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Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V

unter besonderer Berücksichtigung des Nutzenbegriffs

von Christian Martin (Autor:in)
©2019 Dissertation 196 Seiten

Zusammenfassung

Seit dem Jahr 2011 wird gemäß § 35a SGB V der Nutzen aller neu zugelassenen Arzneimittel vom IQWIG bewertet. Das Ergebnis der Nutzenbewertung ist für die Versichertengemeinschaft und die pharmazeutischen Unternehmer von gleichermaßen hoher Bedeutung.
Eine Legaldefinition des Nutzenbegriffs allerdings besteht bis heute nicht.
Die vorliegende Publikation beleuchtet das Verfahren der Nutzenbewertung und die sich in der Anwendung des § 35a SGB V stellenden Rechtsfragen. Aus den gesetzlichen und untergesetzlichen Bestimmungen wird der Nutzenbegriff geschärft und untersucht, wie aus medizinisch und sozialrechtlich identifizierten Nutzenpotentialen ein Nutzen im Sinne der Versichertengemeinschaft ermittelt und bewertet werden kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • VORWORT UND DANKSAGUNG
  • INHALTSVERZEICHNIS
  • ABBILDUNGSVERZEICHNIS
  • ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
  • EINLEITUNG:
  • KAPITEL 1: DER VERTRIEB VON ARZNEIMITTELN IM SYSTEM DER GKV
  • A. Arzneimittelpreise und Ausgabenentwicklung der GKV
  • B. Die Gesundheitsreformen der jüngeren Vergangenheit
  • C. Regulatorische Vorgaben zum Arzneimittelvertrieb
  • I. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln aus §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V
  • 1. Voraussetzungen des Anspruchs
  • 2. Inhalt des Versorgungsanspruchs – Sachleistungsprinzip
  • II. Das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V
  • 1. Inhalt des Wirtschaftlichkeitsgebots
  • 2. Spannungsverhältnis zwischen Versorgungsanspruch und Sachleistungsprinzip
  • III. Einschränkungen des Versorgungsanspruchs
  • 1. Einschränkungen nach § 34 SGB V
  • 2. Ausschluss von Arzneimitteln durch Richtlinien des G-BA
  • D. Preisbildung für Arzneimittel in der GKV
  • I. Der Vertriebsweg von Arzneimitteln
  • II. Einheitlicher Abgabepreis nach § 78 Abs. 2 AMG
  • III. Preisbildung nach der Arzneimittelpreisverordnung
  • 1. Herstellerabgabepreis
  • 2. „Vierte Hürde“
  • 3. Großhandelszuschlag
  • 4. Apothekenzuschlag
  • 5. Abschläge
  • a. Apothekenrabatt, § 130 Abs. 1 SGB V
  • b. Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer, § 130a SGB V
  • c. Wettbewerb als Preisfindungskomponente
  • E. Zwischenfazit
  • KAPITEL 2: BISHERIGE KONZEPTIONEN DER NUTZENBEWERTUNG UND KOSTENSENKUNGSINSTRUMENTE IM SOZIALRECHT
  • A. Die Festbetragsregelung nach § 35 SGB V
  • B. Erweiterung der Festbetragsregelung und Richtlinien des G-BA nach dem GKV-Modernisierungsgesetz
  • I. Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach dem GMG
  • II. Die Festbetragsregelung für sogenannte „Analogpräparate“
  • III. Verordnungseinschränkungen nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V
  • C. Kosten-Nutzen-Bewertungen und Höchstpreise nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
  • 1. Ausgangssituation
  • 2. Kosten-Nutzen-Bewertungen nach dem GKV-WSG
  • 3. Höchstbeträge als Preisregulierungsinstrument
  • D. Zwischenfazit
  • KAPITEL 3: DIE NUTZENBEWERTUNG UND ERSTATTUNGSVEREINBARUNG NACH DEM GESETZ ZUR NEUORDNUNG DES ARZNEIMITTELMARKTS – AMNOG
  • A. Ausgangslage und Reformbestrebungen
  • B. Gesetzgebungsverfahren des AMNOG
  • C. Die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V
  • I. Allgemeines
  • II. Die Akteure der Nutzenbewertung und der Preisverhandlung
  • 1. Der Gemeinsame Bundesausschuss – G-BA
  • 2. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWIG
  • a. Gründung und Organisation
  • b. Rechtsform und Legitimation des IQWIG
  • c. Aufgaben und Arbeitsweise
  • 3. Der GKV-Spitzenverband
  • III. Ablauf der Nutzenbewertung und der Vereinbarungen über Erstattungsbeträge
  • IV. Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben durch Rechtsverordnungen
  • V. Bindungswirkung der Verfahrensordnung des G-BA
  • VI. Voraussetzungen der Nutzenbewertung
  • 1. Erstattungsfähige Arzneimittel mit „neuen“ Wirkstoffen
  • 2. Bereits zugelassene und im Verkehr befindliche Arzneimittel
  • 3. “Orphan Drugs”
  • 4. Weitere Anwendungsfälle der Nutzenbewertung
  • 5. Freistellung von der Nutzenbewertung
  • VII. Das Nutzenbewertungsverfahren
  • 1. Dossier des pharmazeutischen Unternehmers
  • a. Zeitpunkt der Dossierübermittlung
  • b. Dossierinhalt
  • 2. Vergleichstherapie
  • a. Untergesetzliche Konkretisierung
  • b. Festlegung der Vergleichstherapie durch den G-BA
  • c. Standards der „evidenzbasierten Medizin“
  • aa. Evidenzbasierte Medizin als medizinisches Konzept
  • bb. Evidenzbasierte Medizin als rechtliches Konzept
  • d. Schwierigkeiten in der Praxis
  • 3. Nutzenbewertung durch das IQWIG und Beschluss des G-BA
  • a. Ablauf
  • b. Problematik der Subgruppenbildung
  • c. Verhältnis Nutzenbewertung und Zulassungsentscheidung
  • 4. Mögliche Fortentwicklung der Nutzenbewertung
  • VIII. Die Preisverhandlung nach § 130b SGB V
  • 1. Ablauf
  • 2. Erstattungsbeträge
  • 3. Entscheidung der Schiedsstelle
  • 4. Kündigung der Erstattungsvereinbarung und Antrag auf Kosten-Nutzen-Bewertung
  • D. Die Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V
  • E. Bisherige Bilanz der Nutzenbewertungen und Erstattungsvereinbarungen nach dem AMNOG
  • F. Zwischenfazit
  • KAPITEL 4: DER NUTZENBEGRIFF IM SGB V
  • A. Rechtsquellen
  • I. Verwendung des Nutzenbegriffs im SGB V
  • II. Verwendung des Nutzenbegriffs in der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung und der Verfahrensordnung
  • III. Verwendung des Nutzenbegriffs in den Methodenpapieren des IQWIG
  • IV. Verwendung des Nutzenbegriffs in der Arzneimittelrichtlinie
  • V. Verwendung des Begriffs des Zusatznutzens
  • VI. Evidenz und Quantifizierung des Zusatznutzens
  • VII. Zwischenfazit
  • B. Komponenten des Nutzenbegriffs
  • I. Anwendung heuristischer Methodik zur Bestimmung des Nutzenbegriffs
  • II. Analytische Gesetzesauslegung zur Bestimmung des Nutzenbegriffs
  • 1. Therapieziele
  • a. Patientenrelevante Endpunkte
  • b. Surrogatparameter
  • c. Patientenrelevante Betrachtung
  • d. Indikationsspezifische Bewertung
  • e. Aufrechnung der Nutzens- und Schadenspotenziale: Aggregation des Nutzens
  • f. Therapieziele und Wertemaßstäbe nach dem SGB V
  • g. Gewichtung der Therapieziele
  • h. Fortentwicklung der Therapieziele
  • 2. Therapeutischer Effekt und Wirksamkeit nach dem AMG
  • a. Unterschiedliche Zielsetzung von AMG und SGB V
  • b. Wirksamkeit als absoluter Begriff
  • c. Vergleichstherapie
  • III. Zwischenfazit
  • IV. Notwendigkeit gesetzgeberischer Klarstellung und Ausblick
  • KAPITEL 5: SCHLUSSFOLGERUNGEN
  • LITERATURVERZEICHNIS

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EINLEITUNG:

Die Konzeptionen einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln und darauf aufbauender Preisregulierungsmechanismen haben im Sozialrecht keinesfalls Neuigkeitscharakter. Mit der zum Jahre 2011 eingeführten Nutzenbewertung nach § 35a SGB V hat sich jedoch erstmalig ein Verfahren im Sozialrecht etabliert, welches alle neu zugelassenen Arzneimittel in Deutschland auf ihren Zusatznutzen für die Versichertengemeinschaft hin überprüft, und darauf aufbauend Vereinbarungen über die Erstattungsbeträge zwischen den pharmazeutischen Unternehmern und dem GKV-Spitzenverband ermöglicht.

Ziel der Nutzenbewertung sollte seit jeher sein, die mit dem medizinischen Fortschritt einhergehenden Kostensteigerungen im Gesundheitswesen mit der Finanzierungsbereitschaft und –Fähigkeit der Versichertengemeinschaft perspektivisch in Einklang zu bringen, ohne jedoch die Versorgungsqualität einzuschränken. Seit ihrer Einführung im Jahr 2004 war die Nutzenbewertung von Arzneimitteln Gegenstand erheblicher politischer, juristischer, aber auch ethischer Auseinandersetzung und veränderte, ebenso wie die mit ihr verknüpften Preisregulierungsmechanismen, im Verlaufe der Zeit erheblich ihr Gesicht. Dabei ist bemerkenswert, dass vor allem der Prozess der Nutzenbewertung stets im Fokus der Debatte und folglich auch des Gesetzgebers stand. Dies ist nachvollziehbar, denn zweifelsfrei ist der Prozessablauf für den Erfolg und die Praktikabilität eines Nutzenbewertungsverfahrens von erheblicher Bedeutung. Das Verfahren sollte so ausgestaltet sein, dass ein umfassender, mit vertretbarem Aufwand erzielter und belastbarer Erkenntnisgewinn ermöglicht wird. Schon vermeintlich geringfügige Einzelheiten oder geringfügige Änderungen des Prozessablaufs können in der Praxis womöglich zu einer deutlichen Mehrbelastung der pharmazeutischen Unternehmer führen, ohne dass der erhoffte Erkenntnisgewinn eintritt.

Mindestens ebenso wichtig wie eine zielführende Ausgestaltung des Verfahrensablaufs ist es jedoch, das eigentliche Ziel der Nutzenbewertung klar vor Augen zu haben. Mit dem Begriff des „Nutzens“ fixiert der Gesetzgeber den Endpunkt eines Erkenntnisverfahrens, der für den Erstattungspreis eines Arzneimittels und unter Umständen sogar für die Verfügbarkeit des Arzneimittels für die Versichertengemeinschaft von erheblicher Bedeutung ist. Umso mehr erstaunt es, dass eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs bislang nicht existiert.1

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Vor dem Hintergrund der komplexen Interessens- und Bedürfnislage einer Versichertengemeinschaft und der daraus resultierenden Vielfalt an rechtlichen, politischen und vor allem auch ethischen Fragestellungen erscheint schon die Suche nach einem Minimalkonsens hinsichtlich einer weitgehend abstrakten Begriffsdefinition unmöglich.2 Gleichwohl ist es mittlerweile wohl weitgehender Konsens, dass sich die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der Ausgabenentwicklung und nicht zuletzt auch des Phänomens des demographischen Wandels zukünftig immer deutlicher stellen wird. Trotz dieser Erkenntnis und des festgestellten Handlungsbedarfs findet eine breite gesellschaftliche Debatte darüber derzeit noch nicht statt. Faktisch allerdings werden mit dem gegenwärtig praktizierten Modell der Nutzenbewertung, welches weitreichende Befugnisse zugunsten des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und des GKV-Spitzenverbandes vorsieht, schon längst Entscheidungen über die Verteilung finanzieller Ressourcen im Bereich der GKV getroffen.

Mit einem gewissen Unbehagen muss daher die Zwischenbilanz der Bundesregierung zu dem gegenwärtig praktizierten Verfahren der Nutzenbewertung aufgenommen werden. Demnach „funktioniert das Verfahren grundsätzlich“ und die Bereitschaft der beteiligten „Akteure“ zur „Fortentwicklung“ und „Optimierung“ des Systems wird positiv hervorgehoben.3 Der Bedarf einer weitergehenden Klärung und Diskussion über den begrifflichen Inhalt des Nutzens wird somit scheinbar nicht gesehen. Kritisch zu sehen ist dabei vor allem die Betonung der „Akteure“, also der pharmazeutischen Industrie, des G-BA, des IQWIG sowie des GKV-Spitzenverbands. Nach Ansicht der Bundesregierung ist es offenbar maßgeblich deren Aufgabe, die Praktikabilität des Verfahrens der Nutzenbewertung weiter zu verbessen. Auch wenn eine „Expertokratisierung“4 des Nutzenbewertungsverfahrens möglicherweise dessen Praktikabilität erhöht, sind Verteilungsentscheidungen nicht lediglich Gegenstand wissenschaftliche Expertise.5

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Eine öffentliche und transparente Debatte über Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen und über konkrete Fragen wie etwa den Begriff des Nutzens einer Arzneimitteltherapie für die Versichertengemeinschaft kann allerdings nicht erzwungen werden. Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist allerdings heute schon gegeben: Die dem G-BA, dem IQWIG und dem GKV-Spitzenverband übertragenen Befugnisse erfordern eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den vorhandenen gesetzgeberischen Wertungen sowie den nachgelagerten Vorschriften bzw. Verordnungen.6

Details

Seiten
196
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631799208
ISBN (ePUB)
9783631799215
ISBN (MOBI)
9783631799222
ISBN (Hardcover)
9783631793121
DOI
10.3726/b16028
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Arzneimittelpreise Nutzenbewertung Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz Erstattungsvereinbarungen IQWIG Nutzenbegriff
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 196 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Christian Martin (Autor:in)

Christian Martin studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität in Marburg. Nach einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei in Frankfurt arbeitet er im Hessischen Wirtschaftsministerium.

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