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Karl Nauwerck – Ein ‚bekannter patentirter Revolutionär‘

Herkunft und Jugend – Von der Aufklärung zum Aufbegehren. Nebst Anhängen mit Archivalien und Dokumenten von und zu Ludwig und Karl Nauwerck sowie mit Exkursen

von Lars Lambrecht (Autor:in)
Andere 602 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch veröffentlicht erstmals den Nachlass des ‚radikalen Demokraten‘ der März-Revolution Karl Nauwerck (1810–1891). Es wertet die aufgefundenen persönlichen und literarischen Dokumente der Jugendzeit kritisch aus und publiziert die Archivalien seines Vaters Ludwig, seiner Kinder und Enkel, die ebenfalls im Karl-Nauwerck-Familienarchiv (KNFA) gesichert sind.
Die vielfältigen Dokumente und Briefe belegen die politischen, gesellschafts- und kulturgeschichtlichen wie persönlich-privaten Beziehungen zwischen der Familie Nauwerck und bedeutenden Persönlichkeiten seit Ende des 18. Jahrhunderts: J. W. v. Archenholtz, C.L. Fernow, J.W. Goethe, J.H. Meyer, C.F. Zelter, F.D. Bassermann, R. Blum, S. Born, A. Geiger, M. Hartmann, A. Herzen, A.H. Hoffmann v. Fallersleben, J. Jacoby, A. Ruge, F.T. Vischer oder C. Vogt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Siglen- und Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Herkunft, Heimat, Familie, Jugend und Studium
  • 1.1 Etwas zu Norddeutschland: Zum geographischen und historisch-politischen Milieu
  • 1.1.1 Zur Verfassungsgeschichte Mecklenburgs
  • 1.1.2 Zur Lauenburgischen Entwicklung
  • 1.1.3 Ratzeburg: Fürstentum, Stadt, Domhalbinsel und Domschule
  • 1.1.4 Der Norden in der sog. Franzosenzeit
  • 1.1.4.1 Ideengeschichtliche Widersprüche in der Epoche der Franzosenzeit
  • 1.1.4.2 Die Franzosenzeit im Ratzeburgischen – also im Mecklenburgischen und Lauenburgischen, in der lauenburgischen Stadt und auf dem fürstentum-ratzeburgischen Domhof
  • 1.2 Ursprünge: Herkunft und Mitglieder der Familie
  • 1.2.1 Der Vater: Ludwig Gottlieb Carl Nauwerck
  • 1.2.1.1 Ausbildung und Anfänge als Politiker
  • 1.2.1.2 Der Gelegenheitsdichter und die Ratzeburger Literarische Gesellschaft. Zugleich zu seiner politischen Parteinahme in der ‚Franzosenzeit‘
  • 1.2.1.3 Der Maler: Fernows Schüler und Freund
  • 1.2.1.4 Nauwercks Malerei und die Verhandlungen mit Goethe über die Faust-Illustrationen
  • 1.3 Neu-Strelitz
  • 1.3.1 Familiäre, dienstliche und künstlerische Verhältnisse Ludwig Nauwercks
  • 1.3.2 Die politische Situation: Zur Lage der Juden, der Judenfeindschaft und der Demokraten in Neustrelitz
  • 1.4 Die Mutter: Marie Dorothea Margarethe Zinck
  • 2. Karl Nauwerck
  • 2.1 Jugend und Schulzeit
  • 2.2 Studium 1828–1831 in Berlin und Bonn
  • 2.2.1 Berlin (Wintersemester 1828 – Sommersemester 1830)
  • 2.2.1.1 Nauwercks akademische Lehrer
  • 2.2.1.2 Kommilitonen
  • 2.2.2 Bonn (Wintersemester 1830-Sommersemester 1831)
  • 2.2.2.1 Nauwercks akademische Lehrer
  • 2.2.2.2 Nauwercks erste Publikation: Die Freytag-Ewald-Affäre
  • 2.2.2.3 Kommilitonen: Abraham Geiger u.a
  • 2.2.2.4 Ausblick auf die persönliche Entwicklung
  • 2.2.2.5 Ausblick auf die politischen Folgen seines Wirkens als Hauslehrer bei polnischen Adligen
  • 2.3 Promotion in Halle
  • 2.3.1 Das formelle Verfahren
  • 2.3.2 Nauwercks Dissertation: Dissertatio philosophico-historica De progressibus generis humani
  • 2.3.2.1 Mögliche Referenzen für seine Thematik: Vico, Kant, Hegel. Nauwercks wissenschaftstheoretischer Ansatz und das zeitgenössische geschichtsphilosophische ‚Umfeld‘
  • 2.3.2.2 Rekonstruktionsversuche über einzelne Topoi, Nauwercks Quellen zu identifizieren: Genius/Perfektibilität/Fackel der Philosophie bei Herder und Schleiermacher
  • 2.3.2.3 Nauwercks sozialphilosophischer bzw. -theoretischer Standpunkt
  • 2.3.2.4 Interpretative Versuche über mögliche Vorbilder geschichtsphilosophischer Entwürfe, Konzeptionen und Modelle: Iselin, Hennings
  • 2.4 Reise nach Italien
  • 2.5 Ausblicke
  • Anhang I. Dokumente von/zu Ludwig Nauwerck
  • 1.1 Ueber ein Gemälde von Albrecht Dürer in der Marien Kirche zu Lübeck
  • 1.2 Briefe von/an Ludwig Nauwerck
  • 1.2.1 Ludwig Nauwerck an K.L.F. I., Herzog zu Mecklenburg v. 14.08. 1794
  • 1.2.2 Ludwig Nauwerck an K.L.F. II., Herzog zu Mecklenburg v. 02.11. 1898
  • 1.2.3 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 12.08. 1805
  • 1.2.4 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 21.06. 1810
  • 1.2.5 Johann Wolfgang von Goethe an L. Nauwerck v. 16.11. 1810
  • 1.2.6 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 14.12. 1810
  • 1.2.7 Ludwig Nauwerck an K. Bertuch v. 18.12. 1810
  • 1.2.8 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 13.04. 1811
  • 1.2.9 Johann Wolfgang von Goethe an L. Nauwerck** v. 08.05. 1811
  • 1.2.10 Gerhard Kügelgen an Ludwig Nauwerck v. 17. Mai 1811 365
  • 1.2.11 Johann Wolfgang von Goethe an L. Nauwerck v. 10.08. 1811
  • 1.2.12 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 06.09. 1811
  • 1.2.13 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe v. 29.09. 1815
  • 1.2.14 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 12.06. 1823
  • 1.2.15 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 05.06. 1824
  • 1.2.16 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 12. 11. 1824
  • 1.2.17 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 23.08. 1825
  • 1.2.18 Johann Heinrich Meyer an L. Nauwerck 20.02/02.03 1827
  • 1.2.19 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe 11.06. 1828
  • 1.2.20 Ludwig Nauwerck an J.W.v. Goethe am 27. März 1831
  • 1.2.21 Ludwig Nauwerck an Johann Karl Ludwig v. Schorn am 16. März 1835
  • Anhang II. Dokumente von/zu Karl Nauwerck
  • 2.1 Maunskripte
  • 2.1.1 Stimme Friedrich’s d. Gr. an unsere Zeit. Zur Erinnerung an ihn. Berlin 1833
  • 2.1.2 Versuch über die Regierungsformen und über die Pflichten der Souveraine
  • 2.1.3 Schluß der „Betrachtungen über den politischen Körper Europas“ vom Jahre 1736
  • 2.1.4 Nachricht von einem neu aufgefundenen Manuscripte Nicolo Macchiavellis
  • 2.2 Dissertation, Lebenslauf, Dissertationsurkunde und Abiturzeugnis/Referenzen
  • 2.2.1 Dissertation [Deutsche Übersetzung]
  • 2.2.2 Lebenslauf, Dissertationsurkunde und Abiturzeugnis/Referenz
  • 2.3 Schulzeugnis und amtliche Dokumente
  • 2.3.1 Schulzeugnis
  • 2.3.2 „Bericht des Rektors Arndt zu Ratzeburg über seine Amtsführung in dem Schuljahr von Ostern 1828 bis Ostern 1829.für das Schuljahr Ostern 1828/29“
  • 2.4 Briefe von/an Karl Nauwerck
  • 2.4.1 Karl Nauwerck an G.W. Gerlach v. 14.06. 1834 (XIV Cal. Julius [recte: Junius] Anni MDCCCXXXIV)
  • 2.4.2 Gottlob Wilhelm Gerlach an K. Nauwerck v. 27.06.1834
  • 2.4.3 Gustav Nicolai an K. Nauwerck v. 27.06. 1845∙∙
  • 2.4.4 Gustav Nicolai an K. Nauwerck v. 01.07. 1845∙
  • Anhang III. (Exkurse) Erster Exkurs
  • Ein typologisches Florilegium zum,Patriotismus‘
  • 1.1 Terminologisches zu den Kategorien ,Patriotismus‘,,Nationalismus‘, ‚Chauvinismus‘, ‚Vaterlandsliebe‘ u.ä. sowie zum angeblichen Gegenpart ‚Kosmopolitismus‘
  • 1.2 Zur historischen Typologie von ‚Patriotismus‘
  • 1.2.1 Der Beginn im 17. Jahrghundert
  • 1.2.2 Wieland
  • 1.2.3 Herder
  • 1.2.4 Die ‚Wende‘ angesichts ‚Napoleons‘: J.G. Zimmermann, J.F. Seume, E. Zimmermann, K.S. Kramer, F.E. Rambach
  • 1.2.5 Schleiermacher
  • 1.2.6 Fichte (Rehberg u.a.)
  • 1.2.7 Ein Zwischenresümee – ‚Fichte‘ und die Folgen: A.v. Arnim, E.M. Arndt, A. Ruge
  • Zweiter Exkurs. Schleiermacher und die Juden
  • Anhang IV. (Abbildungen von Gemälden und Fotos)
  • 1. Ludwig Nauwerck: Selbstportrait
  • 2. Ludwig Nauwerck und Ehefrau, geb. Rohlffs
  • 3. Karl Nauwerck und seine Julie, geb. Dubois, jung, von Ludwig Nauswerck portraitiert.
  • 4. Karl Nauwerck und Julie um 1848
  • 5. Gabriele, geb. Nauwerck, und ihr Mann Johann Gottfried Eduard Hufschmied
  • 6. Fotos der Wohnhäuser der Nauwercks auf dem Ratzeburger Domhof und in Neustrelitz
  • 6.1 Ratzeburg, Domhof 28, Haus des Domprobstes C.A. Nauwerck
  • 6.2 Ratzeburg, Domhof Nr. 24, Offizialwohnung von Ludwig Nauwerck
  • 6.3 Wohnhaus von Ludwig Nauwerck in Neustrelitz, Thiergartenstraße 18, heute Nr. 8
  • 7. Porzellantasse zur Silbernen Hochzeit von Ludwig Nauwerck und seiner Frau am 06.04. 1840
  • 8. Tafelgeschirr, Schreibtisch von Coeli
  • 9. Faustillustrationen: „Die Gegenstände meiner 12 Zeichnungen sind folgende.
  • I. Eingehendes Titelblatt: Prolog auf der Bühne.
  • II. Prolog im Himmel.
  • III. Erscheinung des Erdgeistes.
  • IV. Spaziergang vor dem Thor am Ostertage.
  • V. Beschwörung des Pudels
  • VI. Auerbachs Keller.
  • VII. Hexenküche.
  • VIII. Margarethe, das Blumenorakel fragend, mit Faust im Garten
  • IX. Valentins Tod
  • X. Farth [sic] nach dem Brocken
  • XI. Die Walpurgisnacht
  • XII. Margarethe im Kerker.“
  • Bibliographie
  • I. Ungedruckte Quellen: Ludwig und Karl Nauwerck
  • a) Ludwig Nauwerck
  • b) Karl Nauwerck
  • II. Gedruckte Quellen: Ludwig und Karl Nauwerck
  • a) Ludwig Nauwerck (zit. als LNauwerck)
  • b) Karl Nauwerck (zit. als Nauwerck)
  • c) Andere gedruckte Quellen
  • III. Literatur
  • Abbildungsverzeichnis
  • Namensverzeichnis

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Vorwort

Es geht nicht anders: Auch dieses Buch hat seine Geschichte, leider eine lange. Denn inzwischen war aus einem ursprünglich ganz ‚normalen‘ Forschungsvorhaben ein Liebhaberprojekt geworden. Und diese ‚Liebe‘ währt bis heute.

Den Titel eines ‚bekannten patentierten Revolutionärs‘ hatte Karl Nauwerck (1810–1891) vom Preußen-König Friedrich Wilhelm IV. erhalten, der 1844 Nauwercks Dispens von der Berliner Universität bewirkt hatte. Doch davon später mehr. ‚Bekannt‘ allerdings ist Nauwerck heute nicht mehr, was sich mit vorliegendem Versuch vielleicht verändern lässt.

Meine Themenfindung zu Nauwercks Biographie begann etwa Mitte der 1980er Jahre. Sie war motiviert durch das Bedürfnis: Raus aus dem ewigen ideologischen Hickhack in der Junghegelianismus-Forschung, Bruno Bauer für/gegen Marx oder umgekehrt, Feuerbach oder Stirner usw. Überhaupt: Weg von den ausgetretenen Pfaden der Diskussionen und der etablierten Forschung. In dieser hatte seit Jahrzehnten immer wieder der Eine den Anderen kopiert, keine neue Quellen hinzugezogen usw. Deshalb galt es dagegen: Einfach weg von den ‚Bekannten‘, den ‚Großen Namen‘ hin zu den Unbekannten, zu den nicht mehr einfach Wiederholten und von den Vorherigen ‚Abgeschriebenen‘, sondern zu neuen Namen und Quellen.

Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Da schrieben Marx und Engels zwei Riesenschwarten Die Heilige Familie. Gegen der Bruno Bauers & Consorten und zur Deutschen Ideologie. Bis Anfang der 1990er Jahre war es – zumindest in der marxistischen Forschung – verpönt, Marx und Engels zu den Junghegelianern zu rechnen. Dagegen galt es selbstredend für die angesprochenen ‚Gegner‘ – zeitweise zuvor ihre Freunde und Kampfgefährten –, dass über jene die Urteile von Marx und Engels bis in die Fußnoten hinein abgeschrieben und als wissenschaftliche ‚Forschungs‘ergebnisse gewürdigt wurden. Man nahm die Gegner nicht ernst, wusste schier gar nichts von ihnen außer eben das, was die Marx und Engels über sie geschrieben hatten. Wo jene über Marx und Engels etwas gesagt hatten, wurde das dokumentiert, aber zumeist ohne den Kontext und teilweise sogar ohne die Autoren zu nennen. Wenn diese Junghegelianer trotz K. Löwiths Forschungen so unerheblich, kleinbürgerlich-intellektuell u.ä. waren, warum verschwendeten denn zuvor Marx und Engels hunderte und aberhunderte von Seiten für ihre Widerlegung, wenn man denn überhaupt von einer Widerlegung überzeugt sein konnte, ohne die junghegelianischen Gegenpositionen zu kennen.

Schlimmerweise galt bis in die Gegenwart dasselbe quellenunkritische Verhalten der Forschung für das ‚Lager‘ der ‚Anderen‘, zu den ‚Bauers‘, Stirners usw., vielleicht mit der Ausnahme Feuerbachs. Es gab bis 1988 nur ganz wenige, die wenigstens die Texte der ‚Anderen‘ wirklich studiert und ausgewertet hatten, wie z.B. der Stirner-Experte W. Eßbach, um ‚die‘ Junghegelianer sans phrase als eine Bohemietruppe soziologisch zu definieren. Wenn überhaupt ‚Neues‘ in der damaligen Forschung präsentiert wurde, dann war deren grundlegende Intention zwar nicht nur gegen die ← 13 | 14 → etablierte Marx-Engels-Forschung, was ja durchaus legitim ist, sondern eigentlich gegen die philosophische und politische Weltanschauung von Marx und Engels selber gerichtet. Das galt z.B. für die im Westen gängige Weitling-Literatur, von der sich allerdings M. Hahns Forschung zum ‚vormarxschen Sozialismus‘ grundsätzlich unterschieden hatte.

Mein Impuls in dieser weithin trostlosen Situation war: Audiatur et altera pars … Lasst auch die jeweils andere Seite anhören, und – sofern aufzuspüren – auch eine dritte Sichtweise zu Wort kommen. Und ich machte mich auf die Spur.

Geplant waren Mitte der 1980er Jahre drei Biographien zu jeweils hundert Seiten, zu E. Meyen, K. Nauwerck und A. Rutenberg. Es waren nicht die ganz ‚unbekannten Kleinen‘, sondern die, die nach den ‚Großen‘ noch am häufigsten in der Literatur auftauchten und eine gewisse Relevanz versprachen. Aber schon meine ersten archivalischen Nachfragen ergaben entweder eine Unmenge an Nachweisen für den einen oder fast gar keine für den anderen. Mein Programm war also zu vereinfachen. Gewissermaßen professionelle Interessen ließen mich mit einem Vorreiter der modernen Politologie, mit Karl Nauwerck beginnen. Aus jener ursprünglichen Planung wurde ein umfangreicheres Programm und allein für Nauwercks Herkunft und Jugend dieses Buch. Wie gesagt: Ein Liebhaberprojekt, das nur unter Ruhestandsbedingungen hatte gedeihen können, aber leider wohl auch, dass Ruheständler die ‚Tinte nicht halten‘ können.

Meine ursprüngliche Idee für jene drei Biographien der Unbekannten wie die dann auch für Karl Nauwerck war es, eine sozioökonomisch fundierte Intellektuellenbiographie zu schreiben. Die ersten Entwürfe für eine Einleitung dazu enthielten noch langatmige Begründungen für das Wagnis „Biographie“, weswegen es hier auch nur ein „Vorwort“ gibt, um nicht schon in der Einleitung die Welt behandeln oder gar verändern zu wollen. Ich wollte versuchen, diese ‚unbekannten‘ Junghegelianer nicht á la Löwith philosophiehistorisch zu würdigen (ohne dessen Pionierleistung neben der vorausgegangen, aber andersgewichteten von F. Mehring zu missachten), sondern in ihrem realen, materialen Kontext zu ‚rekonstruieren‘, soweit das für ihr literarisch-geistiges und politisch-historisches Werk möglich war.

Doch bevor jenes Projekt überhaupt angegangen werden konnte, galt es, die erste materiale Bedingung dafür zu realisieren – die Sichtung und Bergung der gedruckten Quellen, was zunächst wegen der offenbar überschaubaren Menge keine Probleme zu machen schien. So reichten beispielsweise einem so renommierten Historiker wie P. Wende in seinem Werk von 1975, Radikalismus im Vormärz, für seine durchaus umfangreiche und exemplarische Darstellung Nauwercks ganze vier Titel von ihm; in dem vorliegenden Versuch sind es dagegen weit über hundert Titel einschließlich seiner identifizierten, selten gebrauchten Pseudonyme, Dubiosa nicht gerechnet. Und es werden immer noch weitere Titel aufgespürt. Wie stets bei historischen Arbeiten war jedoch die Findung und Sichtung von Archivalien schon deutlich komplizierter, weniger, was bei diesen ‚Vormärzradikalen‘ die politischen Nachrichten anging, die ja in den amtlichen Akten bis hin zu den Spitzelberichten bestens aufgehoben sind, sondern vor allem bei Fragen der persönlichen Identität und familialen, genealogisch recherchierten Herkunft. Eine solche Arbeit ist ohne ← 14 | 15 → die Unterstützung, die Erfahrung und das Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive nicht zu leisten, denen daher auch der explizite Dank für einen nicht geringen Anteil am Zustandekommen dieser Forschungsarbeit gebührt.

Aus diesen Archivkreisen kamen dann im Verlauf meiner ersten Vorbereitungen und Recherchen auch Dokumente zu den sechs Kindern von Karl Nauwerck und seiner Frau Julie ans Licht, die bei mir die schier anmaßende Überlegung auslösten, ob es nicht vielleicht bei einem der Kinder oder späteren Nachkommen den berühmten ‚Koffer‘ auf dem Dachboden mit Nauwercks literarischen Nachlass geben könnte. Aus derselben Quelle erhielt ich nach gut einem Jahr Hinweise auf noch lebende Nachfahren Nauwercks. Und es gab bei ihnen tatsächlich den für eigentlich unwahrscheinlich gehaltenen literarischen Nachlass, wenn auch nicht im Koffer, so doch in mehreren Pappschachteln aus dem Keller oder vom Dachboden. Dann erhielt ich den Auftrag, ein Karl-Nauwerck-Familienarchiv (KNFA) unter der vertraglichen Verpflichtung einzurichten, die Anonymität der Eigentümer zu gewährleisten, und als Verwalter für eine archivalische Sicherung, Sichtung der Materialien und wissenschaftliche Auswertung sowie Publizierung der Forschungsergebnisse zu sorgen.

Mein Erstaunen wuchs aber schon bei der ersten oberflächlichen Sortierung der Papiere beträchtlich. Denn der Nachlass enthielt keineswegs nur schriftliche Zeugnisse über und Briefe von und an Karl Nauwerck, sondern auch von einem Großteil der Familie, allen voran von seinem Vater Ludwig Nauwerck (1772–1855), in dessen Nachlass sich u.a. Originalbriefe von Goethe befanden. Nach ihnen hatte schon der bedeutende Herausgeber von Goethes Werken, Ludwig Geiger, vergeblich gefahndet, dessen Brief an Karl Nauwercks Sohn Coelestin sich ebenfalls im Nachlass befand. Nun ging es also nicht mehr nur um die Nachforschungen zu Karl allein, sondern auch um die zu seinem Vater. Denn was musste das für ein Mann gewesen sein, der mit Goethe korrespondierte?! Er war zugleich Dichter, Maler und Beamter der Regierung des Fürstentums Ratzeburg auf der Ratzeburger Domhalbinsel und später beim Großherzog von Mecklenburg-Strelitz in Neustrelitz. Politische ‚Geistesgeschichte‘ pur.

Das Familienarchiv enthält also über den literarischen Nachlass von Karl Nauwerck hinaus insbesondere die Briefe an Ludwig und Karl Nauwerck, die sogenannten ‚An-Briefe‘. Naturgemäß gibt es allerdings nur relativ wenige ‚Von-Briefe‘; es sind meistens Briefe von Familienangehörigen an eben solche. Was die übrigen vorhandenen ‚Von-Briefe‘ betrifft, konnten sie, wo immer es sich machen ließ, in öffentlichen Archiven festgestellt werden. So konnten ‚An-Briefe‘ mit den Briefen an die Absender zu teilweise veritablen Briefwechseln zusammengeführt werden,1 wodurch sich die relativ seltene Gelegenheit ergeben hatte, die geistige und kulturelle Geschichte von über hundert Jahren und des gesamten Zeitraums des 19. Jahrhunderts zu verfolgen. ← 15 | 16 →

Es drohte also eine Doppelbiographie bei dem Versuch, die sozialgeschichtliche Herkunft Karl Nauwercks zu erklären. Denn der Ehrgeiz meiner ursprünglichen Planung zu den drei intellektuellen und politischen Vormärzoppositionellen war ja, eine sozioökonomisch fundierte Intellektuellenbiographie zu verfassen. Mit der ‚Entdeckung‘ seines Vaters aber bekam dieses Projekt wenigstens für Karl Nauwerck eine ganz eigene Plausibilität. Denn ‚liest‘ man die Lebensspannen beider Nauwercks (1772–1891) dann ergibt sich ein phantastischer Überblick geradezu unendlich vieler Perspektiven und Bezüge. Da ging es konkret um Zeitenwenden – nicht nur eine –, um verschiedene ‚Übergänge‘, die alle unter der unzureichenden sprachlichen Bezeichnung ‚von-bis‘ oder ‚von-zu‘ firmieren: Von der merkantilistischen und physiokratischen zur industriellen Produktion und deren Ökonomie; von der Stände- zur bürgerlichen Gesellschaft; von der (aufgeklärt) absolutistischen zur bürgerlich-parlamentarischen Politik; von der Aufklärung zur Romantik, von der Großen Französischen Revolution über die Konterrevolutionen bis zur napoleonischen ‚Fremdherrschaft‘ und zur deutschen ‚Befreiung‘, vom Vormärz über die 1848er März-Revolution und die postmärzliche Restauration bis zur Reichsgründung und zum Wilhelminismus.

All diese Epochenumbrüche und -übergänge vertraten Karl Nauwerck und sein Vater, deren Leben und Wirken man als Repräsentationen im Übergang in die aktuelle Moderne bezeichnen könnte. Die eigentliche Herausforderung aber ‚hinter‘ diesen formalen Beschreibungen ist, diese scheinbaren Pole und Polaritäten eben gerade nicht in ein mechanisch verstandenes Prokrustesbett der Chronologie von ‚vorher‘ und ‚nachher‘ einzuspannen, sondern zu begreifen, dass und wie in solchen Zeitenwenden und Übergängen das Meiste gleichzeitig vorhanden ist.

Nach jenen Entdeckungen schien es mir sinnvoll, meine Planungen erneut zu revidieren. Zur Illustration dieser Epochen und Epochenumbrüche sollte nun der sozioökonomische und kulturelle Wandel am Beispiel der Entwicklung dreier städtischer Aufenthaltsorte Karl Nauwercks – Ratzeburg, Berlin und Zürich – skizziert und damit der Text völlig neu gegliedert werden. Dabei sollte Frankfurt ausgenommen werden, da der Aufenthalt hier nur kurzfristig war. Dafür musste aber der übergeordneten Symbolik der ‚Paulskirche‘, die für die politisch-intellektuelle Identität Karl Nauwercks steht, ein gesonderter Raum gegeben werden.

In der Hauptsache ging es zum Schluss natürlich nur darum, die Dokumente aus dem literarischen Nachlass der Nauwercks zu präsentieren und in ihre jeweiligen historischen, geistigen und wissenschaftlichen sowie wissenschaftshistorischen Kontexte einzuordnen.

Die drei großen Lebensetappen Karl Nauwercks waren von sehr unterschiedlicher Dauer. So reichte die Erste ‚von der Aufklärung‘, die ihm durch seinen Vater vermittelt gewesen sein dürfte, bis zu seinem eigenen ‚Aufbegehren‘. Deutete sich auch sein ‚Aufbegehren‘ zunächst mehr implizit an, so verteidigte er doch schon als junger Student einen seiner Lehrer oder beklagte das soziale Elend in Palermo. Doch die offizielle Politik war bereits früh auf ihn aufmerksam geworden und beschattete ihn über seinen Tod hinaus. Die zweite Phase beginnt mit seiner Habilitation an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, wonach er hier als ← 16 | 17 → Privatdozent lehrte, und von wo ihn als ‚patentirten Revolutionär‘ der König vertreiben ließ. Zu dieser Zeit entfaltete sich explizit sein ganzes intellektuelles und politisches Engagement bei der ‚Verwirklichung der Philosophie als Demokratie‘ und wird bis zur März-Revolution und im Frankfurter Paulskirchen-Parlament zum prägenden Charakteristikum seiner Persönlichkeit. Wegen seiner Beteiligung am sog. Stuttgarter Rumpfparlament musste Nauwerck für die dritte und längste Etappe seines Lebens ins Schweizerische ‚Exil‘, wo er mit der ‚Unbeugsamkeit des Alters‘ Organisationen der Exilanten leitete und sich der internationalen Friedensbewegung anschloss.

Einige technische Details und Erläuterungen zum Verständnis des folgenden Textes: Vom Tagebuch Karl Nauwerck blieb allein die „Chronik“, wie er sie bezeichnet hatte, erhalten, die hier gleichwohl durchgehend unter der Bezeichnung ‚Tagebuch‘ firmiert. Bei den vielen Namen von Karl Nauwercks Lehrern und ihren biographischen Angaben habe ich mich gewöhnlich auf die entsprechenden Angaben in der Allgemeinen Deutschen Biographie bezogen, die ich in der Regel nicht extra zitierte, um das ohnehin schon umfangreiche Literaturverzeichnis nicht noch mehr zu verlängern. Ausnahmen sind die Artikel, die von bekannteren Gelehrten (z.B. Dilthey über Schleiermacher) verfasst wurden, und solche, die anstelle einschlägiger Biographien aushilfsweise direkt zitiert werden.

Zu den Anhängen

Im Anschluss sind vier Anhänge aufgenommen, und zwar (I u. II) unveröffentlichte Archivalien, Dokumente und Zeugnisse aus dem persönlichen und literarischen Nachlass von Karl und Ludwig Nauwerck und aus öffentlichen Archiven sowie (III) Exkurse des Verfassers sowie (IV) Abbildungen von Gemälden Ludwig Nauwercks sowie von Fotographien der Familienmitglieder und aus den Familienhaushalten.

Dem Problem einer Doppelbiographie zu Vater und Sohn Nauwerck entspricht auch ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den Archivalien und Dokumenten der beiden, was bei einer speziellen Biographie von Karl Nauwerck zuerst sicherlich befremdlich wirken könnte. Denn da die Suche nach Archivalien und Dokumenten zur Biographie Ludwig Nauwercks weit über den bisherigen Forschungsstand – seit es zu seiner Biographie, sei es zu seinem Wirken als Maler und Illustrator von Goethes Faust – hinausgingen, verkürzte sich entsprechend der Raum für die erste Phase von Karl Nauwercks Biographie. Für diese stand hier jetzt nur noch der Zeitraum von seiner Geburt (1810) bis zu seiner Promotion und Italienreise (1834/35) zur Verfügung. Aber eben deshalb fielen für ihn – auch dieses gewissermaßen ganz natürlich, denn er war bei dieser Terminierung mal gerade 24/25 Jahre alt – nur wenige Dokumente an, die über rein amtliche Formalia hinausgehen und der späteren Reichhaltigkeit entsprechen. Gleichwohl konnten auch bereits für diesen Zeitraum literarische ‚Schätze‘ aus dem KNFA geborgen werden, wie zum Beispiel die hier präsentierten Manuskripten zu Friedrich d. Gr., zu Macchiavelli oder zu den bereits ← 17 | 18 → veröffentlichten Sizilienbeschreibungen.2 Aber unabhängig von diesen – sozusagen editorischen – Gesichtspunkten war und ist die vorliegende Dokumentation zum Vater Ludwig Nauwerck auch im Darstellungsband schon allein dadurch zu rechtfertigen, dass sie den Untertitel des ersten Biographie-Bandes Herkunft und Jugend – Von der Aufklärung zum Aufbegehren rechtfertigen kann. Denn er umfasst wie gesagt den Zeitraum vom Vater Ludwig bis zum realiter aufbegehrenden Sohn Karl, und spannt mehr oder weniger den gesamte Bogen von ‚der‘ Aufklärung bis zum Aufbegehren der sogenannten ‚48er‘ in der deutschen Schicksalsgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Die Archivalien und Schriften der Nauwercks werden hier wie folgt zitiert:

Karl Nauwerck= Nauwerck
Ludwig Nauwerck= LNauwerck
Arnold Nauwerck= ANauwerck
Alle anderen Nauwercks= Mit ausgeschriebenem Vornamen.

Sämtliche handschriftlichen Dokumente von Ludwig und Karl Nauwerck und anderen sind von mir transkribiert worden. Ich bin für Fehler allein verantwortlich.

Die Bibliographien enthalten i.d.R. nur zitierte Titel, was nicht bedeutet, dass weitere Literatur nicht zur Kenntnis genommen wurde; diese betraf aber nicht mehr oder noch nicht die zeitlichen Abschnitte oder den sachlichen Rahmen der vorliegenden Biographien. Eine Ausnahme bilden die Verzeichnisse der Publizistik von Ludwig und Karl Nauwerck, die auch unabhängig von Zitation und Chronologie hier zur Demonstration der thematischen Bandbreiten und publizistischen Vielfalt beider Autoren genutzt und in den folgenden Veröffentlichungen, wenn möglich, laufend ergänzt werden.

Die Nachweise für die Quellenmaterialien werden bei den Dokumenten und Briefen mit der laufenden Gliederungsziffer im Anhang und der Zeilennummer angegeben (z.B. 1.1.2.1/Z. 13), bei der Dissertation von Karl Nauwerck die Seitenzahl mit der Zeilennummer (z.B. 500/Z. 13).

Die Orthographie wurde weitgehend beibehalten. Ursprünglich hatte ich versucht, das maschinenschriftliche lay-out dem handschriftlichen Original anzugleichen. Doch darauf musste wie im Hauptband auch hier wegen der Länge verzichtet werden, zumal sich der Eindruck der Originale sowieso nicht ersetzen lässt.

Eine Kommentierung in den Quellen-Anhängen ist auf das Sparsamste reduziert, was zum unmittelbaren Verständnis notwendig erschien; zur weiterreichenden Interpretation sei hier auf den Darstellungsteil verwiesen.

Alle hier genutzten öffentlichen Archive sind in der Auflistung der Archivalien benannt. ← 18 | 19 →

Danksagungen

Meinen Studierenden an der ‚alten‘ Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg gilt mein Dank, die mir die Bedeutung sozioökonomischer Betrachtungsweisen vermittelten. Vor allem aber danke ich meinen dortigen Mitarbeiterinnen Dr. Semra Dogan, Dr. Romy Reimer, Dr. Regina Richter und meinen Mitarbeitern Dr. Siegfried Timpf und Dr. Yasar Aydin. Sie waren keinesfalls nur für die leidigen technischen Bürotätigkeiten bei einem solchen Forschungsprojekt zuständig, sondern verhalfen mir bei unzähligen Beratungen zu so mancher inhaltlichen Einsicht.

Von ganzem Herzen danke ich Werner Goldschmidt, der mir vom Anfang dieser Forschungen an mit vielfältigen Anregungen und wissender Kritik zur Seite gestanden hat. Herzlich zu danken habe ich ebenso Konrad Feilchenfeldt für seine kritische Beratung, engagierten Hilfen und organisatorische Umsicht bei der Durchführung meiner Arbeiten. Ein besonderer Dank gilt Hafedh (Gino) Aouinet, Olaf Briese, Elena Firoletta, Karin Glismann, Horst Gundlach, Irina und Martin Hundt, W. Ihlenfeld-Nauwerck, Urs und Suzanne Kamber, Karl-Heinz Meissner und Ute Jatzek, Arnold und Barbara Nauwerck, Hans Jörg Sandkühler sowie Jörg Seemann für ihre langjährige und unentwegte Unterstützung im Sinne von der fachlichen und diskursiven Beratung bis hin zu den Ermunterungen in Gestalt von ‚Durchhalteappellen‘. Und ein ganz großer Dank gebührt natürlich Gabriele Frings-Lambrecht und Joke Lambrecht, die neben ihrer unermüdlichen Fürsorge auch technische Probleme der Transkriptionen oder beim Computer und Internet zu beheben wussten.

Mein ganz herausragender Dank aber gilt den Mitarbeitenden der von mir aufgesuchten Archive und Bibliotheken, deren Unterstützung von ganz ‚großen Entdeckungen‘ bis hin zu Winzigkeiten reichte, wobei unter den Letzteren so manches missing link von größter Bedeutung gelöst werden konnte. Allen voran ist B. Stadler und R. Dünki in Zürich zu danken, die entscheidend dazu beitrugen, dass ich meine Recherchen fortsetzte. Sodann in der alphabetischen Reihenfolge der Städte: D. Hackmann, A. Kerkmann, W. Schultze, A. Pawliczek (Berlin), G. Kroll, P. Maisak, P. Stahl (Frankfurt/M.); U. Bollmann (Hamburg); U. Burchhardt (Marbach); G. Golowina (Moskau); R. Blum, P. Knaack (Potsdam); C. Bornefeld, M. Hattendorf (Ratzeburg); (H. Haarländer, Rostock); K. Krüger, M. Manke, P.-J. Rakow, M. Schlombs, C. Sieverkropp (Schwerin); B. Blankenburg (Wolfsburg). Eingeschlossen in diese Danksagung sind jene Kolleginnen und Kollegen, deren Namen ich nicht erfahren konnte. Wo es um besondere Dokumente ging, ist zu ihrer Zitation im Text mein Dank am entsprechenden Ort erklärt.

Zur Bearbeitung der Dokumente ist ganz speziell Rudi Führer (Thesaurus Linguae Graecae, Hamburg) für seine unschätzbare professionelle Hilfe bei der Übersetzung der Dissertation von Karl Nauwerck und Martin Hundt (Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, Schwielowsee) speziell für die Hilfe bei der Entzifferung von ganzen Briefpassagenen, einzelnen Worten oder auch nur Buchstaben der nicht immer in Schönschrift verfassten oder verderbten Manuskripte zu danken.

Ferentino/Hamburg, Sommeranfang 2016Lars Lambrecht
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1 Ein besonders gut gelungenes Beispiel bietet der fast vollständige Nauwerck-Ruge-Briefwechsel in Bunzel/Hundt/Lambrecht 2006, das für die Gruppe der Junghegelianer kaum seinesgleichen findet.

2 Vgl. Lambrecht 2009.

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Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

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1.  Herkunft, Heimat, Familie, Jugend und Studium

1.1  Etwas zu Norddeutschland: Zum geographischen und historisch-politischen Milieu

Karl Nauwerck stammte aus Norddeutschland. Es ist hier einem weit verbreiteten Vorurteil nach regnerisch, kalt, alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig (Goethe), die Menschen ernst, schweigsam bis schwermütig und mürrisch, vor allem aber hartnäckig bis stur. Wie aber bei allen Vorurteilen, so trifft es auch für Norddeutschland höchstens bis zur Hälfte zu; schlechtes Wetter, Regen und Nebel gibt es hier nicht mehr als anderswo, statistisch gesehen. Düsternis und Schwere aber beherrscht die Menschen eher im Westen – sprichwörtlich ist ihre eigenbrötlerische Art, – an der Nordseeküste, in der scheinbar endlosen Weite von Marschen und Himmel und irgendwo mal am grauen Strand, am grauen Meer seitab liegt eine graue Stadt; Der Nebel drückt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer (Storm). Ganz entgegengesetzt zeigen sich die Gegenden an der Ostseeküste, die sich eher durch Leichtigkeit auszeichnen, ihre Landschaften durch Anmut, sanftes Hügelland der Endmoränen, viele kleinere Städte, aber farbig-prächtig mit ihrer ‚Backsteingotik‘, ihre Menschen eher emsig, beweglich, weltoffen und auf den Handel eingestellt. Die unverkennbaren Eigenarten dieser Regionen mochten einigen Charakterzügen Karl Nauwercks entsprochen haben.

Unterschiede fanden sich auch bei den ökonomischen und sozialen Verhältnisse; die Nordseeküsten vom heutigen Niedersachsen bis Schleswig-Holstein waren von der Landwirtschaft dominiert und eher arm, während der Reichtum die Ostseestädte von Lübeck bis Greifswald seit der Hansezeit prägte. Es gibt eine ‚Holsteinische‘, auch eine ‚Mecklenburgische Schweiz‘,3 deren Bezeichnungen sich nicht allein auf die hügelige Landschaft beziehen, da sie in Bezug auf ihre Hügelchen eher blasphemisch wären im Vergleich zur Bergwelt der eigentlichen Schweiz als der späteren Heimat, in der Karl Nauwerck mehr als die Hälfte seines Lebens verbringen sollte. Im Unterschied zum assoziativen Gebrauch einer ‚reichen Schweiz‘ ist jedoch das agrarische Hinterland der Mecklenburgischen Küstenstädte arm, was jedoch weniger die Bodenbeschaffenheiten und mehr die traditionellen sozialen und politischen Verhältnisse bedingten.

Gewissermaßen mitten im ‚Dreieck‘ vom Herzogtum Lauenburg, von Mecklenburg und Schleswig-Holstein liegt Ratzeburg, wo Karl Nauwerck aufwuchs. Hinsichtlich der geographischen Lage der Stadt und ihrer Umgebung stammte eine ← 23 | 24 → der bis heute schönsten, zeitgenössisch romantischen Schilderungen von Johanna Schopenhauer in ihrer Biographie über Carl Ludwig Fernow (1763–1808). Für dessen Biographie hatte Karl Nauwercks Vater Ludwig, für den Fernow noch eine große Bedeutung haben sollte, viele Briefe Fernows an ihn beigesteuert.

„Ratzeburg ist durch seine Lage eine der hübschesten kleinen Städte im nördlichen Teuschland, ja es hat einen ganz eigenen Reiz, den ich fast mit nichts Anderem zu vergleichen weiß. Mitten in einem spiegelhellen See von beträchtlichem Umfange erhebt sich eine Insel, auf welche die Stadt mit ihren Hausgärten und ihren Bäumen liegt, zu welcher zwei Brücken führen, von denen die eine von beträchtlicher Länge ist; reizende Aussichten auf die entgegengesetzten Ufer des Sees, ihre Waldungen, und einige seitwärts gelegene Mühlen und Landhäuser bieten von allen Seiten sich dar. Ohne eben bergig genannt werden zu können, sind die Ufer doch hügelig; die Stadt mit ihren rothen Dächern, von frischem Grün der Bäume, wie von einem Kranze umgeben, mitten im silbernen See, gewährt von innen aus, einen so lieblichen, friedlichen Anblick, daß wohl jedem Wanderer, der sie im Strahl der Abendsonne liegen sieht, der Wunsch momentan anwandeln kann, hier Hütten bauen zu dürfen. Die etwas prosaischen Bürger pflegen ihre Stadt mit einem rings um mit grüner Petersilie garnirten Gerichte Krebse auf silberner Schüssel zu vergleichen. Der Vergleich ist burlesk, aber in Ratzeburg zum Sprichwort geworden, kann man nicht ganz unwahr schelten. In dem, den See zunächst umgebenden Gehölze sind Spaziergänge, zwar kunstlos, aber doch mit Wahl angelegt. Vor allen heimlich und lieblich ist ein, rings von herrlichen Bäumen umgebenes Plätzchen, wo ein klarer, lebendiger Quell aus dem Berge entspringt, und murmelnd und plätschernd dem See zueilt. Fernow erkor diesen Ort bald zu seinem Lieblingssitz, und hat seine Schönheiten in einem recht artigen kleinen Gedichte besungen. Hier fühlte sich unser Freund zum ersten Male in seinem Leben ganz frei.“4 ← 24 | 25 →

Das von Johanna Schopenhauer erwähnte Ratzeburg-Gedicht ist sehr wahrscheinlich das von Ludwig Nauwerck in seinem Besitz befindliche und von ihm erstmalig in den Ratzeburgischen Literarischen Blättern veröffentliche Gedicht zu Fernows Abschied:

„Gehab‘ dich wohl, du Wohnsitz stiller Freude,
Dem mit Entzücken jeder Fremdling naht,
Du schön, wie eine Braut im hochzeitlichen Kleide,
und werth, dass deinen Reitz Travana’s [Lübeck] Stolz beneide,
Gehab’ dich wohl, du kleine Inselstadt.
[…]
Ja, schön ist’s hier, Wohltätig hat vor allen
Natur dieß Erdenplätzchen ausgeschmückt
[…]
Gehabt euch wohl, ihr dunkeln Buchenhaine!
Ihr Berg’ und Thäler, die ich oft durchstrich,
Ihr Murmelbäche, und vor allen kleine,
Geliebte Quelle du, oft wiegte deine
Geschwätzigkeit in süße Träume mich.“
5

Ganz ähnlich pries in seinen Lebenserinnerungen der Kulturhistoriker Jacob Friedrich Ludwig (v.) Falke (1825–1897) seine Geburtsstadt Ratzeburg sogar als

„isola bella des Nordens“, […] eine kleine Insel, der Länge nach in wenigen Minute zu durchschreiten. Ein weltvergessenenes Städtchen liegt darauf, Ratzeburg“, es hatte „genug der Reize zu bieten, vielleicht den schönsten Naturgenuß, über den die norddeutsche Tiefebene zu verfügen hat.“ Das „Eiland lag oder liegt wie ein in Email gefaßtes Juwel inmitten des Sees und seiner lieblichen Umgebung. Sanft steigt es von beiden Seiten her aus dem Wasserspiegel empor, ein Haufe kleiner, aus grell-roten Ziegeln erbauter Häuser, rings vom Grün der Gärten umgeben […]. Saftig-grüne, von Quellen durchzogene Wiesen bilden zunächst die gegenüberliegenden Ufer, darüber leichte, mit den schönsten Buchen bestandene Höhen, die ihrerseits von Dörfern unterbrochen sind […]. Unter die dichten Laubgewölbe der hohen weißen Buchenstämme locken uns Waldwege, an stillen Bächen entlangziehend oder wechselvoll über Anhöhen und Senken führend, Philosophengänge, deren feierlichem Dunkel, deren tiefem Schatten, ← 25 | 26 → deren Kühle und Stille nur die Philosophen fehlen. Liebliche Ausblick gewähren sie in den Lichtungen auf den blanken See, auf das Häuflein grün umgebener Häuser und den alten Dom […] So liegen Stadt, Insel und See in meiner Erinnerung, lieblich und reizvoll, still und friedlich, abseits vom Verkehre, vergessen von der Weltgeschichte […] Einem Idyll glichen auch Intelligenz und Politik; sie schlummerten sanft und tief“.6

Also immer die gleichen Momente, Buchenwald und Quelle, Spaziergänge und der Mangel an Kultur. Nach diesen zeitgenössischen Charakterisierungen Ratzeburgs bieten sich noch zwei jüngere Beispiele an, und zwar von Ricarda Huch, die noch an zwei weiteren Lebensstationen Karl Nauwercks erwähnt werden wird, und von Ernst Barlach.

Barlach hatte um 1880 in Ratzeburg, wo er auch begraben wurde, besonders glückliche Momente seiner Jugend verlebt, als ihm in dem umgebenden

„Fuchsholz […] die Binde von den Augen [fiel], und ein Wesenteil des Waldes schlüpfte in einem ahnungslos gekommenen Nu durch die Lichtlöcher zu mir herein, die erste von ähnlichen Überwältigungen in dieser Zeit meines neunten bis zwölften Jahres, das Bewusstseins eines Dinges, eines Wirklichen ohne Darstellbarkeit – oder wenn ich es hätte sagen müssen, wie das Zwinkern eines wohlbekannten Auges durch den Spalt des maigrünen Buchenblätterhimmels […] Ein anderes Mal stand ich an der Nordecke der Insel am großen See hinter dem Gymnasium bei einem ganz artig heranfahrenden Winde und erlebte im Augenblick des Zerfließens einer Welle ein ähnlich übermächtiges Erfaßtwerden.“7

Ricarda Huch beschrieb die Stadt vom Dom aus gesehen, was in ihrer altkonservativen Verehrung des Mittelalters, der „alten Götter“ und eines „mächtigen Kaiser[s]“, eines „in Stände geteilte[n] Volk[es] – ähnlich L. Uhland – und der mittelalterlichen Städte im „alten Reich“ nur verständlich ist. Ihrer Schilderung reichte denn auch nur von der mittelalterlichen Christianisierung bis zu den fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen dem Kloster, den Bischöfen, dem späteren Fürstbistum und den weltlichen Mächten der sächsisch-lauenburgischen, mecklenburgischen Herzögen und ratzeburgischen Grafen. Diese führten zu der historisch wohl einmaligen Situation, dass die Bischöfe ihren Dom nicht ohne Betreten fremden Bodens – die Stadt Ratzeburg gehörte eben zum Herzogtum Lauenburg – verlassen konnten und deshalb ihre Residenz nach Schönberg verlegten. Zu Dom und Stadt schrieb die Huch also: ← 26 | 27 →

„Löwenhaft gelassen liegt der gelblichrote Dom [des von Heinrich dem Löwen gestiftete Bistum] da, ein schlummernder Herrscher, in Mittagszauber erstarrt, ein wenig erhöht über den Dächern und Wipfeln […] Wenn man von dem Städtchen Ratzeburg kommt, meldet seine Nähe eine breite Allee prunkvoll belaubter Bäume. Hier hört das Geräusch städtischen Lebens auf“; nach den jahrhunderte langen Wirren ist aber das „nunmehr preußischen Städtchen […] ein friedlicher Nachbar geworden. Am Wasser in der Sonne spielen Kinder, die sich in dieser waldumgebenen Stille ihrer Ferien erfreuen; die Löwenkirche schläft“ – und das „Schlafen“ ist eine Charakterisierung, die schon für Karl Nauwercks Vater Ludwig nicht ohne politische Bedeutung gewesen war.8

Es gibt kaum einen größeren Unterschied zwischen den Ratzeburg-Schilderungen Ludwig Nauwercks und Johanna Schopenhauers sowie Fernows. Letzterer hatte in einem Brief an Nauwerck v. 29.09. 1797 Ratzeburg als „reizende Inselstadt“ charakterisiert, die

„mir immer vor vielen Orten werth seyn [werde], wie das Andenken an die erste Geliebte auch dann noch theuer ist, wenn eine andere Herz und Hand besitzt.“9

Details

Seiten
602
ISBN (ePUB)
9783631696347
ISBN (PDF)
9783653071511
ISBN (MOBI)
9783631696354
ISBN (Hardcover)
9783631676783
DOI
10.3726/978-3-653-07151-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Oktober)
Schlagworte
Biographie Romantik Konterrevolution Ludwig Nauwerck 1789-1848 Genealogische Forschungen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 602 S., 22s/w Abb.

Biographische Angaben

Lars Lambrecht (Autor:in)

Lars Lambrecht ist Professor i. R. und Stellvertretender Direktor des Zentrums für Ökonomische und Soziologische Studien (ZÖSS) an der Universität Hamburg.

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Titel: Karl Nauwerck – Ein ‚bekannter patentirter Revolutionär‘
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