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Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB

von Benjamin Baisch (Autor:in)
©2018 Dissertation 386 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch behandelt den Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB bei Ansprüchen von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter. Ziel ist es, umfassend zu klären, durch wessen Kenntnis auf Organebene und unterhalb der Organebene der Verjährungsbeginn bewirkt wird. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass für den Verjährungsbeginn entgegen der herrschenden Meinung auf die Kenntnis des Organs abzustellen ist, das im Rahmen der internen Willensbildung über die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Geschäftsleiter entscheidet. Daneben ist für den Verjährungsbeginn auf sog. Wissensvertreter abzustellen. AG und GmbH unterliegen im Rahmen des § 199 Abs. 1 BGB keiner Wissensorganisationspflicht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dedication
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Teil: Einleitung
  • § 1 Einführung in die Problematik und Ziel der Untersuchung
  • § 2 Untersuchungsgegenstand und wichtige Begriffsbestimmungen
  • A. Untersuchung von AG und GmbH
  • B. Zurechnungssubjekt und Zurechnungsadressat
  • § 3 Gang der Untersuchung
  • 2. Teil: Die Grundlagen der Wissenszurechnung in der juristischen Person
  • § 1 Der Wissensbegriff
  • A. Der herkömmliche Wissensbegriff im Privatrecht
  • B. Erweiterung des herkömmlichen Wissensbegriffs um die rechtsmissbräuchliche Unkenntnis (bewusstes Sichverschließen)
  • C. Erweiterung des herkömmlichen Wissensbegriffs um das sogenannte Aktenwissen
  • I. Das »Aktenwissen« im Schrifttum
  • II. Das »Aktenwissen« in der Rechtsprechung
  • III. Analyse und kritische Würdigung
  • D. Zeitpunktbezogene Relevanz der Kenntnis
  • § 2 Die Zurechnung
  • A. Begriff und Wesen der Zurechnung
  • B. Funktionsweise der Zurechnung
  • I. Eigenzurechnung und Fremdzurechnung
  • II. Rechtstechnik zur Zurechnung von Wissen
  • § 3 Der Begriff des Wissenmüssens und die Zurechnung
  • A. Wissenmüssen
  • B. Zurechnung
  • § 4 Der Einfluss von Wissensnormen auf die Zurechnung von Wissen und Wissenmüssen
  • A. Differenzierende Lösung
  • B. Einheitslösung
  • C. Stellungnahme
  • § 5 Zusammenfassung des 2. Teils
  • 3. Teil: Die Begriffe Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis bei § 199 I BGB
  • § 1 Zwecke der Verjährung
  • A. Schutz des Nichtschuldners
  • B. Schutz des Schuldners
  • C. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit
  • § 2 Berücksichtigung der entgegengesetzten Gläubigerinteressen im Rahmen des Verjährungsrechts
  • A. Das Interesse des Gläubigers: Die faire Chance zur Anspruchsdurchsetzung
  • B. Verfassungsrechtliche Vorgaben des Art. 14 I GG für das Verjährungsrecht
  • C. Die faire Chance zur Anspruchsdurchsetzung bei § 199 I BGB
  • I. Entstehungsgeschichte des § 199 I BGB
  • II. Funktion und Schutzrichtung der subjektiven Merkmale des § 199 I BGB
  • § 3 Auslegung der subjektiven Merkmale des § 199 I Nr. 2 BGB
  • A. Die Kenntnis gemäß § 199 I Nr. 2 BGB
  • I. Der Begriff in der Rechtsprechung und im Schrifttum
  • II. Stellungnahme
  • B. Die grob fahrlässige Unkenntnis gemäß § 199 I Nr. 2 BGB
  • I. Gesetzgeberische Motive zur Einführung grob fahrlässiger Unkenntnis
  • II. Kritik an der Einführung der grob fahrlässigen Unkenntnis
  • III. Der Begriff in der Rechtsprechung und im Schrifttum
  • 1.) Definition der grob fahrlässigen Unkenntnis i. S. v. § 199 I BGB
  • 2.) Objektiver oder gemischt objektiv-subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff
  • 3.) Der Maßstab grob fahrlässiger Unkenntnis i. S. v. § 199 I BGB im Vergleich zu jenem missbräuchlicher Unkenntnis i. S. v. § 852 I BGB a. F.
  • 4.) Zeitpunkt des Verjährungsbeginns bei grob fahrlässiger Unkenntnis
  • IV. Stellungnahme
  • § 4 Zusammenfassung des 3. Teils
  • 4. Teil: Nach § 199 I BGB verjährende Ansprüche von AG und GmbH gegen Geschäftsleiter
  • § 1 Von § 199 I BGB erfasste Ansprüche
  • § 2 Rechtsverhältnisse zwischen AG bzw. GmbH und ihrem Geschäftsleiter
  • A. Organschaftliches und anstellungsvertragliches Rechtsverhältnis
  • I. Primäransprüche von AG und GmbH
  • II. Sekundäransprüche
  • B. Andere Schuldverträge
  • C. Gesetzliche Schuldverhältnisse
  • D. Mitgliedschaft
  • § 3 Zusammenfassung des 4. Teils
  • 5. Teil: Die Zurechnung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis an AG und GmbH im Rahmen des § 199 I BGB
  • § 1 AG und GmbH als Zurechnungsadressat im Rahmen des § 199 I BGB
  • § 2 Die maßgeblichen Zurechnungssubjekte in AG und GmbH bei Ansprüchen gegen Dritte
  • A. Maßgebliches Zurechnungssubjekt auf Organebene
  • I. Meinungsstand
  • 1.) Das für die Wissenszurechnung maßgebliche Organ
  • 2.) Zurechnungsnorm
  • II. Stellungnahme
  • B. Das maßgebliche nichtorganschaftliche Zurechnungssubjekt: Wissensvertreter
  • I. Einführung
  • II. Allgemeine Definition des Wissensvertreters
  • III. Erweiterter Wissensvertreterbegriff nach Grigoleit
  • IV. Eigenständiger Wissensvertreterbegriff bei § 199 I BGB
  • 1.) Herkömmlicher Wissensvertreterbegriff der h.M.
  • 2.) Vergleich mit dem Wissensvertreterbegriff des § 199 I BGB
  • 3.) Richtige Anforderungen an den Wissensvertreterbegriff des § 199 I BGB
  • a.) a.) Eigenverantwortlichkeit des Wissensvertreters bei § 199 I BGB
  • b.) b.) Außenkontakt
  • 4.) Die Rechtsfigur des „Wissensempfangsvertreters“ nach Baum
  • 5.) Die Erweiterung des Wissensvertreterbegriffs des § 199 I BGB im Sinne Grigoleits
  • V. Nur geschäftliches Wissen zurechenbar
  • C. Wissenszurechnung bei „fehlerhafter Wissensorganisation“
  • I. Der Streit über die Wissensorganisationsverantwortung des Gläubigers im Rahmen des § 199 I BGB
  • 1.) Entwicklung des Streits
  • 2.) Meinungsstand im Schrifttum
  • 3.) Meinungsstand in der Rechtsprechung
  • 4.) Analyse und weiterer Gang der Untersuchung
  • II. Fehlerhafte Wissensorganisation als Kenntnis i.S.d. § 199 I BGB aufgrund der Lehre von der ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation
  • 1.) Zweck und Inhalt der Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation
  • 2.) Personeller Anwendungsbereich
  • 3.) Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs anhand der verschiedenen dogmatischen Begründungsansätze
  • a.) Gleichstellungsargument
  • b.) Verkehrsschutz
  • c.) Rechtsgedanke des § 166 II BGB
  • d.) Verkehrspflicht
  • e.) Vertrauensschutz
  • f.) Treu und Glauben (§ 242 BGB)
  • g.) Zwischenergebnis
  • 4.) Stellungnahme zur Lehre von der ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation im Allgemeinen
  • a.) Keine tragfähige Rechtsgrundlage
  • aa.) Ablehnung des Gleichstellungsarguments
  • bb.) Keine konkreten Ableitungen aus dem Verkehrsschutz
  • cc.) Rechtsgedanke des § 166 II BGB unvereinbar mit dem Modell der Wissensorganisationspflicht
  • dd.) Rechtsfolge der Verkehrspflichtverletzung unvereinbar mit dem Modell der Wissensorganisationspflicht
  • ee.) Kein Vertrauensschutz mangels Vertrauenstatbestands und Rechtsfolge unvereinbar mit dem Modell der Wissensorganisationspflicht
  • ff.) Ordnungsgemäße Organisation folgt nicht aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB
  • b.) Informationsabfragepflicht verstößt gegen die gesetzlich vorgegebene Unterscheidung von Kenntnis und Kennenmüssen
  • c.) Informationsweiterleitungspflicht verstößt gegen den Grundsatz der Koinzidenz von Handlungsverantwortlichkeit und Wissensträgerschaft
  • d.) Anwendungsbereich nicht geklärt
  • e.) Konkretisierung der Wissensorganisationspflicht anhand des Gleichstellungsarguments führt zu beliebigen Ergebnissen
  • 5.) Stellungnahme zur Anwendung der Lehre von der ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation auf § 199 I BGB
  • a.) Teleologische, systematische und historische Auslegung des § 199 I BGB stehen Anwendbarkeit der Wissensorganisationspflicht entgegen
  • b.) Verjährungszweck der Rechtssicherheit steht Anwendung der Wissensorganisationspflicht entgegen
  • c.) Zwischenergebnis
  • III. Fehlerhafte Wissensorganisation als grob fahrlässige Unkenntnis i. S. v. § 199 I BGB?
  • 1.) Formen (grob) fahrlässiger Unkenntnis bei juristischen Personen
  • 2.) Ableitung einer Obliegenheit zur Wissensorganisation aus dem Merkmal (grob) fahrlässiger Unkenntnis
  • 3.) Keine grob fahrlässige Unkenntnis infolge von Organisationsmängeln bei § 199 I BGB
  • IV. Fehlerhafte Wissensorganisation als rechtsmissbräuchliche Unkenntnis nach § 242 BGB
  • 1.) Bucks Lösungsansatz für das Problem der Wissensverlagerung in Organisationen
  • 2.) Stellungnahme
  • 3.) Übertragung Bucks Ansatzes auf § 199 I BGB
  • V. Zusammenfassung zur Wissenszurechnung bei Organisationsmängeln
  • D. Verhältnis von Wissensvertretung und Wissensorganisationspflicht
  • § 3 Die Zurechnungssubjekte in AG und GmbH bei Ansprüchen gegen Geschäftsleiter
  • A. Maßgebliches Zurechnungssubjekt auf Organebene
  • I. Kritische Analyse der h. M. und der Ansicht Sturms
  • 1.) Sinn und Zweck des § 199 I BGB
  • a.) Verjährungsfrist als Überlegungsfrist
  • b.) Befähigung zur Fristhemmung
  • 2.) Die Rechtsprechung des BGH zum Verjährungsbeginn zivilrechtlicher Ansprüche öffentlich-rechtlicher Körperschaften gemäß § 199 I BGB
  • 3.) Systematik der §§ 113 III HGB, 88 III AktG
  • 4.) Ergebnis
  • II. Konzeption der organschaftlichen Wissenszurechnung
  • 1.) Rechtsgrundlage der organschaftlichen Zurechnung im Rahmen des § 199 I BGB
  • 2.) Rechtsgedanke des § 31 BGB ist Zurechnungsgrundlage für Außen- und Innenorgane
  • 3.) Die herrschende Lehre von der doppelten Zurechnung
  • 4.) Privat und geschäftlich erlangte Kenntnis
  • III. Maßgebliches Zurechnungssubjekt bei der AG
  • 1.) Aufsichtsrat
  • a.) Kompetenz des Aufsichtsrats, § 112 S. 1 AktG
  • b.) Zurechenbarkeit seiner Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis
  • c.) Kenntnis und treuwidrige Unkenntnis des Aufsichtsrats
  • aa.) Meinungsstand zur Kenntnis des Aufsichtsrats bei § 626 II 2 BGB
  • bb.) Meinungsstand zur treuwidrigen Unkenntnis des Aufsichtsrats bei § 626 II 2 BGB
  • cc.) Stellungnahme zum Fristbeginn bei § 626 II 2 BGB und zur Übertragbarkeit der dort geltenden Wissenszurechnungsgrundsätze auf § 199 I BGB
  • (1.) Kenntnis des Aufsichtsrats i. S. v. § 199 I BGB
  • (2.) Treuwidrige Unkenntnis des Aufsichtsrats im Rahmen des § 199 I BGB
  • d.) Grob fahrlässige Unkenntnis des Aufsichtsrats
  • e.) Beschließender Aufsichtsratsausschuss als Zurechnungssubjekt
  • 2.) Vorstand
  • a.) Kompetenz des Vorstands, §§ 77, 78 I 1 AktG
  • b.) Zurechenbarkeit seiner Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis
  • c.) Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Vorstands
  • 3.) Hauptversammlung
  • a.) Praktische Relevanz der Zurechnung
  • b.) Kompetenz der Hauptversammlung, § 147 I AktG
  • c.) Zurechenbarkeit ihrer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis
  • d.) Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Hauptversammlung
  • e.) Treuwidrige Unkenntnis
  • 4.) Der besondere Vertreter
  • a.) Praktische Relevanz der Zurechnung
  • b.) Kompetenz des besonderen Vertreters, § 147 II AktG
  • c.) Zurechenbarkeit seiner Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis
  • d.) Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis
  • 5.) Qualifizierte Aktionärsminderheit
  • a.) Praktische Relevanz der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis für den Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB
  • b.) Kompetenz der qualifizierten Aktionärsminderheit, § 148 I AktG
  • c.) Rechtliche Relevanz ihrer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis für den Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB
  • 6.) Zusammenfassung der Ergebnisse
  • IV. Maßgebliches Zurechnungssubjekt bei der GmbH ohne Aufsichtsrat
  • 1.) Meinungsstand
  • 2.) Zurechenbarkeit der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis von Mitgeschäftsführern
  • a.) Von § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG nicht erfasste Ansprüche
  • b.) Von § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG erfasste Ansprüche
  • 3.) Zurechenbarkeit der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis der Gesellschafterversammlung
  • a.) Von § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG erfasste Ansprüche
  • b.) Von § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG nicht erfasste Ansprüche
  • c.) Kenntnis der Gesellschafterversammlung i. S. v. § 199 I BGB
  • d.) Grob fahrlässige Unkenntnis und treuwidrige Unkenntnis der Gesellschafterversammlung i. S. v. § 199 I BGB
  • 4.) Zurechenbarkeit der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis des Prozessvertreters i. S. v. § 46 Nr. 8 Var. 2 GmbHG
  • 5.) Rechtliche Relevanz der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis einzelner Gesellschafter aufgrund ihrer Klagebefugnis in Form der actio pro socio
  • 6.) Zusammenfassung der Ergebnisse
  • V. Maßgebliches Zurechnungssubjekt in der GmbH mit Aufsichtsrat
  • 1.) Entscheidungsbefugtes Organ
  • a.) Ersatzansprüche i. S. v. § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG
  • b.) Von § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG nicht erfasste Ansprüche
  • 2.) Vertretungsberechtigtes Organ
  • 3.) Konsequenzen für die Wissenszurechnung
  • B. Zurechnungsausschlüsse auf organschaftlicher Ebene
  • I. Zurechnungsausschluss wegen Interessenkollision
  • 1.) Konkretisierung der Nichtzurechenbarkeit der Kenntnis des Schuldner-Geschäftsleiters bei § 199 I BGB
  • 2.) Konkretisierung der Nichtzurechenbarkeit der Kenntnis sonstiger Personen, von denen eine seriöse Verfolgung des Anspruchs gegen den Schuldner-Geschäftsleiter wegen Interessenkonflikts nicht zu erwarten ist
  • 3.) Rechtsfolge: absoluter oder relativer Zurechnungsausschluss?
  • 4.) Zu untersuchende Konstellationen
  • 5.) Stellungnahme zur Nichtzurechenbarkeit der Kenntnis des Schuldner-Geschäftsleiters
  • a.) Wertung der §§ 113 III HGB, 88 III 1 AktG
  • b.) Keine Wissenszurechnung infolge gesellschaftsrechtlicher Kompetenzverteilung
  • c.) Keine Wissenszurechnung wegen ausschließlicher Zurechenbarkeit der Gremiumskenntnis
  • d.) Keine Wissenszurechnung infolge von Stimmverboten
  • e.) Keine treuwidrige Unkenntnis der juristischen Person bei Nichtweitergabe der Kenntnis des Schuldners ans Gremium (Selbstbelastungsfreiheit des Schuldners)
  • f.) Zurechnungsausschluss aufgrund des Normzwecks des § 199 I BGB
  • 6.) Stellungnahme zur Nichtzurechenbarkeit der Kenntnis sonstiger Personen, von denen eine seriöse Verfolgung des Anspruchs gegen den Schuldner-Geschäftsleiter wegen Interessenkonflikts nicht zu erwarten ist
  • a.) Gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung steht Wissenszurechnung nicht entgegen
  • b.) Keine Wissenszurechnung wegen ausschließlicher Zurechenbarkeit der Gremiumskenntnis
  • c.) Keine Wissenszurechnung infolge von Stimmverboten
  • d.) Keine treuwidrige Unkenntnis der juristischen Person bei Nichtweitergabe der Kenntnis durch das an der Pflichtverletzung des Geschäftsleiters beteiligte Organmitglied (Selbstbelastungsfreiheit des Organmitglieds)
  • e.) Zurechnungsausschluss aufgrund des Normzwecks des § 199 I BGB
  • f.) Zurechnungsausschluss nach § 242 BGB bei gemeinschaftlicher Pflichtverletzung und Kollusion
  • 7.) Ergebnis
  • II. Zurechnungsausschluss wegen Verschwiegenheitspflicht
  • C. Zurechnungssubjekt: Wissensvertreter
  • I. Wissensvertretung bei Ansprüchen gegen Geschäftsleiter
  • II. Kompetenz der überwachungsberechtigten Organe von AG und GmbH zur Einschaltung von Hilfspersonen zur Tatsachenermittlung gegen Geschäftsleiter
  • III. Interne Wissensvertreter
  • 1.) Einzelne Aufsichtsratsmitglieder und Sachverständige, § 111 II 2 AktG
  • 2.) Untersuchungsausschüsse des Aufsichtsrats
  • 3.) Sonderprüfer
  • 4.) Interne Revision
  • 5.) Besondere Vertreter
  • IV. Externe Wissensvertreter
  • 1.) Rechtsanwalt
  • 2.) Andere Berater
  • D. Sonstige Personen als Zurechnungssubjekt: Wissensorganisationspflicht, spezielle gesellschaftsinterne Informationspflichten und grob fahrlässige Unkenntnis
  • I. Meinungsstand im Schrifttum
  • 1.) Wissensorganisationspflicht
  • 2.) Spezielle gesellschaftsinterne Informationspflichten
  • 3.) Grob fahrlässige Unkenntnis
  • II. Meinungsstand in der Rechtsprechung
  • 1.) Wissensorganisationspflicht
  • 2.) Spezielle gesellschaftsinterne Informationspflichten
  • 3.) Grob fahrlässige Unkenntnis
  • III. Stellungnahme
  • 1.) Wissensorganisationspflicht
  • a.) Schuldner-Geschäftsleiter genießt keinen Verkehrsschutz
  • b.) Keine Pflicht zur Organisation eines Informationsaustausches zwischen Organen
  • c.) Organisationsrecht steht der Wissensorganisation auf Mitarbeiterebene entgegen
  • 2.) Spezielle gesellschaftsinterne Informationspflichten
  • 3.) Grob fahrlässige Unkenntnis
  • 6. Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

←20 | 21→

1. Teil: Einleitung

§ 1Einführung in die Problematik und Ziel der Untersuchung

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts1 vom 26. November 2001 ist das Verjährungsrecht grundlegend umgestaltet worden. Das alte Verjährungsrecht, das wegen einer Vielzahl nicht aufeinander abgestimmter Sonderverjährungsregeln einem Zustand der Rechtszersplitterung glich2, sollte einem einfachen und angemessenen Verjährungssystem weichen3. Kernstück der Reform sind die Generalklauseln gemäß §§ 195, 199 BGB4, die in Verbindung mit der Reduzierung von Sonderverjährungsvorschriften der größtmöglichen Vereinheitlichung dienen5 und dem neuen Verjährungsrecht sein entscheidendes Gepräge geben. Durch die §§ 195, 199 BGB erhält das Verjährungsrecht den Charakter eines Mischsystems aus einer subjektiven Verjährungsfrist (§§ 195, 199 I BGB), die durch objektive Höchstfristen (§ 199 II–IV BGB) flankiert wird. Gegenüber dem früheren Verjährungsrecht des BGB, das mit Ausnahme des § 852 I BGB a. F. nur objektive Verjährungsfristen kannte6, hat die subjektive Regelverjährung nach §§ 195, 199 I BGB einen Paradigmenwechsel bewirkt7. Dieser hat auch erhebliche Auswirkungen auf den Verjährungsbeginn der Ansprüche juristischer Personen. Für juristische Personen wird der Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 I BGB generell zur Frage der Wissenszurechnung. Während die Wissenszurechnung vor der Reform nur für den Verjährungsbeginn deliktsrechtlicher Ansprüche nach § 852 I BGB a. F. relevant war, treten Zurechnungsfragen beim Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB in Bezug auf Ansprüche jedweden Rechtsgrundes auf. Dadurch wird die Verjährungsregel des § 199 I BGB bei juristischen Personen zum Einfallstor für unzählige Streitfragen der Wissenszurechnung.

←21 | 22→Die heftigste Diskussion rankt sich um die Frage, ob die Verjährung nach § 199 I BGB schon dann beginnt, wenn die juristische Person bei ordnungsgemäßer Organisation der internen Kommunikation Kenntnis i. S. v. § 199 I BGB hätte8. Das Meinungsspektrum reicht hier von der strikten Ablehnung einer Wissensorganisationspflicht bis zu einer Wissensorganisationspflicht im Hinblick auf alle Arten von Ansprüchen. Unter den Befürwortern einer Wissensorganisationspflicht ist man sich uneins, ob Organisationsmängel Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis i. S. v. § 199 I BGB begründen9. Der Streit erhellt zum einen, dass bisher kaum erforscht ist, wie aus dem Merkmal (grob) fahrlässiger Unkenntnis eine Obliegenheit zur Informationsorganisation erwachsen soll10, zum anderen, dass das Verhältnis der Wissensorganisationspflicht zum Merkmal (grob) fahrlässiger Unkenntnis bisher nicht hinreichend geklärt ist.

Die Problemfelder der Wissenszurechnung bei § 199 I BGB potenzieren sich, wenn es um den Verjährungsbeginn von Ansprüchen der juristischen Person gegen ihre Geschäftsleiter geht. Im Hinblick auf diese Sonderkonstellation ist beinahe alles umstritten, manches noch gänzlich unbeantwortet.

Umstritten ist schon die grundlegende Frage, auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis welchen Organs es für den Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB ankommt. Die ganz h. M., die auf das vertretungsberechtigte Organ abstellt, hat sich bisher nicht mit den beachtlichen Argumenten der Gegenansicht auseinandergesetzt, die für den Verjährungsbeginn auf dasjenige Organ abstellt, das über die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Geschäftsleiter zu entscheiden hat11.

Bisher nicht untersucht wurde die Frage, ob Hilfspersonen, die zur anspruchsvorbereitenden Tatsachenermittlung gegen Geschäftsleiter eingesetzt werden, Wissensvertreter sind, sodass auch ihre Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis die Verjährungsfrist nach § 199 I BGB beginnen lässt. Dies könnte deshalb problematisch sein, weil nach h. M. das Merkmal des Außenkontakts für den Wissensvertreterbegriff konstitutiv ist; indessen liegt bei einer rein internen Tatsachenermittlung gegen Geschäftsleiter kein Außenkontakt vor.

Eine weitere Besonderheit, die nur bei Ansprüchen der juristischen Person gegen Geschäftsleiter auftritt, besteht darin, dass der Schuldner-Geschäftsleiter zugleich mögliches Zurechnungssubjekt auf der Gläubigerseite ist. Nach allgemeiner Ansicht ist dieses Problem dadurch zu lösen, dass die Kenntnis desjenigen Geschäftsleiters, gegen den sich der Anspruch der juristischen Person richtet, ←22 | 23→den Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB nicht bewirken kann. Die dogmatischen Grundlagen dieses Zurechnungsausschlusses bleiben aber im Dunkeln; eine rechtswissenschaftliche Aufarbeitung fehlt völlig. Die fehlende dogmatische Fundierung ist besonderes deshalb bedenklich, weil der BGH den Zurechnungsausschluss neuerdings ausweitet. Nach seiner Auffassung unterliegt nicht lediglich die Kenntnis des Schuldner-Geschäftsleiters im Rahmen des § 199 I BGB einem Zurechnungsausschluss, sondern auch die Kenntnis anderer Personen, von denen eine seriöse Anspruchsverfolgung gegen den Schuldner nicht zu erwarten ist12.

Wenig geklärt ist auch die Frage, ob die Verjährung nach § 199 I BGB beginnt, wenn unzuständige Organmitglieder oder unzuständige Mitarbeiter ihre Kenntnis vom Anspruch gegen den Geschäftsleiter nicht an das zuständige Organ weiterleiten. Hier ringen verschiedene Lösungsansätze miteinander, namentlich die Wissenszurechnung aufgrund der Wissensorganisationspflicht, die Annahme treuwidrige Unkenntnis (§ 242 BGB) und die Bejahung grob fahrlässiger Unkenntnis (§ 199 I Nr. 2 Var. 2 BGB)13.

Der Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB hat im Hinblick auf Ansprüche von AG und GmbH gegen Geschäftsleiter auch rechtspraktische Bedeutung. Zwar bestimmen die §§ 93 VI AktG, 43 IV GmbHG i. V. m. § 200 S. 1 BGB für die besonders wichtigen organschaftlichen und anstellungsvertraglichen Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsleiter den Verjährungsbeginn ohne Rücksicht auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der AG oder GmbH. Die übrigen Ansprüche unterliegen aber grundsätzlich der Verjährung nach §§ 195, 199 I BGB. Dies gilt auch für solche Schadensersatzansprüche, die mit organschaftlichen und anstellungsvertraglichen konkurrieren. Besondere Relevanz kommt häufig deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen der AG und GmbH zu, gerade weil sie wegen des subjektiven Verjährungsbeginns später als die Schadensersatzansprüche nach §§ 93 II, III AktG, 43 II, III GmbHG verjähren können14.

Die Vielzahl an Zurechnungsproblemen, die sich im Zusammenhang mit dem Verjährungsbeginn bei Ansprüchen von AG bzw. GmbH gegen Geschäftsleiter nach § 199 I BGB ergeben, gibt Anlass, sich ihrer erstmals15 in einer umfassenden ←23 | 24→Untersuchung anzunehmen. Ziel ist es, für AG und GmbH ein Gesamtbild des Verjährungsbeginns nach § 199 I BGB bei Ansprüchen gegen Geschäftsleiter zu zeichnen und nicht nur die einzelnen Zurechnungsprobleme isoliert zu beleuchten. Erst durch die Gesamtbetrachtung können bisher bestehende Wertungswidersprüche in Fragen der Wissenszurechnung aufgedeckt und ein in sich stimmiges Zurechnungssystem entwickelt werden.

§ 2Untersuchungsgegenstand und wichtige Begriffsbestimmungen

A.Untersuchung von AG und GmbH

In dieser Arbeit wird nur der Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB für Ansprüche der Aktiengesellschaft (AG) und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) untersucht. Weitere Gesellschaftsformen werden nicht behandelt. Es wird auch nicht auf die Frage eingegangen, ob der AG und der GmbH im Konzern die Kenntnis konzernverbundener Unternehmen i. S. v. § 199 I BGB zugerechnet werden kann. Die Wissenszurechnung im Konzern kann wegen zahlreicher bis heute ungeklärter Fragen und ihrer Komplexität16 nur Gegenstand einer eigenen umfangreichen Untersuchung sein. Sie wird hier deshalb ausgeklammert.

B.Zurechnungssubjekt und Zurechnungsadressat

Wissenszurechnung findet immer von einem Rechtssubjekt zum anderen statt. Für die beiden an der Wissenszurechnung beteiligten Rechtssubjekte gibt es keine einheitliche Terminologie. Im privatrechtlichen Schrifttum wird vornehmlich das Begriffspaar Zurechnungssubjekt und Zurechnungsobjekt verwendet, wobei das Wissen vom Zurechnungssubjekt an das Zurechnungsobjekt zugerechnet wird17. Demgegenüber wird im öffentlich-rechtlichen Schrifttum häufig derjenige, an den zugerechnet wird, als Zurechnungssubjekt bezeichnet18. Um Missverständnissen vorzubeugen, wird in dieser Arbeit ein neues, unzweideutiges Begriffspaar gebildet: Zurechnungssubjekt und Zurechnungsadressat sind die fortan verwendeten Termini. Diese selbsterklärenden Begriffe machen deutlich, dass es sich um ←24 | 25→zwei Rechtssubjekte handelt19 und die Kenntnis vom Zurechnungssubjekt an den Zurechnungsadressaten zugerechnet wird.

§ 3Gang der Untersuchung

Zunächst ist auf die Grundlagen der Wissenszurechnung bei juristischen Personen einzugehen (2. Teil). Dabei werden die Begriffe Kenntnis, Kennenmüssen und die Rechtstechnik der Zurechnung erläutert. Überdies wird der Einfluss der Wissensnorm auf die Wissenszurechnung herausgearbeitet. Die Erörterung dieser Grundlagen ist unentbehrlich. Man sollte zwar erwarten, dass bei einer so intensiv diskutierten Materie wie der Wissenszurechnung bei juristischen Personen20 über die Grundlagen Einigkeit herrscht. Das Gegenteil ist aber der Fall. Durch die stetige Fortentwicklung der Wissenszurechnung, insbesondere im Hinblick auf die Wissensorganisationsverantwortung juristischer Personen, werden viele grundlegende Fragen, die lange Zeit geklärt schienen, wieder in Zweifel gezogen. Dies betrifft beispielsweise die Frage, ob der herkömmliche privatrechtliche Wissensbegriff zu erweitern ist, indem die von juristischen Personen in Datenspeichern vorgehaltenen Informationen zum Wissen im Rechtssinne zählen (sog. Aktenwissen). Dies betrifft aber auch die Frage, ob der Begriff des Kennenmüssens die Grundlage für eine Obliegenheit juristischer Personen zur Informationsorganisation sein kann. Besonderes Augenmerk verdient auch die aktuell immer mehr in den Fokus rückende Frage, wie groß der Einfluss von Wissensnormen auf die Zurechnung ist.

Im Anschluss ist zu klären, inwieweit das Verständnis des § 199 I BGB der Wissenszurechnung Grenzen setzt oder sie konkretisiert (3. Teil). Nachfolgend sind die Ansprüche der AG und GmbH gegen Geschäftsleiter zu identifizieren, für die der subjektive Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB gilt (4. Teil). Es folgt die den Kern dieser Arbeit bildende Untersuchung, wessen Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis AG und GmbH sich im Rahmen des § 199 I BGB zurechnen lassen müssen (5. Teil). Um die Besonderheiten der Wissenszurechnung deutlich zu machen, die sich im Rahmen des § 199 I BGB bei Ansprüchen der juristischen Person gegen Geschäftsleiter ergeben, wird zunächst der Verjährungsbeginn bei Ansprüchen der juristischen Person gegen Dritte dargestellt. Im Kontrast dazu werden dann die spezifischen Wissenszurechnungsprobleme bei Ansprüchen der juristischen Person gegen Geschäftsleiter herausgearbeitet und gesondert von allgemeinen Zurechnungsproblemen beleuchtet.

1BGBl. 2001, Teil I, S. 3138 ff.

2Siehe Begr. FraktE, BT-Drucks. 14/6040, S. 102; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 1 Rn. 14.

3Zum Reformziel siehe Begr. FraktE, BT-Drucks. 14/6040, S. 104; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 1 Rn. 15.

4So MüKo BGB/Grothe § 199 Rn. 1; ebenso Otto S. 64, 71.

5So Begr. FraktE, BT-Drucks. 14/6040, S. 104.

6So Heinrichs NJW 1982, 2021, 2026; siehe Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 1 Rn. 20; Witt JuS 2002, 105; außerhalb des BGB gab es schon vor der Schuldrechtsmodernisierung vereinzelt weitere subjektive Verjährungsfristen, dazu MüKo BGB/Grothe § 199 Rn. 24.

7So Witt JuS 2002, 105, 106; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 1 Rn. 20; Otto S. 74 f.

8Zum Meinungsstand 5. Teil:§ 2C.I.

9Siehe 5. Teil:§ 2C.I.

10Siehe 2. Teil:§ 3B und 5. Teil:§ 2C.III.

11Sturms Monographie „Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbH, 34 Abs. 6 GenG“ behandelt auch den Fristbeginn nach § 199 I BGB bezogen auf Ansprüche der juristischen Person gegen Geschäftsleiter. Mit seinen Ausführungen zur Wissenszurechnung hat sich bisher niemand auseinandergesetzt.

12Siehe BGH, Urt. v. 23. 1. 2014, III ZR 436/12, NJW 2014, 1294.

13Siehe 5. Teil:§ 3D.

14Siehe beispielsweise BGH, Urt. v. 12. 6. 1989, II ZR 334/87, juris Rn. 49; Urt. v. 9. 2. 2009, II ZR 292/07, juris Rn. 11 ff. (=BGHZ 179, 344–361). Das gilt allerdings nicht für Schadensersatzansprüche börsennotierter Aktiengesellschaften. Ihre organschaftlichen Schadensersatzansprüche verjähren gemäß § 93 VI AktG erst 10 Jahre nach Anspruchsentstehung (§ 200 S. 1 BGB), was dem spätestmöglichen Verjährungseintritt für ihre deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche nach § 199 III 1 Nr. 1 BGB entspricht.

15Die Monographien von Otto und Riedhammer zu § 199 I Nr. 2 BGB behandeln auch die Wissenszurechnung, aber nicht im Hinblick auf Ansprüche der juristischen Person gegen Geschäftsleiter. Sturm behandelt in seiner Dissertation „Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbH, 34 Abs. 6 GenG“ zwar auch den kenntnisabhängigen Verjährungsbeginn nach § 199 I BGB bei Ansprüchen gegen Geschäftsleiter. Sein Schwerpunkt liegt aber auf den objektiven Verjährungsfristen gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbH, 34 Abs. 6 GenG.

16Zum aktuellen Stand der Wissenszurechnung im Konzern Spindler ZHR 181 (2017), 311, 332 ff.; Schürnbrand ZHR 181 (2017), 357 ff.

17Siehe Taupitz, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 17; ihm folgend Baum S. 40.

18Siehe Henning S. 48 f.

19Der Begriff Zurechnungsobjekt ist missverständlich, weil damit auch das Wissen als Gegenstand der Zurechnung gemeint sein könnte. Schüler S. 48 spricht beispielsweise vom „Wissen als Zurechnungsobjekt“. Ähnlich kritisch Henning S. 48 f.

20Die Wissenszurechnung zählt zu den am meisten diskutierten Fragen des Zivilrechts, siehe Faßbender/Neuhaus WM 2002, 1253; Koch ZIP 2015, 1757; Grigoleit ZHR 181, 160, 162.

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2. Teil: Die Grundlagen der Wissenszurechnung in der juristischen Person

Die Wissenszurechnung in juristischen Personen ist, auch was ihre Grundlagen anbelangt, immer noch im Fluss. Verschiedene Ansätze im Schrifttum zielen darauf ab, den herkömmlichen privatrechtlichen Kenntnisbegriff zu erweitern, indem die von juristischen Personen in Datenspeichern vorgehaltenen Informationen als Kenntnis im Rechtssinne gewertet werden. Auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation lässt den herkömmlichen Kenntnisbegriff nicht unangetastet. Es ist daher zu klären, ob solches „Aktenwissen“ zur Kenntnis im Rechtssinne zählt. Nicht ausreichend erforscht ist auch die Frage, ob aus dem Merkmal der fahrlässigen Unkenntnis für juristische Personen eine Obliegenheit zur Informationsorganisation folgt. Aktuell rückt auch mehr und mehr die Frage in den Fokus, wie groß der Einfluss von Wissensnormen auf die Zurechnung ist.

All diese grundlegenden Fragen sind für die Wissenszurechnung im Rahmen des § 199 I BGB von zentraler Bedeutung. Es ist daher unerlässlich, unter Auswertung des aktuellen Meinungsstands die Begriffe Kenntnis und Kennenmüssen zu definieren, die Rechtstechnik der Wissenszurechnung zu eruieren und den Einfluss von Wissensnormen auf die Wissenszurechnung zu konkretisieren.

§ 1Der Wissensbegriff

Zahlreiche Vorschriften des Privatrechts enthalten das Tatbestandsmerkmal Kenntnis oder Kennenmüssen21. Solche Vorschriften bezeichnet man gewöhnlich als Wissensnormen 22. An die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen knüpft das Gesetz stets Rechtsnachteile für denjenigen, der weiß oder wissen muss23. Der Rechtsnachteil kann dabei – je nach Wissensnorm – in einem Rechtsverlust oder im Vorenthalten von Rechtsvorteilen liegen24.

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A.Der herkömmliche Wissensbegriff im Privatrecht

Das BGB enthält keine Definition des Begriffs Kenntnis. Bis zum Jahr 199125 war es allgemein anerkannt, dass Kenntnis im Sinne des Privatrechts nur der Bewusstseinszustand einer natürlichen Person 26 sein kann; plastisch könnte man vom Gedächtniswissen eines Menschen sprechen27. Nach diesem herkömmlichen Wissensbegriff stand fest, dass juristische Personen mangels menschlichen Bewusstseins keine eigene Kenntnis im Sinne einer Wissensnorm haben können; nur durch Zurechnung menschlichen Wissens können sie Kenntnis erlangen28.

Die entscheidende Frage ist somit, wie das menschliche Bewusstsein beschaffen sein muss, damit die tatbestandliche Kenntnis einer Wissensnorm erfüllt ist. Im Schrifttum wird oft betont, dass jede Wissensnorm ihren individuellen Kenntnisbegriff habe, es mithin nicht einen, sondern eine Vielzahl von Kenntnisbegriffen gebe29. Der Grund hierfür sei, dass das Gesetz den Begriff der Kenntnis in den verschiedensten Kontexten verwende, weshalb das Merkmal der Kenntnis entsprechend der ratio der jeweiligen Wissensnorm spezifisch auszulegen sei30. Dies ist zwar richtig, steht einer allgemeinen Kenntnisdefinition aber nicht entgegen, weil es einen festen gemeinsamen Kern aller Kenntnisbegriffe gibt31. Hiervon gehen auch der historische Gesetzgeber und das herrschende Schrifttum aus, die sich bemüht haben, diesen allgemeinen Kenntnisbegriff zu finden. Der historische Gesetzgeber definierte Kenntnis als das „Fürwahrhalten“ einer in Wirklichkeit bestehenden Tatsache32. Im Schrifttum ist Kenntnis so definiert worden: Kenntnis sei eine durch äußere Ereignisse (Sinneseindrücke) oder durch geistige Vorgänge (Schlussfolgerungen) hergestellte, der Wirklichkeit entsprechende Vorstellung einer Tatsache33. Kenntnis sei eine innere Tatsache34; Kenntnis sei das Wissen von ←28 | 29→Tatsachen (einer Rechtslage), sie sei die Übereinstimmung der subjektiven Vorstellung mit dem objektiv Gegebenen; sie sei die Entsprechung des Erkennens mit dem Erkannten35. Der gemeinsame Nenner all dieser Definitionen besteht darin, dass der Mensch eine bestimmte Vorstellung von Tatsachen haben muss, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt36.

Der herkömmliche Wissensbegriff hat demnach zwei Komponenten: den Grad an Überzeugung, mit dem ein Mensch sich eine Tatsache vorstellt und die Übereinstimmung des Vorgestellten mit der Wirklichkeit. Fehlt dem Menschen eine gewisse Überzeugung vom Vorliegen einer Tatsache, z. B. weil er zweifelt, vermutet oder einen bloßen Verdacht hat, liegt keine Kenntnis vor37. Stimmt das Vorgestellte nicht mit der Wirklichkeit überein, irrt der Mensch, sodass auch in diesem Fall keine Kenntnis vorliegt38. Je nach ratio der Wissensnorm kann das Merkmal der Kenntnis einen unterschiedlichen Grad an Gewissheit oder Überzeugung voraussetzen39. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass alle Kenntnisbegriffe eine gewisse menschliche Überzeugung von Tatsachen verlangen, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Diese herkömmliche Wissensdefinition ist auch heute noch unstreitiger Kern des privatrechtlichen Wissensbegriffs. Umstritten ist nur, ob und inwieweit dieser herkömmliche Begriff durch die rechtsmissbräuchliche Unkenntnis und das sogenannte Aktenwissen zu erweitern ist.

B.Erweiterung des herkömmlichen Wissensbegriffs um die rechtsmissbräuchliche Unkenntnis (bewusstes Sichverschließen)

§ 122 II BGB trennt per Legaldefinition zwischen Kenntnis und fahrlässiger Unkenntnis. Wo eine Wissensnorm Kenntnis verlangt, schadet dem Normadressaten (grob) fahrlässige Unkenntnis nicht40. Als innere Tatsache, die fremder Wahrnehmung nicht zugänglich ist, lässt sich die tatbestandsmäßige Kenntnis des Gegenübers im Zivilprozess allerdings nur schwer beweisen41. Ein direkter Beweis ist ausschließlich über eine Parteivernehmung gemäß §§ 445 I, 448 ZPO denkbar, sofern die Kenntnis der zu vernehmenden Partei bewiesen werden soll42. Der ←29 | 30→direkte Beweis wird aber selten gelingen, sodass im Regelfall nur der Indizienbeweis bleibt, um Kenntnis nachzuweisen43. Diese Beweisschwierigkeiten haben Teile des Schrifttums veranlasst, das Merkmal der Kenntnis in einzelnen Wissensnormen hin zu einer – leichter beweisbaren – grob fahrlässigen Unkenntnis zu lockern44. Dieses Vorgehen verstößt aber gegen die in § 122 II BGB niedergelegte Unterscheidung von Kenntnis und Kennenmüssen.

Um die Schwierigkeiten des Kenntnisnachweises abzumildern, ohne zugleich die Grenze zur fahrlässigen Unkenntnis zu überschreiten, ist in der Rechtsprechung und dem überwiegenden Schrifttum hinsichtlich zahlreicher Wissensnormen anerkannt, dass die rechtsmissbräuchliche Unkenntnis der Kenntnis gleichzustellen ist45. Eine natürliche Person kann sich nach Treu und Glauben nicht auf Unkenntnis berufen, wenn sie sich rechtsmissbräuchlich vor der tatbestandsmäßigen Kenntnis verschlossen hat46. Die Grenze zum Rechtsmissbrauch ist dabei erst überschritten, wenn jemand es versäumt, eine auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht, zu nutzen und bewusst vor der Erkenntnis die Augen verschließt47. Um nicht die Grenze zur grob fahrlässigen Unkenntnis zu tangieren, müssen an das rechtsmissbräuchliche Sichverschließen allerdings stets strengere Anforderungen als an die grob fahrlässige Unkenntnis gestellt werden48.

Die Gleichstellung von Kenntnis und rechtsmissbräuchlicher Unkenntnis stützen manche auf eine Analogie zu § 162 BGB, die auf dem verallgemeinerungsfähigen Gedanken basiere, dass niemand aus eigenem treuwidrigem Verhalten Vorteile für sich ziehen dürfe49. Rechtsfolge wäre die Fiktion der Kenntnis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kenntniserlangung bei treugemäßem Verhalten eingetreten wäre50. Andere wollen dem sich treuwidrig Verschließenden die Berufung auf ←30 | 31→Unkenntnis nach § 242 BGB versagen51. Nach einer weiteren Ansicht lässt sich die Gleichstellung von Kenntnis und dem bewussten Sichverschließen teilweise schon durch Auslegung der Wissensnorm erreichen52.

Es erscheint vorzugswürdig, die treuwidrige Unkenntnis in Form des bewussten Sichverschließens unter die Fallgruppe des unredlichen Verhaltens53 gemäß § 242 BGB zu fassen. § 242 BGB bietet eine breitere dogmatische Basis zur Erfassung der Fälle treuwidriger Unkenntnis als § 162 I BGB, weil es bei § 162 I BGB letztlich nur um die Durchsetzung des rechtsgeschäftlichen Parteiwillens geht54, indes § 242 BGB auch Fälle ohne rechtsgeschäftlichen Bezug erfasst. Es ist auch nicht geboten, die treuwidrige Unkenntnis der Kenntnis nur in Bezug auf bestimmte Wissensnormen gleichzustellen. Wer seine Kenntnisnahme unredlich vereitelt, sollte sich generell nicht auf seine tatsächlich bestehende Unkenntnis berufen können55. Da § 242 BGB entsprechend dem Normzweck der jeweiligen Wissensnorm eine individuelle Schranke des Rechtsmissbrauchs für jede Wissensnorm statuiert56, ist auch nicht zu erwarten, dass die Gleichstellung von rechtsmissbräuchlicher Unkenntnis und Kenntnis gegen die Auslegung des Kenntnismerkmals einer Wissensnorm verstößt.

Bei juristischen Personen sind zwei Arten rechtsmissbräuchlicher Unkenntnis denkbar. Sie liegt in jedem Fall dann vor, wenn das maßgebliche Zurechnungssubjekt der juristischen Person, z. B. ihr Geschäftsleiter, sich bewusst vor der Kenntniserlangung verschließt. Sie könnte aber auch dann gegeben sein, wenn die juristische Person deshalb unwissend ist, weil es bestimmte Personen entgegen ihrer Informationsweiterleitungspflicht unterlassen haben, ihre Kenntnis an das maßgebliche Zurechnungssubjekt weiterzugeben. Insoweit werden verschiedene Fälle rechtsmissbräuchlicher Unkenntnis der juristischen Person diskutiert: erstens wenn einzelne Organmitglieder eines Kollegialorgans ihre Kenntnis nicht rechtzeitig ans Gremium weitergeben57, zweitens wenn ein unzuständiges Organ seine Kenntnis nicht rechtzeitig ans zuständige Organ weitergibt58 oder drittens wenn eine juristische Person insgesamt ein Mindestmaß an gesellschaftsinternem Informationsaustausch unter den Mitarbeitern sowie zwischen Mitarbeitern und der Geschäftsleitung vermissen lässt59. Diese verschiedenen Fallgruppen ←31 | 32→rechtsmissbräuchlicher Unkenntnis bei juristischen Personen sind sehr umstritten. Für AG und GmbH werden sie später eingehend erörtert.

C.Erweiterung des herkömmlichen Wissensbegriffs um das sogenannte Aktenwissen

Umstritten ist, ob die herkömmliche Wissensdefinition um das sog. Aktenwissen zu erweitern ist. Gerade für AG und GmbH hätte diese Erweiterung des Wissensbegriffs erhebliche negative60 Auswirkungen, weil sie häufig Unmengen an Informationen in Akten und anderen künstlichen Datenspeichern vorhalten.

I.Das »Aktenwissen« im Schrifttum

Für eine „wertende Öffnung des Tatbestandsmerkmals Kenntnis“ hat sich erstmals Bohrer im Jahr 1991 in Anmerkung zu einer BGH-Entscheidung61 ausgesprochen62. Bohrer selbst gebrauchte den Begriff Aktenwissen zwar nicht, seine Ausführungen bildeten aber das Begriffsfundament. Bohrer stellt die tatsächliche Kenntnis und die aus Akten oder anderen Datenspeichern verfügbare Kenntnis gleich, und zwar bezogen auf alle Rechtssubjekte63.

Den Grund für diese Gleichstellung sieht er in einer neu zu entwickelnden zivilrechtlichen Organisationslehre: dem Prinzip der Wissensverantwortung64. Nach dieser Lehre habe das wissensverantwortliche Rechtssubjekt den Rechtsverkehr – ähnlich wie bei Verkehrssicherungspflichten – vor dem Risiko von Informationsdefiziten zu schützen, indem es typischerweise aktenmäßig festgehaltene Informationen so organisiere, dass diese zur rechten Zeit bei der maßgeblichen Person vorlägen65. Aufgrund dieser Wissensverantwortung habe das wissensverantwortliche Rechtssubjekt sowohl für tatsächliche Kenntnis als auch für die nach den Anforderungen des Rechtsverkehrs verfügbare Kenntnis einzustehen.66 Dass der privatrechtliche Kenntnisbegriff solchen normativen Wertungen offenstehe, versucht Bohrer mit prozessualen Erwägungen zu belegen: Im Prozess ergebe sich die zu beweisende Kenntnis letztlich immer aus einer normativen Wertung, da der Kenntnisbeweis als Beweis einer inneren Tatsache nur über Hilfstatsachen geführt ←32 | 33→werden könne, aus denen der Richter im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung gemäß § 286 I 1 ZPO auf Kenntnis zu schließen habe. Ob Kenntnis vorliege, lasse sich im Prozess somit nur durch eine Bewertung objektiver Tatsachen beurteilen, ähnlich wie dies bei der Beurteilung materiell-rechtlichen Kennenmüssens der Fall sei67.

Im Ergebnis bewertet Bohrer verfügbare Informationen als tatbestandsmäßige Kenntnis des wissensverantwortlichen Rechtssubjekts68. Verfügbare Akteninformationen werden dem Wissensverantwortlichen – z. B. einer juristischen Person – also nicht im Wege der Wissenszurechnung angelastet, sondern erfüllen unmittelbar das Merkmal der Kenntnis69.

In enger Anlehnung an Bohrer hat Medicus als erster den Begriff „Aktenwissen“ im Schrifttum verwendet70. Er definiert Aktenwissen als „alles Wissen, das in Datenspeichern außerhalb von menschlichen Gehirnen enthalten ist“71. Damit soll der Inhalt von künstlichen Datenspeichern72 dem Gedächtniswissen von Menschen gleichgestellt werden73, allerdings mit Einschränkungen. Eine Gleichstellung sei nur dann gerechtfertigt, wenn ein Anlass bestehe, den konkreten Akteninhalt abzurufen74. Zudem müsse eine Vergleichbarkeit bestehen zwischen dem Aufwand, mit dem man Informationen aus dem menschlichen Gedächtnis abrufe und jenem Aufwand, mit dem man Informationen aus künstlichen Speichermedien abrufe75. ←33 | 34→Es zählten nur solche künstlich gespeicherten Informationen zum Wissen, die mit einem geringen Aufwand – vergleichbar der bloßen Anstrengung des Gedächtnisses – verfügbar seien; ein geringer Aufwand bestehe insbesondere, wenn Gegenstand und Ort der gespeicherten Information der suchenden Person bekannt seien76. Medicus folgert hieraus, dass das „Aktenwissen“ von Organisationen personenunabhängig werde, da es nur noch auf die Verfügbarkeit versachlichter Informationsträger ankomme77. Die Anzahl relevanter Informationen sei in Organisationen so groß, dass sie in menschlichen Gehirnen nicht gespeichert werden könnten78. Der Wissensstand einer Organisation dürfe auch nicht von Personalwechseln abhängig sein79.

Wie Bohrer kommt Medicus zu dem Ergebnis, dass Informationen aus Datenspeichern – ihre Verfügbarkeit und ein Anlass zum Abrufen unterstellt – als Wissen der Organisation anzusehen sind. Aus seinen Ausführungen geht allerdings nicht klar hervor, ob die aus Akteninformationen konstruierte Kenntnis das Ergebnis einer Wissenszurechnung oder einer Erweiterung des herkömmlichen Wissensbegriffs ist80.

Schließlich versucht auch Taupitz, den herkömmlichen Wissensbegriff in Bezug auf arbeitsteilige Organisationen zu erweitern81. Er unterwirft Organisationen einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation und unterscheidet hierbei grundlegend zwischen der internen Informationsweiterleitungspflicht als Problem der Wissenszurechnung und der internen Informationsabfragepflicht als ←34 | 35→Problem des Wissensbegriffs 82. Hat ein Mitarbeiter Anlass, innerhalb der Organisation verfügbares Wissen abzufragen, tut dies aber nicht, soll dies nach Taupitz einerseits die Kenntnis dieses Mitarbeiters und andererseits – infolge Zurechnung der Mitarbeiterkenntnis – die Kenntnis der Organisation zur Folge haben83. Taupitz dehnt also den herkömmlichen Wissensbegriff insoweit aus, als Mitarbeiter innerhalb der Organisation bei Verletzung der Informationsabfragepflicht so behandelt werden, als hätten sie Kenntnis von den abzurufenden, verfügbaren Informationen erlangt.

Fatemi setzt sich mit dem Begriff des Aktenwissens, wie ihn Medicus verwendet, auseinander. Er lehnt ihn ab, weil der Kenntnisbegriff nach dem natürlichen Sprachgebrauch zumindest im Ausgangspunkt eine tatsächliche Kenntniserlangung voraussetze, sonst werde die Grenze zur fahrlässigen Unkenntnis überschritten84. Zudem sei das Kriterium des Anlasses zur Informationsabfrage ein Einfallstor für eine nahezu unkontrollierbare Einzelfallentscheidungspraxis85. Doch auch Fatemi will gespeicherte Informationen nicht gänzlich aus dem Wissensbegriff ausgrenzen. Die auf dinglichen Informationsträgern gespeicherten Informationen zählten dann zur Kenntnis einer Person, wenn die Person die betreffenden Informationen nach Kenntniserlangung bewusst auf Datenträger ausgelagert habe, die Person über den dinglichen Informationsträger Sachherrschaft ausübe und dadurch die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Information habe86.

An Bohrers und Medicus’ Begriff des Aktenwissens ist häufig kritisiert worden, dass er gegen die von § 122 II BGB vorgegebene Unterscheidung von Kenntnis und Kennenmüssen verstoße87. Obwohl man Taupitz’ erweitertem Wissensbegriff prinzipiell die gleichen Einwände entgegenhalten könnte, ist sein erweiterter Wissensbegriff erstaunlicherweise nicht kritisiert worden. Im Gegenteil, er hat sich durchgesetzt. Dies zeigt der Umstand, dass sich Taupitz’ Lehre von der ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation mitsamt der dogmatischen Einordnung der Informationsabfragepflicht als kenntnisbegriffserweiterndem Kriterium durchgesetzt hat88. Mit Fatemis Erweiterung des Kenntnisbegriffs hat sich bislang, soweit ersichtlich, niemand auseinandergesetzt.

←35 | 36→Im neueren Schrifttum wird der Begriff des Aktenwissens meist in einem anderen Sinne gebraucht. Er umschreibt dort das in Organisationen typischerweise aktenmäßig festgehaltene „Wissen“, das bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation verfügbar wäre89. Damit wird das Aktenwissen mit dem bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation verfügbaren Wissen gleichgesetzt. Wird der Begriff in diesem Sinne gebraucht, dann umfasst er sowohl eine Erweiterung des Kenntnisbegriffs, was die Informationsabfragepflicht anbelangt, als auch eine Erweiterung der Wissenszurechnung bei Verletzung der Informationsspeicherpflicht und der Informationsweiterleitungspflicht.

II.Das »Aktenwissen« in der Rechtsprechung

In der Rechtsprechung des Reichsgerichts taucht der Begriff „Aktenwissen“ nicht auf. Das RG war der Ansicht, dass bloße Akteninhalte keine Kenntnis im Sinne des BGB darstellen90. So führte das RG aus: „Mit Recht legt der Berufungsrichter auch darauf kein Gewicht, ob etwa der Fiskus die im Verkehr erforderliche Sorgfalt insofern außer acht gelassen hat, als er bei genauer Durchforschung seiner Akten und bei gehöriger Umfrage bei den Beamten seines Ressorts Kenntnis von der Grundsteuerentschädigungsrente hätte haben müssen. Hierauf kann es nach § 439 Abs. 1 B. G. B. nicht ankommen, weil nur die wirkliche Kenntnis des Mangels die Vertretungspflicht des Käufers ausschließen soll, nicht auch das Kennenmüssen oder die auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis.“

Details

Seiten
386
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631761830
ISBN (ePUB)
9783631761847
ISBN (MOBI)
9783631761854
ISBN (Hardcover)
9783631761823
DOI
10.3726/b14395
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Organschaftliche Wissenszurechnung Wissensvertreter Wissensorganisationspflicht Rechtsmissbräuchliche Unkenntnis Zurechnungsausschluss knowledge governance
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 385 S.

Biographische Angaben

Benjamin Baisch (Autor:in)

Benjamin Baisch studierte Rechtswissenschaften in Tübingen und absolvierte beide Staatsexamina in Baden-Württemberg. Er wurde von der Universität zu Köln promoviert. Promotionsbegleitend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen renommierten Wirtschaftssozietäten tätig und wirkte dort an juristischen Publikationen mit. Er arbeitet als Rechtsanwalt in einer führenden international tätigen Wirtschaftssozietät in den Bereichen Corporate und Commercial.

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