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Die Seleukiden als Erben des Achämenidenreiches

von Peter Panitschek (Autor:in)
©2016 Monographie 585 Seiten

Zusammenfassung

In dieser Arbeit wird untersucht, wie sich das von den Achämeniden aufgebaute Weltreich bis zu seinem Untergang entwickelt beziehungsweise welche Vorgaben es bei der Errichtung eines Staates durch die ersten Seleukiden hinterlassen hat. Des Weiteren wird dargestellt, wie im seleukidischen Reich griechische, makedonische, achämenidische und sonstige altorientalische Traditionen zu einem lebensfähigen Ganzen verbunden wurden. Deshalb wird keiner der beteiligten Fachdisziplinen Altorientalistik, Iranistik und Alte Geschichte ein Vorrang eingeräumt, vielmehr sollen alle Forschungsbereiche nach den dort jeweils geltenden Kriterien für Vollständigkeit durchdrungen werden. Auf diese Weise soll die Frage beantwortet werden, inwiefern Sachzwänge beziehungsweise historische Vorgaben die Entstehung dieser Staaten determiniert haben, beziehungsweise welche Bedeutung dem gestalterischen Freiraum von Gründern und maßgeblichen Herrscherpersönlichkeiten beizumessen ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Das Königtum der Achämeniden
  • I. Einzeldarstellungen
  • A) Entwicklung Babyloniens unter den Achämeniden
  • 1) Vom Ende Nabonids bis zu den Aufständen Nebukadnezars III und IV
  • 2) Von Dareios’ Neuordnung bis zu den Aufständen unter Xerxes I
  • 3) 481–332: Babylonien als „unpolitische“ Provinz des Achämenidenreiches
  • a) Krone, Angehörige des Königshauses; Reichsaristokratie sowie staatliche Institutionen
  • b) Militärlehen und hatru
  • 4) Der Großkönig als König von Babylon
  • B) Ägypten unter den Achämeniden
  • 1) Kambyses II. und Dareios: Die Großkönige und das pharaonische Erbe
  • 2) Von Dareios I. bis 404: Ägypten als unsichere Satrapie
  • a) Die Ma (Mešweš μάχιμοι)
  • b) Die Priesterschaft
  • c) Das „Volk“
  • 3) Das Achämenidenreich als Feindbild während der Unabhängigkeit 404–343 und die zweite Perserzeit
  • C) Anatolien (ohne die westkleinasiatischen Griechen)
  • 1) Die Autochthonen
  • 2) Iranier
  • 3) Bedeutung des achämenidischen Großkönigtums für die kleinasiatischen Völker
  • D) Syrien-Palästina
  • 1) Die phönikischen Städte
  • 2) Die Juden
  • a) Das von Jerusalem kontrollierte Gebiet
  • b) Die Juden im Perserreich außerhalb Palästinas
  • E) Die Ostiranier
  • 1) Entwicklung der persischen Herrschaft
  • a) Kyros II. im Ostiran
  • b) Der Ostiran während der Erhebungen 522/1
  • Gesamtüberblick des Verlaufes nach der großen Behistun-Inschrift
  • Die Unterdrückung der Aufstände chronologisch
  • c) Der Ostiran von Dareios I. bis zum Auftreten Alexanders d. Gr.
  • Die achämenidische Verwaltung im Ostiran
  • Die militärische Bedeutung der Ostiranier
  • 2) Die Achämenidenkönige und ihre ostiranischen Gebiete
  • F) Der Königshof
  • 1) Vorimperiale Monarchie bei den Persern
  • a) Die Iranisch-Elamische Akkulturation
  • b) Die problematische medische Komponente
  • 2) Komponenten der Legitimation
  • a) Kyros II. und Kambyses II
  • b) Die Fundierung des Königtums durch Dareios I
  • c) Ahuramazda als Gottheit des Königtums und die Frage des Zoroastrismus
  • d) Die Verbindung zur Dynastie Kyros II
  • e) Tatkraft, kriegerische Tüchtigkeit und ethische Qualität
  • 3) Das propagierte Gesamtbild
  • G) Die Griechen und ihr Verhältnis zum Perserreich
  • 1) Wertende Stellungnahmen
  • 2) Kontakte zwischen Persern und Griechen
  • 3) Stereotypen und Programme der Griechen mit Bezug auf das Perserreich
  • 3a) Rache für die persischen Invasionen, Prävention dagegen und der Vorwurf des μηδισμός
  • 3b) Einigung aller Griechen in einem gemeinsamen Perserfeldzug
  • 4) Zusammenschau
  • II. Die historische Wirksamkeit des achämenidischen Königtums
  • A. Auswirkungen auf ältere Herrschaftstraditionen
  • 1) Die vorachämenidischen Königtümer des Vorderen Orients
  • 2) Andere Herrschaftsformen
  • B. Das achämenidische Königtum zwischen ideologischem Anspruch und Realität
  • 1) Propaganda und Publizität
  • 2) Das Verhältnis von Propaganda und Realität
  • Die Monarchie Alexandes des Großen
  • I. Teilaspekte
  • A) Die Vergöttlichung
  • B) Medisch/Persisches Auftreten und die Proskynese
  • 1) Voraussetzungen
  • a) Perser und andere Orientalen
  • b) Griechen und Makedonen
  • 2) Wirkung auf die Mitwelt
  • C) Alexanders Herrschaft im Verhältnis zu den Hauptvölkern
  • Ca) „Griechisches“ bei Alexander
  • Cb) Verhältnis zu den Persern/Medern
  • Cc) Gegenüber den Makedonen
  • a) Alexanders Soldaten
  • b) Der Führungskreis, die ἑται̑ροι
  • Bis Alexander:
  • Unter Alexander:
  • Cd) Ägypten und Babylonien
  • a) Ägypten
  • b) Babylonien
  • D) Alexanders Gründertätigkeit
  • II. Alexanders Monarchie als Basis des hellenistischen Königtums
  • III. Alexander und altorientalische Traditionen des Königtums
  • A) Kenntnisstand und Bewußtseinslage Alexanders
  • B) Alexander der Große aus altorientaliascher Sicht
  • Das seleukidische Königtum
  • I) Ausgestaltung des seleukidischen Königtums
  • A) Direkte Voraussetzungen
  • 1) Seleukos I und Babylonien
  • a) Seleukos’ Aufstieg im Machtkampf der Diadochen
  • b) Babylonien und Seleukos vor der Annahme des Königstitels
  • c) König Seleukos als Beherrscher Babyloniens
  • d) Seleukos’ Herrschaft in Babylonien aus rechtlicher Sicht: Speergewinnung, Königstitel und das Verhältnis zu den indigenen Untertanen
  • 2) Das achämenidische Königtum
  • a) Problematik der Quellen und daraus resultierender methodischer Ansatz
  • b) Die Leitmotive des von Dareios I. kreierten Königtums im Vergleich mit dem der Seleukiden
  • Ad α) Der achämenidische Gott des Königtums Ahuramazda im Vergleich zur Positionierung der Seleukiden gegenüber den Göttern
  • Ad β) Genealogisch-dynastische Fragen
  • Ad γ) Nachweis überragender Tatkraft, ethischer Qualität und kriegerischer Tüchtigkeit
  • Ad δ) Anspruch auf unbeschränkte Verfügungsgewalt über alle Untertanen
  • 3) Das makedonische Königtum und die Diadochen
  • a) Heeres- und Volksversammlungen der Diadochen
  • b) Die Funktion makedonischer Soldaten bei der Entstehung der hellenistischen Monarchien des Orients
  • c) Die φίλοι und andere Helfer der Diadochen
  • α. Perdikkas
  • β. Von Triparadeisos bis 281
  • a. Die Vorstellung von der griechisch-makedonischen Führungsschicht
  • b. Die Loyalitätsfrage
  • c. Der Umgang der Diadochen mit ihren φίλοι
  • d. φίλοι und Helfer der Diadochen im Überblick
  • d) Die Bedeutung makedonischer Abkunft und Tradition
  • e) Die Position der Städte aus makedonischer Sicht
  • f) Modifizierung der „Speergewinnung“ im Kampf der Diadochen
  • 4) Der griechische Faktor
  • a) Politische Programme des 5./4. Jh
  • b) Theorien zum rechten Königtum und der Austausch mit den urbanen Eliten
  • c) Zum griechischen Einfluß auf die entstehenden hellenistischen Königtümer des Orients
  • B) Spätere Entwicklungen des seleukidischen Königtums
  • 1) Staatlicher Herrscher- und Dynastiekult als politisches und/oder religiöses Phänomen
  • 2) Zu den hierarchisierenden Titeln der Reichselite
  • 3) Königtum und Hof der Seleukiden im Lichte der neuen Erscheinungen
  • C) Die Seleukiden als Könige nicht griechisch-makedonischer Untertanen
  • 1) Babylonien
  • a) Antiochos I
  • a. Die Babyloniaka
  • b. Der Borsippa-Zylinder
  • c. Die Uruk-„Prophetie“
  • b) Von Antiochos II. bis Antiochos III
  • a. Anu-uballit -Nikarchos und -Kephalon
  • b. Die Könige und die Kultzentren in Babylon und Borsippa
  • c) Von Antiochos IV bis zum Verlust Mesopotamiens
  • d) Auswirkungen der seleukidischen Herrschaft in Babylonien
  • e) Die Seleukiden als Könige von Babylon
  • 2) Die Völker des Iran; Baktrien und Indien
  • D) Die Seleukiden und ihre Nachbarn
  • II) Tradition und Novität im seleukidischen Königtum
  • A) Die Errichtung des Königtums
  • B) Die dynastische Königsherrschaft
  • C) „Altorientalisches“ im seleukidischen Königtum
  • Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Index rerum et nominum

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Einleitung

Der Alte Orient erlebte mit dem Entstehen des Achämenidenreiches im 6. Jahrhundert eine Umgestaltung, die vormalige Großreiche wie Ägypten und Babylonien, aber auch bedeutende Regionalmächte wie Elam und das Lyderreich auf den Status von Provinzen eines alle vorher erreichten Dimensionen sprengenden Großreiches reduzierte. Weiters umfaßte das Reich iranische Stammesverbände wie Meder, Sakas und andere, die das iranische Plateau bis nach Afghanistan, den persischen Golf und Indien bewohnten.

Nach dem Ende des Perserreiches etablierte sich nur Ägypten wieder als selbständiger Staat unter den Ptolemäern, die übrigen vorachämenidischen Staaten und Föderationen erlebten keine Renaissance. Dies gilt für das Königtum von Babylon, das auch einen beträchtlichen Teil des assyrischen Erbes inkorporiert und den Fruchtbaren Halbmond beherrscht hatte, wie auch das Lyderreich. Die medischen Stammesverbände lebten nicht wieder auf; Parther und Sasaniden organisierten ihre Imperien nach neuen, in unterschiedlichem Grade altorientalischen, achämenidischen und hellenistischen Traditionen entnommenen Mustern.

Haupterbe des Achämenidenreiches wird jenes der Seleukiden, das – als Folge des Eroberungszuges Alexanders des Großen – aus externem, keiner altorientalischen Tradition verbundenem Ursprung hervorgegangen, zumindest bis ins frühe 2. Jahrhundert als Weltmacht den asiatischen Teil der Oikoumene dominiert.

In der vorliegenden Arbeit werden die Wege verfolgt, die die Achämeniden, Alexander d. Große und die seleukidischen Könige bei der Bewältigung der ihnen gestellten Aufgaben beschritten haben, und inwiefern sich hierbei Kontinuität, Modifizierung oder Novität konstatieren lassen. Dabei stehen Ausgestaltung des Königtums, Herrschaftsideologie und Organisation der Staatswesen im Mittelpunkt. Als Richtlinie gilt, daß die mit diesem breiten Themenkomplex befaßten Forschungsdisziplinen Altorientalistik, Iranistik und Alte Geschichte gleichrangig zum Erkenntnisgewinn herangezogen werden, soweit sie zur Erhellung von Problemen Beiträge zu liefern vermögen.

Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, wird im ersten Abschnitt das Perserreich als Fundament des Späteren behandelt. Ab Alexander dem Großen lassen sich Vergleiche mit Phänomenen der achämenidischen Zeit anstellen, die im Kapitel zu den Seleukiden bereits Teilergebnisse zum gesamten in dieser Arbeit behandelten Material ermöglichen. Querverweise durch die gesamte Arbeit dienen der Unterstützung des komparatistischen Anliegens, indem sie die diachrone Verfolgung einzelner Erscheinungen erleichtern.

Die einschlägige Forschungsliteratur wird in den jeweiligen Abschnitten behandelt.

Im Einzelnen sollen folgende Fragen beantwortet werden:

Wie bzw. aus welchen vorimperialen Anfängen entsteht die Monarchie der Achämeniden und mit welchen Mitteln war es ihr möglich, eine stabile Herrschaft zu errichten? ← 11 | 12 →

Wie setzten sich die Perserkönige mit den monarchischen Traditionen der unterworfenen ehemaligen Großreiche, die ihrerseits Einfluß auf die Sieger nahmen, auseinander? Wie stellt sich die Lage von Stämmen und vormaligen Kleinstaaten dar?

Welcher administrativen, innenpolitischen und militärischen Mittel bedienten sie sich bei der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Staatswesens?

Kann aus den Grundsätzen, von denen sich die Achämeniden bei der Regierung ihrer vorderorientalischen Untertanen leiten ließen, ein zumindest nicht unwahrscheinliches Erklärungsmodell für die Griechenlandpolitik der Großkönige entwickelt werden?

In welchen Erscheinungsformen herrschaftsideologischer, reichstheologischer und ethischer Natur stellten sich die Perserkönige selbst dar und wie wurden sie dabei von externen Beobachtern gesehen? Da diese Beobachter hauptsächlich Griechen gewesen sind, von denen die Masse der narrativen Informationen zum Perserreich stammt, ist flankierend auch deren Interessenlage und staatsphilosophische Weltsicht ins Kalkül zu nehmen, sofern sie deren Meinungsbildung zum Achämenidenreich tangiert.

Die Wahl der Themenstellungen zu Alexander dem Großen hat zu berücksichtigen, daß die Menge zweifelsfrei bestätigbarer Tatsachen zu dessen Leben und Taten quantitativ in keinem Verhältnis zu den Wertungen, Meinungen und Interpretationen steht, die seit der Antike die verselbständigte Gattung der Alexanderhistoriker und –schriftsteller hervorgebracht hat bzw. hervorbringt. Alexander Demandt hat diesen Sachverhalt im Vorwort zu seinem Werk „Alexander der Große. Leben und Legende“ eingängig illustriert1.

Sinnvoll können daher nur Fragen sein, die Resultate von Alexanders Tätigkeit betreffen, auf die sich die seleukidischen Könige bei Etablierung und Konsolidierung ihres Staates beziehen mußten, oder die im gemeinhellenistischen Kontext Parameter politisch-militärischen Handelns begründet hatten. Wenn im Abschnitt zu Alexander von seiner „Monarchie“ die Rede ist, meint dies im ursprünglichen Wortsinn nicht ein Synonym für Königtum, sondern nur seine Allein-Herrschaft. Die Verwendung von „König“ für Alexander in dieser Arbeit ist rein konventionell. Von einem „Alexanderreich“ ist ebenfalls nicht die Rede, da Alexander bei seinem Tode erst im Begriffe war, ein solches aufzubauen.

Wie hoch ist der Hellenisierungsgrad Alexanders und seiner unmittelbaren Umgebung zu veranschlagen, wenn man z.B. die prägende Wirkung eines Erziehers Aristoteles in Zweifel zieht und Alexanders Griechenlandpolitik nach den unter Griechen nachweislich beachteten rechtlichen Regeln und der belegbaren communis opinio für staatsethisch korrektes Handeln beurteilt? Können aus der Antwort Motive für politisches Handeln erschlossen werden? ← 12 | 13 →

In welche Beziehung setzte sich Alexander zu Staatsorganisation und Herrschaftsethik der Achämeniden, vorachämenidischer Königtümer und seiner Vorgänger im makedonischen Königtum?

Wie ist die Selbstvergöttlichung Alexanders aus altorientalischer, griechischer und makedonischer Sicht zu bewerten und welche Rolle spielt sie für die Ausgestaltung seiner Monarchie?

Welche Machtstellung hinterließ Alexander bei seinem Tode, als weder eine von Nachfolgern fortführbare Monarchie im Sinne existierender Varianten des Königtums noch ein ausgebautes Staatswesen vorhanden waren?

Zu den Seleukiden ergeben sich die Fragestellungen einerseits aus dem Vorigen, andererseits aus ihrer Stellung im Konzert der übrigen hellenistischen Staaten:

Wie bewerkstelligte Seleukos im Spannungsfeld der Vorgaben Alexanders, des makedonischen Königtums, der achämenidischen und anderer orientalischer Reichstraditionen, politischer Werthaltungen der Griechen, der Konkurrenz zu den übrigen Diadochen sowie neu hinzutretender Erfordernisse seine Staatsgründung?

Welche Funktion(en) nehmen in dem ab Seleukos I. und Antiochos I. konsolidierten Reich die Makedonen, Griechen, Iranier, Babylonier und andere identifizierbare Gruppen hinsichtlich Regierung, Verwaltung und Wirtschaft ein?

In welchem herrschaftsideologischen Gewand begegnen die Seleukidenkönige ihren Untertanen und Externen und inwiefern spiegelt diese Selbstdarstellung reale Verhältnisse bzw. Rücksichtnahmen, die zu nehmen sie für opportun erachteten?

Wie nimmt sich der seleukidische Herrscherkult im Vergleich zu seinem hellenistischen Vorbild in Ägypten, aus der Sicht der Griechen und im Vergleich zum Verhältnis altorientalischer Herrscher zu den Göttern aus?

Die in der Zusammenfassung verrechneten Antworten auf diese Fragen werden eine Identifizierung der Sachzwänge ermöglichen, auf die alle behandelten Staatswesen notwendig zu reagieren hatten, sowie des Gestaltungsspielraums, innerhalb dessen sie sich bei der Durchführung politisch-militärischer Projekte sowie der Darstellung ihres Selbstverständnisses bewegen konnten. Nach diesem Kriterium kann abgeschätzt werden, welche Bedeutung der Herrschaftsideologie gegenüber der Bewältigung konkreter Aufgaben zukommt:

Sind die behandelten Staaten auch in der Phase routinemäßiger Regierungsführung lediglich Varianten eines durch Umstände determinierten Typs von Staat, zu dem die Realität keine Alternativen zugelassen hätte, oder ist der gestalterischen Kraft der Reichsgründer und ihrer befähigten Nachfolger die eigentliche Initiative bei der Formung ihrer Imperien zuzuschreiben? ← 13 | 14 →


1 A. Demandt, Alexander der Große. Leben und Legende (=Alexander), München 2009, IX–XIII.

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Das Königtum der Achämeniden

Vorbemerkung: Das Perserreich war in vieler Hinsicht etwas völlig Neues. Daher sahen sich seine Schöpfer und deren Nachfolger mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, wie sie keiner der Vorgängerstaaten in vergleichbarem Maße zu bewältigen hatte.

Abgesehen von den Distanzen, deren Überwindung durch beträchtliche geomorphologische Hindernisse erschwert wurde, waren gerade die ökonomisch bedeutendsten Teile des Reiches (Babylonien und Ägypten) nur langsam und in beschränktem Grade in den Staatsverband integrierbar. Es bedurfte gewiß nicht des Vorbildes der assyrischen Doppelmonarchie Assyrien – Babylonien, um zu der Einsicht zu gelangen, daß nicht nur vormals souveräne Imperien (z.B. Babylonien und Ägypten) mit mehrtausendjähriger Tradition sondern auch andere politische Einheiten schon allein aus organisatorischen Gründen nur unter maximaler Beibehaltung bewährter Strukturen beherrschbar waren. Dies setzte voraus, daß der Perserkönig für seine Völker zumindest in einer Übergangsphase als Monarch lokaler Tradition erkennbar war.

Das Verhältnis zu den beiden iranischsprachigen Kernvölkern mußte diesem Erfordernis angepaßt werden, wobei auf die Sonderrolle primär der Perser als Volk der Dynastie Bedacht zu nehmen war. Eine solche ergab sich zwangsläufig für die persisch-medischen Hofgesellschaft, die in die Entscheidungsfindung des Königs einbezogen war. Nur Meder und Perser (bzw. iranische Namen tragende Personen) begegnen weiters als Gouverneure und höchstrangige Reichsbeamte; weiters bestanden die schlagkräftigsten Truppen des großköniglichen Heeres – neben griechischen Söldnern – aus Persern oder zumindest Verbänden iranischen Ursprungs. Die Gratwanderung bestand für die Begründer des Perserreiches – im Institutionellen vornehmlich Dareios I. – darin, die Rolle des Universalherrschers über viele Völker mit der des obersten iranischen Gefolgschaftsführers und Kriegsherrn in Einklang zu bringen.

Gefahr drohte hierbei von Gouverneuren und Würdenträgern, die Zugang zu Hilfsquellen außerhalb des Reiches fanden oder überhaupt aus genealogischen Gründen dem Thron nahestanden. Die Brisanz dessen zeigt durch Konzentrierung all dieser Eigenschaften Kyros d. Jg.: Von der Mutter Parysatis bevorzugter Bruder des Großkönigs, ka,ranoj von Westkleinasien und zugleich als Satrap von Sardeis entscheidend in die Endphase des peloponnesischen Krieges involviert, verhinderte vermutlich nur ein Zufall in der Schlacht von Kunaxa seine Thronbesteigung.

Die Inhomogenität des Perserreiches, zumeist als Schwäche betrachtet, dürfte aber die mehr als 200-jährige Existenz dieses Staatswesens gefördert haben. Welchen Vorteil die Zentrale aus der Inkohärenz unter den Einzelteilen gegebenenfalls zu ziehen vermochte, zeigt bereits der große Aufstand 522/1. Obwohl ein Teil der im Aufstand befindlichen Länder benachbart und die jeweiligen Insurgenten in ihrem ← 15 | 16 → Ziel, die Herrschaft Dareios I. (bzw. der Perser) abzuschütteln, einig waren, fanden sie in keinem Fall zu gemeinsamem Handeln. Im Falle des Nidintu-Bel (Nebukadnezar III.) und des Açina ist dieser Umstand besonders auffällig, da Babylonien und Elam im Widerstand gegen Assyrien lange Zeit Seite an Seite gekämpft hatten. Der Typus der achämenidischen Monarchie und die von ihr entwickelten Methoden zur Regierung zahlreicher Völker und Stämme, die voneinander zuvor gar keine oder bestenfalls vage Vorstellungen hatten und sich überdies auf unterschiedlichstem zivilisatorischen und kulturellen Niveau befanden, sind nicht mit dem Reich gemeinsam untergegangen. Erklärbar ist ein derartiger historischer Erfolg nur, wenn Lösungen geschaffen wurden, die ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen dauerhaft ermöglichten.

Aus diesen allgemeinen Beobachtungen ergibt sich, welche Abfolge der Materialdarbietung eine sinnvolle Untersuchung des achämenidischen Königtums aufzuweisen hat.

Erstens: Kyros II. Kambyses II. und Dareios I. mußten in den eroberten (bzw. von Dareios I. dem Reich wieder eingegliederten) Gebieten mit den vorhandenen Herrschaftsstrukturen in dialektische Auseinandersetzung treten, deren Ziel es war, diese (im Falle des Dareios wieder) zu organischen Bestandteilen des Reichsganzen zu machen. Dabei hatten die Monarchen folgendes Procedere zu beachten: 1. Analyse der vorgefundenen Verhältnisse. Aus dieser ergab sich 2. Ein Befund zu jenen Faktoren, die a. beibehalten werden mußten bzw. nicht ohne ernsthafte Schwierigkeiten veränderbar waren, b. infolge evidenter Funktionalität belassen werden sollten und c. notwendig verändert werden mußten. Daher ist in den Kapiteln I 1–5, Einzeldarstellungen, die Etablierung der achämenidischen Macht in den einzelnen Reichsgebieten zu erörtern.

Zweitens: Die Ausgestaltung des Großkönigtums, des Hofes und der Regierung berücksichtigte einerseits die oben dargestellten Notwendigkeiten zur Beherrschung der Reichsprovinzen und –völker, andererseits die eigenen, schon vor der Expansion der Perser existent gewesenen monarchischen Traditionen. Deren Darstellung leitet das Kapitel I 6 über den Königshof ein.

Das folgende Kapitel I 7 zu den Griechen dient dem Zweck, die politischen und ideologischen Gründe für Tendenzen zu untersuchen, die bei den zur Erforschung der achämenidischen Geschichte so wesentlichen griechischen Autoren erkennbar sind. Zum Verständnis des Großkönigs als Gegner und Partner der Griechen bedarf es der vorangegangenen, umfassenden Darstellung der achämenidischen Monarchie.

Drittens: Den Versuch einer Positionierung der altpersischen Monarchie in einen größeren Kontext unternimmt II, die historische Wirksamkeit des achämenidischen Königtums. ← 16 | 17 →

I.  Einzeldarstellungen

A)  Entwicklung Babyloniens unter den Achämeniden

1)  Vom Ende Nabonids bis zu den Aufständen Nebukadnezars III und IV

Der Herrschaftsantritt Kyros II. wird durch den Kyros-Zylinder in die Tradition babylonischer Königsideologie integriert2. P.-R. Berger klassifiziert diese – formal – Bauinschrift als Text, der in seinem historischen Abschnitt die „späte Rachegesinnung“ der Marduk-Priesterschaft erkennen lasse3. Hinsichtlich der Legitimierung von Kyros II.’ Machtergreifung fällt auf, daß der Verfasser unter anderem auch auf den Aspekt königlicher Abstammung über mehr als eine Generation hinaus rekurriert4, der auf babylonischem Boden letztmalig in den Inschriften assyrischer Könige auftritt5. Freilich steht diesem Passus eine umfangreiche Darstellung der Berufung Kyros II. durch Marduk voran, worin für den babylonischen Leser gemäß dem Herkommen gewiß die Hauptrechtfertigung für den Herrscherwechsel lag.

Kyros II. stellt bei der Begründung seiner Herrschaftsübernahme auch auf Fürsorgemaßnahmen ab, die großteils in der Aufhebung von Belastungen liegen, die Nabonid wider Recht und Herkommen dem Lande auferlegt hatte6.

Daß nichtsdestoweniger die im „Fürstenspiegel“ der Assurbanipalbibliothek niedergelegten Leitbilder politischen Handelns über die neubabylonische Zeit hinaus in Geltung standen, geht daraus hervor, daß der Kyros-Zylinder gerade die Befreiung der Bewohner Babylons sowie von ganz Sumer und Akkad von unerträglicher Fron herausstreicht: ← 17 | 18 →

„Fürstenspiegel“7 Kyros-Zylinder8
112, Z. 23ff.: Marduk wird das Land dem Feinde überantworten, wenn der König Zwangsarbeit von den Bürgern von Sippar, Nippur und Babylon fordert. 552, Z. 8: Nabonid richtet das Volk durch sein Joch (=Zwangsarbeit) zugrunde: ina ab-ša-a-ni la ta-ap-šu-úh-tì u-ḫal-li-iq kul-lat-si-in9.
112, Z. 29f.: Anu, Enlil und Ea haben Freiheit (von Zwangsarbeit für die Bewohner der genannten Städte) festgesetzt. 553, Z. 25: Den Bewohnern Babylons ist ein nicht dem Willen der Götter entsprechendes Joch auferlegt10.
Funktion der jeweiligen Passage im Text:
Dem König droht (qualifiziertes) Verderben, wenn er gewisse Maßnahmen setzt bzw. andere unterläßt. Um diese Übel abzustellen, wurde Kyros II. von Marduk berufen. Kyros vollzieht an Nabonid die Strafen, die der „Fürstenspiegel“ androht.

Die Befassung mit der unmittelbaren Vergangenheit unter Nabonid verläßt der Kyros-Zylinder, wenn durch die Titulatur den Babyloniern die Auffassung des Eroberers von seinem Königtum dargestellt wird: a-na-ku Iku-ra-áš lugal kiš-šat lugal gal lugal dan-nu lugal tin.tirki lugal kur šu-me-ri ù ak-ka-di-i lugal kib-ra-a-ti er-bé-et-tì11. Was war dem zu entnehmen?

Keinesfalls eine Hinwendung zur moderaten Selbstdarstellung, die die Inschriften von Nabupolassar bis Neriglissar geprägt hatten. Mit šar kišati und šar kibrati erbettim, die als erster „chaldäischer12“ König Nabonid führte, setzte Kyros II. dessen imperiale Programmatik fort, die jedoch nun, vor dem Hintergrund der mittlerweile angewachsenen persischen Macht, ungleich mehr Substanz erhielten. Wie P. Briant ausführt, suchte Kyros II. die imperialen Leistungen Nabonids vergessen zu machen, indem er diese – wenn möglich – auf Assurbanipal zurückführte und sich selbst direkt auf Assurbanipal bezog. Damit könnte er auch das Ende der ← 18 | 19 → Instabilität postuliert haben, die nach dem Ende Assyriens im Vorderen Orient geherrscht hatte13. Gegenüber den Babyloniern wird er sich hierbei jedoch einer gewissen Sensibilität befleißigt haben, da die Vertreibung der „bösen“ Assyrer integrierender Bestandteil der Legitimierung Nabupolassars, des Gründers des „Chaldäischen“ Reiches, war. (vgl. auch die Vermeidung assyrischer Symbole auf der babylonischen Fassung der Behistun-Inschrift unten S. 27).

Der Kyros-Zylinders informierte – indirekt – den gebildeten Leser darüber, daß sein neuer König auf dem Boden Babyloniens zwar nicht mehr die Attitüde des frommen Stadtkönigs der Ensi-Tradition, der seine Tage mit Werken im Dienste Marduks verbringt, fortsetzen, in Ausübung seiner Herrschergewalt aber weitgehende Rücksichten auf Sitte und Herkommen nehmen werde. Dieser Eindruck wurde dadurch unterstützt, daß Kyros II. auf die Präsentation eigener Numina verzichtet hatte14. Anders als Kassiten (die „Götter des Königs“15) und Assyrer hat Kyros II. keinen Reichsgott neben Marduk (oder Nabu) gestellt, wodurch er u.a. das unausweichliche Problem der Reihung der Götter im Textfluß vermied. Daß hier Toleranz oder Erinnerungen an die gescheiterten Versuche der Assyrer, in Babylonien dAššur neben Marduk zum Gott des Königtums zu erheben oder diesen gar durch dAššur zu ersetzten16, wirksam gewesen sind, ist weder auszuschließen noch zu beweisen17. Dem babylonischen Selbstbewußtsein, das sich in der „chaldäischen“ Zeit entwickelt hatte, wäre ohne weiteres die Erwartung zuzutrauen, daß Kyros II. seinen Sitz fürderhin in Babylon nehmen werde, zumal er – in dieser Reihenfolge und getrennt – die Huldigungen Sumers und Akkads sowie aller Könige vom „oberen bis zum unteren Meer, die auf Thronen sitzen“, entgegennahm18, wodurch der uneingeschränkte Primat des Kernlandes vor der Peripherie ganz im Sinne der neubabylonischen Politik vor Nabonid zum Ausdruck kam. ← 19 | 20 →

Kann nun dem „Versgedicht“ (auch „Spottgedicht auf Nabonid“ genannt) eine ernstzunehmende politische Tendenz im Sinne einer Abrechnung mit dem untergegangenen Regime Nabonids zugetraut werden? Wenn ja, dann nur am Rande, da die aufgeführten Verfehlungen in ihrer grotesken Überzeichnung19 wohl eher den Wahnsinn des Nabonid belegen sollten und somit als Invektive, resultierend vielleicht auch aus nicht mehr erkennbaren persönlichen Aversionen des Verfassers, zu verstehen wären (Nach Schaudig, AOAT 256, 565–572):

Col. I und II: Nach einer Einleitung, die schon eingetretene Wirren vermeldet, wendet sich der Text der Person des Königs zu: Sein persönlicher Schutzgott sei ihm feindlich geworden (etwa: „von allen guten Geistern verlassen“), woraufhin Nabonid, einst von den Göttern begünstigt, vom Unglück heimgesucht worden sei. Daraufhin verfertigt er ein noch nie gesehenes, bizarres Götterbild, dessen Erscheinung sich während des Kultes auf schreckliche Weise verändert. Es folgt die Grundsteinlegung zu Eḫulḫul in Ḫarran unter Verwendung von Symbolen Ekurs und Esangilas. Das Akitu-Fest wolle Nabonid für immer aufgeben20. Sodann begibt er sich nach Tema.

Col. V: Nabonid beansprucht nie errungene Siege, gekrönt durch die Behauptung, er habe den länderbeherrschenden Kyros II. zur Unterwerfung gezwungen. Nabonid rühmt sich seiner Weisheit, obwohl er der Schreibkunst unkundig ist. Seine Unberechenbarkeit gipfelt in dem Versuch, Esangila unter Hinweis auf das Mondsymbol zum Tempel des Sin zu erklären. Durch die Versicherung der obersten Tempelbeamten, sie selbst hätten dies erst jetzt, dank des Königs Erklärung, verstanden, gewinnt die Szene deutlich humoristischen Charakter.

Col. VI: Kyros II. stellt wieder normale Verhältnisse her, tilgt die Erinnerung an Nabonid, greift selbst zu Ziegelkorb und Spaten und ordnet Bauarbeiten nach den Plänen Nebukadnezars an.

Im Unterschied zum Kyros-Zylinder, der vorsätzliche Pflichtvergessenheit des Königs, Gottlosigkeit und maßlose Belastung der Untertanen als Gründe für Nabonids Untergang anführt, beschreibt das „Versgedicht“ die aberranten Einfälle eines kranken Geistes21. Daß die Versform in volkstümlichen, sonst nie zur Schriftlichkeit gelangten Spottdichtungen ihre Wurzeln hat, kann natürlich nur vermutet werden. Im „Versgedicht“ findet sich anders als im Kyros-Zylinder keine formale Abkehr des Marduk von Nabonid, dessen Verirrungen durch das Weichen des persönlichen Schutzgottes begründet wird, und keine Erwählung Kyros II. zum Königtum über ← 20 | 21 → Babylon. Möglicherweise befand sich in der Lücke zwischen Col. V und VI, wo diese Dinge ihren Platz haben müßten, nichts dergleichen, da die Ersetzung eines geisteskranken Königs kaum zur Darstellung in Form feierlicher Herrschaftstranslatio geeignet ist. Col. VI hatte demnach nur die Wiederkehr der Normalität in Babylon auf Veranlassung Kyros II. und Rückkehr zu den Zuständen unter Nebukadnezar zum Inhalt gehabt. Bedauerlicherweise ist babylonischerseits die positive Stellungnahme des „Versgedichtes“ zu Kyros II. Herrschaftsantritt die einzige explizit wertende Aussage zu irgendwelchen Perserkönigen vor der dynastischen Prophetie (deren Verfasser in seleukidischer Zeit Kyros II. Herrschaft allerdings mit negativen Zügen versieht22).

Sehr bald waren aber auch die Veränderungen unübersehbar: Von der Betonung des dynastischen Elements in Kyros II. Legitimierung, wodurch die Thronfolge Babylons mit der achämenidischen verknüpft und der möglichen „Erwählung“ eines anderen, zukünftigen Herrschers durch Marduk vorgebeugt wurde, war bereits die Rede. Kyros II. Kronprinz Kambyses II. regierte jedenfalls ein knappes Jahr (538/7) als „König von Babylon, Sohn Kyros II., Königs der Länder“23. 535 übernahm ein Ug/Gubaru die Führung der administrativen Geschäfte24, was mit dem Ableben des šakin mati Nabu-aḫḫe-bullit, der bereits Nabonid gedient hatte, in Verbindung steht25. Die bis dato nicht restlos geklärten Abläufe sind aber so weit deutlich, daß die Perser ihre Herrschaft nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu institutionalisieren vermochten. Wie man sich nach dem Ende der Co-Regentschaft mit Kyros II. die Stellung Kambyses II., der nun in Sippar residierte, vorzustellen hat, bleibt dunkel. Die Situation eines ehemaligen bzw. z.Z. nicht amtierenden, dennoch zur Thronfolge prädestinierten Königs hatte es zuvor in Babylonien nicht gegeben (Als Großkönig hat sich Kambyses II. dann häufiger in Babylonien aufgehalten26). Die Stadt Babylon blieb zwar Sitz des Königtums, Kyros II. selbst hielt sich dort aber nicht auf sondern wählte als Zentren seiner Machtausübung – im Gegensatz zu Nebukadnezar, der Babylon als Königsstadt ein Monopol verliehen hatte27 – Ekbatana und besonders Pasargadai28. In der Burg Nebukadnezars amtierte Ug/Gubaru als Chef der Verwaltung (bel piḫati) von Babylonien und Ebir-nari sicher bis 52529, ← 21 | 22 → vielleicht sogar bis ins Akzessionsjahr Dareios I30. Seine Position war so stark, daß in Verträgen Pönformeln, die Ug/Gubarus Strafe androhten, in derselben Formulierung wie in „chaldäischer“ Zeit, in welcher der König als Garant aufscheint, gebraucht wurden31. Kyros II. und Kambyses II. scheint es nicht gestört zu haben, daß sich der Statthalter Babyloniens quasi-königliche Befugnisse anmaßte.

In der Regierungszeit Kambyses II. sticht aus der sonstigen Alltäglichkeit die Nachricht hervor, daß die königliche Einflußnahme auf die Wirtschaftstätigkeit des Eanna in Uruk ausgebaut wurde32. Für Kyros II. und Kambyses II. ist die Heranziehung von Bediensteten verschiedener Tempel zu königlichen Projekten bezeugt, wie auch die Belastungen der Heiligtümer jene zwischen 626 und 539 übertrafen33. Bereits die ersten Achämeniden haben demnach die schon von den „Chaldäern“ begonnene Politik, die Autonomie der Tempelorganisationen zu beschränken34, nicht nur fortgesetzt sondern forciert.

Seit Kambyses II. sind verschiedene Landzuteilungen an Soldaten und Heeresgefolge belegt35. Häufig findet sich bereits zu dieser Zeit das bit qašti, das „Bogenlehen“; in einem Fall auch bereits das bit aspatum36, „Pferdelehen“. Die erforderlichen Ländereien, eqlu makkur šarri, setzten sich aus ehemaligem Königsland der „chaldäischen“ Herrscher sowie Gütern ihrer Würdenträger zusammen, das die persischen Sieger enteignet hatten. Wenn es zutrifft, daß die Perser Babylonien zur Garnisonierung ihres Reichsheeres37 oder ausgedehnterer Besatzungstruppen38 herangezogen haben und diese Einteilung bereits unter Kambyses II. deutlich Gestalt annahm, ergab sich zu den wirtschaftlichen Umgestaltungen, die unter Kyros II. Platz griffen, ein zusätzlicher Reibungspunkt mit den Einheimischen. Man empfand nicht nur Leistungen für das persische Militär als drückend39. Die unter Kyros II. und Kambyses II. herrschende Praxis – so Hdt. III.89 –, keine festen Abgaben (fo,roi) sondern „Geschenke“ (dw/ra) zu empfangen, konnte in einem Land, das von jeher an hochentwickelte fiskalische Reglementierung gewöhnt war, nur als Chaos und Willkür empfunden werden. „Geschenke40“ bezeichnet in diesem Fall gewiß Leistungen, deren Höhe und ← 22 | 23 → Erbringungszeitpunkt dem „Schenkenden“ zuvor mitgeteilt wurden. Einkünfte auf diese tumultuarische Weise einzuheben ist für Phasen der Eroberung, der Krise und des Verfalls kennzeichnend (die Annona im römischen Reich des 3. Jh), kann aber auch bei (noch) kaum entwickelter Infrastruktur auftreten (z.B. das fodrum; ahd. steura bezeichnete urspr. eine anlaßbezogene Abgabe). Kaum beeinträchtigt war wohl nur der Handel – sofern er in großem Stil betrieben wurde –, wie die Archive des Hauses Egibi belegen41.

Insgesamt dürfte in der gegenständlichen Periode ein erheblicher Teil der babylonischen Bevölkerung mit Nachteilen konfrontiert gewesen sein: Tempel, bisherige Eliten und zahlreiche einfache Landesbewohner hatten unter Rechtsunsicherheit im Abgabenwesen, Einschränkung traditioneller Rechte und – so besonders die noch unter Nabonid Maßgebenden, die teilweise mit Kyros II. sympathisiert hatten – Enteignungen zu leiden. Wie sehr sich auch Kyros II. und Kambyses II. offiziell als Könige von Babylon gerierten, sie genügten in ihrer Herrschaftsausübung sicher nicht den Erwartungen, die in babylonische Monarchen als „Gute Hirten“ gesetzt wurden. Dafür spricht auch der Preisanstieg für Gerste und – zeitlich versetzt – Datteln, der unmittelbar nach der Eroberung Babylons durch Kyros II. eintrat42 und sich nur mit der Krise nach Alexanders Einmarsch vergleichen läßt.

Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die Perser die ersten Eroberer Babyloniens gewesen sind, die sich in ihrem eigenen Umfeld mit der politisch-theologischen Marduk-Ideologie nicht auseinandergesetzt haben. Im Unterschied zu den Assyrern, die der babylonischen Tradition und Kultur stets eng verbunden waren43 und in ihren Kämpfen mit Babylonien beträchtlichen Rechtfertigungsdruck sogar gegenüber eigenen Gruppen verspürten44, ist für die Achämeniden die Herrschaft über Babylonien wie andere Länder durch das umfassende Mandat Ahuramazdas hinlänglich begründet45. Diese Indolenz beschreibt Dandamaevs generalisierende Feststellung46: „the Persian administration was not interestet in the internal intellectual life of Babylonia“, wenn man die Befassung mit Staatsangelegenheiten als Teil geistigen Interesses versteht. Den politischen Eliten Babyloniens, die noch ← 23 | 24 → vor kurzem im Umfeld der „chaldäischen“ Könige ein Weltreich regiert hatten, war bereits unter Kyros II. und Kambyses II. das Vis-à-Vis abhanden gekommen, das sie entweder – wie die Assyrer – bekämpfen oder mit dem sie sich, an der Machtausübung teilhabend, konstruktiv auseinandersetzen konnten. In gewissem Maße ähnelte die Periode, in der Ug/Gubaru das Land verwaltete, der des Kandalanu, als Babylonien, vom Statthalter einer überlegenen Macht regiert, eine Phase politischer Inaktivität erlebte. In beiden Fällen hatte ein Herrscherwechsel umfangreiche Erhebungen zur Folge.

Im gegenständlichen Falle handelte es sich, so Dareios I. große Inschrift von Behistun (DB § 10f.47), um die Usurpation des Meders Gaumata, der sich am 11. März 522, während Kambyses II. sich in Ägypten aufhielt, unter dem Namen Bardiya, jüngerer Bruder Kambyses II., zum König erklärte. Dareios I. selbst stellt fest, daß Persien, Medien und die übrigen Länder von Kambyses II. zu Bardiya übergegangen seien (DB § 11). Zum „falschen Bardiya“ vgl. unten S. 87ff.

Ohne weitere Reaktion datierte man in Babylonien bis 20. September (so der momentan dokumentierte Stand) nach Bardiya48, der am 29. von Dareios I. und seinen Gefolgsleuten getötet wurde. Die Babylonier hatten auch keine Veranlassung, für Kambyses II. gegen Bardiya einzustehen, da der Usurpator reichsweit (Hdt. III.67) eine 3-jährige Aussetzung von Kriegsdienst und Abgaben verkündet hatte. Mit Bardiyas Ermordung und Dareios I. Machtergreifung kam es zu einer schwachen, durch bloßen Befehl des Dareios beendeten Erhebung in Elam, gleichzeitig aber zu einem umfangreichen Aufstand in Babylonien, wo sich Nidintu-Bel (nach DB § 1649 Sohn eines Aniri’), unter dem Namen Nebukadnezar (III), Sohn des Nabonid, zum König proklamierte. Der chronologische Ablauf der Ereignisse illustriert die sich entfaltende Energie: Die erste nach Nebukadnezar III. datierte Urkunde stammt bereits vom 3. Oktober 52250; demzufolge hatte dieser – ausgehend von Nordbabylonien – das ganze Land auf seiner Seite. Dareios I. marschierte persönlich nach Babylonien, wo er der Bewegung erst nach zwei Schlachten und der Eroberung Babylons Herr werden konnte (DB § 18ff.). Seine erste Urkunde datiert vom 22. Dezember 522 aus Babylon, wo er bis Juni 521 die Lage wieder in die Hand zu bekommen suchte. Die Stadt war in dieser Zeit Mittelpunkt des krisengeschüttelten Perserreiches51. Erst nachdem zahlreiche Kämpfe gegen Insurgenten im iranisch-armenischen Raum beendet worden waren (DB § 21), wiederholte im August 521 ein Armenier namens Arakha den Versuch des Nidintu-Bel unter dem Namen Nebukadnezar IV., der sich ebenfalls als Sohn des Nabonid bezeichnete. Ihn zu schlagen genügte ein Expeditionscorps unter Vindafarna (DB § 49f.). Was Herodot III.150–59 von einer ← 24 | 25 → babylonischen Revolte gegen Dareios I. erzählt, kann mit den altorientalischen Quellen allenfalls dann in Einklang gebracht werden52, wenn man die in der babylonischen Fassung von DB § 50 überlieferten 2497 Parteigänger des Arakha in den 3000 gepfählten Würdenträgern bei Herodot (III.159,1) wiedererkennen will. R. Drews bezeichnet als Herodots Quelle hierzu einen Zopyros, nach Ktesias um 443 nach Athen geflohenen Urenkel des gleichnamigen Mannes53, der zu Dareios I. Zeiten durch List Babylon zu Fall gebracht habe54. Dies entspricht auch der Sicht O. Murrays, der, mit explizitem Verweis auf Zopyros, eine Informationsquelle Herodots zum Perserreich in östlichem, besonders persischem „storytelling“ sieht55. Von iranistischer Seite wird hingegen die historische Wertlosigkeit der griechischen Überlieferung zum babylonischen Aufstand gegen Dareios I. betont56, wodurch das Dilemma entsteht, daß für die griechische Tradition zwar eine vertrauenswürdige Auskunftsperson namhaft gemacht werden kann, die Auskünfte selbst aber gehaltlos sind. Gesteigert wird die Konfusion schließlich dadurch, daß Ktesias einen Zopyros als Feldherrn der Babylonier erwähnt, den diese bei ihrem Abfall von Xerxes I. ermordet hätten. Bei dieser Gelegenheit sei Babylon aber von Megabyzos, Xerxes’ Schwiegersohn, eingenommen worden57. Pompeius Trogus hat sich jedenfalls annähernd 500 Jahre nach Herodot und Ktesias für die Version des ersteren entschieden, ohne sich zum Schicksal der Stadt Babylon zu äußern58. Bereits beim babylonischen Aufstand gegen Dareios I., nicht jenem gegen Xerxes, ist bei Herodot von umfangreichen, sonst nicht nachweisbaren Zerstörungen der Befestigungsanlagen Babylons die Rede (Hdt. III.159,1). Im Gegensatz zum Bericht von der Eroberung Babylons durch Kyros II. hat sich demnach von den Versuchen der Babylonier, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen, bei den griechischen Autoren lediglich die Kenntnis der vereinfachten, mit legendenhaftem Beiwerk dekorierten Tatsachen erhalten. Diese sind freilich für die jeweils zwei Revolten unter Dareios I. und Xerxes I. in nur eine gegen jeden der beiden Könige zusammengefallen.

Obgleich die Erhebung des Arakha nicht die Ausmaße jener des Nidintu-Bel erreichte, zeigt sie durch ihr Übergreifen auf Ebir-nari59 die Fortexistenz alter Bande aus der Zeit des „chaldäischen“ Reiches an.

Die oben getroffene Feststellung, daß die einzelnen Aufstandsherde ihre Aktivitäten nicht akkordierten, führt zu dem Schluß, daß Anfang Oktober 522 Babylonien ← 25 | 26 → unter Nidintu-Bel allein gegen die Kräfte des Gesamtreiches zu revoltieren wagte. Die Erhebung des Arakha mutet dem hingegen wie ein verzweifelter letzter Versuch an, den man vor der endgültigen Erstickung aller Unruhen im Perserreich unternahm. Demnach war die große Erhebung des Nidintu-Bel die Initialzündung für jene im iranischen Osten, die während Dareios I. Aufenthalt in Babylon aufflammten (vgl. S. 86 β) Der Ostiran während der Erhebungen 522/1). Da Nidintu-Bel dem Großkönig selbst zwei Schlachten zu liefern vermochte und abschließend Babylon mit stürmender Hand zu nehmen war60, dürften die Kämpfe für das Heer Dareios I. schwer gewesen sein, wodurch sich andere Malkontenten ermutigt fühlen konnten.

Den dürftigen Quellen für die Situation in Babylonien während des Aufstandes ist zu entnehmen, daß beide Aufstandsführer hohe Akzeptanz fanden. Unabhängig davon, ob wenigstens einer von beiden ein Sohn des Nabonid gewesen ist oder nicht: Die Berufung auf diesen, am Ende seiner Regierungszeit so heftig abgelehnten Herrscher war mittlerweile propagandistisch ebenso von Vorteil wie die Annahme des Thronnamens Nebukadnezar61. Nidintu-Bel und Arakha waren die letzten, die durch Verwendung des geschichtsträchtigen Namens Nebukadnezar an die neubabylonische Tradition anschlossen. Bel-šimanni und Šamaš-eriba, die sich gegen Xerxes I. erhoben, traten bereits nicht mehr unter historisch relevanten Namen auf (vgl. S. 29). Ein Fortdauern des von den „chaldäischen“ Königen herbeigeführten absoluten Primates der Stadt Babylon ist daran erkennbar, daß die Entscheidung beide Male in der Hauptstadt fällt. Diese Situation unterscheidet sich wesentlich von der Resistance gegen die Assyrer, deren Zentrum im Meerland gelegen hatte.

2)  Von Dareios’ Neuordnung bis zu den Aufständen unter Xerxes I

Die akkadische Version von DB § 50 spricht davon, daß neben Arakha (Nidintu-Bel) LÚ.DUMU.DÙ.MEŠ (=amelumar banemeš), „Männer von Geburt“, gepfählt worden seien. Die dort vermerkte Zahl von 2497 Toten und Überlebenden von Arakhas Heer62 könnte in Verbindung mit Hdt. III.159,1 für ein umfangreiches Strafgericht sprechen. Mit Nidintu-Bel ist eine vergleichsweise geringe Zahl Vornehmer, die allerdings der politisch dynamischen Schicht angehört haben werden, gestorben63. Der Aderlaß kann mit der Auslieferung der „Großen“ von Mitanni/Hanigalbat an ← 26 | 27 → Alzi und Assyrien unter Assur-uballit I. verglichen werden64, nach deren Hinrichtung von keinem erfolgreichen Widerstand Mitanni/Hanigalbats gegen die Assyrer mehr die Rede ist65. Der Effekt scheint in Babylonien ähnlich gewesen zu sein, da in den nächsten 40 Jahren keine Unruhen im Lande ausbrachen. Dareios hat sich mit einer Ausdünnung der politisch aktiven Schichten, aus denen ein Gegenkönig hervorgehen konnte, nicht begnügt. In Babylonien wird nun nach Dareios šar babili šar matati, den Titeln, die bereits Kyros II. und Kambyses II. geführt hatten, datiert66, wodurch der Wunsch nach Kontinuität des Königtums von Babylon – nota bene nach Maßgabe persischer Reichspolitik – zum Ausdruck kommt. Zusätzlich hielt es Dareios für angebracht, seine Sicht des Geschehenen durch eine babylonische Display-Version der Behistun-Inschrift zu verbreiten. In diesem Text wird allerdings Ahuramazda als Schutzgott des Königs durch dBel ersetzt; das Stelenrelief verzichtet auf die geflügelte Sonnenscheibe bzw. die Gottheit im Flügelring, deren assyrischer Bezug in Babylonien Anstoß hätte erregen können, sowie auf die in Behistun dargestellten persischen Waffenträger Dareios I.67.

Sehr bald erfolgten jedoch Maßnahmen, die den territorialen Bezug des Titels zum Gebiet, das Kyros II. erobert und in den Grenzen des „chaldäischen“ Reiches hatte weiterbestehen lassen, relativierte: Obwohl von 521 bis 516 Uštani – wie zuvor Ug/Gubaru – als bel piḫati von Babylon und Ebir-nari bezeugt ist, amtierte möglicherweise schon ab 51868, sicher aber ab 50269 Tatannu als bel piḫati Ebir-nari (Auf die fortdauernde Diskussion zur territorialen Begrenzung dieser nur in Herodots Liste von no,moi des Perserreiches (III.91,1, als 5. no,moj) territorial umschriebenen Verwaltungseinheit sei hingewiesen70). Für das Thema ist dabei der Umstand von Bedeutung, daß, vielleicht aufgrund des Übergreifens von Arakhas Aufstand auf Transeuphratien, in dieser Region ein Schwerpunkt der Reichsgewalt eingerichtet wurde71. Unübersehbar ist die Absicht, die seit Tiglat-Pileser III. kaum ← 27 | 28 → unterbrochene Verbindung zwischen Mesopotamien und Syrien-Palästina72 aufzuweichen, wodurch die tatsächliche Auflösung des „chaldäischen“ Reichsverbandes mit einigen Jahrzehnten Verspätung begonnen wurde73. Dareios I. und Xerxes führen in ihren Länder/Völkerlisten mit babiruviya und aquriya die Namen der beiden historischen Hauptvölker Mesopotamiens an74, wobei letztere Bezeichnung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Bewohner Syrien-Palästinas zu beziehen ist75. Obzwar die terminologische Unsicherheit eindeutige Zuordnungen zu administrativen Einheiten sehr erschwert, ergibt sich eine – hier demographische – Zweiteilung des ehemaligen „Chaldäerreiches“.

Aus der Perspektive der Zeitgenossen wurde damit ein Prozeß eingeleitet, der das Großreich eines Nebukadnezar II. auf seine Stammlande, das alte Sumer und Akkad im engen Sinne, reduzieren sollte. Darin war eine Folge der gescheiterten Aufstände zu sehen, die den nunmehrigen Untertanenstatus von Babylon trotz Fortexistenz des Königtums illustrierte. Überdies ist für das 19. Jahr Dareios I. (503) mit Bagapa’ als pa-ḫa-tu4 NUN.KI der erste Iranier als Gouverneur von Babylon bezeugt76. Dieser Funktionär könnte besonders mit Finanzangelegenheiten vertraut gewesen sein, da der Zensus von 500/499 den besonderen Bedürfnissen des achämenidischen Fiscus angepaßt und nicht einfach eine Neuauflage vorangegangener Steuererhebungen gewesen ist77. Auf seiner Grundlage wurden die steuerlichen und militärischen Verbindlichkeiten des Landes festgelegt78, das somit erstmals in seiner Geschichte in eine übergeordnete, von einer außermesopotamischen Macht oktroyierte Herrschaftsstruktur eingebaut wurde. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Umschichtung von Eigentum auf Kosten der Indigenen zu Angehörigen des Königshauses, persischen Adeligen und hochrangigen Beamten79 (Seleukos I. zog Nutzen aus der Tatsache, daß die Eigentumsstruktur schon rund 200 Jahre vor seiner Zeit nach den Bedürfnissen einer erobernden Macht gestaltet worden waren. vgl. S. 303). Die Vergabe von Militärlehen – mit Dareios I. ist auch das bit narkabti, „Streitwagenlehen“, nachweisbar80 – wurde beibehalten. Für 517/6 ist eine Streitwagentruppe (ERINmeš ša gisGIGIRmeš) belegt81, eine Waffengattung, die seit ihrer Einführung in ← 28 | 29 → kassitischer Zeit in den Ebenen Babyloniens beste Trainingsvoraussetzungen vorgefunden hatte. Die Masse der für den Großkönig sofort mobilisierbaren Truppen dürfte in Babylonien stationiert gewesen sein. Dafür spricht die Nähe zum Regierungszentrum Susa, Babyloniens außerordentliche Fruchtbarkeit, die es – so Herodot – ermöglichte, daß das königliche Heer an vier von zwölf Monaten nur durch die Ressourcen Babyloniens unterhalten wird82, der Nachweis zahlreicher Garnisonen mit persischen Besatzungen83 und die Tatsache, daß Babylonien, wie die Aufstände 522/1 gezeigt hatten, sicherheitspolitisch eine Risikozone war, in der im Falle neuer Unruhen große Hilfsquellen vor Ort unerläßlich waren. Das Land hatte zweifellos große Belastungen zu tragen, wenngleich diese durch ein organisiertes Steuerwesen nicht mehr den Charakter von willkürlichen Konfiszierungen oder erzwungenen „Geschenken“ hatten. Der Rückfluß kann zu den Abschöpfungen in keinem wünschenswerten Verhältnis gestanden haben, wodurch die seit altbabylonischer Zeit explizit monierte Wechselbeziehung zwischen Gehorsam gegenüber dem König und dessen Pflicht, auf dieser Grundlage für Wohlstand im Lande zu sorgen84, sukzessive außer Kraft trat. Trotz der Ruhe unter Dareios I. zeigen die Ereignisse in den ersten Jahren Xerxes I., daß gegen die Fremdherrschaft die Option einer politischen Reaktion in den Bahnen des Königsgedankens noch nicht aufgegeben worden ist.

Zwei Thronprätendenten, Bel-šimanni und Šamaš-eriba, haben zwischen 484 und/oder 482 (die Chronologie ist bis dato nicht restlos geklärt85) gegen Xerxes revoltiert und versucht, das Königtum von Babylon zu restaurieren. Ihren Urkunden zufolge führten sie die Titel „König von Babylon und der Länder“86, woraus De Liagre Böhl schließt, daß sie Anspruch auf das Gesamtreich erhoben hätten87. Viel wahrscheinlicher ist aber, daß šar Babili ù(šar) matate infolge des jahrzehntelangen Gebrauches durch die Perserkönige zum gewohnten Titel für die Herrschaft in Babylonien geworden war. Nachweisbar ist Akzeptanz der Rebellen nur für Nordbabylonien88. Bel-šimanni hielt sich knapp 14 Tage, Šamaš-eriba hingegen rund drei Monate an der Macht, bis sie den überlegenen Waffen der Perser erlagen. Abgesehen davon, daß ihre Titulatur das Eindringen achämenidischer Usancen in die babylonische Herrschaftsauffassung und der Verzicht auf programmatische Namenswahl (wie Nebukadnezar) eine abnehmende Verbindlichkeit historischer ← 29 | 30 → Normen anzeigt, geben autochthone Quellen keine Aufschlüsse über die Ereignisse. Als Konsequenz könnte man allenfalls die endgültige Separierung Ebir-naris von Babylonien betrachten89.

Der Schemenhaftigkeit der Rebellen gegen Xerxes I. in den altorientalischen Quellen steht eine griechische Überlieferung gegenüber, die mit Konsequenzen des Aufstandes verbunden wird und die Forschung lange Zeit zu irrigen Schlüssen führte. Von der Zuordnung des Zopyros und einer Demolierung der Mauern Babylons zu den Ereignissen von 484/2 durch Ktesias war bereits die Rede (vgl. S. 25). Herodot I.183.2f. berichtet vom Raub eines im Heiligtum des Bel-Marduk (Esangila) befindlichen avndria,j durch Xerxes, welches häufig mit der I.183.1 erwähnten großen goldenen Sitzstatue des Bel a;galma me,ga tou/ Dio.j e;ni kath,menon cru,seon – dem Kultbild des Marduk – verwechselt wird90 (Abgesehen von dieser Verwechslung entsteht ein Problem durch den Umstand, daß bisher kein Sitzbild des Marduk aus altorientalischen Quellen oder der Bildkunst bekannt ist91). Daraus rekonstruierte man eine Züchtigung der Stadt, bei der Xerxes die Stadtmauern niedergerissen92, das Heiligtum des Marduk (Esangila nebst Etemenanki) entweiht, geplündert und vielleicht sogar zerstört, schließlich die Marduk-Statue entfernt und das Königtum von Babylon, das nach landläufiger Meinung ohne Statue nicht mehr rite im akitu-Fest bestätigt werden konnte, abgeschafft habe93. Arr.An. III.16,4 beweist, daß sich die Tradition von den Gewalttaten des Xerxes gegen Esangila seit Herodots Zeiten weiterentwickelt hatte: Während letzterer I.183,1 von einem noch existierenden Heiligtum spricht, behauptet Arrian, Xerxes habe dieses wie auch andere i`era, zerstört (vgl. S. 266).

Dies schien Bestätigung in der Aufgabe des Titels „König von Babylon“ ab Xerxes’ fünftem Jahr (481) zu finden, bis neuere Urkundenfunde die Weiterführung des Titels über Xerxes bis Artaxerxes I. (24. Jahr; 441) dokumentierten94. Anwesenheit des Königs beim akitu-Fest war zwar wünschenswert, keinesfalls aber Voraussetzung dafür, daß der König sein Amt rechtmäßig ausüben konnte. Für keinen achämenidischen Großkönig ist die Teilnahme an diesen Zeremonien belegbar95; in früh-neubabylonischer Zeit und während der Assyrerherrschaft waren die Monarchen öfter bzw. regelmäßig abwesend96. Weiters ist Xerxes in den babylonischen ← 30 | 31 → Königslisten mit voller Regierungsdauer ausgewiesen, während Tukulti-Ninurta I. und Sanherib hinter der Chiffre „königslose Zeit“ verborgen werden97. Xerxes wurde also nicht der damnatio memoriae anheimgegeben, von der die Zerstörer Babylons betroffen waren.

Wenngleich die griechische Überlieferung keine verifizierbare Ereignisgeschichte zu den babylonischen Aufständen 484/2 beinhaltet, bleibt die Frage, ob die Versionen Herodots und Ktesias’ nicht zumindest eine einheimisch-babylonische Einschätzung der Großkönige in ihrer Funktion als Könige von Babylon widerspiegeln, wobei der springende Punkt in der Frage liegt, wie diese – zuerst einmal – zu Herodots Kenntnis gelangt sein könnten. Die Berichte kreisen um zwei zentrale Fakten:

Herodot berichtet vom einstigen Raub eines avndria,j aus Esangila durch Xerxes I., das aber nicht das Kultbild des Marduk gewesen ist, und der Ermordung eines einschreitenden Priesters. Dareios I., der sich bereits des avndria,j bemächtigen wollte, habe dies noch nicht gewagt. Quellenreferenz bei Herodot sind I.183,3 die „Chaldäer“ (I.181,5 als Priester des Gottes (Marduk) bezeichnet), auf die der Autor inmitten des Berichtes vom avndria,j verweist. Ktesias bringt eine Zerstörung der Mauern Babylons mit den Aufständen von 484/2 in Verbindung.

Derartige Ereignisse pflegten in Texten festgehalten zu werden, die im Bereich des Heiligtums verblieben und nur vor Ort einzusehen waren98. Die von Herodot zitierten „Priester“ müssen fähig gewesen sein, den Inhalt der Aufzeichnungen zu referieren. Auch wenn das Kultbild des Marduk bei Tumulten oder einer Plünderung Esangilas während eines der beiden Aufstände 484/2 unbehelligt blieb, scheint eine andere (Götter?) Statue, vielleicht aus einer der Kapellen des Heiligtums, entwendet worden zu sein. Sicher hat es sich dabei nicht um eine private Weihegabe gehandelt, da diese am Ende von I.183 gesondert angesprochen werden. Es liegt nahe, daß dieser Verlust sowie der Tod eines dabei umgekommenen Priesters von „Babyloniern“ in unmittelbaren Zusammenhang mit der Person des Xerxes gebracht wurden (vgl. umgekehrt den erfolglos gebliebenen Versuch Sanheribs, die Schändung Esangilas 689 seinen Soldaten anzulasten99). ← 31 | 32 →

Da die Entscheidung über das Königtum von Babylon seit der endgültigen Errichtung des Residenzmonopols durch Nebukadnezar II. in der Hauptstadt fiel, ist anzunehmen, daß um die Mauern der Stadt gekämpft wurde (So Herodot zu Zopyros und Dareios I. vgl. S. 15). Daß dabei entstandene Schäden von den Babyloniern den Persern zugeschrieben wurden, woraus sich leicht ein Bild von deren Mutwillen entwickeln konnte, scheint einleuchtend. Da die Ergebnisse derartiger Zerstörungen jedermann offensichtlich waren, ist im Gegensatz zu den Ereignissen um die Statuen in Esangila ein weiter Kreis Informierter vorstellbar.

Das Kriterium bleibt daher der Statuenraub in Esangila: Hätte es sich um das Kultbild des Marduk gehandelt, wäre dies gewiß überall bekannt geworden. Bemerkungen zum Schicksal eines avndria,j, das im Bewußtsein der Öffentlichkeit weiter keine Rolle spielte, können jedoch nur im Verlauf von Befragungen zum Schicksal Esangilas gefallen sein, wobei die Auskunftspersonen, eben die „Chaldäer“, über Detailwissen wie den Raub, Dareios I. unterlassenen Versuch und den Tod eines Kollegen verfügt haben, das außerhalb des Heiligtums nicht mehr zugänglich war. Hier spiegelt sich der direkte Kontakt Herodots oder eines Gewährsmannes zu den Angehörigen der auf Schriftlichkeit gestützten babylonischen Funktionäre. Zumindest in diesem Fall reflektiert Herodot eine von Murray vermißte100 Beziehung zum Umfeld der schriftlichen Produktion Mesopotamiens und ihrer Produzenten, wodurch seine diesbezüglichen Angaben beträchtlich an Wert gewinnen.

Betrachtet man Herodots Bericht allein und ohne Heranziehung sonstiger Informationen, ergeben sich als Tatsachen zum Heiligtum des Marduk und den Mauern:

Gegenwart: Mauern (I.181,1) existieren in einem Zustand, der ihre Bezeichnung als qw,rhx rechtfertigt. Das Heiligtum ist vorhanden und der Kultbetrieb des Marduk – in welcher Form auch immer – aufrecht, wie die Angaben zur Opfermaterie beim jährlichen Fest des Marduk (zagmukku?) beweisen (I.183,2).

Vergangenheit: Schon Dareios I. zeigte Begehrlichkeit nach dem avndria,j, welches schließlich von Xerxes I. unter Tötung eines Priesters geraubt wurde.

Demnach herrschten Mitte des 5. Jahrhunderts, zur Zeit Artaxerxes I., in der Stadt Babylon normale Verhältnisse101. Die Verwalter der Tradition bewahrten aber die Erinnerung daran, daß sich Dareios I. gerade noch nicht, Xerxes I. hingegen rücksichtslos gegen das Hauptheiligtum vergangen hatte. Keineswegs wurden diese Verfehlungen jedoch als so gravierend angesehen, daß Xerxes aus der Reihe legitimer Könige von Babylon ausgesondert worden wäre. Man wird beide Perserkönige als diejenigen im Gedächtnis bewahrt haben, die einheimische, mehr oder weniger weitgehend akzeptierte Thronprätendenten beseitigt hatten. Die antipersische Grundeinstellung ist zwar unübersehbar, hält sich aber durchaus in Grenzen, wenn man sie mit der antiassyrischen in der Zeit zwischen 626 und Nabonid vergleicht. Innerhalb des herodoteischen Werkes zeigt z.B. die Darstellung Kambyses II. als ← 32 | 33 → Eroberer von Ägypten, was sich in Herodots Werk von Tendenzen, schlechte Presse zu erzeugen oder zu kolportieren, erhalten hatte (vgl. S. 43).

3)  481–332: Babylonien als „unpolitische“ Provinz des Achämenidenreiches

Die Verwendung des Adjektivs „unpolitisch“ rechtfertigt sich nicht nur daraus, daß im genannten Zeitraum keine Gegenkönige mehr in Babylonien aufgetreten sind, sondern soll auch anzeigen, daß deutliche Quellenbezüge zur politischen Geschichte Babyloniens fast völlig fehlen102. Dieser Mangel ist sogar im Verhältnis zur generell abnehmenden Zahl von Quellen seit Xerxes I. auffällig103.

Erster Ansatzpunkt muß die Titulatur des babylonischen Souveräns Xerxes nach 482 sein, die neben dem Kurztitel šar matate mehrere Varianten unter Verwendung von šar Babili aufweist, deren umfangreichste104: šar Parsu Madaja šar Babili ù matate vermutlich einen offiziellen Gebrauch widerspiegelt. Darin könnte eine Herabstufung von Provinzen zu erkennen sein, die vor der persischen Eroberung machtvolle Staaten gewesen waren105 (Die erwähnten Varianten sind, wie Kessler vorschlägt, wohl auf die unterschiedlichen Präferenzen von Schreiberschulen zurückzuführen106). Den Babyloniern wurde – im Gegensatz zur seit Dareios I. ethnisch indifferenten Darstellung des Achämenidenhofes – verdeutlicht, daß ihr König primär als Exponent der beiden dominierenden Reichsvölker zu gelten wünschte. Für die Perserzeit ist in Rechnung zu stellen, daß auch die gehaßten Assyrerkönige in ihren Inschriftensetzungen aus Sumer und Akkad oftmals eigene Titel wie šar mat alAššurki (mit Varianten) vor den babylonischen geführt hatten107, was sie wohl tunlichst unterlassen hätten, wenn eine weitere Verstimmung der ohnedies wenig freundlichen Babylonier zu vermuten gewesen wäre.

Ausgehend von Kesslers Ansatz, daß die Gestaltung der Titulatur weitgehend dem Belieben der Schreiber anheimgegeben war, kann vermutet werden, daß – so der augenblickliche Stand – die Aufgabe des Titels šar Babili nach dem 24. Jahr ← 33 | 34 → Artaxerxes I. und die Beschränkung auf šar matate für den Rest der Perserzeit108 nur das Ergebnis eines Schwindens 109 „national“-babylonischer Denkkategorien in der Intellektualität des Landes darstellt. Von außen scheint der Perserkönig aber auch im 5. Jahrhundert – so Esra zu Kyros II.110 und Nehemia bezüglich Artaxerxes (I.) mit der Datierung 32. Jahr111 – in seiner Funktion als König von Babylon gesehen worden zu sein, was bei Nehemia um so schwerer wiegt, als er lange Zeit als Obermundschenk im engsten Kreis des Großkönigs Dienst getan hatte. Diesen Belegen steht natürlich die Masse der alttestamentlichen Bezugnahmen gegenüber, in denen die Achämeniden einfach als Könige oder als Könige der Perser112 bezeichnet werden.

Zwei Fragmente beweisen, daß in Babylonien das Bedürfnis nach politisch-historischen Berichten auch in der hier behandelten Zeit vorhanden war:

Chronik 8 (nach Grayson, Chronicles, 112f.) ist nach dem Inhalt nicht eindeutig zuordenbar. Sollte sie, so Grayson, auf Xerxes I. zu beziehen sein, wäre Z. 13, wo von der Zelebrierung eines Festes des Bel die Rede ist, wozu jemand (oder etwas) nach Borsippa gebracht wird, ein weiteres Indiz gegen Brüche im Kultischen unter Xerxes I. A. Kuhrt hingegen weist den Text der Zeit des Arses und Alexanders d. Großen zu, wofür Z. 6 umman Ha-ni-e, (vgl. zur dynastischen Prophetie S. 286) sprechen könnte.

Chronik 9 (Chronicles, 113f.) ist auf Artaxerxes III. 14. Jahr (=345/4) zu datieren und hat die Verbringung Deportierter aus Sidon nach Susa und Babylon zum Inhalt. Vorauszusetzen ist, daß die Erhebung des Tennes (vgl. S. 72) in der Vorlage ebenfalls verzeichnet war.

Die Anfertigung dieser Excerpte aus Chroniken zeigt nicht nur auf ein Fortdauern des historiographischen Interesses113, die Verfasser müssen auch die Achämenidenkönige in deren Funktion als Könige von Babylon wahrgenommen haben. Wer diese Auszüge zu welchem Zweck verwendet hat, ist unbekannt. Aus dem Umstand, daß die erhaltenen Bruchstücke Ereignisse von geringerer Bedeutung beinhalten, ist abzuleiten, daß bedeutendere Geschehnisse ebenfalls verzeichnet worden sind. Der Wert beider Fragmente liegt nicht in ihrem unmittelbaren Inhalt, sondern im literarischen Umfeld, dessen Vorhandensein sie beweisen114. ← 34 | 35 →

Da die Anwesenheit eines Nidin-Bel unmittelbar vor Dareios III. in der Königsliste von Uruk115 auch ein Schreiberirrtum gewesen sein könnte116, ist diese Nachricht nicht guten Gewissens als Hinweis auf eine einheimische Revolte verwendbar. Die Einführung eines Statuenkultes der Anahita durch Artaxerxes II. (Berossos, FGrH 680 F 11) kann das religiöse Leben Babyloniens nicht gestört haben, da der Gedanke, existierende Gottheiten durch importierte zu konkurrenzieren, einem polytheistischen Verständnis naturgemäß fern liegen muß117. So könnte der Wahnsinn des Nabonid im „Versgedicht“ für den babylonischen Leser auch darin zum Ausdruck gekommen sein, daß er Marduks Heiligtum für den Sin von Ḫarran requirieren wollte (vgl. S. 8). Es sei wieder an die Kassiten und ihre „Götter des Königs“, z.B. Šuqamuna und Šumaliya, erinnert (vgl. S. 8): Kassitische Gottheiten finden sich noch Jahrhunderte nach dem Ende dieser Dynastie in Babylonien. Berossos’ Notiz verliert zusätzlich an Brisanz, wenn man mit M.W. Stolper diesen Kult nur den iranischen Gemeinden in Babylonien zuweist118.

In den verbleibenden 150 Jahren der Perserherrschaft in Babylonien scheint sich ein gewisser fließender Ausgleich zwischen den Ansprüchen des Reiches und den Interessen und Bedürfnissen maßgebender Kreise der ungewöhnlich heterogenen Bevölkerung eingespielt zu haben, der jedoch bis zu Alexanders Einmarsch nicht alle Konfliktpotentiale kamiert hatte. Grundlage dieses Prozesses war zweifellos das Andauern einer Prosperität, die mit der „chaldäischen“ Dynastie eingesetzt hatte119 und – ein extremes Beispiel – für das Hinterland von Nippur bis in die Sasanidenzeit nachweisbar ist120. Hinzu traten die politische Stabilität der pax Achaemenica121 sowie deutliche Verbesserungen in der Irrigationstechnik122. Da es den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde, die allgemeinen Quellenprobleme zur späteren Perserzeit in Babylonien nachzuvollziehen123, seien hier nur jene Aspekte herausgegriffen, die für das Verhältnis zwischen Landesbewohnern und Achämenidenkönigen bzw. ← 35 | 36 → deren Umfeld von unmittelbarer Bedeutung sind, wobei die Rolle von Babyloniern in den wirtschaftlichen Angelegenheiten von Persern bzw. von den Persern belehnter Funktionäre im Vordergrund stehen.

a)  Krone, Angehörige des Königshauses; Reichsaristokratie sowie staatliche Institutionen

Aus der quellenmäßig gut belegten Zeit um die Thronfolgekrise 425/4 sind Arsames, Artoxares, Menostanes und Parysatis als Großgrundbesitzer überliefert124, die, wie auch die Krone (eqlu/zeru ša šarri), ihre geschäftlichen Agenden durch babylonische Mittelsmänner wahrnehmen ließen. Diese kontrahierten mit dem jeweiligen Güterverwalter (paqdu), der auch dafür zu sorgen hatte, daß die von den „Hintersassen“-Lehen (vgl. unten β)) der Aristokratie einforderbaren Steuern125 (ilku) abgeführt wurden. Naturalerträge sämtlicher Provenienz waren nach Möglichkeit – nicht nur aus steuertechnischen Gründen – in Silber umzuwandeln. Das Haus Murašu nimmt dabei eine hervorragende Rolle ein126 und vermochte es, seine wirtschaftlichen Möglichkeiten sogar zur Favorisierung Dareios II. zu mobilisieren. Ein Sturz prominenter Eigentümer hat die Verwalter der Güter nicht tangiert, da ihre Kenntnisse auch für die Nachfolger unerläßlich waren. Güter zur Ausstattung von Behörden waren von diesen Wechselfällen der politischen Geschicke natürlich nicht betroffen. Die Krone teilte sich mit verschiedenen Tempeln in die Masse der Wasserrechte127, die an die landwirtschaftlichen Produzenten bzw. jene, die deren Güter – wie die Murašus – verwalteten, vergeben wurden. In den Tempeln spielten wiederum königliche Aufsichtsbeamte von Anbeginn der achämenidischen Herrschaft eine wesentliche Rolle128, da die Heiligtümer zu Abgabenleistungen verpflichtet waren129. So verwaltete das Haus Murašu Gut des Esangila und königliches Land130 durch dieselben Personen. Was es bedeutete, daß die Macht des Königs in solcher Weise direkt oder indirekt die Wasserversorgung des Irrigationslandes Babylonien lenkte, braucht nicht näher erläutert zu werden. Wie in der Güterverwaltung lag auch in der Wasserrechtsvergabe die praktische Durchführung in den Händen babylonischer Funktionäre (ša ana muhhi GIŠ.BÁN ša ÍD N.), wodurch diesen auf lokaler Ebene großer Einfluß zuwuchs. Nach Evidenz des Murašu-Archivs stellten Aufwendungen für die Wasserversorgung einen beträchtlichen Teil der gesamten Produktionskosten dar131. ← 36 | 37 →

b)  Militärlehen und hatru

Die oben erwähnten Lehen für Bogenschützen, Reiter und Streitwagenkämpfer stellten nur einen Teil der Ländereien dar, die staatlicherseits zur Versorgung diverser Dienstleister (so auch Schreiber, Handwerker, Künstler etc.) im Umfeld persischer Adeliger und der Krone vergeben wurden. Diese Güter standen unter der Verwaltung von Gesellschaften wie den Murašu. Im Unterschied zu den oben a) besprochenen Latifundienbesitzern entstammten die belehnten Krieger mit zunehmender Dauer der Achämenidenherrschaft allen möglichen Reichsgebieten132, so auch aus Babylonien133. Von einem „Besatzungsheer“ kann demnach nur insoweit gesprochen werden, als es dem Befehl des Großkönigs unterstand. Eine Kriegerkaste, vergleichbar der Streitwagenaristokratie der kassitischen Zeit, hatte sich nicht herausgebildet, weiters unterblieb die Abtretung öffentlicher Gewalt an die Lehensinhaber134. Eine Feudalisierung im engeren Sinne liegt demzufolge nicht vor135, weswegen die achämenidischen Dienstlehen als reine Ausstattungsdotationen zu verstehen sind. Zusammengehörige Gruppen von Lehen wurden als hatru unter einem šaknu vereinigt, der für gemeinsame Angelegenheiten wie Steuer- und Dienstbereitstellung verantwortlich war136. Das Modell zeigt die Tendenz, sich auf andere Gruppen – wie Tempelpersonal und urbane Verbände – auszudehnen137.

Besonders die Militärlehen wurden sehr bald Gegenstand von Geschäftstätigkeit, wodurch ihre Erträge in abnehmendem Maße dem ursprünglichen Zweck zuflossen. Obgleich die Veräußerung der Lehen lange Zeit verboten blieb (Erstbeleg im Murašu-Archiv für den Verkauf eines bit qašti: 10. Jahr Artaxerxes I.; 455/4138) und erst allmählich mit obrigkeitlicher Genehmigung möglich wurde139, waren der Verpachtung, Beleihung der Ernte etc. keine Grenzen gesetzt. Das Verkaufsverbot ließ sich durch Adoptionen umgehen; mehrere Besitzer – gleich welchen Rechtstitels – hatten im Bedarfsfalle einen Soldaten, der nicht der Lehensinhaber sein mußte, auszurüsten140.

Vergleichbare Regelungen sind auch aus vorangegangenen Perioden der mesopotamischen Geschichte bekannt. In der Achämenidenzeit vermehrt sich aber die ← 37 | 38 → Anzahl derjenigen beträchtlich, die an den gewiß sehr guten Erträgen141 partizipierten. Der unmittelbare Produzent hatte demnach – um als extremes Beispiel ein Militärlehen heranzuziehen – ein Surplus zu erwirtschaften für: Den Lehensinhaber und seine(n) Pächter (z.B. das Haus Murašu); den saknu des hatru; den Besitzer des Bodens, auf dem das Lehen lag, sowie seinen paqdu und schließlich den Staatsschatz, an den die Steuer für das Lehen abzuführen war.

Da die Bezugsberechtigten, zu denen eine Art von iranisch-babylonischer „gentry“ getreten sein dürfte142, eine politisch von Persern dominierte, ökonomisch zusammenhängende Oberschicht einheimisch-persisch-„sonstiger“143 Zusammensetzung („ethno-classe“, vgl. deren Auftreten auch in den Darstellungen zu den übrigen Ländern des Großkönigs) darstellte, deren Interessenlage einigermaßen homogen gewesen ist, mußten durch die gemeinsamen Vorteile politische Sonderambitionen des babylonischen Teils der Begünstigten in den Hintergrund treten. Dieses System wurde vom Großkönig garantiert, der in einem florierenden Lande eine profitable Ordnung aufrechterhielt. Daß sein Herrschaftsstil einige traditionelle Komponenten des babylonischen Königtums nicht berücksichtigte, wurde von den Nutznießern offensichtlich als cura posterior in Kauf genommen.

4)  Der Großkönig als König von Babylon

Die Darstellung der Entwicklung Abschnitte 1–3 hat gezeigt, daß die persische Herrschaft vom Beginn unter Kyros II. bis zu ihrem Ende grundlegende Wandlungen erlebt hat. Für die Einschätzung des Großkönigs aus der Perspektive der Bewohner Babyloniens sind neben den politisch-wirtschaftlichen Veränderungen nun auch demographische Faktoren ins Kalkül zu ziehen, die für die Frage nach dem Fortbestehen einer babylonischen Identität von Bedeutung sind. Wer – um es auf den Punkt zu bringen – ist als Wahrer der religiösen, politischen und historischen Überlieferung Babyloniens vorstellbar?

Bereits unter den „chaldäischen“ Königen kam es zu umfangreichen Populationsveränderungen in Sumer und Akkad. Adams führt neben natürlichem Bevölkerungswachstum infolge stabiler Verhältnisse den Rückfluß deportierte Aramäer und Chaldäer nach Südmesopotamien, das Einsickern von Elementen aus dem zerstörten assyrischen Kernland sowie Deportationen nach den westlichen Eroberungen Nebukadnezars II. an144. Letztgenannte seien einer planmäßigen Peuplierungspolitik zugeführt worden, die besonders der Wiederbelebung der Nippur-Region nach den assyrisch-babylonischen Kriegen vor 626 gedient habe145. Nach Dandamaev führte diese Mischbevölkerung, in zahlreichen Wechselbeziehungen verflochten, ← 38 | 39 → ein weitgehend friedliches Leben146. Als Beispiel sei auf die ägyptische Minorität verwiesen, die sich in allen nur erdenklichen Erwerbszweigen betätigte147. Solange die Könige von Babylon selbst in betonter Weise als Exponenten der babylonischen Tradition fungierten, der infolgedessen die Kraft eines gesellschaftlichen Leitbildes eignete, war kulturell wie politisch die Kontinuität garantiert.

Da nun aber die Perserkönige bereits nach Kyros II. kaum noch Anstalten machten, das Königtum von Babylon als ideellen Fokus irdischer Gewalt vor den Landesbewohnern darzustellen, wird die Masse der Bevölkerung, die ihrer Prägung nach nicht der sumerisch-akkadischen Kultur verbunden war, ihren Gehorsam auf den Großkönig – unmittelbar natürlich auf seine Vertreter – übertragen haben. In den Aufständen des Nidintu-Bel und des Arakha 522/1 müssen daher zwei Bedürfnisse ineinandergeflossen sein: Einerseits – wie die Namenswahl Nebukadnezar und die Behauptung, von Nabonid abzustammen, dartun – der Wunsch einer dünnen, dem „national“-babylonischen Erbe verpflichteten Oberschicht, die Herrschaft im Lande wie in „chaldäischer“ Zeit zu gestalten. Andererseits eine Mißstimmung breiter, auch die einheimischen Eliten inkludierender Schichten, die durch den bisher willkürlichen Charakter der persischen Herrschaft hervorgerufen war. Propagandistisch verwenden ließ sich dabei selbstverständlich die Berufung auf eine glorreiche Vergangenheit. In Erkenntnis der Zusammenhänge hat Dareios I. nach dem Scheitern der Aufstände die politische Führungsschicht nach Möglichkeit dezimiert und berechenbare Herrschaftsstrukturen besonders im Fiskalbereich eingeführt.

Die Rebellionen von 484/2 unter Bel-šimanni und Šamaš-eriba sind wesentlich weniger eindeutig einem bestimmten sozio-kulturellen Milieu zuzuordnen als die Vorgänge 522/1. Zwar sind die Namen gut akkadisch, wie oben festgestellt verzichten jedoch beide Gegenkönige auf Traditionsnamen und legen sich einfach die konventionelle achämenidische Titulatur für Babylonien bei. Die Beweggründe für diese politischen Unruhen sind daher nicht eindeutig auszumachen. In der Folge befriedigte die Perserherrschaft in Babylonien bis zu ihrem Ende weitgehend reibungslos die Bedürfnisse zweier einander ergänzender Faktoren: Erstens bezog die achämenidische Reichszentrale, wie bereits in unterschiedlichem Sachbetreff erwähnt, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Gesamteinkünfte aus Babylonien. Zweitens zogen im Lande selbst die Krone (d.h. der König persönlich), Großgrundbesitzer, Lehensinhaber und (Lehens)Pächter sowie private Verwaltungs-, Treuhand- und Kreditagenturen, weiters Staatsbeamte, alle mit teils umfangreichen Administrationsapparaten, Profit.

Babylon kam als großköniglicher Residenzstadt in einer so wichtigen Satrapie hervorragende Bedeutung zu. Die Tempelgüter wurden zwar direkter Kontrolle unterworfen, scheinen aber wirtschaftlich keine gravierenden Beeinträchtigungen erlitten zu haben. Wenn die Priesterschaft von Esangila den Wiederaufbau des Heiligtums durch Alexander tatsächlich deswegen sabotiert hatte, weil sie ← 39 | 40 → Einkommenseinbußen durch ein Wiederaufleben königlichen Interesses befürchtete (vgl. S. 267.), kann die Einflußnahme durch die letzten Achämeniden nicht besonders intensiv gewesen sein. G.W. Müller kommt für Mitte des 5. bis Mitte 4. Jahrhundert zu dem Schluß, daß die Preisentwicklung keine Symptome für deutlich sichtbare wirtschaftliche Krisen zeigt148. Hungersnöte (für 373) und Seuchen in den folgenden Jahren149 haben das Wirtschaftsleben nicht ernstlich destabilisiert.

Für eine enge Verbindung Babyloniens mit den Angelegenheiten des Reiches spricht auch, daß die Thronfolge 425/4 (Dareios II.) und 401 (Kyros d. Jg.) in Babylonien bzw. seinem nächsten Umfeld entschieden wurde. Die Chance, während der Satrapenaufstände der Reichszentrale durch Sezession einen weiteren, zumindest wirtschaftlich schweren Schlag zu versetzen, hat man in Babylonien nicht wahrgenommen. Nach dem Verlust Babyloniens lieferte Dareios III. Alexander keine weitere große Schlacht. Insgesamt wird zu vermuten sein, daß der Großkönig für die wirtschaftlich und administrativ führenden Schichten Babyloniens ein durchaus attraktiver Bezugspunkt gewesen ist. Die Erinnerung an das selbständige Königtum von Babylon – in der Ausformung des „chaldäischen“ Reiches – lebte mit wachsender zeitlicher Distanz wohl nur noch als literarisches Thema innerhalb der sumerisch-akkadischen Bildungselite fort, wodurch seine Wirksamkeit an die Verbreitung der Keilschrift gekoppelt war. Die führenden Kreise der Vielzahl fremder Minderheiten im Lande haben sich naturgemäß nur mit der gegenwärtigen, in diesem Falle persischen, Macht auseinandergesetzt.

Details

Seiten
585
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631701515
ISBN (PDF)
9783653064452
ISBN (MOBI)
9783631701522
ISBN (Hardcover)
9783631671252
DOI
10.3726/b10362
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Oktober)
Schlagworte
Griechische und altiranische Religion Organisation zentralistischer Staatswesen Seleukiden Hellenismus Iranismus Altorientalistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. 585 S.

Biographische Angaben

Peter Panitschek (Autor:in)

Peter Panitschek hat in Graz Alte Geschichte und Altertumskunde, Orientalistik, Geschichte und Latein studiert und war anschließend mehrere Jahre Assistent am Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde der Universität Graz. Der Schwerpunkt seiner Publikations- und Vortragstätigkeit liegt in dem Bemühen, altorientalistische und althistorische Fragestellungen fächerübergreifend und mit gleichrangigem Gewicht darzustellen.

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Titel: Die Seleukiden als Erben des Achämenidenreiches
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