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Persönliche Schadensersatzhaftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Kartellverstöße

Ein Beitrag zur kartellzivilrechtlichen Organhaftung

von Julian Wacker (Autor:in)
©2017 Dissertation 366 Seiten

Zusammenfassung

Die persönliche Schadensersatzhaftung der handelnden Organmitglieder ist von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Suche nach optimalen Sanktionen für Kartellverstöße. Sie verschiebt den Fokus der Aufmerksamkeit von den Unternehmen auf die tatsächlich verantwortlichen, da handelnden natürlichen Personen. Der Autor beschäftigt sich mit der zivilrechtlichen Haftung von AG-Vorständen sowohl im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft als auch im Außenverhältnis gegenüber Kartellgeschädigten unter Heranziehung sämtlicher in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen. Dabei zieht er rechtspolitische Überlegungen de lege ferenda ein und unterbreitet eigene Lösungsvorschläge, die die persönliche Schadensersatzhaftung von AG-Vorständen auf ein angemessenes Maß reduziert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Kapitel. Einführung
  • § 1 Problemdarstellung und Ziel der Untersuchung
  • § 2 Begriffserklärungen
  • § 3 Gang der Untersuchung
  • 2. Kapitel. Überblick über haftungsrelevante Sanktionen eines Kartellverstoßes
  • § 1 Verwirklichung eines materiell-kartellrechtlichen Verbotstatbestandes – ein Überblick
  • § 2 Bußgeldrechtliche Sanktionen
  • A. Grundsätze kartellbehördlicher Bußgeldsanktionierung
  • I. Kartellbußgeldsanktionierung nach EU-Recht
  • II. Kartellbußgeldsanktionierung nach deutschem Recht
  • B. Bußgeldbemessung
  • I. Bußgeldrahmen
  • II. Zumessungskriterien für die konkrete Bußgeldhöhe
  • III. Bußgeldmindernde Berücksichtigung von Compliance-Systemen
  • IV. Bonusregelungen
  • § 3 Zivilrechtliche Sanktionen
  • A. Nichtigkeit kartellrechtswidriger Verträge
  • B. Anfechtung kartellrechtswidriger Verträge
  • I. Kartellierung als Anfechtungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB?
  • II. Rückabwicklung kartellrechtswidriger Verträge nach §§ 812 ff. BGB
  • C. Schadensersatzansprüche
  • I. Anspruchsgrundlagen
  • II. Praxisrelevante Schadensposten
  • D. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
  • E. Vergleichsabschlüsse
  • § 4 Arbeits- und organrechtliche Sanktionen
  • § 5 Straf-, vergabe- und verwaltungsrechtliche Sanktionen
  • A. Strafrechtliche Sanktionen
  • B. Vergaberechtliche Sanktionen
  • C. Vorteilsabschöpfung, Abstellungs- und Rückerstattungsverfügung
  • D. Verpflichtungszusagen
  • 3. Kapitel. Die Regresshaftung
  • § 1 Ausgangspunkt: Die Urteile des ArbG Essen und des LAG Düsseldorf im „Schienenkartell“-Verfahren
  • A. Entscheidungsdarstellung
  • B. Stellungnahme und praxisrelevante Folgen
  • § 2 Pflichtverletzung
  • A. Business Judgement Rule
  • B. Legalitätspflicht
  • I. Interne Pflichtenbindung
  • II. Externe Pflichtenbindung
  • 1. Unklare Rechtslage
  • 2. Nützliche Pflichtverletzung
  • C. Überwachungspflicht – Corporate Compliance
  • I. Voraussetzungen der Errichtung effektiver Compliance-Systeme
  • 1. Unternehmensspezifische Risikoanalyse
  • 2. Inhaltliche Ausgestaltung und Umfang effektiver Compliance-Maßnahmen
  • 3. Nachhaltige Prävention
  • II. Zulässige Aufgabendelegation
  • 1. Horizontale Delegation
  • 2. Vertikale Delegation
  • III. Konzernweite Compliance-Pflicht
  • 1. Ziff. 4.1.3 DCGK
  • a) Auswirkungen des DCGK auf die Konzernorganhaftung
  • b) Entsprechungserklärung nach § 161 Abs. 1 AktG
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Gleichlauf von Verantwortung und rechtlicher Einflussmöglichkeit
  • 3. Vermögens- und Haftungseinheit
  • 4. Inhaltliche Ausgestaltung konzernweiter Compliance-Strukturen
  • 5. Zwischenergebnis
  • IV. Compliance bei Sachverhalten mit Auslandsberührung
  • 1. Territorialitäts- und Auswirkungsprinzip
  • 2. Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO
  • 3. Beachtung ausländischer Compliance-Vorschriften
  • V. Compliance de lege ferenda
  • 1. Kodifizierung eines transparenten Normenkomplexes
  • 2. Berücksichtigung effektiver Compliance-Systeme als bußgeldmindernder Umstand
  • 3. Konkretisierung der Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 OWiG durch § 130a OWiG n. F.
  • 4. Kommentierungen zum Legislativvorschlag des § 130a OWiG n. F.
  • a) § 130a Abs. 1 OWiG n. F.: Kartellrechtsspezifische Konkretisierung der Aufsichtspflicht nebst geeigneter Compliance-Maßnahmen
  • b) § 130a Abs. 2 OWiG n. F.: Bußgeldmindernde Berücksichtigung von Compliance-Systemen
  • c) § 130a Abs. 3 OWiG n. F.: Ordnungswidrigkeitstatbestand
  • d) § 130a Abs. 4 OWiG n. F.: Darlegungs- und Beweislast
  • 5. Zwischenergebnis
  • D. Treuepflicht
  • E. Verschwiegenheitspflicht
  • F. Berichtspflicht
  • G. Kapitalerhaltungs-, Buchführungs- und Insolvenzantragspflicht
  • H. Inanspruchnahme von Bonusregelungen als Pflicht oder Kür?
  • I. Verständigung des Vorstands mit den Kartellbehörden
  • § 3 Verschulden
  • § 4 Schaden
  • A. Schadensbegriff und -umfang
  • B. Kausalität
  • C. Kartellrechtliche Unternehmensgeldbuße als ersatzfähiger Schaden im Sinne des § 93 Abs. 2 AktG
  • I. Ausgangspunkt: Keine gesetzlich kodifizierte Schadloshaltung kartellverantwortlicher Organmitglieder
  • II. Sinn und Zweck des § 93 Abs. 2 AktG
  • III. Haftungssystematik des § 93 Abs. 2 AktG
  • IV. Arbeitsrechtliche Haftungsprivilegien
  • V. Zielsetzung des Kartellrechts und Risikenverteilung
  • VI. Korrelation zwischen Pflichtentragung und Vergütung
  • VII. Kartellbehördliche Bußgeldsanktionierung
  • 1. Funktion und Zweck des kartellbußgeldrechtlichen Sanktionssystems
  • a) Anknüpfungspunkt für den Erlass einer Unternehmenskartellbuße
  • b) Wertentscheidung des europäischen Kartellgesetzgebers
  • c) Organisationsverschulden sowie Personeneinheit zwischen Unternehmensgeldbußzahlungs- und Vollstreckungsschuldner
  • d) Haftungsrechtliche Differenzierung zwischen Unternehmen und natürlichen Personen
  • 2. Divergierende Bußgeldbemessung
  • 3. Differenzierung zwischen hoheitlicher Bußgeldsanktionierung und zivilrechtlicher Pflichtentragung
  • 4. Vorteilsabschöpfung
  • 5. Verbleib der Unternehmensgeldbuße beim Unternehmen aufgrund der Existenz der Kronzeugenregelung?
  • VIII. Rechtsphilosophische und verfassungsrechtliche Überlegungen
  • IX. Systemkompatibilität mit nationaler höchstrichterlicher Rechtsprechung
  • 1. Rechtsprechung zu § 258 Abs. 2 StGB
  • 2. Unzulässige Übernahme von Geldbußen im arbeitsrechtlichen Kontext
  • 3. Rechtsprechung zum Bußgeldrückgriff in den „Berater-Fällen“
  • 4. Rechtsprechung zum Regress eines Fußballvereins gegen störende Zuschauer
  • X. Systemkompatibilität mit ausländischer Rechtsprechung und Rechtslage
  • 1. Keine Abwälzungsmöglichkeit nach § 11 österreichischem VbVG
  • 2. Das klageabweisende Urteil des Court of Appeal in der Rechtssache Safeway Stores Ltd.
  • a) Entscheidungsdarstellung
  • b) Wertungstransfer in das deutsche Kartellrecht
  • XI. Ergebnis
  • D. Vorteilsausgleichung
  • I. Voraussetzungen
  • 1. Keine Unzumutbarkeit der Vorteilsausgleichung für Unternehmen unter Berücksichtigung kartell- und organhaftungsrechtlicher Spezifikation
  • 2. Zwischenergebnis
  • II. Strategische Überlegung bei Geltendmachung der Vorteilsausgleichung
  • III. Beweislast
  • IV. Ergebnis
  • E. Summenmäßige Regressbegrenzung auf eine „angemessene“ Höhe
  • I. Regressbegrenzung bei Kartellbußen auf dem rechtspolitischen Prüfstand
  • 1. Regressbegrenzung oder vollständiger Regressausschluss?
  • 2. Ausgangspunkt: Verhältnismäßigkeitserwägungen
  • 3. Rechtsökonomische Bedenken gegen die Regressbegrenzung
  • II. Begründungs- und Legitimationsansätze für eine summenmäßige Regressbegrenzung
  • 1. Das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden
  • 2. Keine Abwälzung des Betriebsrisikos auf Organmitglieder
  • 3. Systemkompatibilität mit der Produkthaftung
  • 4. Systemkompatibilität mit dem spezifisch kartellbußgeldrechtlichen Gesamtschuldrisiko
  • 5. Zwischenergebnis
  • III. Instrumentarien der Regressbegrenzung
  • 1. Modifizierung der ARAG/Garmenbeck-Grundsätze
  • 2. Fürsorgepflicht der AG
  • 3. Grundsätze arbeitsrechtlicher Haftungsprivilegien
  • 4. Billigkeitsklausel
  • 5. Summenmäßige Regressbegrenzung durch Satzung
  • 6. Gesetzliche Kodifizierung einer Regressobergrenze
  • 7. Zwischenergebnis
  • IV. Die summenmäßige Ausgestaltung der Regressbegrenzung im Einzelnen
  • 1. Ausgangspunkt: „Angemessenheit“
  • a) Dogmatischer Anknüpfungspunkt: Fürsorgepflicht der AG
  • b) Bezugspunkt: Gesamtvermögen oder Vergütungsbestandteile?
  • c) Das „regressfreie“ Vermögen
  • d) Bestimmung der „Angemessenheit“
  • e) Rechtliche Durchsetzung
  • f) Zwischenergebnis
  • 2. D&O-Versicherung
  • a) Funktionsweise der D&O-Versicherung
  • aa) Aktienrechtliche Zulässigkeit
  • bb) Personeller Anwendungsbereich
  • (1) Versicherungsnehmer und versicherte Person
  • (2) Aktienrechtliche Zuständigkeit
  • cc) Versicherungsschutz
  • (1) Versicherungsgegenstand
  • (2) Sachlicher, zeitlicher und örtlicher Umfang
  • (3) Verschuldensmaßstab
  • (4) Haftungsausschluss
  • b) Deckungssumme der D&O-Versicherung als Anknüpfungspunkt für eine summenmäßige Regressbegrenzung
  • c) Zwischenergebnis
  • 3. Beurteilungsgrundlage: Vergütung des Vorstands
  • 4. Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG
  • 5. Kartellbußgeldrechtliche Wertentscheidung des § 81 Abs. 4 S. 1 GWB
  • 6. Summenmäßige Regressbegrenzung auch bei vorsätzlichen kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen insbesondere?
  • V. Konsequenzen für den Aufsichtsrat
  • VI. Übertragung des Regressbegrenzungsmechanismus auf den GmbH-Geschäftsführer
  • F. Ergebnis
  • § 5 Darlegungs- und Beweislast
  • A. Grundsatz
  • B. Zivilverfahrensrechtliche Bindungswirkung des Bußgeldbescheids nach § 33 Abs. 4 GWB (analog)?
  • C. Namentliche Erwähnung eines Organmitglieds im Bußgeldbescheid: Prima-facie-Beweis für haftungsbegründendes Verhalten und Schaden?
  • D. Faktische Bindungswirkung des Bußgeldbescheids nach § 415 Abs. 1 ZPO?
  • E. Darlegungs- und Beweislastverteilung de lege ferenda
  • § 6 Prozessuale Durchsetzung
  • A. Geltendmachung durch den AG-Aufsichtsrat
  • I. ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung
  • II. Unternehmerischer Ermessensspielraum nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 2 AktG
  • III. Kartellrechtsspezifische Konkretisierung des Ermessens
  • B. Geltendmachung durch die GmbH-Geschäftsführer
  • C. Auskunftspflicht des Aufsichtsrates gegenüber Aktionären
  • D. Hauptversammlungsbeschluss, § 147 AktG
  • E. Aktionärsklage, § 148 AktG
  • F. Verjährung, § 93 Abs. 6 AktG
  • G. Gerichtszuständigkeit
  • § 7 Zukunftsperspektiven
  • 4. Kapitel. Die Außenhaftung
  • § 1 Einführung
  • § 2 Schadensersatzanspruch gemäß § 33 Abs. 3 GWB
  • A. Problemdarstellung
  • B. Passivlegitimation natürlicher Personen
  • I. Wortlaut des § 33 Abs. 1, 3 GWB
  • II. Genese des § 33 Abs. 3 GWB
  • III. Systematik des Kartellbußgeld- und Kartelldeliktsrechts
  • 1. Zurechnung der Unternehmenseigenschaft nach § 9 Abs. 1 OWiG
  • a) Gleichlauf von Bußgeld- und Schadensersatzhaftung
  • b) Keine Notwendigkeit der Heranziehung von § 9 Abs. 1 OWiG im Kartelldeliktsrecht
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Auseinanderfallen von Innen- und Außenhaftung
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Funktion des Kartelldeliktsrechts
  • V. Intention des Gesetzgebers der 8. GWB-Novelle
  • VI. Systematik der Schadensersatzhaftung im gewerblichen Rechtsschutz
  • 1. Persönliche Außenhaftung eines Organmitglieds im gewerblichen Rechtsschutz
  • a) Anspruchsgrundlagen
  • b) Adressatenkreis der Ersatzpflichtigen
  • 2. Systematik der Schadensersatzhaftung nach dem UWG
  • C. Ergebnis
  • § 3 Schadensersatzanspruch gemäß § 33 Abs. 3 GWB analog
  • § 4 Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB
  • A. Anwendbarkeit
  • B. Verletzung der Organisationspflicht
  • I. Organisationshaftung im Innenverhältnis
  • II. Organisationshaftung im Außenverhältnis
  • C. Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
  • D. Verletzung des Mitgliedschaftsrechts der Aktionäre
  • E. Verletzung des Zugriffsrechts
  • F. Ergebnis
  • § 5 Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz
  • A. Anwendbarkeit
  • B. Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB
  • I. § 130 OWiG
  • II. § 81 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 9 Abs. 1 OWiG
  • III. § 93 Abs. 2 AktG
  • IV. §§ 399 ff. AktG
  • V. §§ 263, 298 StGB
  • C. Ergebnis
  • § 6 Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB
  • § 7 Schadensersatzanspruch gemäß § 831 BGB
  • § 8 Schadensersatzanspruch gemäß § 830 Abs. 2 BGB
  • A. Haftung des Organmitglieds als Teilnehmer gemäß § 830 Abs. 2 BGB – Ausgangspunkt: Das Dornbracht-Urteil des OLG Düsseldorf
  • I. Entscheidungsdarstellung
  • II. Stellungnahme und praxisrelevante Folgen
  • B. Haftung des Organmitglieds als unmittelbar am Kartellverstoß Beteiligter gemäß § 830 Abs. 2 BGB
  • I. Problemdarstellung
  • II. Haupttat der Gesellschaft und Teilnahmehandlung des Organmitglieds durch eine natürliche Handlung?
  • III. Rechtspolitische und gesetzessystematische Überlegungen
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Ergebnis
  • § 9 Schadensersatzansprüche nach Maßgabe nichtdeliktischer Vorschriften
  • A. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB
  • I. Vertragliche Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB
  • II. Nebenpflichtverletzung durch Zuwiderhandlung gegen Compliance-AGB-Klausel und Individualabrede
  • III. Passivlegitimation des Organmitglieds nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB
  • B. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 S. 2 BGB
  • C. § 179 Abs. 1 BGB
  • D. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB
  • E. Ergebnis
  • § 10 Auswirkungen der Richtlinie 2014/104/EU auf die kartellbedingte Organhaftung
  • § 11 Optimierungsbedarf – Vorschlag für eine effektivere Durchsetzung des Kartellrechts in Bezug auf Schadensersatzansprüche kartellgeschädigter Dritter gegen Organmitglieder
  • A. Kodifizierung eines transparenten Normenkomplexes: Präzisierung des Wortlautes des § 33 Abs. 3 GWB oder Einführung eines neuen Absatzes in § 33 GWB?
  • B. Konsequenzen der Einführung eines neuen Absatzes in § 33 GWB
  • C. Summenmäßige Begrenzung der Schadensersatzpflicht
  • D. Verweisung auf § 33 Abs. 4, 5 GWB
  • E. Legislativvorschlag: § 33 Abs. 6 GWB n. F.
  • § 12 Fazit
  • 5. Kapitel. Haftungsausschlüsse, Haftungsübernahmeabreden und ihre Grenzen
  • § 1 Interessenlage bei organrechtlichen Haftungsausschlüssen und Übernahmeabreden
  • § 2 Hauptversammlungsbeschluss und Billigung
  • § 3 Rechtsgeschäftliche Haftungsbegrenzungen
  • A. Zulässigkeit
  • B. Formfragen
  • C. Gestaltungsvarianten
  • I. Modifikation des Sorgfalts- und Verschuldensmaßstabs
  • 1. Rechtsvergleich
  • 2. De lege lata
  • II. Vereinbarung einer Präklusions- oder Verjährungsfrist
  • III. Vereinbarung eines individuellen „Haftungszuschlags“
  • IV. Einführung von Compliance- und Überwachungssystemen
  • D. Disponibilitätsgrenzen
  • E. Praxisorientierter Lösungsansatz
  • § 4 Verzicht und Vergleich
  • A. Verzichts- und Vergleichsverbot im AktG
  • B. Aktienrechtliche Zuständigkeit
  • C. Teleologische Reduktion des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG?
  • D. Rechtspolitische Überlegung: Streichung der dreijährigen Sperrfrist?
  • E. Verzicht und Vergleich gegen leitende Angestellte
  • F. Verzicht und Vergleich im GmbHG
  • § 5 Nichtgeltendmachung von Regressansprüchen
  • § 6 Freistellung durch die Gesellschaft
  • A. Gesetzlicher Freistellungsanspruch gemäß §§ 670, 675 BGB
  • I. Tatbestandsvoraussetzungen
  • II. Normative Einschränkung für Organmitglieder
  • III. Normative Einschränkung für leitende Angestellte
  • IV. Ausschluss der normativen Einschränkung aufgrund eines „besonderen Rechtsgrundes“
  • V. Freistellungsanspruch (leitender) Angestellter
  • B. Freistellung sua sponte
  • I. Freistellungszusagen vor Beendigung eines Kartellverstoßes
  • 1. Zivilrechtliche Grenzen
  • a) § 134 BGB in Verbindung mit § 258 Abs. 2 StGB bzw. §§ 298, 27 Abs. 1 StGB
  • aa) § 258 Abs. 2 StGB
  • bb) §§ 298, 27 Abs. 1 StGB
  • b) § 138 Abs. 1 BGB
  • 2. Gesellschaftsrechtliche Grenzen
  • II. Freistellungszusagen nach Beendigung eines Kartellverstoßes
  • 1. Zivilrechtliche Grenzen
  • a) § 134 BGB
  • b) § 138 Abs. 1 BGB
  • 2. Gesellschaftsrechtliche Grenzen
  • a) § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • b) § 87 Abs. 1 AktG
  • 3. Leitende Angestellte
  • 4. GmbH-Geschäftsführer
  • 5. Erweiterte (Hauptversammlungs-)Zuständigkeit
  • 6. Kapitel. Zusammenfassung
  • Gesetzesmaterialien
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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1.  Kapitel. Einführung

§ 1  Problemdarstellung und Ziel der Untersuchung

Im Jahr 2003 wurde die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln1 eingeführt und damit ein Paradigmenwechsel vom System des Verbots unter Erlaubnisvorbehalt2 zum System der Legalausnahme vollzogen.3 Basierend auf Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 haben Unternehmen respektive die handlungsfähigen Organmitglieder seitdem aus der Ex-ante-Perspektive anhand der gesetzlich normierten Freistellungskriterien4 eigenständig zu prüfen, ob wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen im Einzelfall vom Kartellverbot erfasst werden und damit kartellrechtliche Sanktionen zu erwarten sind oder nicht. Die Unternehmen werden somit auf eine kartellrechtliche Selbstveranlagung verwiesen, wonach das kartellrechtliche Subsumtionsrisiko, verbunden mit einer – regelmäßig fahrlässigen – kartellrechtlichen Fehleinschätzung, letztlich bei den handlungsfähigen Organmitgliedern verbleibt, da sie für die handlungsunfähige Gesellschaft die Freistellungsvoraussetzungen zu prüfen haben. Fahrlässige Kartellzuwiderhandlungen werden von den Kartellbehörden, sofern diese in der Behördenpraxis überhaupt Beachtung finden, überwiegend informell geahndet, etwa durch Auferlegung von (Verhaltens-)Verpflichtungen, die der jeweilige Kartellsünder zu beachten hat. Die Kartellbehörden legen ihren Fokus auf die Verfolgung und Ahndung von vorsätzlich begangene Kartellverstöße. Dabei zeigt die kartellbehördliche Sanktionierungspraxis, dass Kartellverstöße immer häufiger mit Geldbußen in dreistelliger Millionenhöhe geahndet werden: Im Jahr 2006 verhängte das Bundeskartellamt Unternehmensbußgelder von gerade einmal 4,5 Mio. Euro,5 2012 waren es bereits 316 Mio. Euro.6 Im Juli 2012 ergingen die höchsten Bußgeldbescheide mit insgesamt ← 1 | 2 → 124,5 Mio. Euro gegen Mitglieder des „Schienenkartells“.7 Allein gegen die ThyssenKrupp-Konzerntochter GfT Gleistechnik GmbH verhängte das Bundeskartellamt für das Kartell „Schienenfreunde“ eine Einzelgeldbuße von 103 Mio. Euro.8 Die GfT Gleistechnik GmbH war neben anderen Stahlherstellern zwischen 2001 und 2011 an kartellrechtlich verbotenen Preisabsprachen für Schienen beteiligt. Dies führte insbesondere bei der Deutschen Bahn AG zu einem Schaden von rund 500 Mio. Euro. Der damalige ThyssenKrupp-Konzernvorstand für Stahlgeschäfte, Edwin Eichler, soll internen Hinweisen auf solche Preisabsprachen nicht nachgegangen sein.9 Nachdem ein Großteil des ThyssenKrupp-Konzernvorstands entlassen worden war, rückten Schadensersatzforderungen der Gft Gleistechnik GmbH gegen ihren Geschäftsführer und Vorstand der ThyssenKrupp Materials International GmbH, Uwe Sehlbach, in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit.10

2014 hat das Bundeskartellamt erstmalig die Eine-Milliarde-Euro-Grenze überschritten und Rekordbußgelder in Höhe von 1.010 Mio. Euro gegen Unternehmen erlassen; 2014 wurden insgesamt gegen 67 Unternehmen und 80 Privatpersonen Kartellbußgelder verhängt.11 Am 27. Juni 2017 hat die EU-Kommission gegen Google eine Rekordeinzelgeldbuße in Höhe von 2,42 Milliarden Euro verhängt: Google soll seinen eigenen Preisvergleichsdienst gegenüber der Konkurrenz bevorzugt und insoweit seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber missbraucht haben.12 Eine Änderung dieser kartellbehördlichen Sanktionierungspraxis ist nicht zu erwarten, da mit der Verhängung exorbitant hoher Kartellbußen ein maximaler Abschreckungseffekt vor Kartellen erzielt werden soll.13 Vor diesem Hintergrund ← 2 | 3 → sollten die handlungsfähigen Organmitglieder auch künftig dazu angehalten werden, sachkundigen Rechtsrat einzuholen, um die kartellrechtliche Dimension ihres Agierens einschätzen zu können – ob die Verhaltensweise vom materiell-kartellrechtlichen Verbotstatbestand umfasst wird und somit eine existenzgefährdende Kartellbuße droht oder nicht. In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, die teilweise mit Liquiditätsschwierigkeiten und drohenden Unternehmensinsolvenzen einhergeht, wollen Unternehmen verstärkt Gewinne erwirtschaften. Im Einzelfall wird selbst ein Kartellverstoß in Kauf genommen. Kartellabsprachen können wirtschaftliche Vorteile für ein Unternehmen haben, sofern kartellrechtliche Sanktionen ausbleiben. Darüber hinaus darf das Eigeninteresse des Organmitglieds an Prämienzahlungen und Gehaltserhöhungen bei positiver Geschäftsentwicklung nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings kann eine Kartellabsprache, wenn sie aufgedeckt wird, die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens und die der beteiligten Organmitglieder gefährden. Neben hohen Unternehmensgeldbußen von kartellbehördlicher Seite und dem Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben drohen auch unkalkulierbare Schadensersatzforderungen kartellgeschädigter Dritter. Daher ist nach Bekanntwerden einer Kartellabsprache wohlüberlegtes, strategisches und unverzügliches Handeln angezeigt. Dabei sind gerade die an der Kartellabsprache beteiligten Organmitglieder bei der internen Aufarbeitung des Sachverhaltshergangs die besten Ansprechpartner. Die Gesellschafter bzw. Anteilseigentümer des Unternehmens dürften grundsätzlich ein Interesse daran haben darauf hinzuwirken, dass die gegen das Unternehmen erlassene Kartellbuße entsprechend der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vom 8. Dezember 2006 bzw. der Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen vom 7. März 2006 (Bonusregelungen)14 reduziert oder erlassen wird. Hierfür bedarf es regelmäßig einer umgehenden und uneingeschränkten Kooperation der am Kartellverstoß beteiligten Organmitglieder, da ausschließlich diese Kenntnisse über den genauen Sachverhaltshergang haben und damit Einzelheiten des Kartells aufdecken können. Gleichermaßen obliegt regelmäßig den Unternehmen die Entscheidung, ob sie Regressansprüche gegen die am Kartellverstoß beteiligten Organmitglieder geltend machen, wovon sie aber aufgrund der erhofften Kooperationsbereitschaft seitens der Organmitglieder im Hinblick auf den Erlass bzw. die Reduzierung der ← 3 | 4 → Kartellbuße – zumindest vorerst – aus strategischen Gründen Abstand nehmen werden. Sollten die Unternehmen weder eine Reduzierung noch einen Erlass der Kartellbuße erwirken können, werden sie die gegen sie erlassene Unternehmenskartellbuße auf die hierfür verantwortlichen Organmitglieder im Wege des gesellschaftsrechtlichen Innenregresses abwälzen.

Das kartellrechtliche Sanktionssystem ist primär auf Unternehmen und Unternehmensvereinigungen ausgerichtet. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind Adressaten der materiell-kartellrechtlichen Verbotsnormen des GWB und der Art. 101, 102 AEUV, sodass sie die unmittelbaren Sanktionsadressaten der Unternehmenskartellbuße sind und kartellgeschädigten Dritten gegenüber nach § 33 Abs. 3 GWB auf Schadensersatz haften. Daneben können Organmitglieder nach Maßgabe des deutschen Kartellbußgeldrechts mit einer persönlichen Kartellbuße gemäß § 81 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 9 Abs. 1 OWiG sanktioniert werden. Bislang wenig Aufmerksamkeit in der Judikatur hat die Frage erfahren, inwieweit neben den Unternehmen auch die handelnden natürlichen Personen, etwa die Mitglieder des Vorstands einer AG, persönlich auf Schadensersatz infolge eines Kartellverstoßes in Anspruch genommen werden können. Dabei ist zwischen der gesellschaftsinternen Rückgriffshaftung und der Außenhaftung zu differenzieren. Der Innenregress eines Unternehmens, gegen das eine Kartellbuße erlassen wurde oder das kartellgeschädigten Dritten gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet ist, ist Gegenstand zweier jüngerer Entscheidungen des ArbG Essen15 und des zweitinstanzlich zuständigen LAG Düsseldorf16 in der Rechtssache ThyssenKrupp/Uwe Sehlbach. Zur Frage der unmittelbar persönlichen Außenhaftung natürlicher Personen für kartellrechtswidriges Verhalten liegt – soweit ersichtlich – nur eine einzige höchstrichterliche deutschsprachige Entscheidung vor: das Dornbracht-Urteil des OLG Düsseldorf vom 13.11.2014.17 Diese jüngst ergangenen Entscheidungen haben der Thematik der zivilrechtlichen Haftung von Organmitgliedern für Kartellverstöße einen neuen Impuls verliehen. Sie geben nicht nur Anlass zu einer Bestandsaufnahme, sondern werfen ebenfalls die Frage auf, ob das Haftungsrisiko für Organmitglieder de lege lata angemessen erscheint.

Weiter vorangetrieben durch die neuartigen Entwicklungen in der Judikatur und dem wissenschaftlichen Diskurs befasste sich die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 70. Deutschen Juristentags in Hannover Mitte September 2014 damit, ob eine Reform der Organhaftung erforderlich sei.18 Diskutiert wurde dabei, nach welchen Haftungsmodalitäten de lege ferenda Vorstandsmitglieder Schadensersatz ← 4 | 5 → zu leisten hätten. Der kartellrechtliche Kontext der Organhaftung wurde auf dem 70. Deutschen Juristentag in Hannover nicht gesondert eruiert, wenngleich die grundsätzliche summenmäßige Begrenzung der Regresshaftung in den Fokus der wissenschaftlichen Debatte rückte.19 Der sachgerechten Behandlung dieses Regressrisikos kommt gerade in kartellrechtlichen Fallspezifikationen erhebliche Bedeutung zu, da die betragsmäßige Höhe der kartellbedingten Schadensersatzforderungen sowie Kartellbußen exorbitant sein kann und die sich hierbei ergebenden Summen das Privatvermögen der Organmitglieder regelmäßig um ein Vielfaches übersteigen. Einhergehend mit der wirtschaftlichen und sozialen Existenzvernichtung des betreffenden Organmitglieds wäre selbst bei Obsiegen der Gesellschaft im Regressprozess die erstrittene Regressforderung zu einem verschwindend geringen Prozentsatz vollstreckbar – vorausgesetzt, der D&O-Versicherer verweigert entsprechende Zahlung.

Die nachfolgende Untersuchung richtet ihren Fokus auf die kartellzivilrechtliche Haftung eines AG-Vorstands. Die in den Medien aktuell vermehrt aufgegriffenen Fälle haben größtenteils schwerwiegendes Fehlverhalten in Aktiengesellschaften zum Gegenstand.20 Die Holding der überwiegenden Mehrzahl der DAX-Konzerne ist in der Rechtsform der AG organisiert, wobei die einzelnen Konzerngesellschaften, die das operative und damit kartellanfällige Geschäft ausführen, häufig als GmbH oder GmbH & Co. KG organisiert sind.21 Von den 100 größten Unternehmen Deutschlands sind über 60 % als Aktiengesellschaften organisiert. Zu den größten Unternehmen Deutschlands gehört neben der Volkswagen AG, Daimler AG, Siemens AG, Metro AG, Deutsche Bank AG auch die BMW AG. Die Rechtsform der AG wird gerade bei großen, umsatzstarken und international tätigen Unternehmen gewählt, sodass die als AG organisierten DAX-Unternehmen eine dominierende wirtschaftliche Position einnehmen, selbst wenn die statistische Auswertung – in quantitativer Hinsicht – ein anderes Bild zeichnet: Im Jahr 2014 waren 16.005 Unternehmen als AG und 1.127.620 Unternehmen als GmbH organisiert. Die AG generierte einen Gesamtumsatz von 1.037,476 Mrd. Euro (2012),22 während die GmbH einen solchen in Höhe von 2.203,448 Mrd. Euro erwirtschaftete.23 Allerdings sind die als GmbH ← 5 | 6 → organisierten Unternehmen überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, die auf dem nationalen Wirtschaftsmarkt agieren und oftmals ausschließlich über das gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG vorgeschriebene Mindeststammkapital von 25.000 Euro verfügen.24 Gerade einmal sieben der 100 größten deutschen Unternehmen waren 2012 als GmbH organisiert, wohingegen 64 der „Top 100“ die Rechtsform der AG einnahmen.25 Die AG hat im internationalen Wirtschaftsverkehr eine große wirtschaftliche Bedeutung als Kapitalgesellschaft für den deutschen Wirtschaftsmarkt. Insbesondere vor diesem Hintergrund sollen die börsennotierten Aktiengesellschaften und deren handlungsfähige Vorstandsmitglieder als Leitbild für die nachfolgende Untersuchung fungieren. Die zweitbedeutendste Kapitalgesellschaftsform – die GmbH – wird nicht gesondert begutachtet, wobei an entsprechender Stelle im Untersuchungsverlauf auf Parallelen und Unterschiede hingewiesen wird. Entsprechendes gilt für unterhalb der Vorstandsebene tätige (Vertriebs-)Mitarbeiter in Leitungsfunktion.

Diese Arbeit soll einen Beitrag zur zivilrechtlichen Organhaftung eines AG-Vorstands für Kartellverstöße leisten, die durch die jüngst ergangenen Entscheidungen des LAG Düsseldorf vom 20.01.201526 und des OLG Düsseldorf vom 13.11.201327 wegweisende Grundsätze erfahren hat, die von der Judikatur zu beachten sind. Die aktuelle, auf dem 70. Deutschen Juristentag in Hannover Mitte September 2014 entbrannte Diskussion um eine Reform der Organhaftung wird hierbei aufgegriffen, in den kartellrechtsspezifischen Kontext verortet und einer praxistauglichen Würdigung unterzogen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, welche zivilrechtlichen Haftungsrisiken Kartellverstöße für Organmitglieder haben und ob ein Optimierungsbedarf de lege ferenda besteht.

§ 2  Begriffserklärungen

Die Begrifflichkeiten „Kartellrecht“ und „Wettbewerbsrecht“ werden im Verlauf der Untersuchung als Synonyme verwendet. Wenn mit „Wettbewerbsrecht“ die besonderen Ausprägungen des UWG gemeint sind, wird hierauf hingewiesen.

„Kartellverstöße“ meint „Hardcore-Kartelle“, exemplarisch die in der Praxis weit verbreiteten Preis-, Gebiets- und Quotenabsprachen, die vorsätzlich begangen werden.

Mit „Vorstand“ ist – terminologisch präzise – nicht der AG-Vorstand in seiner Gesamtheit gemeint, sondern vielmehr die einzelnen Mitglieder des Vorstands als natürliche Personen in ihrer Funktion als handlungsfähige Organmitglieder der AG, im Verlauf der Untersuchung auch als „(AG-)Vorstandsmitglieder“ bezeichnet. ← 6 | 7 →

„Unternehmen“ sind nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts zu verstehen, d. h. alle Einheiten, die eine wirtschaftliche Tätigkeit von gewisser Dauer ausüben, unabhängig von ihrer Rechtsform, dem Vorliegen oder Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht, ihrem Tätigkeitsumfang oder der Art ihrer Finanzierung, sog. selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinne;28 darunter können neben juristischen Personen (AG oder GmbH) und Personengesellschaften (GbR, OHG oder KG) auch natürliche Personen subsumiert werden, wenn sie Unternehmensqualität besitzen (Kaufmann). Vielmehr werden mit „Unternehmen“ juristische Personen in der Form der Kapitalgesellschaft erfasst, für die nachfolgende Untersuchung exemplarisch die AG. Dabei werden „Unternehmen“, „Gesellschaft“ und „Aktiengesellschaft (AG)“ als Synonyme verwendet. Wenn mit „Unternehmen“ lediglich solche im Sinne des Kartellrechts gemeint sind, wird hierauf hingewiesen.

§ 3  Gang der Untersuchung

Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet eine Skizzierung der haftungsrelevanten Sanktionen eines Kartellverstoßes (2. Kapitel). Begonnen wird mit einer Darstellung der materiell-kartellrechtlichen Verbotstatbestände. Daran anknüpfend wird das System der Kartellbußgeldsanktionierung beleuchtet, wobei herauszuarbeiten ist, auf welcher Rechtsgrundlage, nach welchen bußgeldrechtlichen Leitprinzipien, gegen wen und in welcher Höhe eine Kartellbuße erlassen werden kann. Ein Überblick über weitere schadensersatz-, arbeits-, straf- und vergaberechtliche Sanktionen schließt das Kapitel ab. Schwerpunktmäßig setzt sich die vorliegende Arbeit mit der Regresshaftung von Organmitgliedern infolge von Kartellverstößen auseinander (3. Kapitel). Zentrale Anspruchsgrundlage im AktG bildet dabei § 93 Abs. 2 AktG. Auf der Basis der Urteile des ArbG Essen29 sowie des LAG Düsseldorf30 wird das Pflichtenprogramm eines Vorstands in kartellrechtsspezifischen Fallkonstellationen erarbeitet. Neben der Legalitätspflicht und ihren Ausprägungen wird die Compliance- Verantwortung des Vorstands aufgezeigt. Dabei sind neben den Voraussetzungen der Implementierung effektiver Compliance-Systeme auch die Grenzen zulässiger Aufgabendelegationen zu untersuchen. Der Vorstand setzt sich personell regelmäßig aus mehreren Vorstandsmitgliedern zusammen, sodass analysiert werden muss, ob und – falls ja – inwieweit diese, die jeweils ein eigenes Ressort unterhalten, für kartellrechtliches Fehlverhalten ihrer Vorstandskollegen haftungsrechtlich einzustehen haben. Insofern könnte ihnen ein fahrlässiges Überwachungsverschulden vorzuwerfen sein. Gerade weil börsennotierte Gesellschaften ihre operativen Geschäfte nicht selten über Tochterunternehmen ausführen, sind konzernweite Compliance-Pflichten eines Konzernvorstands näher zu beleuchten. Im Anschluss hieran folgt schwerpunktartig die Begutachtung des Schadens im Sinne des § 93 ← 7 | 8 → Abs. 2 AktG. Dabei wird zunächst gesetzessystematisch analysiert, ob eine kartellrechtliche Unternehmensgeldbuße überhaupt einen ersatzfähigen Schaden darstellt, für die das hierfür verantwortliche Vorstandsmitglied nach § 93 Abs. 2 AktG zur Haftung herangezogen werden kann. In einem weiteren Schritt ist zu untersuchen, ob der sich aus § 93 Abs. 2 AktG ergebende Regressanspruch summenmäßig auf eine angemessene Höhe begrenzt werden kann. Dabei sind zuvörderst die Begründungs- und Legitimationsansätze für eine grundsätzliche Regressbegrenzung im kartellrechtlichen Kontext aufzuzeigen. Sodann werden verschiedene Instrumentarien der Regressbegrenzung untersucht, bevor die summenmäßige Regressbegrenzung einem dogmatisch überzeugenden Lösungsansatz zugeführt wird. Nach eingehender Untersuchung der zivilrechtlichen Regresshaftung soll versucht werden, eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Vorstands durch das Unternehmen in Gänze auszuschließen oder aber zumindest die finanziellen Folgen eines Kartellverstoßes weitestgehend auf das Unternehmen abzuwälzen, um eine wirtschaftliche kartellbedingte Existenzvernichtung der natürlichen Person auszuschließen. Das 4. Kapitel befasst sich mit der Haftung des Organmitglieds gegenüber kartellgeschädigten Dritten. Im Ausgangspunkt wird analysiert, ob natürliche Personen vom Kreis der Ersatzpflichtigen der kartellrechtlichen Schadensersatznorm des § 33 Abs. 3 GWB erfasst werden. Insoweit erfolgt eine gesetzessystematische Auslegung des § 33 Abs. 3 GWB. Danach wird die kartellbedingte Außenhaftung auf Grundlage allgemeindeliktischer Anspruchsgrundlagen überprüft, namentlich §§ 823, 826, 830 Abs. 2, 831 BGB. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf § 830 Abs. 2 BGB gerichtet, mit dem sich jüngst das OLG Düsseldorf in der Rechtssache Dornbracht/Reutter mit Urteil vom 13.11.201331 auseinanderzusetzen hatte. Nach Darstellung und Würdigung des wegweisenden Dornbracht-Urteils des OLG Düsseldorf zur kartellbedingten Außenhaftung von Organmitgliedern wird der vom OLG Düsseldorf offengelassenen Frage nachzugehen sein, ob der Vorstand als unmittelbar am Kartellverstoß Beteiligter ebenfalls nach § 830 Abs. 2 BGB haftet. Schadensersatzansprüche nach Maßgabe nichtdeliktischer Vorschriften werden in gebotener Kürze aufgezeigt, bevor die Frage aufgeworfen wird, ob die Richtlinie 2014/104/EU vom 26.11.201432 auf die kartellbedingte Organhaftung Auswirkungen hat. Das Kapitel schließt mit einem Legislativvorschlag, der einen Beitrag für eine effizientere Durchsetzung des Kartellrechts leisten soll. Haftungsausschlüsse, Haftungsübernahme­abreden zwischen Vorstand und Unternehmen sowie ihre Grenzen werden im 5. Kapitel untersucht. Zunächst werden die Interessenlagen von Unternehmen und Vorstandsmitglied an organrechtlichen Haftungsbeschränkungen aufgezeigt, bevor ← 8 | 9 → erörtert wird, unter welchen Voraussetzungen eine Schadloshaltung des Vorstandsmitglieds gesetzlich zulässig ist. Dabei werden insbesondere spezifisch gesellschaftsrechtliche, gesetzlich normierte Enthaftungsmechanismen erwogen, nachdem auf rechtsgeschäftliche Haftungsbeschränkungen eingegangen wurde. Die Arbeit endet mit einer thesenartigen Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse (6. Kapitel). ← 9 | 10 →


1 Nachfolgend: VO 1/2003.

2 Entsprechend dem Anmeldesystem der Verordnung Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 86 und 86 des Vertrages vom 6. Februar 1962 erfolgte durch kartellbehördliche Anmeldung einer Vereinbarung oder eines Beschlusses nach konstitutiver kartellbehördlicher Feststellung in Form eines Negativtests im Vorfeld der entsprechenden Maßnahme eine Bußgeldimmunität für das Unternehmen.

3 Auf nationaler Ebene wurde dieser Paradigmenwechsel durch die 7. GWB-Novelle erreicht, Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 15/3640, S. 44.

4 Neben kartellbehördlichen Bekanntmachungen, Mitteilungen und deren Anwendungspraxis sind auch Verordnungen für die Auslegung kartellrechtlicher Vorschriften zu beachten.

5 Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 2005/2006, BT-Drucks. 16/5710, S. 34.

6 Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 2011/2012, BT-Drucks. 17/13675, S. 30.

7 Bundeskartellamt, Pressemittelung vom 05.07.2012, im Internet einsehbar unter [http://www.bundeskartellamt.de] – zuletzt eingesehen am 30.11.2016.

8 Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 2011/2012, BT-Drucks. 17/13675, S. 72; am 18.07.2013 wurde eine weitere Kartellbuße in Höhe von 88 Mio. Euro erlassen.

9 Süddeutsche Zeitung vom 10.12.2012 („ThyssenKrupp verklagt Ex-Manager auf 100 Millionen Euro“), im Internet einsehbar unter [http://www.sueddeutsche.de] – zuletzt eingesehen am 30.11.2016.

10 Focus online vom 10.12.2012 („ThyssenKrupp verklagt Ex-Manager auf 103 Millionen“), im Internet einsehbar unter [http://www.focus.de] – zuletzt eingesehen am 30.11.2016; Süddeutsche Zeitung vom 05.12.2012 („ThyssenKrupp rasiert Vorstand“), im Internet einsehbar unter [http://www.sueddeutsche.de] – zuletzt eingesehen am 30.11.2016.

11 Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom 23.12.2014, im Internet einsehbar unter [http://www.bundeskartellamt.de] – zuletzt eingesehen am 30.11.2016.

12 EU-Kommission, Pressemitteilung vom 27.06.2017, im Internet einsehbar unter [http://ec.europa.eu/germany/news/eu-kommission-verhängt-geldbuße-von-242-milliarden-euro-gegen-google_de] – zuletzt eingesehen am 07.07.2017; Frankfurter Allgemeine online vom 27.06.2017 („Google erwägt Klage gegen Rekordbuße“), im Internet einsehbar unter [http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/google/urteil-gegen-google-eu-kommission-verhaengt-rekord-busse-15079508.html] – zuletzt eingesehen am 07.07.2017.

13 Rust, ZWeR 2015, 299 (309).

14 Bekanntmachung Nr. 9/2006 des Bundeskartellamtes über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006, BAnz. Nr. 52 v. 15.03.2006, S. 1667 (nachfolgend: Bekanntmachung Nr. 9/2006); Pendant auf europäischer Ebene ist die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (sog. Leniency-Regelung, nachfolgend: EU-Bonusregelung), ABl. v. 08.12.2006 Nr. C 298, S. 17; „Bonusregelungen“ und „Kronzeugenreglungen“ werden nachfolgend als Synonyme verwendet und zur Differenzierung sowie Kenntlichmachung wird hinter die entsprechende Ziff. der Bekannmachtung Nr. 9/2006 „(D)“ für „Deutsche Bonusregelung“ und hinter die entsprechenden Ziff. der EU-Bonusregelung „(EU)“ für „EU-Bonusregelung“ platziert.

15 ArbG Essen, Urt. v. 19.12.2013 – 1 Ca 657/13, NZKart 2014, 193.

16 LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2015 – 16 Sa 459/14, BB 2015, 1018.

17 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.11.2013 – VI-U (Kart) 11/13, NZKart 2014, 68; Grund für die Nichtexistenz derartiger Gerichtsentscheidungen ist mitunter, zusätzliche gesellschaftsinterne Ermittlungen, verbunden mit medialer Publizität im Anschluss an langwierige, öffentlichkeitswirksame kartellbehördliche Verfahren der Geschäftstätigkeit und der effektiveren Zusammenarbeit der Organe wegen zu vermeiden.

18 Eingehend Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag, E 9 ff.

19 Eingehend Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag, E 56 ff.

20 So etwa die Korruptionsaffäre des Finanzvorstands der Siemens AG, Heinz-Joachim Neubürger, oder die Anklage gegen die Co-Vorstände, Jürgen Fitschen und Josef Ackermann, der Deutschen Bank AG. Ein weiteres prominentes Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Schadensersatzforderung gegen den Vorstand der MAN AG, Håkan Samuelsson, in Höhe von 237 Mio. Euro, ebenfalls wegen einer Korruptionsaffäre.

21 Dazu die jüngst vom LAG Düsseldorf mit Urteil vom 20.01.2015 in der Rs. 16 Sa 459/14 zu entscheidende Fallkonstellation, in der der Geschäftsführer (Uwe Selbach) einer Tochtergesellschaft des ThyssenKrupp-Konzerns (GfT Gleistechnik GmbH) u. a. von dieser in Regress genommen wurde.

22 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 6 Rn. 5; Kornblum, GmbHR 2014, 694 (695).

23 Statistisches Jahrbuch Deutschlands 2014, S. 276.

24 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 6 Rn. 8.

25 20. Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013, BT-Drucks. 18/2150, S. 192.

26 LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2015 – 16 Sa 459/14, BB 2015, 1018.

Details

Seiten
366
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631736227
ISBN (ePUB)
9783631736234
ISBN (MOBI)
9783631736241
ISBN (Hardcover)
9783631735282
DOI
10.3726/b11994
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
Corporate Compliance Kartellrechtliche Unternehmensgeldbuße Summenmäßige Regressbegrenzung Kartellgeschädigte Haftungsausschlüsse EU-Kartellschadensersatz-Richtlinie Kartellbedingte Organhaftung
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XVIII, 366 S.

Biographische Angaben

Julian Wacker (Autor:in)

Julian Wacker studierte Rechtswissenschaften mit kartellrechtlichem Schwerpunkt an der Eberhard Karls Universität Tübingen und wurde an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg promoviert.

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Titel: Persönliche Schadensersatzhaftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Kartellverstöße
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