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Rechtliche Grundlagen und normzweckadäquate Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften

von Christina Schröter (Autor:in)
©2017 Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch ​widmet sich Rechtsfragen der Unternehmensbewertung. Hierzu gibt die Autorin zunächst einen Überblick über die diversen Unternehmensbewertungsanlässe und Bewertungsverfahren. Ferner stellt sie die Entwicklung der Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung dar. Schließlich untersucht sie anhand von zwei Bewertungsanlässen, ob es eine allgemeingültige, für alle Bewertungsanlässe geeignete Bewertungsmethode gibt. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass es eine solche Bewertungsmethode nicht gibt. Stattdessen ​lasse sich für jeden Bewertungsanlass eine «richtige» Bewertungsmethode festlegen, die dem jeweiligen Normzweck am besten gerecht ​werde.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Einführung
  • A. Ausgangslage und Problemstellung
  • B. Zielsetzung der Arbeit
  • C. Gang der Untersuchung
  • § 2 Grundlagen der Unternehmensbewertung
  • A. Überblick über die diversen Anlässe der Unternehmensbewertung
  • I. Personengesellschaft
  • 1. Gründung einer Personengesellschaft und Eintritt von Gesellschaftern in die Gesellschaft
  • 2. Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft
  • a) Gleichbehandlung aller Gesellschafter gemäß § 738 Abs. 1 S. 1 BGB
  • b) Fortführungs- oder Liquidationswert
  • c) Schätzung nach § 738 Abs. 2 BGB
  • d) Schwebende Geschäfte
  • e) Berücksichtigung der Ausscheidensanlässe
  • f) Sonderfall: Freiberufliche Praxen
  • aa) Auswirkungen auf den Abfindungsanspruch
  • bb) Auswirkungen auf schwebende Geschäfte
  • cc) Auswirkungen auf die Ermittlung des Unternehmenswertes
  • (1) Bewertungsverfahren nach der Bewertungspraxis
  • (2) Bewertungsverfahren nach der Literatur
  • (3) Bewertungsverfahren nach der Rechtsprechung
  • (4) Auswirkungen der Ansicht der Rechtsprechung auf die Bewertungspraxis
  • II. GmbH
  • 1. Gründung einer GmbH
  • 2. Kapitalerhöhung
  • 3. Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer GmbH
  • a) Einziehung von Geschäftsanteilen
  • b) Ausschluss und Austritt
  • c) Kündigung
  • III. Aktiengesellschaft
  • 1. Gründung einer AG
  • 2. Kapitalerhöhung
  • 3. Austritt
  • 4. Ausgleichszahlung und Abfindung beim Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (§§ 304, 305 AktG)
  • a) Ausgleichszahlung
  • b) Abfindung
  • 5. Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG)
  • a) Aktienrechtlicher Squeeze-out
  • b) Übernahmerechtlicher Squeeze-out
  • 6. Eingliederung (§ 320b AktG)
  • IV. Umwandlungen
  • 1. Verschmelzung
  • 2. Spaltung
  • 3. Formwechsel
  • 4. Vermögensübertragung
  • 5. Grenzüberschreitende Verschmelzung
  • 6. Gründung und Sitzverlegung bei der Europäischen Aktiengesellschaft
  • V. Sonstige Anlässe
  • 1. Unternehmenskauf
  • 2. Börseneinführung (IPO)
  • 3. Familienrecht
  • 4. Erbrecht
  • 5. Strafrecht
  • 6. Bilanzrecht
  • a) Einzelabschluss
  • aa) Der entgeltlich erworbene Geschäfts- oder Firmenwert
  • bb) Erwerb einer Unternehmensbeteiligung
  • b) Konzernabschluss
  • aa) HGB-Konzernabschluss
  • bb) IFRS-Konzernabschluss
  • 7. Bilanzsteuerrecht
  • B. Klassifizierung der Bewertungsanlässe
  • I. Entscheidungsabhängige und nicht entscheidungsabhängige Bewertungsanlässe
  • 1. Entscheidungsabhängige Bewertungsanlässe
  • 2. Nicht entscheidungsabhängige Bewertungsanlässe
  • II. Dominierte und nicht dominierte Bewertungsanlässe
  • 1. Dominierte Bewertungsanlässe
  • 2. Nicht dominierte Bewertungsanlässe
  • III. Einteilung in Typ „Kauf/Verkauf“ bzw. Typ „Fusion“
  • 1. Bewertungsanlässe vom Typ „Kauf/Verkauf“
  • 2. Bewertungsanlässe vom Typ „Fusion“
  • C. Die Bestimmung des Unternehmenswerts
  • I. Unternehmensbewertung als Tat- oder Rechtsfrage
  • 1. Unternehmensbewertung als Tatfrage
  • 2. Unternehmensbewertung als Rechtsfrage
  • 3. Stellungnahme
  • II. Objektiver vs. subjektiver Wert
  • 1. Objektiver Wert
  • 2. Subjektiver Wert
  • III. Entwicklung der Unternehmensbewertung
  • 1. Der „Wert“ des Unternehmens
  • a) Objektive Bewertungslehre
  • b) Subjektive Bewertungslehre
  • c) Funktionale Bewertungslehre
  • aa) Funktionen der Unternehmensbewertung
  • (1) Hauptfunktionen
  • (a) Beratungsfunktion
  • (b) Vermittlungs- und Schiedsgutachterfunktion
  • i) Lösung nach der Literatur
  • ii) Lösung nach der Praxis
  • iii) Stellungnahme
  • (c) Argumentationsfunktion
  • (d) Gutachterfunktion
  • bb) Nebenfunktionen
  • (1) Vertragsgestaltung
  • (2) Informationsfunktion
  • (3) Steuerbemessungsfunktion
  • cc) Fazit
  • 2. Abgrenzung des Unternehmenswerts zum „Preis“ eines Unternehmens
  • IV. Bewertungsverfahren
  • 1. Substanzwertorientierte Verfahren
  • a) Substanzwertverfahren
  • b) Liquidationswertverfahren
  • c) Buchwertverfahren
  • 2. Ertragswertverfahren
  • a) Allgemeine Grundsätze
  • b) Überblick über die Methodik
  • aa) Die Ertragswertermittlung
  • (1) Vergangenheitsanalyse
  • (2) Kapitalisierungszeitraum
  • (3) Berücksichtigung nicht betriebsnotwendigen Vermögens
  • (4) Berücksichtigung von Steuereffekten
  • bb) Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes
  • (1) Basiszins
  • (2) Risikozuschlag
  • (3) Geldentwertungsabschlag
  • cc) Fazit
  • 3. Discounted Cashflow-Verfahren
  • a) Überblick
  • b) Ausprägungen des DCF-Verfahrens
  • aa) Der Weighted Average Cost of Capital Ansatz (WACC)
  • bb) Adjusted Present Value-Ansatz
  • cc) Equity-Ansatz
  • dd) Gemeinsamkeiten der DCF-Methoden
  • (1) Das Capital Asset Pricing Model (CAPM)
  • (2) Kritik am CAPM
  • c) Fazit
  • 4. Mittelwertmethoden
  • a) Überblick
  • b) Beispiele einzelner Mittelwertmethoden
  • aa) Übergewinnmethode
  • bb) Stuttgarter Verfahren
  • 5. Orientierungshilfen
  • a) Multiplikatorenverfahren
  • aa) Überblick
  • bb) Kritik
  • b) Vergleichswertmethode
  • c) Börsenwert
  • 6. Zusätzliche Bewertungsfaktoren
  • a) Stichtagsprinizip
  • b) Berücksichtigung von Synergieeffekten
  • aa) Echte Synergieeffekte
  • bb) Unechte Synergieeffekte
  • § 3 Die Entwicklung der Unternehmensbewertung nach der Rechtsprechung
  • A. Status quo
  • B. Grenzen der Ertragswertmethode
  • I. Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze-out (§§ 39a, 39b WpÜG)
  • II. Börsenkurs als Grenze
  • 1. Abfindungs- und Ausgleichsansprüche gemäß §§ 304, 305, 320b AktG
  • 2. Börsenkurs als untere Grenze der Unternehmensbewertung auch bei Abfindungsfällen im Umwandlungsrecht?
  • III. Pflicht zur Meistbegünstigung?
  • IV. Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes
  • V. Liquidationswert als Wertuntergrenze des Unternehmenswertes
  • C. Anwendung sonstiger Bewertungsmethoden
  • I. DCF-Verfahren
  • II. Substanzwertmethode
  • III. Mittelwertverfahren
  • 1. Verfahren der Übergewinnkapitalisierung
  • 2. Stuttgarter Verfahren
  • IV. Ergebnis
  • D. Die Rolle des IDW S 1
  • E. Ergebnis
  • § 4 Anwendbarkeit einer einheitlichen Bewertungsmethode bei verschiedenen Bewertungsanlässen
  • A. Abfindung eines ausscheidenden GmbH-Gesellschafters im Fall der Einziehung
  • I. Schutzzweck des Bewertungsanlasses
  • II. Objektiver Wert im Sinne des Verkehrswerts
  • III. Der Verkehrswert – eine geeignete Bewertungskategorie?
  • IV. Normzweckadäquate Abfindungsbemessung anhand des Verkehrswertes
  • 1. Vorgaben der Rechtsordnung
  • a) Vorgaben des BGB
  • b) Vorgaben von § 738 Abs. 1 S. 2 BGB analog
  • 2. Ergebnis
  • V. Typisierung des fiktiven Unternehmenserwerbers
  • VI. Beachtung der Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts
  • VII. Auswirkungen auf die Wahl der Bewertungsmethode
  • 1. Substanzwertverfahren
  • 2. Ertragswertmethode
  • a) Ertragswertermittlung und vorhandenes Unternehmenskonzept
  • aa) Informationsstand
  • bb) Entwicklungskonzept
  • cc) Liquidationswert als Untergrenze
  • dd) Berücksichtigung von Synergieeffekten
  • ee) Kapitalisierungszins
  • ff) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen
  • b) Ergebnis
  • 3. DCF-Verfahren
  • 4. Ergebnis
  • B. Unternehmensbewertung bei Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften
  • I. Schutzzweck des Bewertungsanlasses
  • II. Objektiver Wert im Sinne des Zeitwerts
  • III. Normzweckadäquate Bewertung des als Sacheinlage zu qualifizierenden Unternehmens
  • 1. Substanzwertverfahren
  • 2. Ertragswertmethode
  • a) Ertragswertermittlung und vorhandenes Unternehmenskonzept
  • aa) Informationsstand
  • bb) Entwicklungskonzept
  • cc) Berücksichtigung von Steuereffekten
  • dd) Eigen- und Fremdkapitalquote
  • ee) Liquidationswert als Untergrenze
  • ff) Berücksichtigung von Synergieeffekten
  • b) Kapitalisierungszins
  • c) Nicht betriebsnotwendiges Vermögen
  • d) Ergebnis
  • 3. DCF-Verfahren
  • 4. Ergebnis
  • IV. Exkurs: Bewertung eines ertragsschwachen Unternehmens
  • 1. Unternehmen mit negativer Fortführungsprognose
  • a) Mögliche Konstellationen
  • b) Besonderheiten bei der Bewertung
  • aa) Negative Fortführungsprognose
  • bb) Berücksichtigung einer späteren Insolvenz des Unternehmens
  • 2. Unternehmen mit negativem Unternehmenswert
  • 3. Ergebnis
  • C. Resümee
  • § 5 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

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§ 1  Einführung

A.  Ausgangslage und Problemstellung

Die Unternehmensbewertung ist ein Problembereich, der sowohl in der juristischen Literatur als auch der Rechtsprechung für andauernde Diskussionen sorgt und von konträren Auffassungen geprägt ist. Während das Thema Unternehmensbewertung und alle darum rankenden Fragen in der betriebswirtschaftlichen Lehre seit langem diskutiert werden, ist dieses, sich an der Schnittstelle zwischen Betriebswirtschaft und Rechtswissenschaft befindende Thema in der juristischen Rechtsprechung und Literatur noch in vielen Punkten erörterungsbedürftig. Bis heute scheinen sich keine allgemeingültigen Grundsätze zur Bewertung eines Unternehmens entwickelt zu haben, die in der Praxis durchweg zu befriedigenden Ergebnissen führen. Aber auch der Jurist, insbesondere der Wirtschaftsjurist wird immer wieder mit Fragen der Unternehmensbewertung konfrontiert. So machen verschiedenste, sich aus der Rechtsordnung direkt oder indirekt ergebende Anlässe die Durchführung einer Unternehmensbewertung erforderlich.1

Werden z.B. die Anteile eines GmbH-Gesellschafters gemäß § 34 GmbHG eingezogen, so hat der ausscheidende Gesellschafter nach herrschender Meinung gemäß dem in § 738 Abs. 1 S. 2 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz und vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmungen einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.2 Dem ausscheidenden Gesellschafter ist „dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Zur Bemessung der Abfindung bedarf es somit einer Bewertung des Unternehmens, aus dem der Gesellschafter ausscheidet.

Im GmbH-Recht wie auch im Aktienrecht finden sich noch weitere Fälle, in denen eine Unternehmensbewertung vorzunehmen ist. Aber auch in anderen Rechtsgebieten wie dem Umwandlungsrecht, dem Personengesellschaftsrecht, dem Familienrecht oder dem Erbrecht finden sich Regelungen, die die Bewertung eines Unternehmens erforderlich machen. Ferner können Anlass für Unternehmensbewertungen Transaktionen, wie z.B. der Kauf oder Verkauf von Unternehmen, oder Kreditwürdigkeitsprüfungen sein. In allen diesen Fällen stellt sich die Frage, was der Wert des jeweiligen Unternehmens ist und welche konkreten Vorgaben sich aus der Rechtsordnung für die Unternehmensbewertung ableiten lassen.3

Es gibt in der heutigen Bewertungstheorie eine große Anzahl, vorwiegend von der Betriebswirtschaftslehre entwickelte Bewertungsverfahren, die zum Teil völlig ← 21 | 22 → unterschiedliche Ansätze aufweisen, sich teilweise aber auch nur in Nuancen unterscheiden. Diese Vielfalt an Bewertungsverfahren erhöht die Unsicherheit, welches Bewertungsverfahren zu welchem Bewertungsanlass anzuwenden ist.4 Klar ist, dass die Bewertung jeweils dem mit dem Bewertungsanlass verfolgten Zweck gerecht werden muss.5 Unklar ist jedoch, ob es aus rechtlicher Sicht ein allgemeingültiges, „richtiges“ Bewertungsverfahren gibt, das im Rahmen eines Bewertungsanlasses und in Abhängigkeit des jeweiligen Normzwecks vorzugswürdig anzuwenden ist.

B.  Zielsetzung der Arbeit

Ziel dieser Arbeit ist es, zu überprüfen, ob sich – unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur – eine allgemeingültige Bewertungsmethode im Rechtssinne feststellen lässt, die gleichermaßen bei den diversen Bewertungsanlässen Anwendung finden kann bzw. ob es jeweils ein Bewertungsverfahren gibt, das im Hinblick auf den mit dem jeweiligen Bewertungsanlass verfolgten Zweck als vorzugswürdig für die vorzunehmende Bewertung anzusehen ist. Im Fokus soll die Bewertung bei Kapitalgesellschaften stehen.

Die nachfolgenden Fragestellungen sollen im Rahmen dieser Überprüfung näher beleuchtet werden:

  • In welchem Verhältnis stehen die einzelnen Bewertungsmethoden zueinander?
  • Welches Ziel verfolgt die Rechtsordnung im Rahmen der unterschiedlichen Bewertungsanlässe jeweils mit einer Bewertung?
  • Kann ein allgemeingültiger Wertbegriff zugrunde gelegt werden?
  • Welchem konkreten Zweck dient ein Bewertungsanlass bzw. wessen Schutz dient die dem Bewertungsanlass jeweils zugrunde liegende Norm?
  • Muss abhängig vom Bewertungsanlass jeweils eine bestimmte Bewertungsmethode aus rechtlicher Sicht gewählt werden, um dem jeweiligen Bewertungszweck gerecht zu werden?

C.  Gang der Untersuchung

In § 2 dieser Arbeit sollen die Grundlagen für die Untersuchung und damit die allgemeinen Grundlagen der Unternehmensbewertung dargestellt werden. Zunächst soll ein Überblick über die diversen Anlässe gegeben werden, die eine Unternehmensbewertung erforderlich machen, wobei die Bewertungsanlässe im Rahmen des Kapitalgesellschaftsrechts bei dieser Arbeit im Vordergrund stehen. Im Weiteren soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern es sich bei der Unternehmensbewertung überhaupt um eine rechtliche Fragestellung handelt, bevor anschließend die einzelnen betriebswirtschaftlichen Verfahren, die generell zu einer ← 22 | 23 → Unternehmensbewertung herangezogen werden können, einschließlich der Entwicklung der Unternehmensbewertung in der betriebswirtschaftlichen Lehre und Praxis vorgestellt werden.

In § 3 dieser Arbeit sollen die Entwicklung und der derzeitige Stand der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Allgemeinen unter besonderer Berücksichtigung der dort gezogenen gesellschaftsrechtlichen Grenzen für die Unternehmensbewertung erarbeitet werden. Insbesondere soll betrachtet werden, ob die Rechtsprechung im Zuge der Zeit allgemeingültige Grundsätze für eine Unternehmensbewertung im Rechtssinn entwickelt hat bzw. ob es nach Ansicht der Rechtsprechung eine allgemeingültige Bewertungsmethode gibt.

In § 4 soll schließlich anhand von zwei ausgewählten Bewertungsanlässen aus dem Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts untersucht werden, ob es eine einheitliche Bewertungsmethode gibt, die gleichermaßen bei verschiedenen Bewertungsanlässen Anwendung finden kann, oder ob sich im Hinblick auf den mit einem Bewertungsanlass verfolgten Bewertungszweck jeweils eine Bewertungsmethode als vorzugswürdig ansehen lässt, da sie dem jeweiligen Bewertungszweck am ehesten gerecht wird. Ferner soll überprüft werden, ob sich aus der im Rahmen dieser Arbeit vorgenommenen Untersuchung ggf. allgemeine Grundsätze für eine Unternehmensbewertung im Rechtssinne ableiten lassen, die im Rahmen aller Bewertungsanlässe Anwendung finden können, und es soll ein Resümee gezogen werden.

Im letzten Teil dieser Arbeit sollen die gefundenen Ergebnisse schließlich zusammengefasst werden. ← 23 | 24 →


1 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (564).

2 Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34, Rn. 22; Strohn in: MüKo, GmbHG § 34, Rn. 205 m.w.N.

3 Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 (564).

4 Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 16.

5 Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 98.

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§ 2  Grundlagen der Unternehmensbewertung

A.  Überblick über die diversen Anlässe der Unternehmensbewertung

Es gibt eine Vielzahl von Anlässen, in denen die Rechtsordnung die Bewertung eines Unternehmens vorsieht. Sie können sich im Zusammenhang mit unternehmerischen Initiativen, aus Gründen der externen Rechnungslegung, aus gesellschaftsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften, aus vertraglichen Vereinbarungen oder aus sonstigen Gründen ergeben.6 Bei unternehmerischen Initiativen werden Unternehmensbewertungen z.B. beim Kauf oder Verkauf von Unternehmen, bei Verschmelzungen, bei Sacheinlagen im Rahmen von Gründungen von Gesellschaften oder bei Kapitalerhöhungen, im Rahmen eines Börsengangs oder eines Management Buy-Outs (MBO) durchgeführt. Das Gesellschaftsrecht sieht Bewertungen u.a. beim Abschluss von Unternehmensverträgen, beim Ein- und Austritt von Gesellschaftern aus einer Personengesellschaft, bei der Eingliederung von Unternehmen, im Rahmen eines Squeeze-out für die Ermittlung des angemessenen Ausgleichs, der Abfindung in Aktien oder bei der Ermittlung von Barabfindungen sowie für die Ermittlung von Barabfindungen und Umtauschverhältnissen bei Umwandlungen vor. Weitere Anwendungsfälle für Unternehmensbewertungen finden sich bei Erbauseinandersetzungen und Erbteilungen sowie bei Abfindungsfällen im Familienrecht.7

Im Folgenden soll ein Überblick über diese vielfältigen Anlässe, bei denen eine Unternehmensbewertung erforderlich wird, gegeben werden.

I.  Personengesellschaft

Ein Bereich, in dem sich zahlreiche Anlässe für die Unternehmensbewertung finden lassen, ist das Recht der Personengesellschaften. Da im Fokus der vorliegenden Arbeit die rechtlichen Grundlagen der Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften liegen, soll hier allerdings nur kurz auf die Anlässe der Unternehmensbewertung bei Personengesellschaften eingegangen werden.

1.  Gründung einer Personengesellschaft und Eintritt von Gesellschaftern in die Gesellschaft

Sowohl bei der Gründung als auch beim Eintritt von Gesellschaftern in eine Personengesellschaft kann die Bewertung eines Unternehmens erforderlich werden. Bei der Gründung wie auch beim Eintritt eines Gesellschafters in eine Gesellschaft kann sich die Situation ergeben, dass ein Gesellschafter statt einer Bareinlage ein ← 25 | 26 → Unternehmen oder Unternehmensteile als Sacheinlage in die Gesellschaft einbringen möchte. Hier wird eine Bewertung des Unternehmens, das eingebracht werden soll, erforderlich.8 In diesen Fällen werden sich die Parteien in der Regel vertraglich, ggf. unter Hinzuziehung von entsprechenden Sachverständigen, über den Unternehmenswert einigen. Direkte gesetzliche Vorgaben finden sich hier nicht.

2.  Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft

Ein häufiger Anlass für eine Unternehmensbewertung ist das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft. Ein Gesellschafter scheidet aus der Gesellschaft aus, wenn er oder ein möglicher Pfändungspfandgläubiger die Gesellschaft kündigt (vgl. §§ 723, 725, 736 BGB, 132, 135 HGB). Ferner führen Tod und Insolvenz eines Gesellschafters (vgl. §§ 736 BGB, 139 HGB) und der Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft (vgl. §§ 737 BGB, 140 HGB) zu dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft. Daneben kann auch eine Regelung im Gesellschaftsvertrag den Austritt oder Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft über die vorgenannten gesetzlichen Regelungen hinausgehend regeln.

Die Rechtsfolgen des Ausscheidens einzelner Gesellschafter finden sich in §§ 738 bis 740 BGB. Diese Regelungen sind zwar grundsätzlich dispositiv, da sie das nicht zwingend ausgestaltete Innenverhältnis der Gesellschaft betreffen. Abweichende Klauseln in Gesellschaftsverträgen unterliegen jedoch einer weitgehenden Inhaltskontrolle der Rechtsprechung.9 Nachfolgend sollen kurz die gesetzlichen Vorgaben der Bewertung in §§ 738 bis 740 BGB betrachtet werden, während auf die vielseitigen Klauseln in Gesellschaftsverträgen nicht näher eingegangen werden soll.

a)  Gleichbehandlung aller Gesellschafter gemäß § 738 Abs. 1 S. 1 BGB

Zentrale Norm, die in diesem Fall die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters regelt, ist § 738 BGB. Gemäß § 738 Abs. 1 S. 1 BGB wächst der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu, ohne dass es eines besonderen Übertragungsaktes bedarf, d.h. der ausscheidende Gesellschafter verliert seinen Anspruch am Gesamthandvermögen. Stattdessen erhält er gemäß § 738 Abs. 1 S. 2 BGB einen Abfindungsanspruch. Gemäß § 738 Abs. 1 S. 2 BGB ist dem ausscheidenden Gesellschafter „dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“.10 Legt man den Gesetzeswortlaut zugrunde, könnte es somit naheliegen, zur Ermittlung der Abfindungshöhe auf den Liquidationswert ← 26 | 27 → abzustellen.11 Der Wortlaut der Vorschrift sieht eine fingierte Auflösung der Gesellschaft vor. Der ausscheidende Gesellschafter soll nach dem Wortlaut der Regelung im Fall des Ausscheidens genauso gestellt sein und geschützt werden wie im Fall der Auflösung der Gesellschaft zum gleichen Zeitpunkt. Die Vorschrift stellt nicht auf das Erhaltungsinteresse der fortsetzenden Gesellschafter ab, sondern stellt den Anspruch des ausscheidenden Gesellschafters in den Vordergrund.12 Grund hierfür könnte sein, dass der Gesetzgeber sich die BGB-Gesellschaft als ein rein schuldrechtliches, an die Personen der Gesellschafter gebundenes Rechtsverhältnis vorgestellt13 und darum der Unternehmenserhaltung keine wesentliche Rolle zugestanden hat.

b)  Fortführungs- oder Liquidationswert

Nach dem Wortlaut von § 738 Abs. 1 S. 2 BGB sollen also scheinbar Liquidationswerte für die Bemessung des Abfindungsanspruchs angesetzt werden. Trotz der Tatsache, dass § 738 Abs. 1 S. 2 BGB auf einen Wert hinweist, der sich bei der Auflösung der Gesellschaft ergibt, ist die Rechtsprechung jedoch schon früh hingegangen und hat diesen Wert als den eines fortbestehenden Unternehmens angesehen und nimmt die Unternehmensbewertung wie bei einem unterstellten Verkauf des Unternehmens als Einheit einschließlich stiller Reserven und Geschäftswert vor und nimmt als Unternehmenswert gerade nicht den Wert eines zu liquidierenden Unternehmens.14 Diese Auslegung seitens der Rechtsprechung ergibt Sinn. Der Firmenwert fließt nicht in die Liquidationsbilanz ein. Der Liquidationswert ist somit kein tauglicher Abfindungsmaßstab.15 Bereits das Reichsgericht hat eine solche Auslegung des § 738 Abs. 1 S. 2 BGB vorgenommen und auf den „wahren Wert“ des Gesellschaftsvermögens abgestellt.16 Das Abfindungsguthaben wird also nicht auf der Basis des Liquidationswertes berechnet, sondern auf Basis des Fortführungswertes, der sich bei einem Verkauf des Unternehmens als Einheit ergeben würde.17 Grund für diese Handhabung ist, dass durch das Ausscheiden des Gesellschafters die Gesellschaft nicht beendet wird, sondern gemäß § 738 Abs. 1 S. 1 BGB der Anteil den verbleibenden Gesellschaftern zuwächst und die Gesellschaft durch diese weiter fortgesetzt wird.18 ← 27 | 28 →

Wie dieser Fortführungswert im Einzelnen zu ermitteln ist, ist im Gesetz nicht näher geregelt.19 Die Formulierung des § 738 Abs. 2 BGB „Wert des Gesellschaftsvermögens“ könnte zwar für den Substanzwert sprechen. Allerdings gehört zum Wert des Gesellschaftsvermögens auch der Geschäftswert (Goodwill) des Unternehmens, der sich nicht in der Substanz der zum Gesellschaftsvermögen gehörigen Gegenstände verkörpert. Da Substanzwert plus Goodwill den Ertragswert des Unternehmens bilden, lässt die Gesetzesformulierung damit auch den Ansatz des Ertragswertes zu.20

c)  Schätzung nach § 738 Abs. 2 BGB

§ 738 Abs. 2 BGB sieht vor, dass der Wert des Gesellschaftsvermögens, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung ermittelt wird und enthält somit eine weitere Bewertungsvorgabe. Ausgangspunkt für den Ausgleichsanspruch des Gesellschafters ist danach immer das gesamte Gesellschaftsvermögen. Davon ausgehend wird schließlich der Wert des Anteils des Ausscheidenden berechnet (indirekte Bewertung).21 Eine direkte Bewertung des Gesellschaftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters findet nicht statt. Daher finden auch die individuellen Verhältnisse des ausscheidenden Gesellschafters keinerlei Berücksichtigung.

d)  Schwebende Geschäfte

Im Rahmen der gemäß § 738 BGB vorzunehmenden Berechnung ist § 740 Abs. 1 BGB zu beachten. Nach dieser Regelung nimmt der aus der Gesellschaft Ausgeschiedene „an dem Gewinn und Verlust teil, der sich aus den zur Zeit seines Ausscheidens schwebenden Geschäften ergibt“. Unter schwebenden Geschäften versteht man dabei unternehmensbezogene Umsatzgeschäfte, die am Auseinandersetzungsstichtag noch nicht beiderseits vollständig abgewickelt worden sind, ihrer Art nach aber bereits zu diesem Zeitpunkt hätten abgewickelt werden können. Hierzu gehören daher nicht Dauerschuldverhältnisse, Hilfsgeschäfte und gesetzliche Rechtsverhältnisse.22 Der Anspruch aus § 740 Abs. 1 BGB steht nach gängiger Praxis selbständig neben dem Anspruch aus § 738 BGB und ist folglich nicht in die Unternehmensbewertung selbst einzubeziehen, sondern zwingend gesondert abzurechnen.23 Grund hierfür ist, dass der ausscheidende Gesellschafter ansonsten an schwebenden Geschäften ← 28 | 29 → doppelt partizipieren würde, weil sein Anspruch aus § 740 Abs. 1 BGB von der Zahlung des Abfindungsguthabens unberührt bliebe.24

Die Sonderabrechnung der schwebenden Geschäfte birgt in der praktischen Handhabung jedoch Probleme in sich und ist häufig nur schwer oder gar nicht möglich. In der Praxis wird § 740 Abs. 1 BGB daher oftmals ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen. Ein konkludenter Anwendungsausschluss wird insbesondere angenommen, wenn das Abfindungsguthaben nach der Ertragswertmethode berechnet werden soll, da die schwebenden Geschäfte in die Ermittlung des künftigen Ertrags als Grundlage der Abfindung mit einfließen.25 Wird das Abfindungsguthaben somit auf Grundlage der Ertragswertmethode berechnet, werden mit der Abfindung auch die schwebenden Geschäfte abgegolten.

Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen. Der Wortlaut des § 740 Abs. 1 BGB ordnet ausdrücklich keine gesonderte Abrechnung an. Vielmehr wird lediglich eine „Teilnahme“ am Gewinn und Verlust der schwebenden Geschäfte angeordnet.26 Wie genau diese „Teilnahme“ auszusehen hat, lässt die Norm offen. Dem Zweck der Norm ist also Genüge getan, wenn der Abfindungsanspruch auf Basis der Ertragswertmethode berechnet wird und die schwebenden Geschäfte im Rahmen der Ermittlung der künftigen Erträge Berücksichtigung finden. Der ausscheidende Gesellschafter wird aufgrund der Schätzung am Bewertungsstichtag an dem Ergebnis der am Bewertungsstichtag schwebenden Geschäfte beteiligt. Die Vorschrift des § 740 Abs. 1 BGB wird aufgrund der heute vorherrschenden Anwendung der Ertragswertmethode daher in den meisten Fällen leer laufen.27

Details

Seiten
220
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631721957
ISBN (ePUB)
9783631721964
ISBN (MOBI)
9783631721971
ISBN (Hardcover)
9783631721438
DOI
10.3726/b11087
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Schlagworte
Bewertungsverfahren Ertragswertverfahren Discounted Cash-flow-Verfahren Wertbegriff Bewertungszweck Bewertungsanlässe
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 220 S.

Biographische Angaben

Christina Schröter (Autor:in)

Christina Schröter studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln, wo sie auch promoviert wurde. Sie ist im Bereich Corporate/M&A tätig und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Unternehmensbewertung.

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