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Das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht

von Andreas Krause (Autor:in)
©2019 Dissertation 718 Seiten

Zusammenfassung

Das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung hat im deutschen und italienischen Arbeitsrecht angesichts der weiten Verbreitung altersdifferenzierender Regelungen erheblichen Bedarf an Koordinierung mit den unionsrechtlichen Vorgaben ausgelöst. Es zählt zu den praktisch wichtigsten, zugleich aber am schwersten handhabbaren Diskriminierungsverboten. Die Untersuchung vergleicht anhand der unionsrechtlichen Strukturmerkmale des Diskriminierungsverbots seine Umsetzung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht. Die Darstellung der völkerrechtlichen Vorläufer und der gesetzlichen Regelungen in einer Vielzahl praktischer Einzelfragen zeigt anschaulich, dass die Einbettung des Diskriminierungsverbots in das deutsche und italienische Arbeitsrecht weitgehend gelungen ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Gliederung
  • Inhaltsverzeichnis
  • TEIL 1 Das Thema und sein „Sitz im Leben“
  • A. Einleitung und rechtstatsächlicher Hintergrund
  • I. Hintergrund der Untersuchung
  • II. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Eingrenzung ihres Gegenstands
  • III. Altersdifferenzierungen als Phänomen des Arbeitsmarkts
  • 1. Der Begriff der „älteren Arbeitnehmer“
  • a) Arbeitssoziologische Annäherung
  • b) Politische Betrachtung
  • c) Gesetzliche Wertung
  • d) Praxis der Tarifparteien
  • e) Zusammenfassung
  • 2. Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer
  • 3. Gründe für Ungleichbehandlungen älterer Arbeitnehmer
  • a) Mangelnde Nachfrage
  • aa) Indogene Faktoren
  • bb) Exogene Faktoren
  • b) Mangelndes Angebot
  • c) Sozialrechtliche Rahmenbedingungen
  • 4. Zwischenergebnis
  • 5. Der Begriff der „jüngeren Arbeitnehmer“
  • a) Arbeitssoziologische Annäherung
  • b) Politische Betrachtung
  • c) Gesetzliche Wertung
  • d) Zusammenfassung
  • 6. Erwerbsbeteiligung der jüngeren Arbeitnehmer
  • 7. Gründe für Ungleichbehandlungen jüngerer Arbeitnehmer
  • 8. Ergebnis
  • TEIL 2 Die völkerrechtlichen Vorläufer
  • B. Das Verbot der Altersdiskriminierung in Internationalen Verträgen
  • I. Die Wirkung völkerrechtlicher Normen(gehalte) im innerstaatlichen Bereich
  • 1. Unmittelbare Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Bereich
  • 2. Mittelbare Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Bereich
  • II. Verbot der Altersdiskriminierung im Völker(arbeits)recht
  • 1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte UN (AEMR)
  • a) Art. 2 Abs. 1 AEMR
  • b) Art. 7 AEMR
  • c) Unverbindlichkeit der AEMR
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)
  • a) Art. 2 Abs. 1 IPbpR
  • b) Art. 26 IPbpR
  • aa) Sachlicher Anwendungsbereich
  • bb) Alter als verbotenes Anknüpfungskriterium
  • cc) Diskriminierungsformen
  • dd) Rechtfertigung
  • ee) Beweislast
  • ff) Positive Maßnahmen
  • c) Einzelfragen
  • aa) Altersgrenzen
  • bb) Personalabbau
  • cc) Abmilderung des Prüfungsmaßstabs bei Altersdifferenzierungen
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
  • a) Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 IPwskR
  • aa) Sachlicher Anwendungsbereich
  • (1) Inhalt des Rechts auf Arbeit
  • (2) Alter als verbotenes Anknüpfungskriterium
  • (3) Zusammenschau
  • (4) Abmilderung des Prüfungsmaßstabs bei Altersdifferenzierungen
  • bb) Persönlicher Anwendungsbereich
  • b) Art. 7 IPwskR
  • aa) Sachlicher Anwendungsbereich
  • (1) Unzulässigkeit der Anknüpfung an das Lebensalter beim beruflichen Aufstieg
  • (2) Allgemeiner Grundsatz der Entgeltgleichheit
  • bb) Persönlicher Anwendungsbereich
  • c) Art. 10 IPwskR
  • d) Diskriminierungsformen
  • e) Rechtfertigung
  • f) Positive Maßnahmen
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Übereinkommen und Empfehlungen der IAO
  • a) IAO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf
  • aa) Alter als verbotenes Anknüpfungskriterium
  • bb) Eingeschränkte Relevanz für konkrete Rechtsfälle
  • b) Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung
  • c) IAO-Empfehlung Nr. 162 betreffend ältere Arbeitnehmer
  • d) Zwischenergebnis
  • 5. EMRK
  • a) Art. 14 EMRK
  • aa) Alter als verbotenes Anknüpfungskriterium
  • bb) Sachlicher Anwendungsbereich
  • cc) Diskriminierungsformen und Rechtfertigungsmaßstab
  • b) Art. 1 12. Zusatzprotokoll zur EMRK
  • c) Zwischenergebnis
  • 6. ESC und RESC
  • a) Auf das Alter abstellende Verpflichtungen
  • b) Diskriminierungsverbote in ESC und RESC
  • aa) ESC
  • bb) RESC
  • (1) Teil III Abschnitt E RESC
  • (2) Art. 20 RESC
  • (3) Sachlicher Anwendungsbereich der RESC, insb. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • cc) Ausschluss subjektiver Rechte durch die (R)ESC
  • c) Zwischenergebnis
  • 7. Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen
  • 8. Zusammenfassung
  • TEIL 3 Die unionsrechtlichen Grundlagen
  • C. Die Rahmenrichtlinie
  • I. Der Zweck des Verbots der Altersdiskriminierung zwischen Beschäftigungspolitik und Beihilfenrecht der Europäischen Union
  • 1. Übergreifende Aktionsprogramme, Europäische Beschäftigungsstrategie und Flexicurity
  • 2. Zweck des Diskriminierungsverbots
  • 3. Gleichheitskonzepte
  • 4. Beihilfenrecht
  • II. Rechtsgrundlage und Wirksamkeit der Rahmenrichtlinie
  • 1. Kompetenzakzessorische Auslegung des Art. 19 AEUV = Art. 13 EG a.F.
  • a) Art. 13 EG a.F. als eigenständige Ermächtigungsgrundlage
  • b) Kompetenzbezogene Auslegung
  • c) Unerheblichkeit der Streitfrage
  • d) Zwischenergebnis
  • e) Stellungnahme
  • 2. Subsidiarität oder kumulative Anwendung des Art. 13 EG a.F.
  • a) Verfahrensvorschriften
  • b) Harmonisierungsverbote
  • c) Vorrang des Art. 19 AEUV = Art. 13 EG a.F. in Fragen der Diskriminierungsbekämpfung
  • 3. Ergebnis
  • D. Dogmatische Einordnung und Wirkungsweise des Diskriminierungsverbots im Arbeitsverhältnis
  • I. Das Urteil des EuGH in der Rs. Mangold
  • II. Zwischen Mangold und Kücükdeveci
  • III. Das Urteil des EuGH in der Rs. Kücükdeveci
  • IV. Die Anwendung des Diskriminierungsverbots in Privatrechtsverhältnissen durch den EuGH und die mitgliedstaatlichen Gerichte
  • 1. Annahme eines primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung durch den EuGH
  • 2. Grund für die Heranziehung des Primärrechts durch den EuGH
  • 3. Umsetzung in der deutschen und italienischen fachgerichtlichen Rechtsprechung
  • V. Die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots in Privatrechtsverhältnissen
  • 1. Keine unmittelbare Drittwirkung der Rahmenrichtlinie
  • 2. Rechtsgrundlage für Unanwendbarkeitsausspruch
  • a) Unionsrechtliche Grundlage
  • b) Anwendungsvorrang in Deutschland und Italien
  • c) Zusammenschau
  • 3. Eröffnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts
  • a) Umgang in der Rs. Mangold und der Folgerechtsprechung
  • b) Stellungnahme
  • 4. Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots zwischen Privaten
  • a) Primärrechtliches Diskriminierungsverbot
  • b) Anwendung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots zwischen Privaten
  • c) Verordnungsgleiche Wirkung des Diskriminierungsverbots
  • 5. Vertrauensschutz für den Arbeitgeber
  • 6. Ultra vires-Akt des EuGH?
  • a) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
  • b) Die Auffassung der Corte Costituzionale
  • c) Stellungnahme
  • 7. Anpassung nach oben oder Vorlage gemäß Art. 100 GG?
  • VI. Ergebnis
  • E. Strukturelle Umsetzungsvorgaben der Rahmenrichtlinie
  • I. Zielverbindlichkeit, Minimalharmonisierung und Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten
  • II. Effektivität, Transparenz und Kohärenz
  • III. Äquivalenz
  • IV. Regelungsdichte
  • V. Schutz bestimmter Altersgruppen
  • VI. Absenkungsverbot
  • VII. Form der Umsetzung
  • VIII. Durchforstung der Rechtsordnung
  • TEIL 4 Die Umsetzung des Diskriminierungsverbots in Deutschland und Italien
  • F. Rechtspolitisches Umfeld der Umsetzung und bisherige Diskriminierungsverbote
  • I. Rechtspolitisches Umfeld der Umsetzung in Deutschland
  • II. Diskriminierungsverbote im deutschen Recht vor Umsetzung der Rahmenrichtlinie
  • 1. Verfassungsrecht
  • a) Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG
  • b) Art. 12 Abs. 1 GG
  • 2. Einfaches Recht
  • a) Allgemeiner arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz
  • b) § 75 Abs. 1 BetrVG, § 27 SprAuG, § 67 BPersVG
  • III. Rechtspolitisches Umfeld der Umsetzung vom „Biagi-Dekret“ bis zur Jobs Act-Reform
  • IV. Diskriminierungsverbote im italienischen Recht vor Umsetzung der Rahmenrichtlinie
  • 1. Verfassungsrecht
  • a) Anwendungsbereich
  • b) Diskriminierungsformen und Kontrolldichte
  • c) Anwendbarkeit zwischen Privaten
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Einfaches Recht
  • a) Codice delle pari opportunità
  • aa) Allgemeines
  • bb) Anwendungsbereich
  • cc) Diskriminierungsformen
  • (1) Unmittelbare Diskriminierung
  • (2) Mittelbare Diskriminierung
  • dd) Ausnahmen
  • (1) Unmittelbare Diskriminierung
  • (2) Mittelbare Diskriminierung
  • b) Testo unico sull’immigrazione (T.U.I.)
  • c) Statuto dei lavoratori
  • d) Diskriminierende Kündigungen
  • e) Menschen mit Behinderung
  • V. Genese des Umsetzungsdekrets
  • 1. Unionsgesetz 2001
  • 2. Umsetzungsdekret
  • G. Anwendungsbereich
  • I. Rahmenrichtlinie
  • 1. Persönlicher Anwendungsbereich
  • 2. Sachlicher Anwendungsbereich
  • a) Zugang zu Erwerbstätigkeit und beruflicher Aufstieg
  • b) Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen
  • c) Berufsausbildung und berufliche Weiterbildung
  • 3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich
  • a) Öffentliche Sicherheit und Ordnung
  • b) Staatliche und betriebliche Systeme sozialer Sicherheit
  • c) Streitkräfte
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Deutschland
  • 1. Persönlicher Anwendungsbereich
  • a) Geschützter Personenkreis
  • aa) Beschäftigte
  • bb) Selbstständige und Organmitglieder
  • cc) Soldaten
  • b) Verbotsadressaten
  • 2. Sachlicher Anwendungsbereich
  • a) Zugang zu Erwerbstätigkeit und beruflicher Aufstieg
  • b) Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen
  • 3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich
  • a) Eingeschränkte Anwendung auf Streitkräfte
  • b) Anwendung des AGG auf Kündigungen
  • aa) Bedeutung des § 2 Abs. 4 AGG
  • bb) Unionsrechtskonformität der Lösung des BAG
  • (1) Richtlinienkonforme Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes
  • (2) Transparenzgebot
  • (3) Zwischenergebnis
  • c) Betriebliche Altersversorgung
  • III. Italien
  • 1. Persönlicher Anwendungsbereich
  • a) Geschützter Personenkreis
  • b) Verbotsadressaten
  • 2. Sachlicher Anwendungsbereich
  • a) Zugang zu Erwerbstätigkeit und beruflicher Aufstieg
  • b) Arbeits- und Entlassungsbedingungen
  • c) Art. 15 Statuto dei lavoratori
  • 3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich
  • a) Öffentliche Sicherheit und Ordnung
  • b) Staatliche Systeme sozialer Sicherheit und betriebliche Altersversorgung
  • c) Streitkräfte
  • 4. Verhältnis zum Kündigungsschutz
  • a) Umsetzungsdekret und Statuto dei lavoratori
  • b) Grundsätzliche Berücksichtigung des Verbots der Altersdiskriminierung bei mehreren möglichen Kündigungskandidaten
  • IV. Vergleich
  • H. Diskriminierungstatbestände
  • I. Rahmenrichtlinie
  • 1. Unmittelbare Diskriminierung
  • a) Benachteiligung
  • aa) Qualitatives Element
  • bb) Quantitatives Element
  • cc) Diskriminierungserfolg
  • dd) Diskriminierende Gleichbehandlungen
  • b) Erfordernis eines Vergleichs und Vergleichsgruppenbildung
  • aa) Erfordernis eines Vergleichs
  • bb) Konkrete Vergleichsperson(en)
  • cc) Hypothetische Vergleichsperson(en)
  • c) Kausalität
  • aa) Verdeckte Diskriminierung
  • bb) Mindestaltersunterschied
  • cc) Diskriminierung durch Zugehörigkeit
  • 2. Mittelbare Diskriminierung
  • a) Benachteiligung
  • b) Vergleichsgruppenbildung
  • II. Übernahme in die Rechtsordnungen Deutschlands und Italiens
  • I. Erlaubte Ungleichbehandlungen
  • I. Rahmenrichtlinie
  • 1. Gerechtfertigte Ungleichbehandlungen wegen des Alters, Art. 6 Rahmenrichtlinie
  • a) Anwendungsbereich
  • b) Legitimes Ziel
  • aa) Allgemeinwohlbelange und (reine) Unternehmensinteressen
  • bb) Zuständigkeit für die Festlegung legitimer Ziele
  • c) Schutzrichtung der Differenzierung
  • d) Eignung der Differenzierung
  • e) Angemessenheit und Erforderlichkeit
  • 2. Berufliche Anforderungen, Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie
  • a) Allgemeines
  • b) Anforderungen im Einzelnen
  • aa) Rechtmäßiger Zweck
  • bb) Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung
  • 3. Mittelbare Diskriminierungen
  • 4. Positive Maßnahmen
  • II. Deutschland
  • 1. Gerechtfertigte Ungleichbehandlungen wegen des Alters, § 10 AGG
  • 2. Berufliche Anforderungen, § 8 AGG
  • 3. Positive Maßnahmen, § 5 AGG
  • III. Italien
  • 1. Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters
  • a) Alte Fassung
  • b) Neue Fassung
  • 2. Berufliche Anforderungen
  • 3. Mittelbare Diskriminierung
  • 4. Positive Maßnahmen
  • 5. Verhältnis zu Art. 15 Stat. lav.
  • IV. Vergleich
  • J. Rechtsfolgen
  • I. Rahmenrichtlinie
  • 1. Nichtigkeit
  • 2. Gleichstellung und Schadensersatz
  • a) Erfasste Schadenspositionen
  • b) Einstellungsanspruch
  • c) Verschulden und Zurechnung
  • d) Strafschadensersatz
  • II. Deutschland
  • 1. Nichtigkeit
  • 2. Gleichstellungsanspruch und Anpassung nach oben
  • 3. Schadensersatz
  • a) Erfasste Schadenspositionen
  • b) Verschulden und Zurechnung
  • 4. Sanktionen pönalen Charakters
  • 5. Einbettung in das allgemeine Sanktionierungssystem
  • III. Italien
  • 1. Nichtigkeit
  • a) Allgemeines
  • b) Altersdiskriminierende Kündigungen, insbesondere in Kleinbetrieben
  • 2. Schadensersatz
  • a) Erfasste Schadenspositionen
  • aa) Materielle Schäden
  • bb) Immaterielle Schäden
  • b) Verschulden und Zurechnung
  • 3. Unterlassung und Folgenbeseitigung; Anpassung nach oben und Einstellungsanspruch
  • 4. Ausschluss von Ausschreibungen und Veröffentlichung stattgebender Urteile
  • 5. Sanktionen pönalen Charakters
  • a) Strafschadensersatz
  • b) Allgemeines Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
  • aa) Verstoß gegen Diskriminierungsverbot, Art. 38 Stat. lav.
  • bb) Verstoß gegen gerichtliche Entscheidung zu Diskriminierungen
  • (1) Vorsätzliche Missachtung gerichtlicher Anordnungen, Art. 388 Abs. 1 Codice penale
  • (2) Missachtung hoheitlicher Anordnungen, Art. 650 Codice penale
  • (3) Direkte Anwendung der Artt. 388 Abs. 1, 650 Codice penale
  • c) Strafzahlungen bei altersdiskriminierenden Vergütungsmodellen
  • 6. Einbettung in das allgemeine Sanktionierungssystem
  • IV. Vergleich
  • K. Rechtsschutz
  • I. Beweislastverteilung
  • 1. Rahmenrichtlinie
  • 2. Deutschland
  • 3. Italien
  • II. Ausschlussfristen
  • 1. Rahmenrichtlinie
  • 2. Deutschland
  • 3. Italien
  • III. Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände
  • IV. Schlichtungsverfahren
  • V. Formelles Verfahrensrecht
  • 1. Rechtsnatur des italienischen Diskriminierungsverfahrens
  • 2. Zuständigkeiten im italienischen Diskriminierungsverfahren
  • VI. Zusammenfassung und Vergleich
  • TEIL 5 Die Anwendung des Verbots und zusammenfassender Vergleich
  • L. Einzelfragen
  • I. Altersdiskriminierung beim Zugang zu Beschäftigung
  • 1. Diskriminierung durch die Aufstellung von Höchstanforderungen an das Alter
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • aa) Gesetzliche Höchstaltersgrenzen
  • bb) Autonome Einstellungsentscheidungen
  • (1) Altersstruktur
  • (2) Kundenerwartungen
  • (3) Körperliche Anforderungen
  • c) Italien
  • aa) Gesetzlich vorgegebene Höchstaltersgrenzen
  • (1) Grundsätzliche Abschaffung der Altersgrenze für den Zugang zum öffentlichen Dienst
  • (2) Ausnahmen vom Verbot der Altersgrenze
  • (α) Körperliche Leistungsfähigkeit (Feuerwehr und Polizei)
  • (β) Sicherheit Dritter (Busfahrer)
  • (γ) Private Tätigkeiten von öffentlichem Interesse (Notare, Apotheker)
  • (3) Gesundheitsüberprüfungen
  • bb) Autonome Entscheidungen des Arbeitgebers
  • d) Zwischenergebnis und Vergleich
  • 2. Diskriminierung durch Mindestanforderungen an das Alter
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • c) Italien
  • d) Zwischenergebnis und Vergleich
  • 3. Besondere Vertragsgestaltungen für bestimmte Altersgruppen
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • c) Italien
  • aa) Altersbefristungen
  • bb) Besondere Vertragstypen
  • (1) Contratto d’inserimento (Eingliederungsvertrag)
  • (2) Contratto d’apprendistato (Ausbildungsvertrag)
  • (3) Lavoro intermittente (Arbeit auf Abruf)
  • (4) Somministrazione di lavoro (Arbeitnehmerüberlassung)
  • d) Zwischenergebnis und Vergleich
  • 4. Zusammenfassung und Vergleich
  • II. Altersdiskriminierung bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses
  • 1. Vergütung
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • c) Italien
  • 2. Urlaub
  • 3. Zusammenfassung und Vergleich
  • III. Altersdiskriminierung und Bestandsschutz
  • 1. Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • c) Italien
  • 2. Altersanknüpfende Kündigungsgründe und soziale Auswahl
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • aa) Berücksichtigung des Lebensalters an sich
  • bb) Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl
  • c) Italien
  • aa) Individuelle Kündigungen
  • bb) Massenentlassungen
  • 3. Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Erreichen der Regelaltersgrenze
  • a) Rahmenrichtlinie
  • b) Deutschland
  • c) Italien
  • 4. Zusammenfassung und Vergleich
  • a) Beendigung bei Regelaltersgrenze – Generationengerechtigkeit
  • b) Beendigung vor der Regelaltersgrenze – Sicherheitsaspekte
  • M. Schlussbetrachtung
  • I. Zielverbindlichkeit, Minimalharmonisierung und Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten
  • 1. Nutzung der Ermessensspielräume
  • a) Entscheidungsermessen und Reichweite des Diskriminierungsverbots
  • b) Auswahlermessen und verfolgte Differenzierungsziele
  • aa) Differenzierungsziele beim Zugang zu Beschäftigung
  • bb) Differenzierungsziele bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses
  • cc) Differenzierungsziele bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • 2. Zielverbindlichkeit, Minimalharmonisierung und Homogenität der Umsetzungen
  • II. Effektivität und effet utile
  • 1. Effektivität im engeren Sinne
  • 2. Effet utile
  • a) Transparenzgebot
  • b) Kohärenzgebot
  • c) Strenge der Verhältnismäßigkeitsprüfung im weiteren Sinne
  • d) Unionsrechtlich schwächer determinierte Bereiche
  • III. Äquivalenz
  • IV. Regelungsdichte
  • V. Schutz bestimmter Altersgruppen
  • VI. Absenkungsverbot
  • VII. Form der Umsetzung
  • VIII. Durchforstung der Rechtsordnung
  • IX. Zusammenfassung
  • X. Ausblick
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

←32 | 33→

A. Einleitung und rechtstatsächlicher Hintergrund

Unterscheidungen nach dem Alter sind der Arbeitswelt und mithin dem Arbeitsrecht in vielfältiger Weise seit jeher1 bekannt.2 Sie begegnen dem Betrachter etwa als statusentscheidende3 Maximalgrenzen oder Minimalanforderungen. Aus der ersten Gruppe ist beispielhaft die Erreichung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zu nennen, die für viele Arbeitnehmer die automatische Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit sich bringt.4 Vertreter letzterer Kategorie sind Mindestaltersgrenzen, vor deren Erreichung eine Beförderung oder überhaupt die Beschäftigung nicht erlangt werden kann, sei es wegen eines (mittelbaren) gesetzlichen Verbots,5 sei es wegen der Kartellwirkung von Tarifverträgen.6 Verbreitet ist auch die Verwendung des Alters als Gradmesser für die soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten. Wichtigstes Beispiel im deutschen Arbeitsrecht ist hier die Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 S. 1, 1. Hs. KSchG.7 Anknüpfungen an das Lebensalter erfolgen sowohl unmittelbar8 als auch mittelbar, etwa durch Bezugnahmen auf ←33 | 34→die Betriebszugehörigkeit9 oder die Berufserfahrung.10 Subtilere Ungleichbehandlungen können sich in Bereichen ergeben, die auf den ersten Blick in keiner Beziehung zum Alter stehen, von denen Ältere oder Jüngere jedoch in der Regel stärker berührt werden, z.B. bei tariflichen Zuschüssen zum Krankengeld.11

Im Bereich von Beschäftigung und Beruf wird der Begriff der Anciennität verwendet, um die Betriebszugehörigkeit zu benennen. Anziano (italienisch für „älterer Mensch“) bedeutet wörtlich übersetzt „vorher geboren“ und ist somit zunächst frei von Wertungen.12 Art und Maß der an Altersdifferenzierungen geknüpften Konsequenzen manifestieren, dass dennoch Angehörigen bestimmter Altersgruppen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Während Jüngere häufig pauschal als in fachlicher Hinsicht unerfahren und in persönlicher Hinsicht unzuverlässig gelten, geht mit steigendem Alter der Verdacht sinkender Leistungsfähigkeit,13 Lernwilligkeit oder körperlicher Gesundheit14 einher.15 Obwohl sich dieses durch die Zeit der Industrialisierung geprägte Altersbild16 angesichts der zunehmenden Ausrichtung der Wirtschaft auf ältere ←34 | 35→Menschen als Konsumenten zu ändern scheint, wird es gerne als Begründung für die grundsätzliche Begrenzung der Lebensarbeitszeit herangezogen.17

Ein Ausschluss Älterer oder Jüngerer vom Arbeitsmarkt hat sowohl für die individuell Betroffenen als auch volkswirtschaftlich gesehen erhebliche Auswirkungen. Dem Einzelnen erwachsen aus der Arbeitslosigkeit (auch bei Rentenberechtigung) nicht „nur“ finanzielle Einbußen. Arbeitslosigkeit kann auch im gesundheitlichen Bereich zu negativen Folgen für den Betroffenen führen,18 sei es rein physisch durch die finanziell bedingt eingeschränkten Möglichkeiten zu einer gesunden Lebensführung,19 sei es in psychischer Hinsicht durch eine Schwächung des Selbstwertgefühls.20 Die Verweigerung einer Anstellung wird von den Betroffenen häufig als die Verweigerung von Anerkennung und Beleg für eigene Insuffizienzen gewertet.21 Schließlich kann Arbeitslosigkeit zu einem sozialen Abstieg führen,22 einerseits durch eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe an Freizeitaktivitäten des Freundeskreises,23 andererseits schon durch die bloße Brandmarkung als „Versager“.24 Mithin ist Erwerbstätigkeit nicht nur als wirtschaftliche Existenzgrundlage, sondern auch als Element der Würde des Menschen zu begreifen.25

Dass vielen Älteren ein Rückzug aus dem Arbeitsprozess willkommen ist,26 mag insoweit für die ökonomische Effizienz des Verbots der Altersdiskriminierung27 ←35 | 36→bedeutsam sein. Gleichwohl belegen immer wieder auftretende Rechtsstreitigkeiten um die Zulässigkeit von sicherheitsbezogenen Altersgrenzen28 den Wunsch der Kläger, das Berufsleben über die hergebrachten Grenzen hinaus fortzusetzen. Der Schutz vor pauschalen Beschränkungen dieser Lebensplanung ist Aufgabe des Antidiskriminierungsrechts.29 Gerade das Alter wird häufig als Pauschalisierungskriterium verwendet.30 Die gerontologische Forschung zeigt, dass das alleinige Abstellen auf das kalendarische Alter der Variationsbreite an Biografien, insbesondere bezüglich Lebensstils, Arbeitsbelastung, medizinischer Versorgung und sonstiger Wechselfälle nicht gerecht wird.31 Mit Blick auf physische Gegebenheiten wie die Körperkraft, das Seh- und das Hörvermögen ist eine tendenzielle Abnahme mit zunehmendem Alter umgekehrt nur schwerlich zu bestreiten.32 Wann allerdings genau der Zeitpunkt eingetreten ist, ab dem die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr (sicher) erbracht werden kann, dürfte wohl kaum pauschal für alle Beschäftigten an einem kalendarischen Alter festzumachen sein. Unbestreitbar dürfte auch sein, dass nicht alle Jüngeren ausnahmslos unzuverlässig oder schutzbedürftig sind. Soweit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsmarktpolitische Gründe hat, stellt sich die Frage, ob die Interessen der älteren Beschäftigten an einem Verbleib im Erwerbsleben hinter die Interessen jüngerer Bewerber zurückzutreten haben und ob ihr Ausscheiden zur Eingliederung Jüngerer überhaupt notwendig ist.

Volkswirtschaftlich betrachtet sind die Einbußen, die durch die ständige Abwanderung von Erfahrungswissen entstehen,33 kaum abschätzbar. Inwieweit diesem Verlust an Wertschöpfungspotenzial durch Methoden zum Wissenstransfer von Alt zu Jung entgegengewirkt werden kann,34 ist unklar. Umgekehrt gehen durch eine Bevorzugung berufserfahrener Bewerber die Potenziale ←36 | 37→Jüngerer in Gestalt „unverbrauchter“ Ideen und Herangehensweisen in möglicherweise vermeidbarem Maße verloren.

Die sozialen Sicherungssysteme sind bei einer demographiebedingt steigenden Zahl von Leistungsempfängern grundsätzlich Belastungsproben ausgesetzt.35 Die Abhängigkeit umlagefinanzierter Systeme von der zahlenmäßigen Ausgewogenheit der Beitragszahler und der Leistungsempfänger36 führt zu einem massiven Bedürfnis nach verstärkter Aufnahme neuer und dem längeren Verbleib „langgedienter“ Beitragszahler.37 Besonders starke Auswirkungen hat dies aufgrund der Struktur des Rentensystems in Italien.38

Soweit Diskriminierungen beim Zugang und beim Verlassen des Arbeitsmarktes auftreten, ist dies aufgrund des besonderen Charakters des Alters als Differenzierungskriterium zunächst erstaunlich. Das Alter ist kein binäres Kriterium wie etwa eine Behinderung, die entweder vorliegt oder eben nicht.39 Vielmehr ist das Alter naturgemäß ständig im Wandel begriffen40 und jeder Beschäftigte mit durchschnittlicher Lebensspanne gehört irgendwann zu den „Jüngeren“ oder den „Älteren“.41 Dies macht das Alter zu einem „besonders strukturierten“,42 ambivalenten43 Differenzierungskriterium, das fast schon per definitionem nicht objektiv sein kann.44 Aus dem gleichen Grund hat Bonardi das Alter umgekehrt als das möglicherweise „demokratischste“ aller Differenzierungskriterien bezeichnet.45

←37 | 38→

In einer Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2009 gaben 16% der Befragten an, im letzten Jahr Opfer einer Diskriminierung (aus Gründen der Rasse, der Religion bzw. Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung) geworden zu sein. 58% waren der Ansicht, dass Altersdiskriminierung (wegen höheren Alters ab 55) in ihrem Land stark oder sogar sehr stark (16%) verbreitet sei.46 2012 war deren Anteil zwar gesunken.47 Ebenso meinten jedoch 67% der Befragten, dass die Diskriminierung älterer Arbeitnehmer durch die Wirtschaftskrise zunehmen werde.48 Trotz hoher Jugendarbeitslosigkeit glaubten im Schnitt nur 18% der Befragten, dass Altersdiskriminierung wegen eines Alters unter 30 in ihrem Land weit verbreitet sei.49 Sowohl 2009 als auch 2012 war ca. jeder dritte Teilnehmer der Meinung, seine Rechte im Fall einer Diskriminierung zu kennen.50

Mit Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG51 wurden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, ein zumindest grundsätzliches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters einzuführen. Vor dem dargestellten Hintergrund schien die (Weiter-)Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts in Europa eigentlich wie gerufen zu kommen. Gleichwohl war insbesondere die rechtspolitische Diskussion52 um das Antidiskriminierungspaket der EU53 außergewöhnlich heftig.54 Grund hierfür war einerseits die (bezüglich aller Unterscheidungsmerkmale geäußerte) Sorge um die Abschluss- und Gestaltungsfreiheit der Arbeitgeber als Adressaten der Benachteiligungsverbote.55 Andererseits enthielten vor allem die kollektivvertraglichen Quellen des Arbeitsrechts ein ausgeprägtes ←38 | 39→Senioritätsprinzip.56 Letzteres führt auch noch heute zu einer derartigen Verwurzelung an das Alter anknüpfender Regelungen im Bewusstsein von Bevölkerung und Praxis, dass deren Problematik zuweilen entweder erst gar nicht wahr – oder als seit Langem tradiert hingenommen wird.57 Das Alter als grundsätzlich verbotenes Differenzierungsmerkmal wurde deswegen und aufgrund seiner vergleichsweise schwächeren moralischen Bezüge und historischen Vorbelastungen58 weniger emotionsgeladen diskutiert als etwa die Religion oder die sexuelle Orientierung.59

I. Hintergrund der Untersuchung

Das Verbot der Altersdiskriminierung zwingt Gesetzgeber, Rechtsprechung und Wissenschaft in vielen Bereichen des Arbeitsrechts60 dazu, seit Langem bestehende,61 an das Alter anknüpfende Regelungen auf den Prüfstand zu stellen.62 Vor seinem Inkrafttreten hatten sich das arbeitsrechtliche Schrifttum und die Arbeitsgerichtsbarkeit im Wesentlichen nur mit Beendigungsaltersgrenzen zu beschäftigen.63 Mit Blick auf die Diskriminierungsverbote wegen des Geschlechts ←39 | 40→oder einer Schwerbehinderung stellte der deutsche Gesetzgeber einen geringen Grad an „Rechtsnutzung“ durch die von Diskriminierungen Betroffenen fest und führte diesen darauf zurück, dass es in Deutschland keine Kultur der Antidiskriminierung gegeben habe.64 Angesichts der grundsätzlich liberalen Haltung des Privatrechts65 sowie des Grundrechtsschutzes durch alternative Systeme wie den allgemeinen Kündigungsschutz oder die Überprüfung arbeitgeberseitiger Weisungen nach §§ 106 Abs. 1 GewO, 315 BGB66 war die Einschätzung des Gesetzgebers nicht verwunderlich. Mit dem Verbot der Altersdiskriminierung wurde also einer organisch gewachsenen Ordnung der praktischen Grundrechtskonkordanz ein grundsätzlich wesensfremdes System hinzugefügt und das Ganze sodann einem Publikum vorgelegt, das altersdifferenzierende Regelungen weitgehend akzeptierte. Die Bandbreite altersdifferenzierender Regelungen im Arbeitsverhältnis zeigt vor diesem Hintergrund, welches Potenzial im Diskriminierungsverbot steckt. Die im Schrifttum teilweise befürchtete „Klagewelle“67 ist zwar ausgeblieben.68 Dennoch hat schon allein das BAG seit Inkrafttreten des der Richtlinienumsetzung dienenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)69 mit bis 2016 steigender und seit 2017 fallender Tendenz im Monatsdurchschnitt rund 1,3 Entscheidungen erlassen, die das Stichwort „Altersdiskriminierung“ enthalten.70 Nach gut 14 Jahren der Geltung haben die Wertungen ←40 | 41→des AGG und insbesondere das Verbot der Altersdiskriminierung71 Einfluss auf alle Bereiche des deutschen Arbeitsrechts.72

Auch in Italien würde eine strenge Durchsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung zu tiefgreifenden Veränderungen des Arbeitsrechts und der arbeitsrechtlichen Praxis führen.73 Das Alter ist für das gesamte Arbeitsverhältnis von seiner Begründung über die Dauer der Betriebszugehörigkeit bis hin zur Beendigung ein maßgebliches Kriterium.74 Das italienische Arbeitsrecht war in den letzten Jahrzehnten durch eine Tendenz zur Zersplitterung der Vertragstypen gekennzeichnet,75 deren Anwendungsbereich unter anderem anhand des Lebensalters abgegrenzt wird.76 Auch deswegen gibt keines der Diskriminierungsmerkmale der Rahmenrichtlinie in größerem Maße als das Alter Anlass zur Prüfung der nationalen Vorschriften.77 Interessant erscheint in diesem Zusammenhang umgekehrt, dass die ersten arbeitsrechtlichen Regelungen Italiens an das Geschlecht und eben das Alter (im Jugendarbeitsschutz) anknüpften.78

Besondere Schwierigkeiten bei der Richtlinienumsetzung ergeben sich speziell für das Verbot der Altersdiskriminierung durch einen Mangel an (wirklich) vergleichbaren Vorgängerregelungen im deutschen79 und italienischen80 Recht.81 Die Richtlinien des „Antidiskriminierungspakets“ aus dem Jahr 2000 ←41 | 42→sind maßgeblich durch die anglo-amerikanische Rechtsordnung geprägt.82 Die Koordinierung der Rahmenrichtlinie mit den bestehenden Strukturen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen war daher ein wichtiger Beratungsgegenstand im Rat der Europäischen Union.83 Sogar noch nach Abschluss der Beratungen durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter beim Rat der Europäischen Union waren die speziell für das Verbot der Altersdiskriminierung geltenden Ausnahmebestimmungen gemäß Art. 6 RahmenRL eine der „wichtigsten ungeklärten Fragen“.84

Dieser für den Teilbereich der Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht geltende Befund ist eingebettet in einen allgemeinen Prozess der Europäisierung des Privatrechts. Hierzu hat Zaccaria anschaulich festgehalten, dass „der sektorielle Charakter der Richtlinien“,85 in Verbindung mit dem „Fehlen eines Rahmens gemeinsamer Grundprinzipien“ mit Gesetzeskraft „einen Zusammenstoß mit den nationalen Rechtsordnungen bewirkt, was sowohl auf eine echte Europäisierung als auch auf eine Anpassung der neuen Normen an die traditionellen nationalen Prinzipien hinauslaufen kann“.86 Dies setzt sich auf europäischer Ebene fort.87 Insgesamt ist das Recht der Antidiskriminierung einer der Bereiche, in denen die Prägung der nationalen (Arbeits-)Rechtsordnungen durch das Unionsrecht besonders markant erkennbar ist.88 Für das deutsche Recht zeigt schon die überproportional hohe89 Anzahl an Vorabentscheidungsersuchen durch deutsche Gerichte,90 welche Praxisrelevanz das Verbot der ←42 | 43→Altersdiskriminierung hat.91 Umgekehrt beeinflussen die Vorlagen der nationalen Gerichte wiederum die Entwicklung des Unionsrechts.92 In der Diskussion um die Europäisierung des (Arbeits-)Rechts wird dies mit dem Begriff der cross fertilization umschrieben.93 Wegen seines allgemeineren Charakters kann dieser Aspekt im Folgenden allenfalls gestreift werden. Gleiches gilt für den Gemeinsamen Referenzrahmen für ein Europäisches Vertragsrecht,94 da das Arbeitsrecht aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen ist95 und das Alter nicht als grundsätzlich verbotenes Differenzierungskriterium aufgenommen wurde.96

Der gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV an alle Mitgliedstaaten gerichtete Umsetzungsbefehl der Richtlinien legt es nahe, den Blick auf die Umsetzung des Diskriminierungsverbots bei den europäischen Nachbarn zu richten. Zwar kann ein (kontinental)europäischer Rechtsvergleich keine Einblicke in über Jahrzehnte angereicherte Erfahrungen mit einem Verbot der Altersdiskriminierung eröffnen, wie das bei der Betrachtung der anglo- und insbesondere der US-amerikanischen Rechtsordnung der Fall wäre.97 Allerdings kann er Aufschluss darüber geben, wie das Aufeinandertreffen fein ziselierter Zugangs-, Inhalts-, und Bestandsschutzsysteme mit dem auf Gleichbehandlung beruhenden Ansatz des Antidiskriminierungsrechts moderiert werden kann.

Die Betrachtung des italienischen Arbeitsrechts ist insoweit von besonderem Interesse. Dieses enthielt, wie das deutsche, vor Umsetzung der Rahmenrichtlinie kein Verbot der Altersdiskriminierung. Umgekehrt sah es für andere Diskriminierungsmerkmale wie das Geschlecht und die Rasse bzw. ethnische Herkunft ←43 | 44→eine Reihe verschiedener, heterogener Regelungen vor.98 Das zunächst relativ schwache Interesse des Schrifttums99 und der Allgemeinheit100 an der Richtlinienumsetzung ist im Lauf der Zeit gestiegen. Ein erheblicher Anteil der insgesamt jedoch relativ geringen Zahl101 an Rechtsprechungsnachweisen betrifft Fragen der Altersdiskriminierung.102 Auch wenn die rechtsvergleichende Auslegung103 in der italienischen Methodenlehre nur eine untergeordnete Rolle spielt,104 ist die italienische Rechtskultur für deutsche Einflüsse offen.105 Ferner schlägt sich im italienischen Recht ein interessanter Gegensatz zwischen der Flexibilisierung arbeitsrechtlicher Vorgaben einerseits und dem Grundsatz der Gleichbehandlung als Korrektiv andererseits nieder, der allgemein unter dem Stichwort der Flexicurity diskutiert wurde.106

II. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Eingrenzung ihres Gegenstands

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die folgende Untersuchung mit der Frage, wie die deutsche und die italienische Rechtsordnung das Verbot ←44 | 45→der Altersdiskriminierung in die bestehenden Regelungsmechanismen und Bestandsschutzsysteme inkorporieren. Von Interesse ist dabei insbesondere die Frage, ob das Diskriminierungsverbot für die Rechtsordnungen völlig neue Wertungen einbringt oder ob bereits bestehende Wertungssysteme nur quantitative Schwerpunktverschiebungen erfahren. So ist freilich sowohl in Deutschland als auch Italien die Berufsfreiheit grundrechtlich verbürgt. Ferner enthalten beide Grundrechtsordnungen allgemeine Gleichheitssätze und spezielle Diskriminierungsverbote. Schon auf den ersten Blick ist klar, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters die Schutzbereiche solcher Grundrechtspositionen und deren einfachgesetzlicher Ausprägungen berühren können. Hier kann das Diskriminierungsverbot ganz neue Impulse setzen oder auch schlicht den Begründungsaufwand für Altersdifferenzierungen erhöhen. Nach Auffassung der Europäischen Kommission soll die Rahmenrichtlinie die in den Mitgliedstaaten bestehenden Grundsätze der Nichtdiskriminierung nicht infrage stellen, sondern weiterentwickeln.107 Auch in rein rechtstechnischer Hinsicht ist spannend, wie Gesetzgebung und Rechtsprechung den in sich geschlossenen Wertekanon der Rahmenrichtlinie in, neben oder über die herkömmlichen Regelungen stellen oder diese gar als lex generali verdrängt sehen.108 Dass eine Unterordnung des Diskriminierungsverbots unter die bisherigen Bestimmungen nicht möglich ist, ergibt sich bereits aus seiner unionsrechtlichen Grundlage. Angesichts der starken Tradition altersanknüpfender Differenzierungen im Bereich von Beschäftigung und Beruf ist die Auflösung möglicher Widersprüche zwischen mitgliedstaatlichem Recht und unionsrechtlichem Diskriminierungsverbot von besonderer Bedeutung.

Ob es zu solchen Widersprüchen kommt, hängt naturgemäß in erster Linie von Inhalt und Adressatenkreis des Diskriminierungsverbots ab. Wie die Erwägungsgründe 1 und 4 zur Rahmenrichtlinie zeigen, steht der Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 1 RahmenRL im Geiste der zentralen völkerrechtlichen Übereinkommen zum Menschenrechtsschutz. Deswegen werden nach einer Darstellung von Altersdiskriminierung als gesellschaftlichem und insbesondere arbeitsmarktbezogenem Phänomen109 die völkerrechtlichen Vorläufer des Diskriminierungsverbots erörtert.110 Eine Behandlung spezifischer ←45 | 46→Grundfragen zu diesem Bereich kann dabei nur wesentliche Punkte wie die Wirkung völkerrechtlicher Normengehalte im Arbeitsverhältnis betreffen. Eine nähere Erörterung der Kollisionsregeln zwischen universellem Völkerrecht und Unionsrecht erfolgt nur, soweit tatsächlich unauflösbare Widersprüche vorliegen.

Dass es im Verhältnis des Unionsrechts zum deutschen Recht zu solchen Kollisionen gekommen ist, zeigen bereits die Entscheidungen des EuGH zur Rechtswidrigkeit von § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a.F. und § 622 Abs. 2 S. 2 BGB.111 Bevor daher die Wirkung des Diskriminierungsverbotes zwischen Privaten in ihrer Entwicklung bis zum Inkrafttreten der Grundrechtecharta des Europäischen Union dargelegt wird,112 zeigen die Abschnitte C. I. und C. II. Telos113 und die unionsrechtliche Rechtsgrundlage der Rahmenrichtlinie im europäischen Zuständigkeitsgefüge auf.114,115 Auf eine weitergehende Überprüfung der Richtlinienvorgaben anhand unionsrechtlicher und der mitgliedstaatlicher Grundrechte muss jedoch verzichtet werden.116 Die hierzu bereits vorliegenden Untersuchungen117 kommen teilweise zum Ergebnis, dass Grundrechte der Arbeitgeber verletzt seien.118 Die Entscheidung des EuGH zu sog. Unisex-Tarifen in der Versicherungsbranche hat gezeigt, dass das Richtlinienrecht nicht ←46 | 47→vor einem Verdikt der Ungültigkeit gefeit ist.119 Was die nationalen Grundrechte angeht, hat die italienische Corte di Cassazione keinerlei Zweifel an der Unbedenklichkeit der Umsetzung der RL 2000/43/EG, da der Gesetzgeber hierzu unionsrechtlich verpflichtet war.120 Schließlich ist mit Blick auf den Inhalt des Diskriminierungsverbots eine umfassende Darstellung von Art. 21 Abs. 1 GRC verzichtbar, nachdem der EuGH in ständiger Rechtsprechung betont, dass die Vorschrift durch die Rahmenrichtlinie konkretisiert wird.121

Dies lenkt den Blick auf die strukturellen Umsetzungsvorgaben der Rahmenrichtlinie und insbesondere des Verbots der Altersdiskriminierung.122 In diesem Zusammenhang werden allgemein unionsrechtliche und speziell der Richtlinie inhärente Grundvorgaben erläutert. Angesichts der Fülle an unbestimmten Rechtsbegriffen in der Rahmenrichtlinie geben die allgemeinen Grundsätze der Effektivität, Transparenz, Kohärenz und Äquivalenz wertvolle Hinweise und dienen den Gerichten häufig als Interpretationshilfe. Der Rahmennichtlinie eigen sind ihre Querschnittsvorgaben zu Regelungsdichte und Schutzrichtung sowie Form und Verfahren ihrer Umsetzung. Die Umsetzungsvorgaben schaffen mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand handhabbare Vergleichsparameter.

Die Darstellung der nationalen Diskriminierungsverbote vor und die Beleuchtung des rechtspolitischen Umfelds bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie fällt für Italien detaillierter aus als für Deutschland.123 Zur Situation in Deutschland liegen zum einen bereits umfangreiche Studien vor,124 so dass eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ausreichend erscheint. Zum anderen hat der deutsche Gesetzgeber § 611a BGB a.F.125 mit Inkrafttreten des ←47 | 48→AGG aufgehoben126 und § 81 Abs. 2 SGB IX127 verweist auf das AGG, während die einfachgesetzlichen Diskriminierungsverbote des italienischen Rechts auch nach Erlass der Umsetzungsvorschriften zur Rahmenrichtlinie fortbestehen.128

Auf Grundlage der gefundenen Ergebnisse werden in Teil 4 die für den Vergleich notwendigen Länderberichte erarbeitet. Zusammen mit Teil 5 bilden sie den inhaltlichen Kern der Untersuchung. Dabei soll versucht werden, die Rechtslagen nicht nur zu referieren, sondern anhand der strukturellen Umsetzungsvorgaben zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den konkreten Auswirkungen der Richtlinienumsetzung auf das positive Recht und die mitgliedstaatliche Rechtsprechung. Die Abschnitte zum Anwendungsbereich,129 den Diskriminierungsformen,130 den erlaubten Ungleichbehandlungen,131 den Rechtsfolgen einer Diskriminierung132 und den Rechtsschutzmöglichkeiten133 betreffen jeweils in sich abgeschlossene Themenkreise, wobei die Bezüge zum Gesamtsystem stets im Blick behalten werden. Ein Beispiel dafür ist die Inkorporierung des Diskriminierungsverbots in die nationalen Kündigungsschutzsysteme: Während im Abschnitt zum Anwendungsbereich134 geklärt wird, in welchem grundsätzlichen Verhältnis die Regelungskomplexe zueinander stehen, betrachtet der Abschnitt zu den erlaubten Ungleichbehandlungen135 die im Allgemeinen zulässigen Ziele einer Differenzierung in diesem Bereich. Die so gefundenen Erkenntnisse werden dann anhand konkreter Regelungen in den Ländern im Abschnitt Einzelfragen136 ausgewertet.137 Dabei geht es der Untersuchung nicht um eine Betrachtung sämtlicher ←48 | 49→Regelungen, die in Deutschland und Italien (un)mittelbar an das Alter anknüpfen. Für manche Teilaspekte sind schon keine funktionalen138 Entsprechungen im jeweils anderen Land ersichtlich, weswegen sie für einen Rechtsvergleich ungeeignet erscheinen.139 Zum anderen ist es ein Anliegen der Untersuchung, anhand der Einzelfälle Grundstrukturen aufzuzeigen. Insbesondere interessiert hier, welche Differenzierungsziele in den beiden Ländern verfolgt werden und ob diese mit dem Diskriminierungsverbot in Einklang stehen. Nachdem dabei z.B. die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit im Rahmen der sozialen Auswahl das gleiche Ziel verfolgt wie bei der Bemessung der Kündigungsfristen, erscheint es ausreichend, sich auf die zentralen Themenkomplexe zu beschränken.

Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht möglich, zu sämtlichen Auslegungsproblemen im deutschen Recht eigene Lösungen zu entwickeln. Dies würde aufgrund des rechtsvergleichenden Charakters den Rahmen sprengen. Es kann grundsätzlich nur darum gehen, die Diskussion zusammenzufassen und auf Grundlage der maßgeblichen Rechtsprechung die Umsetzung des Diskriminierungsverbots zu prüfen. Dies schließt eine wertende Betrachtung insbesondere zentraler Fragen freilich nicht aus.

Ferner verbietet es die grundsätzliche Zurückhaltung rechtsvergleichender Untersuchungen bei der Bewertung des fremden Rechts,140 das italienische Arbeitsrecht auf seine Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot zu prüfen. Dies muss der italienischen Rechtsprechung, der Lehre sowie dem EuGH überlassen werden. Insofern können allenfalls Tendenzen geäußert werden. Vielmehr geht es darum, dem deutschen Recht ähnliche Strukturen (etwa einer Entgeltsteigerung mit zunehmender Betriebszugehörigkeit) aufzuspüren und zu ermitteln, wie der italienische Gesetzgeber insoweit auf die Rahmenrichtlinie reagiert (hat). Daraus können gegebenenfalls Schlussfolgerungen oder alternative Lösungsvorschläge für das deutsche Recht gezogen werden. Dies gilt ←49 | 50→insbesondere für den Bereich der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Hier besteht aufgrund der Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe weiter Raum für nationalrechtlich individuelle Lösungen, weswegen sich hier nationale Eigenheiten und Traditionen besonders gut gegenüberstellen lassen. Dabei wird soweit wie möglich auch auf die italienische Rechtsprechung eingegangen, die sich einer „(teils gewollten) Untätigkeit des Gesetzgebers“141 gegenübersieht und daher in besonderem Maße an der Entwicklung des (zersplitterten) Arbeitsrechts Anteil hat.

III. Altersdifferenzierungen als Phänomen des Arbeitsmarkts

Wie bereits dargelegt, haben altersanknüpfende Differenzierungen in Beschäftigung und Beruf eine lange Tradition. Gleichzeitig treten die zahlenmäßig häufigsten Diskriminierungen in diesem Bereich im Zusammenhang mit dem Alter auf.142 Dabei ist bereits an dieser Stelle hervorzuheben, dass das Verbot der Altersdiskriminierung nicht an die Zugehörigkeit zu bestimmten Altersgruppen anknüpft. Sein Tatbestand setzt nur voraus, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters erfolgt.143 Die Frage, ab welchem Alter ein Beschäftigter zur Gruppe der „älteren“ oder der „jüngeren“ Arbeitnehmer gehört, kann jedoch wichtig sein, wenn eine Ungleichbehandlung beispielsweise der Eingliederung oder dem Schutz Älterer oder Jüngerer dienen soll.144 Die bereits angesprochene Linearität des Alters erschwert seine (genaue) Qualifizierung als hoch oder niedrig. Die Antwort hängt auch davon ab, unter welchem Blickwinkel man sich der Frage nähert145 und ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das Alter als Gradmesser für soziale Schutzwürdigkeit herangezogen werden soll.

1. Der Begriff der „älteren Arbeitnehmer“

Anknüpfungspunkte können hier arbeitssoziologische Untersuchungen bieten (dazu Abschnitt a). Interessant kann ferner die arbeitsmarktpolitische Beurteilung des Gesetzgebers bzw. deren gesetzliche Umsetzung sein (dazu Abschnitte ←50 | 51→b) und c). Schließlich lohnt ein Blick auf die tarifliche Praxis an das Alter anknüpfender Regelungen (dazu Abschnitt d).

a) Arbeitssoziologische Annäherung

Unter arbeitssoziologischen Gesichtspunkten werden als ältere Arbeitnehmer Personengruppen bezeichnet, die im Erwerbsleben bzw. auf dem Arbeitsmarkt aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Leistungsinsuffizienzen in überdurchschnittlichem Maße mit altersbedingten Schwierigkeiten bzw. Risiken konfrontiert sind146. Dabei werden (insbesondere auf Grundlage der Arbeit von Hofbauer147) in situativer Betrachtungsweise je nach Fragestellung „kritische Altersschwellen“148 unterschieden. Trotz gewisser Schnittmengen bietet sich zur Systematisierung eine Unterteilung in betriebliche, unternehmensbezogene und arbeitsmarktpolitische Fragestellungen an.

Betriebliche Altersschwellen setzen an Problematiken des laufenden Arbeitsprozesses an. Betroffen sind hierbei insbesondere Fragen der Arbeitsplatzgestaltung sowie der Mobilität im Betrieb innerhalb einer Hierarchieebene149. Betriebliche Entscheidungsträger bzw. die Betriebspartner betrachten im Durchschnitt das 50. Lebensjahr als Zeitpunkt für eine Zuordnung zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer.150

Unternehmensbezogene Altersschwellen betreffen Fragestellungen, die über den arbeitstechnischen Bereich hinausgehend von personalpolitischer Bedeutung für das Unternehmen sind. Gemeint werden damit vor allem die Themenkreise Aufstiegschancen, Fluktuation und Weiterbildung. In diesem Bereich bewegen sich die kritischen Altersschwellen zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr151.

←51 | 52→

Geht es schließlich um die arbeitsmarktpolitische Situation von älteren Arbeitnehmern, so sind i.d.R. Personen ab einem Lebensalter zwischen 50 und 55 Jahren angesprochen.152 Relevante Merkmale sind hier das Risiko bzw. die durchschnittliche Dauer von Arbeitslosigkeit oder das Durchschnittsalter beim Eintritt von Erwerbsminderungen.153 In diesem Bereich wird auch nach Arbeitsplatzinhabern und Arbeitslosen unterschieden.154 Für Letztere wird aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Möglichkeiten zum Austritt aus dem Erwerbsleben eine Unterteilung in die Gruppen von 45155 bis 54 und 55 aufwärts vorgeschlagen.156 Geht es um die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Erwerbssituation Älterer, so werden i.d.R. Personen ab dem 50. Lebensjahr in Betracht gezogen157.

Neben diese Systematisierung nach Themenkreisen tritt eine sektorale Trennung nach Wirtschaftszweigen, Tätigkeitsbereich und Geschlechtszugehörigkeit.158 Während Arbeitnehmer in der Verwaltung ab einem Lebensalter zwischen 50 und 55 als „älter“ gelten,159 zählen Software-Entwickler bereits mit 35–40 Jahren zu den „älter werdenden Mitarbeitern“160 und Models oder Berufssportler können schon mit 30 zu den Älteren gehören.161

←52 | 53→

Ohne Festlegung auf ein kalendarisches Alter kommt zwar die Definition der OECD aus, nach der zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer Personen gehören, die in der zweiten Hälfte des Berufslebens stehen, das Rentenalter noch nicht erreicht haben, sowie gesund und arbeitsfähig sind.162 Diese wird jedoch wegen ihrer Beeinflussbarkeit durch institutionelle Rahmenbedingungen wie das gesetzliche Renteneintrittsalter als nicht operationalisierbar verworfen.163

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in arbeitssoziologischen Untersuchungen eine allgemeingültige Altersschwelle nicht existiert,164 sondern bei der Qualifizierung als „älterer Arbeitnehmer“ Kontext und Fragestellung eine entscheidende Rolle spielen. Der Begriff des älteren Arbeitnehmers wird nicht theoretisch, sondern empirisch-situativ gewonnen.

b) Politische Betrachtung

Auf internationaler Ebene übernimmt die IAO die arbeitssoziologische Definition und erfasst mit der ihrigen alle Arbeitnehmer, die wegen ihres zunehmenden Alters auf Schwierigkeiten in Beschäftigung und Beruf stoßen können.165 Auf Unionsebene werden als ältere Arbeitnehmer mehrheitlich Personen zwischen 55 und 64 Jahren bezeichne.166 Die nationale Beschäftigungspolitik in Deutschland geht von Altersschwellen zwischen 50 und 55 Jahren aus167. In Italien werden dem europäischen Vorbild folgend 55–64-Jährige als „Ältere“ (anziani) betrachtet168.

←53 | 54→
c) Gesetzliche Wertung

Die Rahmenrichtlinie enthält keine Definition der älteren Arbeitnehmer und erst recht keine Beschränkung ihres Schutzbereichs auf bestimmte Altersgruppen.169 Gleichzeitig betrachtet der Unionsgesetzgeber ausweislich Art. 2 Nr. 4 lit. a) und lit. d) VO (EG) Nr. 651/2014 staatliche Beihilfen für Arbeitnehmer zwischen 15 und 24 sowie Arbeitnehmer ab 50 als grundsätzlich (aus sozialen Gründen) mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.170 Die IAO-Empfehlung Nr. 162 betreffend ältere Arbeitnehmer gilt gemäß Art. 1 Abs. 1 für alle Arbeitnehmer, die wegen ihres zunehmenden Alters auf Schwierigkeiten in Beschäftigung und Beruf stoßen können. Sie übernimmt damit den empirisch-situativen Ansatz der Arbeitssoziologie.

Der deutsche Gesetzgeber hat bei Erlass des AGG hervorgehoben, dass Personen ab 50 besonders häufig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.171 Das BAG geht in negativer Abgrenzung davon aus, „dass ein Arbeitnehmer jedenfalls ab Vollendung des 31. Lebensjahres offensichtlich kein älterer Beschäftigter i.S.v. § 10 S. 3 Nr. 1 AGG ist.172 An das kalendarische Alter anknüpfende Anhaltspunkte für die Frage, ab wann ein Arbeitnehmer „älter“ ist, finden sich ferner in altersdifferenzierenden Regelungen, deren Zweck in der Erhöhung der Beschäftigungsquoten ab einem bestimmten Mindestalter besteht. Der Gesetzgeber des § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a.F. beispielsweise hielt Sonderregelungen in Bezug auf Arbeitnehmer ab dem 59. Lebensjahr für erforderlich.173 § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a.F. senkte diese Grenze zeitweise (die Möglichkeiten kalendermäßiger Befristung nach § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG bzw. § 14 Abs. 2a TzBfG eingerechnet) auf 50174 bzw. 48 Jahre175 ab. Die damals bis zum 31.12.2006 befristete Herabsetzung des Mindestalters zeigte, dass auch in den Augen des Gesetzgebers die Qualifizierung als „älter“ keine dauerhafte Eigenschaft sein muss, sondern von ←54 | 55→den jeweiligen (auch akuten) wirtschaftlichen, insbesondere arbeitsmarktpolitischen Bedingungen abhängen kann.176 Die aktuelle Fassung des § 14 Abs. S. 1 TzBfG stellt auf das 52. Lebensjahr ab, setzt aber zusätzlich eine mindestens viermonatige Arbeitslosigkeit voraus. § 417 SGB III a.F. griff die Problematik des beruflichen Abstiegs bei Berufswechsel ab einem bestimmten Lebensalter auf und gewährte Personen ab der Vollendung des 50. Lebensjahres als Anreiz zur Übernahme auch geringer entlohnter Tätigkeiten Leistungen zum Ausgleich etwaiger Lohndifferenzen.177 Die gleiche Zielsetzung verfolgte der Gesetzgeber mit der Befreiung des Arbeitgebers von der Zahlung seines Anteils zur Arbeitslosenversicherung gemäß § 418 Abs. 1 SGB III bei Einstellung eines Arbeitslosen ab 55 Jahren.178 Beschäftigte ab dem 50., 55. und 58. Lebensjahr haben aufgrund ihrer (aus Sicht des Gesetzgebers) besonderen Probleme bei der Wiedereingliederung in Beschäftigung ferner gemäß § 147 Abs. 2 SGB III im Gegensatz zu jüngeren Arbeitslosen Aussicht auf Gewährung von Arbeitslosengeld über zwölf Monate hinaus.179 Insgesamt kann also festgehalten werden, dass der Gesetzgeber bei Maßnahmen zugunsten älterer Arbeitnehmer im Wesentlichen Personen ab einem Alter zwischen 50 und 55 Jahren im Blick hat,180 während die Statistiken der BA hingegen Personen bereits ab einem Alter von 45 zu den älteren Arbeitnehmern zählen.181 Was die gesundheitliche Konstitution angeht, betrachtet der Gesetzgeber Menschen ab dem 55. Lebensjahr ausweislich des § 6 Abs. 3a SGB V als relativ riskant im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Blick auf Entlassungsentschädigungen bzw. Abfindungen ermöglicht § 34 Abs. 3 EStG ←55 | 56→Beschäftigten eine vergleichsweise günstige Besteuerung, wenn der Betroffene das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist.

Auch im italienischen Recht ist ein Begriff des älteren (oder jüngeren Arbeitnehmers) nicht allgemein gesetzlich definiert.182 Allerdings verweist etwa Art. 2 Abs. 1 lit. k) D. lgs. 276/2003 zur Definition benachteiligter Arbeitnehmer im Arbeitsmarkt auf die beihilfenrechtliche VO (EG) Nr. 651/2014 und somit auf Personen zwischen 15 und 24 sowie ab 50.183 Das Schrifttum nimmt stärker die konkrete Situation in den Blick und betrachtet Personen über 50, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, als altersbedingt benachteiligt. Eine zu Anfang der 2000er Jahre auf den Weg gebrachte Reform der Teilzeitarbeit sollte unter anderem dazu beitragen, Personen über 55 in den Arbeitsmarkt integrieren.184

d) Praxis der Tarifparteien

Schließlich sind der Tarifpraxis aufgrund ihrer Sachnähe Hinweise dafür zu entnehmen, ab wann von älteren Arbeitnehmern gesprochen werden kann. Tarifliche Ausschlüsse ordentlicher Kündigungen sind in Deutschland ab Altersschwellen zwischen 45 und 53 Jahren vorgesehen.185 Klauseln zur Verdienstsicherung bei innerbetrieblicher Versetzung wegen Rationalisierung oder (teilweiser) Berufsunfähigkeit sind ab Mindestaltersschwellen zwischen 40 und 55 anwendbar.186 Tarifvertraglich dem Grunde und der Höhe nach festgelegte Abfindungsansprüche setzen ab einem Lebensalter zwischen 55 und 60 Jahren an.187 Meist wird die Gewährung von Leistungen bzw. Schutzrechten zusätzlich an die Betriebszugehörigkeit geknüpft.188 So sehen eine Reihe von Tarifverträge in Italien hieran anknüpfend höhere Urlaubsansprüche vor.189 Altersteilzeittarifverträge nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) ATG erfass(t)en wegen § 1 Abs. 2 ATG Personen ab 55 Jahren.190 In der tariflichen Praxis ist somit eine dem arbeitssoziologischen Modell ←56 | 57→folgende (empirische) Systematisierung in Sachfragen einerseits und Branchen andererseits zu beobachten.

e) Zusammenfassung

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keinen allgemeingültigen Begriff des „älteren Arbeitnehmers“ gibt. Vertreten werden überwiegend Ansätze, die an kalendarischen Altersschwellen anknüpfen. Mitunter können diese überraschend niedrig sein, wie das Beispiel der Modebranche zeigt. Entscheidende Rollen spielen somit einerseits die konkrete Fragestellung sowie andererseits die Branche bzw. der Arbeitsbereich, in dem die Situation Älterer untersucht werden sollen. Bereichsübergreifend kann festgehalten werden, dass spätestens zwischen dem 50. und 55. Lebensjahr die Schwelle zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer, also derer, die aufgrund ihres Alters besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt sind, überschritten wird. Alle vorbenannten Annäherungen stellen Versuche dar, das Lebensalter – für sich genommen oder im Zusammenspiel mit anderen Faktoren – als Indikator für soziale Schutzbedürftigkeit zu operationalisieren.

2. Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer

Auf den ersten Blick werden die vorbenannten Vermutungen, wonach ein höheres Alter mit einer höheren Schutzbedürftigkeit auf dem Arbeitsmarkt einhergeht, durch statistische Befunde widerlegt. In Deutschland sind die Erwerbstätigenquoten der Altersgruppen von 55 bis 60 von 2002 bis 2012 um ca. 25% gestiegen191 und haben sich in der Gruppe von 60 bis 65 sogar mehr als verdoppelt.192 Angesichts eines altersgruppenübergreifenden Anstiegs von rund 11%193 liegt in diesen Alterskohorten ein überdurchschnittlich starker Anstieg vor. Die Quote bei den 55- bis 60-Jährigen lag 2012 sogar knapp über dem Gesamtdurchschnitt.194 Umgekehrt bewegte sich die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 65-Jährigen deutlich ←57 | 58→unterhalb des altersübergreifenden Mittels.195 In Italien sind ausweislich des Arbeitsmarkberichts des staatlichen Rates für Wirtschaft und Beschäftigung 19% aller Beschäftigten 51 Jahre oder älter. Das Gros der Erwerbstätigen (51%) ist zwischen 35 und 50 Jahren alt.196 Gleichzeitig ist auch in Italien die Erwerbstätigenquote in der Altersgruppe zwischen 55 und 66 zwischen 2010 und 2013 stark angestiegen; bei den 57- bis 60-Jährigen um bis zu 11%. Hintergrund sind hier vor allem die Verschärfungen der Zugangsvoraussetzungen für eine Rente wegen Alters. Diese führen dazu, dass Arbeitsplatzinhaber sich immer später für ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entscheiden.197

Umgekehrt ist für ältere Arbeitnehmer in Deutschland das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes zwar (u.a. aufgrund senioritätsbezogener Kündigungsschutzregelungen) geringer als im Durchschnitt. Verliert ein „Älterer“ jedoch den Job, ist er deutlich länger arbeitslos.198 2012 waren durchschnittlich 36% aller Arbeitslosen langzeitarbeitslos. Bei den Arbeitslosen zwischen 55 und 65 betrug der Anteil hingegen 47%.199 Ein ähnliches Bild zeichnet der italienische Arbeitsmarkt, wobei die Differenz zwischen altersübergreifender Quote und der Quote älterer Langzeitarbeitsloser deutlich kleiner ist.200 Dieser Befund ist grundsätzlich auch auf der europäischen Ebene festzustellen.201 Gründe für eine längere Arbeitslosigkeit können neben einer angespannten Wirtschaftslage auch Anhebungen des Renteneintrittsalters sein.202 Damit einher geht nämlich keine ←58 | 59→automatische Verlängerung der Erwerbsphase, sondern immer häufiger eine Überbrückung dieser Zeit in Arbeitslosigkeit.203 2005 erfolgte in Deutschland nur ein Drittel aller Neuzugänge zum Bezug einer Rente wegen Alters aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis204. In Italien betrug dieser Anteil 2013 sogar nur 6,2%.205

Die in Abschnitt A. III. 1. dargelegten Einschätzungen der Politik, der Gesetzgeber und der Sozialpartner sind bei statistischer Betrachtung somit im Großen und Ganzen vertretbar, wenn auch für die Beschäftigten zwischen 55 und 60 in Deutschland gewisse Abstriche gemacht werden müssen.

3. Gründe für Ungleichbehandlungen älterer Arbeitnehmer

Warum ältere Beschäftigte größere Schwierigkeiten haben, eine neue Stelle zu finden, kann auf vielerlei Gründen beruhen. In Betracht kommen hierbei nicht nur Mängel an Nachfrage der Personalverantwortlichen.

a) Mangelnde Nachfrage

Das Diskriminierungsverbot richtet sich, wie im weiteren Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein wird,206 insbesondere an (potenzielle) Arbeitgeber als Adressaten. Daher können vor allem deren Erwägungen bei der Auswahl von Bewerbern daran gemessen werden.

aa) Indogene Faktoren

Das bei Personalverantwortlichen regelmäßig vorherrschende Bild von älteren Arbeitnehmern ist janusköpfig. Es ist einerseits bestimmt von der überwiegenden Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit sowie der Lernfähigkeit und -willigkeit von Personen ab 50.207 Die Befürchtung längerer Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kann auch eine Rolle spielen.208 Umgekehrt ←59 | 60→wird dieser Personenkreis mit Eigenschaften wie beruflicher Erfahrung, Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein, Arbeitsmoral und Loyalität in Verbindung gebracht.209 Dies wirkt sich insbesondere bei der Besetzung von Führungs- und Vertrauenspositionen positiv zugunsten älterer Personen aus. Problematisch ist, dass die Zahl derartiger Arbeitsplätze begrenzt ist und diese attraktive Aufstiegspositionen darstellen.210 Hier könnten sich Personaler umgekehrt dazu herausgefordert fühlen, rentennahe Beschäftigte, deren Bindung an das Unternehmen insoweit keinen hervorgehobenen Stellenwert (mehr) hat, wegen ihres Alters nicht zu berücksichtigen.

Auch allgemein besteht bei Personalentscheidern häufig die Befürchtung, den investierten Einarbeitungs- und Qualifizierungsaufwendungen könnte aufgrund der relativ kurzen Beschäftigungszeit bis zum Renteneintritt ein zu geringes Maß an Wertschöpfung für das Unternehmen gegenüberstehen.211 Dabei ist der Anteil an Personalverantwortlichen, welche bei Personen über 50 einen hohen Qualifizierungsbedarf sehen, in Unternehmen, die keine älteren Arbeitnehmer beschäftigen, am höchsten.212

Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit von Weiterbildungsmaßnahmen ist auf das Verbleiben Älterer im Betrieb zumindest entsprechend übertragbar, da dieses aufgrund immer kürzerer Produktlebenszyklen und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach neuen Qualifikationen oft nur durch Weiterbildungsmaßnahmen gesichert werden kann. Im Ergebnis wird die Rekrutierung Jüngerer der Weiterqualifizierung Älterer aus Kostengründen überwiegend vorgezogen.213

Ein weiterer Grund für die geringere Erwerbsbeteiligung Älterer ist die Vorstellung, die ein Großteil der Personalverantwortlichen von einer wünschenswerten betrieblichen Altersstruktur hat. Bildlich gesprochen handelt es sich dabei überwiegend um eine Alterspyramide mit einer breiten Basis Jüngerer. Dies führt dazu, dass ältere Mitarbeiter lange vor dem Eintritt einer Rentenberechtigung durch Jüngere ersetzt werden.214

Eine gewisse, wenn auch untergeordnete, Rolle mögen auch ästhetische Aspekte spielen. Insbesondere in kundennahen Dienstleistungen wie in der ←60 | 61→Gastronomie oder im Verkauf werden beispielsweise jüngere Frauen aufgrund ihrer „Ausstrahlung“ bevorzugt.215

bb) Exogene Faktoren

Eines der wichtigsten Eingliederungshindernisse für ältere Arbeitnehmer sind die durch tarifliche Senioritätsrechte verursachten Kosten für die Arbeitgeber.216 Zu nennen sind beispielsweise nach Betriebszugehörigkeit und Lebensalter gestaffelte Entgelttabellen, Verdienstsicherungsklauseln und Urlaubsansprüche.217 Hinzu kommt der von vielen Arbeitgebern befürchtete Flexibilitätsverlust durch Kündigungsausschlüsse218 oder eine ältere übermäßig bevorzugende Sozialauswahl. Der Gesetzgeber des § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a.F. sprach hier von lediglich „psychologischen Einstellungsbarrieren“.219

b) Mangelndes Angebot

Eine geringe Erwerbsbeteiligung Älterer kann auch auf mangelndem Angebot beruhen. Zwar ist bereits auf den ersten Blick klar, dass das Diskriminierungsverbot insoweit keinen Anwendungsbereich hat. Allerdings kann es (zumindest theoretisch) für die Rechtfertigung einer altersanknüpfenden Ungleichbehandlung von Belang sein, ob sie einem sozial(politischen) Konsens entspricht.220

So sind viele Arbeitnehmer bestrebt, frühzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Ursache dafür kann zum einen der Wunsch nach Befreiung aus einem Zustand subjektiv empfundener Arbeitsunfähigkeit sein.221 Andererseits spielt der überwiegende soziale Konsens über die Berechtigung der Praxis der Frühverrentung zugunsten Jüngerer eine nicht zu unterschätzende Rolle.222 In ←61 | 62→Situationen notwendigen Personalabbaus können sich Beschäftigte, die, gegebenenfalls nach Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung, Zugang zu Altersrenten haben, (moralisch) verpflichtet fühlen, zugunsten Jüngerer auf ihren Arbeitsplatz zu verzichten.223 Wie die Zahlen für den italienischen Arbeitsmarkt zeigen,224 können derlei Tendenzen bei einer Verschärfung der Rentenzugangsvoraussetzungen jedoch auch kurzfristig abnehmen.

Zur Schwäche der Angebotsseite kann auch eine mangelnde Bereitschaft der Arbeitnehmer, Angebote betrieblicher Weiterbildung wahrzunehmen, gehören. Grund hierfür ist wie aufseiten der Arbeitgeber eine (zumindest subjektiv empfundene) negative Kosten-Nutzen-Relation. So kann z.B. ein tariflicher Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit dazu führen, dass der Aspekt der Arbeitsplatzsicherung bei der Entscheidung über die Teilnahme in den Hintergrund tritt.225 Ferner können qualifikationsbedingte Lohnerhöhungen umso kürzer anfallen, je rentennäher der Beschäftigte ist.226

c) Sozialrechtliche Rahmenbedingungen

Die altersbedingte Ausgliederung von Arbeitnehmern kann schließlich auch Ziel oder Reflex eines sozialrechtlichen Rahmens sein, der das Ausscheiden älterer Arbeitnehmer schon weit vor der Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung begünstigt.

Die für Angestellte bereits 1929 geschaffene227 Möglichkeit des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente ab der Vollendung des 60. Lebensjahres nach einjähriger Arbeitslosigkeit – diese wurde der Berufsunfähigkeit gleichgestellt, § 397 Abs. 1 AVG228 – sowie die Einführung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für Arbeiter 1957229 hatten in Zeiten der Vollbeschäftigung nur eine untergeordnete Bedeutung beim Rentenzugang.230 Spätestens seit Beginn der 1980er Jahre hingegen war die Regelung Gegenstand regen Missbrauchs.231 Unter Ausnutzung ←62 | 63→dieser sog. 59er-Regelung wurden die Beschäftigungsverhältnisse älterer Arbeitnehmer (meist) durch Aufhebungsvereinbarung beendet, um nach Bezug von Arbeitslosengeld Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (heute § 237 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI) zu beantragen. Etwaige Sperrzeiten wurden durch Leistungen des Arbeitgebers abgefedert. Bei maximaler Ausschöpfung der Leistungen der BA (damals 32 Monate) war eine „Frühverrentung“ in einem Alter von 57 Jahren und 4 Monaten zulasten der Arbeitslosen- und (im weiteren Verlauf) der gesetzlichen Rentenversicherung möglich. Dieser Praxis versuchte der Gesetzgeber durch die Einführung der in § 147a SGB III a.F.232 vorgesehenen Erstattungsregelungen entgegenzuwirken. Sie dienten nicht nur der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme, sondern primär der Sicherung des Verbleibs älterer Arbeitnehmer in ihren Beschäftigungsverhältnissen.233 Die Erstattungspflicht konnte der aufgezeigten Praxis jedoch – u.a. aufgrund der kostenfreien Angreifbarkeit der Erstattungsbescheide vor den Sozialgerichten – keinen wesentlichen Abbruch tun.234 Die Vorschrift wurde zum 01.04.2012 aufgehoben.235

Umgekehrt auf die Ausgliederung von Arbeitnehmern ab dem 59. Lebensjahr gerichtet waren z.B. die Normen des Vorruhestandsgesetzes.236 Nach dessen § 1 Abs. 1 wurde Arbeitgebern, die ihren aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausgeschiedenen Mitarbeitern bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, spätestens jedoch bis zur Entstehung eine Rentenanspruchs237 ein tariflich festgelegtes Vorruhestandsgeld von mindestens 65% des Bruttoarbeitsentgelts zahlten und für den ausgeschiedenen Arbeitnehmer einen Arbeitslosen oder Auszubildenden einstellten, zu diesem Vorruhestandsgeld ein Zuschuss i.H.v. 35% gewährt, § 3 Abs. 1 VRG. Dieser Anreiz zur frühzeitigen Entlassung älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand besteht nicht mehr, da der Zuschuss nur gezahlt wurde, soweit die Voraussetzungen am 01.01.1989 vorgelegen haben, § 14 VRG.238 Ein Gesetzesentwurf zur Verlängerung des VRG239 ist nicht zur Verabschiedung gelangt.240 ←63 | 64→Mit dem Altersteilzeitgesetz, das im Wesentlichen ähnliche Wirkmechanismen hatte, sollte hingegen nicht primär die Einstellung junger Bewerber, sondern im Interesse der rentennahen Beschäftigten ein gleitender Übergang in den Ruhestand ermöglicht werden, § 1 Abs. 1 AltTZG.

In Italien wurde mit der L. 247/2007 für den Rentenzugang eine Mischung aus Alter und Beitragsjahren eingeführt, wobei bei besonders schwerer Arbeit ein früherer Renteneintritt möglich ist.241 Auch in Italien begünstigte das Rentensystem lange Jahre einen immer früheren Renteneintritt.242 Das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Italien ist bis in die 1990er Jahre stetig gefallen, seitdem aber wieder stetig gestiegen.243

4. Zwischenergebnis

Es kann somit festgehalten werden, dass ältere Arbeitnehmer im bereits dargelegten Sinne244 zwar im laufenden Arbeitsverhältnis mit zunehmendem Alter und Betriebszugehörigkeit Vorteile in Gestalt steigender Vergütungen und stärkeren Bestandsschutzes genießen. Verlieren sie jedoch in einem kritischen Alter (spätestens ab 60) den Arbeitsplatz, begegnen sie (teils eben wegen dieser als „Insider“ noch genossenen Vorteile) erheblichen Schwierigkeiten. Daneben bestehen gerontologisch nicht nachweisbare Vorurteile gegenüber Produktivität, Lernwilligkeit und Flexibilität älterer Beschäftigter. Ausgenommen sind hiervon in beschränktem Ausmaß physische Attribute. All dies bestätigt grundsätzlich die Annahme größerer Vermittlungsschwierigkeiten Älterer auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn die Erwerbsbeteiligung der Altersgruppe ab 55 in den letzten zehn bis 15 Jahren gestiegen ist, liegt sie spätestens ab 60 deutlich unter dem Durchschnitt. Dies wurde über Jahrzehnte sowohl in Deutschland als auch in Italien durch sozialrechtliche Regelungen begünstigt. Insgesamt besteht grundsätzlich ein sozialer Konsens darüber, dass die älteren Beschäftigten „irgendwann“ jüngeren Kollegen oder Bewerbern weichen sollen. Die Bereitschaft hierzu nimmt jedoch ab, umso weiter der Renteneintritt für den Betroffenen entfernt ist. Gerade auch in diesen Fällen ist der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots eröffnet.

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5. Der Begriff der „jüngeren Arbeitnehmer“

Die vorliegenden Untersuchungen zur Altersdiskriminierung haben gezeigt, dass es nur wenige Ungleichbehandlungen gibt, die spezifisch mit einem als zu niedrig empfundenen Alter bzw. damit (vermeintlich) korrelierender, negativer Eigenschaften begründet werden. Zu nennen sind hier Mindestaltersgrenzen für bestimmte Tätigkeiten mit Sicherheitsbezug wie im öffentlichen Personenverkehr. Diskriminierungsrechtlich interessant sind hier vorwiegend Konstellationen, in denen der Arbeitgeber aufgrund der Art der konkreten Tätigkeit einen Bewerber mit Berufserfahrung sucht. Als Grund hierfür kommen (vermutete) Kundenerwartungen in Betracht, z.B. in beratenden Berufen,245 oder bei der Vergabe von leitenden Positionen. In diesem Bereich werden Eigenschaften wie Lebens- und Berufserfahrung, Durchsetzungsvermögen und Sozialkompetenz erwartet, Bewerbern jüngeren Alters jedoch tendenziell abgesprochen.246 Die gleiche Stoßrichtung verfolgt die höhere Vergütung eines älteren bzw. länger betriebszugehörigen Beschäftigten. Damit soll eine Lebens- oder Berufserfahrung honoriert werden, die der Jüngere aufgrund seiner noch kürzeren Lebensspanne in der Regel noch nicht hat.

Im Übrigen sind für Jüngere altersanknüpfende Benachteiligungen in der Regel Kehrseite der Vorteile, die Älteren aufgrund deren sozialer Schutzbedürftigkeit gewährt werden. Die Verstärkung des Kündigungsschutzes für Ältere wird mit deren größeren Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt begründet.247 Das Gleiche gilt für tarifliche Kündigungsausschlüsse oder (betriebs)altersbezogene Sozialplanabfindungen. Senioritätsbezogene Vergütungssysteme im laufenden Arbeitsverhältnis stellen neben der Honorierung von Berufserfahrung auch auf einen (vermeintlich) mit zunehmendem Alter steigenden Finanzbedarf ab. Höhere Urlaubsansprüche für Ältere sollen einem größeren Erholungsbedürfnis Älterer gerecht werden.248 In diesen Fällen geht es also nicht darum, dass den Jüngeren negative Eigenschaften zugeschrieben, sondern dass sie als sozial weniger schutzbedürftig eingestuft werden (sie also bessere Vermittlungschancen haben, mit weniger Geld auskommen oder weniger Erholung brauchen). Diese Vorteile werden den Jüngeren mithin nicht aufgrund ihres niedrigeren ←65 | 66→Alters verwehrt, sondern umgekehrt den Älteren aufgrund deren höheren Alters gewährt. Der Diskriminierungsschutz greift zugunsten der Jüngeren in diesen Fällen also nicht, wenn es für deren Benachteiligung keinen Grund gibt, sondern wenn es für die Bevorzugung der Älteren keinen Grund gibt.

Diskriminierungsrechtlich ebenfalls von Relevanz sind Fallgestaltungen, in denen altersanknüpfende Ungleichbehandlungen nichts mit dem konkret Betroffenen an sich, sondern mit allgemein sozialpolitischen Erwägungen begründet werden. Die Entscheidung der Tarifparteien, eine Beendigungsaltersgrenze mit regelmäßigem Rentenzugangsalter zu vereinbaren, dient aus deren Sicht oftmals von konkreten Personen losgelösten Zielen wie der Umverteilung von Arbeitsplätzen auf jüngere Alterskohorten,249 insbesondere in konjunkturell schwierigen Zeiten. Umgekehrt können der Gesetzgeber oder die Tarifparteien auch Regelungen schaffen, die den Markteintritt Jüngerer fördern sollen, indem sie die Vereinbarung für den Beschäftigten vergleichsweise schlechterer Arbeitsbedingungen gestatten.

a) Arbeitssoziologische Annäherung

Hinsichtlich der arbeitssoziologischen Erkenntnisse kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu den älteren Arbeitnehmern Bezug genommen werden.250 Jüngere sind, wie dargelegt, seltener speziell jugendbezogenen Defizitvorstellungen ausgesetzt. Soweit Positionen mit Leitungsfunktion zu vergeben sind oder (vermutete) Kundenerwartungen im Raum stehen, wird in arbeitssoziologischen Untersuchungen von einer akzeptierten Altersspanne zwischen 30 und 55 Jahren ausgegangen.251 Nach Seitz sind Arbeitnehmer bis zu einem Alter von 40 Jahren als „jüngere Arbeitnehmer“ zu betrachten.252 Für das italienische Schrifttum sieht Bonardi Personen unter 25 als jüngere Arbeitnehmer an.253 Unionsweit gibt es hingegen kaum Untersuchungen, die Beschäftigte über 29 noch zu den „Jüngeren“ rechnen.254

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b) Politische Betrachtung

Angesichts anhaltender Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union hat die Europäische Kommission 2013 im Rahmen der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (Youth Employment Initiative – YEI) den Vorschlag einer sog. „Jugendgarantie“ vorgelegt. Danach soll Menschen unter 25 Jahren, die die Schule verlassen haben oder arbeitslos geworden sind, innerhalb von vier Monaten eine hochwertige Arbeitsstelle, ein Ausbildungs- oder ein Praktikumsplatz angeboten werden.255 Zur Umsetzung dieser Jugendgarantie haben sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet.256

c) Gesetzliche Wertung

Soweit es um den Schutz der Jüngeren vor dem Arbeitsmarkt geht, betrachten die Gesetzgeber – ausgehend von der Richtlinie 94/33/EG – Personen zwischen 15 und 18 Jahren, je nach Schulpflicht und in Aussicht genommener Tätigkeit, als „zu jung“. Ist umgekehrt die Sicherheit Dritter von der ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung betroffen (etwa im ÖPNV), werden auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene Altersgrenzen zwischen 18 und 21 Jahren vorgesehen.257

Praktisch größere Bedeutung haben hier Regelungen, die jüngere Altersgruppen benachteiligen, um ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Hier hat in besonderem Maße der italienische Gesetzgeber eine ganze Reihe von Vertragstypen geschaffen, die nur mit jüngeren abgeschlossen werden können oder allgemein geltende Beschränkungen – etwa im Befristungsrecht – für jüngere Altersgruppen abgemildert.258 Wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, werden hiervon (mit unterschiedlichen Variationen) Beschäftigte und Bewerber unter 30 Jahren erfasst.259

Aus dem Bereich der allgemeinen Sozialpolitik ist eine (in der Praxis allerdings nur sehr schwach angenommene260) Regelung zur Umverteilung konkreter ←67 | 68→Arbeitsplätze von älteren Beschäftigte auf jüngere Bewerber zu nennen. Bei Abschluss eines sog. Solidaritätsvertrags261 genießt der Arbeitgeber im Fall der Einstellung eines Bewerbers zwischen 15 und 29 Jahren beitragsrechtliche Vorteile in der Sozialversicherung.262 Zur Bekämpfung der Folgen der seit 2008 schwelenden Finanzkrise wurde Gewerbetreibenden ferner für jeden unbefristet eingestellten Arbeitnehmer unter 35 Jahren ein zusätzlicher Freibetrag von € 10.600,00 in der Gewerbesteuer (IRAP) gewährt.263

Schon seit jeher betrachtet der deutsche Gesetzgeber angesichts der Regelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs als „jünger“.264 Der Gesetzgeber des AGG hat hervorgehoben, dass Personen unter 20 Jahren häufig in atypischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind.265 Das Arbeitsgericht Kiel hat für die Auslegung des AGG den arbeitssoziologischen Begriff des „Jüngeren“ herangezogen und erkannt, dass es hierfür keine festen Grenzen gibt, sondern es auf die konkrete Tätigkeit, die Entfernung zum Rentenbezug und auf das Lebensalter des Bewerbers ankommt. Nach diesem Maßstab war auch ein Bewerber mit 42 Jahren noch „jünger“.266

d) Zusammenfassung

Ähnlich wie bei den älteren Arbeitnehmern gibt es auf keiner der untersuchten Ebenen feste Grenzen für die Gruppe der jüngeren Beschäftigten. Es kommt vielmehr auf den Kontext und das verfolgte Ziel (Jugendschutz, Sicherheitsinteressen, Arbeitsmarktpolitik) an. Anders ist insofern nur, dass in aller Regel Personen ab 30 nicht mehr zu den „Jüngeren“ zählen. Die Variationsbreite ist insoweit kleiner als bei den Älteren.

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6. Erwerbsbeteiligung der jüngeren Arbeitnehmer

Jugendarbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren, insbesondere seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 sowie der darauf folgenden Wirtschaftskrise, in der Europäischen Union ein immer wichtigeres Thema geworden. Unionsweit betrug die Arbeitslosigkeit der Personen unter 25 Jahren im Jahresdurchschnitt 2013 23,7%.267 Im Durchschnitt des Jahres 2015 belief sich die Quote auf 20,3%, 2017 auf 16,8%.268

In Deutschland hat sich die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Sinne seit 1995 stets parallel zur allgemeinen Quote für die Gruppe der 15- bis 74-Jährigen entwickelt.269 Nur um das Jahr 2005 war der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit stärker als in der Gesamtbevölkerung. Von 2005 bis 2013 hat sie sich im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung in Deutschland von 15,6% auf 7,9% nahezu halbiert.270 In Italien hat die Krise für die Gruppe der jüngeren Beschäftigten die schwersten Auswirkungen gezeitigt: Dort waren 2013 35,3% aller Menschen zwischen 15 und 24 erwerbslos.271 Nur 6% aller Erwerbstätigen waren 2013 unter 25 Jahre alt,272 unter 30 waren 2013 nur 12,3%.273 Unionsweit betrug deren Anteil im Jahr 2012 demgegenüber 23,4%.274 Seit 2008 ist die Erwerbsquote der Personen von 15 bis 29 um 10,5 Prozentpunkte von 39,9% bis 29,4% gesunken.275 Besonders betroffen sind hierbei Akademiker zwischen 25 und 29, deren Erwerbstätigkeitsquote im gleichen Zeitraum um 11,6 Prozentpunkte ←69 | 70→gesunken ist.276 Insgesamt konzentriert sich die Jugendarbeitslosigkeit sowohl in Deutschland277 als auch in Italien278 wegen noch abzuschließender Schuld- oder Berufsausbildungen auf die Untergruppe der 20- bis 25-Jährigen.

Umgekehrt zeigt die Statistik, dass jüngere Bewerber es auf dem Arbeitsmarkt deutlich leichter haben, aus der Arbeitslosigkeit heraus eine neue Beschäftigung zu finden. Waren – wie bereits gesehen279 – 2012 in Deutschland durchschnittlich 36% aller Arbeitslosen langzeitarbeitslos und betrug deren Anteil in der Gruppe zwischen 55 und 65 Jahren 47%, lag der Anteil der Langzeitarbeitslosen bei den Beschäftigten von 15 bis 25 bei 10%. Bei 60% betrug die Dauer der Arbeitssuche weniger als vier Monaten.280 In Italien beträgt der Unterschied zwischen jungen Langzeitarbeitslosen und dem Gesamtdurchschnitt hingegen ca. 10 Prozentpunkte, wobei auch dort 2012 „nur“ 9,9% der 15- bis 24-Jährigen länger als ein Jahr arbeitslos waren.281

7. Gründe für Ungleichbehandlungen jüngerer Arbeitnehmer

Die vorstehend dargelegten Statistiken stützen die Eingangsthese, wonach Ungleichbehandlungen wegen des Alters nur selten durch Defizitvorstellungen bezüglich Jüngerer motiviert sind. Anderenfalls wäre nicht zu erklären, warum die Jugendarbeitslosigkeit offenbar seit vielen Jahren dem allgemeinen Trend folgt und Jüngere selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten (wie der italienische Markt zeigt) unterdurchschnittlich oft langzeitarbeitslos sind. Die Gründe sind daher in der allgemeinen Konjunktur sowie – teils – in Defiziten der Ausbildung282 zu suchen. Letzteres wird durch die niedrigeren Arbeitslosenquoten von Inhabern höherer Bildungsabschlüsse gestützt.

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8. Ergebnis

Im Gegensatz zu älteren Beschäftigten sehen sich jüngere Arbeitnehmer und Bewerber in geringerem Ausmaß altersanknüpfenden Vorbehalten ausgesetzt. Diskriminierungsrechtlich bedeutsam kann hier allenfalls die Forderung einer gewissen Berufserfahrung, mitunter im Zusammenhang mit vermuteten Kundenerwartungen sein. Die Erwerbsbeteiligung der jüngeren Altersgruppen bis 29 Jahren korreliert vielmehr mit der allgemeinen Wirtschaftslage. Der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots kann insoweit dann eröffnet sein, wenn für Jüngere vergleichsweise nachteilige Arbeitsbedingungen – etwa im Bereich von Befristung oder Vergütung – ermöglicht werden.

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1 Aus den Schriftrollen von Qumran ergibt sich eine Altersgrenze für Richter, die danach nicht jünger als 25 und nicht älter als 60 Jahre alt sein sollten, Schmitz-Scholemann/Brune, RdA 2011, 129 (135).

2 So auch Schlachter, GS Blomeyer II, S. 355; Preis, NZA 2006, 401 (410); Bauer/Arnold, NJW 2006, 6 (12); Straube/Hilgenstock, ArbRAktuell 2010, 567. Im Interesse der Sachlichkeit der Darstellung wird auf die pauschale Verwendung des Wortes „Diskriminierung“ verzichtet, wenn es darum geht, den Tatbestand einer Benachteiligung bzw. Ungleichbehandlung zu benennen. Als Diskriminierung mag die von keinem oder keinem zulässigen Grund getragene Benachteiligung gelten. Vgl. auch Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 24 f. und Ballestrero, Lav. dir. 2004, 501 (511).

3 Die Einteilung in Statusentscheidungen und Entgeltvereinbarungen geht zurück auf Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, 1234 (1238 f.).

4 Vgl. allein für den öffentlichen Dienst § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD.

5 Z.B. Zulassungsvoraussetzungen wie § 10 Nr. 9 FeV für eine Tätigkeit als Linienbusfahrer, dazu Abschnitt L. I. 2. b).

6 Z.B. das Mindestalter für Basketballprofis in der NBA, dazu Vieweg/Krause, Germany, S. 111, Rn. 146.

7 Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 458.

8 Vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG zur sachgrundlosen Befristung im deutschen oder Art. 13 Abs. 2 D. lgs. 81/2015 zur erleichterten Verwendung von Arbeit auf Abruf im italienischen Recht, dazu Abschnitte L. I. 3. b) und L. I. 3. c) bb) (3).

9 Vgl. z.B. § 1 Abs. 3 S. 1, 1. Hs. KSchG für die Sozialauswahl im deutschen oder Art. 5 Abs. 3 L. 223/1991 im italienischen Recht, dazu Abschnitte L. III. 2. b) und L. III. 2. c) bb).

10 Ungezählt sind die Stellenanzeigen, die mehrjährige berufliche Erfahrungen als Einstellungsvoraussetzung nennen, vgl. dazu Bispinck, Senioritätsregeln in Tarifverträgen, S. I f.; Schweitzer, Altersdiskriminierung – kein Kavaliersdelikt, S. 31 (33); Schuster, Arbeitsrechtliche Aspekte der Altersdiskriminierung, S. 36. In einer Stellenausschreibung für die Leitung eines Forschungsprojekts suchte sogar die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte nach Bewerbern mit mindestens neun Jahren einschlägiger Berufserfahrung, Ausschreibung TA-SEPRO-AD8-2012. Vgl. auch die Pressemitteilung des Europäischen Bürgerbeauftragten Nr. 7/2011 v. 01.04.2011 zur vermuteten Altersdiskriminierung einer 63-jährigen Bewerberin um eine Beamtenstelle bei der Europäischen Kommission (abrufbar unter www.ombudsman.europa.eu, letzter Abruf: 01.01.2019).

11 Bispinck, Senioritätsregeln in Tarifverträgen, S. II.

12 Mirto, in: Galasso (Hrsg.), Il principio di uguaglianza nella costituzione europea, S. 97.

13 MüKoBGB/Thüsing, § 5 AGG, Rn. 23; Dritter Altenbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 14/5130, S. 30; Löwisch/Caspers/Neumann, Beschäftigung und demographischer Wandel, S. 10; Kaske, Das Direktionsrecht im Berufssport, S. 148. Zur Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen mit Profifußballspielern Walker, NZA 2016, 657.

14 Sattler, Der Arbeitnehmer, Heft 2/2005, 16 (17).

15 Gleiches gilt für Italien, Rymkevitch, Age discrimination in Italy, S. 10.

16 Vgl. Simitis, KritV 2004, 233 (234).

17 Simitis, KritV 2004, 233 (235); Preis, NZA 2006, 401 (410) spricht von einem „nicht zu begreifenden Jugendwahn“.

18 Schmitt, ZGuG 2001, 218 (220).

19 Sattler, Der Arbeitnehmer, Heft 2/2005, 16.

20 Vgl. Körner, Das internationale Menschenrecht auf Arbeit, S. 12; Ziller, KritV 2004, 255 (256).

21 Sattler, Der Arbeitnehmer, Heft 2/2005, 16 (17).

22 Vgl. KOM(1999) 565 endg., S. 7.

23 Sattler, Der Arbeitnehmer, Heft 2/2005, 16 (17).

24 Vgl. Schmitt, ZGuG 2001, 218 (219, 230 f.).

25 BAG, NZA 1985, 702 (708); BAG, NJW 1956, 359 (360); Körner, Das internationale Menschenrecht auf Arbeit, S. 12; Präambel des ILO-Übereinkommens Nr. 168.

26 Bayreuther, NZA-Beilage 2011, Heft 1, S. 27 (29); Waltermann, NJW 2008, 2529 (2534); Löwisch/Caspers/Neumann, Beschäftigung und demographischer Wandel, S. 10, 12; Stellungnahme der Bundesregierung in EuGH, NZA 2010, 1167 (1169), Rn. 43 – Rosenbladt. Dies zeigt auch das starke Interesse an der abschlagsfreien Rente mit 63 in Deutschland, die bis Ende Dezember 2014 von rund 206.000 Versicherten beantragt wurde, Pressemitteilung der Deutschen Rentenversicherung vom 19.01.2015, abrufbar unter www.deutsche-rentenversicherung.de (letzter Abruf: 24.01.2015).

27 von Hoff, Altersdiskriminierung, passim, insb. S. 58 ff.

28 Abschnitt L. III. 3.

29 Dazu GAin Kokott, Schlussanträge v. 06.05.2010 zur Rs. C-499/08 – Ingeniørforeningen i Danmark (Andersen), Rn. 69. So auch der erste Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes in BT-Drs. 15/5717, S. 35.

30 Groß, Altersdiskriminierung, S. 60 ff.

31 Senne, Altersdiskriminierung, S. 39 ff.; Bonardi, Riv. giur. lav. 2008, 565 (589); Glajcar, Altersdiskriminierung durch tarifliche Vergütung, S. 13 ff.

32 Senne, Altersdiskriminierung, S. 49 ff.; Glajcar, Altersdiskriminierung durch tarifliche Vergütung, S. 15.

33 Bosch/Schief, WSI-Mitteilungen 2005, 32 (38) zu den Potentialen der Mobilisierung von Erfahrungswissen.

34 Bundesinstitut für berufliche Bildung, Berufliche Weiterbildung älterer Beschäftigter.

35 Hahn, Altersdiskriminierung, S. 17, 21; Lassandari, Le discriminazioni nel lavoro, S. 153; Erwägungsgrund 5 zum beschäftigungspolitischen Programm „Progress“, Beschl. 1672/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.2006 über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität.

36 Reinhard, Einführung, S. 12.

37 Buck, Öffentlichkeits- und Marketingstrategie demographischer Wandel, S. 11 (11 f.). Allgemein zur Notwendigkeit und den rechtlichen Rahmenbedingungen der Weiterarbeit nach der Regelaltersgrenze Waltermann, NJW 2018, 193 ff.

38 Bonardi, Riv. giur. lav. 2008, 565 (588); Casale, Dir. relaz. ind. 2005, 938 (939).

39 MüKoBGB/Thüsing, § 10 AGG, Rn. 2.

40 Di Santo, Dir. pubbl. comp. ed eur. 2012, 235 (238) spricht von einem fattore fluido, einem im Fluss begriffenen Faktor.

41 Zöllner, GS Blomeyer II, S. 517 (532 mit Fn. 42); Linsenmaier, Sonderbeilage zu RdA 2003, Heft 5, S. 22 (25).

42 So der Gesetzentwurf zum AGG, BT-Drs. 16/1780, S. 36.

43 BAG, NZA 2010, 561 (563), Rn. 20, 25; Simitis, KritV 2004, 233 (236).

44 Rat der Europäischen Union, Ratsdokument 9423/00 SOC 226 JAI 69 v. 20.06.2000, S. 5; Bieback, in: Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht (6. Aufl.), Art. 19 AEUV, Rn. 23 f.

45 Bonardi, in: Barbera (Hrsg.), Il nuovo diritto antidiscriminatorio, S. 125 (129 ff.).

Details

Seiten
718
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631792810
ISBN (ePUB)
9783631792827
ISBN (MOBI)
9783631792834
ISBN (Hardcover)
9783631785973
DOI
10.3726/b15752
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Rechtsvergleich Richtlinie 2000/78/EG Strukturelle Umsetzungsvorgaben Völkerrechtliche Vorläufer Unionsrechtskonforme Auslegung Europäischer Gerichtshof
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 718 S.

Biographische Angaben

Andreas Krause (Autor:in)

Andreas Krause studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er war dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Arbeitsrecht sowie am Institut für Recht und Technik tätig.

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Titel: Das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht
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