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Wilhelm Branco (1844-1928)

Geologe – Paläontologe – Darwinist. Eine Biografie

von Winfried Mogge (Autor:in)
©2018 Monographie 508 Seiten

Zusammenfassung

Der Geowissenschaftler Wilhelm Branco (1844-1928) forschte über Vulkane und Erdbeben, die Stammesgeschichte fossiler Lebewesen, das Schicksal der Dinosaurier und die Vorgeschichte des Menschen. Er schrieb und redete auch über religiöse und politische Streitfragen. Als überzeugter Darwinist verteidigte er die Freiheit von Forschung und Lehre gegen kirchlichen und monistischen Dogmatismus. Soeben entdecktes Nachlassmaterial wird in diesem Band publiziert und für eine erste, kritische Biografie ausgewertet. Dabei wird ein weites Geflecht familiärer, wissenschaftlicher und künstlerischer Beziehungen des Italienliebhabers Branco deutlich. Die Studie versteht sich als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, aber auch zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des deutschen Bürgertums der Kaiserzeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Abstract
  • Résumée
  • Zusammenfassung
  • Inhalt
  • Prolog
  • 1. Umrisse eines Lebens
  • 2. Eine preußische Familie
  • 3. Kindheit und Schulzeit
  • 4. Verhinderter Soldat
  • 5. Landwirtschaftlicher Volontär
  • 6. Erste Italienreise und Tod des Vaters
  • 7. Käthe Helmholtz: „Ein edles Geschöpf …“
  • 8. Hochzeitsreise nach Italien
  • 9. Wanderer zwischen Nord und Süd
  • 10. Die Vulkane des Hernikerlandes
  • 11. Käthe Brancos Tod
  • 12. München: Kunst und Wissenschaft
  • 13. Berlin: Privatdozent und Landesgeologe
  • 14. Paula Kirchhoff: „… und da fing mir das Glück an“
  • 15. Von Aachen nach Berlin
  • 16. Von Königsberg nach Tübingen
  • 17. Von Neparmitz nach Hohenheim
  • 18. In der Reichshauptstadt: Ordinarius und Museumsdirektor
  • 19. Im inneren Zirkel: Akademie der Wissenschaften
  • 20. Vulkane: „Herzschlag des Erdkörpers“
  • 21. Erdbeben: „Wilde Zuckungen“
  • 22. Evolution: Die Entwicklung der Arten und des Menschen
  • 23. Tendaguru: Riesensaurier in Ostafrika
  • 24. Heimat- und Denkmälerschutz: „Sprache der Natur“
  • 25. Cannobio: Familienforschung am Lago Maggiore
  • 26. Letzte Lebensjahre: Rückkehr nach München
  • 27. Gesellschaftliche Anerkennung: Titel, Orden, Ehrungen
  • 28. Ein bürgerliches Vermögen: Entstehung und Zerfall
  • 29. Die Kinder: Edith und Gerhard Branco/von Branca
  • 30. Politische Vorstellungen: „Eine felsenfeste Staatsgewalt“
  • 31. Religiöse Vorstellungen: „Ein geistiger Inhalt der Welt“
  • 32. Umrisse einer Persönlichkeit
  • Dokumentation
  • Lebensgang (1904)
  • Italien (1872)
  • Anhang
  • Lebenslauf Wilhelm Branco in Daten
  • Bibliografie Wilhelm Branco/Branca
  • Literatur und Quellen
  • 1. Literatur, gedruckte und digitalisierte Quellen
  • 2. Periodika
  • 3. Archivalische Quellen
  • Abbildungsnachweis
  • Dank
  • Abkürzungen
  • Personenregister
  • Reihenübersicht

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Prolog

Berlin, 13. August 1880. In der Aula der Königlichen Geologischen Landesanstalt an der Invalidenstraße 46 hält die renommierte Deutsche geologische Gesellschaft ihre jährliche allgemeine Versammlung. Als letzter Redner auf der ermüdend langen Liste wissenschaftlicher Vorträge steht ein mit fast sechsunddreißig Jahren nicht mehr junger, bisher in Fachkreisen aber kaum bekannter Mann: Wilhelm Branco aus Potsdam, seit kurzem wohnhaft in Berlin. Er hat Glück: Die politische und naturwissenschaftliche Prominenz der Hauptstadt ist bei der mehrtägigen Veranstaltung noch oder wieder anwesend, voran der preußische Kultusmister und hohe Regierungsbeamte.

Branco spricht „Über die Verwandtschaftsverhältnisse der fossilen Cephalopoden“, und hinter diesem spröden Titel verbergen sich neue Erkenntnisse zur Entwicklungsgeschichte der „Kopffüßer“, deren älteste aus dem Erdaltertum und Erdmittelalter ihre Schalen in versteinerter Form hinterlassen haben und immer wieder das Interesse der Forschung erregen. Branco hatte in zweijähriger Präparationsarbeit die Gehäuse zahlreicher höchst unterschiedlicher Exemplare dieser Fossilien aufgeschält, den jeweils innersten Kern mit Hilfe der modernen Mikroskopie betrachtet und aus den ähnlichen oder verschiedenen Formen auf die Abstammungswege dieser Tierarten geschlossen; und darüber darf er nun berichten.1

Das Tagungspublikum ist begeistert. Es gibt „ein gewaltiges Bravoklatschen“, Branco wird dem Minister vorgestellt, zwei Ordinarien fordern ihn auf, sich zu habilitieren. Laufbahnrechtliche Hindernisse sind durch Ministerialentscheid innerhalb kurzer Zeit beseitigt, und im April 1881 beginnt Wilhelm Branco als Privatdozent für Geologie und Paläontologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.2

Dies ist der Start einer wissenschaftlichen Karriere, die sich mit den meist planvollen und geruhsamen Lebensgeschichten damaliger Hochschullehrer kaum ← 15 | 16 → vergleichen lässt, sondern extrem unruhig verläuft. Nach unbefriedigenden Berufsjahren als Soldat, Landwirt und Gutsbesitzer und unerfüllter Hoffnung auf eine Existenz als Künstler wird Wilhelm Branco sich einen Namen als ungewöhnlich vielseitiger Forscher und Lehrer machen.


1 Akten zur Tagung 1880: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (im Folgenden zitiert: GStA PK,) I. HA Rep. 76 Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil 1 Nr. 12 Bd. 1 Bl. 6–10 (Programm: Bl. 6). Veröffentlichung des Vortrags: Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft (im Folgenden zitiert: ZDGG), Bd. 32/1880 S. 596–611.

2 Autobiografischer Bericht in: W. Branco, Lebensgang (wie Anm. 14), S. 112–114. – Im Sitzungsprotokoll (ZDGG Bd. 32/1880 S. 652–680) wird die Tagungsabfolge vom 11. bis 14.8.1880 abweichend beschrieben.

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1. Umrisse eines Lebens

Wer ist dieser Wilhelm Branco? Geboren 1844 in Potsdam, gestorben 1928 in München: Das sind die Eckdaten eines vierundachtzig Jahre währenden Lebens zwischen preußischem Königreich, süddeutschen Mittelstaaten, deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik. Der Vater preußischer Generalarzt, die Mutter romantische Dichterin, die Vorfahren der Eltern Offiziere, Ärzte, Gutsbesitzer, Beamte: Der Schulabbrecher ohne Abitur und mit unsteten beruflichen Anläufen muss in diesem Umfeld zunächst als Außenseiter und Versager erscheinen.

Dem Wunschberuf Offizier körperlich nicht gewachsen, als Landwirt und Gutsbesitzer geistig unterfordert, als italiensüchtiger Maler bald resigniert, beginnt Branco erst als Dreißigjähriger mit dem Studium der Naturwissenschaften. Hier entdeckt er seine wahre Leidenschaft in der Geologie – der Wissenschaft vom Bau und von der Entwicklungsgeschichte der Erdkruste, und in der Paläontologie – der Lehre von den Resten der Lebewesen der Vorzeit. Spektakuläre und zielstrebige Forschungen bringen ihm Promotion und Habilitation ein. Die Interessen und Arbeitsfelder bleiben zeitlebens breit gestreut: neben den allgemeinen und praxisbezogenen Lehrgebieten der damaligen Erdwissenschaften besonders die Vulkan- und Erdbebenforschung, die Entstehung des Lebens auf der Erde, die Entwicklungsgeschichte fossiler Schalen- und Wirbeltiere, die Vorgeschichte des Menschen …

Mindestens so wichtig wie seine Arbeit als Gelehrter ist Wilhelm Branco die Wirksamkeit als Lehrer. Er liebt es, auch mit öffentlichen Vorträgen und gutem Gespür für aktuelle Fragen sein Wissen populär zu verbreiten; Zuhörer bestätigen, dass er es versteht, die Erdgeschichte zum Sprechen zu bringen. In der Schlussphase seines Berufslebens setzt er seinen Ehrgeiz daran, für seine Fachbereiche ein modernes Naturkundemuseum als allgemein zugänglichen Bildungsort zu schaffen. Bei der Organisation und Finanzierung wissenschaftlicher Projekte erweist Branco sich als Meister moderner Öffentlichkeitsarbeit.

Als Hochschullehrer hat Wilhelm Branco eingefahrene Schulmeinungen seiner Fachgebiete angezweifelt und revidiert, gestützt auf eigene Feldforschungen und umfassendes Wissen, oder zumindest neue Wege für die Generation seiner Schüler und Nachfolger gewiesen. Vehement hat er – ein Anhänger der darwinschen Deszendenzlehre – die Freiheit von Forschung und Lehre gegen kirchliche Dogmatik verteidigt, aber auch die Atheisten unter den Monisten bekämpft; als getaufter Protestant und gewordener Agnostiker ist er von den Grenzen der Wissenschaft und dem Nichtwissen „letzter Dinge“ überzeugt. ← 17 | 18 →

Politische Aktivitäten Brancos sind nicht bekannt. Einige Äußerungen besonders während des Ersten Weltkrieges verweisen ihn ins konservative deutschnationale Lager. Damit steht er fest in den Reihen der meisten Hochschullehrer seiner Zeit.

Seine berufliche Karriere führt Wilhelm Branco vom Privatdozenten in Berlin und Aachen zum Landesgeologen in Berlin, bald zum Ordinarius in Königsberg, Tübingen, Hohenheim und schließlich wieder Berlin, wo er auch Direktor des Geologisch-paläontologischen Instituts und Museums wird. Der im heutigen Museum für Naturkunde aufgestellte riesige Brachiosaurus brancai ist ihm zu Ehren benannt. Der Außenseiter wächst zur gefeierten Größe seines Faches, bedacht mit Ehrungen und Auszeichnungen. 1895 wird er in Württemberg geadelt, seit 1907 führt er den Namen Branca seiner italienischen Herkunftsfamilie.

Vielseitig ist auch das Geflecht der familiären und freundschaftlichen Beziehungen. Die erste, jung verstorbene Ehefrau ist eine Tochter des genialen Physikers Hermann Helmholtz, die zweite Frau eine Tochter von Gustav Robert Kirchhoff. Mit beiden Schwiegervätern und ihren Familien und Freunden pflegt Branco herzlichen Kontakt. Befreundet ist er nicht nur mit Berufskollegen, sondern auch mit Künstlern in München und Rom. Er dilettiert als Zeichner und Maler, spielt Flöte, fällt mit Freude und Talent auf beim Singen und Theaterspielen, ist ein mitreißender Redner, schreibt Texte von literarischer Qualität. Wilhelm Branco erweist sich als vielseitig begabter und interessierter Wanderer zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Welten.

Verstreute Quellen und ein Nachlassfund

Außer den Stationen seiner Hochschulkarriere, den eigenen Veröffentlichungen und einigen wenigen persönlichen Daten ist über Wilhelm Branco bisher fast nichts bekannt. In den Archiven der Universitäten und Akademien seines Lebensganges gibt es mehr oder weniger umfangreiche Personalakten, aber keinen schriftlichen Nachlass. Für die privaten und familiären Verhältnisse bieten die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin verwahrten Vorgänge um seine Namensänderung und die in Preußen angestrebte Nobilitierung einige Informationen. Dort und in den Archiven des Museums für Naturkunde und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften liegen auch die Akten über Brancos spektakulärste Aktion, die von ihm organisierte Tendaguru-Expedition in Deutsch-Ostafrika mit den sensationellen Saurier-Funden. Dienstliche Vorgänge und Korrespondenzen sind vor allem im Archiv der Humboldt-Universität, Splitterbestände in den Historischen Schriftgutsammlungen des Museums für Naturkunde in Berlin erhalten. Vereinzelte Briefe an ← 18 | 19 → Kollegen und Freunde finden sich in mehreren Bibliotheken und Archiven, gelegentlich auch noch im Antiquariatshandel und bei Auktionshäusern, und lassen auf eine ehemals umfangreiche amtliche und private Korrespondenz schließen.3

Einen ausführlichen, stark hagiografisch gefärbten, die wissenschaftlichen Leistungen würdigenden Nachruf schrieb 1928 Brancas Freund und Nachfolger Josef Felix Pompeckj.4 Voll ehrfürchtiger Bewunderung sind auch die Nachrufe der Schüler Edwin Hennig5 und Hans Reck6. In der englischen Fachpresse nennt Herbert P. T. Rohleder den Verstorbenen „one of the most prominent German geologists“.7 Von den sonstigen zeitgenössischen Würdigungen und posthumen Lexikon-Artikeln ist lediglich ein Beitrag von Werner Quenstedt von 1955 noch nennenswert.8 Neuerdings kommen knappe, über die biografischen Daten hinausgehende Bewertungen von Gerhard Maier (2003)9, Christian Tilitzki (2012)10 und Marco Tamborini (2016)11 hinzu. Die sachlichen Fehler der älteren Literatur, biografischen Lexika und genealogischen Taschenbücher wurden und werden, wie allgemein üblich, in den „neuen Medien“ kritiklos übernommen und fortgeschrieben.12 Ein rundes Lebensbild ergibt sich aus alledem nicht. ← 19 | 20 →

So darf die Entdeckung persönlicher Unterlagen in Privatbesitz als Überraschung gelten: Das Tagebuch einer mehrmonatigen Hochzeitsreise 1872 nach Italien13, ein 1904 für den Sohn aufgezeichneter Lebensbericht14, einige Bündel familiärer Briefe und eine Reihe privater und amtlicher Korrespondenzen und Dokumente. Der Fund verdankt sich einem glücklichen Zufall bei der Spurensuche des Historikers und Germanisten auf einem ganz anderen Feld – bei der Suche nach der Frau, der das vielzitierte Gedicht auf dem Grabstein für Käthe Branco geborene Helmholtz (1850–1877) auf dem St. Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem gilt.15 Bei den Papieren handelt es sich um einen Splitternachlass von Wilhelm Branco/Branca, aus der Haushaltsauflösung des kinderlos verstorbenen Sohnes Gerhard von Branca (1885–1953) und dessen Frau Anne-Lise geborene Flörsheim (1895–1973) in das Familienarchiv entfernter Verwandter – des Architekten Alexander Freiherr von Branca (1919–2011) – in Miesbach gerettet.16 Mit freundlicher Erlaubnis der Familie von Branca wird ein Teil des Materials hier publiziert und kommentiert und für eine Lebensgeschichte ausgewertet.

Die beiden autobiografischen Texte ermöglichen ungewöhnlich exakte und intime Einblicke in das Leben und Denken eines Gelehrten der Kaiserzeit. Sie sind nicht mit der Absicht einer Veröffentlichung geschrieben und deshalb frei von den Selbststilisierungen und Harmonisierungen so vieler Selbstbiografien von „Wilhelminern“.17 Die hier sich öffnenden Einsichten ergeben dennoch kein vollständiges Lebensbild – die wenigen erhaltenen Dokumente beweisen, dass weitere Aufzeichnungen dieser Art bestanden und schon in der folgenden Generation ← 20 | 21 → verloren gingen; sie zeigen auch, wie dicht der familiäre Zusammenhalt und die private Korrespondenz gewesen sein müssen. Mit weiteren Recherchen wird im Folgenden versucht, ergänzende Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammenzutragen und auch die ansonsten unverständlich bleibenden Namen und Anspielungen der Texte zu entschlüsseln. Einige im Besitz der Familie von Branca und in mehreren Archiven aufgefundene künstlerische Darstellungen und Fotografien sind mehr als nur Illustrationen.

Als schmerzliche Lücke bleibt, dass von und über Käthe Helmholtz und Paula Kirchhoff, die vielseitig gebildeten und interessierten Ehefrauen des Wilhelm Branco/Branca, nur wenige Informationen zu finden waren, von Käthe Helmholtz nicht einmal ein Porträt oder eine Fotografie. Eben deshalb sollen hier auch biografische Skizzen der beiden Frauen – und der beiden Kinder Wilhelm Brancos – eingefügt werden. Vielleicht ergeben sich nach der Veröffentlichung dieser Arbeit Spuren in bisher unbekanntem Gelände.

Die folgende Untersuchung versteht sich als Biografie und nicht etwa als Versuch einer Darstellung der von Wilhelm Branco betriebenen Wissenschaften und ihrer Geschichte; in diese wird nur insoweit eingedrungen, als es zum Verständnis des Lebensganges und der Lebensleistung nötig erscheint.18 Wenn die Arbeit darüber hinaus als Beitrag zur Kultur- und Sozialgeschichte des Bürgertums in der langen Epoche des Umbruchs vom 19. zum 20. Jahrhundert aufgenommen wird, dann hat sie ihren Sinn erfüllt.


3 Mit fortschreitender Erschließung und Digitalisierung von Gelehrten-Nachlässen in Archiven und Bibliotheken dürften noch weitere Briefe von und an W. Branco/Branca auftauchen; das in dieser Arbeit gezeichnete Bild wird sich wohl nur noch um Details erweitern lassen.

4 [J. F. Pompeckj], Gedächtnisrede des Hrn. Pompeckj auf Wilhelm von Branca, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1928, S. CXIV–CXXXVII. Auch als Sonderdruck verbreitet. Eine Kurzfassung (J. F. Pompeckj, Wilhelm von Branca †) in: Forschungen und Fortschritte, Jg. 4 Nr. 10, 1.4.1928, S. 103. Kurzfassungen wurden in diversen Tageszeitungen veröffentlicht (Ausschnitte in den Personalakten der genannten Archive).

5 E. Hennig, Geh. Bergrat Prof. Dr. Wilhelm von Branca †, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg, Jg. 24/1928 S. XXV-XXIX.

6 H. Reck, Wilhelm von Branca †, in: Zeitschrift für Vulkanologie, Bd. XII/1929-30 S. 1–7.

7 H. P. T. Rohleder, Wilhelm von Branca, in: Geological Magazine, Bd. 65/1928 S. 334 f.

8 W. Quenstedt, Branca, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2 S. 514 f.

9 G. Maier, African Dinosaurs Unearthed, S. 13–82, 246.

10 Ch. Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg, Bd. 1 S. 507 f.

11 M. Tamborini, „If the Americans can do it, so can we“, passim.

12 So im Wikipedia-Artikel: Wilhelm von Branca, Stand Januar 2018. Fehlerhaft zur gesamten Familie Branco/Branca und unsinnig z. B. bei der Schreibweise der Namen und der Zuteilung von Adelsprädikaten sind die genealogischen Internet-Portale, vor allem www.myheritage.com (Stand Januar 2018).

13 Wilhelm und Käthe Branco, Italien (1872), Manuskript im Familienarchiv Frhr. v. Branca (künftig: FAvB), Nachlass Branco, unsigniert (im Folgenden zitiert: Italien). Vgl. die Dokumentation in diesem Band.

14 Wilhelm Branco, Lebensgang (1904), Manuskript im Familienarchiv Frhr. v. Branca (künftig: FAvB), Nachlass Branco, unsigniert (im Folgenden zitiert: Lebensgang). Vgl. die Dokumentation in diesem Band.

15 W. Mogge, „Ihr Wandervögel in der Luft …“, S. 27–39. – Das dort (S. 31) genannte Todesdatum 1878 ist zu korrigieren; vgl. unten S. 91.

16 Das Familienarchiv v. Branca ist derzeit (2018) nicht erschlossen. Der Splitternachlass von Wilhelm Branco/Branca ist vermischt mit Nachlassmaterial von Gerhard Branco/von Branca und Sammlungen zu verwandten Familien, zu geringen Teilen (mit Ansätzen einer nicht ausgeführten Ordnung als „Familienarchiv“) von Gerhard v. Branca in Aktenmappen abgelegt. Um das Material zitierfähig zu machen, wird es im Folgenden „Nachlass Branco“ genannt, mit fiktiven, eine künftige Verzeichnung vorwegnehmenden Abteilungen wie „Briefe“ oder „Urkunden“.

17 Vgl. allgemein zu diesem Vorgang M. Doerry, Übergangsmenschen, S. 10, 155, 160–170 und oft.

18 Die Kapitel über die Forschungen Brancos sind an zeitlich passenden Stellen eingefügt, können aber überschlagen werden, so dass eine fortlaufende Biografie gelesen werden kann.

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2. Eine preußische Familie

„Potsdam, Sitz des Oberpräsidiums der Mark Brandenburg, mit 45,000 Einw. und einer 7000 M. starken Garnison, liegt in höchst anmuthiger, waldreicher Umgebung auf einer von der Havel und den Havel-Seen gebildeten Insel, dem sog. Potsdamer Werder. Die Stadt ist slavischen Ursprungs, war jedoch vor dem Grossen Kurfürsten, welcher das Residenzschloss und den Lustgarten anlegen liess, ohne jegliche Bedeutung. Ihren Glanz verdankt sie Friedrich dem Gr., der fast beständig dort residierte; zu seiner Zeit entstanden nicht allein zwei fernere kgl. Schlösser (Sanssouci und das Neue Palais) sowie ein grosser Theil der Parkanlagen, sondern auch eine Reihe bedeutender Privatbauten. […]“19

So beschreibt der zeitgenössische „Baedeker“-Reiseführer die preußische Residenzstadt. Hier, in Sichtweite des königlichen Stadtschlosses, der Französischen Kirche und der Nikolaikirche, umgeben von Kasernen und Exerzierplätzen, wird Wilhelm Branco geboren; hier verlebt er die Kinderjahre. Seine Herkunftsfamilie ist nach Status und Auftreten geradezu mustergültig preußisch zu nennen – orientiert am staatlichen und philosophischen Denken des aufgeklärten Absolutismus: monarchistisch, soldatisch, protestantisch, unberührt von den sozialen Unruhen und revolutionären Bewegungen der Zeit, dabei mehrsprachig gebildet, weltläufig, den Schönen Künsten zugetan. Die Brancos: eine idealtypische Familie in einer Stadt, die geprägt ist von Adeligen, Soldaten und Beamten, mit einem aufsteigenden Bildungsbürgertum, bald jedoch in die provinzielle Bedeutungslosigkeit zurückgefallen hinter die neue wirtschaftliche Macht der nahegelegenen Metropole Berlin.20

Der Vater: Preußischer Militärarzt

Wilhelm Brancos Vater, Friedrich Wilhelm Branco, gehört als Militärarzt zu den Honoratioren der Stadt mit beruflichem Zugang zum königlichen Hof. Geboren am 25. Januar 1797 in Anklam in der preußischen Provinz Pommern21, gestorben ← 23 | 24 → am 28. November 1870 in Rom22, verbringt er die meiste Zeit seines Berufslebens in Potsdam.

Die Ausbildung Friedrich Wilhelms beginnt in jungen Jahren am Anklamer Gymnasium, dessen Oberstufe er fünf Jahre lang besucht. Im Freiheitskampf gegen die napoleonische Herrschaft kommt der sechzehnjährige Freiwillige 1813 bei Großbeeren und Dennewitz zum Kriegseinsatz und wird verwundet.23 Gleich darauf beginnt er das vierjährige Studium an der Pépinière, dem nachmaligen Medizinisch-Chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut in Berlin, einer Elite-Anstalt für künftige Militärärzte, die hier ihre medizinische und naturwissenschaftliche Ausbildung durch Professoren der jungen Universität bekommen.24

Damit wird sein Lebensweg vorgezeichnet. Das kostenfreie Studium, eine Chance auch für qualifizierte Söhne aus weniger begüterten Familien, verpflichtet zum anschließenden achtjährigen Dienst als Militärchirurg. Branco absolviert diesen Einsatz ab 1817 an der Charité in Berlin, die sich im Ausbau vom Militärlazarett zur Lehr- und Forschungsstätte befindet, und wird 1823 mit einer Arbeit über die Behandlung von Unterkieferbrüchen zum Doktor der Medizin und Chirurgie promoviert.25 Dies ist die erste Arbeit in einer kleinen Reihe von eigenen Fachpublikationen und Übersetzungen aus dem Englischen. Es folgen, jeweils mit Bestnoten, die Staatsprüfungen und Approbationen als Praktischer Arzt, Operateur und Geburtshelfer.26 ← 24 | 25 →

Abb. 2: Friedrich Wilhelm Branco, undatierte Visitfotografie aus dem Nachlass Wilhelm Branco ← 25 | 26 →

Im Jahr 1828 unternimmt der einunddreißigjährige Stabsarzt eine mehrmonatige Studienreise nach Ägypten.27 Nach einer kurzen Zeit als Arzt bei einem Husarenregiment in Münster bleibt er ab 1830 Regimentsarzt, dann Oberstabsarzt beim Garde du Corps in Potsdam, bis er 1860 als Königlich Preußischer Generalarzt verabschiedet wird.28 Zu seinen Aufgaben gehören auch die Lehrtätigkeit am Medizinisch-Chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut und die Betreuung der Familie des Kronprinzen als Leibarzt.29 Außerdem betreibt er in Potsdam eine Privatpraxis.30

Als Vierundvierzigjähriger heiratet Friedrich Wilhelm Branco die zwanzig Jahre jüngere Generalstochter Helene Rödlich (1816–1894).31 Die Ehe wird bald von Unglück überschattet: Das erste Kind, ein Mädchen Margarethe (1842–1848), stirbt bereits im Alter von sechs Jahren; das dritte Kind, ein Junge Friedrich (1848–1916), ist geistig behindert und bleibt zeitlebens ein Pflegefall. Gesund ist nur Wilhelm, der Mittlere, der Protagonist unserer Geschichte. Und die Mutter versinkt bald nach der Geburt des dritten Kindes in geistige Umnachtung, kann nur noch in einer Pflegeanstalt versorgt werden.

Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst beginnt der dreiundsechzigjährige Generalarzt a. D. einen gänzlich neuen Lebensabschnitt. Er geht mit der seit Jahren mit der Familie vertrauten Witwe Marie Reinke, die seinen Sohn Friedrich pflegt, und dem kranken Jungen auf Reisen, verbringt jeweils die Wintermonate in Rom. In seinem vorletzten Lebensjahr gibt er die Privatpraxis und die Potsdamer Wohnung am Wilhelmsplatz 4 auf, die jahrzehntelang sein Zuhause war, und mietet ein Haus am Nauener Tor.32 Das Gebäude, eine Villa im italienischen Landhausstil mit großem Garten, steht noch, wenn auch verwahrlost und durch neuere Eingriffe verdorben, mit der Anschrift Friedrich-Ebert-Straße 83.33 ← 26 | 27 →

Abb. 3: Potsdam: Villa Heydert am Nauener Tor (heutiger Zustand)

In Rom wohnt Friedrich Wilhelm Branco mit seinem Anhang auf der Via Felice, einer bei deutschen Künstlern beliebten Straße. Es scheint, als wolle er eine in langen Dienstjahren verschüttete Leidenschaft für den Süden und die Schönen Künste ausleben. Nun verkehrt er freundschaftlich mit Künstlern, vor allem mit den Bildhauern Karl Voss (1825–1896) und Emil Wolff (1802–1897), die beide zu den neoklassizistischen „Deutsch-Römern“ zählen.34 Wolff formt dann auch das Marmorrelief für den Grabstein auf dem Cimitero Acattolico per gli Stranieri al Testaccio.35 Hier, auf dem berühmten Friedhof der nicht-katholischen Ausländer, begräbt im Dezember 1870 der Sohn den Vater, den er auf einer eigenen Italien-Reise besuchen will und nur noch tot vorfindet.36 ← 27 | 28 →

Abb. 4: Rom, Cimiterio Acattolico per gli Stranieri al Testaccio: Grabmal für Friedrich Wilhelm Branco mit dem Relief von Emil Wolff (1870) ← 28 | 29 →

Wilhelm Branco beschreibt das äußere Erscheinungsbild seines Vaters: „Stets im Frack mit weißer Binde, ein kleiner, wohlbeleibter Herr, überaus sauber. Erst in späteren Jahren legte er den Frack ab und trug den schwarzen Gehrock.“ Bis zuletzt, so heißt es weiter, hatte er keine grauen Haare, nie war er krank außer Asthma-Beschwerden im Alter.37 Die einzige bisher aufgefundene Fotografie bestätigt diese Beschreibung. Leicht idealisiert erscheint das Relief von Emil Wolff auf dem Grabstein in Rom. In einem Inventarverzeichnis von Gerhard Branco ist außerdem eine Marmorbüste von Karl Voss aufgeführt; dieses Kunstwerk ist wohl verschollen.38

Die Vorfahren des Vaters

Über die Vorfahren Brancos ist wenig bekannt; die Begeisterung für Familienforschung, die Wilhelm Branco als fast Sechzigjähriger entwickelt und an seinen Sohn Gerhard weitergibt, erbringt keine Lebensbilder und über die ferner zurückliegenden italienischen Generationen fast nur hypothetische Annahmen.39 Die damals erhobenen Daten lassen sich durch neue Recherchen teils absichern, teils korrigieren und ergänzen.

Wilhelm Branco hat seinen Großvater der väterlichen Seite nicht mehr kennengelernt. Johann Carl Ludwig Branco (geboren 1766 in Arnswalde, gestorben 1840 in Anklam) ist Gutsbesitzer, einer anderen Quelle zufolge Mühlmeister in Birnbaum, einer heute polnischen Kreisstadt in der damals preußischen Provinz Posen. Seine Ehefrau Christlieb Tugendreich Hofmann (geboren 1770 in Bernstein, gestorben 1840 in Anklam) stammt wahrscheinlich aus einer Soldatenfamilie. Friedrich Wilhelm ist der mittlere Sohn des Paares. Über seine Brüder – Heinrich Carl (1795-?) und Johann Carl Ludwig (1798–1862) – und deren Nachkommen geht aus den Papieren Wilhelm Brancos fast nichts hervor.40 Hier pflegt man wohl lockere Familienkontakte, aber keine so engen, herzlichen und hilfreichen Beziehungen wie zu den Verwandten der mütterlichen Seite. In Wilhelms Lebenserinnerungen spielen diese Onkel jedenfalls keine Rolle. ← 29 | 30 →

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Der Urgroßvater Johann Elias Branco (geboren 1729 in Rudolstadt, gestorben 1799 in Bernstein), verheiratet mit Maria Dorothea Wutzke (1731–1769), arbeitet als Militärarzt und Stadtchirurg. Der Beruf hat in der Familie also Tradition; Wilhelm Branco verweigert sich, zum Kummer seines Vaters, der Fortsetzung.41

In der Generation des Ururgroßvaters nennt man sich, der willkürlichen Schreibweise der Kirchenbuchführer zufolge, wechselnd Branca oder Branco. Johann Caspar Branca/Branco (geboren 1704 in Meiningen, gestorben 1757 in Rudolstadt), verheiratet mit Maria Susanna Christ (1704–1776), bringt es zum Fürstlich Schwarzburgischen Steuerbeamten in der heute thüringischen Residenz Rudolstadt.

Details

Seiten
508
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631755211
ISBN (ePUB)
9783631755228
ISBN (MOBI)
9783631755235
ISBN (Hardcover)
9783631755204
DOI
10.3726/b14032
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Geowissenschaften Evolution Tendaguru-Expedition Wissenschaftsgeschichte Wilhelminisches Bürgertum Sozialgeschichte Mentalitätsgeschichte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 508 S., 27 farb. Abb., 18 s/w Abb., 7 s/w Tab.

Biographische Angaben

Winfried Mogge (Autor:in)

Winfried Mogge, Journalist, Historiker und Germanist, arbeitet als freier Autor zur Landes- und Kulturgeschichte.

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Titel: Wilhelm Branco (1844-1928)
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