wirtschaftskrise schlittern, ab.

Den Leser erwartet ein spannendes Buch, das für die Forschung, aber auch für die Auseinandersetzung mit den aktuellen Themen Migration, Integration, Identität von höchstem Interesse ist. Verblüfft konstatiert man ein Déjà-vu-Erlebnis der Fragen und Probleme, die am Beginn des 21. Jahrhunderts diskutiert werden. Von den Motiven für die Einsetzung der Dillingham Commission bis zu den alltäglichen Argumenten, mit denen die MigrantInnen konfrontiert waren, stoßt man auf sprachlich-thematisch-ideologisches Material, das aus den gegenwärtigen Diskursen über Migration geläufig ist. Alle Klischees sind schon da. Die integrationsunwilligen Einwanderer, Vorurteile gegenüber deren religiöse Haltungen, die Verdächtigung einer höheren Anfälligkeit für kriminelle Handlungen, zu niedrige Bildungsstandards und Intelligenz, mangelnde Bereitschaft, englisch zu lernen und zu sprechen. Bednar zeigt aber auch die Unterschiede zwischen damals und heute auf.

Ich freue mich, dass den „Historisch-anthropologischen Studien“ die Aufgabe zufällt, das wichtige Buch von Kurt Bednar in die Öffentlichkeit zu bringen.

Hubert Christian Ehalt ← 11 | 12← 12 | 13 →

Herkunft: Auswanderung aus Österreich

Naturgemäß eignet sich der Ablauf einer solchen Wanderungsbewegung besonders für ihre Darstellung. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher mit der Herkunft, das folgende mit der Bewegung an sich, im Zentrum die Überfahrt, und das danach mit Ankunft, Weiterfahrt und Aufenthalt, der entweder in einer Assimilierung, eventuell auch Naturalisierung, sonst in der Rückkehr mündet.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in die drei Teil-Zeiträume, in welche der Gesamt-Zeitraum zerfällt:

       -    Von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des Großen Krieges gibt es keine Änderung gegenüber der Zeitspanne zwischen 1880, dem Beginn der „neuen“ Wanderung und eben 1900. Es kommt weder zur geplanten gesetzlichen Regelung noch zu einer fundamental besseren statistischen Erfassung der Auswanderung. Auch alle Versuche, wenigstens am Geschäft der Migration wesentlich zu partizipieren, scheitern. Für die Motive der Auswanderer gelten die allgemeinen Push- und Pull-Faktoren als relevant.

       -    Durch den Krieg fällt die Ausgangsbedingung weg, auch wenn die USA zumindest bis 1917 dank offizieller Neutralität zur Aufnahme von Österreichern bereit gewesen wäre; aber auch die Schiffe waren jetzt nicht mit Zivilisten besetzt, sondern wurden für militärische Einsätze gebraucht und verwendet. Auswanderung in die USA konnte daher nur als Einzelfall passieren.

       -    Nach dem Krieg schlug die Tendenz aus der Zeit davor, nämlich keine (oder zumindest nur streng selektierte) Immigranten einzulassen, durch. Mit einer zeitlichen Verzögerung wurden die Empfehlungen der Dillingham Commission aus 1911 umgesetzt. Als Motive für die Auswanderung kommen eigentlich nur noch die wirtschaftliche Lage sowie persönliche Umstände in Betracht, die sich etwa aus den neuen Grenzziehungen ergeben haben konnten.

Definitionen

Gegenstand der Untersuchung soll das deutschsprachige Gebiet von Cisleithanien und nach dem Großen Krieg das Territorium der 1. Republik sein. Schon diese geografische Abgrenzung bleibt nicht ohne Schwierigkeiten. So lebte eine beträchtliche deutsche Gemeinschaft in der ungarischen Reichshälfte der Monarchie, die nur zum Teil in Gestalt des Burgenlandes zum Österreich der Ersten Republik stieß. Andererseits war auch diese Republik dann nicht rein deutsch.

Obwohl wohl kein Staat der Welt „rein“ ist, in dem Sinn, daß eben im Territorium mit der Bezeichnung „Österreich“ nur Österreicher leben, weist gerade hier Österreich eine Menge Spezifika auf. So wurde auch Cisleithanien als Vielvölkerstaat, ja als „Völkerkerker“ angesehen. Trotzdem haben sich nicht wenige Angehörige dieses Staates als Österreicher gefühlt, obwohl sie nicht der kulturell führenden Nation dieses Reiches angehört haben, eben nicht deutsche Österreicher gewesen sind.

Anmerkung: Es kam die Zeit, wo Österreich jenseits des Atlantiks darum kämpfen mußte, als „rein“ und „sauber“ anerkannt zu werden, nämlich nach ← 13 | 14 Weltkrieg 1, als der „Rest“ der Monarchie im Zug der neuen Einwanderungsgesetzgebung neu einzustufen war.

Und da es bei der Auswanderung letztlich um Menschen geht, die auswandern, zählt auch die Definition des Österreichers, des Menschen in und aus Österreich. Zur geografischen Definition kommt somit die personale Begriffsbestimmung.

1.1   Wanderungen

Viele Definitionen der und Theorien zur Auswanderung bestehen bereits, und es ist nicht Aufgabe der vorliegenden Untersuchung, eine neue zu entwickeln und darzulegen. Am meisten verbreitet (wenngleich zuletzt umstritten) scheint die Gruppe der „Push“- und „Pull“-Faktoren zu sein.

Push & Pull

Als das Interesse an internationalen Wanderungen wuchs, entstanden bald auch Theorien, wie das Thema zu fassen sei. Eine davon ist das Aufzählen von Push- und Pull-Faktoren, das heißt von Argumenten, die den Wanderer zum Weggehen und andere, die ihn zum Hingehen veranlassen. Das war die Phase der Historiker, die eher auf die Einzelperson geblickt haben. Bald rührten sich die Soziologen, die – wie die Bezeichnung zum Ausdruck bringt – eher die Gesellschaft im Blickpunkt haben.

Die wichtigsten Push-Faktoren sind religiöse, politische und wirtschaftliche Gründe, wenn einem die Ausübung der Konfession verleidet wird, wenn man verfolgt und unterdrückt wird oder wenn es eben nicht genug zu essen und zu trinken gibt.

Als wichtigste Pull-Faktoren gelten eigentlich genau die Gegenteile: Freiheit der Religionsausübung, Meinungsfreiheit oder höheres Lohnniveau kennzeichnen attraktive Regionen dieser Welt. Man muß nicht weit in die Geschichte zurück oder geografisch weit weg schauen, um genug Motive für Wanderung zu entdecken. Auch heute noch und ganz in unserer Nähe werden Menschen aus religiösen, politischen und wirtschaftlichen Motiven verfolgt, unterdrückt oder zumindest nicht gefördert.

Für die Herausgeber der aktuellen Enzyklopädie „Migration in Europa“ (Bade, 2. Auflage, 2008) gliedert sich eine Wanderung in drei Phasen1:

       -    Phase 1 beginnt demnach mit der Bereitschaft und schließt mit dem konkreten Entschluß,

       -    Phase 2 umfaßt die Reise an sich (vom Ausgangsraum zum Zielort), und in

       -    Phase 3 geht es um die „Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft“. ← 14 | 15

Die Forschung hat sich eben weiter entwickelt. Heute steht nicht mehr der Einzelne im Mittelpunkt sondern die Gesellschaft, und da wird zwischen drei Ebenen differenziert, in denen sich der Einzelne bewegt:

       -    Mikro-Ebene (Familie, Gemeinde)

       -    Meso-Ebene (kulturelle, soziale und wirtschaftliche Räume)

       -    Makro-Ebene (Gesetze, Machthierarchien durch Klasse, Generation, Altersgruppe und Geschlecht sowie Machtstrukturen in der Wirtschaft)

In einem an sich übersichtlichen Raster2 stellen die Herausgeber Typologien der Migration zusammen. Dabei differenzieren sie wie folgt:

       -    Nach dem Motiv, also herkömmlich, erzwungene Migration (hier allerdings umweltbezogen verstanden), Flucht und Vertreibung (weltanschaulich determiniert, durch Krieg) sowie wirtschaftliche („Verbesserungsmigration“, anders formuliert: Wirtschaftsflüchtlinge) und kulturelle Gründe (worunter die Autoren etwas merkwürdig auch Bildungsreisen oder Rentnermigration verstehen wollen).

       -    Nach der Distanz wenig überraschend in die drei Gruppen lokal, regional und international.

Details

Seiten
296
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631693599
ISBN (PDF)
9783653070477
ISBN (MOBI)
9783631693605
ISBN (Paperback)
9783631629796
DOI
10.3726/978-3-653-07047-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juli)
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2017. 296 S., 3 farb. Abb.

Biographische Angaben

Kurt Bednar (Autor:in)

Kurt Bednar wurde in Jura und Geschichte in Wien promoviert und forscht sowie publiziert unter anderem zu den Themen Erster Weltkrieg, Migration, Datenschutz und Betriebspensionen.

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