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Prägnante Kürze und mehr

Kurztexte und multimodale Kurzformen im öffentlichen Raum

von Zofia Berdychowska (Band-Herausgeber:in) Frank Liedtke (Band-Herausgeber:in)
©2020 Sammelband 262 Seiten

Zusammenfassung

Städte sind unter anderem Räume für symbolische Artefakte wie zum Beispiel Texte, die in unterschiedlichsten Ausprägungen und verschiedensten Funktionen auftreten. Diese Texte bilden zusammen mit Bildern oder anderen grafischen Konfigurationen eine zeichenhafte Einheit. Die Beiträge dieses Bandes nehmen öffentliche Kurztexte unter Berücksichtigung ihrer Einbettung in multimodale Umgebungen in den Blick. Ihre Beschreibung erfolgt aus unterschiedlichen Perspektiven wie der Text- und Diskurslinguistik, der Syntax, Semantik und Pragmatik. Berücksichtigt werden auch Formen der Online-Kommunikation sowie Fragen der Textübersetzung von Live-Tickern. In allen Beiträgen geht es um das Zusammenspiel von minimaler sprachlicher Form mit bildlicher Information und dem vorausgesetzten oder aktivierten Wissen der Rezipierenden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Kürze, Raum, Material – zur Einleitung
  • Kapitel I Allgemeines
  • ‚Achtung! stark befahrene Straße‘: Warnhinweise im öffentlichen Raum.
  • Schilder mit regulierender Funktion als Dispositive, am Beispiel der Leinenpflichtschilder
  • Tautologische Slogans: Bedeutung als Implikatur
  • Problematik und Versuch der Typologisierung von multimodalen Kommunikationsformen im urbanen Raum
  • Kapitel II Exemplarisches
  • Augenblickstexte. Sprüche als Spiel und Strategie, nicht alles sagen zu müssen
  • Syntaktische Komprimierung und die Lesartenvariation im deutschen Kurztext
  • Gedenktafeln als urbane Kurztexte der Erinnerungskultur. Eine vergleichende Analyse an Beispielen aus Warschau und Berlin
  • Funktionen deutscher Abtönungspartikeln, Implizitheit und Inferenzbildung auf der metapragmatischen Ebene
  • Kapitel III (Stadt-) Raum
  • Wenn Rasen tötet und Prägnanz fordert. Merkmale multimodaler Texte an der Autobahn
  • Stadt als Textsammlung: über die Kunst der Interpretation
  • Murals als multimodale Kommunikationsform im öffentlichen Raum: Bilder, (Kurz)Texte, Kommunikate
  • Kapitel IV Neue und soziale Medien
  • Multimodale Kurzformen und interaktionales Schreiben im Web 2.0
  • Die Benennung deutschsprachiger WLAN-Netze als „Ultra-Kurz-Texte“? Ein sprachliches Phänomen zwischen Kreativität und Kürze
  • Kommunikation in der vernetzten Gesellschaft. Zu sprachlichen Kürzungstendenzen in Online-Fachforen
  • Zur Textkohärenz der professionellen Tennis-Live-Ticker. Ein Vergleich im Sprachpaar Deutsch – Polnisch
  • Studien zur Text- und Diskursforschung

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Frank Liedtke (Universität Leipzig) Zofia Berdychowska (Uniwersytet Jagielloński, Kraków)

Kürze, Raum, Material – zur Einleitung

Städte sind Räume nicht nur für Personen, Pflanzen, Tiere, Gebäude, Fahrzeuge und anderes, sondern auch für symbolische Artefakte wie zum Beispiel Texte, die in unterschiedlichsten Ausprägungen und verschiedensten Funktionen zum Bild der Stadt gehören. Eingebettet sind diese Texte in Bildern oder anderen grafischen Konfigurationen, mit denen sie eine zeichenhafte Einheit bilden. Akustische Texte wiederum werden häufig von Musikelementen oder anderen Signalen der Aufmerksamkeit begleitet.

Gemeinsam ist allen ihren Vorkommnissen, dass sie im Vorübergehen oder -fahren rezipiert werden, so dass die Zeit für ihre Lektüre oder ihr Anhören von vorneherein begrenzt ist. Dies wiederum hat zur Folge, dass die jeweiligen Texte kurz und prägnant sind, mithin schnell zu erfassende Botschaften enthalten. Die so vermittelten Botschaften selbst treten auf als Verbote, Gebote, Hinweise, Richtungsanzeiger, Warnungen, Ankündigungen, Aufrufe, Werbung und vieles mehr.

Eine linguistische und im weiteren Sinne semiotische Untersuchung dieses vielfältigen Phänomenbereichs stellt hohe Ansprüche an die Beschreibung, da von vorneherein die semiotisch-pragmatische Komplexität dieser Kommunikate berücksichtigt werden muss. Die Schrift in ihrer Größe und Form, ihre Beziehung zu den bildlichen Anteilen, das Material und die Form des Zeichenträgers wie auch seine Position im sozialen Raum, schließlich die Lautstärke und andere akustische Eigenschaften von Durchsagen sind sämtlich zu berücksichtigen. Hinzu kommt – angesichts der Kürze und Kompaktheit der Botschaften – das mannigfaltige vorausgesetzte Wissen der Rezipient_innen, ohne dass diese Kommunikate nicht interpretierbar wären. Alles dies erfordert Beschreibungskategorien, die die unterschiedlichen Modalitäten der rezipierten Zeichen und ihrer Träger sowie die vorausgesetzten Wissensstrukturen zu erfassen in der Lage sind.

Eine Reihe von Studien hat sich in jüngster Zeit dieser deskriptiven Herausforderung gestellt, und sie nehmen den genannten Phänomenbereich von unterschiedlichen Perspektiven aus in den Blick. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei die verwendeten Grundbegriffe wie diejenigen der Kürze oder des ←7 | 8→Multimodalen, die durchaus mehrdimensional und daher besonders klärungsbedürftig sind. In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff des Textes zur Debatte, der entweder restriktiv nur auf sprachliche Elemente bezogen wird, oder weiter gefasst wird und auch bildliche bzw. akustische Elemente umfasst. Darüber hinaus wird in den vorliegenden Ansätzen versucht, die Vielfalt der Vorkommnisse von Kurztexten im öffentlichen Raum deskriptiv zu erfassen und auf plausible Beschreibungskategorien zu beziehen. Dabei stellt sich beispielsweise die Frage, was Verkehrsschilder, Transparente auf Demonstrationen und fließende Anzeigetafeln mit elektronisch erzeugtem Text miteinander gemeinsam haben, und wie tastbare Hinweisschilder in Braille-Schrift und Lautsprecherdurchsagen in Zügen oder auf Bahnhöfen zu diesen Vorkommnissen in Bezug gesetzt werden können.

Terminologisch geht es in den vorliegenden Untersuchungen überwiegend um kurze Texte (Leyhausen 2007; Janich 2015), kleine Texte (Hausendorf 2009; Dürscheid 2016), Kurztexte (Rohen 1986; Hausendorf 2009; Janich 2015) oder Kleintexte (Reiter 2006), aber auch um Zero- und Minitexte (Schmitz 2018).

In seiner terminologischen Entscheidung für „Kleine Texte“ fasst Heiko Hausendorf diese als „Randerscheinungen von Textualität“ (Hausendorf 2009: 1) auf, wobei er den Begriff des Kleinen auf unterschiedliche Dimensionen von Texten bezieht. Dies kann der geringe Raum sein, den die Texte einnehmen, oder ihre Einfachheit, ihre unmittelbare Bezogenheit auf eine Funktion, ihre stereotype Form oder auch ihr eher einfacher inhaltlicher Anspruch (s. ebd.). Bei aller Vielfalt ist kleinen Texten jedoch eines gemeinsam: Ihr Textcharakter kommt „vor allem aus dem Ausschöpfen der Lektüresituation (kraft sinnlicher Wahrnehmung) und des Lektürekontextes (kraft erworbenen Wissens) zustande […]“ (Hausendorf 2009: 8). Kleine Texte sind also in besonderem Maße auf die Situation und den Kontext angewiesen, bei ihrer Lektüre und – so möchte man hinzufügen – bei ihrem Tasten oder Anhören.

Indem sie von kurzen Texten und Kurztexten spricht, argumentiert Nina Janich in einer Studie von 2015 dafür, dass die Eigenschaft der Transtextualität (im Sinne von Genette 1993) für diese zwar nicht definitorisch ist, aber in vielen Fällen eine entscheidende Rolle spielt. Dies gilt insbesondere für Werbeanzeigen, die selbst aus mehreren Texten bestehen können, wobei diese sich wiederum auf Texte außerhalb der Anzeige im Sinne eines Zitats oder einer Anspielung beziehen. Sie exemplifizieren damit den Typus der Intertextualität, der neben anderen Formen von Transtextualität in kleinen Texten feststellbar ist (s. Janich 2015: 35ff.). Besonders aufschlussreich für das vorliegende Thema ist ihre klassifikatorische Entscheidung, Kurztexte als einen von mehreren Untertypen von kurzen Texten einzuordnen. „Echte“ Kurztexte wie Schilder werden gekürzten ←8 | 9→Texten wie dem Zitat oder dem Geflügelten Wort gegenübergestellt. Zu den semantisch komprimierten Kurztexten als einem weiteren Typ kurzer Texte zählt sie den selbständigen Aphorismus sowie das Abstract zu einem Vortrag oder eine Rezension, die auf einen Langtext bezogen sind. Schließlich erwähnt sie auch komprimierte, aber nur relativ kurze Texte wie eine Kurzgeschichte oder Langtexte, die aus Kurztexten entstanden sind (s. ebd., 43f.). Dieser Klassifikationsansatz, der systematisiert und möglicherweise erweitert werden müsste, zeigt deutlich die Vielfalt dessen, was man unter einem kurzen Text resp. einem Kurztext zu verstehen hat.

Im gleichen Band stellt Henrik Nikula die These auf, dass die Kürze von Texten keine Eigenschaft an sich ist, sondern eine Folge ihrer tiefer liegenden Eigenschaft der Komprimierung. Ein Kurztext ist somit ein komprimierter Text eines längeren Bezugstextes; er ist „als Konsequenz der Komprimierung im Allgemeinen relativ kurz“ und macht „als Konsequenz der Kürze unter Umständen holistische Verarbeitung möglich.“ (Nikula 2015: 69) – das heißt das Verstehen in einem Zug. Die typischen Kurztexte weisen in seiner Sicht alle drei Merkmale auf, die Komprimierung, die Kürze und die holistische Verarbeitung. Das zentrale Merkmal der Komprimierung erlaubt es auch, in den so definierten Kurztexten eine Textsorte zu sehen, denn sie ist weniger heterogen als die Menge von kurzen, aber nicht komprimierten Texten.

Es ist ein durchaus origineller Schritt, die Kürze eines Textes nicht als definierendes Merkmal, sondern als Epiphänomen eines basaleren, funktional gefassten Merkmals, nämlich der Komprimierung aufzufassen. Problematisch ist indes, dass es für viele Fälle von Kurztexten schwierig sein dürfte, einen Bezugstext ausfindig zu machen, dessen Komprimierung er darstellt. Will man dieses Verfahren für alle Formen von Kurztexten aufrechterhalten, dann führt dies zu einer Ergänzungsstrategie ähnlich wie bei Ellipsen – und diese Strategie weist aufgrund ihrer Unbestimmtheit notorische Schwierigkeiten auf. Es gibt in der Regel unbestimmt viele Ergänzungen oder, in dieser Terminologie, Bezugstexte.

Eine Lösung, die den funktionalen Anspruch in der Definition von Kurztexten aufrechterhält, wäre die Definition von Komprimierung, ohne dass man einen Bezugstext annimmt. Ein Text hat die Oberflächeneigenschaft der Kürze, weil sein Inhalt in irgendeiner Weise komprimiert dargestellt ist. Komprimierung oder besser: Komprimiertheit wäre eine funktionale Eigenschaft von Kurztexten (die folglich kurz sind), und keine Relation, die die Annahme eines Bezugstextes erfordert. Mit diesem Schritt wäre der funktionale Charakter der Definition gewahrt, ohne dass man nicht zu identifizierende Bezugstexte annehmen muss.

Auch Andreas Gardt fasst in seinem Ansatz die Kürze eines Textes als abgeleitete Eigenschaft auf. An der Oberflächenform oder – wie Gardt sich ←9 | 10→ausdrückt – der strukturellen Dimension „zeigt sich Kürze in Reduktionsformen wie Ellipse, asyndetischen Reihungen […]“ (Gardt 2007: 71). Wenn man einen Text als treffend, präzise, genau, deutlich charakterisiert, dann bezieht man sich auf die durch ihn geleistete Erfassung der Wirklichkeit (s. ebd.). Werden sie hingegen als bündig, markant oder prägnant bezeichnet, so steht die kognitive Dimension im Vordergrund; es geht darum, dass man einen Sachverhalt kurz und bündig auf den Punkt bringt (s. ebd.).

Gardt hebt hervor, dass die zuletzt genannten Eigenschaften bei der Definition von Kürze das Primat haben: „Die kognitive Dimension von Kürze ist damit der sprachstrukturellen Dimension übergeordnet […]“ (Gardt 2007: 72). Diese Lösung, Kürze in engem Bezug auf den dargestellten Sachverhalt einerseits, seine kognitive Erfassung andererseits zu definieren, ist sicher geeigneter als die Versuche, einen kurzen Text lediglich von der Oberflächenform her zu identifizieren. Es gibt offenkundig kein absolutes Maß hierfür.

Nicht von Komprimierung, aber von Verdichtung und Kondensierung spricht Susanne Guenthner in ihrer Untersuchung von Beschwerdegeschichten, die in alltäglichen Narrationen vorgebracht werden. Sie weisen charakteristische Verdichtungsstrategien auf – und damit ein zentrales Verfahren der Kürzung. In den Erzählungen von Begebenheiten, in denen sich die Berichtenden in irgendeiner Weise gekränkt oder ungerecht behandelt fühlen und dies in ihren narrativen Schilderungen zum Ausdruck bringen, kommen oft unvermittelt bestimmte Szenen vor, die im Gespräch nicht explizit eingeführt oder angekündigt werden. Diese kurzen Schilderungen enthalten Ortshinweise oder auch wörtliche Kurzzitate, mit denen die vorkommenden Personen charakterisiert und inszeniert werden. Guenthner schreibt: „Die vorliegenden Verdichtungsverfahren – der direkte Einstieg in das Geschehen, das narrative Präsens sowie die unvermittelte Konfrontation mit der fremden Stimme – stehen somit im Dienste der Inszenierung und dramaturgischen Gestaltung des vergangenen Ereignisses.“ (Guenthner 2007: 395). Kürze ist somit auch hier von ihrer Funktion her gedacht, nämlich eine Dramatisierung des berichteten Geschehens zu erreichen, bei der die stimmlich inszenierte Person eine Hauptrolle spielt.

Nachdem wichtige Ansätze der Charakterisierung und Definition von Kürze in ihren unterschiedlichen Aspekten vorgestellt wurden, soll nun erläutert werden, was man sich unter dem Begriff des öffentlichen Raumes vorstellen kann. Zur Eigenschaft des Öffentlichen kann eine Definition aus einem soziologischen Handbuch Auskunft erteilen:

Öffentlichkeit bezeichnet 1. ein Prinzip des allgemeinen Zugangs (z. B. zu Versammlungen, aber auch Örtlichkeiten); 2. den Grundsatz der Publizität als Voraussetzung der ←10 | 11→Transparenz bei Angelegenheiten von allgemeinem („öffentlichem“) Interesse; 3. die Gesamtheit der zum öffentlichen Diskurs versammelten bzw. angesprochenen Menschen (das Publikum); 4. eine Methode der Aufklärung (Öffentlichkeit als kritisches Forum, so z. B. bei Immanuel Kant) und damit der Freiheitssicherung der Bürger; 5. als politische Öffentlichkeit ein Strukturprinzip moderner Demokratien und damit ein Medium der Kontrolle von Herrschaft. (Schäfers/ Becker/ Brinkmann 2016: 261f.)

Relevant in diesem Zusammenhang erscheint das erste Definiens, in Grenzen auch das zweite. Ein allgemeiner Zugang vor allem zur Örtlichkeit ist bei Kurztexten, seien sie schriftlich oder mündlich oder tastbar, konstitutiv, da sie sonst als nicht instanziiert gelten – was wiederum rechtliche Konsequenzen im Sinne von möglichen Regressansprüchen haben kann, wenn jemand zu Schaden kommt. Dass der Zugang allgemein ist, hat auf der anderen Seite die Konsequenz, dass die Hinweise nicht für jeden relevant sind. Man kann sagen, dass nicht alle Rezipient_innen, die ein Schild lesen oder eine Durchsage hören, auch gleichzeitig Adressat_innen sind, also in referentieller Hinsicht gemeint sind. Der mediale Alltag ist mit Hinweisen, Botschaften o.ä. gefüllt, die für uns nur sehr selektiv Relevanz besitzen, und auf die wir entsprechend reagieren oder auch nicht.

In der Definition ist im ersten Kriterium auch von Örtlichkeiten die Rede, und dies verweist auf den zweiten zu klärenden Begriff, den des Raumes. Ein Raum in dem hier interessierenden Sinne ist nicht nur ein geografisch bestimmter Begriff, sondern auch eine sozial und kulturell determinierte Größe. Indem er sich auf Anthony Giddens (1984) bezieht, fasst Peter Auer den Raum als einen Ort auf, der für Mitglieder einer Gesellschaft bestimmte Handlungsroutinen ermöglicht oder erfordert (s. Auer 2010: 274). An diesem Ort ist es üblich, x zu tun, an einem anderen unangemessen; hier verhält man sich so-und-so, dort darf man auch y tun etc. Nicht allen sind jedoch die ortspezifischen Normen bekannt. Daraus folgt, dass für diejenigen, die mit diesen Routinen nicht vertraut sind, schriftliche Hinweise notwendig sind, die ‚ortsfest‘ darüber informieren, welches Verhalten ‚hier‘ erforderlich / angeraten / nicht erlaubt ist. „Die öffentliche Verwendung der Schrift wird dann relevant“, schreibt Auer, „wenn der Raum sich nicht ohne Weiteres in solche allgemein bekannte Orte routinehaften Handelns gliedert, sondern für bestimmte Nutzer erst interpretiert […] werden muss.“ (Auer 2010: 275).

Wenn Vorkommnisse öffentlicher Schrift oder Sprache über die raumspezifischen Normen informieren, seien sie routinisiert oder nicht, dann sind sie offenbar eng verwoben mit diesen und anderen örtlichen Gegebenheiten, die man gemeinhin Kontext nennt. Wie schon Hausendorf (2009) betont hat, zeigen gerade die Kürze und die kleine Zahl von schematisierten Konstruktionen, die für diese Kurztexte typisch sind, dass sie nur vor dem Hintergrund kontextueller ←11 | 12→Information interpretiert werden können. Soll diese Form öffentlicher schriftlicher Kommunikation vollständig beschrieben werden, dann kann dies nur unter der Voraussetzung gelingen, dass man über ein stringentes und erklärungsstarkes Modell des Verhältnisses von sprachlicher wie bildlicher/musikalischer Information einerseits und den vorausgesetzten Kenntnissen bei den Adressat_innen, die sich auf den Kontext des Informationsvermittlungsaktes beziehen, andererseits verfügt – eine Aufgabe, der sich viele der hier versammelten Beiträge widmen.

Was diesen Analysen und Differenzierungen noch hinzuzufügen ist, besteht in einer Diskussion des Begriffs eines virtuellen Raumes. Gerade in den sogenannten sozialen Medien werden solche Räume zur Verfügung gestellt, und auch die Konzeptualisierung der Nutzer_innen erfolgt häufig in Raummetaphern. Öffentliche Räume umfassen also nicht nur buchstäblich begehbare Räume, sondern auch abrufbare Räume, die man im Zuge des ‚Surfens‘ entdecken kann. Zum Begriff des virtuellen Raumes und der Online-Öffentlichkeit s. unter anderem Hauser/ Opiłowski/ Wyss (2019).

***

Zusammenfassung

Im Folgenden sollen die Beiträge des vorliegenden Bandes, die sich jeweils einem oder mehreren der genannten Aspekte widmen, kurz skizziert werden. In einem ersten Teil sind Beiträge allgemeiner Natur enthalten, in denen die vorkommenden Grundbegriffe anhand ausgewählter Beispiele geklärt werden. Frank Liedtke entwickelt exemplarisch am Beispiel von Warnhinweisen ein Modell, das die verschiedenen Quellen der Interpretation dieser Hinweise berücksichtigt und in einem integrierten Felderschema zusammenfasst. Irmtraud Behr beschäftigt sich mit der regulierenden Funktion und dem Zusammenspiel der sprachlichen und der ikonischen Perspektivierung der Schilder, die sie als Dispositive betrachtet. Urszula Topczewska wendet den von Paul Grice entwickelten Begriff der konventionellen Implikatur auf nominale Tautologien an, die im Bereich der Konsumwerbung anzutreffen sind. Roman Opiłowski schließlich stellt in seinem Beitrag die kommunikativen und situativen Faktoren für die Analyse von urbanen Texten vor und entwickelt auf dieser Grundlage eine Typologie dieser Texte.

Immer noch auf einer grundsätzlichen Ebene, aber stärker auf Beispiele bezogen, untersuchen Gerd Antos und Anna Lewandowska humorvolle und kreative Sprüche auf einem Bauernhof und auf einer Schokoladenverpackung, um die Kategorie der Augenblickstexte näher zu bestimmen. Stojan Bračič befasst ←12 | 13→sich mit Komprimierungen im Satz im Spannungsfeld zwischen einer Vereinfachung des Kodierungsprozesses und einer Verkomplizierung des Dekodierungsprozesses. Für Waldemar Czachur und Agnieszka Zimmer sind Gedenktafeln im öffentlichen Raum multimodale Kurztexte der Erinnerungskultur, die hinsichtlich ihrer spezifischen lexikalischen und grammatischen Konstruktionen untersucht werden. Tomasz Rojek geht den Funktionen deutscher Abtönungspartikeln in Inferenzprozessen und bei impliziter Bedeutungsbildung auf metapragmatischer Ebene nach.

Details

Seiten
262
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631835739
ISBN (ePUB)
9783631835746
ISBN (MOBI)
9783631835753
ISBN (Hardcover)
9783631818725
DOI
10.3726/b17600
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Prägnanz Typologie Schilder Erinnerungskultur Online Kommunikation Rezeption
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 260 S., 32 farb. Abb., 11 s/w Abb., 5 Tab.

Biographische Angaben

Zofia Berdychowska (Band-Herausgeber:in) Frank Liedtke (Band-Herausgeber:in)

Frank Liedtke promovierte 1983 in Germanistischer Sprachwissenschaft. Seine Habilitation erfolgte 1992. Von 2007 bis 2019 war er als Professor für Germanistische Sprachwissenschaft/Pragmatik an der Universität Leipzig tätig. Zofia Berdychowska ist Professorin am Institut für Germanistik der Jagiellonen-Universität in Kraków. 1986 promovierte sie in Germanistischer Sprachwissenschaft, 2003 erfolgte ihre Habilitation und 2015 erwarb sie den Titel des Professors. Im Zentrum ihrer Forschung stehen Deixis, kontrastive Linguistik, Übersetzungswissenschaft, Text- und Diskurslinguistik sowie Fachkommunikation.

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