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Das Problem der Zurechnung bei Gremiumsentscheidungen am Beispiel des § 266 StGB

Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung zwischen Deutschland und Südkorea

von Hwang Heo (Autor:in)
©2017 Dissertation 254 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die strafrechtliche Fragestellung, ob und wie der straftatbestandsmäßige Erfolg, der auf eine Gremiumsentscheidung zurückgeführt werden kann, dem einzelnen Mitglied des Gremiums zurechenbar ist. Dieser strafrechtlich relevante Vorgang kann in verschiedenen Lebensbereichen wie etwa Wirtschaft, Medizin, Politik, Presse oder Rechtspflege erscheinen und sich dementsprechend in diversen Straftaten äußern. Der Fokus des Buchs liegt dabei auf den strafrechtsdogmatischen Fragen nach der Kausalität, der objektiven Zurechnung und den Täterschaftsformen bei den Gremiumsentscheidungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil 1: Einführung
  • A. Allgemeines
  • I. Arbeitsteilung und Schuldverteilung
  • II. Die Straftaten durch Kollegialentscheidungen
  • B. Methode und Gegenstand der Arbeit
  • I. Die Fallbearbeitung im Rahmen der Erfolgsdelikte und die Rechtsvergleichung
  • II. Die Stimmberechtigten
  • III. Das Verhältnis zwischen § 13 und § 266 StGB
  • Teil 2: Die Strafbarkeit von Mitgliedern eines Gremiums in Einzelfällen
  • A. Fall 1: Die rechtswidrig-einstimmigen Abstimmungen
  • I. Als Nebentäter: §§ 266, 25 Abs. 1 1. Alt. StGB
  • 1. Einstimmigkeitsprinzip
  • 1) Täterkreis
  • 2) Kausalität
  • (1) Allgemeine Bestimmung
  • a. Ursache und Bedingung
  • b. Die Relation von Ursache und Wirkung
  • i. Die Formel der notwendigen Bedingung
  • ii. Die Formel der INUS-Bedingung
  • iii. Das deduktiv-nomologische Modell
  • (2) Der Kausalzusammenhang bei menschlichen Handlungen
  • a. Die Äquivalenz der Bedingungen
  • b. Das Hinwegdenken oder die Gesetzmäßigkeit?
  • c. Der Erfolg in seiner konkreten oder abstrakten Gestalt?
  • i. Die Erforderlichkeit des Merkmals „unter den gegebenen Umständen“ für die Feststellung des Kausalzusammenhangs
  • ii. Die abstrakte Betrachtungsweise des tatbestandlichen Erfolgs
  • iii. Stellungnahme
  • d. Hypothetische Kausalität?
  • (3) Besonderer Fall: kumulative Kausalität
  • (4) Zwischenergebnis
  • 3) Objektive Zurechnung
  • (1) Allgemeine Bestimmung
  • a. Das interpersonale Rechtsverhältnis als soziale Wirklichkeit
  • b. Die Rechtsverhältnisverletzung als rechtlich missbilligte Risikoschaffung
  • c. Die Risikorealisierung im Erfolg
  • i. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang
  • ii. Der Schutzzweck der Norm
  • (2) Anwendung auf die durch die kumulative Kausalität gekennzeichnete Fallkonstellation
  • a. Die Lösung mit Hilfe des Irrtums über den Kausalverlauf
  • b. Die Lösung mit Hilfe der Adäquanztheorie
  • c. Die Lösung mit dem Vollendungsunrecht
  • d. Stellungnahme
  • (3) Anwendung auf die kollegialentscheidungsspezifische Fallkonstellation
  • 4) Ergebnis zur Nebentäterschaft beim Einstimmigkeitsprinzip
  • 2. Mehrheitsprinzip
  • 1) Täterkreis
  • 2) Kausalität
  • (1) Besonderer Fall: alternative Kausalität
  • a. Die Lösung mit Hilfe der modifizierten conditio-Formel
  • b. Die Lösung mit der hinreichenden Bedingung
  • c. Die Lösung mit der gemeinsamen Kausalität
  • d. Die Lösung von Puppe
  • e. Kritische Stellungnahme
  • (2) Das Sonderproblem beim Mehrheitsprinzip
  • 3) Objektive Zurechnung
  • (1) Anwendung auf die sog. alternative Kausalität
  • a. Die rechtlich missbilligte Risikoschaffung
  • b. Die Risikorealisierung im Erfolg?
  • (2) Anwendung auf die kollegialentscheidungsspezifische Fallkonstellation
  • 4) Zwischenergebnis
  • 3. Einschlägigkeit der nebentäterschaftlichen Betrachtungsweise in anders gelagerten Fällen
  • 1) Entscheidung nach dem Einstimmigkeitsprinzip
  • 2) Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip
  • 3) Vorzugswürdigkeit einer mittäterschaftlichen Lösung
  • II. Als Mittäter: §§ 266, 25 Abs. 2 StGB
  • 1. Die Voraussetzungen für die mittäterschaftliche Zurechnung
  • 1) Das (inter-) subjektive Element
  • 2) Das objektive Element
  • (1) Die Lehre vom sog. Täterwillen und ihre Kritik
  • (2) Die Lehre vom sog. Gesamtsubjekt und ihre Kritik
  • (3) Die Lehre vom wesentlichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium und ihre Kritik
  • (4) Die Lehre vom wesentlichen Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium
  • a. Darstellung
  • b. Abgrenzung zur mittelbaren Täterschaft in hierarchischen Strukturen
  • i. Problemstellung
  • ii. Der sog. Täter hinter dem Täter
  • i) In staatlicher Organisationen
  • ii) In nichtstaatlichen Organisationen
  • iii. Zwischenergebnis
  • (5) Exkurs: Anforderungen an die Kausalität für die mittäterschaftliche Zurechnung
  • a. Allgemeines
  • b. Alternative und additive Mittäterschaft
  • c. Kausalität zwischen Ausführungshandlungen
  • (6) Exkurs: Die sog. fahrlässige Mittäterschaft
  • a. Einleitung
  • b. Die kritische Würdigung der Ansätze zur sog. fahrlässigen Mittäterschaft
  • i. Die auf dem sog. „gemeinsamen Handlungsprojekt bzw. -plan“ beruhende Gemeinschaftlichkeit
  • i) Dencker
  • ii) Kim, S.R.
  • iii) Renzikowski
  • ii. Die gemeinsame Sorgfaltspflichtverletzung – Weißer
  • iii. Die gemeinsame Risikoschaffung bzw. -erhöhung und die Risikorealisierung – Otto
  • iv. Die Notwendigkeit der kumulativen Zusammenwirkung – Kamm
  • c. Fazit
  • 2. Anwendung auf den Fall 1
  • 1) Die einstimmige Abstimmung als gemeinsamer Tatentschluss
  • (1) Die Abstimmung nach vorheriger Absprache
  • (2) Die Abstimmung ohne vorherige Absprache
  • 2) Die einstimmige Abstimmung als gemeinsame Tatausführung?
  • III. Fazit
  • B. Fall 2: Die rechtmäßig-überstimmte Gegenstimme
  • I. Als Täter: §§ 266, 25 Abs. 1 1. Alt. StGB
  • 1. Die rechtmäßig-überstimmte Gegenstimme
  • 2. Die Strafwürdigkeit von Verhalten im Vorfeld der Abstimmung
  • 1) Vorbemerkung
  • 2) Teilnahme an der Abstimmung selbst
  • (1) Kausalität
  • (2) Pflichtwidrigkeit
  • a. Allgemeines
  • b. Sonderkonstellation: Im Fall der absoluten Aussichtlosigkeit eines rechtmäßigen Beschlussergebnisses
  • 3) Mittäterschaft durch die Teilnahme an der Abstimmung?
  • (1) Allgemeines
  • (2) Fallabwandlung: Im Fall der vorherigen Absprache – Gegenstimme als Distanzierung von der Absprache?
  • a. Abstimmung als Vorbereitungshandlung
  • b. Abstimmung als Versuchshandlung
  • 3. Exkurs: Die Strafwürdigkeit von Verhalten im Nachhinein der Abstimmung
  • 1) Durch Tun
  • 2) Durch Unterlassen
  • (1) Möglichkeit und Erforderlichkeit der Strafbarkeit des nachherigen Verhaltens
  • (2) Quasi-Kausalität des Unterlassens
  • (3) Exkurs: Bewirken durch Unterlassen
  • (4) Garantenstellung
  • (5) Täterschaftliche oder teilnehmerische Beteiligung durch Unterlassen an Begehungsdelikten?
  • a. Die Lösung nach der animus-Theorie
  • b. Die Lösung nach der klassischen Tatherrschaftslehre
  • c. Die Lösung mit der einheitlichen Beihilfe
  • d. Die Lösung mit dem Unterlassungstäter
  • e. Die Lösung nach der Beschützer- und Überwachungsgarantenpflicht
  • f. Die Lösung nach dem Schutzzweck der Garantenpflicht
  • g. Stellungnahme
  • (6) Neben- oder Mittäterschaft?
  • (7) Ergebnis
  • II. Als Gehilfe: §§ 266, 27 StGB?
  • C. Fall 3: Die Stimmenthaltung
  • I. Als Nebentäter: §§ 266, 25 Abs. 1 1. Alt. StGB
  • 1. Tun oder Unterlassung?
  • 2. Tatbegehung durch positives Tun: §§ 266, 25 Abs. 1 1. Alt. StGB
  • 3. Tatbegehung durch Unterlassen: §§ 266, 25 Abs. 1 1. Alt. i.V.m. § 13 StGB
  • 1) Die sog. Quasi-Kausalität der Rspr.
  • 2) Die sog. Risikoverminderungstheorie und ihre Kritik
  • 3) Die Quasi-Kausalität im sog. normativen Ausgangspunkt und ihre Kritik
  • 4) Zwischenergebnis und die Pattsituation
  • II. Als Mittäter: §§ 266, 25 Abs. 2 StGB
  • 1. Durch Tun
  • 2. Durch Unterlassen
  • III. Ergebnis
  • D. Fall 4: Nichtteilnahme am Beschlussverfahren
  • E. Fall 5: Die gemeinsame Untätigkeit in einer Notsituation
  • I. Als Nebentäter durch Unterlassen?
  • 1. Einstimmigkeitsprinzip
  • 1) Die Pflichtwidrigkeit der Unterlassung
  • 2) Die sog. Quasi-Kausalität
  • (1) Die sog. alternative Quasi-Kausalität
  • (2) Die sog. kumulative Quasi-Kausalität
  • a. Die Lösung von BGHSt 48, 77 und ihre Kritik
  • b. Die Lösung von BGHSt 37, 106, 126 ff. und ihre Kritik
  • (3) Zwischenergebnis
  • 2. Mehrheitsprinzip
  • 3. Fazit
  • II. Als Mittäter durch mehrere Unterlassen: §§ 266, 25 Abs. 2, 13 StGB
  • 1. Möglichkeit und Erforderlichkeit der Mittäterschaft durch das (unechte) Unterlassen
  • 2. Anforderungen an den gemeinsamen Tatentschluss durch Unterlassen mehrerer
  • 3. Ergebnis
  • F. Fall 6: Das geheime Beschlussverfahren
  • G. Fall 7: Die überstimmte rechtswidrige Stimmabgabe
  • I. §§ 224 und 22 ff. StGB
  • II. §§ 224 und 30 I StGB
  • H. Zusammenfassung – Die Strafbarkeit von Mitgliedern eines Gremiums in Einzelfällen
  • I. Zum Fall 1: Die rechtswidrig-einstimmigen Abstimmungen
  • II. Zu den Fällen 2 und 6: Die rechtmäßig-überstimmte Gegenstimme und das geheime Beschlussverfahren
  • III. Zu den Fällen 3 und 4: Die Stimmenthaltung und Nichtteilnahme am Beschlussverfahren
  • IV. Zum Fall 5: Die gemeinsame Untätigkeit in Notsituation
  • V. Zum Fall 7: Die rechtswidrig-überstimmte Abstimmung
  • Teil 3: Rechtsvergleichung
  • A. Einleitung
  • B. Rechtslage
  • I. Kausalität bzw. objektive Zurechnung
  • 1. § 17 KStGB
  • 2. § 19 KStGB
  • 3. § 263 KStGB
  • 1) Legitimationsfrage
  • 2) Rechtsnatur
  • 3) Anwendungsbereich
  • II. Mittäterschaft
  • 1. Die sog. Verabredungsmittäterschaft
  • 2. Die sog. sukzessive Mittäterschaft
  • 3. Die sog. fahrlässige Mittäterschaft
  • 4. Die Mittäterschaft durch Unterlassen
  • III. Beteiligung und besondere persönliche Eigenschaften
  • IV. Fazit
  • C. Anwendung auf die Fallkonstellationen von Teil 2
  • Literaturverzeichnis

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Teil 1: Einführung

A.   Allgemeines

I.   Arbeitsteilung und Schuldverteilung

Das moderne Menschenleben kann in vielerlei Hinsicht erst durch die Mitwirkung anderer im Rahmen einer funktionellen, strukturellen Arbeitsteilung ermöglicht werden.1 Die derart organisierte Mitwirkung und die Arbeitsteilung haben nicht nur einen hohen gesellschaftlichen Nutzen, sondern bewirken in nicht unerheblichem Maße soziale Übel.2 Daher sind soziale Schutzvorkehrungen zu treffen, zu denen auch die strafrechtlichen Maßnahmen gehören.

Im Strafrecht spiegelt sich dies in Delikten wider, an denen mehrere Täter beteiligt sind. Diese Delikte haben in Hinsicht auf die Beeinträchtigung des Rechts umfangreichere Auswirkungen, als die von einer einzelnen Person begangenen Straftaten. Dennoch pflegt jeder einzelne Mittäter für sich genommen, sich wenig daran schuldig zu fühlen.3 Hierbei spielt im Hintergrund das psychologische Phänomen eine Rolle, dass jeder Mensch durch die Bildung einer Gruppe die Hemmung vor Fehlverhalten leichter als allein zu überwinden pflegt. So liegt es auch bei Kollegialentscheidungen, die in einem gewissen Verfahren von mehreren Entscheidungsberechtigten getroffen werden.

II.   Die Straftaten durch Kollegialentscheidungen

Vor diesem Hintergrund befasst sich diese Arbeit mit der strafrechtlichen Bewertung der Strafbarkeit von Gremiumsmitgliedern bei Kollegialentscheidungen, die insbesondere bei dem Betrieb eines Unternehmens eine wichtige Rolle spielen. Eine Kollegialentscheidung hin zu einem wirksamen Beschluss, durch den z.B. eine Gesellschaft allererst rechtliche Willens- und Handlungsfähigkeit besitzen kann, ist ein Prozess, an dem sich mehr als eine Person beteiligt. Kollegialentscheidungen können im Grunde genommen nicht nur in wirtschaftlichen Unternehmen, sondern in fast allen Arten von menschlichen Zusammenschlüssen, z.B. (Bundes- oder Landes-)Regierung, ← 15 | 16 → Klinikum, Kirche, Schule, Verein usw. auftreten.4 Dazu zählen auch die illegalen Organisationen, deren Bildung als solche schon Gegenstand strafrechtlicher Betrachtung ist. Strafrechtlich bedeutsam sind vorwiegend die Bereiche Wirtschaft, Umwelt und Medizin, in denen Rechtsgüter, wie das Vermögen, das menschliche Leben und die körperliche Unversehrtheit durch die Entscheidung von mehreren gefährdet werden können.5 Mit Blick auf die strafrechtliche Bewertung von Kollegialentscheidungen ist fraglich, ob die kollektiven Entscheidungen mehrere Körperverletzungen im Sinne des §§ 223 ff. StGB (vgl. insbesondere im sog. Lederspray-Fall)6 oder Vermögensbeeinträchtigungen gem. § 266 StGB (vgl. vor allem den sog. Mannesmann-Fall)7 darstellen. Nicht zu übersehen sind gleichfalls die Fälle, in denen die Verletzung bzw. Gefährdung von Umweltgütern auf eine mehrköpfige Entscheidung im Rahmen unternehmerischer Tätigkeiten zurückgeführt werden kann. Und es ist auch noch denkbar, dass gleichrangige Chefärzte mehrerer Abteilungen eines Klinikums aufgrund ihres gemeinsamen fehlerhaften Beschlusses eine für die Rettung eines Patienten notwendige Behandlungsmaßnahme nicht rechtzeitig vornehmen, was zum Tod bzw. einer schweren Körperverletzung führt. In Betracht kann außerdem die Rechtsbeugung nach § 339 StGB bei der Urteilsfindung durch mehrere Richter kommen.8

Wegen der soeben geschilderten Vielfalt der Verhaltensformen, durch die sich Kollegialentscheidungen vollziehen, sind mit Blick auf die weitere Untersuchung und den sich anschließenden Vergleich von deutschem und koreanischem Strafrechtssystem allerdings einige Einschränkungen hinsichtlich Methode und Umfang der Arbeit vorzunehmen.

B.   Methode und Gegenstand der Arbeit

I.   Die Fallbearbeitung im Rahmen der Erfolgsdelikte und die Rechtsvergleichung

Methodisch geht diese Arbeit von der Bearbeitung von sieben Ausgangsfällen aus,9 deren strafrechtliche Relevanz sich im Rahmen der Erfolgsdelikte bewegt. Ihr liegen Fallkonstellationen zugrunde, in denen typischerweise mehrere gleichberechtigte Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder10 einen Straftatbestand als Organmitglieder ← 16 | 17 → durch Teilnahme am „Zustandekommen eines Beschlusses“ verwirklichen.11 Sie wirken an der Willensbildung des Kollegialorgans durch Teilnahme am Beschlussverfahren mit.12 Dabei setzt sich das Beschlussverfahren selbst aus mehreren Schritten zusammen. Typischerweise sind dies Einberufung des betroffenen Organs, Antrag über einen Abstimmungsgegenstand, Sachdiskussion bzw. Vorbesprechung, Abstimmung und Beschlussfassung mit Feststellung des Ergebnisses der Abstimmung. Vom Beschluss als Ergebnis der abgegebenen Stimmen ist die einzelne Stimmabgabe (also: die Abstimmung) zu unterscheiden.13 Sie stellt eine empfangsbedürftige Willenserklärung dar.14 Die Arbeit interessiert sich vor allem für die strafrechtliche Beteiligungsform bei der Mitwirkung an einer Abstimmung. Die Umsetzung des gefassten Beschlusses führt danach zur Tatbestandsverwirklichung. Das Ziel der Arbeit liegt darin zu untersuchen, ob und ggf. wie der an einer Entscheidung Beteiligte für eine Straftatbestandsverletzung verantwortlich ist.

Teil 2 widmet sich der Problematik von Kollegialentscheidungen anhand verschiedener Fallbetrachtungen. Beginnend mit Fall 1 wird zunächst das pflichtwidrige Stimmverhalten bei Abstimmungen nach dem Einstimmigkeits- und Mehrheitsprinzip untersucht. Insb. werden in diesem Zusammenhang eingehend auch die Kausalität sowie die sog. objektive Zurechnung beim Erfolgsdelikt sowie auch die Rechtsfigur der Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB untersucht. Im Folgenden werden jenseits des pflichtwidrigen Abstimmungsverhaltens des Entscheidungsberechtigten durch aktives Tun (Fall 1 und Fall 7) auch das überstimmte rechtmäßige Stimmverhalten (Fall 2) wie auch die Stimmenthaltung (Fall 3) betrachtet. Unsere Studie geht ferner auf die Besonderheiten geheimer Abstimmungsverfahren (Fall 6) sowie auf die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens jenseits des eigentlichen Abstimmungsvorganges, insb. die Nichtteilnahme an der Abstimmung (Fall 4) sowie die Untätigkeit mehrerer Garanten trotz Rettungspflicht (Fall 5) ein. ← 17 | 18 →

Je nach der Regelung (hier Satzung bzw. Geschäftsordnung) für die Beschlussfähigkeit sowie den wirksamen Beschluss15 kann man sich auch an einem anderen Ort mit verschiedenen technischen Geräten z.B. telefonisch oder per Internet an dem Entscheidungsverfahren beteiligen. Der lokale Unterschied begründet keine Besonderheit, solange es keinen Anhaltspunkt gibt, dass eine derartige Beteiligung am Verfahren anders als die unmittelbare Stimmabgabe bewertet werden muss.

Teil 3 der Arbeit nimmt einen Rechtsvergleich zwischen Deutschland und Korea vor. Dabei orientiert sich der Vergleich in Inhalt und Umfang an den Ergebnissen von Teil 2. Gleichwohl wird die Rechtsvergleichung in groben Zügen vorgenommen werden können, da die strafrechtsdogmatischen Probleme, die typischerweise mit der Gremienentscheidung verknüpft sind, im Koreanischen Recht noch nicht hinreichend aufgearbeitet worden sind.

Rechtspolitische Gesichtspunkte, die im Rahmen der Thematik der Strafbarkeit von Kollegialentscheidungen einschlägig sind, werden in der Arbeit hingegen überwiegend nicht behandelt. Vielmehr konzentriert sich die Untersuchung zuerst auf die nähere Analyse der Sachverhalte, die typisch in kollegialen Entscheidungsverfahren auftreten. Im Anschluss hieran geht es um die Rechtsfrage, wie die in Betracht kommenden Strafrechtsnormen beider Rechtssysteme auszulegen sind sowie ob und wie die analysierten Sachverhalte hierunter subsumiert werden können. Insofern die Rechtsdogmatik auf rechtspolitische Fragen antwortet, werden diese aber dort erwähnt, wo es erforderlich ist.

II.   Die Stimmberechtigten

Nur Entscheidungsträger, d.h. Teilnahme- und Stimmberechtigte kommen bei der Prüfung der Strafbarkeit in Betracht. Personen, die – wie z.B. Sachverständige – nicht entscheidungsbefugt sind, aber durch ihre Funktion zur Entscheidung ← 18 | 19 → beitragen, sind von der täterschaftlichen Strafbarkeit ausgeschlossen.16 Das kann freilich anders sein, wenn der Sachverständige die Entscheidungsberechtigten täuscht (mittelbare Täterschaft) oder lediglich Fahrlässigkeit in Betracht kommt (Einheitstäterbegriff). Da es aber vorliegend um die strafrechtliche Beurteilung von Gremienentscheidungen anhand von § 266 StGB gehen soll, fehlt es für ersteres an der Sonderpflicht und für letzteres schon an einem entsprechenden Tatbestand.

III.   Das Verhältnis zwischen § 13 und § 266 StGB

Die Arbeit geht in den Fällen 1 bis 6 von den Fallkonstellationen aus, in denen mehrere Täter durch die Teilnahme am Beschlussverfahren den Tatbestand des § 266 StGB verwirklicht haben können. Da § 266 StGB für Täterschaft eine Garantenpflicht zur Vermögensbetreuung voraussetzt, stellt sich die Frage, ob § 13 StGB anzuwenden ist. Der BGH hat dies bislang offen gelassen.17 Im sog. Siemens-Fall hat der 2. Strafsenat § 13 Abs. 1 StGB ausdrücklich auch im Kontext des § 266 StGB angewendet.18 Allerdings dürfte formal gesehen § 13 Abs. 1 StGB keine Anwendung finden, da die Untreue eine Garantenstellung sui generis mit dem überschießenden Inhalt einer Geschäftsbesorgung voraussetzt.19 Trotzdem scheint eine Anwendung von § 13 StGB vorzugswürdig, weil die Unterlassungslehre im Allgemeinen Teil des Strafrechts entwickelt wurde und das Gedankengut von der Unterlassungsdogmatik auch auf die Untreue materiell übertragbar ist. Im Fall 7 wird indes als Ausgangsbeispiel die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB angenommen, um zu zeigen, ob der Täter durch die rechtswidrig-überstimmte Abstimmung das Versuchsunrecht verwirklichen könnte. ← 19 | 20 →


1 Zippelius, Einführung, 6. Aufl., S. 1.

2 Bottke, GA 2001, 463.

3 Zum sog. Grundsatz der „organisierten Unverantwortlichkeit“ siehe, Kraatz, Die fahrlässige Mittäterschaft, 2006, S. 110; Otto, Jura 1998, 409; Franke, FS-Blau, 1985, 227, 244; Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 146; dens., in: Alwart [Hrsg.], Verantwortung und Steuerung von Unternehmen in der Marktwirtschaft, 1998, S. 90, 91; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 291; zum Gegenkonzept der „organisierten Verantwortlichkeit“, Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 4. Aufl., 2008, S. 394 ff., 457.

4 Dencker, Kausalität, 1996, S. 117; Franke, FS-Blau, 1985, 227, 229, 235.

5 Franke, FS-Blau, 1985, 227, 235.

6 BGHSt 37, 106 ff.

7 BGH NJW 2006, 522 ff.

8 LK/Spendel, 10. Aufl., § 336 Rn. 110; Dencker, Kausalität, 1996, S. 182 ff.

9 Siehe unten, Teil 2.

10 Hingegen, werden – da sich die Arbeit für die kollektive Haftung mehrerer Beteiligter für Rechtsgutverletzungen oder -gefährdungen interessiert – Stichentscheide bei den sog. Pattsituationen außer Acht gelassen. Ebensowenig ist die Beschlussfassung bei einer Einmann-AG von Interesse.

11 Beschluss ist nach den Bestimmungen des AktG bzw. des BGB die „Willensbildung bzw. -erklärung“ eines Organs durch ein Verfahren, das dem „Prinzip der Mehrheit der abgegebenen Stimmen“ unterliegt, Palandt/Ellenberger-BGB, 75. Aufl., § 28 Rn. 2; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 133 Rn. 2; Spindler in K. Schmidt/Lutter [Hrsg.], AktG, 2. Aufl., § 133 Rn. 2. Bei ihm handelt es sich nicht um Vertrag, weil die dem Beschluss zugrundeliegende Abstimmung nicht auf eine „Willensübereinstimmung“, die „Einstimmigkeitsprinzip“ unterliegt, abzielt, sondern auf eine „Entscheidung durch Feststellung des Mehrheitswillens“, MK/Arnold-BGB, 7. Aufl., § 32 Rn. 23 und 40; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 119 Rn. 3. Die Arbeit erweitert sich aber auch auf die Konstellation, in der der Beschluss aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips getroffen wird, Siehe unten, Teil 2 A. I. 1.

12 Zum Begriff der Kollegialdelinquenz, Franke, FS-Blau, 1985, 227, 237.

13 MK/Arnold-BGB, 7. Aufl., § 32 Rn. 24; BGHSt 37, 106, 127.

14 MK/Arnold-BGB, 7. Aufl., § 32 Rn. 40.

15 § 77 Abs. 1 AktG regelt das Prinzip der gemeinschaftlichen Geschäftsführung, wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht. Danach ist der Vorstand als Organ handlungsfähig, wenn alle Mitglieder der Maßnahme ausdrücklich oder konkludent zugestimmt haben. Die Willensbildung bzw. -erklärung vollzieht sich also durch einstimmigen Beschluss, Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 77 Rn. 6. Die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands kann jedoch gemäß § 77 Abs. 1 S. 2 AktG mehrheitliche Beschlussfassung vorsehen, Fleischer, BB 2004, 2645. Das einfache Mehrheitsprinzip als Mindestbedingung für einen Beschluss nach § 77 Abs. 1 S. 2 a.E. AktG bedeutet dabei, dass die Zahl der gültigen „Ja-Stimmen“ die der gültigen „Nein-Stimmen“ um wenigstens eine übertrifft, Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 42 Rn. 4; Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 133 Rn. 12. Es räumt der Mehrheit das Recht ein, zu entscheiden und die Minderheit zu binden, verpflichtet diese aber nicht, die Auffassung der Mehrheit zu übernehmen, BVerfGE 2, 143. Darüber hinaus erlaubt die Satzungsautonomie auch die Festlegung einer qualifizierten Mehrheit. MK/Arnold-BGB, 7. Aufl., § 32 Rn. 45.

16 Im Lederspray-Fall ist dies beim Angeklagten, Dr. B, der Fall. Er hat als Chefchemiker durch seinen fachmännischen Rat zum Ausbleiben des Rückrufs beigetragen. Er wurde in erster Instanz als Gehilfe im Rahmen der gefährlichen Körperverletzung verurteilt, was aber vom Revisionsgericht abgelehnt wurde, BGHSt 37, 106, 111.

17 BGHSt 36, 227, 228.

18 BGH NJW 2009, 89, 91.

19 S/S/Perron, 29. Aufl., § 266 Rn. 35; SSW/Saliger, 2. Aufl., § 266 Rn. 33. Für die (analoge) Anwendbarkeit von § 13 Abs. 2 sprechen sich Lackner/Kühl, 28. Aufl., § 266 Rn. 2; LK/Schünemann, 12. Aufl., § 266 Rn. 202; MK/Dierlamm, 2. Aufl., § 266 Rn. 142; NK/Kindhäuser, 4. Aufl., § 266 Rn. 28 aus.

Details

Seiten
254
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631736449
ISBN (ePUB)
9783631736456
ISBN (MOBI)
9783631736463
ISBN (Paperback)
9783631735848
DOI
10.3726/b12019
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Kollektive Entscheidungen Nebentäterschaft Kausalität Mittäterschaft Unterlassungsdelikt
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 254 S.

Biographische Angaben

Hwang Heo (Autor:in)

Hwang Heo studierte Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Chung-Ang University in Seoul, an der Kyungpook National University in Daegu in Südkorea und an der Georg-August-Universität Göttingen in Deutschland.

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