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Die unbezifferte Forderungsklage

Analyse, Problemstellungen und Lösungsansätze, bezogen auf das türkische, schweizerische und deutsche Recht

von Bahar Tuna Kurtoglu (Autor:in)
©2019 Dissertation 364 Seiten

Zusammenfassung

Wenn eine Klage auf eine Geldleistung zielt, dann muss ihr Rechtsbegehren auch beziffert werden, was allerdings nicht immer möglich ist. Die unbezifferte Forderungsklage ermöglicht es unter bestimmten Bedingungen, das Rechtsbegehren ohne Angabe der genauen Bezifferung einzuklagen. Damit werden das Rechtsschutzinteresse und die Rechtssicherheit des Klägers abgesichert. Als eine Ausnahme des Bestimmtheitsgebotes wird sie im türkischen, deutschen und schweizerischen Recht anerkannt. Trotz der gesetzlichen Regelungen im türkischen und schweizerischen Recht und trotz der Anerkennung der Lehre und der Rechtsprechung im deutschen Recht gibt es Unklarheiten zu ihrer Ausübung. Die Autorin zeigt Probleme und Fragen, die sich aus diesen Unklarheiten ergeben, auf, diskutiert diese und entwickelt Lösungsmöglichkeiten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • Teil 1 – Grundlagen der unbezifferten Forderungsklage
  • §1 Begriff, Zweck und Rechtsnatur der unbezifferten Forderungsklage
  • A. Begriff der unbezifferten Forderungsklage
  • 1. Allgemeines
  • 2. Im türkischen Recht
  • 3. Im deutschen Recht
  • 4. Im schweizerischen Recht
  • 5. Stellungnahme
  • B. Zweck der unbezifferten Forderungsklage
  • 1. Allgemeines
  • 2. Prozesskosten
  • 3. Verjährungsfrist
  • 4. Prozessökonomie
  • 5. Rechtsschutz und Recht auf faires Verfahren
  • 6. Stellungnahme
  • C. Rechtsnatur der unbezifferten Forderungsklage
  • 1. Allgemeines
  • 2. Rechtsnatur der unbezifferten Forderungsklage
  • 3. Beziehung der unbezifferten Forderungsklage mit Rechtsgrundprinzipien
  • a. Grundrechte
  • b. Grundprinzipien des Zivilprozessrechts (Verfahrensgrundsätze)
  • i. Allgemeines
  • ii. Dispositionsgrundsatz(-maxime)
  • iii. Prozessökonomie
  • iv. Recht auf rechtliches Gehör und auf faires Verfahren
  • v. Der Verhandlungsgrundsatz
  • vi. Die richterliche Frage- und Aufklärungspflicht
  • §2 Der historische Hintergrund der unbezifferten Forderungsklage
  • A. Im türkischen Recht
  • 1. In der alten türkischen Zivilprozessordnung (alt. TürkZPO) von 1927
  • 2. In der neuen türkischen Zivilprozessordnung (TürkZPO) von 2011
  • a. Allgemeines
  • b. Der Gegenstand von Art. 119 Abs. 1 lit. ğ TürkZPO „Das Bestimmtheitserfordernis des Anspruchs“ als Zulässigkeitsvoraussetzung des Klageantrags
  • i. Grundlagen des Bestimmtheitserfordernisses des Anspruchs
  • ii. Ausnahmen des Bestimmtheitserfordernisses „unbezifferte Forderungsklage“
  • B. Im deutschen Recht
  • 1. Vor dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung
  • 2. Rechtsprechung und Lehre nach dem Inkrafttreten der deutschen ZPO
  • C. Im schweizerischen Recht
  • 1. Rechtslage vor dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung
  • 2. Nach dem Inkrafttreten der SchweizZPO
  • §3 Beziehung der unbezifferten Forderungsklage zu den anderen Klagearten
  • A. Allgemeines
  • B. Leistungsklage
  • C. Teilklage und Problem der Abgrenzung der unbezifferten Forderungsklage von der Teilklage
  • 1. Allgemeines zur Teilklage
  • 2. Zu dem Streitgegenstand
  • 3. Zu dem Anwendungsbereich
  • 4. Zu den Folgen
  • 5. Ansichten der Literatur
  • 6. Stellungnahme
  • D. Feststellungsklage
  • 1. Allgemeines
  • 2. Feststellungsklage auf unbezifferte Forderungen
  • 3. Stellungnahme
  • E. Gestaltungsklage
  • Teil 2 – Arten und Zulässigkeitsvoraussetzungen der unbezifferten Forderungsklage
  • §4 Voraussetzungen für die Zulässigkeit der unbezifferten Forderungsklage
  • A. Allgemeines
  • B. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Bezifferung der Betragshöhe des Anspruchs zu Beginn des Prozesses
  • 1. Allgemeines
  • 2. Unmöglichkeit der Bezifferung
  • a. Allgemeines
  • b. Objektive Unmöglichkeit
  • c. Subjektive Unmöglichkeit
  • d. Rechtliche Unmöglichkeit
  • 3. Unzumutbarkeit der Bezifferung
  • 4. Stellungnahme
  • C. Bestimmung/Angabe des Rechtsverhältnisses
  • 1. Allgemeines
  • 2. Folgen der fehler- und mangelhaften Bestimmung des Rechtsverhältnisses
  • D. Angabe eines Mindestwertes
  • 1. Allgemeines
  • a. im türkischen Recht
  • b. im deutschen Recht
  • c. im schweizerischen Recht
  • 2. Folgen der Angabe des Mindestwertes
  • a. Allgemeines
  • b. Folgen der mangel- und fehlerhaften Angabe des Mindestwertes
  • 3. Stellungnahme
  • E. Nachträgliche Bezifferung des Anspruchs
  • 1. Allgemeines
  • 2. Zeitpunkt der nachträglichen Bezifferung
  • 3. Folgen der nachträglichen Bezifferung
  • 4. Folgen der Säumnis des Klägers mit der nachträglichen Bezifferung
  • a. Anerkennung des Mindestwertes als endgültiger Streitwert
  • b. Bezifferung des Streitwertes nach der Anerkennung des Mindestwertes
  • c. Folgen für den nicht bezifferten und nicht angeforderten Rest des Streitwertes
  • §5 Arten der unbezifferten Forderungsklage
  • A. Allgemeines
  • B. Nachträglich zu beziffernde Forderungsklage
  • 1. Bezifferung nach dem Beweisverfahren
  • 2. Bezifferung nach der Auskunftserteilung (die Stufenklage)
  • C. Die reine Ermessensklage
  • Teil 3 – Folgen der unbezifferten Forderungsklage
  • §6 Die Folgen der unbezifferten Forderungsklage im Zivilprozess- und materiellen Rech
  • A. Allgemeines
  • B. Folgen im Zivilprozessrecht
  • 1. Zuständiges Gericht
  • 2. Rechtshängigkeit
  • 3. Prozesskosten
  • 4. Die Klage beendenden Parteihandlungen
  • a. Klageanerkennung
  • b. Prozessvergleich
  • c. Verzicht/Klagerückzug
  • 5. Rechtsmitteleinlegung
  • 6. Rechtskraft
  • C. Folgen im materiellen Recht
  • 1. Hemmung der Verjährungsfrist
  • 2. Wegfall von dem guten Glauben
  • 3. Berechnung der Zinsen
  • Zusammenfassung
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

alt. alte

Art. Artikel

AÜHFD Ankara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

BGER Unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts

BGH Bundesgerichtshof

BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BSKommORI Basler Kommentar zum Obligationenrecht I

BSKommZGBI Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I

BSKommZPO Basler Kommentar zur Zivilprozessordnung

Bzw. beziehungsweise

C. Cilt

c. contra

CPO Civilpozessordnung

d.h. das heißt

Diss. Dissertation

DEÜHFD Dokuz Eylül Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi

E. Esas

EMRK Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

etc. et cetera

f./ff. Die Folgende(n)

FamRZ. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

Fn. Fußnote

GG Deutsches Grundgesetz

GVG Gerichtsverfassungsgesetzt

Habil. Habilitation

HAVE Haftung und Versicherung

H.D. Hukuk Dairesi

HGK Hukuk Genel Kurulu

HMK Hukuk Muhakemeleri Kanunu

IÜHFM Istanbul Üniversitesi Hukuk Fakültesi Mecmuasi

IÜHFY Istanbul Üniversitesi Hukuk Fakültesi Yayinlari

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JA Juristische Arbeitsblätter

JR Juristische Rundschau

JurBüro Das Juristische Büro

JuS Juristische Schulung

JW Juristische Wochenschrift

JZ Juristenzeitung

K. Karar

Komm. Kommentar

KUKO Kurzkommentar

lit. litera

MDR Monatsschrift für Deutsches Recht

MÜHF- HAD Marmara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Hukuk Arastirmalari Dergisi

MünchKommBGB Münchener Kommentar zur Bürgerlichen Gesetzbuch

MünchKommZPO Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung

NJW Neue juristische Wochenschrift

Nr. Nummer

OLG Oberlandesgericht

RG Reichsgericht

RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rn. Randnummer

S. Seite

SchweizBundVerG Schweizerisches Bundesverfassungsgesetz

SchweizOR Schweizerisches Obligationenrecht

SchweizPatG Schweizerisches Patentgesetz

SchweizZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch

SchweizZPO Schweizerisches Zivilprozessrecht

Sic! Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht

T.  Tarih

TBBD Türkiye Barolar Birligi Dergisi

TürkGebührO Türkische Gebührenordnung

TürkOR Türkisches Obligationenrecht

TürkVerf Türkische Verfassung

TürkZGB Türkische Zivilgesetzbuch

TürkZPO Türkische Zivilprozessordnung

Urt. Urteil

v. von, vom

VE Vorentwurf

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Vorb. Vorbemerkungen

YKD Yargitay Kararlari Dergisi

z.B zum Beispiel

ZBGR Schweizerische Zeitschrift für Beurkundungs- und Grundbuchrecht

ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium

ZPO Zivilprozessordnung

ZPOKomm Kommentar zur Zivilprozessordnung

ZPO-AI Zivilprozessordnung für den Kanton Appenzell-Innerrhoden

ZPO-ARG Zivilprozessordnung für den Kanton Aargau

ZPO-BE Zivilprozessordnung für den Kanton Bern

ZPO-BS Zivilprozessordnung für den Kanton Basel

ZPO-GL Zivilprozessordnung für den Kanton Glarus

ZPO-FR Zivilprozessordnung für den Kanton Freiburg

ZPO-JU Zivilprozessordnung für den Kanton Jura

ZPO-LU Zivilprozessordnung für den Kanton Luzern

ZPO-NW Zivilprozessordnung für den Kanton Nidwalden

ZPO-SG Zivilprozessordnung für den Kanton St. Gallen

ZPO-SO Zivilprozessordnung für den Kanton Solothurn

ZPO-SZ Zivilprozessordnung für den Kanton Schwyz

ZPO-TG Zivilprozessordnung für den Kanton Thurgau

ZPO-UR Zivilprozessordnung für den Kanton Uri

ZPO-ZH Zivilprozessordnung für den Kanton Zürich

ZR Blätter für Zürcherische Rechtsprechung

ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

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Einleitung

Die unbezifferte Forderungsklage ist mit Inkrafttreten der neuen türkischen Zivilprozessordnung (TürkZPO) am 1 Oktober 2011 in Art. 107 TürkZPO ausdrücklich und gesetzlich geregelt. Während der alten türkischen Zivilprozessordnung (alt. TürkZPO) war sie gesetzlich nicht geregelt, war aber von der Rechtsprechung in bestimmten Fällen anerkannt. Damals war die unbezifferte Forderungsklage von der Rechtsprechung und von der türkischen Lehre anerkannt, damit der Kläger vor dem Inkrafttreten der neuen TürkZPO seine Rechte erreichen konnte, wodurch die Rechtssicherheit und das Rechtsschutzinteresse des Klägers gesichert waren. Diese Entscheidungen der Rechtsprechung sowie auch die Ansichten der damaligen Lehre werden auch bei der Festsetzung der Vorschrift der unbezifferten Forderungsklage berücksichtigt.

Auch im schweizerischen Recht ist die unbezifferte Forderungsklage mit dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung (SchweizZPO) am 1 Januar 2011 in Art. 85 SchweizZPO ausdrücklich und gesetzlich geregelt. Ähnlich wie im türkischen Recht war die unbezifferte Forderungsklage auch im schweizerischen Recht vor dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung gesetzlich nicht geregelt, aber von der Rechtsprechung in bestimmten Fällen anerkannt.

Anders als in den türkischen und schweizerischen Rechtssystemen ist die unbezifferte Forderungsklage im deutschen Recht gesetzlich nicht geregelt, ist aber von der deutschen Lehre und Rechtsprechung sowie dem Reichsgericht für bestimmte Fälle anerkannt.

Gemäß Art. 119 Abs. 1 lit. d und ğ TürkZPO, Art. 221 Abs. 1 lit. c SchweizZPO und gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss der Kläger in seiner Klageschrift in der Regel den Streitgegenstand, den Grund seines Anspruchs und den Streitwert genau angeben und falls die Klageschrift diese Voraussetzungen nicht besitzt, dann wird sie vom Gericht abgewiesen. Das heißt, dass der Kläger sein Rechtsbegehren nicht einklagen und nicht erreichen kann, falls er die Betragshöhe davon nicht genau bestimmen und in seiner Klageschrift angeben kann, was besonders bei Klagen auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz sowie auch bei Klagen vorkommen kann, bei denen der Kläger Informationen benötigt, um den Betrag seines Anspruchs zu beziffern.. Durch die Regelung der unbezifferten Forderungsklage wird es dem Kläger ausnahmsweise ermöglicht, ohne Angabe der genauen Bezifferung des Anspruchs Klage zu erheben, wenn die Bezifferung des Betrags des Anspruchs dem Kläger unmöglich oder unzumutbar ist, womit ←19 | 20→das Rechtsschutzinteresse und die Rechtssicherheit des Klägers und auch die Prozessökonomie abgesichert sind. Auch wird der Kläger vor möglichen hohen Prozesskosten geschützt.

Trotz der gesetzlichen Regelungen der unbezifferten Forderungsklage und der Anerkennung der Lehre und der Rechtsprechung gibt es Unklarheiten und kritische Anmerkungen zur Ausübung der unbezifferten Forderungsklage. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Aufklärung dieser Unklarheiten, die Analyse dieser besonderen Klageart nach ihren gesetzlichen Regelungen und die Ausarbeitung möglicher Lösungen für die Probleme bei ihrer Ausübung auf der Basis einer rechtsvergleichenden Betrachtung der entsprechenden türkischen, deutschen und schweizerischen Rechtssysteme.

Dementsprechend werden in dem ersten Teil dieser Arbeit die Grundlagen der unbezifferten Forderungsklage sowie der Begriff, der Zweck und ihre Rechtsnatur im Sinne der wichtigsten Prozessgrundsätze untersucht. Außerdem werden der Stand und der Ausnahmecharakter der unbezifferten Forderungsklage im Vergleich zu den anderen Klagearten aufgezeigt.

In dem zweiten Teil der vorliegenden Arbeit werden die Zulässigkeitsvoraussetzungen der unbezifferten Forderungsklage untersucht, die sie zu einer besonderen Art der Leistungsklage machen. Auch die zulässigen Arten der unbezifferten Forderungsklage und die darüber bestehenden Ansichten in der Lehre werden in diesem Teil untersucht und es wird versucht, die Grundlagen und möglichen Ergebnisse dieser Ansichten zu erklären und aufzuklären, ob sie zu dem Zweck der unbezifferten Forderungsklage passen.

Im dritten und letzten Teil dieser Arbeit werden die Folgen der unbezifferten Forderungsklage im Zivilprozessrecht und im materiellen Recht untersucht und es wird aufgezeigt, ob die unbezifferte Forderungsklage wegen ihres Ausnahmecharakters im Vergleich zu den gewöhnlichen Klagearten besondere Folgen hat.

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§1 Begriff, Zweck und Rechtsnatur der unbezifferten Forderungsklage

A. Begriff der unbezifferten Forderungsklage

1. Allgemeines

Die unbezifferte Forderungsklage ist eine Klageart, bei der der Kläger ohne eine konkrete Angabe der Betragshöhe seines Anspruchs Klage erheben kann.

Im Sinne des Grundprinzips im türkischen, deutschen und schweizerischen Zivilprozessrecht muss die Klageschrift genaue Angaben des Streitgegenstandes, bestimmte Rechtsgrundlagen des erhobenen Anspruchs und genaue Angaben des Rechtsbegehrens besitzen.1 Wenn also der Kläger eine Leistungsklage mit dem Zweck erhebt, die Verurteilung des Beklagten auf die Zahlung der Leistung zu erreichen, muss er in der Regel den von dem Beklagten verlangten Betrag angeben, also die Betragshöhe seines Anspruchs beziffern.2 Bei einem Mangel in diesen Erfordernissen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.3 Mit der Angabe der bezifferten Betragshöhe des Anspruchs kann der Beklagte wissen, was genau der Kläger von ihm verlangt und wie er sich verteidigen kann, zudem wird auch die Bindung des Gerichts an den Klageantrag abgesichert.4

Wenn die Bestimmung der Betragshöhe des Anspruchs richterliches Ermessen erfordert (wie z.B. bei Klagen auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz), dann kann der Kläger den vom Gericht ermessenen Betrag seines Anspruchs nicht einschätzen. Dementsprechend könnte der Kläger seinen Antrag zu niedrig oder zu hoch beziffern und solch eine Bezifferung könnte für den Kläger ←23 | 24→Risiken auf hohe Prozesskosten oder Verlust seines Rechtsbegehrens verursachen. Deswegen ist die Bezifferung des Rechtsbegehrens für den Kläger wichtig und risikoreich.5

Trotz dieses Grundprinzips des Zivilprozessrechts in den türkischen, deutschen und schweizerischen Rechtssystemen ist die unbezifferte Forderungsklage ausnahmsweise zugelassen.6 Während die unbezifferte Forderungsklage in den türkischen und schweizerischen Zivilprozessordnungen gesetzlich geregelt ist, ist sie in der deutschen Zivilprozessordnung nicht geregelt. Aber trotzdem ist die unbezifferte Forderungsklage vom deutschen Reichsgericht7, Bundesgerichtshof8, in der deutschen Literatur und in der Praxis des deutschen Zivilprozessrechts anerkannt.9 Demgemäß wird die unbezifferte Forderungsklage erst dann als zulässig angenommen, wenn die Bezifferung für den Kläger zu Beginn des Prozesses nicht möglich oder unzumutbar ist.10

Für die richtige und zweckmäßige Ausübung der Regelungen von Zivilprozessordnungen ist die richtige Interpretation des Wortlauts der Regelungen erforderlich. Dadurch kann die Absicht des Gesetzgebers mit der relevanten Regelung besser verstanden und diese sachgemäß angewendet werden. Deswegen muss der Wortlaut der unbezifferten Forderungsklage für ihre zweckmäßige und richtige Ausübung richtig interpretiert werden.

Der Begriff „Klage“ wird in den Zivilprozessordnungen in verschiedenen Bedeutungen angewendet. Die in der Praxis häufig anerkannte Bedeutung der „Klage“ ist der Rechtsschutz des Anspruchs des Klägers auf den Streitgegenstand. Nach diesem Begriff besteht der Streitgegenstand aus einem individualisierten Rechtsbegehren der Parteien.11 Auch in den Regelungen der unbezifferten ←24 | 25→Forderungsklage wird die „Klage“ mit der Bedeutung für einen prozessualen Anspruch im Sinne eines Streitgegenstandes verwendet.12

Die „Forderung“ ist ein juristischer Begriff aus dem Schuld- und Sachenrecht. Im Allgemeinen ist der Gegenstand einer Forderung eine Leistung, also ein Recht auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen.13 Aber in den Regelungen der unbezifferten Forderungsklage ist die Bedeutung der „Forderung“ enger gefasst. Dementsprechend gelten die Leistungen, die auf die Geldzahlung gerichtet sind, als Gegenstand einer unbezifferten Forderungsklage.14

„Unbeziffert“ ist ein Begriff des allgemeinen Sprachgebrauchs. Es ist ein negierendes Adjektiv, das das Fehlen eines Betrags bedeutet. Gemäß den Regelungen der unbezifferten Forderungsklage richtet der Kläger sein Rechtsbegehren auf den Beklagten, der ihm einen Geldbetrag schuldet, wobei aber dieser Betrag zu Beginn des Prozesses unbeziffert ist. Also ist hier nur der Betrag unbeziffert, nicht aber die Forderung des Klägers.15

Obwohl die unbezifferte Forderungsklage in den türkischen und schweizerischen Zivilprozessordnungen und in der deutschen Rechtsprechung überwiegend ähnlich geregelt und zugelassen ist, gibt es in den Gesetzestexten Unterschiede, die für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der unbezifferten Forderungsklage eine Interpretation benötigen. Da der Hauptzweck des Gesetzgebers darin besteht, durch die Interpretation der Gesetzestexte die unbezifferte Forderungsklage besser verstehen zu können, spielen die Wortlaute der Regelungen der unbezifferten Forderungsklage für ihre Ausübung eine entscheidende Rolle.16

In den türkischen, deutschen und schweizerischen Zivilprozessordnungen wird der Begriff „unbezifferte Forderungsklage“ nicht einheitlich verwendet. Nachfolgend werden die Wortlaute der Vorschriften der türkischen, deutschen und schweizerischen Zivilprozessordnungen über die unbezifferte Forderungsklage dargestellt.

←25 | 26→

2. Im türkischen Recht

Im türkischen Recht ist die unbezifferte Forderungsklage im Art. 107 TürkZPO geregelt. Hier hat der Gesetzgeber die unbezifferte Forderungsklage und die Feststellungsklage, die eine besondere Feststellungsklage für die unbezifferten Forderungen ist, im gleichen Artikel geregelt. Im noch nicht in Kraft getretenen Entwurf der türkischen Zivilprozessordnung wird aber diese besondere Feststellungsklage aufgehoben.17 Im Folgenden dieser Arbeit wird daher nur die unbezifferte Forderungsklage (Art. 107 Abs. 1–2 TürkZPO) untersucht werden.

Gemäß Art. 107 Abs. 1 TürkZPO kann der Kläger eine unbezifferte Forderungsklage erheben, wenn die Bezifferung seiner Forderung bereits zu Beginn des Prozesses für den Kläger unmöglich oder unzumutbar ist.

Details

Seiten
364
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631780473
ISBN (ePUB)
9783631780480
ISBN (MOBI)
9783631780497
ISBN (Hardcover)
9783631731376
DOI
10.3726/b15224
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Leistungsklage Bestimmtheitsgebot Stufenklage Ermessensklage vorläufiger Mindestwert
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 364 S.

Biographische Angaben

Bahar Tuna Kurtoglu (Autor:in)

Bahar Tuna Kurtoglu beendete das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Istanbul und verbrachte zwischenzeitlich ein Auslandsstudium an der Universität zu Köln. Als Stipendiatin des türkischen Erziehungsministeriums schloss sie ihr Masterstudium (LL.M) an der Universität zu Köln ab, wo sie anschließend auch ihre Doktorwürde erlangte.

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Titel: Die unbezifferte Forderungsklage
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