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Die Diözese Budweis in den Jahren 1785–1850

Das Aschenputtel unter den Diözesen

von Miroslav Novotný (Autor:in) Rudolf Svoboda (Autor:in) Lenka Martinková (Autor:in) Marie Ryantová (Autor:in) Tomás Veber (Autor:in)
©2018 Monographie 250 Seiten

Zusammenfassung

Die Autoren des Buches stellen die Geschichte der Budweiser Diözese dar und reflektieren hierbei aktuelle Forschungsansätze. Das Buch zeichnet ein komplexes Bild der Entstehung und territorialen wie verwaltungstechnischen Entwicklung der Diözese in den Jahren 1785–1850. Die Autoren arbeiten mit neuen Perspektiven die wirtschaftlichen Bedingungen heraus und dokumentieren die Tätigkeit der einzelnen Bischöfe, des bischöflichen Konsistoriums und Kapitels. Dieses Buch bietet eine gründliche und systematische Analyse verschiedener Facetten des Lebens der Geistlichen in Südböhmen: besondere Aufmerksamkeit gilt ihrer sozialen und nationalen Herkunft, ihrer Ausbildung und Erziehung sowie ihrem Alltag und ihren Aktivitäten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einleitung (Miroslav Novotný)
  • Warum Aschenputtel
  • Literatur und Quellen
  • Kapitel I. Der Staat, die Kirche und die Nation in den böhmischen Ländern zwischen Josephinismus und Konkordat (Rudolf Svoboda / Miroslav Novotný)
  • Jansenismus und Josephinismus
  • Josephinismus und Restauration
  • Restauration, Revolution und Nation
  • Kapitel II. Diözese Budweis 1783/85–1850: Der Aufbau von Fundamenten (Rudolf Svoboda / Miroslav Novotný)
  • Was ging voran
  • Anfänge der Diözese
  • Gründerjahre (1785–1815)
  • Wachstumsjahre: 1815–1850
  • Kapitel III. Verwaltung der Diözese (Lenka Martínková / Rudolf Svoboda / Marie Ryantová)
  • Bischöfe
  • Materielle und finanzielle Absicherung des Bistums
  • Domkapitel
  • Verwaltungszentrum der Diözese
  • Konsistorialkanzlei
  • Verwaltungsperipherie der Diözese
  • Pfarreien
  • Klerus
  • Kapitel IV. Erziehung und Ausbildung der Geistlichen (Miroslav Novotný / Tomáš Veber)
  • Pastores boni
  • Gymnasien
  • Philosophisches Lyzeum
  • Bischofsseminar und die theologische Lehranstalt
  • Schluss (Miroslav Novotný)
  • Summary. The Diocese of Budweis in the years 1785 to 1850: Cinderella among Dioceses (Englisch)
  • Auswahl aus den Quellen und der Literatur zum Thema
  • Reihenübersicht

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Miroslav Novotný

Einleitung

Warum Aschenputtel

Das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts stellen aus Sicht der katholischen Kirche eine gewissermaßen eigenständige Etappe dar, die zuerst mit dem rasanten Anstieg der das spätbarocke religiöse Milieu im ganzen Lande verändernden aufklärerischen Reformen gekennzeichnet wird. Nachfolgend, nach 1792, und besonders nach dem Abschluss der Napoleonischen Kriege, kam es zur allmählichen Abschwächung der vorhergehenden hektischen Reformgärung und zu ihrer Umorientierung in das ruhige Strombett des restaurierten konservativen österreichischen Katholizismus der Vormärzzeit. Diese staatliche katholische Restauration bemühte sich zwar auf einer Seite (oft auch sehr unnachgiebig) alle nicht konformen Stellungnahmen und ihre Träger im Rahmen der Kirche zu unterdrücken, auf der anderen Seite wollte sie nicht mehr – und konnte das auch nicht – auf alle Errungenschaften verzichten, die ihr die vorherigen Jahrzehnte des aufklärerischen Katholizismus im Dienst des Staates gebracht hatten. Den biedermeierlichen ruhigen Zeiten behagte nämlich sehr die aufklärerische Auffassung der Kirche als einer Institution, die gesellschaftlich nützlich ist, die der Gesellschaft eine rationelle, auf Ethik und Sittlichkeit orientierte Religion beibringt. Das stellte in den Bedingungen der Habsburger Monarchie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen der Schlüsselfaktoren für die Stabilisierung der durch die Reformen, die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege destabilisierten gesellschaftlichen Verhältnisse dar.

Die römisch-katholischen Geistlichen, die angesichts der Absenz einer breiteren Schicht von ausgebildeten Laien während der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den zahlreichsten Bestandteil der nicht nur sprachlich tschechischen intellektuellen Schicht in den Böhmischen Ländern bildeten, sollten nicht nur gute Hirten der ihnen anvertrauten Herde, sondern auch loyale staatliche Angestellte, loyale Diener des Staates darstellen. Manche von ihnen klammerten sich unter den Bedingungen der staatlich politischen Disziplin und in dem intellektuell nicht besonders inspirierenden Milieu des Metternichschen Österreich einerseits an eine allseitige Aufklärungs- und caritative Arbeit unter ihren Pfarrangehörigen, was sie in der Majorität auch unter die Spitzenvertreter der tschechischen nationalen Wiedergeburt im Geiste des kommenden romantischen Nationalismus brachte. Und andererseits orientierten sie sich an der Stärkung und Ausbildung des eigenen Priesterstandes.

Katholische Geistliche stellten so binnen des ganzen beschriebenen Zeitraums eine bedeutende Stütze und zugleich auch ein effektives Instrument der Staatsmacht bei dem Durchsetzen ihrer Interessen dar. Wenn manche auf Reform orientierten Vertreter des geistlichen Standes in einer bedeutenden Weise bei der Vorbereitung ← 7 | 8 → und Einführung der kirchlichen Reformen halfen, die staatlichen Eingriffe in das innerliche Leben der Kirche inbegriffen, so nahm auch in den Jahrzehnten nach dem Abschluss der Napoleonischen Kriege eine Reihe von katholischen Geistlichen am Erhalten der neu etablierten Symbiose von kirchlicher und staatlicher Macht teil. Und während die katholische Kirche im Vormärz-Österreich auf einer Seite ohne große Einwände die paternalistische Rolle des Staates in ihrer Mehrheit akzeptierte, die eine relativ problemlose Wiederaufnahme ihrer Stellung in der Gesellschaft ermöglichte – vermied auf der anderen Seite die staatliche Macht auch weiterhin nicht die dominante Rolle der weltlichen und Ordensgeistlichen. Dies vor allem aus der Sicht einer Disziplinierung breiter Schichten der Bevölkerung, wenn auch in den Schulen oder in den Pfarreien. Katholische Geistliche in den Pfarreien stellten nämlich die Hauptvermittler zwischen dem Staat und seinen Institutionen auf der einen Seite, und den Einwohnern von Städten und vor allem Dörfern auf der anderen Seite dar. Und gerade diese gewöhnlichen „Arbeiter im Weinberg des Herrn“, die in ihrer Mehrheit auch selbst vor allem vom Lande oder aus Kleinstädten stammten, und deswegen die Situation ihrer „Schafe“ kannten, mit denen sie in ihrer Alltagpraxis durch ein vielschichtiges Netz von Erwartungen, Rechten und Pflichten verbunden waren, konnten sie in den böhmischen Ländern der Vormärzzeit ganz natürlich und ungezwungen auch zu einer starken Stimme der neu konstituierten Nation werden.

Die oben angeführten Prozesse und Gegebenheiten kann man auch an dem Beispiel der Diözese Budweis (České Budějovice) sehr gut studieren, deren Geschichte in den ersten siebzig Jahren ihrer Existenz den Inhalt dieses Buches bilden. Für diese Wahl sprechen einige wichtige Voraussetzungen. Zuerst wollen wir versuchen, diese hoffentlich nicht zu dreiste literarische Anleihe im Titel unseres Buches zu erklären. Sich zu der berühmten Märchengestalt zu bekennen, die in das allgemeine Bewusstsein am Anfang des 19. Jahrhunderts die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm in Deutschland und drei Jahrzehnte später Božena Němcová in Böhmen eingeführt hatten, hat eine tiefere Begründung – es handelt sich sicher nicht nur um die oben angeführte Zeitübereinstimmung und den deutsch-tschechischen sprachlichen und historischen Kontext.

Es war erst die Aufklärungsära, die nach Südböhmen eine selbstständige geistliche Verwaltung brachte. Die neu errichtete, territorial sehr große südböhmische Diözese erstreckte sich auf dem Gebiet von vier damaligen Kreisen – Budweis (České Budějovice), Tabor (Tábor), Prachin (Prácheň) und Klattau (Klatovy) im Süden und Südwest von Böhmen. Sie war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in jeder Hinsicht “ein Kind ihrer Zeit“, denn es kam zu ihrer Gründung in der Mitte der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts, aus dem Willen und der Entscheidung von Joseph II. Im Unterschied zu ihren älteren (mittelalterlichen und barocken) böhmischen, mährischen oder österreichischen „Schwestern“ disponierte sie kaum mit irgendwelchem Eigentum, war also ökonomisch vor allem von den Beiträgen des vom Staat kontrollierten Religionsfonds abhängig. Besser daran war auch das nur ein paar Jahre ältere Bistum Brünn (Brno), gegründet 1777, dessen ökonomische Grundlage lukrative Bauernhöfe des altertümlichen und gut versorgten Königlichen Domkapitels hl. Peter und Paulus bildeten. ← 8 | 9 →

Die Budweiser Prälatur, bis 1993 jüngste katholische Diözese in den böhmischen Ländern, stand nicht nur nichts davon (d.h. keine Grundstücke, Höfe, Schatzkammer oder Fonds) zur Verfügung, sondern sie musste sogar alle ihre notwendigen Institutionen und Ämter auf der sog. „grünen Wiese“ aufbauen. Neu wurde so das Domkapitel errichtet – bei der ehemaligen hl. Nikolaus Pfarrkirche, die zum Bischofsdom erhoben wurde. Ein Problem stellte auch die Errichtung einer eigenen – würdigen – Bischofsresidenz dar. Der ursprüngliche Vorschlag, den Bischofssitz, den Hof und das Konsistorium in den verlassenen und zerstörten Gebäuden des ehemaligen Budweiser Dominikaner-Konvents zu platzieren wurde schließlich verändert und die Wahl war das unlängst vollendete, spätbarocke Piaristen-Kolleg, das sich in der unmittelbaren Nähe vom Hauptmarkt in einer Linie mit dem Rathaus der Stadt befand, also an der repräsentativsten, prestigeträchtigsten Stelle der Stadt. Das Gebäude des Kollegs musste man jedoch für den Bedarf des Bistums umbauen, es war auch notwendig, entsprechende Wohnmöglichkeiten für die Kanoniker des Domkapitels sicher zu stellen. Das erforderte selbstverständlich große Aufwendungen, die wieder aus den Mitteln des Religionsfonds gedeckt wurden, genauso wie das Privateinkommen des Bischofs, die Löhne der Kanoniker, der Angestellten des Konsistoriums oder der Mitarbeiter der Kanzlei. Auch alle anderen größeren Ausgaben – z.B. Umbau der Residenz, des Gartens oder die Gründung des Bischofsseminars und der theologischen Priesterlehranstalt – konnten auf die außerordentlichen Aushilfen und Subventionen aus dem Religionsfond nicht verzichten.

Diese limitierenden Faktoren wurden jedoch auf der anderen Seite mit einigen günstigen Umständen ausgeglichen. Der erste war der Standort der Bischofsresidenz und der zentralen bischöflichen Ämter in Budweis, in der königlichen Bergmannstadt, wo auch Kreisämter und bedeutende Bildungsinstitutionen ihren Sitz hatten und die zugleich die größte Stadtsiedlung in der ganzen südwestlichen Region des Böhmischen Königreichs war. Weiter war es wichtig, dass sich in Südböhmen umfangreiche Domänen bedeutender und der katholischen Sache ergebener Adelsgeschlechter, wie der Schwarzenberger, Czernin oder Buquoy befanden, die die größten Mäzene und Unterstützer des armen „südböhmischen Aschenputtels“ waren. Und wohl die wichtigste Bedingung einer erfolgreichen Entwicklung des neuen Bistums stellte die Tatsache dar, dass an die Spitze des Bistums in diesen Gründer- Schlüsseljahren drei Männer berufen wurden, die sich als tüchtige (und maßvolle) Praktiker des Josephinismus bewährten, die die entscheidende Rolle des Staates auch in der Beziehung zum päpstlichen Stuhl respektierten. Auch dank dieser Tatsache gelang es, die ihnen anvertraute Diözese erfolgreich aufzubauen, zu konsolidieren und in ihrem Rahmen auch die allmähliche Erneuerung des Ordenslebens einzuleiten. Die funktionierende Pfarrverwaltung konnte sich außer anderem auch auf eine hohe Zahl gut ausgebildeten priesterlichen Nachwuchses stützen, dessen Erziehung und Ausbildung im bischöflichen Priesterseminar und in der theologischen Lehranstalt, die 1803 errichtet wurde, erfolgte, und dem die Budweiser Bischöfe entsprechende Aufmerksamkeit widmeten. Und die letzte, nicht unbedeutende Bedingung der erfolgreichen Entwicklung der Diözese kann man in dem Faktum sehen, dass das sich unter der Verwaltung des Budweiser Bischofs ← 9 | 10 → befindende Gebiet vor allem eine landwirtschaftliche, rar besiedelte Region umfasste, die vor allem durch ein Netz von kleinen Dörfern und Städtchen charakterisiert wurde, deren Bevölkerung sich in großer Mehrheit bis tief in das 19. Jahrhundert hinein zu der katholischen, konservativ aufgefassten Religion bekannten (oft auch mit manchen langfristig überlebenden barocken Residuen). Die Diözese Budweis gehörte so im Rahmen der böhmischen Länder zu den Regionen mit dem höchsten Maß an Religiosität. Diese Charakteristik verlor jedoch auch am Anfang des 20. Jahrhunderts nichts an Gültigkeit, als das Primat der Budweiser Diözese unter allen böhmischen und mährischen Diözesen bezüglich der prozentuellen Vertretung der Katholiken in der Bevölkerung (90,55 %) gehörte. Aus dem armen und zurückgesetzten „katholischen Aschenputtel“ wurde so eine gefragte Braut und bedeutende Stütze des Katholizismus in den böhmischen Ländern in den schwierigen Zeiten des Antrittes der Moderne und der Veränderungen des politischen, sozialen und geistlichen Milieus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Literatur und Quellen1

Der Problematik der Stellung der Religionen und einzelner Kirchen im Leben der Gesellschaft des sog. langen 19. Jahrhunderts widmete ihre Aufmerksamkeit eine Reihe von Forschern. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen vor allem die breiter konzipierten Arbeiten, die sich der Aufklärung, dem Josephinismus, dem Aufklärungs- und restaurativen Katholizismus, der Säkularisation, der zweiten Konfessionalisierung, dem Modernismus oder Antiklerikalismus widmeten, genauso wie der Problematik der Beziehung der katholischen Kirche zu einzelnen Aspekten der Modernisierung der Gesellschaft. Von den ausländischen Arbeiten, die einen geeigneten methodologischen und faktographischen Kontext zu den mitteleuropäischen, und dadurch auch zu den tschechischen Forschungen bilden, sollte man vor allem die Studien von Eduard Winter, Fritz Valjavec, Herbert Rieser, Harm Klueting, Helmut Reinalter, Hugh McLeod, Marcel Gauchet, Nigel Aston und Matthew Cragoe, Owen Chadwick, Hartmuth Lehmann, Manuel Borutta oder Olaf Blaschke erwähnen.2 ← 10 | 11 →

Der allgemeine historische Rahmen dieses Buches stützt sich außer auf die oben angeführten ausländischen Bearbeitungen sowohl auf die Arbeiten der österreichischen Historiker über die Geschichte der Habsburger Monarchie und der böhmischen Länder, als auch auf die neueren Beiträge tschechischer Autoren.3 Der breitere Kontext der Deutung von Veränderungen der böhmischen Gesellschaft in der hier untersuchten Zeit – aus der Sicht der Interpretation und Faktographie – geht vor allem von den entsprechenden Kapiteln beider Teile des elften Bandes des Buches Velké dějiny zemí Koruny české4 aus und stützt sich besonders auf die umfangreiche Synthese von Milan Hlavačka, der sich bemüht, die entscheidenden Veränderungen zu erfassen, die die Gesellschaft der böhmischen Länder im 19. Jahrhundert durchmachte, und die ihr ein neues, modernes Gesicht verliehen5. ← 11 | 12 →

Angesichts der Tatsache, dass einer der tragenden Aspekte unseres Buches auch die Frage der sprachlichen Präferenzen der Geistlichen und ihrer Pfarrangehörigen darstellt, bzw. die allmählich wachsende tschechisch-deutsche Rivalität sowohl in der national gemischten Bischofssitzstadt, als auch in der ganzen Diözese, sollte man wenigstens einige grundlegende Arbeiten zu dieser Problematik erwähnen.6 Das allmähliche Erwachen des nationalen Bewusstseins hatten, wie die Arbeiten von Miroslav Hroch7 oder František Kuntnar8 zeigen, vor allem die mit der französischen Revolution und nachfolgend vor allem mit den Napoleonischen Kriegen verbundenen Ereignissen „auf dem Gewissen“. Neben den Arbeiten von M. Hroch, der sich mit diesen Fragen systematisch und langfristig nicht nur aus der Sicht der tschechischen oder mitteleuropäischen, sondern auch der europäischen Perspektive befasst, kann man auch nicht die Beiträge von Jiří Kořalka verschweigen, die jedoch in den Kontext der Habsburgermonarchie gesetzt wurden.9 Die schematisch streng gefasste Darstellung von Hroch, genauso wie die zu detaillierte faktographische von Kořalka überragt innovativ die kürzlich herausgegebene Arbeit von Jiří Štaif über die bedächtigen Eliten, bzw. über die bedächtigen „alternativen Eliten“ der tschechischen Gesellschaft in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts.10 Vor dem Hintergrund der modern konzipierten Biographie von František ← 12 | 13 → Palacký bringt eine weitere Arbeit von Štaif 2009 ein plastisches und komplexes Bild der allmählichen Emanzipation der modernen tschechischen Nation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bzw. die Geburt der tschechischen Zivilgesellschaft nach 1848.11 Unter den anderen Arbeiten verdient unsere Aufmerksamkeit auch das Buch von Robert Sak, das anregend und in neuen Zusammenhängen das Leben und das Werk von Josef Jungmann, dem wichtigsten Schöpfer des Programmes der komplexen nationalen Emanzipation näher bringt, deren erfolgreiche Realisierung mit der neu herausgebildeten Schicht der tschechischen Bürgerschaft verbunden ist.12

Man kann auch an die Arbeiten von Ferdinand Seibt,13 Jan Křen14 und Jeremy King15 erinnern, die in einer langfristigen Perspektive das ambivalente Zusammenleben von Tschechen und Deutschen auf dem Gebiet Mitteleuropas, bzw. von Budweis darstellen, und auch das immer inspirierende Buch von Vladimír Macura über die Wiedergeburt der tschechischen Sprache, Literatur und Kultur16.

Die gesamte Übersicht zur Kirchengeschichte und Charakteristik der religiösen Verhältnisse in den böhmischen Ländern in dem zu verfolgenden Zeitraum bieten die relativ älteren Synthesen von Jaroslav Kadlec und Bohumil Zlámal17. Neuere Versuche zu einer komplexen Abgrenzung der Bedeutung und der Rolle der Religion in der tschechischen Gesellschaft des langen 19. Jahrhunderts bringen zwei kollektive Monographien – Post tenebras spero lucem, resp. Náboženství v 19. století.18 Zu erwähnen ist auch das Buch von Daniela Tinková, die durch die Geschichte ← 13 | 14 → von drei jungen Priestern, die in den josephinischen Generalseminaren erzogen wurden, die Wendezeit der späten Aufklärung und der beginnenden katholischen Restauration in der Habsburgermonarchie plastisch schilderte. Auch eine umfangreiche soziologisch-historische Analyse der tschechischen religiösen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, das Werk von Zdeněk R. Nešpor, sowie die Sammlung von Beiträgen vom 22. Jahrgang des Symposiums in Pilsen zur Problematik des 19. Jahrhunderts, bzw. der Stelle und Rolle der Religion im Leben der Gesellschaft dieser Zeit, sind zu nennen.19 Diese Fragen betreffen auch weitere kollektive Publikationen über die Säkularisierung, bzw. über den Antiklerikalismus in den böhmischen Ländern, wenn auch der Schwerpunkt ihrer Auslegungen vor allem im Zeitraum der zweiten Hälfte des 19. und des Anfangs des 20. Jahrhunderts liegt.20

Während die oben angeführten Arbeiten die gegebene Problematik mit dem Prisma der europäischen, mitteleuropäischen (vor allem der österreichischen) oder der Landes- (besonders der tschechischen) Optik verfolgen, geht unser Buch zu diesen Fragen vor allem von der Ebene einer Kirchen-Verwaltungseinheit und von der Dimension einer böhmischen Region, d.h. der Diözese Budweis, bzw. des Südens und des Südwestens von Böhmen aus. Im Falle der Budweiser Diözese selbst steht bis jetzt keine (moderne) Gesamtbearbeitung ihrer Geschichte zur Verfügung. Zu den ältesten, und heutzutage auch nur faktographisch wertvollen Bearbeitungen gehört vor allem die Arbeit von Johann Trajer und Franz Mardetschläger. Das Buch des Notars und Archivars des Bistums Budweis J. Trajer, mit dem Titel Historisch-statistische Beschreibung der Diözese Budweis, ist relativ knapp und in seinem Inhalt nicht immer fehlerfrei.21 Umfangreicher, faktographisch reicher und zuverlässiger ist die Arbeit von Trajers Zeitgenossen F. Mardetschläger, herausgegeben zum hundertsten Jahrestag der Gründung des Bistums. Die Geschichte der Diözese und vor allem die Lebensläufe der Bischöfe werden hier bis zum Episkopat des vierten Budweiser Bischofs Jan Valerián Jirsík erfasst.22 Für die nächsten fast hundert Jahre wurde der Text von Mardetschläger zur Basis für zahlreiche kurze Abhandlungen ← 14 | 15 → über die Diözese und für kurze Lebensläufe der Bischöfe, die bei verschiedenen Gelegenheiten vor allem in der aktuellen Presse oder in populären historischen Werken veröffentlich wurden.23

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einhundert Jahre nach Mardetschläger, erweiterte die Kenntnisse über die religiösen Verhältnisse im Süden von Böhmen und über die Entwicklung der Budweiser Diözese im 18.-20. Jahrhundert besonders der Kirchenhistoriker mit tschechischen Wurzeln Kurt Augustinus Huber. Huber publizierte eine Reihe von Artikeln zu dem zweihundertjährigen Jubiläum der Gründung des Bistums in der historischen Fachzeitschrift Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien.24 Angesichts dessen, dass diese Studien vor allem auf Grund der österreichischen und vatikanischen Quellen, und nicht der tschechischen gemacht wurden, weil diese vor 1989 nur schwer zugänglich waren, sind sie in mancher Hinsicht nur Torso geblieben, manchmal auch nicht ganz zuverlässig. In derselben Zeit gab der Professor für Kirchengeschichte Jaroslav Kadlec, anlässlich desselben Jubiläums, eine Serie von kurzen Artikeln heraus25, die nach 1989 redaktionell bearbeitet und zusammen im Buch mit dem Titel Českobudějovická diecéze26 herausgegeben wurden. Noch in einer knapperen Form befasste sich J. Kadlec mit der Geschichte der Diözese Budweis, bzw. mit der Geschichte des Bistums und der Tätigkeit der Budweiser Bischöfe in den einzelnen Stichwörtern im Rahmen der Encyklopedie Českých Budějovic.27 Obwohl Huber und Kadlec miteinander im ← 15 | 16 → Kontakt waren und ihre Texte einander kannten, ist im Werk von Kadlec nicht zu sehen, dass er die Ergebnisse der Forschung von Huber in größerem Maße genutzt hätte und umgekehrt – hier ist die inhaltliche Abhängigkeit von dem schon angeführten Buch von Mardetschläger erkennbar, mit dem er sich nicht immer kritisch auseinandersetzen konnte.

Details

Seiten
250
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631738993
ISBN (ePUB)
9783631739006
ISBN (MOBI)
9783631739013
ISBN (Hardcover)
9783631718537
DOI
10.3726/b12649
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juni)
Schlagworte
Aufklärung und Josephinismus Südböhmen und Budweis Diözese Budweis Verwaltung der Diözese Bischöfe und Diözesanklerus Formation der Geistlichen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 250 S.

Biographische Angaben

Miroslav Novotný (Autor:in) Rudolf Svoboda (Autor:in) Lenka Martinková (Autor:in) Marie Ryantová (Autor:in) Tomás Veber (Autor:in)

Miroslav Novotný beschäftigt sich mit der Kirchengeschichte und der Geschichte des Schul- und Bildungswesens. Marie Ryantová und Lenka Martínková widmen sich in ihren Arbeiten der Kirchen- und Religionsgeschichte und der Diplomatik. Rudolf Svoboda und Tomáš Veber legen ihre Forschungsschwerpunkte auf die Kirchen- und Theologiegeschichte.

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