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Musik im Werk Herta Müllers

Exemplarische Analysen zu «Atemschaukel», den Romanen, Erzählungen und Collagen

von Julia Ogrodnik (Autor:in)
©2018 Dissertation 552 Seiten
Reihe: Moderne und Gegenwart, Band 22

Zusammenfassung

Die Untersuchung der Musik im Werk Herta Müllers setzt sich mit den Liedern, dem Sprachklang, musikalischen Formen, Textstrukturen, der Idiomatik der Texte und musikbiografischen Aspekten auseinander. Die Grundlage der Analyse sind der Roman «Atemschaukel» sowie weitere Texte. Das Buch bezieht bisherige Modelle zum Zusammenwirken von Musik und Literatur ein und entwickelt eine eigene Herangehensweise. Hierfür berücksichtigt die Autorin über bisherige Modelle hinausgehend auch das Harmonieverständnis innerhalb der Interpretation. Die Analyse setzt unter anderem an aktuellen Diskussionspunkten zu Müllers Werk an und betrachtet die Musik als neue – sinnstiftende – Perspektive: Sie ist Gegenstand, Textverfahren und Poetologie zugleich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • TItel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • 1. Einleitung
  • 2. Methodische und theoretische Grundlagen
  • 2.1 Der Prager Strukturalismus und seine Weiterentwicklungen
  • 2.2 Die Dekonstruktion nach Derrida
  • 2.3 Die musikphilosophischen Ansätze Adornos
  • 2.4 Die kritische Hermeneutik nach Szondi
  • 2.5 Das Zusammenwirken von Musik und Literatur. Zur Forschungslage mit historischen Schwerpunktsetzungen
  • 2.5.1 Sprachskepsis. Zum Wahrheitsanspruch und Utopiegedanken im Gesamtkunstwerk und zum Unsagbarkeitstopos in Literatur und Musik
  • 2.5.2 Methoden und Modelle des Zusammenspiels von Literatur und Musik
  • 2.5.3 Desiderata und Problemstellungen der komparatistischen Ansätze
  • 2.6 Zusammenfassung – Musik als Teil der Sinnbildung. Zur Vorgehensweise der Arbeit
  • 3. Forschungslage zu Herta Müller. Poetologische, musikbiografische und musikhistorische Aspekte
  • 3.1 Forschungsliteratur zu Herta Müller. Einflüsse, Referenzen und Rezeption
  • 3.2 Herta Müllers Texte. Zu den Traditionen und zur Poetologie
  • 3.2.1 Risse und Grenzen. Zu den Collagen Herta Müllers
  • 3.2.2 Autofiktion. Zur Totalität und zu den Anti-Utopien in Müllers Werk
  • 3.3 Musikalität. Zur musikbiografischen Rekonstruktion und zum musikbezogenen Forschungsstand
  • 3.3.1 Rhythmus, Klang und Lieder. Zur Forschungslage über Musik in Müllers Texten
  • 3.3.2 Akkordeon, NS-Lieder und Heimatmusik. Musikbiografische Aspekte der Kindheit und Jugend Herta Müllers
  • 3.3.3 Rumänische Folklore, deutsche Volkslieder und Musik im Arbeitslager. Zur Dialektik von Widerstand und Anpassung der Musik in totalitären Systemen
  • 3.3.4 Problemfelder und Zusammenfassung zum musikalischen und musikbiografischen Forschungsabriss
  • 4. „Atemschaukel“ Analyse und Interpretation aus musikalischem Blickwinkel
  • 4.1 „KEINE ZEIT“. Zu Oskar Pastior
  • 4.2 Aufbruch und Rückkehr. Zur Rahmung des Romans
  • 4.2.1 Die Gegenstände. Zum Wortklang und zur Materialität der Sprache
  • 4.2.2 Die verlorene Zeit. Zur Erzählstruktur und Zeitgestaltung
  • 4.2.3 Der Grammophonkoffer und der kleinste Tanzpartner. Zur Tanzfigur
  • 4.2.4 Das Gepäck. Zum Romanbeginn
  • 4.2.5 Seidelbastlied und Viehwaggonblues. Zur Opfer- und Täterperspektive
  • 4.2.6 Das Eisenbahnlied. Zu den Lauten und zum Sprachklang exemplarischer Textstellen
  • 4.3 Die musikalischen Bezüge in der Form des Romans
  • 4.3.1 Das Meldekraut. Zur motivischen Arbeit und Akkordbildung
  • 4.3.2 Hunger und Atem. Zur Idiomatik der Hauptmotive
  • 4.3.3 Das Lied aus Zement und das Lied der Kindheit. Zu den rhythmischen Klängen und Strukturen
  • 4.4 Die Internierten. Zu den Wiederholungsformen
  • 4.4.1 Musiker, Advokat, Rasierer. Zur Figurenkonstellation innerhalb des Lagers
  • 4.4.2 Die Kriegsfanfare. Zur musikhistorischen Verortung eines Motivs
  • 4.5 Die musikalische Form des Leidens
  • 4.5.1 Das Fahren. Eine musikalische Bewegungsform
  • 4.5.2 Das Schaufeln. Zum Takt als Lebensretter
  • 4.5.3 Der Tanz mit der Schaufel. Zu Walzer und Tango als Ausdrucksform
  • 4.6 Das Leiden im Lager. Zur Sinnkonstitution
  • 4.6.1 Alter Ego Hungerengel. Zum Hauptmotiv der Dialektik im Roman
  • 4.6.2 Nachtigall und Kuckuck. Zum Parameter Zeit
  • 4.6.3 Planton-Kati. Zu den (Anti-)Utopien im Roman
  • 4.6.4 Der Diebstahl und die Serenade. Zur Religiosität und Gerechtigkeit
  • 4.7 Die Motivmodulation. Zur Sinnkonstitution mittels der Übereinstimmung der musikalischen Formen im Roman mit der musikalischen Form des Leidens
  • 4.7.1 Die Kohle. Zur Modulation eines Themas
  • 4.7.2 Die Jagd und das Pfeifen. Zur Homosexualitätsthematik
  • 4.7.3 Träume und Langeweilen. Zur Todesthematik
  • 4.7.4 Tanz und Tod. Zu einer klassischen Motivverbindung
  • 4.7.4.1 „La Paloma“. Zu den Tanzliedern
  • 4.7.4.2 Die Kellerschicht als Kunstwerk. Zum Ästhetikgedanken
  • 4.7.4.3 Das Schwanenlied. Zur Entwicklung einer Motivkette
  • 4.8 Die Modulation des Kunstwerks. Zur Ästhetik als individuelles identitätsstiftendes Ausdrucksmittel des Leids durch Totalitätserfahrungen
  • 4.8.1 Die Schlacke und Heimweh. Zum Selbstbetrug durch Schönheit
  • 4.8.2 Zweistimmiges Hasoweh. Zur Modulation der Identität anhand des Zweistimmigkeits- und des Schuldmotivs
  • 4.8.3 Das Akkordeon und die Winter- und Sommerpaloma. Zur musikalischen Stimmung
  • 4.8.4 Mantellied, Klaviermotiv und Spieler. Zur neuen Funktion und Festigung nach der Modulation
  • 5. Die Rolle der Musik in den Erzählbänden und Romanen Herta Müllers von 1982 bis 1997 sowie in den Collagenbänden von 2000–2012
  • 5.1 Niederungen. Dorftänze, singender Vater und Akkordeontango
  • 5.2 Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Klangwörter, Volkslieder und Trauermusik
  • 5.3 Barfüßiger Februar. La Paloma, Lieder vom Krieg und Arbeiterlieder
  • 5.4 Reisende auf einem Bein. Pfeifen und trommeln
  • 5.5 Der Fuchs war damals schon der Jäger. Musiker, politische Musik und Hochzeitsmusik
  • 5.6 Herztier. Rumänische Lieder, Kinderlieder und Liebeslieder
  • 5.7 Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Tanz und Totenlied
  • 5.8 Die Collagen
  • 5.8.1 Die Vögel. Zum Motiv des Freiheitsverlusts
  • 5.8.2 Singen, pfeifen und spielen. Zur Ambivalenz des Wahrheitstopos Musik
  • 5.8.3 Lieder, Gesänge und Instrumente. Zur Ironie, zum Sarkasmus und zum Zynismus
  • 5.8.4 Akkordeon und Klarinette. Zur Bedrohung, Angst und Selbstreflexion
  • 5.8.5 Üben und Frivolität. Zu den Motiven der Sehnsucht, Einsamkeit und der Erinnerung
  • 5.8.6 Zusammenfassung zu den Collagen
  • 6. Schlusskapitel
  • Literaturverzeichnis
  • Siglenverzeichnis
  • Weitere zitierte Primärliteratur von Herta Müller
  • Weitere zitierte Primärliteratur
  • Sekundärliteratur
  • Lexikon- und Handbuchartikel
  • Rezensionen und Zeitungsartikel
  • Internetquellen
  • Musik/Video/Audio
  • Reihenübersicht

Julia Ogrodnik

Musik im Werk Herta Müllers

Exemplarische Analysen zu „Atemschaukel“,
den Romanen, Erzählungen und Collagen

Autorenangaben

Julia Ogrodnik studierte an der Universität Osnabrück Musik und Germanistik. Anschließend war sie als freie Musikerin und Musikpädagogin tätig, bevor sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Osnabrück promovierte.

Über das Buch

Die Untersuchung der Musik im Werk Herta Müllers setzt sich mit den Liedern, dem Sprachklang, musikalischen Formen, Textstrukturen, der Idiomatik der Texte und musikbiografischen Aspekten auseinander. Die Grundlage der Analyse sind der Roman „Atemschaukel“ sowie weitere Texte. Das Buch bezieht bisherige Modelle zum Zusammenwirken von Musik und Literatur ein und entwickelt eine eigene Herangehensweise. Hierfür berücksichtigt die Autorin über bisherige Modelle hinausgehend auch das Harmonieverständnis innerhalb der Interpretation. Die Analyse setzt unter anderem an aktuellen Diskussionspunkten zu Müllers Werk an und betrachtet die Musik als neue – sinnstiftende –Perspektive: Sie ist Gegenstand, Textverfahren und Poetologie zugleich.

Zitierfähigkeit des eBooks

Diese Ausgabe des eBooks ist zitierfähig. Dazu wurden der Beginn und das Ende einer Seite gekennzeichnet. Sollte eine neue Seite genau in einem Wort beginnen, erfolgt diese Kennzeichnung auch exakt an dieser Stelle, so dass ein Wort durch diese Darstellung getrennt sein kann.

Danksagung

„Das Denken, der Zeit verhaftet, verfällt auch wieder der Zeit. Aber weil es verfällt, eben deshalb muß unser Denken neu sein, wenn es echt sein und etwas bewirken will.“

(Ingeborg Bachmann: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Christine Koschel, München 1993, S. 195)

Für die Unterstützung, die mir während der Entstehung dieser Arbeit zuteilwurde, möchte ich mich herzlich bedanken.

Insbesondere danke ich meinem Doktorvater Christian Dawidowski, der mir mit großem persönlichen Engagement neben der fachlichen Unterstützung vor allem viele Freiheiten gewährte, zugleich Geduld und Vertrauen entgegenbrachte, und mir letztlich immer wieder im richtigen Moment motivierend, beratend, fördernd und fordernd entgegenkam.

Mein besonderer Dank gilt zudem Christoph König, dem Zweitgutachter meiner Dissertation, der mein Vorhaben mit steter Gesprächsbereitschaft, vielen kritischen Anregungen und entscheidenden Impulsen sowie einem hohen Maß an Zuversicht gefördert hat.

Für die konstruktiven Anregungen möchte ich des Weiteren den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kolloquien und Oberseminare von Christian Dawidowski und Christoph König danken.

Mein herzlicher Dank gilt darüber hinaus vor allem meinen Freunden und Kollegen, die mir aufbauend, beratend und fleißig lektorierend zur Seite standen und mein Vorhaben mit viel Humor, Begeisterung und Loyalität unterstützt haben. Allen voran sind dies Nadine J. Schmidt, Michael Woll und Helge C. Liebsch. Außerdem danke ich Anett Behrendt, Carolin Meier, Nadja Großpietsch, Franziska Thorwesten und Merle M. Schäffer für die Korrekturarbeiten sowie Franziska Killat für ihren Einsatz bei den Übersetzungen und nicht zuletzt Peter Witte für die musikalischen Anregungen.

Für den Zuspruch und die Unterstützung in allen Belangen bin ich von Herzen meiner Familie dankbar: Oskar Ogrodnik sowie Anett und Jens Behrendt.

Julia Ogrodnik Osnabrück und Bad Essen, Oktober 2017

Inhalt

1. Einleitung

2. Methodische und theoretische Grundlagen

2.1 Der Prager Strukturalismus und seine Weiterentwicklungen

2.2 Die Dekonstruktion nach Derrida

2.3 Die musikphilosophischen Ansätze Adornos

2.4 Die kritische Hermeneutik nach Szondi

2.5 Das Zusammenwirken von Musik und Literatur. Zur Forschungslage mit historischen Schwerpunktsetzungen

2.5.1 Sprachskepsis. Zum Wahrheitsanspruch und Utopiegedanken im Gesamtkunstwerk und zum Unsagbarkeitstopos in Literatur und Musik

2.5.2 Methoden und Modelle des Zusammenspiels von Literatur und Musik

2.5.3 Desiderata und Problemstellungen der komparatistischen Ansätze

2.6 Zusammenfassung – Musik als Teil der Sinnbildung. Zur Vorgehensweise der Arbeit

3. Forschungslage zu Herta Müller. Poetologische, musikbiografische und musikhistorische Aspekte

3.1 Forschungsliteratur zu Herta Müller. Einflüsse, Referenzen und Rezeption

3.2 Herta Müllers Texte. Zu den Traditionen und zur Poetologie

3.2.1 Risse und Grenzen. Zu den Collagen Herta Müllers

3.2.2 Autofiktion. Zur Totalität und zu den Anti-Utopien in Müllers Werk

3.3 Musikalität. Zur musikbiografischen Rekonstruktion und zum musikbezogenen Forschungsstand

3.3.1 Rhythmus, Klang und Lieder. Zur Forschungslage über Musik in Müllers Texten←9 | 10→

3.3.2 Akkordeon, NS-Lieder und Heimatmusik. Musikbiografische Aspekte der Kindheit und Jugend Herta Müllers

3.3.3 Rumänische Folklore, deutsche Volkslieder und Musik im Arbeitslager. Zur Dialektik von Widerstand und Anpassung der Musik in totalitären Systemen

3.3.4 Problemfelder und Zusammenfassung zum musikalischen und musikbiografischen Forschungsabriss

4. „Atemschaukel“ Analyse und Interpretation aus musikalischem Blickwinkel

4.1 „KEINE ZEIT“. Zu Oskar Pastior

4.2 Aufbruch und Rückkehr. Zur Rahmung des Romans

4.2.1 Die Gegenstände. Zum Wortklang und zur Materialität der Sprache

4.2.2 Die verlorene Zeit. Zur Erzählstruktur und Zeitgestaltung

4.2.3 Der Grammophonkoffer und der kleinste Tanzpartner. Zur Tanzfigur

4.2.4 Das Gepäck. Zum Romanbeginn

4.2.5 Seidelbastlied und Viehwaggonblues. Zur Opfer- und Täterperspektive

4.2.6 Das Eisenbahnlied. Zu den Lauten und zum Sprachklang exemplarischer Textstellen

4.3 Die musikalischen Bezüge in der Form des Romans

4.3.1 Das Meldekraut. Zur motivischen Arbeit und Akkordbildung

4.3.2 Hunger und Atem. Zur Idiomatik der Hauptmotive

4.3.3 Das Lied aus Zement und das Lied der Kindheit. Zu den rhythmischen Klängen und Strukturen

4.4 Die Internierten. Zu den Wiederholungsformen

4.4.1 Musiker, Advokat, Rasierer. Zur Figurenkonstellation innerhalb des Lagers

4.4.2 Die Kriegsfanfare. Zur musikhistorischen Verortung eines Motivs

4.5 Die musikalische Form des Leidens

4.5.1 Das Fahren. Eine musikalische Bewegungsform

4.5.2 Das Schaufeln. Zum Takt als Lebensretter←10 | 11→

4.5.3 Der Tanz mit der Schaufel. Zu Walzer und Tango als Ausdrucksform

4.6 Das Leiden im Lager. Zur Sinnkonstitution

4.6.1 Alter Ego Hungerengel. Zum Hauptmotiv der Dialektik im Roman

4.6.2 Nachtigall und Kuckuck. Zum Parameter Zeit

4.6.3 Planton-Kati. Zu den (Anti-)Utopien im Roman

4.6.4 Der Diebstahl und die Serenade. Zur Religiosität und Gerechtigkeit

4.7 Die Motivmodulation. Zur Sinnkonstitution mittels der Übereinstimmung der musikalischen Formen im Roman mit
der musikalischen Form des Leidens

4.7.1 Die Kohle. Zur Modulation eines Themas

4.7.2 Die Jagd und das Pfeifen. Zur Homosexualitätsthematik

4.7.3 Träume und Langeweilen. Zur Todesthematik

4.7.4 Tanz und Tod. Zu einer klassischen Motivverbindung

4.7.4.1 „La Paloma“. Zu den Tanzliedern

4.7.4.2 Die Kellerschicht als Kunstwerk.
Zum Ästhetikgedanken

4.7.4.3 Das Schwanenlied. Zur Entwicklung einer Motivkette

4.8 Die Modulation des Kunstwerks. Zur Ästhetik als individuelles identitätsstiftendes Ausdrucksmittel des Leids
durch Totalitätserfahrungen

4.8.1 Die Schlacke und Heimweh. Zum Selbstbetrug
durch Schönheit

4.8.2 Zweistimmiges Hasoweh. Zur Modulation der Identität anhand des Zweistimmigkeits- und des Schuldmotivs

4.8.3 Das Akkordeon und die Winter- und Sommerpaloma.
Zur musikalischen Stimmung

4.8.4 Mantellied, Klaviermotiv und Spieler. Zur neuen Funktion und Festigung nach der Modulation

5. Die Rolle der Musik in den Erzählbänden
und Romanen Herta Müllers von 1982 bis 1997
sowie in den Collagenbänden von 2000–2012

5.1 Niederungen. Dorftänze, singender Vater und Akkordeontango←11 | 12→

5.2 Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Klangwörter, Volkslieder und Trauermusik

5.3 Barfüßiger Februar. La Paloma, Lieder vom Krieg
und Arbeiterlieder

5.4 Reisende auf einem Bein. Pfeifen und trommeln

5.5 Der Fuchs war damals schon der Jäger. Musiker, politische Musik und Hochzeitsmusik

5.6 Herztier. Rumänische Lieder, Kinderlieder und Liebeslieder

5.7 Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Tanz und Totenlied

5.8 Die Collagen

5.8.1 Die Vögel. Zum Motiv des Freiheitsverlusts

5.8.2 Singen, pfeifen und spielen. Zur Ambivalenz
des Wahrheitstopos Musik

5.8.3 Lieder, Gesänge und Instrumente. Zur Ironie,
zum Sarkasmus und zum Zynismus

5.8.4 Akkordeon und Klarinette. Zur Bedrohung, Angst
und Selbstreflexion

5.8.5 Üben und Frivolität. Zu den Motiven der Sehnsucht, Einsamkeit und der Erinnerung

5.8.6 Zusammenfassung zu den Collagen

6. Schlusskapitel

Literaturverzeichnis

Siglenverzeichnis

Weitere zitierte Primärliteratur von Herta Müller

Weitere zitierte Primärliteratur

Sekundärliteratur

Lexikon- und Handbuchartikel

Rezensionen und Zeitungsartikel

Internetquellen

Musik/Video/Audio←12 | 13→

1. Einleitung

Abstract: The following chapter introduces the theme of music within the works of Herta Müller. It gives an overview of the specific pieces of work selected and examined for this dissertation while also presenting the structure underlying their analysis. The focus will be on research objectives within the field of music and literature.

Herta Müllers Sprachstil wird, nicht erst seit Vergabe des Literaturnobelpreises an die Autorin, von Presse und Literaturwissenschaft häufig unter Zuhilfenahme musikalischer Attribute beschrieben: Es werden Rhythmen und Klänge sowie Takte und Melodie gefunden.1 Um ihre Sprache zu charakterisieren, wird Musikalität im Zusammenhang mit Müllers Texten als Auszeichnung für eine besonders künstlerische, eindrucksvolle und klangvolle, aber ebenso für eine zunächst hermetische und ungewohnte Sprache verstanden, in der die Musik wie ein schmückendes Element auftritt und als eine Art Lückenbüßer für eine vermeintliche Unsagbarkeitsutopie in den Werken fungiert. Die konkreten Äußerungen über die Musikalität in ihren Werken beschränken sich dabei meist auf staunende Huldigungen vonseiten der Wissenschaftler, Schriftsteller, Politiker, Dankesredner und Journalisten. So bekundet bspw. Gauck im Jahr 2009:

Herta Müller hat dem Dunkel des Ostens viele Melodien abgelauscht. Die dissonanten fallen uns schwer auf die Seele, weil sie an das Geräusch der Ketten erinnern, die uns gebunden hatten. Aber die unterschiedlichen Melodien ergeben doch ein Ganzes, dessen Botschaft klar ist, wie die eines Hymnus. Die Totenklage über die Zerstörten beschwört das Lebensrecht und die Würde aller Bedrohten.2←13 | 14→

Die ersten umfassenderen wissenschaftlichen Äußerungen zur musikalischen Sprache und zu musikalischen Inhalten in Müllers Werken treffen Petra Renneke und Paola Bozzi, indem sie insbesondere die Rhythmik von Müllers Sprache als musikalisch charakterisieren3. Daran schließt sich die Untersuchung Nina Brodbecks an, die mehrere Prosawerke der Autorin analysiert und bspw. feststellt, dass sich Müller „musikalischer Mittel wie der Wiederholung, der Steigerung oder der Variation“ bedient oder dass sie wie Celan „ihre Worte unter das Gesetz der Musik“ stellt.4 Die zentralen musikalischen Elemente und Einflüsse, die Herta Müllers Texte aufweisen, werden jedoch auch hier und in der weiteren Forschung weitgehend ausgeklammert; werkübergreifende Motive, Wiederholungsstrukturen, musikspezifische Formstrukturen (z. B. Sonate, Volkslied), gattungsübergreifende Methoden, wie die motivische Arbeit, musikähnliche Sprache und intertextuelle musikliterarische Bezüge (rumänische und/oder deutsche Volkslieder) bleiben meist unbeachtet. Musikalität wurde der Sprache Herta Müllers zwar mehrfach bescheinigt, bspw. von Paola Bozzi, Herta Haupt-Cucuiu, Grazziella Predoiu und Friedmar Apel, jedoch nicht in Bezug zu weiteren Gesichtspunkten gesetzt, die für die Deutung der Texte ausschlaggebend sind.5 Dazu zählen z. B. die historischen Traditionslinien, denen Müller folgt, sowie das Verhältnis und die Historie von Literatur und Musik.←14 | 15→

An diesem Desiderat setzt die vorliegende Untersuchung an, die die Bedeutung der Musik in Herta Müllers Werk und in ihrer Poetologie sowie die Musik selbst in den Texten erforscht und in einen Gesamtzusammenhang des Forschungsbereichs Literatur und Musik einordnet. Dies erfolgt anhand des mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Romans „Atemschaukel“ sowie punktuell anhand früher Prosawerke und der Collagen.

Leopold Auberg, der Protagonist im Roman „Atemschaukel“, wird als 17-Jähriger in ein russisches Arbeitslager deportiert und erleidet dort Hunger, Kälte, Krankheit und Gewalt. Viele der Mitinternierten sterben im Lager. Leo kehrt nach fünf Jahren nach Hause zurück und versucht dort ein neues Leben zu beginnen. Er heiratet – obwohl er homosexuell ist – eine Frau und darf in Rumänien unter der Diktatur Ceausescus weder über seine sexuelle Neigung noch über seine Deportationserfahrungen sprechen. Im Lager und auch danach sind es meist Lieder, Tänze oder die Sprache, die ihn im Geiste aus dem Lager heraus zu führen scheinen und die ihm ein Stück Individualität gewähren. Beide Themen – die Russlanddeportation und die Musik – greift Müller bereits in ihren frühen Werken auf, die zunächst vom perfiden Alltag der Diktatur – erst im rumänischen Dorf, später in der Stadt und schließlich (nach der Ausreise) in Deutschland – handeln und immer wieder die Gewalt, den Widerstand und die Folgen des Systems reflektieren. Das Thema des Romans „Atemschaukel“ setzt insofern zeitlich vor den bisherigen Werken an und ist zugleich historisch mit ihnen verbunden. In mehreren zuvor entstandenen Texten greift Müller die Deportation der Rumäniendeutschen als Nebenthema auf, wie die Analysen in Kapitel 5 zeigen. Auch die Zusammenarbeit mit Oskar Pastior, der bis zu seinem Tod im Jahr 2006 an der Entstehung des Romans mitgewirkt hatte, ist gewissermaßen ein Vorausgriff: Pastior war einer der einflussreichsten Vertreter der unmittelbar vorausgehenden rumäniendeutschen Schriftstellergeneration. Seine Handschrift scheint in den lyrischen Passagen des Romans durch und wird im Kapitel 4.1 genauer beleuchtet. Die Figur Leo ist an Pastior und seine eigenen grausamen Lagererfahrungen angelehnt. Sie reflektiert immer wieder die leidvollen Erfahrungen in minutiöser Detailarbeit und stößt dabei auf eine zunächst paradox anmutende lyrische und musikalische Schönheit. Die Stellen im Roman, die bestimmte Lieder und allgemein Musik ins Zentrum der Erzählung rücken, zeigen die Möglichkeit eines produktiven Umgangs mit dem Leid, sogar einer inneren Flucht und schließlich eines stillen Widerstands. Die Annalysen und Interpretationen dieser Vorgänge sind ein Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit.

Mit der Erforschung der Musik im Roman „Atemschaukel“ grenzt die vorliegende Arbeit an den musikwissenschaftlichen Forschungsbereich der Musik←15 | 16→ im Lager an, der im Zentrum des Kapitels 3.3 steht. Hier wird dessen Forschungsstand hauptsächlich in Bezug auf Gesänge und Orchester als auch auf Geräusche und Gedichte (innerhalb der Liedtextgenese) reflektiert. Dieser Einflussbereich ergänzt die Untersuchung der Idiomatik Herta Müllers, die wiederum bei den frühen Werken der Autorin ansetzt und alle Romane, Collagensammlungen und Erzählbände auf ihre musikaffine Sprache hin analysiert. Das hierbei entstehende Bild erweitert sich durch Äußerungen der Autorin in Essays und Interviews, die zu einer Musikbiografie der Autorin zusammengefasst werden.6

Über ihr persönliches Verhältnis zur Musik äußert sich Herta Müller – meist anekdotenhaft – in unterschiedlichen Zusammenhängen und betrachtet dabei das Musikalische als grundsätzliche Notwendigkeit in ihren Texten.7 Speziell in den Essays und Interviews wird schnell deutlich, dass es immer wieder die gleichen Bereiche sind, die Herta Müller für ihr Verhältnis zur Musik als prägend empfindet. Diese Bereiche sind es auch, die Eingang in ihre Texte gefunden haben, wie die vorliegende Untersuchung vornehmlich im Kapitel 3.3 zeigt. Die Beispiele dieses Kapitels sind weitere Indizien dafür, dass das Literarische und Musikalische in Müllers Texten nicht weit voneinander entfernt sind. Müller formuliert bspw. das Schaufeln, das für die Internierten großes Leid birgt, als einen Tanz, in den, wie die Analyse zeigen wird, auch die Sprache einsteigt. Auf welche Weise sich der literarische Sinn aus dem musikalischen Textverständnis heraus gestaltet, gilt es im Kapitel 4 zu ergründen.

In Hinblick auf Müllers „Atemschaukel“ erscheinen – vor dem Hintergrund der gattungstheoretischen Überlegungen in Kapitel 3 – die Zuordnungen zu Gattungen, Diskursen etc. und die dadurch suggerierten „Verzweckungen“ innerhalb einer gesellschaftlichen Erinnerungskultur, die den „Wert“ eines Werkes in erster Linie anhand seiner gesellschaftlichen Funktion messen wollen, wenig plausibel.←16 | 17→ Offen bleibt bisher, in welcher Art und Weise sich die Erinnerungen einschreiben, wie sie sich im Text entfalten und wie es die Autorin vermag, Erfahrungen und Erinnerungen, resp. fremdes und eigenes biografisches Material, mitsamt fiktiven Elementen in eine eigene (Dichter-)Sprache zu formen, die dennoch an die Traditionen thematisch ähnlich gelagerter Literaturen anknüpft bzw. sich metareflexiv zu ihnen positioniert. Dass Texte und Kompositionen nicht nur eine neue Facette erhalten, sondern sich schließlich soweit verändern können, dass ganze Gattungen entstehen, wenn sie sich der Methoden, Mittel oder Inhalte der jeweils anderen Kunst oder Disziplin bedienen, belegen sowohl Kompositionen vom Lied- bis zum Opern-Genre, als auch die Musikerromane seit der Romantik bis hin zu Lyrikexperimenten mit Musikelementen. Diese Entwicklung betrifft über die Werke hinaus auch die Wissenschaften, die sich mit diesen Werken befassen und eine Öffnung in Hinblick auf theoretische und methodische Ansätze aus der jeweils anderen Disziplin erfahren, wie im Kapitel 2.5 genauer beleuchtet wird.

Am deutlichsten wird das grenzüberschreitende Potenzial von Müllers Werk in den Collagenbänden – „Der Wächter nimmt seinen Kamm“ (1993), „Im Haarknoten wohnt eine Dame“ (2000), „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“ (2005) und „Vater telefoniert mit den Fliegen“ (2012) – die im Kapitel 5.8 behandelt werden, sichtbar. Die Einordnungen zu einem Genre oder zu Traditionen sind auch hier fließend, da die Collagen teils im Lyrik- teils im Prosaton gehalten sind und Techniken mehrerer Traditionen aufgreifen. Somit

ist nicht zu bestreiten, dass Herta Müllers Verse postmoderne, surrealistische oder avantgardistische Merkmale aufweisen, aber die Autorin, die diese Erfahrungen durchgemacht und verinnerlicht hat, transzendiert diese Schreibweisen und schafft einen durchaus persönlichen Stil, den man als ‚Herta-Müller-Stil‘ bezeichnen könnte.8

Die Collagen sind im Vergleich zu den Erzählungen die spielerischere Ausdrucksform, in der der Collagenklang (mit Reimen, Assonanzen, Rhythmen sowie den Metren) und die Musik mit inhaltlichen Musikbezügen, Liedversen und Instrumentenbildern zum virtuosen und künstlerischen Charakter der Collagen beitragen. Diese Verspieltheit bildet ein Gegengewicht zu den Ängsten und Bedrohungen, die in den Collagen dargestellt sind und die die jeweilige Figur bzw. das lyrische Ich – teils episch, teils lyrisch dargestellt – erlebt und denen es oftmals schutzlos ausgesetzt zu sein scheint. Allein im spielerischen Moment, den das Sprachmaterial bspw. in der Darstellung der Bruchstellen oder in volksliedhaftem Ton bereithält, wenn es um tiefe Ängste und Bedrohungen geht, bietet die Collage in einem metareflexiven Dreh die Flucht mittels Widerstand in Form von un←17 | 18→erwartetem Sprachwitz, Komik, Parodie oder Paradoxität an. Dabei bedient sich Müller häufig verschiedener Spielarten wie Volkslied, Märchen, Abzählreim etc. Der Rückgriff auf romantische Traditionen, der sich in Müllers Prosa und den Collagen mehrfach zeigt,9 deutet eine Positionierung der Autorin an, wie auch Petra Renneke feststellt:

Einige Texte Müllers indizieren eine Trennung von der romantischen Tradition, in der das Volkslied und Volksmärchen eine bestimmte Tradition, in der das Volkslied und Volksmärchen eine bestimmte Erzähltradition markieren. Und gerade im Prozeß der Trennung von der Tradition der Romantik bleibt sie in desillusionierter Form anwesend und akut in einer spezifischen Struktur […] gerade im vermeintlichen Loslassen der romantischen Tradition bleibt sie in ihrem Schreiben virulent.10

Details

Seiten
552
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631744109
ISBN (ePUB)
9783631744116
ISBN (MOBI)
9783631744123
ISBN (Hardcover)
9783631743775
DOI
10.3726/b13355
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (April)
Schlagworte
Musikalische Literatur Musikalische Schriftsteller Musikphilosophie Interdisziplinäre Literaturwissenschaft Komparatistische Analysen Rumäniendeutsche Literatur
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018., 251 S., 1 farb. Abb.

Biographische Angaben

Julia Ogrodnik (Autor:in)

Julia Ogrodnik studierte an der Universität Osnabrück Musik und Germanistik. Anschließend war sie als freie Musikerin und Musikpädagogin tätig, bevor sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Osnabrück promovierte.

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Titel: Musik im Werk Herta Müllers
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554 Seiten