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Der apokalyptische Abessinier und die Kreuzzüge

Wandel eines frühislamischen Motivs in der Literatur und Kartografie des Mittelalters

von Mordechay Lewy (Autor:in)
©2018 Monographie 448 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie will den unbeachteten Wandel des frühislamischen Motivs eines apokalyptischen Abessiniers, «Dhu‘l Suwayqatayin al-Habaschi», der Mekka zerstören soll, bis zu seiner Integrierung in Prophetien des 5. Kreuzzugs und in der «Recuperatio»-Literatur nach dem Verlust von Akkon im Jahre 1291 rekonstruieren. Gleichzeitig untersucht sie eine unbekannte eschatologische Bedrohungszone am Horn von Afrika, die in mittelalterlichen Karten eine Allianz zwischen Kreuzrittern und Abessiniern gegen den Islam insinuiert. Die Studie gibt Antworten auf folgende Fragen: Wie wurden eschatologische Erwartungen in Weltkarten konfiguriert, wie konnte das Horn von Afrika zu einer gegen den Islam gerichteten eschatologischen Region werden und wie konnte ein Hadith-Motiv in anti-islamische Prophetien und Rückeroberungspläne Eingang finden?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Geleitwort zum vorliegenden Band
  • Zum neuen Herausgeber dieser Reihe
  • Vorwort
  • Abkürzungsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Ziel der Arbeit
  • 2. Forschungsstand
  • 3. Die endzeitliche Dimension der Studie
  • 4. Aufbau der Arbeit
  • Teil A.
  • II. Die geografische Nomenklatur zu Äthiopien, Nubien und Abessinien: Die Austauschbarkeit deren Namen im Mittelalter
  • 1. Äthiopien und Abessinien
  • 2. Nubien
  • a. Nubien zwischen biblischer und antiker Erinnerung an Kusch und Äthiopien
  • b. Arabische Quellen zu Nubien
  • 3. Die Übersetzungen der geografisch-astrologischen Texte als Quellen zu Nubia
  • 4. Die frühen narrativen lateinischen Quellen zu Nubia
  • 5. Fazit
  • III. Der Abessinier als Zerstörer Mekkas: Der Transfer eines endzeitlichen Motivs von Arabien nach Europa
  • 1. Dhu‘l-Suwayqatayn al-Habaschi – Der dünnbeinige Abessinier: Genese einer frühislamischen apokalyptischen Vision
  • a. Abessinische Zerstörer der Kaʿba als apokalyptisches Zeichen
  • b. Die Hadith-Überlieferung
  • c. Muslimische Ambivalenz gegenüber Abessinien und Nubien
  • 2. Die syrische Apokalypse des Pseudo-Methodius und Äthiopien
  • 3. Die Bedeutung der 70 Jahre im narrativen und eschatologischen Kontext
  • 4. Die koptische Apokalyptik und das Motiv des abessinischen Endzeitkönigs
  • a. Die monophysitische Einheit gegen den Islam
  • b. Die koptische Apokalyptik
  • c. Die Aufwertung der abessinischen Rolle in der koptischen Apokalyptik
  • d. Die Durchdringung des endzeitlichen Denkens der Kopten mit Motiven aus der islamischen Apokalyptik
  • 5. Der apokalyptische Abessinier in der äthiopischen Apokalyptik
  • a. Zeugnisse der frühen Texte der altäthiopischen (Ge’ez) Literatur
  • b. Der äthiopische Eingriff in die koptische Kompilation „History of the churches and monasteries of Egypt“ (Tārikh al-Kanā’is wa-al Adyirah)
  • c. Die äthiopische Version der „10. Vision“ Apa Schenutes von Atripe
  • 6. Die Tilgung der kuschitischen Elemente aus der Apokalypse des Pseudo-Methodius in ihrer frühen lateinischen Rezeption in Europa
  • a. Erste und zweite Rezension
  • b. Die historischen Umstände und die theologische Begründung
  • c. Ambrosius Autpertus
  • d. Das Schicksal der 2. Rezension nach Ambrosius Autpertus
  • 7. Der interkulturelle Transfer von Motiven
  • IV. Die lateinische Wahrnehmung des abessinischen Motivs während des 5. Kreuzzugs
  • 1. Die Vision vom Ende des Islams
  • a. Endzeiterwartungen: Toledobrief, Himmelszeichen und manipulierte Prophezeiungen in früheren Kreuzzügen
  • b. Innozenz’ III. Islamvision als Inspiration für Pelagius und die Anwendung der Zahl 666 auf Muhammad
  • c. Paradigmenwechsel und Ablehnung des Angebots, Jerusalem kampflos zu erhalten
  • 2. Die in Damiette in Umlauf befindlichen Prophezeiungen
  • a. Ungewöhnliche Dichte von Prophezeiungen während des 5. Kreuzzugs
  • b. Die pseudo-klementinische Apokalyptik
  • c. Die Berichte Olivers und Jakobs über pseudo-klementinischen Prophetien
  • d. Der Liber Clementis und die Chronologie der Prophezeiungen
  • 3. Pelagius und die Umschreibung der pseudo-klementinischen Prophezeiungen zu Visionen von Hannan und Agap
  • a. Die Kreuzritter in Damiette zwischen Hoffnung und Enttäuschung
  • b. Pelagius manipuliert die Prophezeiungen
  • c. Eine moderne Rechtfertigung von Pelagius’ Rolle
  • 4. Die Handschriften der in Damiette entstandenen apokalyptischen Visionen La Prophetie de Hannan, le fil Ysaac und Prophetia filii Agap
  • 5. Die verworrene Überlieferung des abessinischen Motivs in den Visionen von Hannan und Agap
  • a. Das frühislamische Motiv
  • b. Apokalyptische Motive des frühen Islams in christlichen antiislamischen Prophezeiungen
  • c. Die missratene Rezeption
  • 6. Der Leichnam des „Pseudopropheten“ Muhammad
  • 7. Der Pilgerbericht Thietmars als erster Beleg für pseudo-klementinische Prophezeiungen?
  • V. Die Rezeption des abessinischen Motivs in Europa nach dem 5. Kreuzzug
  • 1. Oliver von Paderborn, Historia Damiatina
  • 2. Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale
  • 3. Paolino Minorita, Chronologia magna
  • VI. Das abessinische Motiv in recuperatio-Traktaten nach 1291
  • 1. Recuperatio-Literatur
  • 2. Hethum von Korykos – Stellenwert Abessiniens bei Flos Historiarum
  • 3. Marino Sanudo Torsello – Allianz mit den Nubiern: Liber secretorum fidelium crucis
  • a. Leben und Werk
  • b. Sanudos geostrategisches Konzept für einen Kreuzzug
  • c. Die Rolle der Nubier in Wort und Bild bei Sanudo
  • 4. Wilhelm Adam: Ein Protagonist der Abessinier
  • a. Wilhelms Kirchenkarriere und Werke
  • b. Zur Autorschaft des Directorium
  • c. Wilhelms Plan für ein maritimes Handelsembargo und seine kartografische Metapher
  • d. Abessinien als Macht, die den Islam zerstört
  • 5. Überblick über den apokalyptischen Abessinier in den Schriftquellen
  • a. Chronologischer Überblick
  • b. Stemma des apokalyptischen Abessiniers (auch als Tabelle 9)
  • c. Fazit
  • VII. Die Machtprojektion Abessiniens im 14. Jahrhundert
  • 1. Der neu gewonnene Respekt vor der abessinischen Macht
  • a. Territoriale Zugewinne unter dem Negus Amda Seyon
  • b. Abessinien auf Karten des 14. Jahrhunderts
  • c. Der äthiopische König Senap
  • 2. Die strategische Legende von der Umleitung des Nils
  • a. Äthiopische Umleitungsnarrative
  • b. Europäische Umleitungsnarrative
  • 3. Die Verortung des Priesters Johannes in Abessinien
  • a. Seine umstrittene vorzeitige Verortung in Äthiopien
  • b. Seine Verortung in europäischen Reiseberichten
  • 4. Fazit zum Teil A
  • Teil B.
  • VIII. Die bekannte Verortung der Endzeit im Nordosten der Weltkarte
  • 1. Semantisierung der Kardinalrichtung Nord
  • a. Die biblische Verortung der Endzeit
  • b. Die Bewertung des Nordens im Mittelalter
  • c. Das Habitat von Gog und Magog in der nordöstlichen Ecke der Weltkarten
  • d. Die modifizierte Gefahr aus dem Norden
  • 2. Die Konfiguration des endzeitlichen Habitats im Nordosten der Weltkarten
  • 3. Die Kaspischen Tore am Kaukasus in der Antike und auf mittelalterlichen Weltkarten
  • a. Die Kaspischen Tore in der Antike
  • b. Die Kaspischen Tore im Mittelalter
  • 4. Die verlorenen jüdischen Stämme als endzeitlich eingeschlossene Nation im Nordosten der Mappae mundi
  • a. Die Zehn Stämme im Exil
  • b. Die eingeschlossenen Völker
  • IX. Die unbekannte „Ecke“ der Endzeit: Der Südosten am Horn von Afrika
  • 1. Innovatives auf mittelalterlichen Weltkarten
  • 2. Der kartografische Befund im Südosten der Weltkarten
  • a. Die Formierung einer nubischen Kartengruppe
  • b. Der Beleg eines gemeinsamen Musters für die endzeitliche Sperrzone
  • c. Die endzeitlichen Befunde am Horn von Afrika in der Kartografie
  • 3. Das anthropologische Motiv als Vorlage für die Einschließung der Äthiopier am Horn von Afrika
  • a. Der nubische Text der Vercelli-Karte
  • b. Der Vercelli-Text im Vergleich zur Descriptio mappe mundi des Hugo von St. Viktor
  • c. Die Nubische Pforte
  • d. Fazit
  • 4. Eingeschlossene Völker in Mappae mundi
  • X. Rekonstruktion eines gemeinsamen annotierten nubischen Textblocks
  • 1. Rekonstruktion der nubischen Inschrift in der Aslake-Karte
  • 2. Rekonstruktion des gemeinsamen nubischen Textblocks für die Hereford-, Ebstorf-, Polychronicon- und Aslake-Karte
  • a. Die Ebstorfer Weltkarte
  • b. Rekonstruktion der gemeinsamen Vorlage
  • 3. Der Inhalt der gemeinsamen Vorlage
  • XI. Das Horn von Afrika – eschatologisch gedeutet
  • 1. Die Möglichkeiten das versperrte Horn von Afrika zu deuten
  • 2. Das Horn von Afrika nach dem Fall von Akkon 1291
  • 3. Caspiarum similes – eschatologisch gedeutet
  • a. Frühere Deutungen von Caspiarum similes
  • b. Die Londoner Psalterkarte in ihrer eschatologischen Dimension
  • c. Fazit
  • XII. Zusammenfassung – Erträge der Studie
  • 1. Rekonstruktion des historischen Kontexts
  • 2. Primäre Erträge
  • 3. Sekundäre Erträge
  • XIII. Appendizes
  • 1. Neudatierung der Vercelli-Karte
  • 2. Neubewertung der Koblenzer Weltkarte
  • XIV. Verzeichnisse
  • 1. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • a. Handschriften
  • b. Gedruckte Quellen
  • c. Literatur
  • 2. Verzeichnis der Bilder
  • 3. Verzeichnis der Tabellen
  • 4. Indices
  • Reihenübersicht

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Geleitwort zum vorliegenden Band

Es kommt nicht oft vor, dass ein Diplomat nach seiner Karriere eine Dissertation schreibt. Es ist aber eine Seltenheit, wenn ein herausragender Diplomat auf schwierigem Posten eine exzellente Dissertation schreibt, die allseits viel Anerkennung gefunden hat.

Bei Herrn Dr. Mordechay Lewy ist dies der Fall. In seiner Karriere im Auswärtigen Dienst des Staates Israel hatte er viel mit interreligiösen Fragen zu tun. Er war u.a. einige Jahre Sonderberater für die Christlichen und Muslimischen Gemeinschaften in der heiligen Stadt beim Bürgermeister von Jerusalem. Sein letzter Posten als Botschafter des Staates Israel war derjenige beim Heiligen Stuhl. Während Theodor Herzl bei Papst Pius X. scheiterte, gelangen Dr. Lewy, vor allem unter dem Pontifikat von Papst Benedikt XVI., vielfache Schritte der Annäherung zwischen dem jüdischen Staat Israel und dem Heiligen Stuhl, dem Zentrum des Christentums, die jahrzehntelang keine diplomatischen Beziehungen hatten, sowie zwischen Juden und Christen. Dass dies wohl einer der kompliziertesten Botschafterposten ist, die der Staat Israel zu vergeben hat, liegt damit auf der Hand.

Mit seiner Dissertation „Der apokalyptische Abessinier und die Kreuzzüge - Wandel eines islamischen Motivs in der Literatur und Kartografie des christlichen Mittelalters“ hat Mordechay Lewy wissenschaftliches Neuland betreten, das er mit großem Erfolg („magna cum laude“) ertragreich bearbeitet hat. Es ist aber auch als ein Beitrag zur aktuellen Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum zu verstehen. Vertieft wird dies durch die Vortragstätigkeit, der sich der Autor immer noch gern widmet. Dr. Lewy wird 2019 einen zeitlich begrenzten Lehrauftrag an der päpstlichen Universität St. Thomas Aquinas (Angelicum) in Rom zum Thema „Eschatologie im Judentum“ übernehmen.

So können wir noch einiges vom Autor erwarten und gespannt sein, was uns Herr Dr. Lewy in Zukunft bieten wird.

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Zum neuen Herausgeber dieser Reihe

Herrn Privatdozenten Dr. theol. habil. Meik Gerhards

Tempus fugit – und wir zollen ihr Tribut. Wir, die bisherigen Herausgeber der Reihe „Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des Antiken Judentums“ haben die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht und sind emeritiert. Nicht, daß wir aufgehört hätten zu arbeiten, aber wir haben aufgehört, alles allein bewerkstelligen zu wollen. So haben wir uns entschlossen, einen jüngeren Kollegen als Mitherausgeber einzuladen.

Traditio ex iusta causa – die Tradition, die diese 1982 begonnene Reihe begründet, soll weitergehen. Als Prof. Dr. Klaus-Dietrich Schunck, der Lehrer der beiden Herausgeber, aus Altersgründen ausschied, rückte sein letzter Assistent, Prof. Dr. Hermann Michael Niemann nach. So ist es nur folgerichtig, dass Privatdozent Dr. Meik Gerhards, letzter Assistent von Prof. Niemann und geschätzter Kollege von Prof. Dr. Dr. Augustin, das Herausgeber-Team verstärkt.

Herr PD Dr. Gerhards wurde nach dem Studium der Evangelischen Theologie und orientalischer Sprachen 2005 in Marburg/Lahn zum Dr. theol. promoviert. Die Dissertation erschien unter dem Titel „Die Aussetzungsgeschichte des Mose. Literar- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu einem Schlüsseltext des nichtpriesterschriftlichen Tetrateuch“. WMANT 109, Neukirchen-Vluyn 2006. Er habilitierte sich 2010 an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Die Habilitationsschrift erschien noch im selben Jahr: „Das Hohelied. Studien zu seiner literarischen Gestalt und theologischen Bedeutung“. ABG 35, Leipzig. Seitdem hat Herr Dr. Gerhards eine größere Anzahl von Aufsätzen auf den Gebieten der Biblischen Theologie und Exegese und der Semitistik verfaßt. Unter mehreren Monographien, in denen er auch babylonische Dichtungen und das biblische Jonabuch behandelt, sind zuletzt zu nennen: „Conditio humana. Studien zum Gilgameschepos und zu Texten der biblischen Urgeschichte am Beispiel von Gen 2-3 und 11,1-9“. WMANT 137, Neukirchen-Vluyn 2013 sowie „Homer und die Bibel. Studien zur Interpretation der Ilias und ausgewählter alttestamentlicher Texte“. WMANT 144, Neukirchen-Vluyn 2015 und „Gott und das Leiden. Antworten der babylonischen Dichtung Ludlul bēl nēmeqi und des biblischen Hiobbuches“. BEATAJ 60, Frankfurt am Main 2017. Herr Dr. Gerhards versteht es, theologische und speziell bibelwissenschaftliche Fragen im Gespräch mit Nachbardisziplinen wie der Gräzistik und der Orientalistik zu behandeln. Mit ihm als Mit-Herausgeber kann unsere Buchreihe ihr Profil interdisziplinär verbreitern. ← 15 | 16 →

Wir freuen uns, dass Meik Gerhards die Aufgabe gern übernommen hat - ad multos annos!

Matthias Augustin und Hermann Michael Niemann

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Vorwort

Mit der vorliegenden Dissertation erfüllt sich ein jahrzehntelanger Wunsch, eine Dissertation zu schreiben, in der geografische und historische Fragestellungen miteinander verwoben sind. Dieser Wunsch ließ sich während meiner diplomatischen Laufbahn nicht verwirklichen, sondern erst nach meinem Ruhestand.

Das Interesse an Geschichte wurde durch meine Mutter geweckt, als sie mir als Achtjährigem ein Comicheft über den Gallischen Krieg von Julius Caesar gekauft hat. Meine Lehrer an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Joshua Prawer s.A., David Jacoby, Benjamin Z. Kedar und Amnon Linder, haben mich in den Jahren 1970–1976 auf die Fährte des Mittelalters gebracht. Die historische Geografie und das Pilgerwesen nach Jerusalem waren jahrelang Bestandteil meiner eigenen Recherchen. Dabei waren mir Rehav Rubin (Jerusalem) und Haim Goren (Tel Hai) stets eine große Hilfe. Da ich mich durch die Jahre mit mittelalterlichen Reisebeschreibungen befasst habe, erhielt ich wichtige Impulse durch den fruchtbaren Austausch mit Arnold Esch (Rom) und Marina Münkler (Dresden). Der Inhalt der Dissertation sprengt in vieler Hinsicht den Rahmen eines eng definierten Themas und ist interdisziplinär in seinem wahrsten Sinn. So musste ich mich in die Islamwissenschaften, Judaistik, Orientalisches Christentum und ganz besonders in die Äthiopistik einarbeiten, ohne deren Sprachen zu beherrschen. Dabei fand ich die Unterstützung von vielen Fachleuten, denen ich hier namentlich zu Dank verpflichtet bin: Reuven Amitai (Jerusalem), Boaz Shoshan (Beer Sheva), Haggai Erlich (Tel Aviv), Steven Kaplan (Jerusalem), Emmanouela Grypeou (Stockholm) und Denis Nosnitsin (Hamburg). Während der Vorbereitung dieser Arbeit genoss ich den freien Zugang zur elektronischen Datenbank der UB in Frankfurt am Main. Ohne diesen Zugang und die freundlichen Bibliotheks- und Fernleihdienste der Landes- und Universitätsbibliothek in Bonn wäre die vorliegende Studie nicht zustande gekommen. Einen besonderen Dank schulde ich Claudia Montuschi aus der Vatikanbibliothek. Ich bin Gerd Renken und Giuseppe Cusa dankbar für ihre Bemühungen, meine Arbeit sprachlich und stilistisch zu verbessern. Janus Gudian gebührt Dank für seine stetige Hilfsbereitschaft. Meinen Freunden Gerhard Schneider (Bissendorf) und Uri M. Kupferschmidt (Haifa) bin ich für die jahrelange anregende Begleitung dankbar. Ich bin vor allem Prof. Johannes Fried sehr zu Dank verpflichtet für seine Bereitschaft, diese Arbeit zu betreuen. Er hat mich für „endzeitliches Denken“ inspiriert. Ferner danke ich Prof. Ingrid Baumgärtner für die Übernahme des Ko-mentorats. Ihre Kompetenz in der mittelalterlichen Kartografie war sehr ← 17 | 18 → anregend. Und nicht zuletzt möchte ich meiner Frau Rivka für ihre geistreichen Anregungen und für das Verständnis danken. Sie musste mich als Gesprächspartner für viele Stunden entbehren. Die Arbeit ist ihr, meinen verstorbenen Eltern Elsa und Henry Lewy und meinen Kindern Adi, Joni und Elinor gewidmet.

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Abkürzungsverzeichnis

CE Coptic Encyclopedia

BAV Bibliotheca Apostolica Vaticana

BBBTS Biblioteca Bio-Bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente Francescano

CCCM Corpus Christianorum Continuatio Medievalis

CCSL Corpus Christianorum Series Latina

CMBH Christian-Muslim Relations. A Bibliographical History, Thomas, David and Mallett, Alex (Hgg.), Band. 4: 1200–1350, Leiden 2012; Bd. 5 (1350–1500), Leiden 2013

CSCO Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium

CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum

DA Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters

EAE Encyclopaedia aethiopica

EI Encyclopaedia of Islam,

EIr Encyclopaedia Iranica

EQ Encyclopaedia of the Qurʾān

LMA Lexikon des Mittelalters, 9 Bände, München 2003

MGH Monumenta Germaniae Historica

PG Migne Patrologia Graeca

PL Migne Patrologia Latina

NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde

NP Der Neue Pauly, Brill Online, 2013

RE Paulys Realencyclopädie der klassischen Altertumswissenschaft

RHC Recueil des Historiens des Croisades

ROL Revue de l’Orient Latin

RS Rolls Series

SOPMA Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi

ZDMG Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

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I. Einleitung

1. Ziel der Arbeit

Ziel dieser Dissertation ist es, eschatologischen Spuren am Horn von Afrika1 nachzugehen, die in lateinischen Weltkarten vermutet werden. Folgende Fragestellungen werden als Leitfaden für die Studie stehen.

Wie wurden eschatologische Erwartungen vom Ende der Welt in mittelalterlichen Weltkarten konfiguriert?

Wie konnte ein frühislamisches apokalyptisches Motiv in anti-islamische Prophetien und in die recuperatio-Literatur Eingang finden?

Wie konnte das Horn von Afrika zu einer gegen Islam gerichtete eschatologische Region in Weltkarten werden?

Die zu untersuchenden 8 Weltkarten sind zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert entstanden. Die Zeitspanne, die die Arbeit umgreift, ist von der vermuteten Datierung der Karten abhängig. Die Datierung von Weltkarten ist problematisch geblieben, und nur in den seltenen Fällen hat man genaue Anhaltspunkte. Mit Ausnahme der Vercelli-Karte, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der Regierungszeit Philipps III. des Kühnen (1270–1285) hergestellt wurde, wird mit Blick auf die Datierung der aktuellen Forschungsmeinung gefolgt2.

Die älteste Weltkarte ist die San-Viktoriner Isidor-Karte aus München, die um 1130 datiert wird, und die jüngste ist das Fragment der Aslake-Karte, die um 1365 entstanden ist. Vier Weltkarten sind in Kodizes eingebunden, nämlich die Münchner Isidor-Karte, die Sawley-Karte, die Londoner Psalterkarte und die Weltkarte im Polychronicon aus dem Besitz der Abtei Ramsey. Die anderen vier Karten sind Wandkarten, die eingerahmt oder gerollt waren – und zwar Vercelli, Hereford, Ebstorf und Aslake. Alle acht Karten gehören dem Typ der enzyklopädischen Mappae mundi an, die das klassische Wissen und den religiösen ← 21 | 22 → Ausblick eines Heilsgeschehens als Orientierungspunkte haben. Daher sind sie nicht stumm, sondern enthalten auch Annotationen. Einer ihrer gemeinsamen Nenner ist eine kartografische Konfiguration, die das Gebiet zwischen dem Roten Meer und dem südlichen Ozean mit einer Gebirgskette durchzieht. In sechs Karten wird diese Kette sogar mit einer Pforte versehen, sodass man darin eine abgesperrte Region erkennen kann. Diese Region, die heute „Horn von Afrika“ genannt wird, bekam in diesen Weltkarten die Eigenschaften einer abgesperrten Halbinsel. Als deren Bewohner galten im lateinischen Mittelalter die Nubier und die Äthiopier, die damals von europäischen Autoren nicht unterschieden wurden und daher austauschbar waren. Es ist Ziel der Arbeit, die in einen literarischen und einen kartografischen Teil gegliedert ist, textuelle und kartografische Belege zu finden, die eine eschatologische Gefahrenzone am Horn von Afrika begründen. Dabei wird im literarischen Teil ein weitgehend unbekanntes apokalyptisches Motiv aus der frühislamischen Überlieferung ans Tagelicht gebracht. Diesem zufolge wird ein Abessinier als ein Vorzeichen der Endzeit für den Islam die Kaʿba in Mekka zerstören. Dieses endzeitliche Motiv ist in Überlieferungen der koptischen und abessinischen Apokalyptik übertragen worden. Während des 5. Kreuzzugs in Damiette wurde es, gemeinsam mit anderen frühislamischen Motiven, unter dramatischen Umständen in lateinische und volkssprachliche Prophezeiungen integriert. Die vorliegende Arbeit versucht zu beweisen, dass der päpstliche Legat Pelagius im Jahr 1221 veranlasste, diese Visionen abzufassen und dafür pseudo-klementinische Apokalypsen als Vorlagen benutzte. Diese Vorlagen bekamen seine Mitarbeiter Oliver von Paderborn und Jakob von Vitry in Damiette von orientalischen Christen gezeigt. Lateinische und altfranzösische Prophezeiungen haben somit das Motiv des apokalyptischen Abessiniers in teilweise verzerrter Form nach Europa weitergetragen. Einige recuperatio-Traktate integrierten die Rolle des Abessiniers als Islamzerstörer und sahen in ihm einen potenziellen Allianzpartner bei der Rückgewinnung des Heiligen Landes nach dem Verlust von Akkon im Jahr 1291.

Im kartografischen Teil wird die Konfiguration, die die Sperrzone von Gog und Magog mit den Kaspischen Pforten im Nordosten der Weltkarten in Erinnerung bringt, sich in mindestens 15 von insgesamt 37 Weltkarten aus dem 12. bis 14. Jahrhundert wiederfinden.3 Diese Konfiguration ist als Archetypus einer endzeitlichen Sperrzone zu verstehen. Die Rekonstruktion einer gemeinsamen nubischen Annotation in vier Weltkarten, die nach 1291 hergestellt wurden, ← 22 | 23 → enthält den Begriff Caspiarum similes, die eine eschatologische Sinngebung für das Horn von Afrika insinuiert. Somit wird dieser kartografische Beleg für eine eschatologische Interpretation des Horns von Afrika mit dem literarischen Befund einer Überlieferungskette des apokalyptischen Abessiniers in Einklang gebracht. Diese Interpretation bedient sich nicht nur der Hermeneutik aus der konventionellen Textkritik, sondern auch der Instrumente der mittelalterlichen Textexegese des vierfachen Schriftsinnes.4 Da Mappae mundi als Text auf mehreren Aussageebenen verfasst und vielfältig ausgelegt werden konnten,5 ist die anagogisch-eschatologische Deutung eine naheliegende Alternative.

2. Forschungsstand

Bild 1: Model einer T-O Karte

illustration

Orbis pictus, forma oder tabula waren die Begriffe die antiken Autoren für eine Karte benutzten. Der Begriff Mappa mundi taucht um 840 zwar nicht wörtlich ← 23 | 24 → im Gedicht des Micon von St. Riquier auf, aber schon Richard Uhden und später Marcia Kupfer sahen darin zu Recht eine frühe mittelalterliche Beschreibung einer Weltkarte.6 Lateinische Weltkarten aus dem Mittelalter werden auf drei inhaltliche Merkmale hin untersucht, die in unterschiedlicher Intensität vorzufinden sind. Erstens wird dem antiken Wissen nachgespürt und in welcher Form es verarbeitet wird. Zweitens blickt man auf Wertvorstellungen und in welcher Form der politische respektive religiöse Kontext kartiert wird. Drittens wird betrachtet, inwiefern zeitgenössische, historische oder empirische Erkenntnisse in den Weltkarten verarbeitet wurden.7

Unter den etwa 1100 überlieferten Weltkarten jeglicher Größe und Typs aus dem Mittelalter befinden sich etwa 900 in Handschriften.8 Allerdings sind über 600 Karten von kleineren Ausmaßen und kommen als T-O-Karten kaum über eine skizzenhafte Darstellung der Dreiteilung der Welt hinaus.

Es ist nicht unerwartet, dass die unmittelbare Nähe von Karte und Text die Forschung inspiriert hat, diese gegenseitige Abhängigkeit zu untersuchen. In einem Kodex ist ein Zusammenhang zwischen Karte und laufendem Text allerdings nicht zwingend und oftmals auch gar nicht gegeben.9

Die Erforschung der mittelalterlichen Karten hatte sich vor Jahrzehnten der Frage nach der Entstehung der Weltkarten gewidmet. Die ältere Forschung seit Konrad Miller10 bis hin zur jüngeren von David Woodward11 ging von einer linearen Entwicklung aus, in der ältere Karten als Vorlagen dienten. Dem kaum ← 24 | 25 → überlieferten Korpus der antiken Karten wurde bei der Gestaltung mittelalterlicher Weltkarten eine außerordentliche Bedeutung beigemessen. Dieser Ansatz hat sich nicht immer als konstruktiv erwiesen. Patrick Gautier Dalché hat der Erforschung der Entstehung mittelalterlicher Weltkarten mit seinen Texteditionen der geografischen Beschreibung Descriptio mappe mundi12 des Hugo von St. Victor sowie der kartografischen Anleitung Expositio mappe mundi13 neue Perspektiven eröffnet. Zunehmend wurde klar, dass solche kartografischen Textbücher sowohl detaillierte Anleitungen zu Kartenentwürfen als auch den Inhalt von existierenden Karten wiedergeben konnten.14 In beiden Fällen hat sich hiermit eine Zwischenstufe eingeschoben, die zur Rekonstruktion bislang fehlender Phasen des Entstehungsprozesses von Weltkarten beitragen konnte. Hartmut Kugler nannte diesen neuen Quellentyp „Texthefte zu Weltkarten“.15 Diese Karten können eine gemeinsame kartografische Signatur und grafische Formensprache haben, die zwar anders aussehen als heutige Karten, aber einer eigenen Logik und Hermeneutik unterliegen.

2008 regte Felicitas Schmieder in einem Colloquium an, neben Geschichtsschreibung auch Geografie künftig eingehender zu betrachten, sei diese doch „ein Feld, das angesichts der prophetischen Elemente in spätmittelalterlichen Weltkarten […] unbedingt noch weiter beforscht werden sollte.“16. Was für spätmittelalterliche Weltkarten gilt, sollte auch für die früheren Jahrhunderte des Hochmittelalters relevant sein. Für das mittelalterliche Verständnis, Mappae mundi zu deuten, wies Schmieder auf den von Christel Meier-Staubach benutzten Begriff „Ambiguitätstoleranz“ in der mittelalterlichen Texthermeneutik ← 25 | 26 → hin.17 Meier-Staubach zielte vor allem auf mittelalterliche Bibelexegese und Theologiediskurse. Diese Ambiguität ist aber ein Ausdruck der vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten, die auch bei mittelalterlichen Karten zum Vorschein treten können. Moderne Kartenleser verstehen diese Ambiguität als Ungereimtheit oder Unzulänglichkeit. Die Moderne erwartet von Karten Eindeutigkeit und Präzision. Die Mappae mundi sollten jedoch an ihren eigenen Voraussetzungen gemessen werden.

Die Komplexität, ja die schiere Überfülle des visuellen Angebots auf den Kartenoberflächen fordert geradezu Ordnungsprinzipien, mit denen die Weltkarten entschlüsselt werden können. John Brian Harley plädierte schon 1988 gegen die binäre Bewertung von Karten als genau/ungenau, richtig/falsch, objektiv/subjektiv, wörtlich/symbolisch oder wissenschaftlich integer/ideologisch verzerrt. Stattdessen schlug er vor, eine Karte als ein soziales, politisches und religiöses Konstrukt zu begreifen, das es entsprechend zu entziffern gilt. Er erkannte mindestens drei Perspektiven, nach denen Karten interpretiert werden könnten. Die erste Perspektive definiert Kartografie als Sprache, die rhetorische Bilder entwirft und kulturelle Praktiken übersetzt, wobei Harley den semiotischen Ansatz für die Kartografie als eingrenzend empfindet. Die zweite Perspektive ist die ikonologische, in der nicht nur die Ebene der Oberfläche der Karte interpretiert wird, sondern auch die unterschwelligen Ebenen, die mittels ihrer symbolischen Dimension Botschaften versenden und empfangen können. Eine Karte kann Symbole mit Namen, Orten oder anderen kartierten Details assoziieren, die in sich schon eine politische Signifikanz haben. Auf dieser Ebene kann sich politische Macht effektiv entfalten. Die dritte Perspektive ist die der Wissenssoziologie im Sinne Foucaults. Die Einbindung von Wissen und Macht in der Kartografie erleichtert die Kontrolle über Räume und die Durchsetzung der eigenen Werte, oft im Namen der Wissenschaftlichkeit.18 „Alle drei Ansätze verweisen auf ← 26 | 27 → Weltkarten als gesellschaftliche Produkte, bei denen zeitgenössische Vorstellungen die Gestaltung des kartografischen Raumes bestimmen und die Selektion der Motive beeinflussen.“19

Die Literaturwissenschaft hat im Zuge des „spatial turn“ den Karten als Texte einen breiten Raum eingeräumt. Robert Stockhammer spricht von der „Kartizität“ als kartografisches Schreiben, das sich auf einen Schreibprozess von literarischen Texten beziehe, wobei eine inhärente Affinität zu Karten bestehe. Dem stellt er die „Kartierbarkeit“ gegenüber, die vorgebe, von jedem literarisch dargestellten Raum eine Karte erzeugen zu können.20 Die neuesten Forschungsansätze von kartografischer Literatur haben diese gegebene oder vermeintliche Interdependenz zu einer Austauschbarkeit zwischen kartiertem Text und vertexteten Karten geführt.21 Diese Entwicklung ermöglichte die eine Kartierbarkeit in Texten aller Gattungen,22 und zwar unabhängig von der Existenz der konventionellen kartografischen Raumerfassung.23 Eine Warnung vor „Über-Semiotisierung“ sprachen Ingrid Baumgärtner, Paul-Gerhard Klumbies und Franziska Sick, Herausgeber des Bandes über Raumkonzepte, bereits 2009 aus: „So führten die Versuche, ‚dem Raum Bedeutung zu geben und durch Raum Bedeutung zu schaffen‘, zu vielfältigen Sinnangeboten und zur zunehmenden Verdichtung von Raumbildern, der wiederum neue Problemstellungen wie eine hochgradige Rhetorisierung und (Über)Semiotisierung kultureller Raumkonstruktionen anhaften.“24 Im Folgenden wird bevorzugt auf die historisch-philologische Textkritik und die ← 27 | 28 → Hermeneutik des vierfachen Schriftsinns, unter Berücksichtigung des von Harley vorgeschlagenen theoretischen Gerüsts, zurückgegriffen.

3. Die endzeitliche Dimension der Studie

Diese Untersuchung weist auf eine besondere Schwierigkeit hin: Einerseits soll, bevor man einer mittelalterlichen Äußerung einen eschatologischen Charakter verleiht, der Kontext – historisch, politisch oder rhetorisch – erschlossen werden; andererseits artikuliert sich die eschatologische Dimension in Zweideutigkeiten, ja in einer Ambiguität. Man scheute sich oft, das Weltende offen zu verkünden, um nicht mit der Kirche aneinanderzugeraten und vielleicht sogar als Häretiker zu gelten. Das Insinuieren konnte also den Vorzug haben, die Fährte der Zweideutigkeit weiter beschreiten zu können. Johannes Fried hat gezeigt, dass der führende Kirchenvater für das lateinische Mittelalter, Augustinus von Hippo, es den späteren Generationen von Exegeten nicht leicht gemacht hat. Er warnte vor jeglicher Berechnung der Endzeit. Sie stehe dem Menschen nicht zu. Augustinus empfahl geduldiges Abwarten und das Eingeständnis des eigenen Nichtwissens, wann die Endzeit komme.25

Paul Alexander hat darauf hingewiesen, wie apokalyptische Texte als historische Texte verwertet werden können.26 Was für den Text gilt, ist umso mehr für grafische Signaturen gültig. Man sollte deswegen nicht erwarten, dass die eschatologischen Elemente in Weltkarten immer offen liegen. Sie finden sich in den mittelalterlichen Weltkarten oft nur kodiert und lediglich angedeutet. Damit haben diese Karten eine Gemeinsamkeit mit Kunstwerken, die christliche Ikonografie darstellen. Beide Medien sind ebenso wertorientiert wie auch kodiert.27 So ließe sich auch eine Weltkarte gemäß ihrer Kodierung lesen. Manche Forscher ← 28 | 29 → meinen beispielsweise sogar, dass die Hereforder Weltkarte als Teil eines Triptychons eine performative Funktion als Andachts- und Altarbild hatte.28

Das eschatologische Bedrohungsszenario um Gog und Magog im Nordosten der Weltkarten hat sich kartografisch derart eingeprägt, dass es als Muster einer kodierten Konfiguration bei Bedarf an anderer Stelle einer Weltkarte eingesetzt werden könnte. So wird die vorliegende Studie auf eine kartografische Ähnlichkeit im Südosten, dem heutigen Horn von Afrika, hinweisen. Als eschatologisches Motiv war es zunächst naheliegend, in der Apokalypse des Pseudo-Methodius nachzuschlagen, zumal darin dem äthiopischen König eine gewisse endzeitliche Rolle eingeräumt wird. Im lateinischen Westen hat sich die Rezeption des Pseudo-Methodius vor allem mittels der verkürzten Rezeption II, die die eschatologische Rolle Alexanders des Großen und des nubisch/äthiopischen Königs getilgt hat, vollzogen. Dort fand in den endzeitlichen Vorstellungen eine frühe Abkopplung vom Beitrag Alexanders statt.29 Somit konnte Alexander in dem weitverbreiteten Genre des Ritteromans reüssieren, der die eschatologische Dimension der Alexanderlegende kaum beanspruchte.30

4. Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Studie ist in zwei Teile untergliedert. Während der erste Teil (Kapitel II–VII) die Befunde über den apokalyptischen Abessinier in den Textquellen präsentiert, werden im zweiten Teil (Kapitel VIII–XI) die acht Weltkarten hinsichtlich der endzeitlichen Belege kartografisch analysiert.

Zunächst folgt in Kapitel II jedoch ein begriffsgeschichtlicher Abriss, der sich auf die geografischen Begriffe von Äthiopien, Nubien und Abessinien bezieht und deren jeweilige Bedeutung in den antiken und mittelalterlichen Anwendungsbereichen klärt. Kapitel III widmet sich der Genese des frühislamischen eschatologischen Motivs des dünnbeinigen Abessiniers Dhu‘l-Suwayqatayin al-Habaschi. Anschließend wird die Rolle des abessinischen Königs als Zerstörer des Islams in syrischen, koptischen und äthiopischen apokalyptischen ← 29 | 30 → Prophezeiungen herausgearbeitet. Kapitel IV betrachtet eingehend Damiette während des 5. Kreuzzugs, also die entscheidende Phase, in der das Motiv in europäische Quellen Eingang fand. Kapitel V verdeutlicht, dass nur die Historia Damiatina das Motiv des Mekka zerstörenden König der Nubier (im Text: regem nubianorum) überliefert. In Kapitel VI wird der Rezeption des Motivs in den sogenannten recuperatio-Traktaten nach dem Fall von Akkon 1291 nachgegangen Abessinien war seit dem 14. Jahrhundert auf dem Weg, im strategischen Denken eine Alternative zu den Mongolen zu werden, so auch bei Marino Sanudo und Wilhelm Adam. In Kapitel VII wird der sich verbreitende Ruf der militärischen Potenz Abessiniens unter dem Negus Amda Seyon (Senapo in europäischen Texten) im Kampf gegen seine islamischen Nachbarn behandelt. Dieser spiegelt sich nicht nur in der recuperatio-Literatur wider, sondern auch in der frühen Erwähnung eines Priesters Johannes, der als (geistliches) Oberhaupt Abessiniens/Nubiens in Reisebeschreibungen und frühen Portolankarten auftaucht. Die eschatologische Dimension Abessiniens wird in Europa allmählich geläufiger. Kapitel VIII–XI präsentieren die Befunde aus den kartografischen Quellen bezüglich der eschatologischen Gefahrenzone am äthiopischen Horn von Afrika. Kapitel VIII stellt dabei die bekannte Verortung der Endzeit im Nordosten der enzyklopädischen Weltkarten vor und geht diesbezüglich unter anderem auf die normative Sinngebung (Semantisierung) des Nordens ein. Ferner wird die kartografische Verortung der von Alexander dem Großen eingeschlossenen Gog und Magog und unreinen Völker thematisiert. Diese erwarten nur die Zeichen der Endzeit, um den Antichrist nach Jerusalem zu begleiten und die Welt zu zerstören. Kapitel IX widmet sich der unbekannten Ecke der Endzeit am Südosten der Weltkarten. Zunächst wird das Problem der Erneuerungen in mittelalterlichen Weltkarten behandelt, ehe der innovative Befund im Südosten der Weltkarten näher beleuchtet wird. Die Absperrung am Horn von Afrika scheint zunächst in allen acht zur Debatte stehenden Weltkarten eher mit einem anthropologischen als mit einem eschatologischen Motiv begründet zu werden. Eine gemeinsame Annotation auf vier der analysierten Weltkarten wird in Kapitel X rekonstruiert, um den ungewöhnlich reichen Informationsgehalt des nubischen Textblocks im Anschluss zu untersuchen. Im Kapitel XI wird auf zwei gemeinsame Elemente hingewiesen, die eine endzeitliche Deutung des Horns von Afrika ermöglichen. Denn erstens wurden alle vier Karten mit der gemeinsamen Annotation nach dem Fall von Akkon 1291 hergestellt. Und zweitens ähnelt, so die vier Weltkarten, die Nubische Pforte den Kaspischen Toren (Caspiarum similes). Beide Elemente können eschatologisch gedeutet werden. Sie bilden zusammen mit dem ← 30 | 31 → apokalyptischen Motiv des abessinischen Islamzerstörers die Grundlage für die endzeitliche Konfiguration des Horns von Afrika.

Einleitend sei auf einige Formalia hingewiesen: Bei fremdsprachigen Zitaten werden Übersetzungen beigegeben, sei es als direkte Zitate oder als Paraphrasen. In Ermangelung an zufriedenstellenden Übersetzungen in deutscher Sprache werden mitunter eigene Übersetzungen hinzugefügt, die stets als solche gekennzeichnet werden. Bei Bibelzitaten wird neben der Vulgata31 von Fall zu Fall auch die Lutherübersetzung von 1545 wegen ihres antiquierten Duktus herangezogen.32 Diese schien für Texte mit eschatologischem Inhalt geeigneter als modernere Übersetzungen. Ferner werden Begriffe aus orientalischen Sprachen in vereinfachter Schreibweise wiedergegeben. Die fachspezifische korrekte Form wird Spezialisten geläufig sein. Ansonsten sei auf die einschlägigen Enzyklopädien EI, EAE, CE und EIr verwiesen.33


1 Dieser moderne geografische Begriff wird benutzt, da diese Region im lateinischen Mittelalter keine eigene Bezeichnung hatte. Die Region hieß im Altägyptischen Punt (Land des Goldes), im Griechischen erscheint sie im Periplus Maris Erythraei als die Küste von Barbarien (βαρβαρία), im Arabischen Bilad al-Barbara (Land der Barbaren) oder Bilād al-Zand̲j̲ (Land der Schwarzen [Sklaven]).

2 Die Datierungen entsprechen zumeist denen die von Peter Barber angegeben wurden; vgl. ders., Medieval Maps of the World, in: Paul D. A. Harvey (hg.), The Hereford World Map. Medieval World Maps and their Context, London 2006, S. 1–44.

3 Die Liste der 37 Weltkarten befindet sich in der materialreichen Dissertation von Zackor, Alexander der Große, S. 5–7.

Details

Seiten
448
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631749784
ISBN (ePUB)
9783631749791
ISBN (MOBI)
9783631749807
ISBN (Hardcover)
9783631749777
DOI
10.3726/b13543
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (November)
Schlagworte
Kulturtransfer von Apokalypsen Antiislamische Prophetien im 5. Kreuzzug Eschatologische Konfiguration von Weltkarten
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018, 447 S., 26 farb. Abb., 44 s/w Abb., 20 Tab.

Biographische Angaben

Mordechay Lewy (Autor:in)

Mordechay Lewy studierte Mediävistik in Jerusalem. Er trat in den Diplomatischen Dienst ein und war bis zu seinem Ruhestand Botschafter beim Vatikan. Anschließend erfolgte die Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Titel: Der apokalyptische Abessinier und die Kreuzzüge
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