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Die rumänische Diaspora in Berlin

Ein Beispiel für neue Formen migrantischen Lebens

von Janka Vogel (Autor:in)
©2018 Dissertation LXXXIV, 168 Seiten

Zusammenfassung

In Berlin leben seit über 150 Jahren Menschen aus Rumänien. Diese Gruppe, die rumänische Diaspora, ist heute heterogener denn je. Und sie wächst weiter an. Die Studie untersucht, wie Menschen aus Rumänien in Berlin leben. Sie erkundet die Orte dieser Diaspora und legt ihre vielfältige Geschichte in dieser Stadt frei. Dass die heutige rumänische Diaspora in Berlin eine neue Form migrantischen Lebens ist, wird anhand von Ergebnissen einer Umfrage zur sozialen Situation der MigrantInnen, ihrer Integration in Berlin und ihrer Beziehung zum Herkunftsland Rumänien dargestellt. Mit einem kritischen Blick auf die rumänische Diaspora-Politik eröffnet sich die Frage, ob die Diaspora den dringend nötigen politischen Wandel in Rumänien selbst in die Hand nehmen wird. Auch von Berlin aus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I Einleitung
  • 1 Rumänische MigrantInnen als rumänische Diaspora
  • 1.1 Der Begriff Diaspora
  • 1.2 Merkmale von Diaspora
  • 1.3 Die rumänische Diaspora
  • 2 Zum Stand der Forschung
  • 2.1 Forschung zur rumänischen Migration und Diaspora
  • 2.2 Forschung zu Diaspora-Gruppen in Deutschland
  • 2.3 Aktuelle Veröffentlichungen zu Migration aus Rumänien nach Berlin
  • 3 Methodik
  • II Rumänien und seine Diaspora
  • 4 Gesetzliche Grundlagen
  • 4.1 Verfassung
  • 4.2 Diaspora-Gesetz
  • 5 Institutionen für die Diaspora
  • 5.1 Das Departement für politische Beziehungen zu den Rumänen außerhalb des Landes (DPRRP)
  • 5.2 Die Kommission für rumänische Gemeinschaften außerhalb der Landesgrenzen (Abgeordnetenhaus)
  • 5.3 Die Kommission der Rumänen von überall (Senat)
  • 5.4 Der Diaspora-Rat
  • 5.5 Das Eudoxiu-Hurmuzachi-Institut (IEH)
  • 6 Die rumänische Diaspora-Politik
  • III Die Diaspora in Berlin
  • 7 Die Geschichte der rumänischen Diaspora in Berlin
  • 7.1 Das 19. Jahrhundert
  • 7.2 Das frühe 20. Jahrhundert
  • 7.3 Die Zeit nach der Kriegswende 1944
  • 7.4 Die Nach-Wende-Zeit
  • 8 Orte der rumänischen Diaspora in Berlin
  • 8.1 Die rumänische Botschaft
  • 8.2 Das Rumänische Kulturinstitut (RKI)
  • 8.3 Religiöse Orte der rumänischen Diaspora in Berlin
  • 8.4 Rumänische Gastronomie in Berlin
  • 8.5 Rumänische Geschäfte in Berlin
  • 8.6 Soziale Netzwerke als virtuelle Orte der Diaspora
  • 9 Das Leben der Diaspora in Berlin
  • 9.1 Sozialstatistische Daten zur Diaspora
  • 9.1.1 Herkunftsregion
  • 9.1.2 Familie
  • 9.1.3 Sprache
  • 9.1.4 Bildung
  • 9.1.5 Arbeit
  • 9.2 Die Beziehung der Diaspora zu Berlin
  • 9.2.1 Gründe für die Migration nach Berlin
  • 9.2.2 Startsituation in Berlin
  • 9.2.3 Die Diaspora in den einzelnen Berliner Bezirken
  • 9.2.4 Persönliche Netzwerke der Diaspora-Angehörigen
  • 9.3 Die Beziehung der Diaspora zu Rumänien
  • 9.3.1 Angehörige in Rumänien
  • 9.3.2 Kontakt nach Rumänien
  • 9.3.3 Einschätzungen der Diaspora zur Lage Rumäniens
  • 9.3.4 Rückkehrabsichten der Diaspora
  • 10 Die Präsidentschaftswahl 2014
  • 10.1 Erfahrungen der rumänischen Diaspora in Berlin
  • 10.2 Die Wahl als vielfältiges Mobilisierungsereignis
  • 10.3 Wie die Diaspora gewählt hat
  • IV Fazit
  • Anhang
  • Tabellenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Index

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I Einleitung

In einem Beitrag über den EU-Neuling Rumänien resümieren Olaf Ihlau und Walter Mayr:

Auf den abgelebten Fassaden der Häuser [in Constanţa, JV] prangen nun, wie im Großteil Europas, die unvermeidlichen UniCredit-Vodafone-Carrefour-WesternUnion-Werbeschilder wie Make-up auf dem Gesicht einer müden Hure.2

Tatsächlich: mit dem EU-Beitritt hat sich Rumänien den westlichen Partnern angenähert. Mit der Europäisierung haben komplexe Bewegungen in verschiedene Richtungen eingesetzt. Waren, Werte, Dienstleistungen, Medien und Menschen aus Rumänien sind Teil des globalen Austauschprozesses geworden.

Die Europäisierung spielt dabei für das südosteuropäische Land eine ambivalente Rolle. Bei allen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Chancen, die sie bietet, wirft sie auch neue Fragen auf. Immer mehr Menschen von dort entschließen sich, für kurz oder lang ihre Heimat3 zu verlassen. Rumänische MigrantInnen4 gehören mittlerweile zu den mobilsten EuropäerInnen.5 Die meisten von ihnen gehen nach Italien und Spanien. Seitdem die Finanzkrise die Volkswirtschaften dieser Länder stark ← 17 | 18 → angegriffen hat, wandern sie von dort auch weiter in west- und nordeuropäische Staaten.6

2014 stellten rumänische MigrantInnen erstmals die größte Gruppe Neuzugewanderter in Deutschland dar;7 2015 waren sie nach syrischen Geflüchteten die zweitgrößte Gruppe.8 Rund 700.000 Menschen aus Rumänien leben mittlerweile in der Bundesrepublik.9 ← 18 | 19 →

Ungefähr 25.000 rumänische Staatsangehörige leben in Berlin10 und prägen das Bild dieser Stadt mit.11 Nur ein Teil von ihnen ist überhaupt sichtbar und dies häufig in Berichterstattungen über „Schrottimmobilien“, Arbeitsausbeutung, Bettelei oder Kriminalität. Manchen in der Bevölkerung fallen zum Thema rumänischer MigrantInnen kaum mehr als Bilder bettelnder Menschen „ohne Arme und Beine“ ein, wie es ein Berliner formulierte. Die Realität ist jedoch eine andere.

Sie ist vielfältiger. Die Bandbreite der Lebenssituationen rumänischer MigrantInnen in Berlin ist enorm. Sie kommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die deutsche Hauptstadt, gehören allen Generationen an, ihre Motive und Interessen sind sehr verschieden, ebenso ihre Erfahrungen und Pläne hier und ihre Beziehung zu ihrem Herkunftsland Rumänien. Ihre Heterogenität ist die Besonderheit dieser Diaspora.

Dieser Arbeit liegt eine quantitative Umfrage zugrunde, in der sich auch dieser Aspekt widerspiegelt. Zwischen September und Dezember 2015 wurden 125 Personen im Alter von 19 bis 85 Jahren zu ihrem Leben in Berlin befragt. Sie haben oder hatten die rumänische Staatsangehörigkeit und kamen zwischen 1944 und 2015 nach Deutschland. Sie stammen aus allen Teilen Rumäniens, gehören verschiedenen Ethnien und sozialen Schichten an und verfolgen mit ihrer Migration unterschiedliche Ziele. ← 19 | 20 →

Es soll der Frage nachgegangen werden, wie Geschichte, Gestalt und Absichten die rumänische Diaspora in Berlin prägen. Was unterscheidet sie von ihren historischen Vorgängern und macht sie deshalb zu einer neuen Form migrantischen Lebens? Damit sind folgende Thesen verbunden:

Die vorliegende Arbeit ist in mehrere Kapitel untergliedert, anhand derer jeweilige Aspekte der rumänischen Diaspora in Berlin genauer untersucht werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Politik des Herkunftslandes Rumänien und die Situation im Zuwanderungsland Deutschland - hier am Beispiel Berlin - unterschieden.

1 Rumänische MigrantInnen als rumänische Diaspora

Für rumänische MigrantInnen in den Ländern Europas existieren verschiedene Bezeichnungen. Der Begriff der „rumänischen Diaspora“ ist politisch. Aus mehr oder weniger zufällig in den gleichen Zielländern lebenden und arbeitenden MigrantInnen, die zwar die Herkunft aus einem geografischen Raum gemein hatten, aber die ihre Wanderung nicht als politisches Projekt verstanden, ist eine Diaspora geworden.

Menschen aus Rumänien, die in Berlin leben, versuchen sich loszusagen vom Migrantenstatus. Sie eröffnen Geschäfte und Restaurants, vernetzen sich in Online-Foren, sind Botschafter Rumäniens im Alltag, indem sie ← 20 | 21 → selbstbewusst ihre rumänische Identität zeigen, und werden politisch aktiv. Im Zwiespalt zwischen Assimilationsbestrebungen des Ziellandes Deutschland und nationalen Loyalitätsansprüchen Rumäniens sind die nach Berlin gezogenen rumänischen Staatsangehörigen dabei, ein eigenes politisches Gebilde zu werden. Diese komplexe Emanzipationsbewegung soll mit dem evokativen Diaspora-Begriff gefasst werden.

Die rumänische Diaspora lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Sie ist erstens die Gruppe der aus Rumänien ausgewanderten MigrantInnen, sie ist zweitens eine von vielen Zuwanderergruppen in Berlin und Deutschland und sie ist drittens auch Teil einer weltweiten diasporischen Bewegung (ehemaliger) rumänischer Staatsangehöriger, die ihre Migration zunehmend als politisches Projekt begreifen wollen.

1.1 Der Begriff Diaspora

„Diaspora“ ist ein Begriff mit einer Geschichte von mehreren tausend Jahren. Er geht auf das altgriechische Wort διασπορά12 zurück, womit zunächst der Prozess der Verbannung der Juden nach Babylonien (6. Jahrhundert v. Chr.) und deren Lebenssituation13 dort beschrieben wurden. Später war mit ihm die Lage aller Juden außerhalb Israels gemeint.14

Im ausgehenden 19. Jahrhundert setzte sich langsam der Begriff „Diaspora“ für religiöse Gruppen außerhalb ihrer Heimatkirche und für ethnische Gruppen außerhalb ihres Heimatlandes durch. Die aufkommenden Nationalstaaten hatten zahlreiche Gruppen heimatlos gemacht. Mit dem Begriff Diaspora wurde versucht, ihre Situation zu beschreiben.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nun dient diese Bezeichnung zunehmend als „Sammelbegriff für verschiedenste Migrationsphänomene, -praktiken und -formen“,15 wie Kuhlmann schreibt, und findet in frühen ← 21 | 22 → Diasporastudien ab den 1970er und 1980er Jahren Anwendung. Die Hochkonjunktur schließlich setzt in den 1990er Jahren ein.16

Dreierlei Bedeutungen kann der Begriff haben. So wird „Diaspora“ in einem lokalen Sinne zur Bezeichnung des Ortes oder der Region verwendet, wo die aus einem gemeinsamen Herkunftsland Ausgewanderten leben. Mit dem Begriff wird aber auch die Gesamtheit der in der Fremde Lebenden, also eine imaginierte Gruppe, bezeichnet. Damit einhergehend wird „Diaspora“ im Sinne Rainer Bauböcks schließlich als evokativer und performativer Begriff verwendet, der ein politisches Projekt17 beschreibt.18

Mit dem inflationären Gebrauch des Begriffes geht auch eine Vervielfachung dessen, was mit ihm gemeint ist, einher. Die Anwendung von „Diaspora“ auf immer mehr Phänomene hängt sowohl mit der Zunahme weltweiter Migrationsbewegungen an sich als auch mit den immer komplexer werdenden Lebens- und Arbeitswirklichkeiten der Menschen zusammen. In Ermangelung präziserer Termini greift die Forschung auf den Diaspora-Begriff zurück.

Im Rahmen dieser Untersuchung soll er in Anlehnung an Isolde Charim gerade wegen seiner „produktiven Uneindeutigkeit“19 verwendet werden. Obgleich Diaspora ein Hilfsbegriff ist, der eines Ersatzes bedarf, kann mit ihm signalisiert werden, dass die zu beschreibenden Phänomene etwas Neues darstellen - das aber antike, beziehungsweise historische Vorläufer hat. Die Fragen, die der Begriff aufwirft, sind gerade eine Chance, ihn vor dem Hintergrund schon bekannter Phänomene neu zu interpretieren. Alois Moosmüller empfiehlt in Anlehnung an James Clifford, den Diaspora-Begriff als ← 22 | 23 → „‚nicht-normativen Ausgangspunkt‘ für weiterführende Diskussionen zu ben[u]tzen“.20

Details

Seiten
LXXXIV, 168
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631734483
ISBN (ePUB)
9783631734490
ISBN (MOBI)
9783631734506
ISBN (Paperback)
9783631734476
DOI
10.3726/b11771
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Zuwanderung Europäische Union Migration Südosteuropa Deutschland Politische Partizipation
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. LXXXIV, 168 S., 12 farb. Abb., 22 s/w Abb., 6 s/w Tab.

Biographische Angaben

Janka Vogel (Autor:in)

Janka Vogel studierte Pädagogik in Marburg und absolvierte in Jena den Studiengang Südosteuropastudien mit Schwerpunkt Rumänien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Migration zwischen Rumänien und Deutschland, ethnische Minderheiten, Sozialarbeit mit rumänischen MigrantInnen in Deutschland

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