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Schranke hinter den Schranken

Interessenabwägung jenseits der urheberrechtlichen Schranken der §§ 44a ff. UrhG

von Fabian Ibel (Autor:in)
©2019 Dissertation 182 Seiten

Zusammenfassung

In welchem Verhältnis stehen Meinungsfreiheit und Urheberrecht? Darf zur Verwirklichung der Meinungsfreiheit auf urheberrechtlich geschützte Werke zurückgegriffen werden? Sind die Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG, wie der BGH in seiner Gies-Adler-Entscheidung meint, abschließend oder sind auch Nutzungen darüber hinaus möglich? Auf diese Fragen gibt die vorliegende Arbeit Antworten und leistet einen Beitrag dazu, Fälle, die an der Schnittstelle von Urheberrecht und Meinungsfreiheit angesiedelt sind, verfassungsrechtlich unbedenklichen sowie sach- und interessengerechten Lösungen zuzuführen. Hierzu entwickelt sie Parameter, die im Rahmen einer Interessenabwägung jenseits der Schranken heranzuziehen sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright Page
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Geliehenes Vorwort
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Kapitel: Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG: 97 (1) Copyright Act – Key provision of copyright law
  • A. § 97 UrhG als Zentralnorm des Urheberdeliktsrechts
  • B. Die Tatbestandsmerkmale des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs gem. § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG
  • I. Das Urheberrecht
  • 1. Das Werk, § 2 Abs. 1, 2 UrhG
  • a) Grundlagen zum Begriff des Werks
  • b) Schöpfungshöhe
  • 2. Das Wesen des Urheberrechts
  • a) Verfassungsrechtliche Grundlagen des Urheberrechts
  • b) Erstveröffentlichungsrecht, § 12 Abs. 1 UrhG
  • c) Verwertungsrechte, §§ 15 ff. UrhG
  • II. Verwandte Schutzrechte
  • III. Berechtigter des Anspruchs aus § 97 Abs. 1 UrhG – Aktivlegimation
  • IV. Eingriff / Verletzung
  • 1. Einräumung eines Nutzungsrechts und Verbrauch
  • 2. Die Schranken gem. §§ 44a ff. UrhG
  • a) Verfassungsrechtlicher Hintergrund der Schrankenbestimmungen
  • aa) Geistiges Eigentum als normgeprägtes Grundrecht
  • bb) Geistiges Eigentum im einfachen Recht
  • b) Vier Beschränkungsintensitäten
  • c) Rechtspolitische Rechtfertigung der verschiedenen Schranken
  • d) Abschließender Schrankenkatalog
  • e) „Dogma“ der engen Schrankenauslegung130
  • f) Schrankenbestimmungen im Interesse freier Kommunikation
  • aa) § 48 UrhG – Öffentliche Rede
  • bb) § 49 UrhG – Zeitungsartikel und Rundfunkkommentare
  • cc) § 51 UrhG – Zitat
  • dd) Fazit
  • V. Widerrechtlichkeit
  • 2. Kapitel: Bedürfnis und Rechtfertigung einer unbenannten „Schranke hinter den Schranken“: Need and justification of “balancing the interests” beyond the limiting provisions given by statutory law
  • A. Praktisches Bedürfnis nach einer nachgeschalteten Interessenabwägung auf Basis einer „Schranke hinter den Schranken“
  • I. LG Köln – „Ergo vs. Handelsblatt“207
  • II. OLG Hamburg – „Berufungsschrift“209
  • III. LG Hamburg – „Interviewfragen“213
  • IV. LG und KG Berlin – „Günther Grass vs. FAZ“216
  • V. Fazit
  • B. Zulässigkeit einer „Schranke hinter den Schranken“
  • I. „Widerrechtlich“ i.S.d. § 97 Abs. 1 UrhG als Einfallstor der Interessenabwägung
  • 1. Vergleich mit § 1004 BGB
  • 2. Vergleich mit dem Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB
  • 3. Gleichlauf mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht
  • a) Unbeachtlichkeit vermögensrechtlicher Aspekte
  • b) Geistiges Eigentum als ideelles Schutzkonzept
  • c) Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Urheberpersönlichkeitsrecht
  • 4. Vergleich mit § 101a Abs. 1 UrhG – BVerfG, Beschluss vom 25.5.1999 – 1 BvR 77–99 (Pressefreiheit als konkurrierendes Rechtsgut)
  • 5. Vergleich mit § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG – BGH – „Lila-Postkarte“ (Kunstfreiheit als konkurrierendes Rechtsgut)
  • 6. Vergleich mit §§ 1, 2 Abs. 2 Nr. 5 a. F. UWG – BVerfG GRUR 2008, 81 ff – Pharmakartell
  • 7. Vergleich mit §§ 85, 97 UrhG – BGH GRUR 2016, 268 ff. – Störerhaftung des Access-Providers
  • II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer nachgeschalteten Interessenabwägung auf Basis einer „Schranke hinter den Schranken“
  • 1. Richterliche Unabhängigkeit und Herrschaft des Gesetzes
  • 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen zivilgerichtlicher Abwägung
  • 3. Abwägung als Garantin verhältnismäßiger Lösungen
  • 4. Verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs. 1 UrhG
  • III. Die Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG
  • 1. Die Kommunikationsfreiheiten
  • 2. Die Schranke der allgemeinen Gesetze
  • 3. Die Wechselwirkungslehre des BVerfG
  • a) Die drei Funktionen der Wechselwirkungslehre
  • b) Interessenabwägung im Einzelfall anhand der spezifischen Dogmatik des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG
  • aa) Die Vermutungsregel – Im Zweifel für die freie Rede
  • bb) Werturteil und Tatsachenbehauptung
  • cc) Form der Äußerung
  • dd) Recht zum Gegenschlag
  • ee) Fazit
  • IV. Vereinbarkeit einer nachgeschalteten Interessenabwägung mit der Rechtsprechung der Zivilgerichte
  • 1. BGH-Rechtsprechung – ambivalente Haltung
  • 2. Landes- und oberlandesgerichtliche Rechtsprechung – teilweise Anwendung ungeschriebener Schranken
  • C. Vereinbarkeit der „Schranke hinter den Schranken“ mit der EMRK
  • I. Die EGMR-Entscheidung „Ashby Donald vs. Frankreich“ (2013)
  • 1. Vom innerfranzösischen Rechtsstreit zur europäischen Leitentscheidung
  • a) Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 EMRK
  • b) Eingriff in den Schutzbereich
  • c) Konventionsrechtliche Rechtfertigung
  • 2. Rezeption der „Ashby-Entscheidung“
  • 3. EMRK-Konformität der „Schranke hinter den Schranken“
  • a) „Notwendig“ (Art. 10 Abs. 2 EMRK) als Ansatzpunkt der Abwägung
  • b) Zweifel an einer Pflicht zur Abwägung
  • aa) Adressat der Abwägungspflicht – Gesetzgeber oder Gerichte?
  • bb) Erstveröffentlichung (§ 12 Abs. 1 UrhG) oder Zweitverwertung (15 ff. UrhG)
  • cc) Einzelfallabwägung vs. „wertendes Entscheiden“
  • dd) Vorgabe für nationale Gerichte oder Beschreibung der eigenen Entscheidungsfindung
  • ee) Vergleich: „Ashby vs. Frankreich“ – „Caroline vs. Deutschland I“
  • ff) Fazit
  • II. EGMR – „Neij and Sunde Kolmisoppi vs. Sweden” (The Pirate Bay)
  • a) Unzulässiges „Filesharing“
  • b) Entscheidung des EGMR – „offensichtlich unbegründet“
  • c) Ausführungen des EGMR zur Notwendigkeit der Abwägung
  • d) Bewertung – keine hinreichende Eindeutigkeit
  • III. Debatte von öffentlichem Interesse
  • 1. Public watchdog
  • 2. Risiken des Kriteriums der Debatte von öffentlichem Interesse
  • IV. Völkerrechtliche und innerstaatliche Wirkung der „Ashby-Entscheidung“ des EGMR auf die deutsche Rechtsordnung
  • 1. Zunehmender Einfluss der EGMR-Rechtsprechung
  • 2. Margin of appreciation
  • a) Zurückhaltung in mehrpoligen Grundrechtsbeziehungen
  • b) Zurückhaltung wegen unterschiedlicher Schutzniveaus
  • 3. Die innerstaatliche Wirkung von Urteilen des EGMR
  • a) Berücksichtigung der Gewährleistungsgehalte
  • b) Dispens von der Befolgungspflicht
  • c) Verpflichtung für Drittstaaten
  • 4. Fazit
  • 3. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlagen: Abwägung vs. Closed job: Legal theory – balancing interests vs. closed system
  • A. Pandektistik vs. Freirechtsschule
  • B. Das Erkennbarkeits- und Relativismus-Argument
  • I. Naturrecht vs. Rechtspositivismus
  • II. Einzelfallgerechtigkeit vs. Rechtssicherheit
  • C. Die Unbestimmtheit der Abwägung
  • D. Das Inkommensurabilitätsargument
  • 4. Kapitel: Kriterienkatalog für die Interessenabwägung auf Basis der „Schranke hinter den Schranken“: Compilation of factors to be used in the process of balancing
  • A. Vorbilder des Kriterienkatalogs
  • I. Die „Fair use doctrine“ im US-amerikanischen Recht
  • II. Rechtsprechung nach der „Fair use doctrine“580
  • III. Vorteile der „Fair use doctrine“
  • B. Modelle de lege ferenda zur Lösung des Konflikts Urheberrecht vs. Meinungsfreiheit
  • I. Das „Recht der Kreativen“
  • II. Funktionsorientierter Dualismus591
  • III. Das Wittem-Projekt595
  • C. Herleitung der Abwägungskriterien
  • I. Medientheoretische Grundlagen: Urheberrecht und Information
  • 1. Urheberrecht als Motor der Meinungsfreiheit
  • 2. „Informationen“ als Gegenstand urheberrechtlichen Schutzes?
  • a) Grundsatz: idea/expression dichotomy
  • b) Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Form und Inhalt
  • c) Zunehmende Verlagerung von „Werk“ auf „Information“
  • 3. Information und Konfusion
  • 4. Presse als Steuerin von Aufmerksamkeit
  • II. Aus anderen Entscheidungskonzepten entliehene Parameter
  • 1. Modifikationen des Werkbegriffs
  • a) Pressespezifische Erhöhung der Schutzuntergrenze
  • b) Künstlerische Absicht als weitere Voraussetzung von § 2 Abs. 1 UrhG
  • c) Fazit
  • 2. „Externe Schranke“ der Informationsfreiheit
  • a) Art. 10 Abs. 1 EMRK als externe Schranke („Utrillo“679)
  • b) Art. 10 Abs. 1 EMRK als Korrektur-Schranke des „openbaarmakingsrecht“ („Scientology“)
  • c) Keine unbeschränkte Informationsfreiheit gem. Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Var. GG
  • 3. Verfassungskonforme Interessen- und Güterabwägung705 i.V.m. politisch-historischer Dokumentationsfreiheit (Olenhusen / Deutsch)706
  • 4. Gravierendes Informationsbedürfnis im Einzelfall (Beater)
  • III. Fazit: Abwägung als Kombinationsmodell
  • D. Der Abwägungskatalog und dessen Anwendung
  • I. Grad des verwertungsrechtlichen Interesses
  • II. Beitrag zu einer Debatte bzw. überragendes Informationsbedürfnis
  • III. Individualität / Qualität / Schöpfungshöhe
  • IV. Schöpferischer Selbstanspruch
  • V. Die aus der Dogmatik des Art. 5 GG folgenden Gesichtspunkte: Vermutungsregel, Tatsachen und Werturteile, Sorgfaltspflichten, Recht zum Gegenschlag
  • VI. Informatorischer Gehalt
  • VII. Kontextualisierung
  • VIII. Information oder Konfusion?
  • E. Schlussthesen
  • Literaturverzeichnis
  • Internetquellen

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Einleitung

Gestützt auf § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG kann der Inhaber eines Urheberrechts die Nutzung seines Werkes Dritten gegenüber verbieten. Dies gilt jedoch nicht, wenn keine widerrechtliche Rechtsverletzung vorliegt. Abgesehen von Fällen, in denen der Berechtigte der jeweiligen Nutzung zugestimmt hat, ist dies dann Fall, wenn die Nutzung von den Schranken des Urheberrechts gedeckt ist. Die Schranken des Urheberrechtsgesetzes, die den Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind, statuieren Tatbestände, in denen die Verwertung des Werkes durch Dritte auch ohne die Zustimmung des Rechteinhabers gestattet sein soll.

Allerdings mag es Fälle geben, in denen keine der Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG zur Anwendung gelangt und auch kein anerkannter Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt, es jedoch trotzdem angezeigt ist, das betreffende Werk ohne oder gegen den Willen des Berechtigten öffentlich zugänglich zu machen. Zu denken ist an Konstellationen, in denen das Werk gerade so in den Genuss urheberrechtlichen Schutzes gelangt, die wirtschaftlichen Interessen an der Verwertung zugleich gering sind und das Werk von hohem öffentlichen Interesse ist. Als Beispiel sei ein von einer Versicherung erstellter Revisionsbericht erwähnt, der pikante Informationen über das Mitarbeiteranreizsystem der Versicherung enthält und durch dessen vollständige Veröffentlichung in der Presse Missstände angeprangert und eine öffentliche Debatte angestoßen werden könnten.2 Ähnliches gilt für einen von einem Rechtsanwalt verfassten Berufungsschriftsatz, dessen Ausführungen zumindest in Teilen von zeitgeschichtlicher Bedeutung ist.3 Auch an diesem besteht ein hohes Veröffentlichungsinteresse, während das Interesse an dessen urheberrechtlichen Verwertung vergleichsweise gering ist.

Würden die Gerichte die einschlägigen urheberrechtlichen Bestimmungen in hergebrachter Weise anwenden, so gelängen sie zu unbefriedigenden und verfassungsrechtlich bedenklichen Lösungen. Denn die hohe Bedeutung der Kommunikationsfreiheit, die verfassungsrechtlichen Gebote der Wechselwirkungslehre und der praktischen Konkordanz werden nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. Schließlich gilt zu bedenken, dass das Urheberrechtsgesetz in erster Linie der angemessenen wirtschaftlichen Beteiligung des Urhebers an der Verwertung zu dienen bestimmt ist und nicht der Geheimhaltung und der Unterdrückung unliebsamer Informationen Vorschub leisten darf.

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Um das Urheberrecht auf seinen gesetzlichen Zweck zu beschränken und um verfassungsrechtlich einwandfreie und darüber hinaus sach- und einzelfallgerechte Ergebnisse zu generieren, ist die Anwendung einer ungeschriebenen „Schranke hinter den Schranken“, von deren Existenz die vorliegende Untersuchung ausgeht, erforderlich. Diese soll es den Gerichten ermöglichen, jenseits der §§ 44a ff. UrhG und der anerkannten Rechtfertigungsgründe auf Basis einer nachgeschalteten Interessenabwägung die Zulässigkeit einer Veröffentlichung zu prüfen. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für diese Überlegung ist das Tatbestandsmerkmal „widerrechtlich“ gem. § 97 Abs. 1 UrhG. Die Gerichte sollen im Rahmen dieser Frage beurteilen, ob nicht angesichts der Umstände des Einzelfalls das Interesse an der Veröffentlichung schwerer wiegt als die urheberrechtlichen Interessen des Berechtigten. Ist dies der Fall, ist die Veröffentlichung, die zwar einen Eingriff in die Interessen des Rechtsinhabers darstellt, gerechtfertigt und mithin zuzulassen.

Dieser Lösungsweg zielt auf die Herstellung einer einzelfallgerechten Lösung, was aus rechtsstaatlicher Sicht nicht unbedenklich ist, weil der Rechtsstaat neben dem Anspruch der Einzelfallgerechtigkeit auch Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit als seine Zielsetzungen kennt. Damit die hier vorgeschlagene Weise der Entscheidungsfindung nicht in „Situationsjurisprudenz“ und Willkür abzugleiten droht, soll die Interessen- und Güterabwägung anhand eines Kriterienkatalogs erfolgen. Dieser ergibt sich aus verfassungsrechtlichen und medientheoretischen Überlegungen und hat den Zweck, die Entscheidungsfindung zu formalisieren und zu rationalisieren.

Der BGH vertritt in seiner „Gies-Adler-Entscheidung“ den Standpunkt, dass eine „außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse sowie der Schrankenbestimmungen der § 45 ff. UrhG angesiedelte allgemeine Güter- und Interessenabwägung“ nicht zulässig sei.4 Denn das Urheberrechtsgesetz enthalte grundsätzlich eine abschließende Regelung der aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse.5 Weil das dem Urheber vom Gesetz eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht das Ergebnis einer vom Gesetzgeber bereits vorgenommenen Abwägung zwischen den Interessen des Urhebers sowie den Interessen der Allgemeinheit sei, sei für eine nachgelagerte Interessenabwägung kein Raum.6 Vielmehr überschreite dies die Kompetenzen der Zivilgerichte.7

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Die vorliegende Untersuchung widerspricht dieser Auffassung und den dahinterstehenden Erwägungen.

Die Existenz einer ungeschriebenen „Schranke hinter den Schranken“ i.S. einer nachgelagerten Interessenabwägung ist nicht nur eine verfassungsrechtliche und praktische Notwendigkeit, sondern steht insbesondere auch im Einklang mit der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR. In seiner Entscheidung „Ashby Donald vs. Frankreich“ von 2013 unterstrich dieser nämlich, dass im Fall der Kollision von Urheberrecht und Meinungsfreiheit das Abwägungserfordernis in besonderer Weise bestehe.8

Zunächst wird in Kapitel 1 der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG vorgestellt. Dessen zentrale Tatbestandsmerkmale – Urheberrecht, Eingriff/Verletzung, Widerrechtlichkeit – werden erläutert und die für die vorliegende Untersuchung relevanten Hintergründe – Schöpfungshöhe, verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Schranken, Dogma der engen Schrankenauslegung – dargestellt.

Dann wird in Kapitel 2 zunächst das praktische Bedürfnis nach einer unbenannten Schranke anhand von Fällen, die zugleich von Land- und Oberlandesgerichten entschieden wurden, illustriert.

Sodann wird aufgezeigt, dass und warum das Tatbestandsmerkmal „widerrechtlich“ gem. § 97 Abs. 1 UrhG als Einfallstor der Interessenabwägung heranzuziehen ist. Hierzu werden die Vorschriften der §§ 1004, 823 BGB vergleichend untersucht, eine BVerfG-Entscheidung zu § 101a UrhG sowie die BGH-Entscheidung „Lila-Postkarte“ zu § 14 MarkenG näher betrachtet und schließlich rechtssystematische Überlegungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht angestellt.

Im Anschluss daran wird sich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Interessenabwägung gewidmet. Hierfür werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Abwägungsentscheidungen gem. Art. 20 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 3 GG erläutert und die Wechselwirkungslehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG dargestellt.

Schließlich wird der hier vertretene Vorschlag einer unbenannten „Schranke hinter den Schranken“ an den Vorgaben der EMRK gemessen. Hierzu wird insbesondere die Entscheidung „Ashby Donald vs. Frankreich“ aus 2013, die an der Schnittstelle zwischen Urheberrecht einerseits und Meinungs- und Pressefreiheit andererseits angesiedelt ist, analysiert. In diesem Zusammenhang wird das vom EGMR aufgestellte Kriterium „matters of public interest“ untersucht und die Wirkung von EGMR-Urteilen für die deutsche Rechtsordnung erläutert.

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In Kapitel 3 werden in knappen Strichen die rechtstheoretischen Hintergründe und Grundlagen der hier erhobenen Forderung nach einer Interessenabwägung beleuchtet. Der Dualismus von Abwägungsentscheidungen und starrer Entscheidungsfindung wird aufgezeigt. Dabei werden die gängigsten Argumente gegen flexible Konzepte der Entscheidungsfindung und Abwägung vorgetragen und widerlegt.

In Kapitel 4 wird schließlich ein Katalog an Kriterien und Gesichtspunkten zusammengestellt, auf den bei der Abwägung zurückzugreifen ist. Dieser nimmt Anleihen an anderen in der Rechtspraxis verwendeten Abwägungskatalogen sowie an der „Fair use doctrine“ des US-amerikanischen Rechts. Die Kriterien ergeben sich aus medientheoretischen Überlegungen, der Wechselwirkungslehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG und sind aus anderen Lösungsmodellen abgeleitet.

2 LG Köln 29.8.2012 – 14O 396/12 – Ergo vs. Handelsblatt.

3 OLG Hamburg NJW 1999, 3343 (3344) – Berufungsschrift.

4 BGH ZUM 2003, 777 (779) – Gies-Adler.

5 BGH ZUM 2003, 777 (779) – Gies-Adler.

6 BGH ZUM 2003, 777 (779) – Gies-Adler.

7 BGH ZUM 2003, 777 (779) – Gies-Adler.

8 Wandtke/Bullinger/v. Wolff, UrhG, § 97, Rn. 34.

Details

Seiten
182
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631773963
ISBN (ePUB)
9783631773970
ISBN (MOBI)
9783631773987
ISBN (Hardcover)
9783631773956
DOI
10.3726/b14899
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 182 S.

Biographische Angaben

Fabian Ibel (Autor:in)

Fabian Ibel war bis 2016 Assistent am Lehrstuhl für Privatrechtsvergleichung und Medienrecht bei Prof. Gounalakis an der Philipps-Universität in Marburg. Der Autor hatte an der Fürst-Johann-Ludwig-Schule in Hadamar sein humanistisches Abitur abgelegt, ehe er in Mainz und San Diego Jura studierte.

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