Lade Inhalt...

Die bundeseinheitliche Glücksspielbehörde im europäischen Binnenmarkt und in der föderalen Verfassungsordnung

Überlegungen zu einer europa- und verfassungsrechtskonformen Neuordnung der Glücksspielaufsicht in Deutschland

von Tobias Klemm (Autor:in)
©2019 Dissertation 286 Seiten

Zusammenfassung

Das Glücksspielrecht in Deutschland steckt in einer Sackgasse. Den Glücksspielaufsichtsbehörden gelingt es nicht, den GlüStV umzusetzen und das Wachstum des nicht regulierten Marktes einzudämmen. Es wird darüber diskutiert, wie die Glücksspielregulierung weiterentwickelt werden soll.
Die Publikation greift die Diskussion über die Schaffung einer bundeseinheitlichen Glücksspielbehörde auf und unterzieht sie einer rechtlichen Prüfung auf drei Ebenen: auf Ebene des Verwaltungsrechts, auf Ebene des Verwaltungsorganisationsrechts und auf Ebene des Verfassungsrechts. Fragen des Europarechts behandelt der Autor dabei nicht isoliert, sondern im gegebenen Kontext.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Vorwort
  • Erster Teil: Einleitung
  • Zweiter Teil: Aufsichtliche Maßnahmen zur Umsetzung und Erreichung der Zielvorgaben des GlüStV
  • § 1 Verhinderung der Entstehung von Spielsucht und Spielsuchtbekämpfung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 GlüStV)
  • I. Glücksspielbezogene Maßnahmen
  • 1. Maßnahmen, die sich auf den Zugang zu Glücksspielen beziehen
  • a) Kohärenz als Sollbruchstelle
  • b) Empirie als Sollbruchstelle
  • aa) Empirische Grundlagen
  • bb) Verfassungsrechtliche Beurteilung
  • cc) Unionsrechtliche Beurteilung
  • c) Folgen der Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit
  • d) Maßnahmen der Glücksspielaufsicht
  • aa) Sicherstellungsauftrag (§ 11 GlüStV)
  • bb) Evaluierungsauftrag (§ 32 GlüStV)
  • 2. Maßnahmen, die sich auf das Glücksspiel beziehen
  • 3. Zwischenfazit
  • II. Spielerbezogene Maßnahmen
  • 1. Vermittlung glücksspielbezogenen Basiswissens
  • 2. Identifizierung und (Alters-)Verifizierung von Spielern
  • a) Nutzung der eID-Funktion des Personalausweises
  • b) Weitere Identifizierungs- und Verifizierungssysteme
  • c) Integrierung eines Identifizierungs- und Verifizie- rungssystems in das TÜV-analoge Beleihungsmodell
  • d) Einsatz von Kundenkarten
  • 3. Überwachung auffälligen Spielerverhaltens
  • 4. Problemzentrierte Spielerberatung und -behandlung
  • 5. Einrichtung eines spielformübergreifenden Spielersperrsystems
  • 6. Zwischenfazit
  • III. Sozialfeldbezogene Maßnahmen
  • IV. Zwischenfazit
  • § 2 Begrenzung und Kanalisierung des Glücksspielangebots (§ 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV)
  • I. Grundvoraussetzungen
  • II. Genehmigung von Glücksspielangeboten
  • 1. Sportwettenkonzessionsverfahren
  • a) Ausschreibung und erste Stufe des Sportwettenkonzessionsverfahrens
  • b) Zweite Stufe des Sportwettenkonzessionsverfahrens
  • c) Folgen des Scheiterns des Sportwettenkonzessionsver- fahrens
  • 2. Normierung technischer Standards
  • 3. Akkreditierte Zertifizierung
  • III. Überwachung der Genehmigungsinhaber
  • 1. Faktische Herausforderungen
  • 2. Akkreditierte Zertifizierung
  • 3. TÜV-analoges Beleihungsmodell
  • IV. Entzug von Genehmigungen
  • V. Überwachung und Sanktionierung nicht genehmigter Glücksspielangebote
  • VI. Zwischenfazit
  • § 3 Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Satz 1 Nr. 3 GlüStV)
  • § 4 Ordnungsgemäße Durchführung, Abwehr von Folge- und Begleitkriminalität (§ 1 Satz 1 Nr. 4 GlüStV)
  • I. Betrügerische Machenschaften durch Anbieter
  • 1. Manipulation und Nichtauszahlung von Guthaben
  • 2. Insidergeschäfte
  • II. Betrügerische Machenschaften durch Spieler
  • III. Geldwäschebekämpfung
  • 1. Entwicklungsgeschichte
  • 2. Anforderungen an Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen
  • 3. Aufsicht über Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen
  • a) Ort der Spielteilnahme
  • b) Ort der Veranstaltungs- und Vermittlungserlaubnis
  • c) Sitz, Zweigstelle oder Zweigniederlassung
  • d) Durchsetzungsbefugnis
  • e) Zwischenergebnis
  • IV. Zwischenfazit
  • § 5 Sicherung der Integrität des sportlichen Wettbewerbs beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten (§ 1 Satz 1 Nr. 5 GlüStV)
  • I. Maßnahmen zur Prävention
  • 1. Vergabe von Sportwettenkonzessionen
  • 2. Beschränkung des Sportwettenangebots
  • a) Restriktionen
  • b) Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten
  • c) Evaluierung und Fortentwicklung
  • 3. Inkompatibilitätsvorschriften
  • 4. Sportwettenspezifische Werberestriktionen
  • 5. Evaluierung und Fortentwicklung
  • 6. Präventions- und Bildungsprogramme
  • II. Maßnahmen zur Aufdeckung
  • 1. Frühwarnsysteme
  • 2. Ombudsmann-Systeme
  • III. Maßnahmen zur Sanktionierung
  • IV. Zwischenfazit
  • § 6 Verwendung der Einnahmen zur Förderung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher oder mildtätiger Zwecke (§ 10 Abs. 5 GlüStV)
  • § 7 Zusammenfassung und Zwischenfazit
  • Dritter Teil: Bestandsaufnahme der Aufbauorganisation und Koordinationsmechanismen der Glücksspieladministration in Deutschland
  • § 8 Bestandsaufnahme der Aufbauorganisation
  • I. Zersplitterung der Zuständigkeiten bei der Glücksspielaufsicht
  • II. Zersplitterung der Zuständigkeiten bei der Geldwäscheaufsicht
  • § 9 Bestandsaufnahme der Koordinationsmechanismen in Deutschland
  • I. Ermächtigung anderer Länder
  • II. Zusammenarbeit bei der Glücksspielaufsicht
  • III. Ländereinheitliches Verfahren
  • IV. Glücksspielkollegium
  • V. Gebündeltes (Erlaubnis-“)““Verfahren
  • VI. Zusammenarbeit in weiteren Bereichen
  • 1. Zusammenarbeit mit dem Fachbeirat Glücksspielsucht
  • 2. Zusammenarbeit mit dem Sportbeirat
  • 3. Zusammenarbeit mit den Landesmedienanstalten
  • 4. Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden
  • 5. Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen
  • § 10 Bestandsaufnahme der Koordinationsmechanismen in der Europäischen Union
  • I. Verwaltungsabkommen
  • II. Informelle Verwaltungsnetzwerke
  • 1. Gaming Regulators European Forum (GREF)
  • 2. International Association of Gaming Regulators (IAGR)
  • 3. Europäische Plattform der Regulierungsbehörden (EPRA)
  • 4. Zwischenfazit
  • III. Formelle Verwaltungsnetzwerke
  • 1. Entstehungsgeschichte
  • a) Fehlen sektorspezifischer Regelungen im Glücksspielbereich trotz entsprechender Kompetenzen der Europäischen Union
  • b) Forumwechsel
  • c) Neuausrichtung der Kommission
  • d) Zwischenfazit
  • 2. Jüngere Initiativen im Glücksspielbereich
  • a) Fortschrittsberichte des Rates zu (Online-) ““Glücksspielen von 2008 bis 2010
  • b) Entschließung des Parlaments zu Online-Glücksspielen vom 10. März 2009
  • c) Schlussfolgerungen des Rates zu (Online-) ““Glücksspielen vom 10. Dezember 2010
  • d) Fortschrittsbericht des Rates zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei (Online-)Glücksspielen aus 2011
  • e) Grünbuch der Kommission zum (Online-) ““Glücksspiel vom 24. März 2011
  • f) Entschließung des Parlaments zu Online- Glücksspielen vom 15. November 2011
  • g) Mitteilung der Kommission „Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online- Glücksspiel“ vom 23. Oktober 2012
  • h) Entschließung des Parlaments zu Online- Glücksspielen vom 10. September 2013
  • i) Empfehlungen der Kommission zum Verbraucherschutz vom 19. Juli 2014
  • 3. Einsetzung einer Expertengruppe zu Glücksspieldienstleistungen
  • a) Struktur und Arbeitsweise
  • b) Inhaltliche Arbeit
  • aa) Mitarbeit an Rechtsakten der Kommission
  • bb) Intensivierung und Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Glücksspielregulierungsbehörden
  • cc) Informations- und Kommunikationsplattform
  • 4. Bewertung
  • IV. Vergleich mit dem Telekommunikationssektor
  • 1. Vergleich der Regulierung
  • 2. Vergleich der Regulierungsbehörden
  • a) Independent Regulators Group (IRG)
  • b) European Regulators Group (ERG) und Body of European Regulators for Electronic Communications (BEREC)
  • c) Bewertung
  • § 11 Bestandsaufnahme der Koordinationsmechanismen bei der Bekämpfung von Spielabsprachen in Deutschland und Europa
  • I. Zusammenarbeit auf nationaler Ebene
  • II. Zusammenarbeit auf Ebene der Europäischen Union
  • 1. Entwicklungsgeschichte
  • a) Weißbuch der Kommission zum Sport vom 11. Juli 2007 und Mitteilung der Kommission zur europäischen Dimension des Sports vom 18. Januar 2011
  • b) Initiativen des Rates im Zusammenhang mit dem Arbeitsplan Sport 2011–2014
  • c) Stärkere Fokussierung auf den Bereich der Glücksspiele durch die Kommission und das Parlament
  • d) Initiativen des Rates im Zusammenhang mit dem Arbeitsplan Sport 2014–2017
  • 2. Maßnahmen der Kommission zur Unterstützung der Mitgliedstaaten
  • III. Bewertung
  • § 12 Bestandsaufnahme der Koordinationsmechanismen bei der Verhinderung von Geldwäsche in der Europäischen Union
  • Vierter Teil: Überlegungen zu einer Neuordnung der Glücksspielaufsicht in Deutschland
  • § 13 Verteilung der Gesetzgebungskompetenz für das Glücksspiel
  • I. Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG)
  • 1. Begriff des Rechts der Wirtschaft
  • 2. Überschneidungen mit dem Sicherheits- und Ordnungsrecht
  • 3. Ausklammerung des Rechts der Spielhallen
  • 4. Zwischenfazit
  • II. Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft (Art. 72 Abs. 1, 2 GG i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG)
  • 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet
  • 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse
  • a) Länder haben Notwendigkeit einheitlichen Regelungskonzepts erkannt
  • b) Widersprüche zum GlüStV in Ausführungsgesetzen
  • c) Rechtszersplitterung durch Fehlen eines gerichtlichen „Verwerfungsmonopols“
  • d) Nicht unerheblich problematische Folgen
  • 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse
  • 4. Erforderlichkeit einer Regelung durch den Bund
  • 5. Zwischenfazit
  • III. Ergebnis
  • § 14 Ausführung der Glücksspielgesetze in Deutschland
  • I. Ausführung eines Bundesglücksspielgesetzes
  • 1. Landeseigener Vollzug eines Bundesglücksspielgesetzes (Art. 83 f. GG)
  • a) Einrichtung der Behörden und Regelung des Verwaltungsverfahrens
  • b) Einfluss des Bundes und Abweichungskompetenz der Länder
  • c) Überwiegen der Nachteile
  • 2. Vollzug eines Bundesglücksspielgesetzes im Auftrag des Bundes (Art. 85 GG)
  • 3. Bundesvollzug eines Bundesglücksspielgesetzes (Art. 86 f. GG)
  • a) Ausführung durch selbstständige Bundesoberbehörden
  • aa) Gesetzgebung
  • bb) Bundesgesetz
  • cc) Einschränkung
  • dd) Errichtung einer selbstständigen Bundesoberbehörde
  • b) Ausführung durch neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts
  • c) Ausführung durch bundeseigene Mittel- und Unterbehörden
  • 4. Mischverwaltung
  • 5. Zwischenfazit
  • II. Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages
  • 1. Bundesstaatsprinzip
  • 2. Demokratieprinzip
  • 3. Rechtsstaatsprinzip
  • 4. Reformvorschläge
  • a) Einstimmige Entscheidung des Glücksspielkollegiums
  • b) Vetorecht des für den Vollzug zuständigen Landes
  • c) „Gemeinschaftliche Aufsicht“
  • d) Gründung einer gemeinsamen Anstalt des öffentlichen Rechts
  • Fünfter Teil: Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
  • Entscheidungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der Gesetzesmaterialien

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Frühjahr 2018 als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Die mündliche Prüfung fand am 19. September 2018 statt.

An erster Stelle gebührt mein Dank meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christian Koenig, für seine Unterstützung sowie die Betreuung meines Promotionsvorhabens. Herrn Prof. Dr. Foroud Shirvani danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus möchte ich Herrn Prof. Dr. Tilman Becker für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe danken.

Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Wulf Hambach insbesondere für Impulse bei der Themenfindung, Herrn Dr. Michael Müller-Brockhausen für die Überlassung seiner LaTeX-Formatvorlage sowie meinem Großvater, Herrn Günther Klemm, für die akribische Durchsicht des Manuskripts.

Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern, Frau Heike und Herrn Frank Klemm. Sie haben mich während meiner gesamten Ausbildung in jeder denkbaren Form unterstützt.

Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Marlene Ruf für ihre liebevolle Unterstützung bei beiden Examina und bei der Promotion. Ohne ihre Unterstützung wäre ich sicher nicht dort, wo ich heute bin.

München, im Januar 2019

←20 |
 21→

Erster Teil: Einleitung

Das Glücksspielrecht in Deutschland steckt in einer Sackgasse. Den Glücksspielaufsichtsbehörden gelingt es nicht, den GlüStV umzusetzen.1 Stattdessen wächst der nicht regulierte Markt maßgeblich aufgrund legislativer Defizite immer weiter und weiter.2 Gleichzeitig sind Ansätze einer Zersplitterung in der instanz- und obergerichtlichen Rechtsprechung in den Ländern zu beobachten, die die Verwaltung weiter in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken.3 Die Länder haben versucht, diese Defizite mit einer „kleinen Reform“ zu beheben. Damit sind sie jedoch gescheitert, da der 2. GlüÄndStV-E nicht wie vorgesehen bis zum 31. Dezember 2017 von allen 16 Ländern ratifiziert wurde. So hat u. a. der Landtag des Landes Schleswig-Holstein den 2. GlüÄndStV-E nicht ratifiziert.4 Wie es weitergeht ist unklar. Es stellt sich jedoch die Frage, wie es dazu überhaupt kommen konnte.

Einer der Hauptgründe für diese Entwicklung dürfte im fiskalischen Interesse der Länder liegen, die Einnahmen aus Steuern und Abgaben aus Glücksspielen von jährlich über EUR 5 Mrd. nicht zu gefährden.5 Mit diesen fördern die Länder öffentliche, gemeinnützige, kirchliche und mildtätige Zwecke. So stellen die Länder etwa zur Finanzierung des Sports erhebliche Mittel zur Verfügung.6 Durch diese „Zweckbindung“ sind Abhängigkeiten entstanden, wie eine Aussage des Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, Horst Seehofer, deutlich macht:

„Ich sage ganz offen, dass das fiskalische Interesse ein großes ist, nämlich die finanziellen Mittel für den Staat nicht zu verlieren. Ich wüsste nicht, wie ich das in Bayern ausgleichen sollte.“7

Dies steht einer mit höherrangigem Recht zu vereinbarenden als auch marktadäquaten Reform des GlüStV entgegen.8 Es bringt die Länder dazu, sich gegenüber jeder Konkurrenz zu den eigenen Anbietern abzuschotten und einen „obsessiven Kampf“9 gegen private Anbieter zu führen.10 Dabei handeln die Länder gemessen an ihren vorgeblichen Zielen kontraproduktiv, indem sie Spieler mangels attraktiver←21 | 22→ Spielangebote ins Internet abdrängen.11 Konkret haben nicht regulierte Glücksspielanbieter einen Marktanteil von 18 % gemessen in Bruttospielerträgen bzw. 39 % gemessen in Spieleinsätzen im gesamten deutschen Glücksspielmarkt und von 86 % bzw. 98,3 % im deutschen Online-Glücksspielmarkt.12

Sinnbildlich für diese Entwicklung steht die für alle Länder einheitliche Regulierung von (Festquoten-)““Sportwetten. Ihren Ausgangspunkt nahm diese mit dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen LoStV, der Restriktionen für private Anbieter von Sportwetten eingeführte.13 Danach sollten Sportwetten ausschließlich den staatlichen Anbietern vorbehalten sein.14 Dieses staatliche Sportwettenmonopol sah das BVerfG allerdings als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar an, da es nicht konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet gewesen sei.15 Hauptkritikpunkt war dabei die überall auffallende und präsente Werbung für den staatlichen Sportwettenanbieter Oddset, die das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete Unterhaltung dargestellt habe.16 Als Reaktion hierauf wurde der LoStV fortentwickelt und zum 1. Januar 2008 durch den GlüStV abgelöst. Bemerkenswerter Weise scheiterte das staatliche Sportwettenmonopol mangels konsistenter Bekämpfung von Suchtgefahren erneut, diesmal aber vor dem EuGH.17 Als Reaktion hierauf wurde wiederum der GlüStV fortentwickelt und zum 1. Juli 2012 durch den 1. GlüÄndStV abgelöst. Um das unionsrechtswidrige Sportwettenmonopol zu beenden, enthält dieser – und das ist neu – mit der Experimentierklausel für ein Konzessionsmodell für Sportwetten eine Erlaubnisregelung für eben diese.18 Mehr als fünf Jahre nach Inkrafttreten des 1. GlüÄndStV und nach Einleitung des Sportwettenkonzessionsverfahrens am 8. August 2012 ist jedoch noch immer keine Sportwettenkonzession vergeben worden. Das Sportwettenkonzessionsverfahren hat zu einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von sich teils widersprechenden Gerichtsentscheidungen geführt.19 Uneinigkeit besteht ←22 | 23→nicht nur in Fragen zum Sportwettenkonzessionsverfahren, sondern auch in verfassungsrechtliche Fragen. So besteht zwischen den obersten Verwaltungsgerichten der Länder Bayern, Hamburg und Hessen Uneinigkeit in der Beurteilung der Frage, ob das Glücksspielkollegium verfassungswidrig ist.20 Eine höchstrichterliche Klärung steht noch aus.

Um die bestehenden Regulierungsdefizite zu beheben, hat die Hessische Landesregierung am 8. Oktober 2015 fünf „Leitlinien für eine zeitgemäße Glücksspielregulierung in Deutschland“ beschlossen.21 Darin wird u. a. eine Reform der Sportwettenregulierung durch die Aufhebung der Zahl der zu vergebenden Sportwettenkonzessionen vorgeschlagen.22 Dem schloss sich eine politische Diskussion über mögliche Reformansätze an, in der auch andere Länder Reformvorschläge einbrachten. Schließlich einigten sich die Regierungschefs der Länder am 27./28. Oktober 2016 auf ihrer Jahreskonferenz auf einen 2. GlüÄndStV-E.23 Dabei gelang es, eine Aufhebung der Zahl der zu vergebenden Sportwettenkonzessionen durchzusetzen, andere Forderungen des Landes Hessen wurden jedoch verworfen. Im März 2017 unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Länder den Entwurf. Vereinbart wurde darin, dass dieser nur dann am 1. Januar 2018 in Kraft treten solle, wenn bis zum 31. Dezember 2017 alle Ratifikationsurkunden hinterlegt würden.24 Ansonsten würde der GlüStV gegenstandslos. Genau dies ist nach dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein eingetreten. So hat der Landtag in Kiel am 22. September 2017 beschlossen, den 2. GlüÄndStV-E abzulehnen und nicht zu ratifizieren.25 Vor diesem Hintergrund hat sich auch die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dazu entschieden, die Ratifizierung des 2. GlüÄndStV-E nicht weiter voranzutreiben.26 Der 1. GlüÄndStV besteht damit trotz seiner Regulierungsdefizite bis auf Weiteres fort.

Da diese Regulierungsdefizite hauptsächlich, nicht aber ausschließlich durch den Gesetzgeber verursacht wurden, wird im nachfolgenden Zweiten Teil dieser Arbeit herausgearbeitet, welche Rolle die Glücksspielaufsichtsbehörden in dieser Entwicklung gespielt haben. Es wird untersucht, warum es diesen nur eingeschränkt←23 | 24→ gelingt, die Zielvorgaben des GlüStV umzusetzen und zu erreichen. Überdies werden unterschiedliche Reformmodelle u. a. am Beispiel von ausländischen Glücksspielaufsichtsbehörden vorgestellt. Denn eine Reform des GlüStV muss zwingend von verwaltungsseitigen Korrekturen begleitet werden, um das Katz-und-Maus-Spiel zwischen nicht regulierten Glücksspielanbietern und der Glücksspielaufsicht zu beenden. Nach der Identifizierung der Anforderungen an eine moderne Glücksspielaufsicht wird im Dritten Teil und im Vierten Teil untersucht, wie sich dies umsetzen lässt. Im Dritten Teil werden daher zunächst die Zuständigkeiten bei der Glücksspielaufsicht herausgearbeitet. Dabei wird eine Zuständigkeitszersplitterung erkennbar, die die Zusammenarbeit der zuständigen Stellen mit weiteren Stellen im In- und Ausland erforderlich macht. Da das Glücksspiel ein grenzüberschreitendes Phänomen ist, werden in diesem Zusammenhang auch Handlungsoptionen aufgezeigt, die Zusammenarbeit der zuständigen Stellen innerhalb der Europäischen Union auszubauen. Zuletzt werden im Vierten Teil Überlegungen zu einer Neuordnung der Glücksspielaufsicht in Deutschland vorgestellt. Untersucht werden dabei die Möglichkeiten einer bundesgesetzlichen Regulierung von Glücksspielen, des Vollzugs eines Bundesglücksspielgesetzes in landeseigener und bundeseigener Verwaltung und eine Fortentwicklung der bisherigen Formen der Zusammenarbeit, insb. des Glücksspielkollegiums zur einer Landesanstalt für Glücksspielangelegenheiten in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Dem schließt sich dann der Fünfte Teil mit einer Zusammenfassung und einem Fazit an.

1Dazu Zweiter Teil.

2Land Hessen, Endbericht des Landes Hessen zur Evaluierung des Glücksspielstaats- vertrages, 10.4.2017, S. 17.

3Dazu u. a. § 13 II. 2. c).

4SH Plenarprotokoll 19/9, S. 525.

5Dazu § 6.

6Fahrner, Grundlagen des Sportmanagements, S. 144; Haas/Martens, Sportrecht – Eine Einführung in die Praxis, S. 238.

Details

Seiten
286
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631787649
ISBN (ePUB)
9783631787656
ISBN (MOBI)
9783631787663
ISBN (Hardcover)
9783631785171
DOI
10.3726/b15530
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
GlüStV Aufbauorganisation Koordinationsmechanismen Glücksspielkollegium Bundesglücksspielgesetz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 283 S.

Biographische Angaben

Tobias Klemm (Autor:in)

Tobias Klemm absolvierte sein Studium und Referendariat in Hamburg. Danach promovierte er in Bonn. Er ist als Rechtsanwalt in München tätig.

Zurück

Titel: Die bundeseinheitliche Glücksspielbehörde im europäischen Binnenmarkt und in der föderalen Verfassungsordnung
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
288 Seiten