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Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener (Vertrags-)Ärzte wegen bevorzugender Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln

Eine Untersuchung des Phänomens, des Neuregelungsbedürfnisses der Bestechlichkeit von Ärzten und der neu eingeführten §§ 299a, 299b StGB

von Eva Maria Bongartz (Autor:in)
©2017 Dissertation 350 Seiten

Zusammenfassung

Der Große Strafsenat des BGH hat im Jahr 2012 eine Strafbarkeitslücke hinsichtlich der Korruption von Vertragsärzten aufgezeigt. Als Resultat führte der Gesetzgeber im Juni 2016 die §§ 299a, 299b in das StGB ein. Die Autorin untersucht das Phänomen der Korruption zwischen Ärzten und der Pharmaindustrie und lotet den gesetzlichen Rahmen, das Geflecht von Interessen sowie den Bedarf einer strafrechtlichen Neuregelung vor allem im Hinblick auf Ärzte aus. Die neuen §§ 299a, 299b StGB werden einer kritischen Bewertung unterzogen, wobei die Autorin zu dem Schluss kommt, dass die Straftatbestände das Phänomen der Korruption im Gesundheitswesen nicht vollumfänglich zu bekämpfen vermögen. Sie zeigt Schwachstellen sowie Vorschläge zur Verbesserung und Ergänzung auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Ausgangspunkt und Problemstellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Erster Teil: Darstellung und rechtlicher Rahmen des Phänomens „Korruption niedergelassener (Vertrags-)Ärzte“
  • A. Grundlagen zum Verständnis der Korruption im Gesundheitswesen
  • I. Der Begriff der Korruption
  • 1. Weiter Begriff
  • 2. Strafrechtlicher Begriff
  • 3. Enger Begriff
  • 4. Stellungnahme und anzuwendender Begriff
  • II. Rechtsbeziehung zwischen Vertragsärzten und den Krankenkassen
  • 1. Begriff und Eigenschaften des niedergelassenen Vertragsarztes
  • 2. Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung
  • a. Beteiligte im Leistungsrecht der GKV
  • b. Grundsatz des Sachleistungsprinzips
  • c. Wirtschaftlichkeitsgebot
  • d. Ärztliche Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
  • e. Beschaffungsrechtliche Seite
  • III. Historische Entwicklung zur Korruptionsstrafbarkeit von Ärzten
  • 1. Herzklappenskandal als ersten Fokus auf ärztliche Korruptionsstrafbarkeit
  • 2. Gesetzliche Entwicklung der Korruptionsstrafbarkeit nach dem StGB
  • B. Kooperation zwischen Pharmaindustrie und (niedergelassenen Vertrags-)Ärzten
  • I. Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Industrie und Ärzteschaft
  • II. Grundprinzipien legaler Kooperation
  • 1. Trennungsprinzip
  • 2. Äquivalenzprinzip
  • 3. Transparenzprinzip
  • 4. Dokumentationsprinzip
  • 5. Weitere Grundsätze
  • III. Ausgewählte Formen legaler Kooperation mit niedergelassenen Ärzten
  • 1. Beratertätigkeit
  • 2. Referententätigkeiten
  • 3. Klinische Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
  • 4. Anwendungsbeobachtungen
  • 5. Fortbildungsveranstaltungen
  • 6. Weitere einseitige Leistungen
  • IV. Anfälligkeit der Beziehung zwischen Industrie und Ärzten für Korruptionshandlungen
  • 1. Intransparenz und unzureichende Kontrollen
  • 2. Wirtschaftliche Interessen der vorteilsgewährenden Unternehmen
  • 3. Wirtschaftliche Interessen der vorteilsannehmenden Ärzte
  • 4. Dem deutschen Gesundheitswesen immanente Ursachen
  • a. GKV als Kollektiv
  • b. Intransparenz als Ausfluss des Sachleistungsprinzips
  • c. Verordnungshoheit des Arztes
  • d. Vergütungssystem und Budgetierung
  • 5. Unzufriedenheit der Ärzte
  • 6. Fazit
  • V. Zwischenergebnis
  • C. Phänomenologie korruptiven Verhaltens bei Zusammenwirken von Industrie und Ärzten
  • I. Korruption als spiegelbildliches Delikt
  • II. Erscheinungsformen unzulässiger Zuwendungen an niedergelassene (Vertrags-)Ärzte
  • 1. Prozentuale Umsatzbeteiligung
  • 2. Überhöhte Honorare für Leistungen aus Austauschverträgen
  • 3. Zurverfügungstellung medizinischer Geräte
  • 4. Einladungen zu Reisen und Bewirtungen
  • 5. Sachgeschenke
  • 6. „Sozialspenden“
  • III. Gegenleistung zugunsten der Industrieunternehmen
  • IV. Prävalenz des Phänomens
  • 1. Untersuchung „Wirtschaftskriminalität Pharmaindustrie“
  • 2. Studie „Zuweisung gegen Entgelt“
  • a. Vorkommnis unzulässiger Zuweisungen gegen Entgelt
  • b. Einstellung niedergelassener Ärzte zur „Zuweisungspraxis“
  • c. Fazit
  • V. Folgen der Korruption im Gesundheitswesen
  • 1. Finanzielle Schäden der Krankenkassen
  • 2. Folgen für die Ärzteschaft
  • a. Auswirkungen auf die Beziehung von Patient und Arzt
  • b. Sonstige Folgen für Ärzte
  • 3. Folgen für Unternehmen der Pharmabranche
  • VI. Zwischenergebnis
  • Zweiter Teil: Bewertung der Reformbedürftigkeit (vertrags-)ärztlicher Korruptionsstrafbarkeit
  • A. Gesetzliche Regulierungen von und im Zusammenhang mit Korruption vor Einführung der §§ 299a, 299b StGB
  • I. Normen des Strafgesetzbuches
  • 1. Straftatbestände der Vorteilsannahme und der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr
  • a. Vorteilsannahme und Bestechlichkeit im Amt gem. §§ 331, 332 StGB
  • aa. Vorteilsannahme gemäß § 331 StGB
  • (1) Amtsträgerschaft
  • (2) Vorteilsannahme für die Dienstausübung
  • bb. Qualifikation: Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1 StGB
  • cc. Vorteilsgewährung und Bestechung eines Amtsträgers
  • b. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB
  • aa. Bestechlichkeit gem. § 299 Abs. 1 StGB
  • (1) Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs bzw. eines Unternehmens
  • (2) Annehmen, Fordern oder Sichversprechenlassen eines Vorteils im geschäftlichen Verkehr
  • (3) Als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung bei dem Bezug von Waren
  • (4) Verletzung einer Pflicht gegenüber dem Unternehmen
  • bb. Bestechung gem. § 299 Abs. 2 StGB
  • c. Verhältnis der §§ 299 und 331ff. StGB zueinander
  • 2. Bewertung der Kontroverse zur Strafbarkeit korruptiven Verhaltens niedergelassener Vertragsärzte gem. §§ 299, 331ff. StGB vor Einführung der §§ 299a, 299b StGB
  • a. Darstellung des Streitstands in der Literatur
  • aa. Diskussion zur Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB
  • (1) These zur Strafbarkeit niedergelassener Vertragsärzte gem. § 299 Abs. 1 StGB
  • (2) Kritik
  • (a) Betriebsinhaberschaft der eigenen Praxis
  • (b) Argumente betreffend den freien Beruf des niedergelassenen Arztes
  • (aa) Die Freiberuflichkeit an sich
  • (bb) Keine Tätigkeit für die gesetzliche Krankenversicherung
  • (cc) Kein Einfluss der Krankenkassen auf die Verordnung des Arztes
  • (c) Argumente betreffend die Befugniserteilung im Rahmen der Beauftragtenstellung
  • (aa) Kein rechtsgeschäftliches Erteilen der Befugnis
  • (bb) Keine Beauftragung durch die GKV als Geschäftsinhaber
  • (d) Unzulässige Vermischung von §§ 299 und 266 StGB
  • (e) Argumente betreffend die Stellung des Vertragsarztes im sozialrechtlichen System der GKV
  • (aa) Funktionale Stellung des Vertragsarztes im System
  • (bb) Keine direkte Rechtsbeziehung zu den Krankenkassen
  • (cc) Kein bestimmender Einfluss des Arztes auf Entscheidungen der Krankenkassen
  • (f) Aufgabe der Vertreterrechtsprechung des BSG
  • (g) Primäre Verpflichtung des Arztes gegenüber seinen Patienten
  • (h) Wertungswiderspruch zum Privatarzt
  • (i) Kein Bezug von Waren durch die Krankenkassen
  • (j) Widerspruch zum Koinzidenzprinzip
  • (k) Bildung einer verbotenen Analogie
  • (3) Fazit
  • bb. Diskussion zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit im Amt, §§ 331ff., 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB
  • (1) Befürworter der Amtsträgereigenschaft niedergelassener Vertragsärzte
  • (2) Kritik
  • (a) Freiberuflichkeit des Vertragsarztes
  • (b) Keine organisatorische Anbindung an die Krankenkassen
  • (c) Kein wirksamer Bestellungsakt
  • (d) Keine Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe
  • (e) Keine staatliche Steuerung bei der Medikamentenverordnung
  • (f) Kein erkennbarer Repräsentant des Staates
  • (g) Vergleich mit dem Amtsarzt
  • (3) Fazit
  • b. Rechtsprechung und Reaktionen der Literatur
  • aa. Beschluss des OLG Braunschweig
  • (1) Inhalt des Beschlusses
  • (2) Kritik seitens der Fachliteratur
  • bb. Urteil des AG Ulm
  • cc. Urteil des LG Stade und Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats des BGH
  • (1) Urteil des LG Stade
  • (2) Beschluss des 3. Strafsenats des BGH
  • dd. Urteil des LG Hamburg und Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats des BGH
  • (1) Urteil des LG Hamburg
  • (2) Beschluss des 5. Strafsenats des BGH
  • ee. Beschluss des Großen Strafsenats des BGH
  • (1) Inhalt des Beschlusses
  • (2) Reaktionen seitens der Fachliteratur und der Öffentlichkeit
  • c. Auswertung und Stellungnahme
  • aa. Keine Amtsträgereigenschaft gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB
  • bb. Kein Beauftragter gemäß § 299 Abs. 1 StGB
  • cc. Fazit
  • 3. Vertragsarztuntreue und Betrug zulasten der Krankenkassen
  • a. Untreue gemäß § 266 StGB
  • aa. Verfügungsbefugnis des niedergelassenen Vertragsarztes
  • bb. Vermögensbetreuungspflicht
  • cc. Vermögensnachteil
  • dd. Vorsatz des Vertragsarztes
  • b. Betrug gemäß § 263 StGB
  • aa. Täuschung durch den Arzt und täuschungsbedingte Irrtumserregung
  • bb. Vermögensschaden der Krankenkassen
  • c. Fazit
  • II. Normen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
  • III. Das Gesundheitswesen betreffende Regelungen
  • 1. Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes
  • 2. Ärztliches Berufsrecht
  • a. Regelungen der Berufsordnung für Ärzte
  • b. Berufsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten
  • 3. Regelungen des fünften Buches des Sozialgesetzbuches
  • a. Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten
  • b. Sanktionsmöglichkeiten bei der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten
  • 4. Ausgewählte Verbandskodizes
  • IV. Zwischenergebnis
  • B. Reformbedürftigkeit der Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener (Vertrags-)Ärzte?
  • I. Strafwürdigkeit ärztlichen korruptiven Verhaltens
  • 1. Gefährdete Rechtsgüter
  • a. Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und der Gesundheitsversorgung
  • b. Unabhängigkeit der ärztlichen Verordnungsentscheidung und Vertrauen des Patienten
  • c. Lauterer Wettbewerb
  • d. Vermögen der Beteiligten
  • e. Gesundheit des Patienten
  • 2. Besondere Sozialschädlichkeit des Verhaltens
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Subsidiarität des Strafrechts
  • 1. Ultima Ratio Prinzip
  • 2. Bereits ausreichender Schutz durch bestehende Regelungen?
  • a. Regelungen des Berufs- und Sozialversicherungsrechts
  • aa. Keine Vergleichbarkeit der verschiedenen Maßnahmen
  • bb. Effektivität der berufs- und sozialversicherungsrechtlichen Normen
  • b. Bußgeldbewehrte Regelung im Heilmittelwerberecht
  • aa. Verhältnis der heilmittelwerberechtlichen Ordnungswidrigkeit zum Strafrecht
  • bb. Effektivität der heilmittelwerberechtlichen Ordnungswidrigkeit
  • c. Selbstregulativen der Verbände
  • d. Fazit
  • 3. Alternativen zur Schaffung eines neuen Straftatbestands
  • a. Änderung bestehender Vorschriften des StGB
  • b. Änderung des HWG
  • c. Erweiterung der Verfolgungs- und Sanktionsinstrumente der Ärztekammern
  • d. Änderung des „anfälligen Systems“
  • e. Fazit
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Abwägung von positiven und negativen Auswirkungen der Schaffung eines Straftatbestands aus der ex-ante-Sicht
  • 1. Risiken der Implementierung eines Straftatbestands
  • 2. Positive Auswirkungen einer strafrechtlichen Neuregelung
  • a. Bedürfnis nach Rechtssicherheit
  • b. Strafrechtliche Gleichstellung von Ärzten
  • c. Abschreckende Wirkung
  • d. Weitere positive Effekte
  • 3. Fazit
  • IV. Ergebnis
  • Dritter Teil: Die neuen Straftatbestände gegen Korruption im Gesundheitswesen
  • A. Darstellung und Bewertung der §§ 299a, 299b StGB
  • I. Erläuterungen der Gesetzesbegründung zu den §§ 299a, 299b
  • II. Entstehung der Normen und Vergleich der verschiedenen Gesetzentwürfe
  • III. Diskussion der Straftatbestände und ihrer Tatbestandsmerkmale
  • 1. Schutzzweck der §§ 299a, 299b StGB
  • 2. Verortung der Normen
  • a. Implementierung in das Kernstrafrecht
  • b. Erweiterung des 26. Abschnitts des StGB
  • 3. Deliktstyp
  • 4. Personeller Anwendungsbereich
  • a. Sonderdelikt für Angehörige eines Heilberufs
  • b. Adressatenkreis des § 299a StGB
  • 5. Ausgestaltung der Unrechtsvereinbarung
  • a. Tathandlung im Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs
  • b. Vorteilsbegriff
  • aa. Vertragsschluss als tatbestandlicher Vorteil
  • bb. Immaterielle Vorteile
  • cc. Zwischenergebnis
  • c. Unlautere Bevorzugung
  • d. Die in Bezug genommenen heilberuflichen Tätigkeiten
  • aa. Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
  • bb. Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln zur unmittelbaren Anwendung
  • cc. Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial
  • dd. Streichung der Abgabe von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
  • e. Streichung der Verletzung von Berufspflichten als mögliche Gegenleistung
  • f. Zwischenergebnis
  • 6. Offizialdelikte
  • IV. Fazit und Ausblick
  • B. (Änderungs-)Vorschlag zur Sanktionierung korruptiven Verhaltens niedergelassener Vertragsärzte und anderer Akteure im Gesundheitswesen
  • I. Vorschlag zur Änderung des § 299a StGB
  • 1. Formulierungsvorschlag
  • 2. Erläuterungen
  • a. Absätze 1 und 2
  • b. Absatz 3
  • II. Ergänzende Vorschläge zur Unterstützung der Effektivität der neuen Straftatbestände
  • 1. Bessere Aufklärung von Angehörigen der Heilberufe
  • 2. Erweiterung präventiver Regelungen auf industrieller Seite
  • 3. Genehmigungslösung
  • Zusammenfassung und Schluss
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Abkürzungsverzeichnis

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Einführung

A.  Ausgangspunkt und Problemstellung

Korruption ist stets ein Thema, welches für Aufsehen und großes mediales Interesse sorgt. Besonders sensibel reagiert die Öffentlichkeit auf Korruption im Bereich des Gesundheitswesens, da hier nicht nur rein wirtschaftliche Aspekte beeinträchtigt werden, sondern weitere empfindliche Faktoren wie Zweifel an der Funktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems, an einem gesunden und förderlichem Wettbewerb in der Pharmaindustrie, an der Integrität und Vertrauenswürdigkeit der Ärzte und nicht zuletzt die Sorge um die eigene optimale medizinische Versorgung eine Rolle spielen. Vor allem die Ärzteschaft muss sich dabei einer kritischen Betrachtung unterziehen, denn wie kaum einem zweiten Beruf ist die Verquickung der ärztlichen Tätigkeit mit Umsatzinteressen dem Arztberuf wesensfremd.1

Spätestens seit dem Beschluss des Großen Strafsenats des BGH vom 29. März 20122 gewann die rechtliche Diskussion um korruptives Verhalten von Ärzten wieder an Präsenz und Dringlichkeit. Insbesondere die Konstellation, in der ein Arzt einen bestimmten Hersteller von Arznei-, Heil-, Hilfsmitteln oder Medizinprodukten bei seiner ärztlichen Verordnung als Gegenleistung für eine erfolgte oder versprochene Zuwendung des Herstellers bevorzugt, rückte in den Fokus der rechtlichen Betrachtung. Denn in seinem Beschluss stellte der BGH fest, dass niedergelassene Vertragsärzte sich weder gem. der §§ 331ff. StGB wegen Vorteilsannahme im Amt, noch gem. § 299 Abs. 1 StGB wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr strafbar machen können und damit – nach der bei Anfertigung dieser Arbeit geltenden Rechtslage3 – keinem Korruptionsstraftatbestand des StGB als taugliche Täter unterfielen. Damit blieben bis zum Inkrafttreten der §§ 299a, 299b StGB im Juni 2016 sowohl der niedergelassene Vertrags- als auch der niedergelassene privat verordnende Arzt mangels eines Straftatbestands, unter den sie subsumierbar wären, de lege lata straffrei, wenn sie sich bei ihrer Medikamentenverordnung von unsachlichen Beeinflussungen leiten ließen, sofern sie sich nicht gleichzeitig der Untreue oder des Betrugs schuldig machten. Aus eben dieser damals bestehenden Straffreiheit von Bestechlichkeit ← 25 | 26 → niedergelassener Ärzte ergab sich die Problemstellung, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Zwar wurde diese Entscheidung des BGH lange erwartet,4 die gewünschte vollumfängliche Klärung der rechtlichen Behandlung des Phänomens blieb jedoch zunächst aus. Daher wird das Phänomen der zuwendungsbedingten ärztlichen Medikamentenverschreibung im Anschluss analysiert sowie die Strafbarkeit bzw. vorherige Straffreiheit korruptiven Verhaltens niedergelassener (Vertrags-)Ärzte kritisch beleuchtet. Im Kern hat die Arbeit dabei die Form ärztlicher Korruption zum Gegenstand, deren Ursprung in der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie anzusiedeln ist. Sie ist u.a. bekannt als sogenanntes „Pharmamarketing“. Sofern sich als Ergebnis dieser Auswertung zeigt, dass nach der Rechtslage, welche bei Enstehung dieser Arbeit die geltende war, eine Strafbarkeitslücke für ärztliche Korruption bestand, stellt sich als Folgeproblem, ob und wie diese Lücke zu schließen war. Problematisch ist dabei schon die Feststellung, ob eine Neuregelung überhaupt notwendig und angebracht war, da das Strafrecht nicht die Aufgabe hat, den Bestand der Rechtsgüter gegen jede Beeinträchtigung zu schützen, sondern nur gegen besonders schwerwiegende, verwerfliche und solche, gegen die kein anderer effektiver Schutz erlangt werden kann.5 Die Politik hat derweil längst zugunsten der Einführung von Normen zur Bekämpfung der Korruption von Ärzten bzw. der Korruption im Gesundheitswesen entschieden. Am 4. Juni 2016 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen in Kraft.6 Im Kern wurden durch dieses Gesetz die §§ 299a und 299b StGB in das Strafgesetzbuch aufgenommen, welche die Bestechlichkeit und Bestechung von Angehörigen eines Heilberufs unter Strafe stellen. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung der 18. Legislaturperiode festgehalten, dass sie Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen unter Strafe stellen will.7 Sowohl in der 17. als auch in der 18. Legislaturperiode wurden bereits verschiedene Gesetzentwürfe mit dem Zweck der Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen auf den Weg gebracht.8 Unklarheit bestand ← 26 | 27 → zunächst ob und in welcher Fassung sich ein Gesetzentwurf durchsetzt und ob er geeignet ist, die Problematik der ärztlichen Korruption bzw. Korruption im Gesundheitswesen hinreichend bestimmt zu regeln. Untersucht wird das nunmehr abgeschlossene Gesetzesvorhaben im Rahmen dieser Arbeit zunächst auf einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Bei Bejahung eines vor Juni 2016 etwaig vorhandenen Neuregelungsbedürfnisses stellen sich dann weitere Fragen wie die nach dem Schutzzweck einer solchen Norm, dem zu erfassenden Personenkreis und ihrer dogmatischen Verortung. Eine Schwierigkeit des Gesetzesvorhabens bestand vor allem darin, eine zutreffende und dem Bestimmtheitsgebot genügende Grenze zwischen erwünschter Kooperation von Ärzten und Pharmaindustrie und zu missbilligender Korruption mit dem nötigen Grad an Differenzierung zu ziehen.9 Denn durch eine strafrechtliche Regelung darf nicht die für das Gesundheitswesen wichtige Kooperation zwischen Ärzten und Industrie verhindert werden.

B.  Gang der Untersuchung

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Sinnvoll erscheint, im ersten Teil zunächst einige Begrifflichkeiten, z.B. den zugrunde liegenden Korruptionsbegriff, sowie die Rechtsbeziehungen der Beteiligten untereinander zu klären, um eine Grundlage für die spätere rechtliche Bewertung zu schaffen. Weiterhin soll in diesem Teil umfassend die Kooperation zwischen Ärzten und der Pharmaindustrie dargestellt werden, da diese Ursprung und Brutstätte ärztlicher Korruption sein kann. In diesem Zusammenhang soll auch eine Phänomenologie korruptiven Verhaltens beim Zusammenwirken von Industrie und Ärzten erstellt werden, welche die verschiedenen Erscheinungsformen, Untersuchungen zur Häufigkeit, sowie Folgen von Korruption im Gesundheitswesen aufzeigt. Den Ausdruck des „korruptiven Verhaltens“10 hat der Große Senat für Strafsachen im Übrigen in diesem ärztespezifischen Zusammenhang in seinem Beschluss vom 29. März 2012 verwendet. Seither wurde er in dieser Art weiterbenutzt11 und erweist sich insofern als passend, als dass der Große Strafsenat das Verhalten von niedergelassenen Vertragsärzten nach der damaligen Rechtslage strafrechtlich nicht als Korruption eingeordnet hat, aber mit einer Art Zwischenbegriff den Unrechtsgehalt solcher Handlungen würdigte.12 ← 27 | 28 →

Den Kern der Arbeit bildet dann der zweite Teil, in dem geklärt werden soll, inwiefern vor dem Inkrafttreten der §§ 299a und 299b StGB im Juni 2016 tatsächlich eine Strafbarkeitslücke bei korruptivem Verhalten von niedergelassenen (Vertrags-)Ärzten bestand und ob Bedarf bestand, eine solche Lücke mittels einer neuen gesetzlichen Regelung zu schließen. Dazu wird zunächst die gesetzliche Regulierung von korruptivem Verhalten im Zusammenhang mit der ärztlichen Verordnung nach der bis Juni 2016 bestehenden Rechtslage dargestellt. Zu denken ist hier nicht nur an strafrechtliche Normen, sondern auch an solche des ärztlichen Berufsrechts, des Sozialversicherungsrechts sowie an wettbewerbsrechtliche Normen des UWG und des HWG. Hieran schließt sich eine ausführliche Darstellung der vor Einführung der §§ 299a, 299b StGB geführten Diskussion zur Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener Vertragsärzte gem. §§ 299, 331ff. StGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung einschließlich der 2012 ergangenen Grundsatzentscheidung des BGH an. Der Vollständigkeit halber erscheint es dabei geboten, sich nicht nur mit der neueren Rechtsprechung des LG Stade, des LG Hamburg, des 3. und 5. Strafsenats des BGH sowie wie des Großen Strafsenats kritisch auseinanderzusetzen, sondern auch die seit Pragal im Jahre 2005 in der Literatur geführte Diskussion zur Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener Vertragsärzte darzustellen und bei der anschließenden Bewertung zu beachten. Die Tatsache, dass der 3.13 und der 5.14 Strafsenat (zumindest bezüglich der Arzneimittelverordnung) im Jahr 2011 die Amtsträger-sowie Beauftragtenstellung eines Vertagsarztes vorerst bejaht, den Großen Senat jedoch zur Klärung herangezogen haben, zeigt nämlich, dass die in dieser Diskussion aufgeworfenen Fragen gerade noch nicht abschließend geklärt waren. Zum Teil wurde der Ausfall des Beschlusses des Großen Strafsenats sogar als überraschend bezeichnet; mit einer Verneinung der Bestechungsdelikte im Amt sei gerechnet worden, jedoch wurde partiell angenommen, dass eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 Abs. 1 StGB bejaht würde.15 Hieraus ergibt sich die Sinnhaftigkeit des Vorhabens, die Korruptionsstrafbarkeit von niedergelassenen Vertragsärzten nach den §§ 331ff. StGB und vor allem dem § 299 Abs. 1 StGB noch einmal kritisch zu bewerten. Daher erfolgt im Anschluss unter Berücksichtigung der vorstehenden Kontroverse eine Auswertung und Stellungnahme zur Amtsträgerschaft gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB sowie zur Beauftragtenstellung des Vertragsarztes i.S.d. § 299 Abs. 1 StGB. Es ← 28 | 29 → wird geklärt, ob eine Regelungslücke bestand oder ob eine Lösung de lege lata hätte gefunden werden können. Dies wäre der Fall, wenn eine entsprechende Auslegung der §§ 331ff. bzw. des § 11 Abs. 1 Nr. 2c und des § 299 StGB ergeben würde, dass diese auf den niedergelassenen Vertragsarzt Anwendung finden müssten. Das Ergebnis dieser Stellungnahme sowie die vorherige Darstellung der bis Juni 2016 geltenden Rechtslage bilden sodann die Basis für das letzte Kapitel des zweiten Teils, welches sich mit der Frage nach der Reformbedürftigkeit der Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener Vertragsärzte und somit nach dem Bedürfnis von Strafnormen de lege ferenda, welche mittlweile in Form der §§ 299a, 299b StGB existieren, beschäftigt. Vorweggenommen werden kann, dass vor Einführung dieser Normen de lege lata kein befriedigendes Ergebnis gefunden werden konnte, so dass es einer Lösung de lege ferenda bedurfte.

Schließlich beschäftigt sich daher der dritte Teil dieser Arbeit mit der strafrechtlichen Neuregelung der ärztlichen Korruption bzw. der Korruption im Gesundheitswesen. Es werden die neuen §§ 299a und 299b StGB als Ergebnis der Gesetzesreform sowie die vorbereitenden Gesetzentwürfe dargestellt und bewertet. Im Rahmen einer Diskussion der verschiedenen Tatbestandsmerkmale der §§ 299a, 299b StGB soll unter anderem untersucht werden, ob die §§ 299a, 299b StGB geeignet sind, das Phänomen der Korruption im Gesundheitswesen effektiv zu bekämpfen. Anschließend sollen Kritikpunkte sowie potentielle Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge aufgezeigt werden. Ziel dieser Dissertation ist es, die Strafbarkeit von korruptivem, ärztlichen Verhalten bei der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, kritisch zu beleuchten sowie zu untersuchen, inwiefern eine strafrechtliche Neuregelung zur Verbesserung der Situation beitragen kann. Durch diese Dissertationsschrift sollte mithin das Phänomen untersucht und der gesetzgeberische Handlungsbedarf ausgelotet werden. ← 29 | 30 →


1 Schütze in: FS Jäger, 539 (547); Scholz in: Spickhoff, Medizinrecht, § 30 MBO, Rn. 1.

2 BGH, Beschluss v. 29.3.2012 – GSSt 2/11 = NZWiSt 2012, 268.

3 Während der Anfertigung sowie der Abgabe dieser Dissertationsschrift existierten die §§ 299a, 299b StGB noch nicht.

4 Siehe nur Dieners, MPR 2012, 112 (119); Schmidt, PharmR 2012, 333 (341); NJW Spezial 2012, 472.

5 Vgl. BVerfG, Urteil v. 28.5.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 = BVerfGE 88, 203 (258); Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 1, Rn. 9ff.

6 Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 30.05.2016, BGBl. 2016 Teil I, S. 1254.

7 „Deutschlands Zukunft gestalten“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 101.

8 Siehe BT-Drs. 17/14184; BT-Drs. 17/14575; BR-Drs. 16/15; BR-Drs. 360/15; BT-Drs. 18/6446; BT-Drs. 18/8106.

9 Vgl. etwa Geiger, CCZ 2011, 1 (2); ders., medstra 2015, 97 (104).

10 BGH, Beschluss vom 29.3.2012 – GSSt 2/11, Rn. 46. = NZWiSt 2012, 268 (273).

Details

Seiten
350
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631734971
ISBN (ePUB)
9783631734988
ISBN (MOBI)
9783631734995
ISBN (Hardcover)
9783631734889
DOI
10.3726/b11820
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
Reform Arztstrafrecht Ärztekorruption Kooperation Pharmaindustrie Gesetzliche Krankenkassen
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 350 S.

Biographische Angaben

Eva Maria Bongartz (Autor:in)

Eva Maria Bongartz studierte Rechtswissenschaften in Düsseldorf, Avignon sowie San Francisco und promovierte an der Universität zu Köln.

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Titel: Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener (Vertrags-)Ärzte wegen bevorzugender Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
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