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Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews

Theoretische und methodische Zugänge

von Ingrid Schröder (Band-Herausgeber:in) Carolin Jürgens (Band-Herausgeber:in)
©2017 Konferenzband 254 Seiten
Reihe: Sprache in der Gesellschaft, Band 35

Zusammenfassung

Der Band dokumentiert die Beiträge eines Workshops im Rahmen des Projekts «Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)». Im Mittelpunkt standen Möglichkeiten und Grenzen sprachbiographischer Analysen, wobei vornehmlich theoretische Grundlagen und Methoden diskutiert wurden. Eine wesentliche methodische Differenz besteht in der Fokussierung des Inhaltes von Sprachbiographien im Unterschied zur Fokussierung der sprachlichen Form und damit der Konstruktion von Biographien und Identitäten. So spielen sowohl inhalts- wie auch gesprächs- und narrationsanalytische Ansätze eine Rolle. Sprachbiographische Modellbildungen stehen neben exemplarischen Analysen von autobiographischen Erzählungen, die von Mehrsprachigkeit und Varietätenkontakt geprägt sind.

Inhaltsverzeichnis


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Ingrid Schröder/Carolin Jürgens (Hamburg)

Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews. Theoretische und methodische Zugänge. Einleitung

Vom 31. Oktober bis 1. November 2014 fand an der Universität Hamburg ein Workshop zum Thema „Sprachbiographie“ statt, dessen Ergebnisse in diesem Band publiziert werden. Der Workshop wurde im Rahmen des Projekts „Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)“ veranstaltet, das am 1. Juni 2014 mit Förderung der DFG gestartet werden konnte. Die im Projekt geplanten Analysen von Spracheinstellungen sollen zeigen, welche Funktionen dem Dialekt im öffentlichen Sprachgebrauch in der Großstadt gegenwärtig zukommen, und klären, welches Identifikationspotenzial mit dem Niederdeutschen verbunden wird. Zur Datenerhebung sind sprachbiographische Interviews durchgeführt worden, in denen sich drei Themenkomplexe abheben lassen: der Zusammenhang von Biographie und Sprachgebrauch, die Einstellung gegenüber der Stadt und die Einstellung gegenüber dem Niederdeutschen.

Die gemeinsame Basis aller Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer bildet die Arbeit mit Sprachbiographien, während theoretische Grundlagen und Auswertungsmethoden differieren. Letztere standen im Mittelpunkt des Workshops, in dem die Möglichkeiten und Grenzen sprachbiographischer Analysen diskutiert wurden. Eine wesentliche methodische Differenz liegt in der Fokussierung des Inhaltes der Sprachbiographien gegenüber der Fokussierung der sprachlichen Form und damit der Art und Weise der Konstruktion von Biographien.

Zu Beginn präsentieren Carolin Jürgens und Ingrid Schröder (Hamburg) das Projekt „Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)“, in dem sprachbiographische Interviews als Materialbasis eine wesentliche Rolle spielen. Dargestellt werden vor allem die theoretischen und methodischen Grundlagen, die für die Analyse von Identitätskonstruktionen und Spracheinstellungen in autobiographischen Narrationen von Bedeutung sind.

Andreas Bieberstedt (Rostock) hat für seine Studie zur regionalen Sprachvariation zwischen Niederdeutsch und Hochdeutsch in der Peripherie Hamburgs 73 sprachbiographische Interviews durchgeführt, die Aufschluss über die Determinanten des Sprachgebrauchs und über die Spracheinstellungen geben sollen. ← 7 | 8 → In seinem Beitrag diskutiert er theoretische Aspekte der Sprachbiographieforschung unter dialektologischer Perspektive und schlägt eine Unterscheidung von „sprachlichem Lebenslauf“ als empirisch nachvollziehbarem Lebenslauf und „Sprachbiographie“ als kognitivem und narrativem Konstrukt vor, die als Gegenstände der linguistischen Lebenslaufforschung bzw. der Sprachbiographieforschung konturiert werden.

Jan Wirrer (Bielefeld) modelliert den Zusammenhang von Lebensphasen und sozialen Netzwerken in Biographien, wobei Überlagerungen und Wandelprozesse von Bedeutung sind. Auf dieser Basis stellt er exemplarisch die Biographie eines Sprechers des American Low German dar, indem er den Zusammenhang von biographischem Wandel und sich verändernder Sprachkompetenz bzw. sich wandelndem Sprachgebrauch nachzeichnet. Zugleich plädiert er für die Bevorzugung des Terminus „Sprecherbiographie“ gegenüber „Sprachbiographie“.

Alastair Walker (Kiel) wendet sich mit dem Friesischen einer bedrohten Sprache zu. In seiner Studie steht der Spracherwerb im Zentrum. Er hebt vier Sozialisierungsphasen voneinander ab und ordnet ihnen Netzwerke zu. Mithilfe von Interviews werden die unterschiedlichen Sozialisierungsprozesse in drei Generationen erhoben. Ein Vergleich verdeutlicht, dass für den Erwerb der Regional- und Minderheitensprachen gegenwärtig zunehmend institutionelle Kontexte eine Rolle spielen und der ungesteuerte Spracherwerb entgegen früherer Zeiten verstärkt monolingual verläuft.

Beáta Wagner-Nagy (Hamburg) stellt anhand von Daten aus ihrem Projekt „Korpusaufbau und korpusbasierte Studien des Nganasanischen“ die Sprachverhältnisse im Norden Sibiriens dar. Sie zeigt, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass die nganasanische Sprache vom Aussterben bedroht ist und die Sprechergruppe mehr und mehr das Russische als Alltagssprache präferiert. Erklärungen bieten die im Rahmen von Narrationen vorgebrachten Erinnerungsmotive wie Schule, Alltag und Kindheit.

Klaas-Hinrich Ehlers (Berlin) widmet sich der Bedeutung von Sprachbiographien als Quellen für die Sprachgeschichtsschreibung, wo andere Quellen versiegen. Dies ist insbesondere bei der Rekonstruktion von Mündlichkeit der Fall. Ehlers beschreibt anhand von Materialien aus seinem Projekt „Kontaktlinguistische Untersuchungen zur sprachlichen Akkulturation Heimatvertriebener in Mecklenburg“ den Gebrauch dialektaler Varietäten in der industriellen Arbeitswelt im Hinblick auf verschiedene Adressatengruppen (u. a. Zugewanderte, insbesondere als Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg oder auch als Zugezogene aus dem Süden der DDR ohne Niederdeutsch-Kenntnisse) und Kommunikationssituationen sowie Funktionen und skizziert daneben auch sprachliche Wandelprozesse. ← 8 | 9 →

Anne Betten (Salzburg) hat sich in mehreren Projekten intensiv mit der Sprache in der Emigration befasst und autobiographische Interviews mit Migranten geführt, die in den 1930er Jahren aus deutschsprachigen Ländern nach Israel ausgewandert sind, ebenso mit der nachfolgenden Generation. Ziel war einerseits die Erhebung des bildungsbürgerlichen Deutschs der 1920er Jahre, andererseits die Analyse der identitätsstiftenden Funktion der Sprache und der Spracheinstellungen der zweiten Generation im Verhältnis zur ersten Generation. Im Beitrag werden das Textsortenspektrum und die Darstellungsmuster in den Interviews fokussiert. Betten hebt die Bedeutung von Beschreibungen hervor, die häufig in Argumentationsstrukturen eingebettet sind. Daneben stehen Berichte und episodische Erzählungen.

Katharina König (Münster) analysiert die Kommunikationssituation während des Interviews. Anhand von Beispielen aus dem Themenbereich der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit wird gezeigt, dass die Modalität des Gesprochenen, die Beeinflussung durch die Interviewer und Interviewerinnen sowie die intrapersonelle Variation während der Analyse zu berücksichtigen sind. König zeigt, dass die Konstruktion sprachbiographischen Wissens immer in Koordination der Gesprächspartner stattfindet. Solche Koordinierungs- und Kontextualisierungsleistungen können durch gesprächs- oder konversationsanalytische Verfahren sichtbar gemacht und in die Auswertung einbezogen werden.

Lara Neumann und Ingrid Schröder (Hamburg) zeigen anhand von Interview-Daten aus dem NiH-Projekt sprachliche Verfahren zur Konstruktion einer regionalen Identität durch Sprache. Von den Interviewten wird Niederdeutsch in das eigene Identitätskonzept eingebaut und dabei insbesondere zur Positionierung gegenüber den Interaktionspartnern als auch zur Konturierung von Gruppenzugehörigkeit genutzt. Diese exemplarische Analyse von Identitätskonstruktionen wurde während des Germanistentags 2016 präsentiert und zusätzlich in den Band aufgenommen.

Der Band bietet somit verschiedene theoretische und methodische Zugänge zur Analyse sprachlicher Variation mittels autobiographischer Interviews. Thematisch stehen sprachliche Biographien in Kontexten des Sprach- oder Varietätenkontakts im Zentrum. Deutlich wird, dass neben inhaltsanalytischen Verfahren Methoden der Gesprächs- und Konversationsanalyse relevant sind. Die forschungsleitenden Fragestellungen führen außerdem zu theoretischen und methodischen Erweiterungen. Zugleich wird der Stellenwert der Sprachbiographien deutlich, der weit über ihre Bedeutung als Erhebungsmethode hinausgeht. Sprachbiographien bieten eine Basis für die Analyse der Entwicklung sprachlicher Kompetenzen und ← 9 | 10 → des Sprachgebrauchswandels mit seinen Auslösern ebenso wie für die Analyse der Rolle von Sprache und Spracheinstellungen für Identitätskonstruktionen.

Unser Dank gilt den Workshop-Teilnehmern, deren Beiträge wir in diesem Band präsentieren dürfen, für die anregenden Diskussionen, die uns auf dem Projektweg beflügelt haben, wie auch dem Redaktionsteam Christine Fuhrmeister, Cornelia Gläser und Martin Gögge, die mit großer Umsicht die Texte für den Druck eingerichtet haben.

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Ingrid Schröder/Carolin Jürgens (Hamburg)

Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH). Eine Projektskizze

Abstract: The paper introduces a current research project which focuses on the analysis of language attitudes towards regional forms of speech in urban areas. Despite decreasing communicative relevance the Low German dialect is part of culture and media and as such perceived in public. This striking finding leads to the hypothesis that Low German is perceived as a special local characteristic and that the symbolic function of the dialect has increased. This article discusses theoretical and methodical aspects as well as the outline of the qualitative and the quantitative studies.

1  Einleitung: Ausgangssituation, Fragestellungen und Hypothesen

Niederdeutsch ist in Hamburg fast vollständig aus der Alltagskommunikation verschwunden. Lediglich 10 % der Hamburger Bevölkerung beanspruchten den Ergebnissen der INS-Umfrage zur Lage des Niederdeutschen 2007 zufolge für sich, sehr gute oder gute Niederdeutschkenntnisse zu haben.1 Dass zudem selbst die kompetenten Sprecher das Niederdeutsche nicht mehr in der Alltagskommunikation verwenden, geht daraus hervor, dass 54 % der Sprecher angaben, vor länger als einem halben Jahr zum letzten Mal Niederdeutsch gesprochen zu haben.2 Doch zeigt dieselbe Umfrage zugleich eine positive Bewertung des Niederdeutschen. So haben 91 % der Hamburger Befragten angegeben, Niederdeutsch sei für sie „heimatlich“ und 90 % hielten es für „typisch norddeutsch“. Zudem wird es als kultureller Faktor wahrgenommen und von 87 % mit dem Ohnsorg-Theater in Verbindung gebracht.3 Niederdeutsch ist demnach im Bewusstsein der Bewohner Hamburgs nach wie vor als Teil der städtischen Sprachwirklichkeit4 verankert. Auch in der Öffentlichkeit, vor allem in Kultur und Medien, spielt es eine Rolle und wird für die Namensgebung von Restaurants und Geschäften oder ← 11 | 12 → für die Werbung und zur Selbstdarstellung insbesondere im Dienstleistungssektor genutzt.5

Aus diesem Befund resultiert die Hypothese, dass Niederdeutsch in Hamburg als ein besonderes, positives Ortsmerkmal wahrgenommen wird und gegenüber seiner kommunikativen die sozialsymbolische Funktion an Bedeutung gewonnen hat. Auch die Verpflichtungen zur Förderung der Sprache, die Hamburg im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen übernommen hat, können als Beleg für die Zuschreibung eines hohen sozialsymbolischen Signalwerts gelten.6

Im Projekt „Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)“7 sollen die Funktionen des Niederdeutschen und anderer regionalsprachlicher Formen im urbanen Raum untersucht werden. Die sukzessive funktionale Verschiebung, der Niederdeutschgebrauch und -bewertung aktuell unterliegen, soll durch eine Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs erhellt werden. Im Zentrum steht die Motivation der Sprecher und Akteure in öffentlichen Institutionen, das Niederdeutsche zu verwenden oder sich mit entsprechenden kulturellen und medialen Aktivitäten und Produkten auseinanderzusetzen, obwohl es nur noch eingeschränkt für die Alltagskommunikation genutzt wird. Es soll untersucht werden, welche Bewertungen und welches Identifikationspotenzial mit dem Niederdeutschen verbunden sind, d. h. inwieweit Niederdeutsch als Mittel der Identitätsstiftung und Identitätswahrung eingesetzt oder ggf. auch nur wahrgenommen wird.

Vor allem sollen die bewussten oder auch unbewussten Inhalte und Wertungen, die in Hamburg mit dem Niederdeutschen verbunden sind, ermittelt werden. Darüber hinaus wird gefragt, ob mit der aktiven kulturellen und medialen Auseinandersetzung mit dem Niederdeutschen ein spezifischer Wertekanon verbunden ist. Es kann vermutet werden, dass neben den individuellen Erinnerungen an die eigene Kindheit der Hafen mit seinen traditionellen Berufen und die Geschichte Hamburgs mit ihrer hansischen oder, als Reflex darauf, hanseatischen Tradition mit dem Niederdeutschen verknüpft und aufgerufen werden. Die Sprachwahl Niederdeutsch und ebenso das Engagement für die Verwendung des Niederdeutschen, die Rezeption entsprechender kultureller Angebote und insgesamt die ← 12 | 13 → positive Bewertung der Sprache können dann als Versuch gewertet werden, an positiven Hamburger Ortsstereotypen zu partizipieren. Niederdeutsch wäre als Bestandteil einer spezifischen hamburgischen Identität zu verstehen.

Zusätzlich zu den Einstellungen gegenüber dem Niederdeutschen sollen auch die Einstellungen gegenüber dem lokalen Substandard in Hamburg in die Untersuchung vergleichend einbezogen werden. Es ist zu fragen, ob der lokale Sub­standard dieselbe Wertschätzung erfährt wie das Niederdeutsche oder ob gänzlich unterschiedliche Einstellungen damit verbunden werden. Aufgrund erster Beobachtungen kann die Hypothese formuliert werden, dass Substandardformen stärker sozial stigmatisiert sind als das Niederdeutsche, vor allem bei jungen Leuten aber ein (verdecktes) Prestige besitzen und als identitätskonstituierende Merkmale genutzt werden.8

In der folgenden Vorstellung des Forschungsprojekts „Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)“ werden in einem ersten Schritt die theoretischen Konzepte skizziert, die der Analyse zugrunde liegen. Im Einzelnen werden dann die beiden Teilstudien, eine qualitative Analyse sprachbiographischer Interviews und etwas kürzer, da sie im Zusammenhang des vorliegenden Bandes eine geringere Rolle spielt, die quantitative Auswertung einer Fragebogenerhebung, präsentiert. Erste Ergebnisse können einen Einblick in die Ergiebigkeit der Projektdaten vermitteln und weisen auf die Gesamtdarstellung der Projektergebnisse voraus, die für das Jahr 2018 geplant ist.9

2  Theoretische Konzepte

Als theoretische Basis für die Studie sind Identitäts- und Einstellungskonzepte zu diskutieren und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Dabei werden Einstellungen als wesentliche Komponenten der Identitätsstiftung verstanden. Der Analyse zugänglich ist Identität nicht an sich, sondern in Form von Verhaltensweisen, insbesondere durch semiotische Verfahren sowohl sprachlicher wie nicht-sprachlicher Art, welche in ihrer Kombination einen spezifischen Stil generieren.10 ← 13 | 14 → Da Identitätskonstruktionen vor allem in Narrationen gestaltet werden, ist gesondert auf das Konzept der narrativen Identität und Positionierungsverfahren einzugehen. Mit dem Identitätskonzept wird das Einstellungskonzept verknüpft, das es erlaubt, Selbstbilder und Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen zu ermitteln, indem Zuschreibungen und Bewertungen analysiert werden. Diese treten vor allem in Form von Stereotypen hervor, die für eine Analyse von besonderem Interesse sind, da sie intersubjektiv geteilt werden und gesellschaftlich verankert sind.

2.1  Identität

Identität ist nicht als einheitliches Konzept zu verstehen. In der Forschung werden, je nachdem, worauf Identität gerichtet ist, mehrere Ausformungen unterschieden. Neben der individuellen, personalen Identität steht eine auf Gruppen gerichtete soziale Identität. Als eine Sonderform der sozialen Identität wiederum kann eine raumbezogene regionale Identität beschrieben werden, wenn spezifisch raumgebundene Elemente wie regionale Mode oder Essgewohnheiten als Abzeichen in die Identitätskonstruktionen eingehen. Handelt es sich bei den identitätsstiftenden Elementen um Sprachformen, lässt sich dies auch unter den Begriff der sprachlichen Identität fassen. Unter dem Label „narrative Identität“11 wird hingegen kein spezifischer identitätsbildender Kristallisationspunkt verstanden, sondern die Konstruktion von Identität durch Narration. In diesem Zusammenhang ist es – im Unterschied zur sozialpsychologisch verankerten Terminologie – daher zielführender, von narrativ konstruierter Identität zu sprechen.

2.1.1  Konzept und Ausformungen

Identität lässt sich als das „je spezifische Selbst- und Weltverhältnis sozialer Subjekte“, als „ihr Selbstbild und Selbstverständnis“12 bestimmen, wobei eine „Verbindung von Selbigkeit, Kontinuität und Einheit“13 existiert. Die Ich-Identität oder personale Identität besteht in der Selbsteinschätzung einer Person, die von der Einschätzung durch andere abzugrenzen ist. Die Einheit der Person wird nicht nur von außen konstatiert, sondern auch als innere Einheit erlebt. Durch die Ich-Identität wird zugleich die Differenz zwischen dem Ich und dem Du, dem Selbst und dem Anderen, hergestellt. Identität und Alterität stehen einander gegenüber. ← 14 | 15 →

Während traditionelle Auffassungen Identität als ontologische Kategorie und damit als eher abgeschlossen und gleichbleibend konzipieren und von einem Selbst mit eindeutigen Rollenzuweisungen ausgehen, sehen postmoderne Auffassungen Identität als dynamisches Konzept bzw. als Prozess an.14 Demnach sind Identitäten einem ständigen Wandel unterworfen und müssen stets neu ausgehandelt werden.15 Anstelle der Kategorien Kohärenz und Kontinuität stehen dann verstärkt Wandel und Flexibilität im Mittelpunkt.16

Details

Seiten
254
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631706282
ISBN (PDF)
9783653072464
ISBN (MOBI)
9783631706299
ISBN (Hardcover)
9783631677346
DOI
10.3726/b10627
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Schlagworte
Sprachbiographien Mehrsprachigkeit Varietäten Spracheinstellungen Identitätskonstruktionen Spracherhalt
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 254 S., 4 s/w Abb., 7 s/w Tab.

Biographische Angaben

Ingrid Schröder (Band-Herausgeber:in) Carolin Jürgens (Band-Herausgeber:in)

Ingrid Schröder hat eine Professur für Linguistik des Deutschen und Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität Hamburg inne. Carolin Jürgens wurde an der Universität Hamburg promoviert und war Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt «Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH)».

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