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Grenzen des Wachstums

Eine Annäherung in 16 Essays

von Andreas Koch (Band-Herausgeber:in) Martina Winkler (Band-Herausgeber:in)
©2019 Sammelband 156 Seiten

Zusammenfassung

Die aktuellen Debatten zeigen, wie schwierig es ist, Grenzen zu ziehen und Grenzwerte festzulegen. Ohne Grenzen jedoch, fehlen uns Orientierung und Positionierung. Viele Grenzen unseres alltäglichen Lebens sind nicht von Natur aus vorgegeben, sie unterliegen vielmehr einem aktiven und partizipativen Aushandlungsprozess. Die Schwierigkeit der Grenzziehung zeigt sich vor allem beim Begriff des Wachstums. Der vorliegende Band nimmt sich der Herausforderung an, Grenzen des Wachstums in den Bereichen Ökonomie, Medien, Kommunikation, Migration und Gesellschaft in essayistischer Weise aufzuzeigen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Gernot Almesberger: Brauchen globale Herausforderungen ‚Handelsabkommen‘ wie CETA, TTIP & TiSA?
  • Hadwig Soyoye-Rothschädl: Fairhandel oder Freihandel: Anders Handeln Salzburg
  • Tobias Pürcher: Hat jedes Wachstum Grenzen?
  • Andreas Schütz: Für und Wider Niko Paechs Postwachstumsökonomie
  • Maria Klieber: Alternative Wirtschaftssysteme. „Libertärer Paternalismus“
  • Patrick Diel: Der Europäische Binnenmarkt. Eine kritische Bewertung des neoliberalen Projekts
  • Georg Auernheimer: Degrowth-Bewegung und politische Bildung
  • Stefanie Hürtgen: Kritik an der marktorientierten Konsumkritik
  • Josef Trappel: Grenzenlose öffentliche Kommunikation – oder doch nicht? Medienökonomische und medienpolitische Annäherungen
  • Thomas Steinmaurer: Ambivalenzen im Netz – Risiken der Digitalisierung und Chance der Transformation
  • Michael Koch: Die mediale Repräsentation des Klimawandels und ihre unerwünschten Nebenwirkungen
  • Herbert Widl: Die Veränderung der Arbeitswelt und ihre Folgen
  • Gabriele Spilker: Klimabedingte Umweltveränderungen, Migration und Konflikt
  • Laura Bürzer: Die Abschaffung der Menschheit
  • Johanna Bauchinger: Grenzen des Wachstums in einer singularisierten Gesellschaft
  • Andreas Koch: Grenzen sozialer Ungleichheit

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Gernot Almesberger

Brauchen globale Herausforderungen
‚Handelsabkommen‘ wie CETA, TTIP & TiSA?

Abstract: Global trade agreements do not solve current economic and social inequalities. In fact, they enhance economic power and undermine democratic processes of decision making.

Keywords: legitimization, arbitral tribunal, democratic institutions

Die Welt rückt zusammen

200 Jahre zurück war unser Leben sehr anders und unser Wirtschaften ebenso. Konflikte und Raubbau waren im Vergleich zu heute lokal begrenzt und somit waren auch etwaige negative Auswirkungen meist nicht weit spürbar. Das Leben ging für die meisten Menschen dieser Welt unbeeinflusst von solchen Dingen weiter.

Zurück ins Hier und Jetzt. Heute ist unser Tun überwiegend globalisiert. Nicht nur Facebook ermöglicht uns, in die Leben anderer Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel aus unserem Wohnzimmer hineinzusehen, sondern auch unsere Produkte kommen von immer weiter her. Das hat alles einen hohen Preis. Wenn ‚die Märkte‘ an der New Yorker Börse nervös sind, dann spüren wir es an den Börsen Europas und auch in Asien. Sind Schuldner in Russland nicht mehr rückzahlungsfähig, dann hat das schnell einmal Auswirkungen auf unseren Alltag und unsere Arbeit. Werden durch den aktuellen Klimawandel, religiösen Fanatismus und durch Wirtschaftsspiele der Industrieländer um Ressourcen in den Entwicklungsländer die dortigen Einheimischen ihrer Lebensgrundlage beraubt, dann landen immer mehr Menschen letztendlich bei uns. Alles hängt mittlerweile zusammen, und ein Rückzug ins persönliche Biedermeier schützt uns nicht vor den negativen Auswirkungen, die unsere Art zu wirtschaften mit sich bringt. Jetzt gebe Mensch noch eine neue Generation von sogenannten ‚Freihandelsabkommen‘ dazu und fertig ist eine explosive Mischung. Vielleicht ist das ein gewagter Bogen, doch von außen betrachtet werden die Zusammenhänge wohl sichtbar.

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Nun aber zu den sogenannten ‚Freihandelsabkommen‘

Handel hat uns seit Beginn der Zivilisation entwickelt, verbunden und informiert. Ergo ist Handel ein wichtiges Werkzeug, um die Gesellschaft gemeinsam in die Zukunft zu begleiten. Doch ist mit den aktuellen Abkommen wie CETA, TTIP, TiSA und Co. überhaupt ein sinnvoller Handel möglich? Mein Urteil ist ein klares Nein! Denn die bekanntgewordenen Inhalte in den diversen Abkommen sind nur von wenigen Menschen, beziehungsweise großen und finanzkräftigen Unternehmen, nutzbar. Ob es die Schiedsgerichte, die regulatorischen Kooperationsräte, oder zahlreiche Klauseln in den Verträgen sind: Alle helfen denen, die es sich leisten können. Sie fragen sich sicherlich, ob das jetzt ein wenig zu einfach gedacht ist, oder?

Leider ist es das nicht und meine Meinung basiert auf mittlerweile drei Jahren und mehr als 3000 Stunden Auseinandersetzung mit der Thematik Handelsabkommen. Schon bei der Analyse von 20 Jahren Nordamerikanisches Freihandelsabkommen (NAFTA) muss ein düsteres Bild gezeichnet werden. Wie ein Artikel von Mark Weisbrot (2014) oder der Report „NAFTA at 20“, herausgegeben von der American Federation of Labor and Congress of Industrial Organization (AFL-CIO 2014), darlegen, waren Arbeitsplatzverluste an noch günstigere Billiglohnländer und teilweise eine Verringerung der Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards die Folge. In den USA und Kanada sind in diesen 20 Jahren nicht nur viele Arbeitsplätze abgewandert, sondern auch der Stundenlohn liegt in den betroffenen Branchen niedriger als vor dem Abschluss des Handelsabkommens. Viele der hart erkämpften Standards wurden somit am Altar des sogenannten ‚freien Handels‘ geopfert, um das notwendige Wachstum erreichen zu können, damit die global agierenden Konzerne ihre Eigentümer befriedigen konnten und noch immer können. Diese ‚marktkonforme Demokratie‘, wie sie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet, ist dort schon Realität geworden. Wollen wir das auch in Europa? Ich denke, wir sollten mit gutem Beispiel in eine bessere Zukunft vorangehen. Das funktioniert nur mit gerechten, sozialverträglichen Handelsabkommen in einer global vernetzten Welt, die auch die ökologische Tragfähigkeit der Ökosphäre respektiert. Missachten wir einen dieser Punkte, werden wir scheitern.

Immer mehr Menschen erkennen, dass es hier nicht um Freihandel geht, sondern um eine Machtverschiebung von Staaten hin zu multinationalen Konzernen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Josef Stiglitz (2015) trifft den zentralen Punkt, wenn er schreibt „[d];erartige Verträge wurden früher als Freihandelsabkommen bezeichnet; tatsächlich waren es gelenkte Handelsvereinbarungen, die auf die Interessen der Konzerne vor allem in den USA und der Europäischen ←12 | 13→Union zugeschnitten waren. Heute werden derartige Vereinbarungen häufig als Partnerschaften bezeichnet – wie etwa im Falle der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP). Doch es sind keine gleichberechtigten Partnerschaften“.

Das zeigt sich schon daran, dass diese Abkommen weit über den Bereich Handel hinausreichen. Sie wollen Investitionen, Dienstleistungen und auch geistiges Eigentum regeln und erzwingen so den Rechts-, Justiz- und Regulierungssystemen der beteiligten Länder grundlegende Änderungen auf – und dies ohne Einfluss oder Rechenschaftspflicht demokratischer Institutionen.

Die Abnormität des Investorenschutzes

Das führt uns zum Investorenschutz, der bis dato das meiste Aufsehen erregte und von Washington über Tokyo bis Brüssel weltweit massiv kritisiert wird. Mehrere tausend Organisationen, von Gewerkschaften über NGOs bis hin zu politischen Parteien, lehnen diesen und die damit einhergehenden privaten Schiedsgerichte energisch ab. Fairness erscheint, bezogen auf diese Privatgerichte, ein Fremdwort zu sein.

Aber worum geht es bei diesen rechtlichen Bestimmungen? Die Öffentlichkeit wird im Glauben gelassen, dass Unternehmen eine Rechtssicherheit brauchen, um ihre Investitionen vor unfairen Staaten schützen können. Dass sie teilweise dadurch auch zukünftige Gewinne (legitime Erwartungen) einklagen können, ist genauso unverständlich wie mögliche Klagedrohungen bei geplanten Gesetzesänderungen. Das hat zur Folge, dass viele Gesetze entweder stark abgeschwächt oder gar nicht verabschiedet werden. Oft ist das Klagerisiko für Staaten oder Kommunen zu groß. Dass solche Fälle nicht erfunden sind, zeigen zahlreiche Beispiele rund um den Globus. Dass Österreich bis dato von solchen Klagen verschont geblieben ist, ist wohl dem Zufall geschuldet. Seit 30. Juli 2016 ist dem auch nicht mehr so. Denn die Briefkastenfirma „B.V. Belegging-Maatschappij Far East“, welche den Eigentümern der Meinl-Bank gehört, zog mit einer Klage vor das Schiedsgericht der Weltbank. Der Streitwert beläuft sich auf 200 Millionen Euro. Österreich wird der Wertschädigung bezichtigt (Möchel 2015).

Die Wahrheit hinter der Einführung der Schiedsgerichte besteht jedoch darin, Gesundheits-, Umwelt-, Sicherheits- und sogar Finanzaufsichtsregeln auszuhebeln, die Europas Volkswirtschaft und ihre BürgerInnen schützen sollen. Dadurch wollen Konzerne ihre Gewinnspanne vergrößern. Die Unternehmen können die Regierungen auf vollständige Entschädigung für jede Verringerung erwarteter künftiger Gewinne verklagen, die aus aufsichtsrechtlichen Änderungen herrührt! In CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, sind eben diese Schiedsgerichte geplant. Juristisch ist nicht einwandfrei geklärt, ob die ←13 | 14→legitimen Erwartungen nicht doch auch in diesem Handelsabkommen einklagbar sein werden. Das ist purer Egoismus und hat nichts mit globalem Denken zu tun. Das oberste Gebot eines Konzerns ist eben die Gewinnmaximierung. Alles andere wird diesem untergeordnet. Das verlangen die Regeln, und die Auswirkungen sehe ich in Massenentlassungen, Absiedelungen in billigere Länder, Klagen gegen Umweltauflagen oder gegen Kollektivvertragsanhebungen. Solche Klagen passieren bereits weltweit und steigen drastisch an. Aktuell werden überwiegend die Klagen von europäischen Konzernen eingebracht und bei durchschnittlichen Kosten von acht Millionen Euro wird auch klar, dass der geplante Investorenschutz nicht den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen wird, mehr zu verkaufen. Auch der letzte „Vernebelungsversuch“ durch die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, nämlich verbesserte Schiedsgerichte namens Investment Court System (ICS) zu entwickeln und diese irgendwann als einen multilateralen und international anerkannten Handelsgerichtshof zu implementieren, stößt jetzt schon auf Widerstand der amerikanischen VerhandlerInnen. Laut den Juristen Fischer-Lescano und Horst (2014: 33ff) ist dieser Gerichtshof nicht gesetzeskonform und bleibt dadurch alleinig ein Instrument der Mächtigen. Außerdem ist das geplante ICS dem Vorgänger ISDS nicht um vieles überlegen (Eberhardt 2016).

Details

Seiten
156
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631802199
ISBN (ePUB)
9783631802205
ISBN (MOBI)
9783631802212
ISBN (Hardcover)
9783631799529
DOI
10.3726/b16145
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Freihandel Postwachstum Degrowth Digitalisierung Migration Soziale Ungleichheit
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 156 S.

Biographische Angaben

Andreas Koch (Band-Herausgeber:in) Martina Winkler (Band-Herausgeber:in)

Andreas Koch hat Geographie, Politikwissenschaft und Raumplanung an der LMU München studiert. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Sozialgeographie und stellvertretender Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg. Martina Winkler studiert Politik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

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