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Der Anspruch auf Auskunft über die Identität der eigenen genetischen Eltern

Ein Rechtsvergleich für Deutschland und Österreich

von Tania Majercik (Autor:in)
©2017 Dissertation 324 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Rechtsfragen und einschlägigen nationalen sowie internationalen Rechtsquellen im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Auskunft über die Identität der eigenen biologischen Eltern. Die Autorin stellt dabei die Rechtsordnungen von Österreich und Deutschland gegenüber. Sie erläutert die Existenz und Reichweite des Grund- und Menschenrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und die familienrechtlichen Regelungen zur rechtlichen Abstammung. Sie untersucht, ob Personen, die ihre eigene leibliche Abstammung nicht kennen, Ansprüche auf Auskunft über die Identität der eigenen genetischen Eltern haben. Die Autorin bildet dabei vier Fallgruppen: Kinder ohne rechtliche väterliche Abstammung, Kinder mit Scheineltern, Adoptivkinder und Fälle der Fortpflanzungsmedizin.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Kapitel 1: Das Grund- und Menschenrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • 1. Abschnitt: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Grundgesetz
  • I. Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG
  • A. Beschluss vom 18.1.1988
  • B. Urteil vom 31.1.1989
  • 1. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
  • a) Schutzbereich des Grundrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • b) Schranken des Grundrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • 2. Reaktionen in Literatur und Rechtsprechung
  • C. Beschluss vom 6.5.1997
  • 1. Ausgangsverfahren
  • 2. Entscheidung des BVerfG
  • 3. Erneute Abwägung durch das LG Münster
  • 4. Reaktionen in der Literatur
  • D. Zusammenfassung
  • II. Bedeutung der Grundrechte für die Privatrechtsordnung
  • III. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Das Grundrecht auf Kenntnis der Abstammung im österreichischen Recht
  • I. Bedeutung der Grundrechte für das österreichische Privatrecht
  • II. Fehlen eines nationalen Grundrechtekatalogs
  • III. Verfassungsrechtlicher Schutz der Menschenwürde und Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • A. Schutz der Menschenwürde im österreichischen Verfassungsrecht
  • B. Kenntnisrecht als Element der Menschenwürde
  • IV. Verfassungsrechtlicher Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • A. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im nationalen Verfassungsrecht
  • B. Kenntnisrecht als Element eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts
  • V. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 8 EMRK
  • 3. Abschnitt: Das Menschenrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in der EMRK
  • I. Die Bedeutung der EMRK in den Mitgliedstaaten
  • A. Allgemeines
  • B. Die Bedeutung der EMRK in Deutschland
  • C. Die Bedeutung der EMRK in Österreich
  • II. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR in den Mitgliedstaaten
  • III. Die EMRK und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  • A. Art. 8 EMRK – Achtung des Privat- und Familienlebens
  • B. Art. 14 EMRK – Diskriminierungsverbot
  • IV. Die Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR
  • A. Rechtssache Marckx/Belgien
  • B. Rechtssache Gaskin/Vereinigtes Königreich
  • C. Rechtssache Mikulić/Kroatien
  • D. Rechtssache X, Y und Z/Vereinigtes Königreich
  • E. Rechtssache Odièvre/Frankreich
  • F. Rechtssache Görgülü/Deutschland
  • G. Rechtssache Jäggi/Schweiz
  • H. Rechtssache Phinikaridou/Zypern
  • J. Rechtssache Godelli/Italien
  • K. Zusammenfassung
  • V. Ergebnis
  • 4. Abschnitt: UN-Kinderrechtekonvention
  • I. Art. 7 Abs. 1 KRK
  • A. Recht auf Eintragung, Art. 7 Abs. 1 Var. 1 KRK
  • B. Recht auf Kenntnis der Eltern, Art. 7 Abs. 1 Var. 4 KRK
  • 1. Begriff der „Eltern“
  • 2. Recht auf Kenntnis „und“ Betreuung
  • 3. Der Vorbehalt des „Möglichen“
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Recht auf Erhaltung der eigenen Identität, Art. 8 KRK
  • III. Die Bedeutung der Kinderrechtekonvention in den Mitgliedstaaten
  • A. Deutschland
  • B. Österreich
  • IV. Ergebnis
  • Kapitel 2: Kenntnis und Zuordnung
  • 1. Abschnitt: Rechtliche Abstammung
  • I. Deutschland
  • A. Rechtliche Mutterschaft
  • B. Rechtliche Vaterschaft
  • 1. Begründung der rechtlichen Vaterschaft
  • 2. Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft
  • C. Isolierte Berichtigung des Personenstandsregisters
  • II. Österreich
  • A. Rechtliche Mutterschaft/Elternschaft einer Frau
  • 1. Rechtliche Mutterschaft durch Geburt
  • 2. Rechtliche „Elternschaft“ einer Frau
  • B. Rechtliche Vaterschaft
  • 1. Begründung der rechtlichen Vaterschaft
  • 2. Beseitigung der rechtlichen Vaterschaft
  • a) Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter, § 151 ff. ABGB
  • b) Erklärung der Rechtsunwirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses, § 154 ABGB
  • c) Abänderung des die Vaterschaft feststellenden Gerichtsbeschlusses, §§ 73 ff. AußStrG
  • d) Vätertauschverfahren, § 150 ABGB
  • e) Durchbrechendes Vaterschaftsanerkenntnis, § 147 Abs. 2 ABGB
  • C. Berichtigung des Personenstandsregisters
  • III. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Die Abstammungsklärung ohne Statuswirkung nach § 1598a BGB
  • I. Zur Entstehungsgeschichte des § 1598a BGB
  • II. Inhalt des § 1598a BGB
  • III. Klärungsberechtigte und Passivlegitimierte
  • A. Die Klärung der biologischen Vaterschaft des rechtlichen Vaters
  • B. Die Klärung der biologischen Mutterschaft der rechtlichen Mutter
  • C. Die Klärung der potenziellen biologischen Vaterschaft
  • 1. Die fehlende Klärungsberechtigung des potenziellen biologischen Vaters
  • 2. Die fehlende Passivlegitimation des potenziellen biologischen Vaters
  • D. Die Klärung der Abstammung von der potenziellen biologischen Mutter
  • Kapitel 3: Konstellationen der Unkenntnis von der eigenen Abstammung und zivilrechtliche Auskunftsansprüche
  • 1. Abschnitt: Kinder ohne rechtliche väterliche Abstammung
  • I. Rechtstatsächliche Einführung
  • II. Zivilrechtliche Auskunftsansprüche
  • A. Auskunftsansprüche gegen die Mutter
  • 1. Deutschland
  • a) Auskunftsanspruch aus §§ 681, 666 BGB analog
  • b) Auskunftsanspruch aus Art. 6 Abs. 5 GG
  • c) Auskunftsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG
  • d) Auskunftsanspruch aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG
  • e) Auskunftsanspruch aus § 1618a Var. 1 BGB
  • aa) Allgemeines
  • bb) § 1618a BGB als Anspruchsgrundlage
  • aaa) Rechtsqualität des § 1618a BGB
  • bbb) § 1618a BGB als Anspruchsgrundlage für den Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen die Mutter auf Nennung des Vaters
  • cc) Zeitliche Anwendbarkeit des Auskunftsanspruchs aus § 1618a Var. 1 BGB
  • dd) Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit des Auskunftsanspruchs aus § 1618a Var. 1 BGB
  • ee) Zusammenfassung
  • f) Auskunftsanspruch aus § 242 BGB
  • 2. Österreich
  • a) Schweigerecht der Mutter, § 149 Abs. 1 Var. 2 ABGB
  • b) Auskunftsanspruch aus dem Kindeswohlprinzip
  • c) Auskunftsanspruch aus § 137 Abs. 2 Var. 1 ABGB
  • aa) Allgemeines
  • bb) § 137 Abs. 2 ABGB als Anspruchsgrundlage
  • aaa) Rechtsnatur des § 137 Abs. 2 ABGB
  • bbb) § 137 Abs. 2 Var. 1 ABGB als Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des vaterlosen Kindes gegen die Mutter auf Auskunft über den leiblichen Vater
  • cc) Klagbarkeit der Rechte aus § 137 Abs. 2 Var. 1 ABGB
  • dd) Zeitliche Anwendbarkeit des Auskunftsanspruchs aus § 137 Abs. 2 Var. 1 ABGB
  • ee) Zusammenfassung
  • 3. Ergebnis
  • B. Auskunftsansprüche gegen Dritte
  • 2. Abschnitt: Kinder mit Scheineltern
  • I. Scheinvaterschaften
  • A. Scheinvater kraft Ehe mit der Mutter
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • B. Scheinvater kraft „wahrheitswidrigen“ Anerkenntnisses
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • C. Scheinvater kraft „wahrheitswidriger“ gerichtlicher Feststellung
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • D. Ansprüche des Kindes auf Auskunft über die Identität des biologischen Vaters
  • 1. Auskunftsansprüche des Kindes gegen die Mutter
  • a) Deutschland
  • b) Österreich
  • c) Ergebnis
  • 2. Auskunftsansprüche des Kindes gegen den Scheinvater
  • a) Deutschland
  • b) Österreich
  • 3. Auskunftsansprüche gegen Dritte
  • E. Ergebnis
  • II. Scheinmutterschaften
  • A. Deutschland
  • B. Österreich
  • C. Ergebnis
  • 3. Abschnitt: Adoption
  • I. Rechtstatsächliche Einführung
  • II. Das Recht des Adoptivkindes auf Kenntnis der leiblichen Eltern nach dem Haager Adoptionsschutzabkommen
  • III. Inkognitoadoption
  • A. Begriff der Inkognitoadoption
  • B. Deutsches Adoptionsrecht und Inkognitoadoption
  • C. Österreichisches Adoptionsrecht und Inkognitoadoption
  • IV. Ansprüche des Adoptivkindes auf Auskunft über die leiblichen Eltern
  • A. Das Recht auf Einsicht in die Personenstandsregister
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • B. Einsicht in den Herkunftsnachweis des vertraulich geborenen Kindes
  • 1. Gesetz zur Regelung der vertaulichen Geburt
  • 2. Vertraulichkeit der Identität der Mutter und Herkunftsnachweis
  • 3. Recht auf Einsichtnahme in den Herkunftsnachweis
  • 4. Stimmen der Literatur zur Regelung der vertraulichen Geburt
  • C. Auskunftsansprüche gegen die Adoptiveltern
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • 3. Ergebnis
  • D. Auskunftsansprüche gegen die Adoptionsvermittlungsbehörde
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • 3. Ergebnis
  • E. Auskunftsansprüche gegen die leibliche Mutter
  • 1. Deutschland
  • 2. Österreich
  • V. Zusammenfassung
  • 4. Abschnitt: Biologische Eltern und Fortpflanzungsmedizin
  • I. Rechtsquellen
  • A. Internationale Rechtsquellen
  • 1. Europäische Menschenrechtskonvention zur Biomedizin
  • 2. Kinderrechtekonvention
  • 3. Das Recht auf Fortpflanzung, Art. 8 Abs. 1 EMRK
  • 4. Europäische Geweberichtlinien
  • B. Nationale gesetzliche Grundlagen der Fortpflanzungsmedizin
  • 1. Österreich
  • 2. Deutschland
  • a) Embryonenschutzgesetz
  • b) Transplantationsgesetz
  • c) Adoptionsvermittlungsgesetz
  • d) Standesrecht der Ärzte
  • e) Gesetzesinitiativen
  • C. Methoden der Fortpflanzungsmedizin und Kenntnisrecht
  • 1. Heterologe Insemination
  • a) Zulässigkeit der heterologen Insemination
  • aa) Deutschland
  • bb) Österreich
  • b) Praktische Relevanz
  • aa) Deutschland
  • bb) Österreich
  • c) Auskunftsansprüche des Kindes gegen den Arzt
  • aa) Österreich
  • bb) Deutschland
  • aaa) OLG Hamm - Urteil vom 6.2.2013
  • bbb) Reaktionen auf das Urteil des OLG Hamm
  • ccc) BGH - Urteil vom 28.1.2015
  • ddd) Vertragliche Auskunftsansprüche
  • (1) Schweigevereinbarungen
  • (2) Vertragsverhältnis Arzt - Wunscheltern
  • (a) Wirksamkeit des Inseminationsvertrags
  • (b) Auskunftspflicht zu Gunsten des Kindes
  • (aa) Vertrag zu Gunsten des Kindes
  • (bb) Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht, § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB
  • (cc) Ergebnis
  • (c) Vertrag mit Schutzwirkung für das Kind
  • (3) Vertragsverhältnis Arzt - Samenspender
  • (a) Rechtsnatur und Wirksamkeit des Samenspendevertrags
  • (b) Vertrag zu Gunsten des Kindes
  • (c) Vertrag mit Schutzwirkung für das Kind
  • eee) Anspruch aus § 242 BGB
  • fff) Einsicht in die Spenderdokumentation, § 810 BGB
  • ggg) Ergebnis
  • d) Auskunftsansprüche des Kindes gegen die Wunscheltern
  • aa) Deutschland
  • bb) Österreich
  • cc) Ergebnis
  • 2. In-vitro-Fertilisation
  • 3. Eizellspende
  • a) Zulässigkeit der Eizellspende
  • aa) Österreich
  • bb) Deutschland
  • b) Ansprüche des Kindes auf Auskunft über der Eizellspenderin
  • aa) Österreich
  • bb) Deutschland
  • aaa) Auskunftsansprüche gegen den Arzt
  • bbb) Auskunftsansprüche gegen die Wunscheltern
  • 4. Embryospende
  • a) Zulässigkeit der Embryospende
  • aa) Deutschland
  • bb) Österreich
  • b) Ansprüche auf Auskunft über die Spendereltern
  • aa) Deutschland
  • bb) Österreich
  • aaa) Auskunftsansprüche gegen den Arzt
  • bbb) Auskunftsansprüche gegen die Wunscheltern
  • Kapitel 4: Ergebnis
  • Auszüge aus zitierten Vorschriften
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Das Interesse an der eigenen biologischen Abstammung ist gerade in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Zugänglichkeit der genetischen Informationen aufgrund des medizintechnischen Fortschritts stark gestiegen.

So existiert auch eine Reihe von Veröffentlichungen1 zum deutschen Recht, die sich mit dem Recht auf „Kenntnis der eigenen Abstammung“ auseinandersetzen. Dabei werden zivilrechtliche Auskunftsansprüche auf Nennung der biologischen Eltern selten oder nur flüchtig angesprochen: Insbesondere die älteren Werke vermengen die Frage des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung mit einer Bestandsanalyse der Möglichkeiten, eine Abweichung von biologischer und rechtlicher Elternschaft im Einzelfall zu korrigieren. Die neueren Publikationen zum Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung erschienen insbesondere im Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin oder der anonymen Kindesabgabe, richten ihr Augenmerk auf die verfassungsrechtlichen, strafrechtlichen und abstammungsrechtlichen Aspekte der Thematik und erwähnen die mögliche Existenz zivilrechtlicher Ansprüche auf Nennung der biologischen Eltern allenfalls am Rande. In Abhandlungen zu einzelnen Fallgruppen des Auseinanderfallens von rechtlicher und biologischer Elternschaft wird ganz unterschiedlich auf das Problem eines Anspruchs auf Kenntnis der genetischen Eltern eingegangen: So wird typischerweise bei Veröffentlichungen zum Recht nichtehelicher Kinder bzw. der Ehebruchkinder oder im Zusammenhang mit falschen Vaterschaftsanerkenntnissen die Frage nach dem Kenntnisrecht oft mit der nach einer Korrektur „fehlerhafter“ Zuordnungen gleichgesetzt, während in der Literatur zum Adoptionsrecht die Frage nach dem Anspruch auf Kenntnis der leiblichen Eltern niemals mit Überlegungen einer (erneuten) Änderung der rechtlichen Zuordnung des Kindes einhergeht. ← 19 | 20 →

Die viel diskutierte Problematik der Feststellung von natürlichen Abstammungsverhältnissen ist von den bloßen Auskunftsansprüchen über die leibliche Abstammung zu trennen.

Diese Arbeit untersucht die möglichen Anspruchsgrundlagen für ein Recht auf Nennung der genetischen Eltern im deutschen Zivilrecht mit vergleichendem Blick auf die Rechtsordnung Österreichs. Der Vergleich soll neben den existierenden Übereinstimmungen, die nicht zuletzt auf internationalen und europäischen „Vorgaben“ beruhen, auch die Differenzen verdeutlichen. Dabei werden verschiedene Fallgruppen gebildet, die auf den Ursachen der Unkenntnis der eigenen Abstammung der betroffenen Personen beruhen: Personen ohne rechtliche väterliche Abstammung, Personen mit Scheineltern, Adoptivkinder und Personen, die mit Hilfe der Fortpflanzungsmedizin gezeugt wurden.

In dieser Arbeit soll zunächst untersucht werden, inwieweit die Staaten Deutschland und Österreich verpflichtet sind, ein Grund- bzw. Menschenrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu gewährleisten, und inwieweit sich dieses Recht auf das Zivilrecht auswirkt. Dann werden die einzelnen Konstellationen der Unkenntnis bezüglich der eigenen leiblichen Eltern aufgezeigt und mögliche zivilrechtliche Auskunftsansprüche untersucht.


1 Beispiele hierfür sind Busse, Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung bei heterologer künstlicher Befruchtung (1988); Coester-Waltjen, Zum Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, JURA 1989, S. 520; Deichfuß, Recht des Kindes auf Kenntnis der seiner blutsmäßigen Abstammung? Zur Zulässigkeit der heterologen Insemination, NJW 1988, S. 113; Dellert, Die anonyme Kindesabgabe, Anonyme Geburt und Babyklappe (2009); Donhauser, Das Recht des Kindes auf Kenntnis der genetischen Abstammung (1996); Elbel, Anonyme Geburten und Kindesabgabe - Unter besonderer Berücksichtigung der grundrechtlichen Abwehrrechts- und Schutzpflichtendogmatik (2007); Frank, Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung?, FamRZ 1988, S. 113; Kleineke, Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (1976); Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (2006); von Sethe, Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung 1995); Smid, Recht auf Kenntnis der eigenen blutsmäßigen Abstammung, JR 1990, S. 221; Teubel, Geboren und Weggegeben, Rechtliche Analyse der Babyklappen und anonymer Geburt (2009).

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Kapitel 1: Das Grund- und Menschenrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Für die Untersuchung möglicher zivilrechtlicher Auskunftsansprüche über die eigene Abstammung ist es hilfreich, zunächst sowohl die verfassungsrechtliche als auch die völkerrechtliche Existenz eines Rechts auf Kenntnis der Abstammung sowie dessen Stellenwert und seine Bedeutung für das jeweilige nationale Zivilrecht zu untersuchen.

1. Abschnitt: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Grundgesetz

Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Normierung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung, allerdings hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein solches entwickelt.

I. Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG

Mit dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in zwei Entscheidungen,2 es folgte eine weitere im Jahr 1997.3

A. Beschluss vom 18.1.1988

Gegen eine Entscheidung des LG Passau, welches einem volljährigen nichtehelichen Kind einen Anspruch gegen die Mutter auf Nennung seines leiblichen Vaters zugesprochen hatte,4 legte die Mutter Verfassungsbeschwerde ein. Diese wurde nicht zur Entscheidung angenommen, da kein Grundrechtsverstoß ersichtlich sei. Das BVerfG räumte dabei ein, dass das Auskunftsverlangen des Kindes zwar das Persönlichkeitsrecht der Mutter betreffe, ihr dieses jedoch nicht schrankenlos zur Verfügung stehe.5 Einschränkend seien die Interessen des nichtehelichen Kindes zu berücksichtigen, welches aus der - freilich grundsätzlich vor der Offenbarung gegenüber Dritten geschützten - Verbindung der biologischen Eltern hervorgegangen sei und damit nun ausnahmsweise eigene Rechte aus dieser Beziehung habe.6 ← 21 | 22 →

Das BVerfG bejahte zumindest für das nichteheliche Kind das Recht auf Kenntnis des leiblichen Vaters - mit Verweis auf die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 5 GG.7 Zur Gleichstellung des nichtehelichen Kindes sei die Kenntnis des Vaters, mit dem es auch nach § 1589 BGB verwandt ist, erforderlich, um eine persönliche Beziehung zu ermöglichen oder unterhalts- und erbrechtliche Ansprüche durchzusetzen.8 Daher haben die Eltern des Kindes grundsätzlich ihre Interessen denen des Kindes unterzuordnen, schließlich haben gerade sie die Existenz des Kindes und seine Nichtehelichkeit zu vertreten.9

Das nichteheliche Kind solle so wenig wie möglich gesellschaftlich diskriminiert werden: Es solle als Wesen mit eigener Menschenwürde und mit einem eigenen Recht auf Persönlichkeitsentfaltung möglichst die gleichen Chancen erhalten wie ein eheliches Kind.10 Daher sei das Recht auf Kenntnis des leiblichen Vaters zudem im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.11

Die Entscheidung betraf den Anspruch eines volljährigen Kindes.

B. Urteil vom 31.1.1989

Nach dem Kammerbeschluss vom 18.1.1988 äußerte sich das BVerfG erneut zum Recht auf Kenntnis der Abstammung in einem Urteil vom 31.1.1989,12 welches auch als „Meilenstein“ in der Geschichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bezeichnet wird.13

Das BVerfG entschied, dass familienrechtliche Vorschriften mit dem Grundgesetz unvereinbar seien, soweit sie - abgesehen von den gesetzlichen Anfechtungstatbeständen - dem Kind nicht nur die Änderung seines familienrechtlichen Status, sondern auch die gerichtliche Klärung seiner Abstammung ausnahmslos verwehren.14

1. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

a) Schutzbereich des Grundrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Das BVerfG bekräftigte, dass wegen des engen Zusammenhangs der Persönlichkeitsentfaltung mit der Kenntnis „der für sie konstitutiven Faktoren“ das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch ein Recht auf ← 22 | 23 → Kenntnis der Abstammung umfasse.15 Dieses werde nicht durch die Menschenwürde nach Art. 1 GG, jedoch in deren Sinne gewährleistet.16

„Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann.“17 „Verständnis und Entfaltung der Individualität sind mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden.“18 Zu diesen zähle auch die Abstammung.19 Jene bestimme nicht nur die genetischen Eigenschaften des Einzelnen und seiner Persönlichkeit, sondern sie „nimmt auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für die Individualitätsfindung und das Selbstverständnis ein.“20 Die Tatsache, dass in manchen Fällen die Abstammung nicht aufklärbar ist und die Persönlichkeitsentfaltung der Betroffenen zwangsweise ohne Kenntnis erfolgen muss, schließe ihren grundsätzlichen Schutz nicht aus.21 Diese Haltung sei auch nicht widersprüchlich, umfasse das Recht auf Kenntnis der Abstammung doch kein Recht auf Verschaffung nicht erlangbarer Informationen, sondern schütze nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Auskünfte.22 Zur Auslegung des unbestimmten Begriffs der „Erlangbarkeit“ äußert sich das BVerfG bedauerlicherweise nicht.

b) Schranken des Grundrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Aus der Klarstellung, dass das Recht auf Kenntnis der Abstammung nicht in den Schutzbereich der Menschenwürde, sondern in den des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt, folgt, dass es nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ausgeübt werden kann, Art. 2 Abs. 1 GG,23 demnach nicht schrankenlos gewährleistet ist. So sei insbesondere die gerichtliche Klärung der eigenen Abstammung nur aufgrund gesetzlicher Ausgestaltung möglich.24 Eine gesetzliche Regelung verstoße aber gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, wenn der Gesetzgeber mit ihr einen verfassungswidrigen Zweck verfolge oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze.25

Details

Seiten
324
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631704851
ISBN (PDF)
9783653071610
ISBN (MOBI)
9783631704868
ISBN (Paperback)
9783631676868
DOI
10.3726/b10611
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (April)
Schlagworte
Rechtliche Vaterschaft Rechtliche Mutterschaft Biologische Eltern Biologischer Vater Adoptionsgeheimnis Scheineltern Leihmutter
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 324 S.

Biographische Angaben

Tania Majercik (Autor:in)

Tania Majercik studierte Rechtswissenschaften in Passau und Angers (Frankreich). Sie war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Passau tätig.

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