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Webbasierte Leseförderung in der Grundschule am Beispiel von Antolin

Eine empirische Studie zur Lesesozialisationsforschung

von Carolin Meier (Autor:in)
©2019 Dissertation 544 Seiten

Zusammenfassung

Um den Schwierigkeiten der Leseförderung in der Primarstufe zu begegnen, wird große Hoffnung auf die Integration digitaler Medien in den Leseunterricht gesetzt. Ein Ansatz dazu ist das Online-Portal Antolin. Dieses wird, trotz bisher fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Wirkung, in vielen Grundschulen genutzt. Das Buch befasst sich mit der Frage, inwiefern eine solche Form der Leseförderung die Einstellung der SchülerInnen zum Lesen und damit ihre Lesesozialisation beeinflusst. Die qualitative Studie erfolgte mittels Gruppendiskussionen mit Viertklässlern und Interviews mit Siebtklässlern. Es zeigt sich, dass die Einstellung zum Lesen bei den SchülerInnen, die regelmäßig im Unterricht mit Antolin arbeiten, und jenen, die das Portal nicht nutzen, deutlich variiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorbemerkungen
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Vorbemerkung zur verwandten Sprachform
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Forschungsthema
  • 1.2 Zielsetzung der Arbeit
  • 1.3 Einordnung der Arbeit in die Literatur- und Mediendidaktik
  • 1.4 Struktur der Arbeit
  • Teil A: Forschungsstand zur Lesesozialisation und Leseförderung
  • 2 Lesesozialisation
  • 2.1 Lese(r)forschung als Sozialisationsforschung
  • 2.2 Einflussfaktoren auf die Lesesozialisation
  • 2.3 Instanzen der Lesesozialisation
  • 2.3.1 Einfluss der Familie
  • 2.3.2 Einfluss der Schule
  • 2.3.3 Einfluss der Peergroup
  • 2.4 Großphasen der Lesesozialisation
  • 2.5 Ziele der Lesesozialisation
  • 2.5.1 Zieldimension Lesemotivation
  • 2.5.2 Zieldimension Lesekompetenz
  • 2.5.3 Wirkungszusammenhang von Lesemotivation und Lesekompetenz
  • 3 Leseförderung
  • 3.1 Leseförderung als Aufgabe der Schule
  • 3.2 Leseförderung durch Computereinsatz
  • 3.3 Leseförderung mit Antolin
  • Zusammenfassung des Forschungsstandes und Forschungsdesiderat
  • Teil B: Qualitative Forschung mit Kindern – Forschungsstand und Methode
  • 4 Methodologische Konzeption
  • 5 Erhebung von Einstellungen in Form von Subjektiven Theorien
  • 5.1 Einstellungsforschung
  • 5.2 Konzeptualisierung von Einstellungen als Subjektive Theorien
  • 6 Datenerhebungsmethoden
  • 6.1 Gruppendiskussion
  • 6.1.1 Begriffsabgrenzung
  • 6.1.2 Methodologische Konzeptionen
  • 6.1.3 Stärken und Schwächen
  • 6.1.4 Durchführung
  • 6.1.5 Auswertung
  • 6.1.6 Gruppendiskussionen mit Kindern
  • 6.2 Interview
  • 6.2.1 Leitfadeninterviews
  • 6.2.2 Interviews mit Kindern
  • 7 Auswertungsmethoden
  • 7.1 Auswahl einer geeigneten Auswertungsmethode
  • 7.2 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
  • 7.2.1 Strukturierende qualitative Inhaltsanalyse
  • 7.2.2 Modifikation
  • Zusammenfassung der Methodenforschung
  • Teil C: Empirische Forschung
  • 8 Untersuchungsdesign
  • 8.1 Vorbemerkung: operative Begriffe
  • 8.1.1 Primäre Lesesozialisation
  • 8.1.2 Antolin-Nutzung
  • 8.2 Beschreibung des Untersuchungsaufbaus und der Datenerhebung
  • 8.3 Beschreibung der Datenerfassung und -aufbereitung
  • 8.4 Beschreibung des Auswertungsprozesses
  • 9 Auswertung
  • 9.1 Auswertung der Elternfragebögen
  • 9.2 Kodierungsprozess
  • 9.3 Auswertung der Gruppendiskussionen
  • 9.3.1 Michael Ende-Grundschule Gruppe 1
  • Zusammenfassung
  • 9.3.2 Michael Ende-Grundschule Gruppe 2
  • Zusammenfassung
  • 9.3.3 Michael Ende-Grundschule Gruppe 4
  • Zusammenfassung
  • 9.3.4 Intragruppenvergleich: Antolin-Nutzung im Unterricht und eher schwache primäre Lesesozialisation (A_sw)
  • 9.3.5 Michael Ende-Grundschule Gruppe 3
  • Zusammenfassung
  • 9.3.6 Erich Kästner-Grundschule Gruppe 2
  • Zusammenfassung
  • 9.3.7 Erich Kästner-Grundschule Gruppe 3
  • Zusammenfassung
  • 9.3.8 Intragruppenvergleich: Antolin-Nutzung im Unterricht und eher starke primäre Lesesozialisation (A_st)
  • 9.3.9 Intra-Intergruppenvergleich (A, sw – st)
  • 9.3.10 Paul Maar-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.11 Kerstin Gier-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.12 Joanne K. Rowling-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.13 Intragruppenvergleich: Keine Antolin-Nutzung und eher schwache primäre Lesesozialisation (B_sw)
  • 9.3.14 Cornelia Funke-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.15 Otfried Preußler-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.16 Janosch-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.17 Intragruppenvergleich: Keine Antolin-Nutzung und eher starke primäre Lesesozialisation (B_st)
  • 9.3.18 Intra-Intergruppenvergleich (B, sw – st)
  • 9.3.19 Christine Nöstlinger-Grundschule
  • Zusammenfassung
  • 9.3.20 Erich Kästner-Grundschule Gruppe 1
  • Zusammenfassung
  • 9.3.21 Intra-Intergruppenvergleich (C, sw – st)
  • 9.3.22 Intergruppenvergleiche (A – B – C, sw – st)
  • 9.4 Auswertung der Leitfadeninterviews
  • 10 Fazit
  • 10.1 Reflexion der Nutzung der Gruppendiskussion für die Forschung mit Kindern
  • 10.2 Reflexion des Forschungsprojekts anhand der Gütekriterien qualitativer Forschung
  • 10.3 Diskussion der Ergebnisse im Zusammenhang mit dem Stand der Forschung
  • 10.3.1 Leseförderung in der Grundschule
  • 10.3.2 Leseförderung mit digitalen Medien
  • Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Zusammenfassung der Dissertation
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang

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1 Einleitung

1.1 Forschungsthema

Auch in der heutigen Mediengesellschaft gilt Lesen als Schlüsselqualifikation für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben, einer erfolgreichen Schul- und Berufsausbildung sowie der sinnvollen Nutzung aller anderen, auch digitaler Medien. Außerdem wird dem Lesen eine wichtige Funktion zur Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung beigemessen. Geringe Lesefähigkeiten bedeuten folglich Chancennachteile. Diese zu vermeiden und bei allen Schülern gleichermaßen Lesekompetenz und Lesemotivation auszubilden und zu festigen, ist zunächst einmal die Aufgabe der Grundschule (Schaffner et al. 2004, S. 93; Artelt et al. 2001, S. 70; Bos 2017, S. 11; Hoffmann/Spanhel 2013, S. 66; Bock 2010, S. 30; Pfaff-Rüdiger 2011, S. 42). Die Wichtigkeit des Lesens im Kontext der Schule wird auch daran deutlich, dass es immer wieder in verschiedenen Vergleichsstudien wie PISA und IGLU untersucht wird. Aufgrund der Aktualität und der Fokussierung dieser Arbeit auf die Primärstufe sollen die Ergebnisse von IGLU 2016 hier sehr verkürzt dargestellt werden, um anhand dieser die Notwendigkeit von Leseförderung deutlich zu machen.

In der Studie konnte festgestellt werden, dass in Deutschland die Streubreite der Leseleistungen außergewöhnlich hoch ist und im Vergleich zu den vergangenen Jahren noch zugenommen hat. Das bedeutet, es bestehen große Unterschiede zwischen Kindern, die als gute Leser, und denen, die als schwache Leser zu charakterisieren sind (vgl. Bos et al. 2017, S. 15). Knapp ein Fünftel der Viertklässler gilt als sehr schwache Leser, denn sie erreichen Kompetenzstufe III nicht. Dies ist deutlich mehr als in den meisten anderen EU-Staaten (vgl. Bos et al. 2017, S. 15 f.). Im Vergleich zu den Ergebnissen der IGLU-Studie aus dem Jahr 2011 haben sich folglich auch die Leseleistungen der Kinder verschlechtert und liegen nun nur noch im zweiten Drittel im Vergleich zu den Ergebnissen der anderen teilnehmenden Staaten (vgl. Bos et al. 2017, S. 16). Auch im Hinblick auf die Lesemotivation sind beim Vergleich der Studien der vergangenen Jahre negative Entwicklungen festzustellen: Die Anzahl an Schülern, die eine hohe Lesemotivation ausweisen, verringert sich und gleichzeitig erhöht sich der Anteil derjenigen, die wenig lesemotiviert sind. Besonders stark ist diese Entwicklung bei leseschwachen Kindern festzustellen (Bos et al. 2017, S. 18). Ebenso verhält es sich im Hinblick auf das vergnügungsorientierte Lesen – vor allem die leseschwachen Schüler lesen immer weniger zum Spaß (Bos et al. 2017, S. 18) und lediglich fünf Prozent der Kinder nennt das Lesen ←19 | 20→als liebste Freizeitbeschäftigung (Bos et al. 2017, S. 19). Bisherige Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass leseschwache Kinder bereits in der dritten Klasse nur wenig Lesemotivation und ein niedriges lesebezogenes Selbstkonzept aufweisen und beides ohne gezielte Förderung immer weiter sinkt (vgl. Hoffmann/Spanhel 2013, S. 66). Letztlich konnte in der IGLU-Studie 2016 festgestellt werden, dass es „Deutschland […] in den vergangenen 15 Jahren im Bereich der Grundschule nicht gelungen [ist], den Anspruch auf Chancengleichheit im Bildungssystem zu realisieren […]“ (Bos et al. 2017, S. 21). Spezifische Leseförderung ist den Ergebnissen der Studie zufolge nicht die Regel, sondern es findet stattdessen „[…] ‚enggeführter Unterricht im Klassenverband ohne individuelle Unterstützung‘ und ‚wenig anregender, wenig abwechslungsreicher Klassenunterricht ohne individuelle Förderung‘ […]“ (Bos et al. 2017, S. 25) statt, was ein Missverhältnis zwischen Förderbedarf der Schüler und tatsächlich realisierter Leseförderung zur Folge hat (vgl. Bos et al. 2017, S. 26). Außerdem instrumentalisieren die meisten Leseförderbemühungen die Tätigkeit des Lesens und fokussieren vornehmlich die kognitive Dimension (vgl. Hoffmann/Spanhel 2013, S. 66). Individuelle Lesefördermaßnahmen scheinen vielen Lehrkräften zu arbeitssaufwendig zu sein und erfordern gegebenenfalls sogar spezielle Schulungen. Aus diesem Grund wird Leseförderung oftmals aus dem normalen Unterricht ausgelagert und richtet sich nur an einige wenige Schüler – weniger als der IGLU-Studie zufolge Förderbedarfe haben. Aufgrund der Erkenntnisse der aktuellen IGLU-Studie scheint es jedoch notwendig zu sein, dass Leseförderung alle Schüler adressiert, sie muss folglich in den regulären Deutschunterricht integriert werden und nicht nur auf den Ausbau von Lesekompetenz, sondern auch auf die Erhöhung von Lesemotivation ausgerichtet sein. Auch seitens der Bundesregierung wird postuliert, dass die Anregung zum Lesen und das Wecken von Lesefreude ein wichtiges Ziel ist (vgl. Hoffmann/Spanhel 2013, S. 67; Baer et al. 2006, S. 447).

Hierfür soll Leseförderung an die Medienerfahrungen der Kinder anknüpfen (vgl. Hoffmann/Spanhel 2013, S. 67), denn Untersuchungen wie beispielsweise die KIM-Studie zeigen, dass sich das Medienverhalten von Grundschülern in den vergangenen Jahren essentiell verändert hat. Anstelle von Büchern nutzen sie vermehrt digitale Medien (vgl. Bos et al. 2017, S. 19) und können daher als „[…] ‚Medienkinder[…]‘ […]“ (Viertel et al. 2017, S. 151) bezeichnet werden. Dies wird als Grund dafür gesehen, dass die Lesemotivation der Schüler sinkt. Das Lesen scheint schon bei Grundschülern mit der Nutzung digitaler Medien zu konkurrieren und das Vermitteln von Lesefreude immer schwieriger zu werden (Hoffmann/Spanhel 2013, S. 65). Es gilt folglich zu erforschen, wie Leseförderung gestaltet werden muss, damit diese Kinder trotzdem eine positive ←20 | 21→Einstellung zum Lesen entwickeln. Hoffnungen werden vor allem auf den Einsatz digitaler Medien zur Leseförderung gesetzt (Hoffmann/Spanhel 2013, S. 65; Viertel et al. 2017, S. 151 f.).

Ein Ansatz dazu ist das Online-Portal Antolin, welches in dieser Arbeit als Beispiel dient und durch den konvergenten Einsatz von Computer und Büchern vor allem auf eine Steigerung der Lesemotivation zielt: „Lesen ist eine Beschäftigung, die genießend erlebt werden soll. Das Lesen als der einfache und schnelle Weg des Abtauchens in eine Ander-Welt (sic!), den Alltag weit hinter sich lassend. Ein Hilfsmittel dazu möchte Antolin sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ (Was ist Antolin? (Homepage Antolin)) Das Konzept, das hinter diesem Onlineangebot steht, ist – sehr kurz zusammengefasst –, dass die Schüler sich mit ihrem Passwort in das Online-Programm einloggen und dort dann zu einem von ihnen gelesenen Buch Quizfragen beantworten. Für richtig gelöste Fragen bekommen sie Punkte, für falsche Antworten werden Punkte abgezogen. Als Ansporn, viele Punkte zu erreichen, werden in der Schule Urkunden verliehen (vgl. Kapitel 3.3). Antolin wurde als Beispiel ausgewählt, da die Nutzung des Portals vor allem im Grundschulbereich sehr weit verbreitet ist und die meistgenutzte Variante des Einsatzes digitaler Medien zur Leseförderung zu sein scheint (vgl. Viertel et al. 2017, S. 152; vgl. auch Kapitel 3.3)

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Die Frage, die dieser Arbeit zugrunde liegt, ist, ob eine solche Form der Leseförderung unter Einbeziehung digitaler Medien tatsächlich dazu führt, dass die Schüler das Lesen als Genuss empfinden und ihre intrinsische Lesemotivation erhöht wird, sie eine positive Einstellung zum Lesen entwickeln und somit eine gelingende Lesesozialisation unterstützt wird. Das Ziel ist es folglich, zu untersuchen, ob und wie sich der Einsatz von Antolin auf die Lesesozialisation von Schülern auswirkt. Da sich die Untersuchung auf den Einsatz von Antolin bezieht, muss die Forschungsfrage noch einmal etwas konkretisiert werden. Im Speziellen geht es zunächst darum herauszufinden, ob der Einsatz von Antolin im Leseunterricht der Grundschule Einfluss auf die Einstellung der Kinder zum Lesen und damit auf ihre Lesesozialisation hat. Diese Arbeit zielt vorrangig darauf, die „[…] Orientierungsqualität […]“ (Wiater 2009. S. 527) des Leseunterrichts, in dem Antolin intensiv eingesetzt wird, und die des Unterrichts, in dem das Portal keine Rolle spielt, zu vergleichen, also den Einfluss auf die Einstellungen der Schüler zum Lesen zu bewerten. Die „[…] Produktqualität […]“ (Wiater 2009, S. 527), also messbare Lesekompetenz, wird nicht berücksichtigt und kann daher auch nicht beurteilt werden.

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1.3 Einordnung der Arbeit in die Literatur- und Mediendidaktik

Die Arbeit ist in der Fachdidaktik Deutsch, genauer der Literaturdidaktik, zu verorten und beschäftigt sich daher mit der Frage, welche Aufgaben der Deutschunterricht, hier im Speziellen der Leseunterricht, hat und wie er durchgeführt werden muss, damit diese erfüllt werden (vgl. Ulrich 2014, S. VII). Des Weiteren ist dies Projekt in das Forschungsfeld der Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen in der Mediengesellschaft einzuordnen (vgl. Viertel et al. 2017, S. 151 f.). Die PISA-Studie hat die Lesesozialisation zu einem der aktuellsten und wichtigsten deutschdidaktischen Forschungsfelder werden lassen und auch dafür gesorgt, dass empirische Forschung verstärkt in den Vordergrund deutschdidaktischer Arbeiten rückte (vgl. Goer 2014, S. 26), denn „[…] [u];m die Qualität von Unterricht und Schule nachhaltig zu gestalten, braucht es zuverlässige empirische Erkenntnisse […]“ (Bos 2017, S. 11). Aus diesem Grund hat auch die Literaturdidaktik empirische Forschungsaufgaben zu erfüllen. Da vor allem Praxisrelevanz für deutschdidaktische Forschungen gefordert ist, wird innerhalb dieser Arbeit eine sozialwissenschaftlich orientierte, empirische, qualitative Studie durchgeführt. Die aktuelle Unterrichtspraxis soll in deutschdidaktischen Forschungsprojekten im Vordergrund stehen (vgl. Dawidowski 2009, S. 31 f.; Ulrich 2014, S. VII).

Außerdem ist das Thema dieses Forschungsprojekts auch ein mediendidaktisches, denn der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht wird primär von Mediendidaktikern gefordert. Der Mediendidaktik geht es im Allgemeinen um die Frage, „[…] wie Lernen unter Einsatz von Medien gestützt und optimiert werden kann […]“ (Barsch 2016, S. 110), beziehungsweise „[…] wie Medien […] zur Erreichung pädagogisch gerechtfertigter Ziele gestaltet und verwendet werden können bzw. sollen […]“ (Barsch 2016, S. 116). Es handelt sich um eine „[…] praktische Wissenschaft, die auf empirischer Basis Modelle zur Ausbildung eines Könnens im Handlungsbereich ‚Medien‘ entwickelt, erprobt, evaluiert und praktisch umsetzt […]“ (Barsch 2016, S. 122).

Die Notwendigkeit des Einsatzes digitaler Medien begründen Mediendidaktiker damit, dass diese eine große Bedeutung im Alltag von Kindern und Jugendlichen haben (vgl. Barsch 2016, S. 57, 60; Hofmann/Goer 2014, S. 274). Die Funktion von Unterhaltung erfüllen für einen Großteil heute das Fernsehen oder die Nutzung des Computers und nicht mehr das Bücherlesen (vgl. Dawidowski 2016, S. 167; Barsch 2016, S. 64). Dies ist vor allem für den Leseunterricht relevant, weshalb der Einsatz digitaler Medien speziell im Deutschunterricht als gewinnbringend angenommen wird: „An das Lesen heranzuführen gelingt der ←22 | 23→Schule nur, wenn sie die multimedial strukturierte Disposition der Schüler, das Umfeld ihrer vielfältigen Medienangebote […] einbezieht […]“ (Wichert 2004, S. 205; vgl. auch Frederking 2004, S. 46 f.). Um sowohl Lesekompetenz als auch Leselust zu fördern, gilt es zu verhindern, dass die Kinder die Schule im Kontrast zu ihrer Lebenswelt und „[…] medial als verarmt empfundene […] Welt der Schrifttexte und Bücher […]“ (Wichert 2004, S, 204) erleben (vgl. Frederking 2004, S. 46). Die Forderung des Einsatzes digitaler Medien im Deutschunterricht ist auch damit zu begründen, dass als Reaktion auf die ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studien der vergangenen Jahre in der Deutschdidaktik nach neuen Wegen gesucht wird. Vor allem dem Computer kommt hierbei eine zentrale Stellung zu, denn das Lernen mit neuen Medien wird häufig mit neuen Formen des Lernens gleichgesetzt und ist mit der Hoffnung auf bessere Leistungen verknüpft (vgl. Jonas 2004, S. 195; Barsch 2016, S. 149), vor allem, weil die deutschen Schüler, hauptsächlich Jungen, hinsichtlich ihrer Lesemotivation Defizite zeigten und „[…] ein medial angereicherter bzw. symmedial ausgerichteter Deutschunterricht einen besonderen Motivationsschub […]“ (Frederking 2004, S. 47) verspricht. Dem Einsatz digitaler Medien wird im Deutschunterricht folglich vor allem hinsichtlich der Heranführung an das Lesen, also der Förderung von Leseinteresse und -motivation „[…] ein enormes didaktisches Potenzial […]“ (Hofmann/Goer 2014, S. 275) zugesprochen (vgl. Frederking 2004, S. 55, 59). Des Weiteren sind allgemeine medienbezogene Fähigkeiten notwendig, um die Herausforderungen der Lebenswelt bewältigen zu können (vgl. Barsch 2016, S. 65; Hofmann/Goer 2014, S. 279). Ein weiteres Ziel einer integrierten Medienerziehung ist folglich auch Medienkompetenz (vgl. Dawidowski 2016, S. 163 f.; Barsch 2016, S. 133, 174).1 Kinder und Jugendliche sollen ←23 | 24→in der Schule – bereits in der Grundschule – lernen, angemessen, überlegt, autonom, kreativ und verantwortungsvoll mit Medien umzugehen (vgl. Barsch 2016, S. 112, 115). Sie sollen sie bewusst nutzen und kritisch reflektieren können (vgl. Barsch 2016, S. 178 ff.).

Im Hinblick auf spezifisch literaturdidaktische Ziele zeigt sich jedoch, dass das Potential des Einsatzes digitaler Medien, im Speziellen des Computers, oftmals überschätzt wird. „Der Computereinsatz ist kein Allheilmittel, um die Probleme des Deutschunterrichts lösen zu können […]. Automatisch entsteht dabei nicht neues oder prinzipiell anderes Lernen. Auch mit dem PC kann traditionell gut oder schlecht gelehrt und gelernt werden.“ (Jonas 2004, S. 195, Hervorh. im Original) Anstatt einer pauschalen Glorifizierung des Einsatzes neuer Medien, ist es folglich notwendig, dass eine differenzierte lerntheoretische Reflexion hinsichtlich des Erreichens didaktischer Ziele erfolgt, im Zuge derer zu klären ist, inwiefern sich der Einsatz bestimmter Medien auf das Lehren, das Lernen und den Unterricht im Allgemeinen auswirkt (vgl. Barsch 2016, S. 110, 155), denn „[…] [d];ie notwendige kommerzielle Basis von Multimediaprodukten könnte zu schnell zusammengestellten Arrangements führen, die didaktische Standards für Lehr-Lern-Prozesse unterlaufen und damit Bildungspolitikern in die Hand spielen, die mit einer technischen Fortschrittseuphorie von vorhandenen Problemen des Bildungswesens ablenken […]“ (Barsch 2016, S. 156). Sowohl die Literatur- als auch die Mediendidaktik sind praktische Wissenschaften, die auf Basis empirischer Daten arbeiten (vgl. Barsch 2016, S. 121) und genau diese sind notwendig, um Erkenntnisse hinsichtlich des Potentials von multimedialem, intermedialem oder symmedialem Unterrichts2 zu ermitteln (vgl. Frederking 2004, S. 59).

Der Einsatz von Antolin basiert jedoch bisher ausschließlich auf theoretischen Überlegungen zum Mehrwert der Nutzung digitaler Medien im Deutschunterricht. Eine empirische Überprüfung der Wirksamkeit fand bisher nicht statt. Dies gilt gleichermaßen für den Großteil von Programmen, die der Integration von digitalen Medien in den Unterricht dienen sollen (vgl. Prenzel 2012, S. 282 f.). Ob die erwarteten Erfolge tatsächlich eintreten, kann jedoch nur festgestellt werden, indem der Einsatz unterrichtspraktisch erprobt wird. Da Antolin ohnehin bereits vielfach genutzt wird (vgl. Kapitel 3.3), ist eine Implementierung des ←24 | 25→Programms nicht mehr notwendig. Lediglich die deutschdidaktisch orientierte Kritik und die Beurteilung, ob die Ziele, die mit dem Einsatz verfolgt werden sollen, erfüllt werden (vgl. Prenzel 2012, S. 278, 283), steht noch aus und ist das Ziel dieser Arbeit. Im Fokus steht dabei die Perspektive der Schüler – genauer ihre Einstellung zum Lesen (vgl. Heinzel 2010, S. 605).

Die Intention dieses Projektes ist es folglich, mithilfe qualitativer, sozialwissenschaftlicher Methoden (Gruppendiskussionen, Leitfadeninterviews und der Qualitativen Inhaltsanalyse, vgl. Kapitel 6 und 7) die Einstellungen der Schüler zum Lesen herauszuarbeiten. Die Studie ist komparativ angelegt, und es erfolgt ein Vergleich von Schülern, die Antolin intensiv nutzen, und solchen, die das Programm nicht innerhalb des Unterrichts, sondern maximal freiwillig zu Hause nutzen. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Erhebung der Einstellung von Viertklässlern, die, sofern sie als Antolin-Nutzer klassifiziert wurden, das Portal zum Zeitpunkt der Datenerhebungen im Leseunterricht angewendet haben (vgl. Kapitel 8.1). Ziel hierbei ist es, den Einfluss der gegenwärtigen Nutzung zu ermitteln. Des Weiteren sollen auch nachhaltige Effekte erhoben werden. Zu diesem Zweck werden Siebtklässler interviewt, deren Antolin-Nutzung ausschließlich in der Grundschule stattfand. Auf diese Weise werden mit dem Projekt aktuelle und langfristige Einflüsse des intensiven Einsatzes von Antolin im Leseunterricht der Grundschule erhoben. Das Ziel ist dabei, letztlich nicht nur Beschreibungen, sondern auch Erklärungen in Form von Hypothesen liefern zu können (Lamnek 1980, S. 166).

1.4 Struktur der Arbeit

Die theoretische Basis dieser Arbeit (Teil A) stellen vor allem Erkenntnisse aus der Lesesozialisationsforschung dar. Diese werden in Kapitel 2 ausführlich dargelegt. Besonders die Einflussfaktoren (vgl. Kapitel 2.2) und die Instanzen der Lesesozialisation (vgl. Kapitel 2.3) – Familie und Schule –, der Verlauf (vgl. Kapitel 2.4) sowie die Zieldimensionen von Lesesozialisation und damit auch des schulischen Leseunterrichts, Lesemotivation und Lesekompetenz (vgl. Kapitel 2.5), stehen dabei im Fokus. Sehr eng mit der schulischen Lesesozialisation verknüpft ist das Thema der Leseförderung. Dieses wird in Kapitel 3 genauer erläutert und ist vor allem auf Leseförderung mithilfe des Computers fokussiert (vgl. Kapitel 3.2). Auch die Konzeption von Antolin wird im Zusammenhang dieses Kapitels detailliert erörtert und im Zuge dessen deutlich gemacht, weshalb das Portal im Rahmen dieser Arbeit als Beispiel für die Nutzung digitaler Medien zur Leseförderung herangezogen wird (vgl. Kapitel 3.3). Anschließend erfolgt die Darlegung des Forschungsdesiderats. Diese theoretische Betrachtung ←25 | 26→ist notwendig, um anschließend, im Zuge der empirischen Untersuchung (Teil C) zu beurteilen, inwiefern der Einsatz von Antolin zur Erfüllung der Aufgaben und Erreichung der Ziele der schulischen Lesesozialisation beiträgt und damit einzuschätzen, ob es sich um eine sinnvolle Form der Integration digitaler Medien zur Leseförderung handelt.

Vorher wird jedoch die methodologische Konzeption der Arbeit dargestellt (Teil B). Dies ist im Detail notwendig, da es sich bei der hier durchgeführten empirischen Studie um Forschung mit Kindern handelt und die methodologische Konzeption und die Wahl der Methoden daher sehr überlegt getroffen und genau begründet werden müssen. Genaue Erläuterungen erfolgen in Kapitel 4. Das Ziel dieses Forschungsprojekts, mittels qualitativer Methoden Einstellungen zu erheben, erfordert außerdem eine Konzeptualisierung des Einstellungsbegriffs, sodass er auch im qualitativen Paradigma sinnvoll verwendet werden kann. Im Rahmen dieser Studie wird das Konzept der Subjektiven Theorien genutzt und im Kapitel 5 genauer dargelegt. Des Weiteren werden in Kapitel 6 die Entscheidung für die Datenerhebungsmethoden nachvollziehbar gemacht. Vor allem die Nutzung des Gruppendiskussionsverfahrens ist zum hier intendierten Zweck bisher kaum gebräuchlich, sodass es sich um eine Weiterentwicklung der Methode zum Zwecke der Forschung mit Kindern handelt (vgl. Kapitel 6.1). Eine Beschreibung der Auswahl, Verwendung und Modifikation der Auswertungsmethode erfolgt in Kapitel 7. Dieser Teil der Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der theoriebasierten Forschungsleistung hinsichtlich der angewendeten Methode.

Darauf folgt der Hauptteil dieser Arbeit (Teil C). In Kapitel 8 wird zunächst einmal das Untersuchungsdesign genau dargestellt. In Kapitel 9 schließt sich die detaillierte Auswertung der erhobenen Daten an. Diese beinhaltet die Analyse der Elternfragebögen (Kapitel 9.1), der Gruppendiskussionen (vgl. Kapitel 9.3) und der Leitfadeninterviews (vgl. Kapitel 9.4). Die Gruppendiskussionen werden sowohl einzeln als auch vergleichend betrachtet, die Auswertung der Leitfadeninterviews erfolgt aufgrund der geringeren Dichte an Informationen ausschließlich komparativ. Alle Transkripte sind im Anhang einsehbar (vgl. Anhang Kapitel 5 und 6). Die Vergleiche sind jeweils so gestaltet, dass das Generalisierungsniveau immer weiter erhöht wird, sodass letztlich in 9.3.22 und in Kapitel Kapitel 9.4 die Ergebnisse der Auswertungen der Gruppendiskussionen und der Leitfadeninterviews zusammengefasst dargestellt sind.

Anschließend wird das Forschungsprojekt in Kapitel 10, zum einen im Hinblick auf die Verwendung des Gruppendiskussionsverfahrens zur Erhebung von kindlichen Einstellungen (vgl. Kapitel 10.1) und zum anderen unter Bezugnahme auf die Gütekriterien qualitativer Forschung (vgl. Kapitel 10.2), kritisch ←26 | 27→reflektiert. Zum Schluss erfolgt eine Diskussion der Ergebnisse der empirischen Studie vor dem Hintergrund der in Teil A dargestellten bisherigen Befunde der Lesesozialisationsforschung und im Hinblick auf die Erkenntnisse zur Leseförderung mit digitalen Medien (vgl. Kapitel 10.3). Abschließend werden die zentralen Ergebnisse und die Schlussfolgerungen bezüglich der Fragestellung dieser Arbeit zusammengefasst.

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1 Medienkompetenz meint ganz allgemein „[…] die Fähigkeit, alle Arten von Medien in aktiv aneignender Weise für das eigene Kommunikations- und Handlungsrepertoire einsetzen zu können […]“ (Barsch 2016. S. 104). Die Mediendidaktik Deutsch definiert darüber hinaus die fachspezifische Medienkompetenz wie folgt: „Mit der im Fach Deutsch zu vermittelnden bzw. zu erwerbenden Medienkompetenz bezeichnen wir die kognitive Fähigkeit und Fertigkeit zum fachspezifischen Umgang mit Medien und zur Lösung aller damit verbundenen theoretischen und praktischen Problemstellungen sowie die motivationale, volitionale und soziale Bereitschaft und Fähigkeit, diese auf medienspezifische Fragen bezogenen Problemlösungen zielführend im Umgang mit Sprache und Literatur und ihren medialen Grundlagen zu verwirklichen.“ (Frederking et al. 2012, S. 89) Eine genauere Differenzierung von Medienkompetenz in verschiedene Dimensionen beziehungsweise die Darstellung der damit verbundenen Ziele würde an dieser Stelle zu weit führen, findet sich aber in Dawidowski 2016, S. 163 ff.; Barsch 2016, S. 66 ff., 104 f., 133; Hofmann/Goer 2014, S. 280 ff..

2 Die Unterscheidung dieser Begriffe und dem damit verbundenen Umgang mit Medien im Unterricht ist bei Dawidowski 2016, S. 165 f. (intermedial vs. symmedial), Frederking 2004, S. 37 f. (symmedial vs. multimedial vs. intermedial) und Hofmann/Goer 2014, S. 284 f. (intermedial) nachzulesen.

Details

Seiten
544
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631783306
ISBN (ePUB)
9783631783313
ISBN (MOBI)
9783631783320
ISBN (Hardcover)
9783631773055
DOI
10.3726/b15493
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Gruppendiskussion Subjektive Theorien Computereinsatz Lesemotivation Einstellungsforschung Qualitative Studie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 537 S., 8 s/w Abb., 4 Tab.

Biographische Angaben

Carolin Meier (Autor:in)

Carolin Meier studierte Germanistik und Geographie und promovierte an der Universität Osnabrück. Sie war Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt «Ko-Konstruktion literarischer Bildungsvorstellungen in der gymnasialen Oberstufe» an der Universität Osnabrück.

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Titel: Webbasierte Leseförderung in der Grundschule am Beispiel von Antolin
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