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Albert Drach und die Literaturgeschichtsschreibung

Ein Diskurs über «falsche Moral» und «falsche» Literatur

von Herbert Scheschy (Autor:in)
©2017 Dissertation 183 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch rückt den Erzähler Albert Drach als Essayisten in den Mittelpunkt. Drach veröffentlichte Gedichte, Dramen und vor allem erzählende Texte und blieb als Essayist bisher nahezu unbekannt. Der Autor verdeutlicht am Thema der Literaturgeschichtsschreibung den weltanschaulichen Horizont sowie Literatur- und Moralbegriff Albert Drachs. Anhand des Essays «Literaturgeschichte ohne Namen» und der Erzählung «Das Goggelbuch» präsentiert er vertiefende Erkenntnisse zum Bild der geistigen Person Drachs, die als Autor «Zynismus» und «Protokollstil» zur Anwendung brachte und lange auf diese Attribute festgelegt blieb.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1 Einleitung
  • 2 Material und Methode
  • 2.1 Literaturgeschichte ohne Namen (LGoN)
  • 2.1.1 Das unveröffentlichte Material im Nachlass
  • 2.1.2 Fragestellung und methodischer Ansatz
  • 2.2 Das Goggelbuch
  • 2.2.1 Entstehung – Druckgeschichte – Rezeption
  • 2.2.2 Methode der Textanalyse
  • 3 Drachs Essay zur Literaturgeschichte
  • 3.1 Gliederung des Textes
  • 3.2 Überlegungen zum Titel
  • 3.3 Wissenschaftliche Konzepte von Literaturgeschichte
  • 3.4 Geschichte der Literaturgeschichte – ein Überblick
  • 3.5 Textanalyse von Albert Drachs LGoN
  • 3.5.1 Präambel – Einführung
  • 3.5.2 Einleitung: Bezugnahme auf bestehende Literaturgeschichten
  • 3.6 Die drei Gattungsgeschichten
  • 3.6.1 Von der Versepik zur Prosa
  • 3.6.2 Exkurs über fremdsprachige Literatur
  • 3.6.3 Europäische Prosaepik (Roman und Erzählung)
  • 3.6.4 Prosaepik seit dem 19. Jahrhundert
  • 3.6.5 Dramatik
  • 3.6.6 Vom griechischen Altertum bis zur Moderne
  • 3.6.7 Don Juan / Faust
  • 3.6.8 Lyrik
  • 3.7 Conclusio zur LGoN
  • 3.7.1 Stil der LGoN
  • 3.7.2 Wer soll die LGoN lesen?
  • 3.7.3 Ordnungskriterien für Literaturgeschichte
  • 3.7.4 Autoren- und Werkauswahl
  • 3.7.5 Vorstellung vom Schriftsteller
  • 3.7.6 Literaturbegriff
  • 4 Textanalyse „Das Goggelbuch“
  • 4.1 Statt einer Inhaltsangabe
  • 4.2 Gattungsbestimmung
  • 4.3 Gliederung des Erzähltextes
  • 4.4 Erster Rahmen
  • 4.5 Zweiter Rahmen
  • 4.6 Goggels Weg
  • 4.6.1 Aufbruch nach Lüneburg und Osnabrück
  • 4.6.2 Scheldemündung in den Spanischen Niederlanden
  • 4.6.3 In spanischen Palästen
  • 4.6.4 Rückweg nach Osnabrück
  • 4.7 Zeitstruktur
  • 4.8 Raumstruktur
  • 4.9 Erzählhaltung und Erzähler
  • 4.10 Figurenkonstellation
  • 4.10.1 Goggel
  • 4.10.2 Wonnemund
  • 4.10.3 Baron Eugen von Hahnentritt
  • 4.10.4 Don Juan de Tenorio / Don Juan de Mañara
  • 4.10.5 Die Frauenfiguren
  • 4.11 Zahlensymbolik
  • 5 Fazit
  • 5.1 Literaturgeschichte als Kritik an falscher Literatur und als Zeitkritik
  • 5.2 „Das Goggelbuch“ im Kontext der literarhistorischen Zeitkritik
  • 5.3 Literarhistorische Grundlagen des „Goggelbuch[es]“
  • „Zertrümmerer des Trugbildes der heilen Welt“ – ein Nachwort
  • Anhang
  • Danksagung
  • Abbildungen
  • Literaturverzeichnis
  • Unveröffentlichte Quellen
  • Primärliteratur
  • Sekundärliteratur

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Vorwort

Der Schriftsteller, Anwalt und Emigrant Albert Drach gehört nach wie vor zu den großen Unbekannten der deutschsprachigen Literatur. Der 1902 in Wien geborene Sohn eines Bankbeamten jüdischer Herkunft aus der Bukowina und einer Mutter, die einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie entstammte und deren Vorfahren aus Mähren gekommen waren, gehört zu den Juristen unter den Schriftstellern. Bis zu seiner Flucht vor den Nazis am 25.10.1938 lebte er als Anwalt in Mödling bei Wien. Stationen seines Exils waren Split, Triest, Paris und schließlich Südfrankreich, wo Drach im Bergdorf Valdeblore im Hinterland von Nizza den Krieg unter abenteuerlichen und aberwitzigen Umständen überlebte. Seine langsame Heimkehr nach Österreich ist exemplarisch für den Umgang der Zweiten Österreichischen Republik mit den Emigranten. Als Albert Drach 1988 der Georg Büchner-Preis zuerkannt und seine Bücher wieder aufgelegt wurden, entdeckte eine neue Generation von Lesern und Kritikern einen der radikalsten Vertreter der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Seither gibt es eine wenn auch vergleichsweise schmale, doch kontinuierliche und auf hohem Niveau stattfindende wissenschaftliche und literaturkritische Auseinandersetzung mit diesem „unbequemen“ Autor. Drachs autobiographische Bücher über die Zeit des österreichischen Austrofaschismus ab 1934, über sein Exil in Südfrankreich und über die unmittelbare Nachkriegszeit gehören zu den besten und instruktivsten Beispielen einer sogenannten Emigrationsliteratur – wobei die Gattungsbezeichnungen nicht einfach zuzuordnen sind: Die Texte werden vom Autor als „Bericht“, als „kleines“ oder „großes Protokoll“, als „Spiel“, als „Gesänge“ etc. charakterisiert.

In der Publikations- und Lebensgeschichte Drachs spiegeln sich die historischen Brüche des vergangenen Jahrhunderts. Zwischen den weit auseinander liegenden Veröffentlichungsdaten der Werke liegt die Geschichte eines österreichischen Juden, der sich die prägenden existentiellen Erfahrungen in einer quer zu allen literarischen Moden und Konventionen stehenden Sprache vom Leib schrieb. Albert Drach steht mit seinen grotesken Übertreibungen, mit seiner Auffassung von Sprache als manipulatives Medium und als Ausdruck jüdisch grundierter Transzendenz in der Tradition einer österreichischen Sprachkritik, die vom Wiener Volkstheater des 18. und 19. Jahrhunderts über Karl Kraus bis zum Frühwerk Peter Handkes oder den Büchern Elfriede Jelineks reicht. Sein „Protokollstil“ wurde zum Markenzeichen dieses Autors. Während das juristische Protokoll vorgibt, objektiv die Fakten wiederzugeben, ist das literarische Protokoll ← 11 | 12 → des bis ins hohe Alter als Rechtsanwalt praktizierenden Schriftstellers Drach extrem tendenziös und denunziatorisch: Vermutungen, Verleumdungen, Beschuldigungen und Werturteile werden von fragwürdigen Erzähler-Protokollanten auf pseudoobjektive Weise als Wahrheiten und Tatsachen vorgestellt. Drach bedient sich dabei exzessiv eines juristischen Jargons und des Konjunktivs – die komplizierte Syntax des Deutschen kommt diesem Stil entgegen. Es gehört zum Kalkül der Texte, dass ihre komödiantischen und satirischen Elemente gerade dort zum Lachen einladen, wo es um Denunziation und Gewalt geht.

Die vorliegende Arbeit legt den Fokus auf unbekanntere bzw. bislang unveröffentlichte Texte. Die Analyse ist einmal einem Großessay Drachs mit dem wörtlich zu verstehenden Titel „Literaturgeschichte ohne Namen“ gewidmet und verknüpft diesen mit einem der eigenwilligsten kürzeren Texte Drachs – das „Goggelbuch“ ist eine Faust- und Don-Juan-Bearbeitung gleichermaßen. Der Bezug auf die „Literaturgeschichte“ bietet die Möglichkeit, Drachs Poetik und seine Weltsicht am Beispiel einer idiosynkratischen, unwissenschaftlichen, essayistischen Revue durch die Literaturgeschichte von ihren Anfängen bis ins 20. Jahrhundert zu rekonstruieren. Drachs „Literaturgeschichte“ wird hier in den historischen und ideengeschichtlichen Kontext der Literaturgeschichtsschreibung eingebettet. Die Untersuchung verdeutlicht Drachs kryptische Anmerkungen durch Exkurse zur europäischen Literaturgeschichte und Literaturgeschichtsschreibung. Es geht ihr nicht darum, die „Richtigkeit“ der Drachschen Literaturgeschichtsschreibung in Frage zu stellen, sondern vielmehr darum, einen Horizont zu konstruieren, in den sich das Gesamtwerk einschreiben lässt.

Albert Drach plante ein Buch mit dem Titel „Das 17. Buch der 17 Essays“, in diesem Kontext steht der Essay zur „Literaturgeschichte“. In einer der zahlreichen Werklisten, in denen Drach seit den 30er Jahren über die eigene Produktion Buch führte, wird als Entstehungszeitraum der Essays 1962–1979 angegeben. In einem im Nachlass erhaltenen Inhaltsverzeichnis ist die Abfolge der Essays genau festgelegt; sie sind, dies lässt sich aufgrund der vorkommenden Realien wohl mit einiger Sicherheit annehmen, großteils in den 1970er Jahren ausformuliert worden. Die bislang unpublizierten Essays (sie werden im Rahmen der „Werke in 10 Bänden“, Wien: Zsolnay 2002 ff. ediert) öffnen den lebensgeschichtlichen, historischen und vor allem geistigen Horizont, in den die Drachsche Literatur eingeschrieben ist. Was nicht heißt, dass nicht auch die Essays in hohem Maße ihre Gegenstände literarisieren, vor allem durch Anspielungen und Übertreibungen. Darüber hinaus lässt sich vieles, was die Drach-Forschung inzwischen herausgearbeitet hat, durch die Essays abstützen, ← 12 | 13 → die Wichtigkeit des eschatologischen Moments, der Widerstreit zwischen Eros und Thanatos und Drachs Kritik an einer verwalteten Welt.

Eine Probe gewissermaßen aufs Exempel bildet der zweite Teil der Arbeit: Drachs Erzähltext „Das Goggelbuch“ wird einer genauen Analyse vor dem Hintergrund des aus der „Literaturgeschichte“ destillierten Literaturbegriffs unterzogen. Dies ist umso mehr folgerichtig, als „Das Goggelbuch“ in der Neufassung des barocken Schelmenromans und des spanischen Pikaro-Romans, in der Neuinterpretation vor allem des Don Juan-Stoffes Drachs subjektivistische Kritik an einer falschen Moral illustriert. Dargestellt sind die wesentlichen Elemente des „Goggelbuches“: die „Anti-Nibelungen-Erzählung“, die „Anti-Narration“, die „Rechtskritik“ als Kritik an der „Vergangenheitsbewältigung“. Anders ausgedrückt: Goggel hurt und mordet unverstellt. Darin zeigt sich, so die Folgerung dieser Untersuchung, „Drachs anti-klassizistische Haltung“, die schlussendlich ein „Versagen der Kultur auf allen Ebenen“ konstatiert. Die artifizielle Konstruktion dieses narrativen Textes widerlegt Drachs Ablehnung der „Selbstreflexion als Thema des modernen Romans“ auf eindrucksvolle Weise. Der von den Vertretern der Macht ausgeübten physischen und sprachlichen Gewalt antwortet der Essayist und Erzähler Albert Drach mittels einer subversiven literarischen Strategie, die sich der bürokratisch inhumanen Sprache der Macht anzugleichen scheint, um sie von innen aufzubrechen. Die sprachliche Repräsentation des Terrors erscheint in vielen Texten als Verfahren, das die Erfahrung des Opferseins in eine schwierig zu kommunizierende, distanzierende literarische Form zwingt. Im Zusammenhang der hier besprochenen Texte werden die Literatur-„Mafia“ und das gesichtslose „Amt“ als Urheber „des Trugbildes der heilen Welt“ erkennbar gemacht.

Wien, im Juli 2016

Bernhard Fetz ← 13 | 14 →

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1  Einleitung

Albert Drach (1902–1995) gehört zu den mit einer problematischen Rezeptionssituation konfrontierten Schriftstellern der österreichischen Literatur. Veröffentlichungen seit 1919 machten ihn nach und nach einem kleineren Kreis von Literaturkennern bekannt. Durch seine Vertreibung im Zusammenhang mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die mögliche Kontinuität einer literarischen Karriere jäh unterbrochen. Der in der vorliegenden Arbeit zu untersuchende Text „Das Goggelbuch“ stammt in den Grundzügen aus der Zeit des Exils, er markiert den Übergang von einer Phase selbstbestimmten Schaffens hin zur vorrangigen literarischen Verarbeitung des Traumas von Vertreibung und Fremde. Nach der Rückkehr nach Österreich dauerte es viele Jahre, bevor wieder Werke Drachs gedruckt wurden.

Seit den 1960er Jahren erschienen neuere Texte, unter denen vor allem autobiographisch orientierte Prosa vorübergehend lebhaft rezipiert wurde. Im Kontext der ,Bewältigung‘1 der nationalsozialistischen Vergangenheit im deutschen Sprachraum wurden Drachs Texte als stilistisch eigenwillige Dokumente der Zeitgeschichte gelesen. „Das Goggelbuch“ wurde kaum beachtet, weil es weder in das Schema der anti-faschistischen Exilliteratur hinein passt, noch als dokumentarische ,Opfer‘-Literatur aufgefasst werden kann. Stattdessen erscheint es als skurrile historisierende Kleinprosa, deren grobianische Sprache von einer gründlichen oder gar analytischen Lektüre abhalten mag. Drachs sarkastischer Stil und seine teils provokanten inhaltlichen Vorlieben scheinen nicht eben zum intensiven Studium der Geschichte eines dummen und brutalen deutschen Dieners einzuladen.

Details

Seiten
183
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631714010
ISBN (ePUB)
9783631714027
ISBN (MOBI)
9783631714034
ISBN (Paperback)
9783631675205
DOI
10.3726/b10561
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Essay Literarische Gattungen Literaturbegriff Schelmenroman Don Juan-Stoff Vergangenheitsbewältigung
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 183 S., 7 s/w Abb.

Biographische Angaben

Herbert Scheschy (Autor:in)

Herbert Scheschy studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Wien. Er ist Lehrer an einem Wiener Gymnasium und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der identitätsorientierten Vermittlung von Literatur und Literaturgeschichte in Schule und Gesellschaft.

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Titel: Albert Drach und die Literaturgeschichtsschreibung
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