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Philosophie – Psychoanalyse – Kultur

Ein interdisziplinärer Dialog menschlicher Selbstverständigungsweisen

von Hilmar Schmiedl-Neuburg (Band-Herausgeber:in) Manfred Böge (Band-Herausgeber:in)
©2017 Sammelband 288 Seiten

Zusammenfassung

Der Band beschäftigt sich mit Fragen und Problemstellungen der Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaft. Die verschiedenen Disziplinen begeben sich in einen erkenntnisorientierten Gedankenaustausch und beleuchten systematische und historische Aspekte individueller und gesellschaftlicher Selbstverständigung. Die Beiträge diskutieren Themen aus den Bereichen Kultur und Gesellschaft, Klinik, Kunst, Film, Musik und Kultur und liefern auf diese Weise ein interdisziplinäres Panorama menschlicher Vielfalt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Philosophie, Psychoanalyse, Kultur – eine Annäherung (Hilmar Schmiedl-Neuburg)
  • Die Beiträge im Kontext (Manfred Böge)
  • Teil A: Philosophie, Psychoanalyse, Kultur
  • Philosophie und Psychoanalyse – Assoziationen zu ihrem Verhältnis (Hilmar Schmiedl-Neuburg)
  • Psychoanalytische Schulen – ihre Entwicklung und Menschenbilder (Martina Gartner)
  • Die Ausarbeitung der Psychoanalyse durch Jaques Lacan: Das Imaginäre, das Symbolische und das Reale (Michael Maute)
  • Die Macht des imaginären Signifikanten und das Reale des Traumas in Lars von Triers Antichrist (Lutz Götzmann)
  • Die Rolle von Musik bei Symbolbildung und Metaphorisierung (Christel Böhme-Bloem)
  • Der Traum als Mikrowelt. Psychoanalytische und philosophische Ansichten (Jutta Kahl-Popp)
  • Von der Erbarmungslosigkeit zur Besorgnis. Das Schuldgefühl bei D. W. Winnicott (Manfred Böge)
  • Die „bipolare affektive Störung“ Phänomenologische Perspektiven (Julia Jonas)
  • Psychoanalyse und Kritische Theorie – eine Wiederannäherung (Hilmar Schmiedl-Neuburg)
  • Die Spur des Anderen (Lévinas) – entwicklungspsychologisch gelesen (Horst Kämpfer)
  • Das Fremde in der Gruppe. Die Figuration Etablierte/Außenseiter (N. Elias) als psychosoziale Abwehrform (Martin Weimer)
  • Teil B: Das Unbehagen in der Kultur
  • Freud: Das Unbehagen in der Kultur (Hilmar Schmiedl-Neuburg)
  • Das Unbehagen in der Kultur – Gegenwartsdiagnosen (Martina Gartner, Lutz Götzmann, Horst Kämpfer, Martin Weimer)
  • a. Das Unbehagen in der Kultur
  • b. Über das Unbehagen in der kapitalistischen Kultur – einige Anmerkungen zur Unersättlichkeit des Über-Ichs
  • c. Unterworfen im Behagen wie im Unbehagen
  • d. Nachgetragene Lektüre: Das Unbehagen in der Kultur
  • Autorinnen und Autoren

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Vorwort

Philosophie, Psychoanalyse und Kultur eröffnen jeweils eigene Formen der Selbstreflexion des Menschen, aber erscheinen gleichzeitig in mannigfaltigen, bewussten und unbewussten Verflechtungen miteinander, denen dieser Sammelband gewidmet ist. In ihm sind verschiedene Beiträge zusammengeführt, die sich je unterschiedlich der Triade von Philosophie, Psychoanalyse und Kultur sowie ihrer vielfältigen Verwebungen annehmen.

Die Aufsätze dieses Sammelbandes entsprangen, was ihre Genese anbelangt, einer Ringvorlesungsreihe, welche wir, als die Herausgeber dieses Sammelbandes, im Sommersemester 2016 an der Universität Kiel unter dem Titel Philosophie, Psychoanalyse, Kulturwissenschaften veranstalteten. Der Teil A versammelt hierbei die einzelnen Beiträge der Ringvorlesung sowie einige originäre Aufsätze für diesen Sammelband, während der Teil B die Beiträge zu der die Ringvorlesung abschließenden Podiumsdiskussion zum Unbehagen in der Kultur dokumentiert.

Ein großer Dank gilt dem John-Rittmeister-Institut für Psychoanalyse und dessen Vorsitzender Frau Gartner für die großzügige Förderung und Unterstützung dieser Publikation. Ebenfalls ein großer Dank gilt dem Alumni e. V. der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, ohne dessen Förderung dieser Band, ebenso wie die Ringvorlesungsreihe selbst, nicht möglich gewesen wäre. Ebenfalls möchten wir herzlich Frau Hansen und Frau Grytska für ihre gewissenhafte Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts dieses Sammelbandes danken.

Kiel, im Frühjahr 2017Hilmar Schmiedl-Neuburg und Manfred Böge

Gefördert durch:

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Hilmar Schmiedl-Neuburg

Philosophie, Psychoanalyse, Kultur – eine Annäherung

Abstract: This article interrelates philosophy, psychoanalysis and culture. First the text analyses the relation between psychoanalysis and philosophy from a historical perspective. This is followed by an analysis of their relation from a systematic point of view with regard to their theoretical, practical and therapeutic dimensions. The third part focuses on the concept of culture and its triangulation with philosophy and psychoanalysis.

Vorbemerkungen

Die Philosophie, die Psychoanalyse und die Kultur bilden je für sich intrikate und komplexe Weisen und Felder menschlicher Selbstverständigung und Selbstaufklärung. Zugleich stehen sie jedoch systematisch wie historisch in vielfältigen wechselseitigen Beziehungen zueinander, welche das Leitthema dieses Sammelbandes darstellen.

In einer ersten Annäherung an diese Thematik soll in dieser Einleitung versucht werden, einen vorläufigen systematischen Grundriss möglicher Bezüge dieser drei Gebiete zu skizzieren. Daher werden wir uns zuerst des Verhältnisses von Philosophie und Psychoanalyse in geschichtlicher, systematischer und praktischer Hinsicht annehmen und sodann die verschiedenen möglichen Bezüge dieser Disziplinen zum Feld der Kultur in seinen verschiedenen Dimensionen aufzuzeigen versuchen.

1.  Philosophie und Psychoanalyse – geschichtliche Perspektiven

1.1.  Vorgeschichten

In historischer Hinsicht haben Philosophie und Psychoanalyse sich auf ihren Wegen durch die Geschichte auf unterschiedliche Weise direkt wie indirekt berührt. Die gemeinsame Geschichte beider beginnt in gewisser Weise bereits lange vor der Geburt der Psychoanalyse. Schon in der Antike hatte sich die Philosophie selbst als therapeia tes psyches (θεραπεία της ψυχής), als heilende Pflege der Seele, d. h. als Psychotherapie in der Liebe zur Weisheit, philosophia (φιλοσοφία), verstanden, ein Selbstverständnis, welches die Philosophie erst, nachdem sie es im Mittelalter mit der theologischen Seelsorge teilen musste, in der Neuzeit verlor und damit die Entwicklung der modernen Psychotherapie erst möglich machte. Ebenfalls ← 9 | 10 → hatte die philosophische Mystik in der christlichen wie der jüdischen Tradition schon seit dem Zeitalter der Patristik sich in der meditativ-kontemplativen Selbstbeschau Phänomenen angenommen, welche später von der Psychoanalyse als Unbewusstes angesprochen werden sollten.

Eine wirklich umfassendere Entfaltung fand der für die Psychoanalyse so zentrale Topos des Unbewussten aber erst in der Philosophie der Romantik, ein knappes Jahrhundert vor Freud. In den philosophischen und poetischen Arbeiten Schlegels, Novalis’ und Schellings wurde das Andere des Bewusstseins und der Vernunft, den tragenden Säulen der Philosophie von der Aufklärung bis zum Deutschen Idealismus, als Unbewusstes, Wider-, Un- oder Übervernünftiges, als Traum, Phantasie oder Märchen begrifflich und literarisch entfaltet. Auch die sich anschließende romantische Literatur, wie etwa die E. T. A. Hoffmanns, wie auch die Schriften der Lebensphilosophie – man denke an Nietzsches Diktum vom Leib als der großen Vernunft – und der frühen Existenzphilosophie, etwa Kierkegaards, zeugen von der Sensibilität gegenüber Phänomenen des Unbewussten in der Philosophie wie auch in der Literatur und in der Kunst. Allerdings unterschieden sich die Auffassungen des Unbewussten in diesen Traditionen doch in einigen interessanten Hinsichten von denen Freuds, denn diese Strömungen dachten das Unbewusste oft als ein (tierisches oder archaisches) Unterbewusstsein, ein (luziferisches) Widerbewusstsein oder ein (göttliches) Überbewusstsein, wohingegen es bei Freud eher die Konnotation des gänzlich Anderen, Fremden, eben Unbewussten mit sich führt. Auch die dem Unbewussten oft zugeschriebene Bildlichkeit und quellhafte Ursprünglichkeit erscheinen der Phänomenologie des freudschen, psychoanalytischen Unbewussten eher fern. C. G. Jung hingegen, der Renegat der freudschen Psychoanalyse, führt in seiner Auffassung des Unbewussten all diese Fäden zusammen. Dies lässt die Vermutung zu, dass der Bruch Freuds und Jungs auch Resultat ihrer unterschiedlichen Auffassungen des Unbewussten war.

Doch woraus speiste sich die spezifisch freudsche Auffassung des Unbewussten, außer, dass sie zumindest in einigen Hinsichten ebenfalls an die hier genannten Traditionen anschloss? Mir scheint, dass die freudsche Psychoanalyse in ihrem Verständnis des Unbewussten viele Einsichten der rabbinischen Tradition in säkularer Form in sich aufgehoben hat. Die Auffassung des Unbewussten als eines ganz Anderen, welches, wie die Traumarbeit zeigt, nicht bildlich ist, sondern sich vielmehr in Bildern versteckt und dem nur durch analytische Zerstörung der Bilder und (unendliche) Suche der Spuren der buchstaben- oder schriftartigen Zeichen des Unbewussten nachgefolgt werden kann, verweist auf die rabbinischen Deutungspraktiken des Talmuds. Damit käme der freudschen Psychoanalyse der ← 10 | 11 → große Verdienst zu, diese historisch marginalisierte theologisch-philosophische Tradition in transformierter Weise in die bewusstseinstheoretischen Diskurse der Philosophie und der Psychologie eingebracht zu haben und den romantisch-jungianischen Vorstellungen des Unbewussten ein ebenso eindrucksvolles Gegenmodell gegenübergestellt zu haben.

1.2.  Wechselseitige Einflüsse

Nach der ersten Etablierung der Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bereits zu vielschichtigen Kontakten mit der Philosophie. Insbesondere die miteinander verflochtenen Traditionen der Existenzphilosophie, der Phänomenologie, der philosophischen Anthropologie und der Hermeneutik zeigten ein großes Interesse an der Psychoanalyse. Dies zeigte sich in Deutschland etwa in einer sehr intensiven, wenn auch eher kritischen Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse bei Jaspers, Scheler und anderen Existenzphilosophen und Phänomenologen, als auch in den interdisziplinären Verschmelzungen psychoanalytischer und phänomenologisch-existentieller und hermeneutischer Gedanken in der geisteswissenschaftlichen psychiatrischen Anthropologie, so in der Daseinsanalyse bei Ludwig Binswanger und später bei Medard Boss, der zusammen mit Heidegger versuchte, dessen Daseinsanalytik und die Psychoanalyse Freuds zusammenzudenken. In Frankreich fand die Psychoanalyse, begünstigt durch ihre künstlerische und literarische Rezeption im Surrealismus, einen ebenso intensiven, wenn auch deutlich wärmeren Empfang. Die französische Phänomenologie, Hermeneutik und Existenzphilosophie, man denke etwa an Sartres existentielle Psychoanalyse, Merleau-Pontys Philosophie des „Fleisches“ oder an Ricoeurs Gedanken zu Hermeneutik und Psychoanalyse, waren ohne diese psychoanalytischen Einflüsse nicht zu denken.

Die Psychoanalyse hingegen hielt sich, im Unterschied zu den Strömungen der existentiellen Psychotherapie und der Humanistischen Psychologie, welche sich vornehmlich durch Phänomenologie, Hermeneutik und Existenzphilosophie beeinflussen ließen, gegenüber philosophischen Einflüssen eher bedeckt und abgegrenzt. Eine Ausnahme machte hier allerdings die französische Entwicklung der Psychoanalyse. Nachdem der Strukturalismus und der Poststrukturalismus in Frankreich die Phänomenologie Mitte des 20. Jahrhunderts als Leitphilosophie abgelöst hatten, nahm Jacques Lacan zentrale Gedanken des Strukturalismus (neben einigen Gedanken der hegelschen Dialektik) auf und schuf mit der strukturalistischen Psychoanalyse ein philosophisch-psychoanalytisches Amalgam, in dieser synthetisierenden Hinsicht der deutsch-schweizerischen Daseinsanalyse durchaus ähnlich, wenn auch mit einer gänzlich anderen ← 11 | 12 → philosophischen Fundierung. Diese Form der Psychoanalyse war nun zum einen für die französische psychoanalytische Entwicklung prägend, formte aber zugleich in den Weisen emphatischer Zustimmung, modifizierter Aufnahme und deutlicher Kritik auch große Teile der Philosophie des Poststrukturalismus, so etwa bei Derrida, Foucault, Deleuze, Kristeva, Lyotard, Butler et al., welche die Philosophie im späten 20. Jahrhundert prägten.

Doch auch in Deutschland fand die Psychoanalyse enthusiastische Freunde, allerdings eher bei Vertretern des westlichen Marxismus. Besonders die Kritische Theorie eines Adorno, Horkheimer und Marcuse erblickte im emanzipatorischen Versprechen der Psychoanalyse einen Geistesverwandten und machte sich, teils zusammen, teils getrennt, mit gleichgesinnten politisch engagierten Psychoanalytikern wie Erich Fromm, Wilhelm Reich oder Otto Gross an das Projekt einer Marxismus und Psychoanalyse verschmelzenden emanzipatorischen Gesellschaftstheorie. Bei Adorno nahm dieses Projekt auf negativ-dialektischem Boden eine eher kulturpessimistische Färbung an und die Psychoanalyse trat gegenüber der Dialektik in die zweite Reihe, während bei Marcuse und auch bei Fromm – hierin Reich ähnlich – eher eine gleichberechtigte Symbiose beider Strömungen erfolgte. Auf die Psychoanalyse selbst hatten diese Entwicklungen allerdings, abgesehen von der Rezeption kritisch-theoretischer Gedanken in der Neopsychoanalyse Horneys, Fromms und Eriksons, eher geringe Auswirkungen.

Seit den 80er Jahren fand die Psychoanalyse wiederum philosophische Aufmerksamkeit, als die Philosophie in der von Achenbach inaugurierten Strömung der Philosophischen Praxis (wie auch zeitgleich in der Philosophie der Lebenskunst und in der modernen Tugendethik) versuchte, an ihre antiken Wurzeln einer therapeia tes psyches (θεραπεία της ψυχής) anzuknüpfen, sich selbst wieder als Lebensform, Lebensberatung und Lebensbegleitung zu einem gelingenden Leben zu entwerfen und ein eigenes philosophisches Therapieverständnis in Abgrenzung zur Psychotherapie und insbesondere zur Psychoanalyse zu entwickeln. So betrachtet, haben sich Philosophie und Psychoanalyse in ihrer Geschichte auf vielschichtige Weise beeinflusst, wenn gleichwohl festzustellen ist, dass die Einflüsse in ihrer Mehrheit von der Psychoanalyse zur Philosophie flossen. ← 12 | 13 →

2.  Philosophie und Psychoanalyse – systematische Perspektiven

2.1.  Theoretische Gesichtspunkte

Auch in systematisch-theoretischer Hinsicht zeigen sich mannigfaltige Bezüge von Philosophie und Psychoanalyse. Dabei rückt die Psychoanalyse hier meist in die Position des Erkenntnisgegenstandes der theoretischen Philosophie.

Als eine Philosophie der Psychoanalyse untersuchte die Philosophie, so etwa begriffs- und begründungstheoretisch, die begrifflichen und argumentativen Konzeptualisierungen und Fundierungen psychoanalytischen Denkens auf ihre begriffliche Konsistenz und Klarheit, ihre theoretische Kohärenz und argumentative Schlüssigkeit. Ontologisch nähme sich eine Philosophie der Psychoanalyse einer Klärung der metaphysischen und ontologischen Grundvorstellungen und elementaren Gegenstände der Psychoanalyse an, wie etwa ihres materialistischen Weltbildes oder ihrer Theorie der Triebe. Erkenntnistheoretisch befasste sich eine Philosophie der Psychoanalyse mit der Weise und Validität psychoanalytischer Erkenntnisgewinnung, untersuchte also die Frage, wie die Psychoanalyse epis­temologisch zu ihren klinischen und theoretischen Erkenntnissen kommt und diese als sicher und begründet ansieht. Eng mit diesen Untersuchungen verwandt, würde eine philosophische Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse diese in ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis untersuchen, ihren oszillierenden Status zu Kultur-, Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften versuchen zu klären, ihr Verhältnis zur Psychoanalyse als klinischer Kunst beleuchten und methodologisch ihre qualitativen wissenschaftlich-forschenden wie analytisch-therapeutischen Vorgehensweisen kritisch durchdenken. Philosophisch-anthropologisch und bewusstseinstheoretisch würde sich eine Philosophie der Psychoanalyse um die Klärung und Kritik des psychoanalytischen Menschenbildes, z. B. der freudschen Vorstellung vom Menschen als Triebwesen, bemühen und die bewusstseinstheoretischen Annahmen der Psychoanalyse, welche auch den Begriff des Unbewussten mit umfassen, einer eingehenden Untersuchung unterziehen. Schließlich widmete sich eine Philosophie der Psychoanalyse auch der sprachphilosophischen Dimension der Psychoanalyse, weil der Sprache und der Versprachlichung in der Analyse zentrale Rollen zukommen. Zu klären wäre hier zum einen die implizite Sprachphilosophie der Psychoanalyse, die sie etwa in der Ablehnung des Agierens dazu führt, Sprechen und Handeln klar voneinander zu scheiden, was mit den Einsichten der Sprechakttheorien, die Sprechen stets als Handeln auffassen, zu vermitteln wäre. Zum anderen wäre ebenfalls sprachphilosophisch ein Blick auf ← 13 | 14 → die psychoanalytischen Theorien als Texte, also als sprachlich-schriftliche Gebilde, zu werfen und sie in ihrer Textualität philosophisch näher zu beleuchten.

Verbunden mit diesen systematisch-theoretischen Untersuchungen wären auch die verschiedenen klinisch-therapeutischen, lebensethischen, wissenschaftlichen und philosophisch-weltanschaulichen Erscheinungsformen der Psychoanalyse in ihren Eigenarten und ihren wechselseitigen Verflechtungen auszudifferenzieren. D. h., die Psychoanalyse als besondere Form der Klinik und der Psychotherapie wäre zu scheiden von der Psychoanalyse als Lebenshaltung, wie sie etwa ein ausgebildeter Psychoanalytiker entwickelt, welche wiederum von der Psychoanalyse als psychologische Wissenschaft und von der Psychoanalyse als philosophische Weltanschauung mit bestimmten metaphysischen und anthropologischen Grundannahmen zu trennen wäre. Die theoretische Philosophie der Psychoanalyse nähme sich der wissenschaftstheoretischen sowie der metaphysisch und anthropologisch weltanschaulichen Dimension der Psychoanalyse an, während sie die beiden anderen Dimensionen der Klinik und der Lebenshaltung zur Klärung einer praktischen Philosophie der Psychoanalyse überweisen würde.

Unbeschadet nun dieser Fragen und Untersuchungen einer Philosophie der Psychoanalyse vermag allerdings auch die Psychoanalyse die Philosophie in die Position ihres Erkenntnisobjektes zu rücken und so ihr Verhältnis umkehrend eine Psychoanalyse der Philosophie zu betreiben. In dieser könnten etwa philosophische Theorien und Werke (wie auch Philosophen als Personen) ebenso wie die Tätigkeit des Philosophierens und die Philosophie als Lebensform durch die diagnostisch-anamnestische Linse der Psychoanalyse betrachtet und auf ihre unbewussten und verdrängten Aspekte, ihre neurotischen Strukturen und ihre unbewussten psychogenetischen Konstitutionsbedingungen hin analysiert und aufmerksam gemacht werden, worin dann auch eine therapeutische Wirkung der Psychoanalyse auf die Philosophie bestehen könnte.

2.2.  Praktische Gesichtspunkte

Details

Seiten
288
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631730195
ISBN (ePUB)
9783631730201
ISBN (MOBI)
9783631730218
ISBN (Hardcover)
9783631719954
DOI
10.3726/b11545
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Tiefenpsychologie Kulturwissenschaft Kulturkritik Kunsttheorie
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 288 S.

Biographische Angaben

Hilmar Schmiedl-Neuburg (Band-Herausgeber:in) Manfred Böge (Band-Herausgeber:in)

Hilmar Schmiedl-Neuburg ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Kiel und Gestalttherapeut. Manfred Böge ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogik der Universität Kiel.

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Titel: Philosophie – Psychoanalyse – Kultur
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