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Das Melodramatische als Vertonungsstrategie

Robert Schumanns Balladen op. 106 und op. 122

von Esther Dubke (Autor:in)
©2016 Dissertation 131 Seiten

Zusammenfassung

Wie der Erstdruck vermerkt, vertonte Robert Schumann im Jahr 1849 die Ballade „Schön Hedwig" op. 106 „für Declamation mit Begleitung des Pianoforte". Unter derselben Besetzungsangabe wurden drei Jahre später die „Ballade von Haideknaben" und „Die Flüchtlinge" op. 122 publiziert. Die Autorin untersucht die zeitgenössischen positiven Äußerungen zu Schumanns Werken, die in einem Umfeld der grundsätzlichen Ablehnung des Melodrams markant hervortreten. Sie zeigt, wie vor allem die Konzertmelodramen tiefgreifende Einblicke in seine Musik- und Gattungsästhetik ermöglichen: Mit dem Melodramatischen als Vertonungsstrategie betrat der Komponist – trotz einer über siebzigjährigen Gattungstradition – musikalisch neues Terrain.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Das Melodram in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein „Genre von unerquicklichster Gemischtheit“
  • 1.1 Anfänge und Ursachen der musikästhetischen Diskussion
  • 1.2 Die Konzertmelodramen Schumanns im Fokus der Musikkritik
  • 2. Schumanns Textwahl und musikalischer Umgang – künstlerischer Anspruch und kompositorische Freiheit
  • 2.1 Liedästhetik und Ballade: ein kompositorisches Problem in der Mitte des 19. Jahrhunderts
  • 2.1.1 Die „Bestimmtheit des Ausdrucks“
  • 2.1.2 Die frühesten in Musik gesetzten Balladen Schumanns
  • 2.2 Überwindung der Gattungsgrenzen: Oper, Oratorium und Ballade
  • 2.2.1 Eine „dramatische Wirkung“ als musikästhetisches Konzept der Balladenvertonung
  • 2.2.2 Die Chorballaden der 1850er Jahre
  • 3. Das Melodramatische als Vertonungsstrategie der Ballade bei Schumann
  • 3.1 Die Werkgenese der Konzertmelodramen: Zusammenhänge und Folgen
  • 3.2 Die Textvorlagen der Konzertmelodramen: Unterschiede und kompositorische Auswirkungen
  • 3.3 Die freie Deklamation als Mittel der Sprachvertonung
  • 3.3.1 Textzentriertheit und Inhomogenität der Ausdrucksebenen Text und Musik
  • 3.3.2 Strukturelle Konzeption und epische Distanz
  • 3.3.3 Die Ausdrucksebenen Text und Musik bei Schumann
  • 3.4 Der Klaviersatz: musikästhetische Verselbstständigung und musikalische Autonomie
  • 3.4.1 Modelle qualitativer Eigenständigkeit in Schön Hedwig
  • 3.4.2 Atmosphärische und formale Geschlossenheit in Die Flüchtlinge
  • 3.4.3 Lineare Orientierung und rhapsodischer Charakter in der Ballade vom Haideknaben
  • 4. Zwischen Liedkomposition und Programmmusik? Die Konzertmelodramen im Gattungsgefüge des 19. Jahrhunderts
  • Anhang
  • I. Friedrich Hebbel, Schön Hedwig
  • II. Friedrich Hebbel, Ballade.
  • III. Percy Bysshe Shelley/Julius Seybt, Die Flüchtlinge
  • Literaturverzeichnis

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Vorwort

Im Alter von 35 Jahren formulierte Robert Schumann erstmals seine „Idee“ zur Komposition eines Konzertmelodrams in den Haushaltsbüchern. Doch es sollten noch drei weitere Jahre vergehen, bis im Dezember 1849 sein erstes Werk „für Declamation mit Begleitung des Pianoforte“, wie es im Erstdruck heißt, entstand. Nach der Vortonung der Ballade Schön Hedwig von Friedrich Hebbel folgten bis 1853 die Ballade vom Haideknaben, wiederum auf eine Hebbel-Dichtung, und Die Flüchtlinge nach einer Übersetzung des Gedichts The Fugitives von Percy Bysshe Shelley. Zum einen komponierte Schumann die drei in Rede stehenden Werke also in seiner späten Schaffensphase, der sowohl von zeitgenössischer Kritik als auch von Historiographie nachhaltig die Stigmata nachlassender Schöpferkraft und beginnender geistiger Umnachtung aufgeprägt wurden. Zum anderen entstanden Schön Hedwig op. 106, die Ballade vom Haideknaben und Die Flüchtlinge, die unter der gemeinsamen Opusnummer 122 zusammenfasst wurden, damit in einem Umfeld der generellen Ablehnung des Melodrams und zu einer Zeit, als das Genre – wie Franz Brendel betonte – „gänzlich aus der Mode gekommen“ war. Allein diesen zwei Faktoren mag geschuldet sein, dass den beiden Opera beziehungsweise den drei Balladenvertonung in der musikwissenschaftlichen Forschung bisher wenig Resonanz zukam.

Die im Titel der Arbeit bereits anklingende Perspektivierung, die das Melodram nicht als feste Gattung begrenzt und stattdessen die Strategien hinter dem deklamatorischen Vertonungsprinzip zur Diskussion stellt, legt jedoch das experimentelle Potential der drei Werke offen. Darüber hinaus wird mit diesem analytischen Zugriff erkennbar, dass es sich keineswegs um anachronistische Gattungsbeiträge handelt, die an die populären Melodramen des späten 18. Jahrhunderts anknüpfen: Auf der Folie der zeitgenössischen Debatten über die musikalische Deklamation tritt grade die gänzlich neue Ausrichtung des Zusammenspiels von Text und Musik deutlich zutage. Eine Kontextualisierung mit den Lied- und Chorballaden sowie mit der Klaviermusik und den musikdramatischen Werken Schumanns ermöglicht zudem eine Annäherung an den ästhetischen Ausdruckswillen, der sich hinter einer deklamierten Textvertonung bei Schumann verbirgt. Wie Schumann im Einzelnen zur musikalischen Umsetzung seiner Wirkungsabsicht vorging, zeigt sich schließlich im Notentext selbst und soll analytisch herausgearbeitet werden. Die Konzentration auf die freie Deklamation einerseits und die Klaviersätze andererseits erweist sich dabei allein ← 7 | 8 → schon deshalb als sinnvoll, weil Schumann selbst Hinweise auf eine individuelle Prägung der Ausdrucksmedien Text und Musik lieferte.

Die vorliegende Studie ist als Masterarbeit im Sommer 2013 an der Universität Hamburg entstanden. Anknüpfungspunkt bildete ein Seminar zur Geschichte des Melodrams, angefangen bei den frühesten Gattungsvertretern von Rousseau über das erneut aufkeimende Interesse in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den melodramatisch konzipierten Werken von Humperdinck und Schönberg. Mein Dank gilt daher Frau Prof. Dr. Ivana Rentsch, die mich auf den Gegenstand und das Desiderat in der Melodramforschung aufmerksam machte; mir darüber hinaus bei meinen manchmal ausufernden und verworrenen Gedankenexperimenten beratend, sortierend und mit Einsatz zur Seite stand. Zudem danke ich Leonie Bünsch und zahlreichen Freunden – vor allem Juliane Pöche, Friederike Mühle, Johann Layer, Fabian Zerhau und Lukas Dall’Omo –, die mich bei der Einrichtung und Überarbeitung der Schrift tatkräftig unterstützt haben; Florence Eller für ihr offenes Ohr und ihre Diskussionsbereitschaft. Außerdem gebührt mein Dank natürlich meiner Familie und Sascha Ahlers für stoische Geduld sowie meiner tiefenentspannten Schildkröte Giovanni für zwar einseitige, aber beruhigende Gespräche.

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1.    Das Melodram in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein „Genre von unerquicklichster Gemischtheit“

„Das eigentliche Melodrama ist jetzt gänzlich aus der Mode gekommen, und dies mit Recht. Sein Wesen lässt sich vor dem Richterstuhl der Aesthetik nicht rechtfertigen. Es ist weder das Eine, noch das Andere ganz, weder Schauspiel noch Oper, es fehlt ihm die höhere künstlerische Einheit. Zu sehr der Musik bedürfend, um als blosses Schauspiel mit Musik gelten zu können, mangelt ihm wieder die innige Verschmelzung des Wortes mit dem Ton, welche durch den Gesang erreicht wird. In grösserer Ausdehnung wird die Menge der Musikfetzen darin unerträglich.“1

Drei Jahre nach der Absage an das Melodram als ein „Genre von unerquicklichster Gemischtheit“2 in Oper und Drama fiel die Bilanz Franz Brendels nicht minder vernichtend als die Richard Wagners aus. Die einhellige Aburteilung der Gattung überrascht zunächst wenig – sind beide doch dem gleichen „Richterstuhl der Aesthetik“ verpflichtet. Aber auch eine weitläufige Umschau in den Rezeptionszeugnissen des mittleren 19. Jahrhunderts zeichnet für das Melodram als eine „im allgemeinen ästhetisch verwerfliche Zwittergattung“3 oder – unter offensiver Negation eines Gattungsanspruchs – als „Zwitterding“4 eine gleichermaßen ablehnende Haltung. In der Diskussion über die Verwendung melodramatischer Gestaltungsmittel nahm der Diskurs über die Vereinbarkeit der beiden Ausdrucksebenen Musik und Text dabei auch abseits des Wagner’schen Gesamtkunstwerkes die zentrale Position ein und stellt sich so grundsätzlich als Knotenpunkt der ästhetischen Auseinandersetzung dar. Der ausführliche Artikel zum Melodram in der Encyklopädie der gesamten musikalischen Wissenschaften aus dem Jahr 1837 thematisiert diesen Gegenstand bereits unter Erhebung der gleichen vokalästhetischen und damit eigentlich gattungsfremden Maximen Brendels. ← 9 | 10 →

„Man hat mit Recht gegen das Melodram bemerkt, daß es zu wenig Abwechslung und Mannigfaltigkeit gewähre, und daß die Musik die Einförmigkeit des Eindrucks verstärke, indem sie durch Töne nur das wiedergebe, was schon durch Worte dargestellt ist; […] wirklich ästhetischen Werth hat das M. blutwenig; ja von rein musikalischer Seite betrachtet scheidet es fast ganz aus dem Bereiche wahrhafter, ächter Tondichtung. Nach der gewöhnlichen Vorgabe soll eine derartige Anwendung der Musik den Zweck haben, den Ausdruck des Sprechenden zu verstärken. Allein da muß man doch fragen, wenn diese Verstärkung wesentlich und durch die Natur der Empfindungen gefordert ist, warum geht diese Verstärkung nicht unmittelbar von dem aus, welcher diese Empfindungen äußert, oder mit anderen Worten, warum wird die Rede überhaupt nicht Gesang? […] So bedarf es denn wohl keines weiteren Beweises, daß das M., in welchem […] 2 Künste, die dasselbe Ziel verfolgen, mit besonderer Höflichkeit einander abwechselnd Platz machen, […] für eine gänzlich unnatürliche und deshalb unstatthafte Gattung dramatischer Erzeugnisse zu erklären ist, über deren Unwerth auch der Erfolg längst schon entschieden hat.“5

Galt der Gesang als Ideal für die „innige Verschmelzung“6 von Text und Musik, so stehen gemäß den zeitgenössischen Beurteilungen einer melodramatischen Kompositionsgestaltungen neben der Deklamation – hier würden Musik und Text als disparate Äußerungen desselben Gefühlszustandes erscheinen – also der Vorwurf einer bloßen musikalischen Doppelung des Textes ohne intensivierende Wirkung einerseits, und der des Auseinanderbrechens der kohärenten Form in beziehungslos nebeneinander stehende „Musikfetzen“7 und Partien deklamierten Textes andererseits im Zentrum der Kritik. Im Melodram würden Musik und Poesie einander „mit besonderer Höflichkeit […] Platz machen“8.

Details

Seiten
131
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631697054
ISBN (PDF)
9783653067675
ISBN (MOBI)
9783631697061
ISBN (Paperback)
9783631674161
DOI
10.3726/978-3-653-06767-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Melodram Deklamation Liedästhetik Programmmusik Friedrich Hebbel
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. 131 S., 13 Notenbeispiele, 1 Abb.

Biographische Angaben

Esther Dubke (Autor:in)

Esther Dubke ist als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg tätig.

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