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Aux frontières de l'autre

Kulturdidaktische und kulturwissenschaftliche Studien zu medialen Stereotypen

von Kathleen Plötner (Band-Herausgeber:in) Marc Blancher (Band-Herausgeber:in)
Sammelband 228 Seiten

Zusammenfassung

Images d‘Épinal, Klischees, Stereotype etc.: Die Bezeichnungen können auf ein einziges Konzept oder aber auf mehrere Konzepte referieren. Der vorliegende Sammelband bietet kulturdidaktische sowie literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche Blickwinkel auf ein hochaktuelles Thema unserer Zeit; und zwar die Darstellung des Anderen. Er widmet sich sowohl der(n) Definitionsfrage(n) als auch didaktischen Fragestellungen, die rund um den bewussten und unbewussten Einsatz von Stereotypen im Französischunterricht entstehen. Der Sammelband umfasst Beiträge, die das Stereotyp und dessen Gebrauch im Chanson, im filmischen Bereich, in Pressetexten und in der politischen Karikatur untersuchen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Sprachliche und visuelle Stereotype
  • Georges Brassens: Les deux oncles – Klischees in der Chanson-Didaktik
  • La Mannschaft und La Grande Nation
  • Funktionsweise und Variabilität der Sprachstereotypisierungen in Asterix
  • „Jungenkrise“ und „Jungenförderung“ im Französischunterricht – Stereotype der Französischdidaktik?
  • Geschlechterstereotype in der politischen Karikatur: die deutsch-französischen Beziehungen
  • „Les crayons seront toujours mieux taillés que les balles“.1 Die neue Terrorismusgefahr im Fremdsprachenunterricht anhand französischer Karikaturen
  • Gemeinsam gegen Rechts.
  • Nation, crise et identité dans Bienvenue chez les Ch’tis, Intouchables et Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu ?
  • Interkulturelle Kompetenz im Französischunterricht: Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Stereotypen und Klischees im Klassenraum
  • Le stéréotype dans la pratique (inter)médiale & dans l’apprentissage du français langue étrangère (FLE)
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis

Marc Blancher & Kathleen Plötner

Sprachliche und visuelle Stereotype

1 Eine stereotype Einleitung (?)

Der Begriff des Stereotyps ist seit nunmehr fast 100 Jahren in öffentlichen Diskursen, wissenschaftlichen Aufsätzen und Studien zu finden. Eine zentrale Aussage, die in theoretischen und empirischen Analysen sowie Darstellungen zu Stereotypen oftmals angeführt wird, thematisiert die weite Verbreitung von Stereotypen in unterschiedlichen Gesellschaften: Stereotype sind ein fester Bestandteil des menschlichen Sprechens, Handelns und Denkens. Da sie „als Wissenseinheiten stets gebrauchsfertig zur Verfügung [stehen] und mental schnell abrufbar [sind]“ (Reiß 1997, 40), erweisen sie sich als sehr stabil. Sie helfen, die Komplexität der Realität zu strukturieren und überschaubar zu gestalten; sie simplifizieren Reize und Informationen und sind folglich als Hilfestellung sowie Orientierung zu betrachten. Diese auf Walter Lippmann (1922, cf. Ausgabe aus dem Jahr 1998) zurückgehende Definition hat bis heute Gültigkeit und wird in vielen Studien zu Stereotypen, u.a. aus dem Bereich der Sozialpsychologie und der Sozialwissenschaften, herangezogen.

Das Stereotyp als neutral besetzter Begriff bezeichnet ein Ordnungs- und Kategorisierungssystem und grenzt dabei zeitweise an den des Prototyps (im Sinne des Vertreters einer Kategorie), was im Laufe des Artikels noch dargestellt werden wird. In einigen Studien wird zudem zwischen stéréotypes de pensée und stéréotypes de langue (cf. Schapira 1999, 1) unterschieden, wobei letztere Bezeichnung darauf Bezug nimmt, dass sprachliche Strukturen zur Fixierung neigen und folglich stereotypisiert (im Sinne von ‘fixiert’ und ‘wiederholbar’) sind. Auch wird unter dem Terminus stereotypisierte Rede verstanden, dass in Textsorten bestimmte Formulierungen und Ausdrucksweisen immer wieder auftauchen oder aber, dass viele sprachliche Wendungen fixiert sind oder zur Fixierung neigen („Stereotypie im Sinne struktureller Festigkeit“, Reiß 1997, 9). Da Stereotype (im Sinne von Vorstellungen über bestimmte Eigenschaften von Personen oder Personengruppen etc.) nicht nur sprachlich verbalisiert werden, sondern bzw. insbesondere auf visueller Ebene auftreten, wird seit nunmehr 20 Jahren von visuellen Stereotypen bzw. Visiotypen gesprochen: Visiotype entstehen als eine Form „standardisierter Visualisierung“ (Pörksen 1997, 27). Vor allem Visiotype führen zur Konstruktion innerer Bilder und zur Ausprägung erlernter Lesarten (cf. Lobinger 2009, 111). Die Auseinandersetzung mit visuellen Stereotypen steht im direkten ←7 | 8→Zusammenhang mit der Entwicklung und Förderung visueller Kompetenzen (visual literacy) im Fremdsprachenunterricht, i.e.S. von Bildkompetenz, die unter Abschnitt 3.2 diskutiert wird.

Eng an den Begriff des Stereotyps bzw. Visiotyps ist der des Vorurteils (und auch der des Klischees) geknüpft. Vor allem in der Populärliteratur und im alltäglichen Sprachgebrauch werden Stereotype wie folgt definiert:

Stereotypen [sic!] werden in der alltäglichen Sprachverwendung häufig im Sinne geschlechtsspezifischer Rollenklischees und generalisierender Aussagen über andere Nationalitäten und berufliche Bilder verstanden. Sie werden zwar als ungehörige Rede- und Denkweisen verurteilt, doch wird ihnen mit einem Augenzwinkern ein Körnchen Wahrheit zugestanden, quasi als unanfechtbarer Bestandteil allgemeinen Wissens. (Reiß 1997, 15)

Dieses allgemeinsprachliche Verständnis der Bezeichnung Stereotyp lässt sich zudem durch Abgleiche von Definitionen in Wörterbüchern bestätigen. So definiert das Online-Wörterbuch Larousse das Lexem stéréotype wie folgt: „expression ou opinion faite, sans aucune originalité, cliché“ und „caractérisation symbolique et schématique d’un groupe qui s’appuie sur des attentes et des jugements de routine“ (Online-Larousse). Auch Klein (1998, 26) schreibt, dass „die wertneutrale Verwendung des Lexems ‚Stereotyp‘ […] eher die Ausnahme“ sei. Allerdings wird das Adjektiv im Deutschen nicht ausschließlich mit negativer Konnotation verwendet, es bezieht sich vielmehr auf oft wiederkehrende, standardisierte und formelhafte Aspekte, z.B. eine stereotype Antwort, stereotype Redensarten bzw. im Französischen une formule stéréotypée.

Vorurteile als mögliche Folgen von Stereotypen/Visiotypen gründen – wie auch Stereotype/Visiotype selbst – auf einer Vereinfachung, allerdings kommen bei ihnen noch zusätzliche emotional-wertende Komponenten hinzu. Lobinger (2009, 110) schreibt (in Anlehnung an Vitouch 1998), dass bei Stereotypen die „(neutrale) Wahrnehmungserleichterung im Vordergrund“ stehe, wohingegen Vorurteile an „affektive und emotionale Bewertungen über Gruppen und Situationen“ geknüpft seien. Die Grenze zum Vorurteil sei dann erreicht, wenn konträre Informationen, d.h. Informationen, die dem Stereotyp widersprechen würden, bewusst oder unbewusst ignoriert werden. Reiß spricht hier auch von „vorurteilsbeladenen Stereotypen“ (Reiß 1997, 33).

←8 | 9→

2 Stereotype und Stereotypisierung aus sozialwissenschaftlicher und sprachwissenschaftlicher Perspektive

2.1 Der Prozess der Stereotypisierung

In den Sozialwissenschaften werden Stereotypisierungen als Folge oder Begleitprozesse von verschiedenen weiteren kognitiven Prozessen begriffen: Hierzu zählen u.a. Kategorisierungen, Generalisierungen, Selektionen, Reduktionen und Analogiebildungen.

Beim Prozess der Kategorisierung wird bspw. etwas Neues mit etwas bereits Bekanntem verglichen und kategorisiert, etwa mit den Lauten von Tieren (‘gackern’, ‘bellen’, ‘zwitschern’ etc.). Apeltauer (2001, 11) spricht hier auch von Verallgemeinerungen. Meist folgt auf eine Kategorisierung eine Generalisierung, d.h. aus der Kategorisierung wird eine Schlussfolgerung gezogen, bspw. „wenn etwas gackert, dann ist es ein Huhn“ (cf. Reiß 1997, 20). Kategorisierungen können vier Funktionen übernehmen: Wahrnehmungsfunktion (Erleichterung der Identifizierung von Objekten), Orientierungsfunktion (Elemente werden gespeichert und sind schneller abrufbar), kommunikative Funktion (Erleichterung der Verständigung durch Ausbildung von Prototypen) und Bewertungsfunktion (Kategorien werden mit Emotionen verknüpft, cf. Apeltauer 2001, 11).

Bei der Stereotypisierung wird die gebildete Kategorie, im Folgenden z.B. die Kategorie ‘dick’, zusätzlich mit einem bestimmten Merkmal versehen (beispielsweise ‘dick = unsportlich’) und dieses Merkmal auf die gesamte Gruppe der „Dicken“ übertragen (cf. Reiß 1997, 20–21). Die Unterscheidung der Prozesse lässt sich wie folgt darstellen:

Pablo ist dick = Kategorisierung

Dicke sind unsportlich = Kategorisierung + Stereotypisierung

Pablo ist unsportlich = Stereotypisierung

An jede Stereotypisierung, so Reiß (1997, 27), sei eine Generalisierung gebunden, an jede Generalisierung aber keine Stereotypisierung (z.B. X ist mein Nachbar, also ich bin der Nachbar von X). Zudem gehe jeder Stereotypisierung eine Selektion voraus, d.h. bestimmte Merkmale oder Eigenschaften werden hervorgehoben, wie bspw. in alle Türken haben schwarze Haare oder Jungen weinen nicht. Es fällt hierbei auf, dass die erste Aussage im Gegensatz zur zweiten Aussage weniger emotional-wertend ist und bei Verstoß gegen das Stereotyp keine negativen Folgen zu erwarten sind (cf. Reiß 1997, 32). Laut Reiß (1997, 40–41) werden kulturelle Wertvorstellungen, wie etwa in Deutschland schmatzt ←9 | 10→man nicht, dann zum Stereotyp, wenn daraus „wer schmatzt, weiß sich nicht zu benehmen“ entstehe und diese Vorstellung auf andere Kulturen übertragen werde. Bei der Stereotypisierung werden also normativ festgelegte Verhaltensweisen selektiv interpretiert und andere mögliche Interpretationen werden ausgeklammert (= Reduktion von Alternativen).

2.2 Stereotype aus sprachwissenschaftlicher Sicht

In der Sprachwissenschaft gibt es unterschiedliche Herangehensweisen an sprachliche Stereotype. Zum einen wird untersucht, wie Stereotype (der Begriff ist hier im Sinne der sozialwissenschaftlichen Definition zu verstehen) sprachlich realisiert werden. Es können verschiedene sprachliche Konstruktionen und Argumentationsmuster festgestellt werden, wie bspw. Subjektivierungsstrategien als „Immunisierung“ (Ich habe den Eindruck, dass Polen unordentlich sind/Ich finde, dass Franzosen …, aber das ist auch nur meine Meinung), der Gebrauch des generischen Singulars (Der Pole …), Rückbezüge auf Autoritäten oder auch Schein-Konzessionen (Obwohl sie Polin ist, ist sie …) (cf. Reiß 1997, 42–46, cf. Klein 1998, 37). Auch euphemistische sprachliche Stereotype fallen unter diese Herangehensweise an Stereotype. Bezeichnungen wie die Dritte Welt würden hier als stereotypisierend analysiert werden, denn der Ausdruck Dritte Welt impliziert gleichzeitig die Wertung, dass die Erste Welt (bzw. die Industrieländer) besser und weiter entwickelt sei, was sich u.a. auch in der Bezeichnung Entwicklungsländer als synonymen (und vielleicht weniger diffamierenden) Ausdruck für Dritte Welt widerspiegelt.

Zum anderen werden Stereotype im Sinne einer rein linguistischen Definition als wiederkehrende sprachliche Elemente betrachtet. Diese sind oftmals an Prototypen geknüpft. Der Prototyp wird als „l’élément réputé le plus représentatif d’une catégorie donnée“ definiert und – auf Stereotype bezogen – „il peut désigner une personne, une chose ou une situation censée illustrer le mieux et de façon notoire (c’est-à-dire ratifiée par la doxa) une qualité ou une action“ (Schapira 1999, 33). Auf Basis von Prototypen entstehen sprachliche Wendungen wie blanc comme le lait, denn „Quelle est la chose qui évoque le plus vivement la blancheur ? Le lait (blanc comme le lait), la neige (plus blanc que neige)“ (Schapira 1999, 33). Prototype, wie unter 2.1 bereits erwähnt, dienen der Wahrnehmung (schnelle Identifizierung von Objekten, Personen etc.) und Verständigung (kontextneutrale Lexeme als Vertreter einer Kategorie werden gebraucht, um zu kommunizieren, cf. Apeltauer 2001, 11).

Stereotypisierte Rede wird oftmals mit fixierter Rede bzw. fixierten sprachlichen Strukturen gleichgesetzt, wie u.a. das Zitat von Schapira (1999) belegt:

←10 | 11→

La notion de stéréotypie linguistique est étroitement liée à celle de figement puisque […] une expression stéréotypée se définit en premier lieu comme une expression figée et, en tant que telle, s’inscrit régulièrement dans le lexique de la langue. (Schapira 1999, 3)

Im Rahmen der Phraseologieforschung gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Definitionsmöglichkeiten von stereotypisierter bzw. fixierter Rede. Kriterien wie Idiomatizität, Frequenz etc. spielen hier oftmals eine Rolle und finden zur Bestimmung des Fixierungsgrades je nach Forschungsrichtung (mehr oder weniger) Berücksichtigung. Schapira (1999, 12–13) klassifiziert sprachliche Stereotype unter dem Gesichtspunkt der locutions stéréotypées. Sie unterscheidet zwischen1

a) expressions syntagmatiques expressives (z.B. haut et fort, être tombé sur la tête)

b) expressions idiomatiques (z.B. tenir le haut du pavé)

Details

Seiten
228
ISBN (PDF)
9783631782217
ISBN (ePUB)
9783631782224
ISBN (MOBI)
9783631782231
ISBN (Hardcover)
9783631763148
DOI
10.3726/b15306
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Klischee Französisch als Fremdsprache Unterricht Romanistische Fachdidaktik Deutschland-Frankreich Stereotyp
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 228 S., 13 s/w Abb., 4 Tab.

Biographische Angaben

Kathleen Plötner (Band-Herausgeber:in) Marc Blancher (Band-Herausgeber:in)

Kathleen Plötner ist seit Oktober 2018 Juniorprofessorin für die Didaktik der romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen an der Universität Potsdam. Marc Blancher promovierte in französischer Literaturwissenschaft und ist als Lektor am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart tätig, außerdem als freier Autor und Fachredakteur.

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