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Ethnizität, Widerstand und politische Legitimation in pashtunischen Stammesgebieten Afghanistans und Pakistans

von Omar Sahrai (Autor:in)
©2018 Dissertation 264 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor arbeitet in dieser interdisziplinären Studie Ethnizität als ein gesellschaftsregulierendes Ordnungsprinzip heraus, welches kollektive Handlungen sowie Ein- und Ausschlussmechanismen, die an gesellschaftliche Ereignisse und Prozesse gekoppelt sind, mitbestimmen kann. Die sozialhistorischen sowie zeitgenössischen Analysen führen bis ins 18. Jahrhundert zurück, um nachzuvollziehen, wie in den teils segmentär organisierten pashtunischen Stämmen über Ethnizität soziale Handlungen, Politik, den Islam sowie Widerstand und Konflikte bestimmt und legitimiert wird.
Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis ethnischer Komplexität und dem Widerstand der Taleban-Bewegung gegenüber der Zentralregierung Afghanistans und hilft, aktuelle ethnisch und religiös unterlegte Konflikte besser zu verstehen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • I. Einleitung
  • Ethnischer Geist
  • Emisch – etisch
  • Der epistemologisch-ideologische Diskurs
  • Zeitgeistanalyse struktureller Ethnizität
  • Allgemeine Bestimmung des ethnischen Geistes
  • Herrschaft und Staatlichkeit im historischen Kontext
  • Widerstände
  • Die Durand-Linie und ihre aktuelle Relevanz
  • Die Taleban
  • II. Ethnizität: Denkschulen, Theorien und Methoden
  • II.1 Denkschulen und Theorien
  • II.1.1 Max Weber und Fredrik Barth
  • II.1.2 Instrumentalismus bzw. Konstruktivismus
  • II.1.3 Primordialismus bzw. Essenzialismus
  • II.1.4 Ethno-Symbolismus
  • II.2 Ethnizitätsrelevante soziologische Methoden
  • II.2.1 Der Tandorfall
  • II.2.2 Ethnische Gruppe versus ethnische Kategorie
  • II.2.3 Deutung von Handlungen oder Bestimmung des strategischen Kalküls?
  • II.2.4 Der emisch/etische Diskurs
  • III. Methodologien und Theorien der Erkenntnisforschung: Ein sozialphilosophisch anthropologischer Diskurs
  • III.1
  • III.1.1 Die Idee des Begriffs
  • III.1.2 Erkenntnistheoretische Anmerkungen
  • III.1.3 Ideologische und epistemologische Betrachtung der Historie
  • III.1.4 Semiotische Deutungen sozialer Praktiken
  • III.2 Zwischenfazit
  • IV. Zeitgeistanalyse struktureller Ethnizität
  • IV.1 Die Interdependenz zwischen Synchronie und Diachronie
  • IV.2
  • IV.2.1 Wechsel und Veränderbarkeit ethnischer Identitäten
  • IV.2.2 Relationalität individueller Identitäten und ethnische Attributisierungen
  • IV.3 Synchrone Ereignisse und diachroner Struktureinfluss
  • IV.4 Von Ammanullahs Entfremdung bis Nader Khans Reaktion
  • IV.5 Der Hazarajat-Krieg: synchrone Ereignisse – diachrone Geltungen
  • V. Geschichtliche Darstellung seit 1747
  • V.1 Einführung
  • V.2 Die Durrani-Reichsgründung
  • V.3 Interne Kriege, externe Einmischungen und der Zerfall des Reiches
  • V.4 Amir Abdulrahman Khans kriegerischer Weg der Staatsbildung
  • V.5 Fortbestand der Durrani Hegemonie unter Habibullah
  • V.6 Ammanullahs Reformen und sein Sturz
  • V.7 Soziopolitische Verhältnisse unter der Herrschaft Zaher Shahs
  • V.8 Die Saur-Revolution von 1978
  • V.8.1 Erläuterungen und EinführungEs sei darauf verwiesen, dass ich mit vielen Exilafghanen Zeitzeugengespräche geführt habe, die insbesondere in diesem Kapitel Berücksichtigung finden. Zudem fließen mündliche Mitteilungen politischer Journalisten und Aktivisten in meine Ausführungen ein. Ich habe bis zum Winter 1983 in Kabul gelebt und bin so Zeuge vieler Ereignisse geworden, so dass eigene Erinnerungen diese Arbeit stützen.
  • V.8.2 Die khalq-parcham-Bewegung
  • V.8.3 Der Versuch einer soziopolitischen Umstrukturierung
  • V.8.4 Die agrar-sozialen Verhältnisse
  • V.8.5 Maßnahmen zur Landreform
  • V.8.6 Das Scheitern der Revolution
  • VI. Religiöse Anschauungen, Stammesstrukturen und Quellen des Widerstandes
  • VI.1 Einleitung
  • VI.2 Islamismus und Bildung religiöser Parteien/Gruppen
  • VI.3 Religiöse Autoritäten und der Volksislam
  • VI.4 Kriege und Freiheitskämpfe im 19. Jahrhundert
  • VI.4.1 Abwehrfronten während des ersten anglo-afghanischen Krieges
  • VI.4.2 Abwehrfronten während des zweiten anglo-afghanischen Krieges
  • VI.4.3 Von Mullah-e-Masjed zum Mullah-e-MahasMasjed bedeutet „die Moschee“ und mahaz „die Front“. An dieser Stelle sei erwähnt, dass nicht immer eine Transformation stattfand, in dem der Dorfmullah sich dem Jehad anschloss. Vielmehr fand infolge der Islamisierung und Institutionalisierung des Islam in den Madrassas Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine inflationäre Ausbildung von Mullahs statt, deren Ansporn für den Jehad bereits vor und während der Ausbildung vorhanden war.
  • VI.4.4 Religiöse Legitimation, politischer Jehad und ethnische Strukturen
  • VI.5 Zwischenfazit
  • VII. Entstehung und Konsequenzen der Durand-Linie
  • VII.1 Die Durand-Linie
  • VII.2 Das Verhältnis der afghanischen Staaten zu den verlorengegangenen Gebieten
  • VIII. Die Taleban
  • VIII.I Einführung
  • VIII.2 Entstehung und Machtübernahme der Taleban-Bewegung
  • VIII.3 Herrschaft der Taleban-Bewegung
  • VIII.4 Ideologische Grundlagen der Taleban-Bewegung
  • VIII.5 Invasion und Widerstand
  • Mitteilungen und Propaganda
  • Lokalität und Netzwerke
  • IX. Schluss
  • Literaturverzeichnis
  • Internetquellen

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Vorwort

Der Ansporn für das Verfassen der Dissertation in der Form, wie sie vorliegt, war eine Frage, die nicht nur mich beschäftigt, sondern immer wieder in den Medien, in der Forschung und auf Tagungen über Afghanistan diskutiert wird: Ist die „Unbesiegbarkeit“ des Landes Realität oder ein Mythos? Falls Sie sich von dieser Arbeit eine Antwort erhoffen, muss ich Sie enttäuschen, denn nicht nur der Begriff „Unbesiegbarkeit“ ist ein normativer, sondern auch die Bezeichnung „Land“ ist auf eine ethnisch divergente Gesellschaft wie die der afghanischen schwer anwendbar. Was mir aber im Laufe meiner Recherchen immer wieder auffiel, war der Widerstand gegenüber aufoktroyierten gesellschaftlichen Veränderungen und gegenüber ausländischen Invasionen. Die genannten Widerstände sind im Laufe der Geschichte kein Monopol einzelner Ethnien gewesen, sondern abhängig von dem, wer von wem wann und warum bedroht wurde. Der Widerstand gegenüber der Sowjetarmee zeigt diesen Umstand mehr als eindruckvoll. Trotzdem kann ich mich erinnern, dass in Afghanistan die Pashtunen, besonders diejenigen, die in Stämmen organisiert sind, entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze leben und von vielen anderen Afghanen als „wahshi“ (wild) oder „rückständig“ angesehen werden, nicht nur als drakonisch in der Praktizierung ihrer strengen Lebensweise gelten, sondern auch als besonders heimatverbunden und bereit für ihre Verteidigung; ein Zustand, der der Bezeichnung „wertkonservativ patriotisch“ sehr nahe kommt. Auf der anderen Seite werden unter vielen afghanischen Intellektuellen immer wieder Diskussionen darüber geführt, wie diese für sie als archaisch betrachtete Gesellschaften der pashtunischen Stämme zentralistisch und mithilfe von Eliten verändert und unter den Schirm der Nation überführt werden können. Die anvisierten Mittel dazu reichen von der Annahme der eigenen Überzeugungskraft, den Stammesmitgliedern Fortschritt und Modernisierung näher bringen zu können, bis hin zu Konzepten gewaltsamer Machtausübung. Im Kabul der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts herrschte unter der städtischen links und liberal eingestellten Intelligentsia die Meinung vor, die religiösen Autoritäten seien sowohl für die „Misere“ der bestehenden Zustände, als auch für den enormen Widerstand verantwortlich, der nach ihrer Annahme nur durch die Agitation von Mullahs, Ulema und Pire zu erklären sei. Nicht selten hörte ich Meinungen, denen zufolge die DVPA direkt zu Anfang ihrer Machtübernahme die Grenze zu Pakistan hätte schließen und die genannten Agitatoren verhaften bzw. vernichten müssen.

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Als ich wenige Jahre später anfing, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu studieren, war mein Wissen über Afghanistan nicht nur rudimentär, sondern auch gekennzeichnet von Gegensätzen und Widersprüchen. Ich besuchte ein Seminar von Christian Sigrist über Afghanistan und hielt ein Referat über die Saur-Revolution. Dabei trug ich mögliche Optionen vor, wie die DVPA hätte vorgehen können, um dem enormen Widerstand entgegentreten zu können. Sigrists Kommentar dazu war ebenso direkt wie präzise. Nicht einmal eine Million Soldaten hätten die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan kontrollieren können, sagte er. Obwohl verärgert, konnte ich dieser Feststellung nicht widersprechen. Infolge weiterer Diskussionen mit Sigrist und eigener Recherchen wurde mir sowohl die Relevanz der Durand-Linie und die scheinbare Trennung pashtunischer Siedlungsgebiete als auch die Diskrepanz zwischen Zentrum und Peripherie bezüglich Staatlichkeit und politischer Legitimation in Afghanistan immer mehr bewusst. Gleichzeitig wurde ich auf theoretischer Ebene mit dem Widerstandspotenzial segmentärer Gesellschaften vertraut gemacht, einer Denkschule, die mir in der Praxis bereits von den pashtunischen Stämmen bekannt war. Ahnend, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Widerstand beinahe aller Ethnien gegen die Sowjetarmee und dem zugeschriebenen Ruf der pashtunischen Stammesmitglieder nach Unabhängigkeit und Freiheit, beschäftigte ich mich mit politischen und soziohistorischen Arbeiten über Afghanistan. Zwar war es nicht möglich, eine Feldforschung in Afghanistan durchzuführen, doch der Umstand, dass ich dort dreizehn Jahre und in Peshawar ein Jahr gelebt habe und der Dari-Sprache mächtig bin, hat mir bei meiner Forschungsarbeit enorm geholfen.

Nach der Nato-Invasion war das Interesse für Afghanistan wieder erwacht. Eine große deutsche Zeitung bildete ein Foto bewaffneter Stammesmitglieder ab. Unter dem Bild stand, dass bewaffnete Stammeskrieger der afghanischen Regierung und ihren Verbündeten bei der Jagd nach Al-Qaida-Kämpfern und den Taleban helfen. Mir drängte sich die Frage auf, wer denn die Taleban sind, wenn selbst die Stammesmitglieder gegen sie kämpfen. Und wie haben sie es geschafft, mehrere Jahre lang beinahe das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen, obwohl sie scheinbar nicht nur die Stämme, sondern auch sieben kampferprobte Modjahidin-Parteien gegen sich hatten? Außerdem erschien mir die Tatsache, dass die Stämme eine ausländische Invasion und die invasive Politik der afghanischen Regierung befürworten, selbst unter den Umständen, die Taleban entmachten zu wollen, mehr als suspekt. Diese Überlegungen teilte ich auf einer Tagung in Berlin mit. Nachdem ich die Rolle pashtunischer Stämme bei den Staatsbildungsprozessen der letzten zwei Jahrhunderten erläutert und geschlussfolgert hatte, dass sie eine Trägerfunktion bei der Etablierung ←12 | 13→von Herrschaftssystemen gespielt hätten, ging ich auf die Taleban ein. Der Ausschluss der Bewegung der Taleban von dem neuen Staatsbildungsprozess mit gleichzeitiger Invasion des Landes sei nicht nur ein Ausschluss vieler Pashtunen aus diesem Prozess, sondern auch ein ungewolltes Mittel, um viele bis dahin in den Kriegen nicht involvierte pashtunische Stammesmitglieder in den Bann der Taleban-Bewegung zu treiben.

Prompt kam Kritik seitens einiger Wissenschaftler, die sich mit Afghanistan beschäftigen und eine Feldforschung „vor Ort“, d. h. in Kabul, durchgeführt hatten. Die häufigsten Kritikpunkte waren unter anderem, dass die Taleban entfremdete Koranschüler seien, die mit dem Stammesleben nicht viel gemein hätten; die Afghanen hätten genug von der Herrschaft der Taleban, man solle die Afghanen endlich in Ruhe leben lassen etc. Interessant war die Kritik eines jungen Wissenschaftlers, der behauptete, er sei in Afghanistan gewesen, habe jedoch keinen einzigen Pashtunen getroffen, der sich für den Herrscher des Landes hält.

Wenige Jahre später machte ein Bild in den Medien die Runde, aufgenommen in einem Trainingslager der Nato-Soldaten, mit der Aufschrift „Taliban“. Um die Aufschrift herum waren Pfeile gemalt, die in alle Richtungen zeigten.

Ohne diese Szene überbewerten zu wollen, sei hier darauf hingewiesen, wie sehr die Fokussierung auf die Hauptstadt Kabul, und besonders auf die dort lebende urbane Elite, wissenschaftliche, mediale und politische Diskurse bestimmt und einer induktiven Betrachtungsweise, d. h. von Kabul aus auf das ganze Land, huldigt. Gesellschaftliche Strukturen und emisch-subjektive Sichtweisen von in der Peripherie und in Stammesgebieten lebenden Menschen bleiben dabei meist unberücksichtigt.

All diese Eindrücke und Ereignisse gaben mir einen zusätzlichen Impuls, mich mit dem Thema des Widerstandes in pashtunisch besiedelten Stammesgebieten zu beschäftigen. Die in dieser Arbeit vorgelegten Ergebnisse haben mich wenig überrascht, vielmehr haben sie mich in meiner Annahme bestätigt, dass – ganz gleich, welche Meinung über das pashtunische Stammesleben und über ihre Politik, die ja in den letzten Jahren zum Teil im Gewand der Taleban-Bewegung zum Vorschein getreten ist, vertreten wird – Widerstand und Kampf gegenüber Invasionen ein wesentliches Merkmal ihres Daseins und ihres Selbstverständnisses darstellt. Dabei ist es nicht von Bedeutung, welche Ziele von den Herrschenden in Kabul verfolgt werden und welche Absichtserklärungen ausländische Invasoren abgeben. Zwar ist diese Tendenz in der Geschichte niemals monolithisch gewesen, denn es gab immer wieder Khane, Maliks und andere Stammesmitglieder, die mit ausländischen Mächten und Eindringlingen kooperierten, doch die allgemeine Tendenz, welche eine breite gesellschaftliche ←13 | 14→Akzeptanz und Legitimation erlangt, war, zumindest in den in dieser Arbeit untersuchten Jahrhunderten, der Kampf für die Unabhängigkeit. Es ist dieser Unabhängigkeitsdrang gewesen, der den Menschen als Waffe diente, um jeglicher kolonialen und imperialen Politik und sämtlichen Einverleibungsversuchen trotzen zu können.

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I. Einleitung

“From Mookoor to the Khyber Pass, all is content and tranquillity; and wherever we Europeans go, we are received with respect, attention and welcome. I think our prospects are most cheering; and with the materials we have there ought to be little or no difficulty in the management of the country. The people are perfect children, and they should be treated as such. If we put one naughty in the corner, the rest will be terrified”
(Aus einem Brief Macnaghtens im Jahr 1840 an einen unbekannten Korrespondenten, zit. nach Forbes 1892: 58).

Zwei Jahre später wurde der britische Kolonialbeamte Macnaghten während eines Treffens mit afghanischen Freiheitskämpfern getötet. 4.500 Soldaten und 12.000 Armeeangehörige wurden während des Rückzugs aus Kabul und dem Marsch nach Jelalabad von afghanischen Widerstandskämpfern umgebracht. Berühmtheit erlangte dieses Ereignis, als der Militärarzt Brydon schwer verwundet Jelalabad erreichte und von den Begebnissen erzählte; es wurde angenommen, er sei der einzige Überlebende.1 Damit waren der schwerste Rückschlag und die schwerwiegendste Niederlage in der Geschichte des Britischen Imperiums markiert.

Die Fehleinschätzung Macnaghtens steht exemplarisch für die Unkenntnis über die Bedeutung des Widerstands und der lokal vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse der pashtunisch besiedelten Gebiete und die ←15 | 16→Stammesstrukturen der Pashtunengesellschaft im 19. Jahrhundert. Ob und inwieweit sich die stammes- und ethnischen Bedingungen und „widerständigen“ Strukturen, aber auch die diesbezüglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, bis heute geändert haben, wird in dieser Arbeit ein Schwerpunkt sein.

Im Rahmen dieser Untersuchung wird zunächst die Frage erörtert, wer diese Widerstände geführt hat und welche Sozialstrukturen und gesellschaftlichen Bedingungen eine Trägerfunktion für die Vehemenz dieser Widerstände gehabt haben.

Ethnischer Geist

Unbestreitbar ist, dass der Kampf gegen die britischen Kolonialbestrebungen in Afghanistan des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in erster Linie von den pashtunischen Stämmen initiiert und geführt wurde. Die geografische Nähe bzw. die Nachbarschaft zwischen den Stämmen und Britisch-Indien (während des ersten anglo-afghanischen Krieges waren allerdings die an den Stammesgebieten grenzenden Gebiete unter der Herrschaft der Sikhs und dienten der britischen Armee als Durchgangsgebiete) mag zusätzlich den enormen Widerstand erklären. Eine zentrale These dieser Arbeit lautet, dass dieser Widerstand in erster Linie infolge des Zusammenwirkens von gesellschaftsstrukturellen Bedingungen, sprich Akephalie, Selbstorganisation, Tribalismus und Pashtunwali sowie von im Zuge dieser Bedingungen hervorgebrachten, epochenübergreifend reproduzierten und subjektiv internalisierten Wahrnehmungen und Vorstellungen – die in dieser Arbeit unter dem Begriffspaar „ethnischer Geist“ zusammengefasst werden – stattgefunden hat. Dieseethnische Geist entsteht infolge einer Konservierung von historischen Erinnerungen, kulturellen Eigenarten, Werten und Normen, aber auch im Zuge geografisch, ökonomisch und soziostrukturell bedingter Gegebenheiten. Die Regulierungsfunktion des ethnischen Geistes ist in verschiedenen Epochen beobachtbar gewesen und setzt sich bis heute fort, was anhand des Widerstandes der Taleban gegen die afghanische Regierung und deren Verbündete genauer untersucht wird.

Um den Begriff ethnischer Geist erfassen zu können, wird im zweiten Kapitel eine Analyse von Theorien und Methoden über Ethnizität vorgenommen. Es wird eine Auseinandersetzung mit konstruktivistischen und instrumentalistischen Denkschulen stattfinden. Ebenso werden die nur bedingt konträren Denkschulen und Erklärungsmodelle der Primordialisten und der Ethno-Symbolisten ein Thema in diesem Kapitel sein. Es wird zum einen zu zeigen sein, inwieweit sich die beiden Erklärungsmodelle des Instrumentalismus und des ←16 | 17→Primordialismus gegenseitig ausschließen und in welcher Hinsicht sie sich nur im Zugang unterscheiden, obwohl der inhaltliche Sachverhalt derselbe bleibt.

Details

Seiten
264
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631773581
ISBN (ePUB)
9783631773598
ISBN (MOBI)
9783631773604
ISBN (Paperback)
9783631764008
DOI
10.3726/b15140
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 264 S., 2 s/w Abb., 2 Karten

Biographische Angaben

Omar Sahrai (Autor:in)

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Titel: Ethnizität, Widerstand und politische Legitimation in pashtunischen Stammesgebieten Afghanistans und Pakistans
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