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Medientexte aus fraktaltheoretischer Perspektive

Deutsch-ukrainische Kontraste

von Yuriy Kiyko (Autor:in)
©2020 Monographie 312 Seiten
Reihe: Transferwissenschaften, Band 14

Zusammenfassung

Dieses Buch befasst sich mit dem fraktalen Modellieren der Informationsstruktur von modernen Medientexten in der deutschen und ukrainischen Sprachkultur. Das Modellieren ermöglicht die Darstellung der Informationsstruktur von informations-, meinungsbetonten und gemischten Medientextsorten, denen eine rekursive Selbstähnlichkeit unterschiedlicher Dimension zugrunde liegt. Deutsche und ukrainische Medientexte als komplexe semiotische Textsortenkonstrukte diverser Dimensionen weisen Zwei- oder Dreifraktalstruktur auf. Die in Medientexten dominierenden Kategorien Referentialität, Evidentialität und Temporalität korrelieren mit Textsortenzugehörigkeit und dem fraktalen Aufbau.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Vorwort
  • Kapitel 1 Тheoretische Grundlagen
  • 1.1 Text als kommunikative Einheit
  • 1.1.1 Zum Begriff Text
  • 1.1.2 Text vs. Diskurs
  • 1.1.3 Texttypologie
  • 1.2 Text als Objekt des interlingualen Vergleichs
  • 1.3 Medientext als Untersuchungsobjekt
  • 1.3.1 Situationalität von Medientexten
  • 1.3.2 Medientextsorten
  • 1.3.3 Makrostruktur von Medientexten
  • 1.4 Informationsstruktur des Textes
  • 1.5 Text als fraktale Erscheinung
  • Resümee
  • Kapitel 2 Material und Methoden der Untersuchung
  • 2.1 Untersuchungsmaterial
  • 2.1.1 Deutsche und ukrainische Medienlandschaft
  • 2.1.1.1 Berliner Zeitung
  • 2.1.1.2 День (dt.: Tag)
  • 2.1.2 Online-Versionen der deutschen und ukrainischen Tageszeitungen
  • 2.2 Untersuchungsverfahren
  • 2.2.1 Statistische Verfahren
  • 2.2.2 Modellierungsverfahren
  • 2.2.3 Untersuchungsmethodik
  • 2.3 Deutscher und ukrainischer außenpolitischer Diskurs im Textsortenaspekt
  • Resümee
  • Kapitel 3 Fraktale Modellierung der Informationsstruktur
  • 3.1 Fraktale Invariantenmodelle der deutschen und ukrainischen Medientexte
  • 3.2 Zeitungsmeldung
  • 3.2.1 Makrostruktur
  • 3.2.1.1 α-Fraktal der Meldung
  • 3.2.1.2 ω-Fraktal der Meldung
  • 3.2.2 Mikrostruktur der Meldung
  • 3.2.2.1 Syntaktische Ebene
  • 3.2.2.2 Lexikalisch-semantische Ebene
  • 3.2.2.3 Rhetorisch-stilistische Eigenschaften
  • 3.2.3 Nonverbaler Aspekt
  • 3.3 Zeitungsnachricht
  • 3.3.1 Vorbemerkungen
  • 3.3.2 Makrostruktur
  • 3.3.2.1 α-Fraktal der Nachricht
  • 3.3.2.2 ω-Fraktal der Nachricht
  • 3.3.3 Mikrostruktur
  • 3.3.4 Nonverbaler Aspekt
  • 3.4 Zeitungsbericht
  • 3.4.1 Vorbemerkungen
  • 3.4.2 Makrostruktur
  • 3.4.2.1 α-Fraktal des Berichts
  • 3.4.2.2 ω-Fraktal des Berichts
  • 3.4.3 Мikrostruktur
  • 3.4.4 Nonverbaler Aspekt
  • 3.4.5 Informationeller Aspekt
  • 3.5 Presse-Interview
  • 3.5.1 Vorbemerkungen
  • 3.5.2 Zeitungsinterview als Textsorte
  • 3.5.3 Makrostruktur
  • 3.5.3.1 α-Fraktal des Interviews
  • 3.5.3.2 φ-Fraktal des Zeitungsinterviews
  • 3.5.3.3 ω-Fraktal von Presse-Interviews
  • 3.5.4 Mikrostruktur
  • 3.5.5 Sprachkultureller Aspekt
  • 3.5.6 Nonverbaler Aspekt
  • 3.6 Zeitungskommentar
  • 3.6.1 Vorbemerkungen
  • 3.6.2 Makrostruktur
  • 3.6.2.1 α-Fraktal des Kommentars
  • 3.6.2.2 ω-Fraktal
  • 3.6.3 Mikrostruktur
  • 3.6.4 Nonverbaler Aspekt
  • 3.7 Deutsch-ukrainische Medientextsortenkontraste
  • 3.7.1 Vorbemerkungen
  • 3.7.2 α-Fraktal der informationsbetonten Medientextsorten
  • 3.7.2.1 Haupttitel in deutschen informationsbetonten Medientextsorten
  • 3.7.2.2 Haupttitel in ukrainischen informationsbetonten Medientextsorten
  • 3.7.2.3 Untertitel in Medientextsorten
  • 3.7.3 ω-Fraktal von informationsbetonten Medientexten
  • 3.7.4 α-Fraktal in diversen Medientextsorten
  • 3.8 Intra- und Intertextsortenfraktalität der informationsbetonten Medientexte
  • Resümee
  • Kapitel 4 Referentielle, evidentielle und temporale Marker
  • 4.1 Referentialität in deutschen und ukrainischen Medientexten
  • 4.1.1 Vorbemerkungen
  • 4.1.2 Zur Forschungsgeschichte
  • 4.1.3 Nomina propria in Medientexten
  • 4.1.4 Anthroponyme und Toponyme in deutschen und ukrainischen Medientexten
  • 4.2 Evidentialität in deutschen und ukrainischen Medientexten
  • 4.2.1 Vorbemerkungen
  • 4.2.2 Evidentialität in deutschen Medientexten
  • 4.2.3 Evidentialität in ukrainischen Medientexten
  • 4.2.4 Evidentielle Marker: deutsch-ukrainische Kontraste
  • 4.3 Temporalität in deutschen und ukrainischen Medientexten
  • 4.3.1 Vorbemerkungen
  • 4.3.2 Temporalität in Meldung
  • 4.3.3 Temporalität in Nachricht
  • 4.3.4 Temporalität in Presse-Interview
  • 4.3.5 Textsortenkontraste in temporaler Hinsicht
  • Resümee
  • Nachwort
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Lexikografische Quellen
  • Sekundärliteratur

Vorwort

In den letzten Jahren ist ein zunehmendes Interesse an der Erforschung sprachlich-kultureller Unterschiede/Ähnlichkeiten in Textsorten verschiedener Bereiche der menschlichen Interaktion zu beobachten. Als eine der Ursachen dieses Interesses kann die vorausschreitende Globalisierung angesehen werden, infolge derer zwischen verschiedenen sprachlichen Kulturen enge und mannigfaltige Kontakte entstehen. Zu einer Intensivierung dieser Kontakte trägt vor allem der technische Fortschritt in der Medienkommunikation durch das Internet bei. Die jüngeren kontrastiven Studien zu sprachlich-kulturellen Eigenschaften des jeweiligen Sprachdiskurses sind auch durch Anwendungsbedürfnisse bedingt, besonders im Bereich der Didaktik des Fremd- und Muttersprachenunterrichts sowie der Translatologie.

Seit Kurzem werden unterschiedliche Textsorten aus fraktaler Perspektive untersucht. Vor allem lyrische, epische und wissenschaftliche Textsorten weisen fraktale Eigenschaften auf.1 H.-W. Eroms (2014: 108) plädiert dabei für eine umfassende Erforschung dieser Erscheinung in der Textsortenlinguistik, um zu überprüfen, ob das fraktale Bauprinzip als ein Universalprinzip gelten kann. Eine Analyse von Medientextsorten in neuer Perspektive stellt daher in der Textsortenlinguistik und Mediensprachforschung ein Desiderat dar.

Das Untersuchungsobjekt der vorliegenden kontrastiven Studie sind informations- und meinungsbetonte Textsorten in den modernen deutschen und ukrainischen Qualitätstageszeitungen. Das Ziel der Monografie ist es, Fraktalität als rekursive informationelle Selbstähnlichkeit auf Intra- und Intertextsortenebene in Medienpraktiken beider Kulturen festzustellen. Analysiert werden frequente Textsorten im deutschen und ukrainischen Informationsdiskurs, und zwar Meldung, Nachricht, Bericht, Interview und Kommentar. Diese Textsorten bilden den Kern des modernen Mediendiskurses. Bei den untersuchten Texten handelt es sich um situativ äquivalente Paralleltexte im Sinne von B. Spillner (1981), d. h. um solche Texte, die eine ähnliche Rolle in zwei sprachlich-kulturellen Umgebungen spielen, indem sie das Lesepublikum beider Länder über außenpolitische Ereignisse informieren.

Der moderne Medientext wird heutzutage wie folgt verstanden: erstens, als eine standardisierte kohärente Folge von verbalen und nonverbalen Zeichen, die alle zusammen eine kommunikative Funktion in Massenmedien erfüllen (K. Brinker 2014, H. Lüger 1995); zweitens, als eine sprachliche Einheit mit diversen Eigenschaften wie Aktualität, Intertextualität, Orientierung auf das globale Wissen des Rezipienten, Knappheit usw. unter verschiedenen Deskriptionen: Presse-, Zeitungs-, Medien-, Internet- u.a. Text (V. Zdorovega 2008, K. Seražym 2012). Zurzeit dominiert der semiotische Ansatz bei der Medientextrezeption, denn beim Informationstransfer in diesen Texten werden in der Regel diverse Zeichensysteme angewandt.

Die Erforschung von Medientexten wird überwiegend in zwei Richtungen durchgeführt. Die kontrastive Richtung steht vor der Aufgabe, die Effizienz der interkulturellen Kommunikation sicherzustellen (Pressetextsorten im Vergleich 2005). In der angewandten Richtung bemüht man sich, sowohl Systeme für die automatische Textverarbeitung zu schaffen, als auch dringende Bedürfnisse von Lehrmethoden des Fremdsprachenunterrichts zu befriedigen, insbesondere die Vorbereitung neuer pädagogischer Lehrwerke, die linguistische und kulturelle Textsortenunterschiede berücksichtigen (Chr. Fandrych/M. Thurmair 2011, Y. Kiyko 2014а, 2014b).

Die kontrastiven Studien zu Medientexten wurden vor allem in Englisch und Deutsch (U. Dirks 2005, M. Luginbühl 2014), Deutsch und Chinesisch (Q. Chen 2013, W. Renbai 2001, Zh. Qiu 1997), Deutsch und Russisch (А. Аrslanova 2012), Deutsch und Finnisch (H. Kohvakka 2001), Deutsch und Französisch (H. Lüger 2013, B. Spillner 1983), Deutsch und Schwedisch (M. Carlsson 2004), Deutsch und Japanisch (S. Adachi-Bähr 2006) u.a. durchgeführt. In der deutschen und ukrainischen Sprache (О. Salamatina 2011) wurden funktionale und pragmatische Eigenschaften einzelner Textsorten untersucht, vor allem für die Feststellung der national-kulturellen Besonderheiten. In angewandter Hinsicht bleibt das noch kaum gelöste Problem von Sammeln und Vermittlung der Information zwecks der Zusammenfassung von Texten, automatischer Redaktion und informationeller Recherche (N. Darčuk 2013). Der angewandte Charakter der kontrastiven Studien ist stark durch die Translation geprägt, die ständig auf der Suche nach den optimalen Übersetzungslösungen für die korrekte Interpretation der Polycodierung von Paralleltexten ist.

Solch eine interdisziplinäre Richtung der vergleichend-angewandten Erforschung von parallelen Medientexten kann dem synergetischen Paradigma zugeordnet werden (G. Haken 1985, R. Köhler 1986, R. Piotrovski 2006 u.a.). Als eines der produktiven Mittel der synergetischen Modellierung gilt das fraktale Modell (B. Mandelbrot 2014, Т. Dombrovan 2013a u.a.), das Raum für die Lösung komplexer Probleme in nichtlinearen (hierarhischen, spontanen) Systemen des natürlichen und humanistischen Wissens öffnet. Die Prinzipien der fraktalen Modellierung werden seit Kurzem in der Linguistik (H.-W. Eroms 2014, G. Moskalčuk 2010 u.a.) zur Veranschaulichung komplexer Phänomene sowie als ein Mittel zur Erleichterung des Verstehens und der Wahrnehmung der großräumigen Invarianz von Sprachphänomenen im Allgemeinen und Medientexten als Wissenstransfer insbesondere umgesetzt.

* * *

Auf diesem Wege möchte ich mich herzlich bei allen bedanken, die zur Entstehung der vorliegenden Monografie beigetragen haben.

Recht herzlichen Dank gilt Prof. Thorsten Roelcke (TU Berlin), Prof. Franz Simmler (FU Berlin), Prof. Werner Holly (TU Chemnitz), Prof. Norbert Fries (HU Berlin), Prof. Natalia Darčuk (Taras-Ševčenko-Universität Kyiv), Prof. Svitlana Ivanenko (Nationale Pädagogische Dragomanov-Universität), Prof. Yevgeniya Karpilovska (Akademie der Wissenschaften Kyiv), Prof. Alla Koroljova (Nationale Pädagogische Dragomanov-Universität Kyiv), Prof. Maryan Skab (Juri-Fedjkovyč-Universität Czernowitz) und vielen anderen Kollegen für fachliche und freundschaftliche Unterstützung.

Mein ausdrücklicher Dank gilt der Alexander von Humboldt-Stiftung, die durch ihre finanzielle Unterstützung die Entstehung der Monografie während meines Forschungsaufenthalts in Deutschland ermöglicht und ebenso die Kosten für die Veröffentlichung getragen hat.

Mein großer Dank gilt auch Prof. Matthias Ballod, Prof. Thorsten Roelcke und Prof. Tilo Weber für die Aufnahme des Buchs in die Reihe Transferwissenschaften und für das aussagekräftige Vorwort.

Für Geduld und Unterstützung bedanke ich mich bei meiner Familie.

Kapitel 1 Тheoretische Grundlagen der Erforschung der Informationsstruktur in Medientexten

1.1 Text als kommunikative Einheit

In der modernen Sprachwissenschaft ist der Text eine der Schlüsseleinheiten unter den grundlegenden linguistischen Einheiten vom Phonem bis zum Diskurs, durch den menschliches Wissen vermittelt und gespeichert wird.2 Im Gegensatz zu den anderen sprachlichen Einheiten dient der Text als Untersuchungsgegenstand verschiedener Geisteswissenschaften, was seinen interdisziplinären Status prädestiniert.

Seit den 1960er Jahren steht der Text als Untersuchungsobjekt immer öfter im Fokus der linguistischen Studien, wobei die Einheit Satz allmählich in den Hintergrund geschoben wird, deren Erforschung an ihre Grenzen stößt, wie es einst bei dem Phonem, Morphem und Lexem der Fall war. Angesichts der historischen Entwicklung des Wissens kann dies als ein gesetzmäßiger Prozess betrachtet werden, wo bei der Erschöpfung eines Untersuchungsphänomens zum nächsten komplexeren Phänomen übergegangen wird. Auch der Text ist nicht das letzte Objekt der wissenschaftlichen Erforschung, aber im Gegensatz zum Diskurs ist er ebenso materiell wie der Rest der Spracheinheiten und bleibt daher die Grundlage der diskursiven Studien.

Als ein charakteristisches Merkmal von textlinguistischen Studien ist die Pluralität der theoretischen Ansätze, was zu der beträchtlichen Vielfalt an wissenschaftlichen Ansichten in dieser Domäne beiträgt.3 Die Analyse der einschlägigen Literatur zeugt von großem Interesse an diesem Thema und zugleich vom immensen Umfang des Forschungsobjekts, in dem unterschiedliche Analyseverfahren vorhanden sind, die teilweise miteinander nicht verbunden sind.4 Aber in allen diesen Studien steht der Text im Fokus der Untersuchung.

1.1.1 Zum Begriff Text

Das Wort Text (lat. textus, textum ‚Gewebe‘) ist seit der Antike im Gebrauch. Seine moderne allgemeine Bedeutung ist schon bei Platon und Aristoteles zu treffen.5 Den Status des wissenschaftlichen Begriffs erwirbt der Text nur im Rahmen der rationalistischen Hermeneutik im 18. Jahrhundert. Zu dieser Zeit wird er überwiegend metaphorisch oder alltäglich verwendet, um auf die Materialität des Schreibens hinzuweisen, zum Beispiel Text der Bibel. Für sprachliche und literarische Bedürfnisse werden die lateinischen Wörter logos, oratio, locutio benutzt. Erst in den 1960er Jahren tritt der Textbegriff in den Vordergrund der linguistischen Studien.

In der Linguistik steht die Definition dieses Begriffs zur Debatte, davon zeugt beispielsweise eine Reihe von Vorträgen auf einer speziell diesem Thema gewidmeten Tagung unter dem symbolischen Titel „Brauchen wir einen neuen Textbegriff?“ (2002). M. Klemm (2002: 19ff.) versucht dabei unzählige Definitionen zu systematisieren. Einige Wissenschaftler wie Je. Kubrjakova und A. Aleksandrova (1997: 24) verzichten aber auf eine endgültige Definition des Textbegriffs wegen seiner Vielseitigkeit. Daher ist es unseres Erachtens wichtig, die salienten Merkmale des Textes zu erwähnen, indem man auch die Entwicklungsgeschichte dieses Begriffs berücksichtigt. Schließlich wird bei jedem Ansatz ein Merkmal dieser komplexen sprachlichen Einheit hervorgehoben.

W. Heinemann und M. Heinemann (2002: 64ff.) unterscheiden in der wissenschaftshistorischen Entwicklung der Textlinguistik vier Grundansätze zur Kennzeichnung der Textphänomene: den grammatischen, semantischen, pragmatisch-kommunikativen und kognitiven Ansatz.

In der grammatikalischen Herangehensweise wird der Text durch Sätze und Kohäsion bestimmt, d.h. unter Berücksichtigung der oberflächlichen Struktur (H. Isenberg 1978, R. Harweg 1979). Dieser Ansatz führt zur Entstehung der sogenannten „Textgrammatik“.6

In der semantischen Herangehensweise wird vor allem versucht, den Text hinsichtlich seiner Bedeutung und Beziehung zu Referenten zu interpretieren. Dabei werden diverse Modelle vorgeschlagen: Thema-Rhema-Modell (F. Daneš 1976), Isotopie-Modell (R. Harweg 1979), Propositionales Modell (Makro- und Mikropropositionen, T. van Dijk 1980), Text-Thema-Modell (K. Brinker 2014) etc. Diese Sichtweise liegt der „Textsemantik“ zugrunde.

Beim pragmatisch-kommunikativen Ansatz7 werden die Texte durch ihre situative Funktion interpretiert. Hier lassen sich Folgende unterscheiden: 1) die pragmatische Richtung (W. Motsch/D. Viehweger 1980), in der Texte als Summe der Illokutionen betrachtet werden; 2) die kommunikative Richtung (W.-D. Hartung 2000: 83ff.), wobei die kommunikative Aktivität in der Situation im Vordergrund steht.

Beim kognitiven Ansatz (T. van Dijk/W. Kintsch 1988) wird auf die mentalen Phasen der Textbildung fokussiert. Verwendet wird dabei das Wissen über Formen der Informationsspeicherung im Gedächtnis, Wahrnehmung und Formulierung der Rede.8

Beim oben genannten Ansatz ist das Modell von R.-A. de Beaugrande und W. Dressler (1981) verbreitet. Die Autoren schlagen vor, sieben Kriterien der Textualität zu differenzieren. Zu diesen Kriterien gehören: 1) Kohäsion – grammatischer Zusammenhang zwischen den Komponenten der Oberflächenstruktur des Textes; 2) Kohärenz – semantisch-kognitiver Zusammenhang in kausaler, temporaler und referentieller Hinsicht; 3) Intentionalität – der kommunikative Zweck des gesamten Textes; 4) Akzeptabilität – kommunikativ-pragmatische Orientierung gegenüber dem Empfänger unter Berücksichtigung von sozialen, Alters-, Rollen- und Geschlechtsmerkmalen; 5) Informativität – Reflexion des Unbekannten und Aktuellen im Text; 6) Situationalität – Korrelation des Textes mit der kommunikativen Situation; 7) Intertextualität – Verbindung des Textes mit anderen Texten.

Die Schwächen der Arbeit mit den angeführten Kriterien wurden in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckt. Einer der zentralen Kritikpunkte ist, dass die Kriterien heterogen sind und folglich Aspekte unterschiedlicher Ebenen des Textes gleichbehandelt werden. Dies führt zur Suche nach homogeneren Kriterien, die nach G. Feilke (2000) solche Ausgangspunkte haben könnten: Generativität – die Fähigkeit des Sprechers, unzählige Texte zu produzieren;9 Universalität – Akzeptanz von Textstrukturen in verschiedenen Sprachen; Kontextualität – Kenntnisse über die Bedingungen für die Verwendung des Textes in verschiedenen Situationen;10 Prozeduralität – Kenntnisse über die Erzegung von Texten; Intentionalität – die situative Bedingtheit der Herkunft von Texten11; Dialogizität – das Zweipolensystem jeder Kommunikation, unabhängig von der Form der Fixierung, aber mit bestimmten Merkmalen der Aktualisierung des Adressaten.12

Wie M. Heinemann/W. Heinemann (2002: 102) bemerken, lenken neue Maßstäbe die Aufmerksamkeit der Forscher vom Text als Sprachphänomen auf den kognitiven, psychischen Prozess. Daher plädieren die Autoren für eine Kombination aus neuen Orientierungspunkten und den Textualitätskriterien von R.-A. de Beaugrande und W. Dressler (1981), die bei der Textanalyse unvermeidlich sind. Chr. Hausendorf und W. Kesselheim (2008) schlagen sechs Richtungen für Textbeschreibung vor, die sich mit den Kriterien von R.-A. de Beaugrande und W. Dressler zu einem gewissen Grad überlappen: intertextuelle Verknüpfbarkeit, thematische Zusammengehörigkeit, pragmatische Nützlichkeit, Musterhaftigkeit, intertextuelle Beziehbarkeit auf andere Texte und, als neues Merkmal, Begrenzbarkeit.

Aufgrund solch eines Multi-Vektor-Ansatzes zum Text ist heutzutage eine Tendenz zu seiner prototypischen Definition zu merken.13 Bei einem prototypischen Ansatz werden auch nicht alle Probleme gelöst, weil es noch nicht klar ist, welche Merkmale des Textes für zentrale und welche für marginale gehalten werden sollten. Das Problem der Textdefinition existiert unseres Erachtens objektiv wegen der Vielseitigkeit des Untersuchungsgegenstandes.

In der Studie gehen wir von der Definition von K. Brinker aus. Sie ist vor allem auf die schriftlichen Texte orientiert, die im Fokus unserer Untersuchung stehen. K. Brinker (2014: 17) verbindet in seiner Definition zwei Hauptrichtungen der Textlinguistik – sprachsystematische und kommunikationsorientierte. Sie lautet: „Text ist eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“.

Da in unserer Studie Medientexte untersucht werden, sollte diese Definition um das Merkmal Multimodalität erweitert werden. Der Begriff Multimodalität bezeichnet die parallele Nutzung unterschiedlicher Sinneskanäle zur Übermittlung von Information.14 In Medientexten werden außer verbalen auch diverse nonverbale Zeichen verwendet, z.B. Grafiken, Bilder usw. Folglich bestimmen wir den Medientext als eine begrenzte kohärente Folge von verbalen und nonverbalen Zeichen, die als Ganzes jeweilige kommunikative Funktionen in den Medien erfüllt.

Details

Seiten
312
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631828687
ISBN (ePUB)
9783631828694
ISBN (MOBI)
9783631828700
ISBN (Hardcover)
9783631816530
DOI
10.3726/b17391
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Fraktalität Medientextsorte Referentialität Evidentialität Temporalität Informationsstruktur Fraktales Modell
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 312 S., 2 farb. Abb., 13 s/w Abb., 35 Tab.

Biographische Angaben

Yuriy Kiyko (Autor:in)

Yuriy Kiyko ist habilitierter Dozent am Lehrstuhl für Germanistische, Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft an der Nationalen Juri-Fedjkovyč-Universität Czernowitz (Ukraine).

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Titel: Medientexte aus fraktaltheoretischer Perspektive
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