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Strafbarkeit von pharmakologischem Neuroenhancement zur kognitiven Leistungssteigerung

von Philipp Dominik (Autor:in)
©2019 Dissertation 288 Seiten

Zusammenfassung

Pharmakologische Neuroenhancer üben eine große Anziehungskraft auf die Menschen aus. Diverse Studien und zwei vom Autor selbst durchgeführte Umfragen kommen zu dem Ergebnis, dass der Konsum in den letzten Jahren drastisch anstieg und die Bereitschaft zur Einnahme entsprechender Substanzen auf einem hohen Niveau ist. Der Autor zeigt auf, dass das Recht keine maßgeschneiderte Lösung für den Fall bereithält, dass Gesunde ihre mentalen Fähigkeiten durch Medikamente steigern. Deshalb nimmt der Autor eine dezidierte rechtliche Analyse vor, um für den Umgang mit Neuroenhancement einen verlässlichen normativen Rahmen zu entwickeln. Sämtliche Darstellungen bilden die Grundlage dafür, dass der Autor im letzten Abschnitt einen Gesetzesentwurf entwickelt und dessen Auswirkungen würdigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • I. Einleitung
  • II. Begriffsbestimmung
  • 1. Was bedeutet Neuroenhancement?
  • 2. Motive und Anwendungsbereiche
  • 3. Eigene Umfrage
  • a. Durchführung
  • b. Relevante Ergebnisse
  • c. Interpretation
  • III. Vorstellung der relevanten Substanzen
  • 1. Wirkstoffe und ihr Wirkungsprofil
  • a. Methylphenidat
  • b. Modafinil
  • c. Kokain
  • d. Amphetamin und Methamphetamin (Speed, Crystal Meth, Pervitin)
  • e. Sonstige Substanzen
  • 2. Forschungsstand bei Gesunden
  • a. Methylphenidat
  • b. Modafinil
  • c. Fazit
  • 3. Das Abhängigkeitspotential der Substanzen
  • 4. Zugang zu den Substanzen
  • IV. Rechtliche Situation de lege lata
  • 1. Einführung
  • 2. Selbstenhancement
  • a. Strafgesetzbuch
  • aa. Körperverletzung, § 223 Abs. 1 StGB
  • bb. Betrug, § 263 Abs. 1 StGB
  • aaa. Betrug zu Lasten des Prüfers
  • (1) Täuschung und Irrtum
  • (2) Schaden
  • bbb. Zu Lasten des Arbeitgebers
  • (1) Täuschung und Irrtum
  • (a) Bei Vorlage eines Zeugnisses
  • (b) Beim Auswahlgespräch/Assessmentcenter
  • (2) Schaden
  • ccc. Zu Lasten der Konkurrenten/Mitbewerber
  • (1) Täuschung und Irrtum
  • (2) Schaden
  • Bezüglich des Mitprüflings
  • Bezüglich des Mitbewerbers
  • ddd. Fazit
  • b. Betäubungsmittelgesetz
  • aa. Konsum
  • bb. Besitz, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG
  • c. Arzneimittelgesetz
  • d. Antidopinggesetz
  • e. Fazit der strafrechtlichen Normen
  • f. Prüfungsrecht
  • g. Arbeitsrecht
  • h. Zusammenfassung der rechtlichen Situation de lege lata beim Selbstenhancement
  • 3. Täterschaft und Teilnahme
  • 4. Fremdenhancement
  • a. Körperverletzung
  • aa. Tatbestandsmäßigkeit
  • aaa. Objektiver Tatbestand
  • Objektive Zurechnung
  • bbb. Subjektiver Tatbestand
  • bb. Rechtswidrigkeit
  • aaa. Medizinische Indikation
  • bbb. Einwilligung
  • (1) Einwilligungsfähigkeit
  • (2) Gute Sitten
  • b. Betäubungsmittelgesetz
  • c. Arzneimittelgesetz
  • d. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
  • e. Zusammenfassung der rechtlichen Situation de lege lata beim Fremdenhancement
  • 5. Weitere Strafbarkeiten
  • a. Beschaffung
  • b. Unerlaubtes Verschreiben durch den Arzt
  • aa. BtMG
  • aaa. Verschreibung, Verabreichung oder Überlassung, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BtMG
  • bbb. In-den-Verkehr-Bringen, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG
  • bb. StGB
  • aaa. Betrug, § 263 Abs. 1 StGB
  • bbb. Untreue, § 266 Abs. 1 StGB
  • (1) Objektiver Tatbestand
  • Vermögensbetreuungspflicht
  • Missbrauch der Vermögensbetreuungspflicht
  • (2) Subjektiver Tatbestand
  • ccc. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
  • c. Erlangung einer Verschreibung durch Täuschung des Arztes
  • aa. BtMG
  • aaa. Erschleichen von Verschreibungen, § 29 Abs. 1 Nr. 9 BtMG
  • bbb. Erwerb von Betäubungsmitteln, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG
  • ccc. Konkurrenz zwischen Erschleichen und Erwerben
  • bb. Unerlaubtes Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG
  • cc. Betrug, § 263 Abs. 1 StGB
  • aaa. Kassenpatient
  • bbb. Privatpatient
  • Betrug (in mittelbarer Täterschaft) zu Lasten der Krankenversicherung
  • ddd. Gebrauchen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
  • 6. Fazit der rechtlichen Situation de lege lata
  • V. Ethisch-moralische Bewertung
  • a. Einwände
  • aa. Soziale Folgen von Neuroenhancement
  • bb. Desavouierung der Leistung
  • cc. Natur des Menschen
  • dd. Autonomie, Authentizität und Identität der Persönlichkeit
  • b. Fazit
  • VI. Einführung eines neuen Straftatbestandes
  • 1. Zweck des Strafrechts
  • 2. Strafwürdigkeit
  • a. Zu schützende Rechtsgüter
  • aa. Gesundheit des Konsumenten
  • bb. Fairness des Wettbewerbs
  • Bildungssektor
  • Berufswelt
  • cc. Integrität und Vorbildfunktion des kognitiven Wettkampfes
  • dd. Schutz Dritter und der Gesellschaft
  • b. Eröffnung des Schutzbereichs und Eingriff
  • aa. Schutzbereich und Eingriff in die Menschenwürde – Art. 1 Abs. 1 GG
  • bb. Schutzbereich und Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht – Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
  • cc. Schutzbereich und Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
  • dd. Schutzbereich und Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit – Art. 2 Abs. 1 GG
  • ee. Schutzbereich und Eingriff in die Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 GG
  • ff. Zwischenergebnis
  • c. Ergebnis zur Strafwürdigkeit
  • 3. Strafbedürftigkeit
  • a. Geeignetheit
  • b. Erforderlichkeit
  • c. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne847
  • aa. Rechtfertigung des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG
  • aaa. Rechtfertigungsgrund: Schutz vor Selbstgefährdung der einnehmenden Person selbst
  • Rettung eines zum Suizid Entschlossenen
  • Zwangsweise Ernährung eines psychisch Kranken im Maßregelvollzug
  • Zwangsweise Ernährung eines stationär untergebrachten Patienten
  • Sonnenbank-Urteil
  • Beschränkung des Konsums von Alkohol, Nikotin und Haschisch durch Minderjährige und der Umgang mit Haschisch und anderen Drogen
  • Suchtprävention
  • Rauchverbot in Gaststätten
  • Gurtanlegepflicht im Kfz
  • Helmpflicht beim Motorradfahren
  • Fazit
  • bbb. Rechtfertigungsgrund: Schutz Kinder und Jugendlicher, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG
  • ccc. Rechtfertigungsgrund: Schutz des öffentlich-rechtlichen Sozialsystems
  • ddd. Rechtfertigungsgrund: Prüfungsrechtliche Chancengleichheit – Art. 12 Abs. 1 i.V.m. 3 Abs. 1 GG
  • eee. Rechtfertigungsgrund: Chancengleichheit im Bewerbungsverfahren
  • fff. Rechtfertigungsgrund: Schutz Dritter
  • (1) Schutz des Dritten an einem fairen, neuroenhancementfreien Wettbewerb teilzunehmen
  • (2) Schutz des Dritten vor einer Gefährdung
  • bb. Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG
  • cc. Ergebnis zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten
  • d. Ergebnis zur Strafbedürftigkeit
  • 4. Einführung einer Strafbarkeit wegen mentaler Beeinflussung
  • 5. Einführung einer Strafbarkeit in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht
  • a. Vorbild des § 298 StGB
  • b. Vorbild des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
  • 6. Einführung einer Strafbarkeit nach dem Vorbild des AntiDopG
  • a. Schutzzweck des Gesetzes
  • aa. Schutz der Gesundheit
  • bb. Integrität/Fairness/Chancengleichheit/Glaubwürdigkeit
  • b. Tatbestandsvoraussetzungen
  • aa. Wettbewerb des organisierten Sports
  • aaa. Vergleichbarkeit mit dem Ausbildungssektor
  • bbb. Vergleichbarkeit mit dem beruflichen Umfeld
  • bb. Vergleichbarkeit der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen
  • aaa. Der Sport muss wesentliche Einnahmequelle sein
  • (1) Vergleichbarkeit mit dem Ausbildungssektor
  • (2) Vergleichbarkeit mit dem beruflichen Umfeld
  • (3) Fazit
  • bbb. Vorliegen eines berufssportlichen Wettkampfes
  • (1) Vergleichbarkeit mit dem Ausbildungssektor
  • (2) Vergleichbarkeit mit dem beruflichen Umfeld
  • (3) Fazit
  • ccc. Anwendung in der Absicht, einen Vorteil zu erlangen
  • cc. Fazit zur Vergleichbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen
  • c. Fazit zur Einführung einer Strafbarkeit nach dem Vorbild des AntiDopG
  • VII. Gesetzesvorschläge
  • 1. Strafrechtliche Norm
  • a. Stufe I
  • § 1 Zweck
  • § 2 Begriffsklärungen
  • § 3 Unerlaubte Anwendung von Enhancementmitteln
  • § 4 Selbstenhancement
  • § 5 Strafvorschriften
  • b. Stufe II
  • § 1 Zweck
  • § 2 Begriffsklärungen
  • § 3 Unerlaubter Umgang mit Enhancementmitteln, unerlaubte Anwendung von Enhancementmitteln
  • § 4 Selbstenhancement
  • § 5 Strafvorschriften
  • 2. Prüfungsrechtliche Norm
  • 3. Umsetzung
  • a. Bewerbung und Beschäftigung
  • b. Schule
  • c. Studium
  • d. Fazit
  • VIII. Abschlussbetrachtung
  • IX. Literaturverzeichnis
  • X. Anhänge

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln am Lehrstuhl von Herrn Professor Dr. Dr. Martin Paul Waßmer. Sie wurde im Wintersemester 2018 / 2019 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.

Die Anfertigung dieser Arbeit forderte und bereicherte mich zugleich. Ich bin glücklich, die Möglichkeit gehabt zu haben, meinen wissenschaftlichen Horizont zu erweitern. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Martin Paul Waßmer. Er unterstützte mich stets durch konstruktive Anmerkungen und Hinweise. Ich danke ihm für die intensive Auseinandersetzung mit meiner Arbeit und die wertvollen Diskussionen. Außerdem habe ich den jederzeit nahbaren, vertrauenvollen und persönlichen Umgang sehr geschätzt.

Herrn Prof. Dr. Bachana Jishkariani danke ich für die zügige Zweitbegutachtung meiner Arbeit, den Beisitz in der Disputation und die Organisation des Rahmenprogramms.

Für die kritische Durchsicht der gesamten Arbeit und die wertvollen Anregungen danke ich besonders herzlich meiner Freundin Marleen Ellinger. Des Weiteren danke ich den Mitarbeitern des Lehrstuhls für ihre wohlwollende Unterstützung in der Schaffensphase. Großen Dank verdienen die mir auf Lebenszeit verbundenen Freunde für die außerakademische Betreuung und den gesunden Ausgleich. Außerdem danke ich den zahlreichen Teilnehmern meiner Umfrage.

Von ganzem Herzen danke ich vor allem meinen Eltern Katharina Dominik-Landsmann und Uwe Landsmann dafür, dass sie mich beständig und vorbehaltlos bei meiner Ausbildung sowie Verwirklichung meiner Lebensziele unterstützen. Durch ihren steten Rückhalt, ihren Zuspruch und ihre Liebe trugen sie wesentlich zum Gelingen der Arbeit bei – ihnen widme ich diese Arbeit.

Köln, im Mai 2019
Philipp Dominik

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I. Einleitung

Der Mensch stößt ständig an seine biologischen Grenzen. Dementsprechend wünscht er sich zunehmend Auswege, seine eigenen Einschränkungen zu überwinden.1 Der Konsum von Kaffee und Alkohol war seit jeher ein probates und gesellschaftlich akzeptiertes Mittel. Neue Möglichkeiten, die geistige Leistung zu verbessern, eröffnet jedoch der Konsum von Psychostimulanzien oder Modafinil. Der Fortschritt der Wissenschaft erlaubt dem Menschen mithilfe pharmakologischen Neuroenhancements die exekutiven Funktionen2, Vigilanz (Wachheit) sowie geistige Aufmerksamkeit zu steigern und gleichsam die Stimmung und Motivation anzuheben. Die neuen pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten können zudem – außerhalb der medizinischen Indikation – zu nicht-therapeutischen Zwecken missbraucht werden. Diese Anwendung zielt darauf ab, die Fähigkeiten von Gesunden artifiziell zu steigern. Dadurch erlangt der Einnehmende3 individuelle, gesellschaftliche und soziale Vorteile gegenüber seinen Mitmenschen. Die missbräuchliche Anwendung im Studien- oder Arbeitskontext überschreitet möglicherweise die Grenze des sozial Adäquaten, der Fairness und der Chancengleichheit oder gefährdet sogar die körperliche Integrität Dritter. Ein körperlich gesunder Prüfling, der seine natürliche Leistung mittels Psychopharmaka artifiziell steigert und deshalb seine Konkurrenten übertrifft, nimmt Einfluss auf die üblichen Prüfungsvoraussetzungen. Daran schließen sich vielfältige rechtliche sowie ethische Fragestellungen an. Vergleichbares gilt für die Anwendung entsprechender Substanzen in arbeitsbedingten Szenarien, wie in einem Bewerbungsverfahren oder bei der Berufsausübung. Der Konsum könnte die Validität der erbrachten Leistung verändern. Die Einnahme entsprechender pharmakologischer Neuroenhancer wurde bislang keiner eingehenden strafrechtlichen Betrachtung unterzogen. Mangels dessen untersucht diese Dissertation die strafrechtlichen Konsequenzen, die die Einnahme, Verschreibung, ←15 | 16→Anwendung und Vergabe von leistungssteigernden Substanzen bedingen oder erfordern.

Pharmakologisches Neuroenhancement ist eine der größten Herausforderungen der Neuzeit.4 Die kognitiven Anforderungen in der modernen Arbeitswelt, im Schulalltag und an den Universitäten befinden sich auf einem Allzeithoch. In der noch vor 50 Jahren vorherrschenden produktionsorientierten Arbeitswelt waren vornehmlich physisch belastende Arbeiten verbreitet. Dagegen dominieren in der heutigen wissensintensiven und leistungsorientierten Gesellschaft psychosoziale und kognitive Fähigkeiten.5 Ein hoch kompetitives Umfeld verlangt Arbeitnehmern, Schülern, Auszubildenden und Studenten mentale Höchstleistungen ab. Gerade die kognitive Leistung und die psychische Stabilität rücken zusehends in den Fokus. Ärzte, Piloten, Fluglotsen, Politiker, Juristen, Schriftsteller, Conférenciers oder Manager arbeiten beispielsweise in Bereichen mit erhöhten psychischen Anforderungen. Sie leiden unter Erfolgs- sowie Zeitdruck und stehen aufgrund dessen vermehrt unter dem Einfluss leistungssteigernder Medikamente.6 Studenten, Auszubildende und Schüler schätzen die stimulierende Wirkung der Substanzen insbesondere vor und in Prüfungen.7 Im militärischen Bereich, in dem es naturgemäß auf mentale Stärke und Wachheit ankommt, wurde der Konsum von pharmakologischen Neuroenhancern nachweislich gefördert. Im Zweiten Weltkrieg verabreichte die Heeresführung den deutschen Bodentruppen, Kampffliegern und Bomberpiloten Amphetamine wie „PEP-Pillen“8 bzw. „Panzerschokolade“9, um die Kampffähigkeit der Soldaten zu steigern. Im Ersten Weltkrieg wurde ihnen zu diesem Zweck sogar Kokain, Koffein und Adrenalin gespritzt.10

Die Menschheit versuchte seit jeher mit allen Mitteln die Grenzen ihrer mentalen Leistungsfähigkeit zu erweitern, was ihr infolge des technologischen Fortschritts auch zunehmend gelang.11 Das Ziel, die (kognitive) Leistung zu steigern, um ein erfolgreiches Leben zu führen, weist eine gewisse Kontinuität auf.12 Durch die Nutzung von Hilfsmitteln wie Computern, Mobiltelefonen ←16 | 17→oder Smartwatches optimieren wir bereits unsere Arbeitsabläufe und unseren Alltag. Der Mensch lagert dadurch seine kognitiven Möglichkeiten aus und ergänzt diese zunehmend. Durch einen müden oder langen Arbeitstag retten uns wie selbstverständlich Kaffee, grüner Tee, Coca-Cola© und Energydrinks. Um unsere Zeit effizienter nutzen zu können, greifen wir auf Fortbewegungsmittel zurück, die den Transport verkürzen. Von der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks13 bis hin zur fortschrittlicheren Gestaltung der schulischen Bildung verbessern wir stetig unsere Umweltbedingungen. Ebenso modifizieren manche durch Schönheitsoperationen ihr äußeres Erscheinungsbild, um Schönheitsidealen zu entsprechen. Bei Frauen ist die Brustvergrößerung der beliebteste invasive Eingriff14 - bei nicht-invasiven Eingriffen dominiert die Faltenbehandlung mit Botulinumtoxin.15 Um festzustellen, ob die befruchteten Eizellen bestimmte erwünschte Eigenschaften aufweisen, werden bei der künstlichen Befruchtung zunehmend präimplantationsdiagnostische Analysen durchgeführt. Die Anzahl der getroffenen Maßnahmen steigt im Bereich der wunscherfüllenden Medizin jährlich. Es ist festzustellen, dass der Mensch um Optimierung in jedem Lebensbereich bemüht ist.

Im Zuge dieser Entwicklung wird ferner versucht, die Leistung des Gehirns zu verbessern. Im Bereich der Neurowissenschaften verläuft der Fortschritt rasant. Stoffe wie Methylphenidat und Modafinil werden als Wundermittel zur Steigerung der kognitiven Leistung bezeichnet.

Grundlegend befasste sich Reinhard Merkel, ein emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, bereits im Jahre 2009 mit dem Thema des pharmakologischen Neuroenhancements. Er veröffentlichte den Artikel „Neuartige Eingriffe ins Gehirn – Verbesserung der mentalen condicio humana und strafrechtliche Grenzen“ in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft16 und sorgte dadurch für den Beginn einer lebhaften Diskussion.

Eine Studie des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 201317 behandelte in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich Menschen, trotz einer immer anspruchsvoller und hektischer werdenden Lebens- und Arbeitswelt, erholen. ←17 | 18→Die repräsentative Erhebung befragte 2002 Personen, wovon ca. 8 % angaben zu Medikamenten zu greifen, um einen Beruhigungseffekt zu erzielen.18 Dasselbe Institut veröffentlichte 201419 eine neue repräsentative Studie, in der die Belastungssituation während der Arbeit analysiert wurde. Ihr Ergebnis zeigt, dass für die befragten Beschäftigten insbesondere psychische Faktoren wie hohe Verantwortung, Multitasking, Zeitdruck, geringe Wertschätzung und Überforderung durch die Arbeitsmenge eine starke Belastung darstellen. Um diese zu bewältigen, nahmen 12 % Medikamente ein.20 Anhand der beiden Studien wird deutlich, dass Medikamente als Hilfsmittel vermehrt zur Beruhigung nach und zur Bewältigung der Anforderungen auf der Arbeit eingesetzt werden.

Um einen deutschlandweiten Eindruck zu erhalten, befragte die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) ihre Mitglieder und veröffentlichte bereits im Jahre 2009 einen Gesundheitsreport mit dem Schwerpunktthema „Doping am Arbeitsplatz“.21 Diesem zufolge konsumierten in Deutschland im Jahre 2008 rund 5 % der aktiv Erwerbstätigen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren Medikamente zur Verbesserung der geistigen Leistung oder psychischen Befindlichkeit, ohne medizinische Indikation (ca. 2 Millionen von 40 Millionen Beschäftigten).22 In diesem Zusammenhang gaben die Befragten zudem an, dass sie die Steigerung von kognitiven Leistungen im Beruf als einen vertretbaren Grund erachten, Medikamente einzunehmen.

Die Ergebnisse aus dem Jahre 2009 wurden durch den DAK-Gesundheitsreport aus dem Jahre 2015 unter dem Titel „Update – Doping am Arbeitsplatz“ aktualisiert.23 Hierbei gaben anstatt 5 % nun bereits 6,7 % der Beschäftigten an, entsprechende Medikamente eingenommen zu haben.24 Geschätzt wird die Dunkelziffer der Verbreitung von pharmakologischem Neuroenhancement jedoch auf 12,1 %.25

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Auch im Ausland verbreitete sich pharmakologisches Neuroenhancement zunehmend. In den USA werden seit längerem Studien zur Prävalenz von kognitiv leistungssteigernden Substanzen durchgeführt. Aktuellen Untersuchungen26 zufolge konsumieren dort schätzungsweise täglich 2,5 Millionen Kinder und 1,5 Millionen Erwachsene Psychostimulanzien27.28

Das Streben nach kognitiver Leistungssteigerung offenbart sich jedoch nicht nur im Lebens- und Arbeitsbereich, sondern gleichfalls in Lehre und Studium.29 Bereits 2012 ermittelte die Techniker Krankenkasse durch eine Stress-Studie bei Studenten, dass sich 40 % der Befragten häufig durch die Anforderungen im Studium gestresst fühlen. Um den Stress zu bewältigen, greifen 10 % zu Psychopharmaka.30 Es ist somit ein großes Interesse an leistungssteigernden Substanzen zu konstatieren. Eine weitere Studie, durchgeführt von dem Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Klaus Lieb, kommt zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass 80 % der befragten Schüler und Studenten eine frei verfügbare Pille zur Leistungssteigerung einnähmen, wenn keine Nebenwirkungen bestünden.31 Insofern scheint das Interesse an Neuroenhancement auch an Schulen und Universitäten groß zu sein. Studien über die Lage an amerikanischen Universitäten belegen, dass dort bis zu 10 %32 der Studierenden bereits verschreibungspflichtige Medikamente einnahmen, um ihre kognitive Leistung zu steigern.

Neben den Studenten üben Neuroenhancer außerdem eine große Anziehungskraft auf die Professorenschaft aus. Unter der Überschrift „Look who’s doping“ veröffentlichte die renommierte wissenschaftliche Zeitschrift „Nature“ im April 2008 das Ergebnis einer Befragung von 1400 Personen aus 60 Ländern.33 Die Umfrage umfasste den Konsum von Methylphenidat, Modafinil und Beta-Blockern. Hierbei wurde festgestellt, dass 20 % der Teilnehmer bereits entsprechende Medikamente zur Steigerung der kognitiven Leistung einnahmen.34 Der ←19 | 20→Anwendungsbereich von Neuroenhancern reicht offenkundig vom Genuss in der Freizeit bis hin zum Konsum vor konzentrationsintensiven Aufgaben.35 Eine Entwicklung, die gleichermaßen in Deutschland fortschreitet und von enormer Bedeutung für den einzelnen Betroffenen und die gesamte Gesellschaft ist.36

Aufgrund der fortwährenden Entwicklung neuer Medikamente werden deren Nebenwirkungen geringer. Verminderte Risiken steigern den gesellschaftlichen Akzeptanzdruck und reduzieren die Hemmschwelle zum Konsum. Es wird aufzuzeigen sein, dass das Recht keine maßgeschneiderte oder zumindest passende Lösung für den Fall bereithält, dass Gesunde ihre mentalen Fähigkeiten durch Medikamente steigern.37 Deshalb hat frühzeitig eine dezidierte rechtliche Analyse zu erfolgen, um für den Umgang mit Neuroenhancement einen verlässlichen normativen Rahmen zu entwickeln.38 Dieses Erfordernis erfüllt die vorliegende Dissertation. Obwohl pharmakologisches Neuroenhancement bereits weit verbreitet ist, wurde seine strafrechtliche Dimension bisher unzureichend untersucht und es fehlt eine geschlossene Bewertung.

Im Rahmen dieser Untersuchung werden ausgewählte Situationen dargestellt, in denen Gesunde leistungssteigernde Substanzen einnehmen, denn sämtliche denkbare Anwendungsbereiche zu erfassen, wäre weder zielführend, noch erforderlich. Die neuralgischen Phasen der Einnahme, Anwendung und Verschreibung werden hingegen ausführlich dargestellt und einer systematischen strafrechtlichen Würdigung unterzogen.

Ziel soll sein, Überlegungen für die Einführung einer Strafbarkeit des pharmakologischen Neuroenhancements in ausgewählten Lebensbereichen anzuregen.

Die vorliegende Dissertation ermittelt anfangs ein definitorisches Verständnis von pharmakologischem Neuroenhancement und beschreibt die verschiedenen Motivationslagen, entsprechende Substanzen einzunehmen. Diese Erkenntnisse basieren auf den Ergebnissen externer Umfragen sowie auf eigens durchgeführten Studien.

Beispielhaft erläutert diese Dissertation die Wirkungen sowie Nebenwirkungen von Methylphenidat (Ritalin©), Modafinil (Vigil®39), Kokain und ←20 | 21→Amphetamin als aktuell verwendete pharmakologische Neuroenhancer. Aufgrund des Forschungsdefizits hinsichtlich der Wirkweise von Methylphenidat und Modafinil auf Gesunde wird auf einige wenige Studien und die verlässliche chemische Wirkung zurückgegriffen.

Ein erster Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Darstellung der rechtlichen Situation des pharmakologischen Neuroenhancements de lege lata. Um die defizitäre rechtliche Normendichte aufzuzeigen, wird die Anwendbarkeit diverser Regelungen des StGB, BtMG, AMG und AntiDopG überprüft. Hierbei unterscheidet diese Dissertation zwischen der Strafbarkeit des Einnehmenden und den Handlungen involvierter Dritter. In dem Zusammenhang wird insbesondere die Strafbarkeit des Arztes dargestellt, da ein Großteil der Einnehmenden ihre Substanzen mithilfe einer ärztlichen Verschreibung über den Apotheker beziehen.

Als rechtsstaatliches Fundament für die mögliche Einführung einer strafrechtlichen Regulierung folgt die Analyse des verfassungsrechtlichen Rahmens, der durch eine gewichtige ethisch-moralische Betrachtung ergänzt wird. Sämtliche Darstellungen bilden die Grundlage dafür, im letzten Abschnitt einen Gesetzesentwurf zu entwickeln und dessen Auswirkungen zu würdigen.

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1 Heilinger, „Grenzen des Menschen. Zu einer Ethik des Enhancement“, Bundeszentrale für politische Bildung, Onlinemedium, abrufbar unter: http://www.bpb.de/apuz/233466/grenzen-des-menschen-zu-einer-ethik-des-enhancement?p=all, Stand: 27.03.2018.

2 Exekutive Funktionen sind ein Sammelbegriff aus der Neuropsychologie und umfassen die kognitiven Fähigkeiten, die das menschliche Denken und Handeln steuern.

3 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt alle Geschlechter gleichberechtigt ein.

4 Vgl. Hilpert, Sportrecht und Sportrechtsprechung im In- und Ausland, S. 309.

5 Hirndoping Positionspapier (DHS), S. 1.

6 Volkmer, Körner/Patzak/Volkmer – BtMG, Vorbemerkungen zum AMG, Rn. 272.

7 Groß, MedR 2009, 85 (87).

8 Amphetamin (alpha-Methylphenethylamin).

9 Benzedrin gemischt mit Pervitin, heute bekannt als Crystal Meth.

10 Volkmer, Körner/Patzak/Volkmer – BtMG, Vorbemerkungen zum AMG, Rn. 272.

11 Prütting, Rechtliche Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, S. 186.

12 Heilinger, Anthropologie und Ethik des Enhancements, S. 39 f.

13 Merkel, ZStW 2009, 919 (931).

14 DGÄPC (Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie) – Statistik 2016, S. 6.

15 DGÄPC – Statistik 2016, S. 6.

16 Merkel, ZStW 2009, 919.

17 Abrufbar unter: https://www.lia.nrw.de/_media/pdf/service/Publikationen/lia_transfer/LIA_transfer_3.pdf, Stand: 24.11.2016.

Details

Seiten
288
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631803561
ISBN (ePUB)
9783631803578
ISBN (MOBI)
9783631803585
ISBN (Hardcover)
9783631794821
DOI
10.3726/b16209
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Strafe Drittgefährdung Medizin Regulierung Konsum Verbesserung Ethik Minddoping Leistungsgesellschaft Leistungssteigerung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 288 S., 17 Graf.

Biographische Angaben

Philipp Dominik (Autor:in)

Philipp Dominik studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Die Promotion erfolgte im Rahmen der dortigen Tätigkeit und zu Teilen im Referendariat. Aktuell ist er Referendar im OLG Bezirk Köln.

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