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Päpstliche Politik in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges

Gesammelte Aufsätze

von Rotraud Becker (Autor:in)
©2020 Monographie 426 Seiten

Zusammenfassung

Die hier gesammelten Aufsätze behandeln sehr verschiedene Aspekte der Beziehungen zwischen Papsttum und Kaiserhof in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts. Auf der Grundlage bisher unbenützter Quellen werden Fragen der diplomatischen wie auch der kirchlichen Verhältnisse behandelt. Konflikte um die Gewährung von Subsidien an den Kaiser, die Zulassung neuer Gesandter und deren Position im römischen Zeremoniell führen zu schweren Belastungen der Atmosphäre. Daneben ergeben sich auch Einblicke in Neuerungen der kurialen Bürokratie, die durch die Einführung der Kongregationen der Propaganda Fide und des Index verbotener Bücher aufgekommen waren. Bemerkenswert sind zudem unerwartete Dienstleistungen der Nuntiaturen, die zu dieser Zeit auch die Betreuung italienischer Kriegsteilnehmer und den Schutz von Agenten übernehmen mußten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Die Berichte des kaiserlichen und apostolischen Bücherkommissars Johann Ludwig von Hagen an die römische Kurie (1623–1649)
  • Aus dem Alltag des Nuntius Malatesta Baglioni. Nichtdiplomatische Aufgaben der Wiener Nuntiatur um 1635
  • Die Wiener Nuntiatur um 1630. Spannungen in den Beziehungen zwischen Kardinal Klesl und Nuntius Pallotto
  • Die Wiener Nuntiatur im Dienst der Propaganda-Kongregation. Italienische Franziskaner als Missionare in Ungarn um 1630
  • Die päpstlichen Diplomaten am Kaiserhof 1628–1635. Zur Edition der Nuntiaturberichte Giovanni Battista Pallottos, Ciriaco Roccis und Malatesta Baglionis
  • Der Skandal um den Rombesuch Kardinal Pázmánys im Spiegel der Nuntiaturberichte des Jahres 1632
  • Die Neubesetzung der kaiserlichen Gesandtschaft in Rom im Jahr 1634. Italienische Fürsten als Gesandte des Heiligen Römischen Reiches
  • Das Heilige Offizium und die Nuntiatur in Wien
  • Das Präzedenzrecht des Praefectus Urbis. Ein Konfliktthema der Zeit Kaiser Ferdinands II.
  • Fra’ Epifanio Fioravanti, Abenteurer und Agent zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
  • Abkürzungen und Siglen
  • Publikationsnachweise
  • Personenregister

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Einleitung

Die hier gesammelten Aufsätze entstanden im Zusammenhang mit der Editionsarbeit an den „Nuntiaturberichten aus Deutschland”, die die Korrespondenz der am Kaiserhof in Wien tätigen päpstlichen Nuntien mit der römischen Kurie aus den Jahren 1630 bis 1635 umfassen und damit ein bereits im späten 19. Jahrhundert begonnenes Editionsunternehmen fortsetzen.1 Über die Gründe, warum es den Historikern in den Anfangsjahren des damaligen kgl. Preußischen Historischen Instituts wichtig erschien, gerade diese Periode aus der langen Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Papsttum genauer zu erforschen, kann man heute nur spekulieren.2 Als sicher ist jedoch anzunehmen, dass es den Geschichtsforschern dieser Zeit um die Gewinnung noch unbekannter Fakten aus der die deutschen Verhältnisse betreffenden „großen Politik” ging, also um die Kriegsereignisse zur Zeit der schwedischen Siege, um den Niedergang Wallensteins und wohl auch um die konfessionellen Gegensätze. Umstrittene Themen, die man zu klären versuchte, mögen zudem die zweideutige Haltung Papst Urbans VIII. zum Restitutionsedikt und die Frage der Glaubwürdigkeit der ihm zugeschriebenen Bewunderung für Gustav Adolf von Schweden gewesen sein.3 Nach zwei die Amtszeit des Nuntius Giovanni Battista Pallotto4 in den Jahren 1628 und 1629 erfassenden Bänden ←7 | 8→wurde das Editionsunternehmen dann aber trotz bereits geleisteter Vorarbeiten für weitere Bände über einen langen Zeitraum hinweg nicht weiterbetrieben.5

Als es in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder aufgenommen wurde, hatten sich nicht nur allgemein die Möglichkeiten der Erfassung von Quellenmaterial durch bessere Archivinventare und die Erschließung weiterer Fonds deutlich verbessert. Geändert hatten sich auch die Ansichten der Forscher hinsichtlich sinnvoller Editionsmethoden. Vor allem aber ließen die Erfahrungen mit den vorliegenden Bänden und mit Editionen aus anderen Zeitepochen nun eine inhaltliche Beurteilung der einschlägigen Korrespondenzen zu, die deren Eigenart besser entsprach als die früheren Erwartungen. Die Schließung von Wissenslücken auf dem Gebiet der nationalen Ereignisgeschichte galt nicht mehr als dringliches Anliegen; man sah die Erforschung der diplomatischen Beziehungen zwischen Papst und Kaiser nun aber als Beitrag zur europäischen Geschichte, insbesondere auch zur Entwicklung des gespannten Verhältnisses zwischen dem Papsttum und den frühmodernen katholischen Mächten. Man war sich bewußt, dass hier − gerade weil die Korrespondenten die Zeitereignisse konsequent aus römischer Perspektive mitteilten und erörterten – eine Quelle zur Verfügung stand, die für das konfessionelle Zeitalter allgemein geltende Einblicke eröffnete in Denkmuster, Zielsetzungen und diplomatische Taktiken der päpstlichen Politik. Daneben wies man auf ihren Aussagewert für weiterführende Fragestellungen hin sowie auch auf die Grenzen ihrer Aussagekraft. Eindringliche Untersuchungen von Heinrich Lutz,6 Georg Lutz7 und Wolfgang Reinhard8 und mehrere Symposien des Deutschen Historischen Instituts in Rom in den Jahren 1971,9 ←8 | 9→199610 und 2016 befaßten sich mit der Thematik auch aus der Sicht der Forschung in anderen Ländern.11 Auswertungen und Interpretationen unter wechselnden Aspekten bieten neuerdings insbesondere Untersuchungen von Guido Braun und Alexander Koller.12

Diese Anregungen liegen auch den hier zusammengestellten, sehr heterogene Themen behandelnden Aufsätzen zugrunde, die einige Beispiele dafür liefern, wie groß und vielfältig das Spektrum der Wissensgebiete ist, für die das durch die Nuntiaturberichtseditionen erschlossene Quellenmaterial herangezogen werden kann. Es stellt auf der Grundlage anderer Quellen bekannte Zeitereignisse in ungewohnter Perspektive dar, ergänzt sie durch signifikante Einzelheiten und verleiht durch die Schilderung ausführlicher Gespräche manchen der die Politik des kaiserlichen Hofes bestimmenden Persönlichkeiten lebendige Züge.

Es liegt auf der Hand, dass die Weisungen und Berichte, die im von den Editionen erfaßten Zeitraum des Dreißigjährigen Krieges zwischen Rom und Wien gewechselt wurden, ihrem wesentlichen Inhalt nach die intensiven Versuche der päpstlichen Politik dokumentieren, die Abhängigkeit des Kaisers von Spanien zu lockern und eine Aussöhnung, möglichst sogar ein Bündnis mit Frankreich zu vermitteln. Hauptvoraussetzung hierzu war es, Kaiser Ferdinand II. zur Annahme der unumgänglichen, aus päpstlicher Sicht auch berechtigten, französischen Forderungen im Reich und in Italien zu gewinnen. Intensiviert wurden diese Friedensbemühungen 1632 nach dem sogenannten Borgia-Protest, als Urban VIII. sich veranlaßt sah, sich gegen vor allem von Spanien erhobene Vorwürfe zu verteidigen, die gegen seine neutrale, die französische Politik begünstigende Haltung in dem das Reich verheerenden Krieg gerichtet waren. Mit großem Einsatz erreichten die päpstlichen Diplomaten schließlich eine Einigung ←9 | 10→der katholischen Mächte auf einen Verhandlungsort und auf die Ernennung von Friedensdelegierten für einen Kongreß, der 1636 in Köln stattfinden sollte, aber dann doch nicht zusammentrat. Es ist ein Themenfeld, zu dem schon frühere Geschichtsforscher die „Nuntiaturberichte” in weitem Umfang ausgewertet haben.13 Auch zur Klärung der Frage nach der Haltung der Kurie zum Prager Frieden von 1635, in dem Ferdinand II. das Restitutionsedikt preisgab,14 daneben auch zu den Verhandlungen, die der Übergabe des von Spanien inhaftierten Kurfürst-Erzbischofs Sötern von Trier in kirchlichen Gewahrsam vorausgingen, wurden sie bereits herangezogen.15 Wenig beachtet wurde dagegen in der Forschungsliteratur, dass ihr Inhalt zur Klärung vieler weiterer Probleme der Zeitepoche Beiträge leisten kann. So wurde im Zusammenhang mit der Behandlung von politischen Aspekten des höfischen Zeremoniells in Rom wie am Kaiserhof kaum auf dieses Quellenmaterial hingewiesen. Zu erwähnen wäre es aber auch z. B. bei der Bearbeitung so dauerhafter Konfliktthemen wie der Streitigkeiten um die kirchliche Verwaltung im an Innerösterreich gefallenen Teil des Friaul – sie wurde von Venedig in Anspruch genommen, nachdem es das Hoheitsgebiet des Patriarchats Aquileia annektiert hatte -, oder auch zur Darstellung der Grenzstreitigkeiten des Kirchenstaats mit Venedig im Gebiet der Po-Mündung, bei denen der Papst die militärische Unterstützung des Kaisers erwartete. Neben Nachrichten über Zeitereignisse ergibt die Art der Berichterstattung aber auch Einblicke in die Regierungsweise Ferdinands II. in seinen späten Jahren, in die Rolle Ferdinands III. zu dieser Zeit und in das schwierige Verhältnis des Wiener Hofs zu Maximilian von Bayern. Gelegentlich läßt sie auch die Zeitstimmung lebendig werden, so, wenn man erfährt, dass man in Wien erst neun Tage nach der Schlacht von Lützen sicher sein konnte, dass die Nachricht vom Tod des schwedischen Königs glaubwürdig war.16

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Über Material zu vielen Einzelthemen hinaus vermittelt die Nuntiaturkorrespondenz aber vor allem Einblick in das im ganzen unfreundliche, von Mißtrauen und Mangel an Verständnis bestimmte, zeitweilig sogar feindselige Verhältnis zwischen Papst und Kaiser zur Zeit Ferdinands II., das seine Ursache einerseits in der Italien betreffenden europäischen Machtpolitik hatte, das aber auch die Beziehung der römischen Kurie zur Reichskirche und deren Selbstverständnis betraf. Zu beobachten ist dabei auch die geringe Achtung, die Ferdinand II. persönlich in Rom genoß.

Es sind nur einige der bisher vernachlässigten Aspekte, die in den hier gesammelten Aufsätzen beleuchtet werden. Sie tragen jedoch bei zu dem Gesamtbild, das die politischen Beziehungen zwischen Rom und dem Reich prägte. Über die im politischen Bereich umstrittenen Spannungsfelder hinaus vermitteln sie daneben genaueren Einblick in die mit der Etablierung der Kongregation de Propaganda Fide veränderte bürokratische Struktur der Kurie, in die Art des Zusammenwirkens der Nuntien mit den Kongregationen der Inquisition und des Index librorum prohibitorum und in mannigfache unerwartete Aufgabengebiete und interne Schwierigkeiten einer Nuntiatur im Dreißigjährigen Krieg, als eine große Anzahl italienischer Soldaten, Künstler und Kleriker im Reich tätig war und Dienstleistungen der päpstlichen Diplomaten erwartete.

Die Aufsätze sind in der Form wiedergegeben, in der sie – zum Teil vor Jahrzehnten − erstmals erschienen sind. Es ist darum allgemein darauf hinzuweisen, dass die in den Anmerkungen angegebenen Literaturnachweise nicht dem heutigen Stand entsprechen. Die Heranziehung der nach dem Erstdruck erschienenen Literatur hätte mit sich gebracht, dass auch im Darstellungstext Erweiterungen notwendig geworden wären, und die Erstellung voneinander abweichender Fassungen erschien nicht sinnvoll. Verändert wurde der Fußnotenapparat nur insofern, als diejenigen Quellennachweise, für die zur Zeit der Abfassung nur Archiv-Signaturen genannt werden konnten, die heute aber in Editionen zugänglich sind, durch die Angabe der Druckorte ersetzt sind. In dem langen Zeitraum seit 1972, dem Erscheinungsjahr des ältesten der hier nachgedruckten Artikel, erschienen eine ganze Reihe neuer Editionen aus den Beständen der Kölner Nuntiatur17 und seit 2004 auch die von mir edierten Bände der ←11 | 12→Nuntiatur am Kaiserhof. Erwähnt seien auch die erweiterte Dokumentation zum Galilei-Prozeß18 und die Quellensammlung zur Entstehungsgeschichte des Ordens der „Englischen Fräulein”,19 die sich an einigen Stellen mit den Quellen der „Nuntiaturberichte“ überschneiden.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Christoph Weber für die Aufnahme der hier gesammelten Aufsätze in die Reihe der „Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte”, nachdem seine weit gespannten prosopographischen und behördengeschichtlichen Forschungen schon die Editionsarbeit an den „Nuntiaturberichten” und an deren Auswertung an vielen Stellen bedeutend erleichtert haben. Danken möchte ich zugleich den Damen und Herren des Peter Lang Verlags, insbesondere Herrn Dr. Ühlein, für die kompetente und zuverlässige Fertigstellung des Bandes.

Regensburg, 2019
Rotraud Becker


1 Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken, 4. Abteilung 17. Jahrhundert, 4. Bd.: Nuntiaturen des Giovanni Battista Pallotto und des Ciriaco Rocci (1630–1631), Tübingen 2009; 5. Bd.: Nuntiatur des Ciriaco Rocci, außerordentliche Nuntiatur des Girolamo Grimaldi (1631–1633), Berlin-Boston 2013; 6. Bd.: Nuntiatur des Ciriaco Rocci, außerordentliche Nuntiatur des Girolamo Grimaldi, Sendung des P. Alessandro d’Ales (1633–1634), Berlin-Boston 2016; 7. Bd.: Nuntiaturen des Malatesta Baglioni, des Ciriaco Rocci und des Mario Filonardi, Sendung des P. Alessandro d’Ales (1634–1635), Tübingen 2004, im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts in Rom bearbeitet von Rotraud Becker.

2 Zu Motivationen und Erwartungen der Anfangszeit allg. Georg Lutz, Die Nuntiaturberichte und ihre Edition, in: Reinhard Elze/Arnold Esch (Hg.), Das Deutsche Historische Institut in Rom 1888–1988, Tübingen 1990 (Bibl. des DHI in Rom 70), S. 87–121, hier S. 87–92. Zu der Entscheidung für den begrenzten Zeitraum für Editionen aus dem 17. Jh. Heinrich Lutz, Nuntiaturberichte aus Deutschland. Vergangenheit und Zukunft einer „klassischen“ Editionsreihe, in: QFIAB 45 (1965), S. 274–324, hier S. 278, 289f.

3 Vgl. in diesem Band: Die päpstlichen Diplomaten am Kaiserhof 1628–1635, Anm. 3–10

4 Der biographische Artikel in DBI, Bd. 80, Roma 2014, kennt nur die Namensform Pallotta. Zu den differierenden Namensformen NBD IV 4, S. XI f. Anm. 14.

5 Nuntiaturberichte aus Deutschland 1628–1635 nebst ergänzenden Aktenstücken, Nuntiatur des Pallotto 1628–1630, 1. Bd. 1628, 2. Bd. 1629, Berlin 1895 und 1897, im Auftrage des k. Preußischen Historischen Instituts in Rom bearbeitet von Hans Kiewning. − Zu von 1903 an geltenden, veränderten Editionsrichtlinien bei der Bearbeitung von Nuntiaturberichten Georg Lutz, Nuntiaturberichte (wie Anm. 2), S. 107–111.

6 Heinrich Lutz, Die Bedeutung der Nuntiaturberichte für die europäische Geschichtsschreibung, in: QFIAB 53 (1973), S. 152–167.

7 Georg Lutz, Glaubwürdigkeit und Gehalt von Nuntiaturberichten, in: QFIAB 53 (1973), S. 227–275.

8 Wolfgang Reinhard, Nuntiaturberichte für die deutsche Geschichtswissenschaft? Wert und Verwertung eines Editionsunternehmens, in: Alexander Koller (Hg.), Kurie und Politik. Stand und Perspektiven der Nuntiaturberichtsforschung, Tübingen 1998 (Bibl. des DHI in Rom 87), S. 208–225.

9 Die Beiträge sind publiziert in QFIAB 53 (1973), S. 152–275 (auch separat in: Georg Lutz/Reinhard Elze (Hg.), Nuntiaturberichte und Nuntiaturforschung, 1976).

10 Beiträge in: Alexander Koller (Hg.), Kurie und Politik (wie Anm. 8).

11 Vier Beiträge in: RHM 60 (2018), S. 49–116, die übrigen in: QFIAB 98 (2018), S. 3–87. Ebd. umfassender Überblick über Editionen, deutschsprachige Literatur und Forschungsperspektiven von Guido Braun, Erkenntnispotentiale der „Nuntiaturberichte aus Deutschland“ für die internationale historische Forschung, S. 11–30. Zum päpstlichen Gesandtschaftswesen, zu seinem Informationsnetz und zu den Nuntiaturen im Reich ferner ders., Imagines Imperii. Die Wahrnehmung des Reiches und der Deutschen durch die römische Kurie im Reformationsjahrhundert (1523–1585), Münster 2014 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 37), S. 114–126.

12 Braun, Imagines (wie Anm. 11); zu weiteren Interpretationsansätzen ebd. S. 21–23, 26–33; Alexander Koller, Imperator et Pontifex. Forschungen zum Verhältnis von Kaiserhof und römischer Kurie im Zeitalter der Konfessionalisierung (1555–1648), Münster 2012 (Geschichte in der Epoche Karls V. 13).

13 Leopold von Ranke, Die römischen Päpste, hg. von Friedrich Baethgen, Stuttgart 1953 (1. Aufl. 1834–36), Bd. 2, S. 130; Romolo Quazza, La guerra per la successione di Mantova e del Monferrato, 2 Bde., Mantova 1926; Auguste Leman, Urbain VIII et la rivalité de la France et de la Maison d’Autriche de 1631 à 1635, Lille-Paris 1920 (Mémoires et travaux publiés par des professeurs des facultés catholiques de Lille 16); Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 13, Freiburg Br., S. 370–474.

14 Konrad Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede. Papst, Kaiser und Reich 1521–1644, 2 Bde., Tübingen 1962, 1965 (Bibl. des DHI in Rom 24, 25); Robert Bireley, Ferdinand II, Counter-Reformation Emperor, 1578–1637, Cambridge Mass. 2014, S. 275–289.

15 Ursula Lucas, Die kurtrierische Frage von 1635–1645, Diss. Mainz 1977.

16 NBD IV 5, S. 562 Nr. 133.1.

17 NBD. Die Kölner Nuntiatur, Bde. IV/2 (2 Teile, Nuntius Atilio Amalteo (1607–1610), bearb. von Stefan Samerski, Paderborn 1999, 2000; Bde. V/1 (2 Teile und Erg.-Bd.), Nuntius Antonio Albergati (1610–1614), bearb. von Wolfgang Reinhard und Peter Burschel, Paderborn 1972, 1997; Bde. V/2 und V/3, Nuntius Antonio Albergati (1614–1621), bearb. von Peter Schmidt, Paderborn 2009, 2015; Bd. VI (2 Teile), Nuntius Pietro Francesco Montoro (1621–1624), bearb. von K. Jaitner, Paderborn 1977; Bd. VII/1–4, Nuntius Pier Luigi Carafa (1624–1634), bearb. von Joseph Wijnhoven, Paderborn 1980, 1989, 1995.

18 Sergio Pagano, I documenti vaticani del processo di Galileo Galilei, Città del Vaticano 22009 (Coll. Archivi Vaticani 69).

19 Ursula Dirmeier, Mary Ward und ihre Gründung. Die Quellentexte bis 1645, 4 Bde., Münster 2007 (Corpus Catholicorum 45–48).

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DIE BERICHTE DES KAISERLICHEN UND
APOSTOLISCHEN BÜCHERKOMMISSARS
JOHANN LUDWIG VON HAGEN AN DIE
RÖMISCHE KURIE (1623–1649)

1. Zur Entstehung der apostolischen Bücherkommission in Frankfurt am Main. – 2. Die Laufbahn Johann Ludwig von Hagens und seine familiären Beziehungen. – 3. Die Überlieferung seiner Schreiben an die römische Kurie. – 4. Der Inhalt der regelmäßigen Sendungen: Meßkatalog, Index librorum catholicorum, Mercurius. – 5. Nachrichten über Hagens Tätigkeit als kaiserlicher Bücherkommissar. – 6. Zusammenwirken mit der Kölner Nuntiatur. – 7. Geschenke nach Rom und Bitten um Pfründen.

1. Die kaiserliche Bücherkommission in Frankfurt am Main entstand zur Zeit Kaiser Rudolfs II.1 Nach den reichsrechtlichen Pressebestimmungen lagen das Recht der Zensur2 sowie die Erteilung und der Schutz der Druckprivilegien3 zwar ←13 | 14→in der Kompetenz der Reichsstände, doch finden sich im Reichsabschied von 1530 und in der Reichspolizeiordnung von 1548 auch schon Ansätze zur Ausbildung eines kaiserlichen Oberaufsichtsrechts über das gesamte Buchwesen.4 Für die an Umfang und Bedeutung ständig zunehmende Frankfurter Buchmesse überwachte zunächst allein der Rat der Stadt die Einhaltung der geltenden Pressegesetze. Ein Erlaß Maximilians II. von 1569 zeigt jedoch erstmals, daß man auf kaiserlicher Seite mit der Art und Weise, wie diese Aufsicht ausgeübt wurde, unzufrieden war. Das häufige Ausbleiben der geforderten Pflichtexemplare, die zahlreichen Privileganmaßungen und das Versagen der landesherrlichen Zensurbehörden gegenüber der Flut von konfessionellen und politischen Pamphleten, der sogenannten libelli famosi, wurden beanstandet. Die Stadt Frankfurt behauptete dagegen, sie verfüge nicht über das zu einer ständigen, wirksamen Meßaufsicht nötige Personal, und schlug vor, daß kaiserliche Räte für diese Aufgaben abgeordnet werden sollten. Ihre Anregung wurde im Jahr 1579 verwirklicht, als der Fiskalprokurator am Reichskammergericht in Speyer Dr. Johann Vest und nach ihm der als Historiker bekannte Dekan am Frankfurter St.-Bartholomäus-Stift Johann Steinmetz (Latomus)5 zu kaiserlichen Bücherkommissaren ernannt wurden. Zur ständigen Einrichtung wurde die Kommission im Jahre 1597.

Ihre Aufgaben entsprachen den Klagen, die bisher gegen die Messe erhoben worden waren: Die Kommissare sollten die zahlreichen „unnützen Tractätlein und Schandtbücher“, d.h. die wiederholt generell verbotenen libelli famosi6 unterdrücken, sie hatten die Ablieferung der Pflichtexemplare zu organisieren und zu überwachen und mußten die Richtigkeit der Privilegienvermerke in den Büchern prüfen. Der Rat der Stadt war angewiesen, ihnen bei diesen Amtshandlungen seine polizeiliche und richterliche Unterstützung zu leisten. Im Lauf der ←14 | 15→Jahre wurde die kaiserliche Bücherkommission außerdem in beim Reichshofrat anhängigen Nachdrucksprozessen häufig mit Ermittlungen oder Vergleichsverhandlungen beauftragt.7

Die personelle Zusammensetzung der Kommission änderte sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts wenig. Neben einem Fiskalprokurator am Reichskammergericht waren jeweils einer oder mehrere Kanoniker der Frankfurter Kollegiatstifte tätig.8 Es ergab sich, daß die ortsansässigen Kleriker in der Praxis die größere Rolle spielten. Auf Latomus folgte 1597 der im Dienst der katholischen Restauration vielfach tätige Dr. Valentin Leucht,9 dem noch ein zweiter Kleriker, der Dekan von St. Leonhard Georg Erstenberger von Freyenthurm,10 zur Seite trat. Diesem folgte im Jahr 1615 in dem genannten geistlichen Amt wie im Bücherkommissariat Johann Ludwig von Hagen.11 Er trat im Jahr 1619, nach Leuchts Tod, auch dessen Nachfolge an12 und übte sein Amt aus bis zu seinem Tode im Jahr 1654.

Valentin Leucht war als erster nicht nur kaiserlicher, sondern zugleich auch apostolischer Bücherkommissar, und diese Ämterverbindung sollte in der Folgezeit bis zum Jahr 1780 die Regel werden.13 Über die Anfänge der apostolischen ←15 | 16→Bücherkommission war bisher nur wenig bekannt. Sie unterstand der Kölner Nuntiatur, doch fanden sich in deren Archiv schon im 18. Jahrhundert keine Dokumente mehr, die die Ernennung Leuchts und seine Tätigkeit betrafen.14

Wir wissen nun allerdings, daß nicht erst Leucht mit der Kölner Nuntiatur in Verbindung stand, sondern schon sein Vorgänger Latomus wurde von dort zuweilen um Auskünfte oder um bestimmte Dienste gebeten. Gerade diese nur gelegentliche Zusammenarbeit kann uns zeigen, aus welchen Gründen man auf seiten der Nuntiatur schließlich die Bestellung eines ständigen Vertreters in der Messestadt Frankfurt für wünschenswert gehalten haben mag.

Zunächst sehen wir, daß Nuntius Ottavio Mirto Frangipani (1587–96) gelegentlich wichtige Mitteilungen über Vorgänge des politischen Lebens aus Frankfurt erhielt, das zur Messezeit eine Nachrichtenbörse ersten Ranges war.15 Er bekam aber auch bereits Aufträge aus Rom, die denen entsprachen, die später von den apostolischen Bücherkommissaren ausgeführt werden: Man bittet ihn, die Meßkataloge16 bis zum Jahr 1564 zurück zu besorgen und nach Rom zu senden, da die Indexkongregation sie bei der Zusammenstellung des neuen römischen Index librorum prohibitorum heranziehen möchte.17 Frangipani ist außerstande, bei den Buchhändlern in Köln andere als die neuesten Bücherverzeichnisse zu bekommen, und wendet sich daher an Latomus in Frankfurt, der ihm, soweit es ihm gelingt sie aufzutreiben, die älteren Kataloge schickt.18 Fast gleichzeitig wird er dann noch in einer weiteren Angelegenheit bemüht. Sixtus V. hatte eine neue kritische Ausgabe der Septuaginta erarbeiten und herausgeben lassen, die im Jahr 1587 in Rom erschien.19 Da man nun gehört hatte, daß in Frankfurt ebenfalls mit einem Druck der Septuaginta begonnen worden sei, bittet man den Nuntius, etwas zu unternehmen, damit dieser Druck vorerst unterbrochen ←16 | 17→und mit der neuen römischen Ausgabe in Übereinstimmung gebracht werde.20 Frangipani wendet sich an Latomus,21 der immerhin erreicht, daß der Buchdrucker, ein Kalvinist, sein Unternehmen bis zum Eintreffen eines Exemplars der römischen Ausgabe einstellt. Latomus bezweifelt allerdings, ob er alle Verbesserungen hieraus übernehmen wird.22

Von Valentin Leucht ist bekannt, daß er noch viel entschiedener als sein Vorgänger darum bemüht war, einen gewissen katholischen Einfluß auf die Buchmesse zur Geltung zu bringen, indem er z.B. versuchte, die Redaktion des Meßkatalogs in die Hände zu bekommen und die Zulassung eines katholischen Druckers in Frankfurt zu erreichen.23 Es ist also anzunehmen, daß er von Anfang seiner Amtszeit als kaiserlicher Bücherkommissar an für die Kölner und, wie wir sehen werden, auch für die Prager Nuntiatur gelegentlich Aufträge erledigte und diese mit Nachrichten belieferte. Eine Instruktion Clemens VIII. von 1596, wonach die Nuntien jährlich ein Verzeichnis der in ihrem Gebiet erschienenen verbotenen oder expurgationsbedürftigen Bücher nach Rom schicken sollten,24 bedingte geradezu eine engere Zusammenarbeit zwischen Nuntiaturen und Bücherkommission. Der direkte Anstoß zur Schaffung des eigenen apostolischen Bücherkommissariats ging jedoch, wie Ulrich Eisenhardt gezeigt hat, von Leucht selbst aus.25 Er machte diesen Vorschlag zuerst dem Nuntius in Prag Giovanni Stefano Ferreri, nachdem er von diesem im Jahr 1604 beauftragt worden war, die Verbreitung einer den Gnadenstreit betreffenden, im selben Jahr in Rom verbotenen Schrift von Paolo Beni26 zu unterbinden. Leucht glaubte, solche Aufgaben mit mehr Aussicht auf Erfolg ausführen zu können, wenn er mit einem ausdrücklichen päpstlichen Auftrag versehen wäre, und konnte von seinen Überlegungen auch die Nuntien überzeugen. Er erhielt seine Ernennung durch ein Breve Clemens VIII. vom 25. Januar 1605. Paul V. bestätigte ihn am 19. April 1606 in dem neuen Amt.

Von Leuchts Tätigkeit im Dienst der Kurie wissen wir, daß er sich im Fall einer anonymen Streitschrift Supplicatio ad imperatorem, regem et principes ←17 | 18→super causis convocandi concilii generalis contra Paulum V pontificem um ein kaiserliches Verbot bemühte. Da dies jedoch nicht zu erreichen war, konnte Nuntius Albergati in Köln (1610–21) die Verbreitung der Schrift nur durch Aufkauf verhindern lassen.27 Leucht besorgte im übrigen die Meßkataloge, die Albergati gemäß seiner Instruktion nach Rom sandte. Regelmäßig wurde auch der von Leucht selbst herausgegebene und in Mainz gedruckte Index novus librorum in primis catholicorum nach Rom weitergegeben.28 Leucht stand auch in direktem Briefverkehr mit Rom.29

War die kaiserliche Bücherkommission schon von ihrer Bestimmung her bei Verlegern und Buchhändlern auf der Messe höchst unpopulär – die von der Reichshofkanzlei geforderten Pflichtexemplare wurden häufig nicht freiwillig abgegeben30 – so mußte die Anwesenheit eines päpstlichen Beauftragten in der evangelischen Reichsstadt als ausgesprochenes Ärgernis empfunden werden. In der bereits höchst gespannten Atmosphäre vor Ausbruch des 30jährigen Krieges verweigerte die Stadt zwar nicht generell die pflichtgemäße Unterstützung der kaiserlichen Bücherkommission; sie setzte aber, bestärkt von den Kurfürsten Sachsens und der Pfalz, Leuchts konfessionellen Bestrebungen harten Widerstand entgegen und verhinderte, daß er zu nennenswerten Erfolgen gelangte.31

2. Es wird nun von Interesse sein, zu untersuchen, ob und wieweit es Johann Ludwig von Hagen möglich war, diese Verhältnisse während der wechselvollen Jahrzehnte seiner Amtsführung zu ändern. Der Nuntiatur in Köln scheint es sehr wichtig gewesen zu sein, sich seiner Mitarbeit zu versichern, denn er erhielt seine Ernennung zum päpstlichen Bücherkommissar noch vor derjenigen durch ←18 | 19→den Kaiser.32 Da trotz seiner überaus langen Amtszeit und der zeitweise bedeutenden Rolle, die er in der Bücherpolitik spielte, über seine Persönlichkeit nur wenig bekannt ist, da andrerseits sein Einfluß auf das weitere Schicksal der Buchmesse gelegentlich als besonders verhängnisvoll dargestellt wurde,33 sollen hier seine nach Rom gerichteten, zum großen Teil erhaltenen Briefe ausgewertet werden. Um volle Klarheit über Hagens Tätigkeit als apostolischer Bücherkommissar, über den Grad seiner Abhängigkeit von Weisungen aus Rom und über eine eventuelle Vermengung seiner Kompetenzen als Beamter des Reichs mit den Interessen einer konfessionellen Bücherpolitik zu gewinnen, wäre darüber hinaus die Kenntnis der Kölner Nuntiaturberichte für den gesamten Zeitraum seiner Amtsführung notwendig. Da deren Edition für die Zeit ab 1621 jedoch noch nicht vorliegt,34 erscheint uns der Versuch sinnvoll, anhand dieses beschränkten Materials ein genaueres Bild von Hagens Persönlichkeit und von den Verhältnissen auf der Frankfurter Buchmesse zu seiner Zeit zu zeichnen, als bisher möglich war.

Die Laufbahn des Bücherkommissars von Hagen ist schnell skizziert. Er wurde im Jahr 1580 geboren.35 Sein Studium absolvierte er in Mainz, wo er im Jahr 1607 zum Lizentiaten der Theologie promoviert wurde.36 Seine Dissertation, gewidmet Erzbischof Johann Schweikard von Kronberg (1604–26), trägt ←19 | 20→den Titel Disputatio theologica „De Fide Haereticis Servanda“ und behandelt dasselbe Thema, dem ein Jahr später sein Lehrer Martinus Becanus S. J. ein viel beachtetes Buch widmete.37 Die These seiner Abhandlung faßt Hagen in dem Satz zusammen: Verum, quia hoc tempore nonnulli in dubium revocare illud ausi sunt, conatus sum hoc brevi Disputatione diserte explicare, quid de tota re sentiendum sit: omnisque opera in eo versatur, ut demonstrem non minus haereticis quam Catholicis in rebus alias licitis et honestis fidem integram ac illibatam servare oportere. Er stimmt damit im Grundgedanken völlig mit Becanus überein. Weist das Thema dieser Arbeit schon in das Gebiet der konfessionellen Auseinandersetzungen, da die Behauptung, die katholische Kirche lehre die Unverbindlichkeit der mit häretischen Partnern geschlossenen Verträge, in der Argumentation protestantischer Autoren eine große Rolle spielte,38 so kann der Anhang zu dieser Dissertation Foederatorum inferioris Germaniae defensio tertia contra calumniam pacis perturbatae geradezu der Gattung der politischen Streitschriften zugerechnet werden. Er stellt eine gewandt geschriebene Polemik gegen kalvinistische Angriffe auf die spanische Regierung in den Niederlanden und auf die Jesuiten dar.

Seit 1608 lebte Hagen in Frankfurt und war, zunächst noch ohne amtliche Stellung, in der Bücherkommission tätig.39 Mit Empfehlungen des P. Becanus und des Rektors des Jesuitenkollegs in Mainz erlangte er am 24. September 1613 die Ernennung zum apostolischen Protonotar.40 Am Karlstag (28. Januar) des Jahres 1614 machte ihn Kaiser Matthias in Linz zum Hofpfalzgrafen. Damals war er auch schon Rat des Kurfürsten von Mainz, der diese Ernennung gefördert ←20 | 21→hatte. Über seine Amtshandlungen als comes palatinus führte Hagen ein Buch, dessen letzte Eintragung das Datum des 9. März 1654 trägt.41

In Mainz erhielt Hagen ein Benefizium an St. Peter und wurde Kanzler der Universität. Dem Jesuitenkolleg der Stadt hat er nach den schweren Verlusten der Schwedenzeit (1631–35)42 zum Grundstock einer neuen Bibliothek verholfen,43 Es scheint, daß er zu Erzbischof Anselm Kasimir Wambold von Umstadt (1629–47) in besonders freundschaftlichen Beziehungen stand.44 Hagens ständiger Aufenthaltsort war jedoch Frankfurt, trotz der feindseligen Atmosphäre, die ihn dort umgab, wie er in seinen Briefen klagt. An den Frankfurter Stiftskirchen hatte er mehrere Pfründen inne,45 deren wichtigste die des Dekans von St. Leonhard war. Er blieb auch während der schwedischen Besetzung in der Stadt, als Kapuziner, Karmeliter, Deutschordensherren und Johanniter ausgewiesen waren und die Kanoniker von St. Bartholomäus und Liebfrauen gezwungen waren, zu fliehen oder in St. Leonhard Zuflucht zu nehmen.46 Er schreibt es sogar allein seinem Ausharren und seinem Einfluß auf den Rat zu, daß damals das Stift St. Leonhard und das Dominikanerkloster nicht ebenfalls aufgelöst wurden und ihnen sogar die Ausübung der Seelsorge gestattet blieb.47 Im Pestjahr 1635 hat Hagen den Pfarrer des Bartholomäusstifts vertreten.48 In den Jahren nach der Rückeroberung Frankfurts durch die Kaiserlichen und der Restituierung der Klöster und Stifte bemühte Hagen sich in langwierigen, zähen Verhandlungen mit dem Rat um die Rückgabe des in der Schwedenzeit entfremdeten Kirchengutes von St. Leonhard.49

An dem Projekt, in Frankfurt eine Niederlassung des Jesuitenordens zu gründen, das in den Jahren zwischen der Niederwerfung des Fettmilchaufstandes (1614) und dem Einzug der Schweden (1631) mit großer Ausdauer betrieben ←21 | 22→wurde,50 war Hagen, wie schon vor ihm Leucht, sicher mitbeteiligt. Die Ausführung dieses Planes, der schon im 16. Jahrhundert einmal gehegt worden war und den nun die Päpste Paul V. und Urban VIII. wegen der Bedeutung Frankfurts als Messestadt besonders förderten, war in die Hände P. Reinhard Zieglers gelegt, der in Mainz Hagens Lehrer gewesen war.51 Ziegler war der Erbauer und erste Leiter des Jesuitenkollegs in Aschaffenburg, war aber auch Beichtvater und Berater dreier Mainzer Kurfürsten und führte zahlreiche diplomatische Aufträge in Wien und Rom aus.52 Seine Verhandlungen wegen der Ordensniederlassung in Frankfurt gestalteten sich überaus schwierig, nicht nur wegen des leidenschaftlichen Widerstands der Prädikanten der Stadt: Der zunächst geplante, von der Propaganda-Kongregation in Rom bereits genehmigte Ankauf des den Antonitern in Höchst gehörenden Töngeshofes zerschlug sich53 und das danach vorgebrachte Verlangen, die Stadt solle das leerstehende Weißfrauenkloster zur Verfügung stellen, stieß außer bei dieser auch beim Bartholomäus-Stift auf Ablehnung, da es selbst Ansprüche auf diesen Komplex erhob. Hagen, selbst Kanoniker an St. Bartholomäus, hielt es also für angebracht, nach Rom zu schreiben, daß er zu den Förderern der Jesuiten gehöre und seine guten Beziehungen zum Rat für sie einsetzte,54 und seine Behauptung wird durchaus glaubhaft, wenn man erfährt, daß er im Frühjahr 1630 von Ziegler erwartete, dieser werde sich in Rom, wo er für Erzbischof Anselm Kasimir das Pallium holte, auch für eine Verbesserung von Hagens Einkünften einsetzen.55

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Unter den Frankfurter Klöstern standen Hagen wahrscheinlich die Dominikaner am nächsten. In ihrer Klosterbibliothek befanden sich im 18. Jahrhundert noch mehrere von ihm gestiftete Bücher, meistens mit seiner Widmung an den Prior Konrad Lehr versehen.56 Zur Zeit der schwedischen Besetzung vergaß Hagen selten, in einem Satz seiner Briefe nach Rom auch kurz über die Verhältnisse im Dominikanerkloster zu berichten.57 Ob wir allerdings annehmen dürfen, daß er in seiner Amtstätigkeit als Bücherkommissar mit ihnen zusammenarbeitete, geht aus diesen Stellen nicht hervor.

Kurz soll auch erwähnt werden, was wir über Hagens Herkunft und verwandtschaftliche Beziehungen wissen oder erschließen können. Die erste Pfründe, die man ihm zuschreiben kann, ein Kanonikat an St. Florin in Koblenz, das er im Jahr 1602 gegen eines in Trier austauschte,58 läßt bereits vermuten, daß er aus dem Gebiet dieses Erzbistums stammte. In die gleiche Richtung weist alles, was wir über seine Verwandten erfahren. Ein Franz Peter von Hagen, licentiatus iuris utriusque, war Propst von St. Simeon in Trier (1629–69).59 Ihm begegnen wir auch unter den Kanonikern von St. Leonhard und Mockstadt in Frankfurt,60 und der Bücherkommissar empfiehlt ihn als seinen Neffen im Jahr 1636 für eine Domherrnstelle in Speyer.61 Sein Vorgänger an St. Simeon, der im übrigen auch ein Kanonikat in Speyer besaß, trug ebenfalls den Namen Franz Peter von Hagen und war einer der ersten Trierer, die am Collegium Germanicum in Rom studiert hatten.62 Als trierischer Offizial hatte er bedeutenden Anteil an ←23 | 24→der Durchführung der katholischen Restauration im Erzstift. Daß er mit Johann Ludwig von Hagen verwandt war, ist aufgrund der Namensgleichheit und der Gleichheit der Pfründen mit dessen Neffen als sicher anzunehmen.

Die interessanteste Gestalt unter Hagens Verwandten ist jedoch Peter Ernst von Ouren. Ouren – Hagen nennt ihn seinen cognatus63 – war einer der engsten Vertrauten des Trierer Kurfürsten Philipp Christoph von Sötern (1623–52, seit 1610 Bischof von Speyer) und dessen diplomatischer Agent in den Jahren 1633 und 1634, als die geheimen Verhandlungen geführt wurden, die Richelieu die Koadjutorie in Speyer oder Trier einbringen sollten.64 In dieser und in anderen Angelegenheiten der trierisch-französischen Politik reiste er 1634 nach Paris und anschließend nach Rom, wo er mit Urban VIII. und vielen Kardinälen verhandelte und sich als geschickter Diplomat und Propagandist erwies. Aus der Sicht kaiserlicher Politiker mußte er als zwielichtige Gestalt gelten, doch hinderte dies Hagen nicht daran, mit ihm Verbindung zu halten. – Über Ourens Herkunft sind wir besser unterrichtet als über die des Bücherkommissars, denn er hat annalistische Aufzeichnungen über das im Bistum Speyer gelegene adelige Kollegiatstift Sinsheim verfaßt,65 dem er seit 1626 vorstand. Über seine Einsetzung durch Sötern, der das von den Kurfürsten der Pfalz säkularisierte Stift 1623 restituiert hatte,66 schreibt er: … huc transmisit ex archiepiscopatu Trevirensi me, qui haec scribo, Petrum Ernestum ab Ouren, patria Arduennatem et dominum in Tavigny, antiqua prosapia oriundum, sacerdotem et sanctae sedis apostolicae protonotarium. Er stammte also aus einem luxemburgischen Geschlecht, und aus seiner Heimat holte er die ersten Vikare, die die katholische Seelsorge in den zum Stift gehörenden Pfarreien aufnehmen sollten.67 Als nach der Vertreibung der Stiftsherren durch die Schweden im Jahr 1635 mit der Rekatholisierung neu begonnen wurde, kamen zu seiner Unterstützung wieder zwei Priester aus Luxemburg.

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Da wir wissen, daß auch Hagens Muttersprache französisch war,68 liegt es nahe, anzunehmen, daß er ebenfalls aus dem Luxemburgischen stammte. Das starke Interesse, das er in seiner Dissertation und in einigen seiner Briefe69 für die Angelegenheiten der spanischen Regierung der Niederlande zeigt, läßt sich als weiterer Hinweis darauf deuten, daß er selbst in einem von ihr beherrschten Gebiet beheimatet war. In Luxemburg wie im Gebiet des Erzstifts Trier war das ursprünglich edelfreie Geschlecht der Hagen zur Motten (de Indagine) begütert, dessen Stammsitz sich in der Gegend von Lebach (Kreis Saarlouis), etwa drei Stunden vom Kloster Tholey entfernt, befand.70 Dieser Familie, der ein Erzbischof von Trier Johann Ludwig von Hagen (1540–47)71 und zahlreiche Domherrn der Kapitel von Trier und Mainz angehörten,72 können wir den Bücherkommissar also zurechnen.

3. Eine Schilderung von Hagens Amtstätigkeit als Bücherkommissar hat bisher nur Friedrich Kapp gegeben.73 Seine Darstellung, die auf den Wiener und Frankfurter Archivalien zur Bücherkommission beruht, leidet jedoch unter der Voreingenommenheit des Autors, der diese Institution in erster Linie als ein Instrument zur Unterdrückung des protestantischen Buchhandels und zur Schädigung der freien Reichsstadt Frankfurt sieht, und unter seiner falschen Einschätzung der juristischen Stellung, die dem Reich und seinen Behörden aufgrund des kaiserlichen Bücherregals zukam.74 Um Hagens Funktionen als ←25 | 26→apostolischer Bücherkommissar richtig zu umschreiben, genügte auch das von Kapp benützte Quellenmaterial nicht.

Originalbriefe Hagens an die römische Kurie haben sich in verschiedenen Beständen der Vatikanischen Bibliothek und des Vatikanischen Archivs gefunden:

BAV Barb. lat. 7058 fol. 60r–91r 33 Briefe 1623 Apr. 27–1641 Okt. 4
BAV Barb. lat. 2179 fol. 67r–94r 15 Briefe 1625 Jan. 7–1642 Okt. 575
ASV Segr. Stato, Colonia 11 fol. 161r-v 1 Brief 1629 Apr. 25
ASV Segr. di Stato, Particolari 16 fol. 129r 1 Brief 1648 Mai 5
ASV Segr. di Stato, Particolari 18 fol. 337r
und 370r
2 Briefe 1645 Apr. 25 und 1649 Okt. 5

Von den Antwortschreiben an Hagen ist die Registerkopie einer Minute Camillo Pamphilis enthalten in

BAV Barb. lat. 1961 fol. 112r 1646 Juni 10.

Von diesen Briefen sind 49 an die jeweiligen Kardinalnepoten Ludovico Ludovisi, Francesco Barberini und Camillo Pamphili gerichtet; nach Pamphilis Ausscheiden76 berichtete Hagen in den Jahren 1648 und 1649 an Kardinalstaatssekretär Panciroli. Ein einzelnes Schreiben des Jahres 1629 war an den Datar Ursinus de Vivariis adressiert. Verloren scheinen die Briefe zu sein, die Hagen 1625 und 1626, während der Legationsreisen Francesco Barberinis, an dessen Vertreter, den Kardinal von S. Onofrio (Antonio Barberini d. Ä.)77 geschrieben hat.78

Auch an die Kongregation de Propaganda Fide hat Hagen Briefe gerichtet. Einer davon wurde im Jahre 1636 zuständigkeitshalber an das Hl. Offiz weitergegeben,79 so daß anzunehmen ist, daß sich in dessen (unzugänglichem) Archiv noch weitere Schreiben aus seiner Korrespondenz befinden. Daß er mit dieser ←26 | 27→Behörde auch in direktem Kontakt stand, ist allerdings unwahrscheinlich; er hätte sonst kaum ein dem Inhalt nach sie betreffendes Schreiben irrtümlich an die Propaganda Fide adressiert. – Ein Brief des Jahres 1638, der bei der Propaganda-Kongregation eingetroffen war, wurde zuerst an Francesco Barberinis Privatsekretär Tighetti, dann an das Staatssekretariat weiterverwiesen.80 Die Propaganda-Kongregation selbst fühlte sich also offenbar nicht zuständig für Angelegenheiten der Bücherkommission.

Details

Seiten
426
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631812075
ISBN (ePUB)
9783631812082
ISBN (MOBI)
9783631812099
ISBN (Hardcover)
9783631806647
DOI
10.3726/b16545
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Februar)
Schlagworte
Papsttum und Kirche in der Frühen Neuzeit Nepotismus unter Papst Urban VIII. Zeremoniell und Politik Gegenreformation in Ungarn, Kardinal Pázmány, Missionierung durch Franziskaner Frankfurter Buchmesse und kirchliche Bücherpolitik in Italien Geschichte der päpstlichen und kaiserlichen Diplomatie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 426 S., 1 Tab.

Biographische Angaben

Rotraud Becker (Autor:in)

Rotraud Becker studierte Geschichte in München und Wien und wurde an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert. Seit 1964 ist sie Mitarbeiterin des Deutschen Historischen Instituts in Rom zur Edition der «Nuntiaturberichte aus Deutschland».

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Titel: Päpstliche Politik in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges
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