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Der neue Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen

von Karin Vogt (Band-Herausgeber:in) Jürgen Quetz (Band-Herausgeber:in)
©2021 Sammelband 256 Seiten

Zusammenfassung

Im Jahr 2001 erschien der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) und hat national und international eine erhebliche Wirkung für das Lehren, Lernen und Beurteilen von Fremdsprachen entfaltet. Im Jahr 2018 (Endfassung 2020, deutsche Übersetzung 2020) erschien der Begleitband zum GeR mit neuen Skalen und Beispieldeskriptoren, der auch eine konzeptionelle Erweiterung darstellt. Die Beitragenden des Sammelbandes diskutieren und illustrieren die zentralen Aspekte des Begleitbandes mit einem Fokus auf dem deutschen Kontext und zeigen Umsetzungsmöglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung zum Sammelband: Jürgen Quetz und Karin Vogt
  • De Rüschlikon au Volume complémentaire ou Du risque qu’il y a à passer sous les échelles: Daniel Coste
  • Von Rüschlikon zum Begleitband zum GeR – oder: Über die Risiken hinter den Niveaustufen: Daniel Coste
  • Plurikulturelle Kompetenz im schulischen Fremdsprachenunterricht: Christiane Fäcke
  • Plurikulturelle Kompetenzen: Anmerkungen zur Theorie und Praxis: Rudi Camerer
  • Mehrsprachigkeit von Anfang an – Förderung plurilingualer Kompetenzen im Englischunterricht: Jenny Jakisch
  • Wegweisende Expansion oder unscharfes Konstrukt? Zu Konzeption und Umsetzungsmöglichkeiten von Mediation im Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen: Leonhard Krombach
  • Skalen zur Literaturdidaktik im Fremdsprachenunterricht im Begleitband zum GeR 2020: Eva Burwitz-Melzer
  • Digitalisierung und der Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen: Eva Wilden
  • Hörsehverstehen im Begleitband zum GeR – ein zögerlicher Schritt in die richtige Richtung: Jürgen Quetz
  • Ist das A1 von 2001 noch das gleiche A1 wie heute? Zu den Auswirkungen der erweiterten Skalen des Begleitbands zum GeR: Manuela Glaboniat und Carmen Peresich
  • Der Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen – Konsequenzen für das Assessment in schulischen Kontexten: Karin Vogt
  • Berufssprachliche Kompetenzdiagnostik: Welche Ansatzpunkte bietet der Begleitband?: Olaf Bärenfänger
  • Autorinnen- und Autorenverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Jürgen Quetz und Karin Vogt

Einleitung zum Sammelband

1 Zur Entstehung des Common European Framework of Reference for Languages / Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen

Der Europarat, gegründet 1949, ist eine internationale Organisation, deren Ziel die europäische Integration ist. Man darf ihn nicht verwechseln mit der Europäischen Union und ihrem Europäischen Rat; Mitglied im Europarat sind z.B. auch die Schweiz, Russland, die Türkei. Insgesamt sind es 47 Staaten. Eine wichtige Abteilung des Europarats befasst sich mit kultureller Zusammenarbeit in Europa; diese umfasst auch Sprachenpolitik. Hier geht es nicht nur um den Schutz von in Europa weniger häufig gesprochenen Sprachen; dies ist jedoch ein wichtiges Problem, denn in allen europäischen Ländern gibt es ‚Minderheitssprachen‘ mit offiziellem Status (in Deutschland z.B. Friesisch, Dänisch oder Sorbisch). Der Europarat veröffentlicht aber auch immer wieder sprachenpolitische Dokumente, weil die Verbesserung des Bildungswesens in Europa ebenfalls zu seinen Aufgaben zählt. Das ist ein wichtiges Ziel, weil die zunehmende Migration dazu führt, dass in ganz Europa immer mehr Sprachen gesprochen werden.

Der Europarat veröffentlicht nicht nur unverbindliche Postulate, sondern versucht immer wieder, auf einer ganz pragmatischen Ebene aufzuzeigen, welche Kompetenzen in verschiedenen Kontexten erforderlich sind, z.B. bei Migration in ein anderes europäisches Land oder beim Fremdsprachenunterricht im öffentlichen Bildungswesen.

Die ersten ambitionierten Dokumente waren 1974/75 Threshold Level English, dem 1976 Un Niveau-Seuil und Kontaktschwelle Deutsch folgten. In diesen Dokumenten versuchten Linguisten wie Jan van Ek und David Wilkins für Englisch, Daniel Coste für Französisch, Markus Baldegger, Günther Schneider und andere für Deutsch als Fremdsprache eine Kompetenzstufe zu umreißen, die bei intensiveren Kontakten zu Sprechern anderer Sprachen (in nicht-fachlichen Zusammenhängen) ausreichend sind. Dieses System, das an Sprechakten und Sprachhandlungen (Rollen, Situationen etc.) orientiert war, gestützt durch einen Wortschatzkatalog und eine funktionale Grammatik, wurde in den Folgejahren nach „unten“ (Waystage) und nach „oben“ (Vantage) erweitert. Diese Publikationen des Europarats waren nicht nur sprachenpolitisch gedacht, sondern griffen direkt in den Umbruch vom grammatikorientierten zum kommunikativen ←7 | 8→Fremdsprachenunterricht in Schule und Weiterbildung ein. Das war eine fast schon revolutionäre Leistung des Europarats, die eigentlich jenseits seiner Zuständigkeiten lag.

Auf dem sogenannten „Rüschlikon Symposium“ von 1991 (in diesem Band beschrieben und analysiert von Daniel Coste, einem der führenden Köpfe bei dieser Veranstaltung) ging es auch um die Grundlagen für ein „Europäisches Sprachenportfolio“, das in den Folgejahren zusammen mit einem epochalen Dokument des Europarats entwickelt wurde, das die Wertschätzung sprachlicher und kultureller Vielfalt in Europa durch mehrsprachige und plurikulturelle Bildung fördern sollte.

Dieses Dokument war der Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment (CEFR) / Cadre européen commun de référence pour les langues: apprendre, enseigner, évaluer (CECR). Er wurde 2001 vom Europarat auf Englisch und Französisch vorgelegt und im gleichen Jahr vom Goethe-Institut und der KMK (= Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland), der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und dem Österreichischen Sprachdiplom (ÖSD, BM: BWK = Österreichisches Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur) in einer deutschen Fassung unter dem Titel Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (GeR) veröffentlicht (vgl. www.goethe.de/referenzrahmen). Der Referenzrahmen hat sich weltweit als unverzichtbares Instrument für die Erstellung von Curricula, Lehrwerken und internationalen Testsystemen durchgesetzt, ebenso für Institutionen und Administrationen, die Sprachenangebote planen. Über 40 Übersetzungen zeugen auch von seiner internationalen Durchschlagskraft und davon, dass vor allem die Idee einer mehrsprachigen Kompetenz bzw. Bildung und die sechs Referenzniveaus (A1, A2, B1 … bis C2) zum Standard wurden.

Interessant ist dabei, dass die Einigung auf sechs Referenzniveaus, denen der große Erfolg des CEFR/GeR vor allem zuzuschreiben sind, keineswegs einmütig geschah; Daniel Coste zum Beispiel vertrat die Auffassung, dass man Sprachkompetenzen in einem modularen Ansatz viel besser erfassen könne. Andere Dokumente des Europarats, z.B. REPA und vor allem seine eigenen Entwicklungen im Bereich Mehrsprachigkeit und Mediation (Angaben zur Literatur finden sich auch im Beitrag von Coste in diesem Band) zeigten dies. Eine solche Struktur hätte dem CEFR/GeR von Anfang an manche Anfeindungen und viel Kritik ersparen können; vor allem wäre es schwergefallen, ihn für kommerzielle oder institutionelle Zwecke zu missbrauchen. Aber Costes Auffassungen haben sich am Ende beim CEFR/GeR nicht durchsetzen können. Folglich gibt es jetzt beim ←8 | 9→Europarat zwei miteinander konkurrierende Ansätze, was aber den Erfolg des CEFR/GeR nicht beeinträchtigte.

2 Der GeR als sprachenpolitisches Dokument

Dass der GeR eine solch große Wirkung erreichte, lag zwar in erster Linie an den Kompetenzbeschreibungen auf den sechs Referenzniveaus, die, wie wir unten noch erläutern wollen, sich im Fremdsprachenunterricht und beim Testen und Prüfen für vielfältige Zwecke einsetzen ließen; dem Europarat selbst war aber vor allem die sprachenpolitische Dimension wichtig. Der GeR propagierte nämlich ein zwar nicht neues, aber bislang doch wenig beachtetes Konzept von ‚Mehrsprachigkeit‘ und unterschied diese von ‚Vielsprachigkeit‘, letztere eine „Kenntnis einer Anzahl von Sprachen“ (Europarat 2001: 17).

‚Mehrsprachigkeit‘ unterscheidet sich von ‚Vielsprachigkeit‘ [… und] betont die Tatsache, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert. […] Diese Sprachen und Kulturen […] bilden […] gemeinsam eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren. (Europarat 2001: 17)

Diese Differenzierung war in Europa vor allem deshalb wichtig, weil der Schengenraum eine große Freizügigkeit unter europäischen Bürgern erlaubt und eine hohe Arbeitsmigration zur Folge hatte. Die Arbeitsmigration betraf zunächst (lange vor ‚Schengen‘ und der Existenz der heutigen EU) ‚Gastarbeiter‘ aus Italien, Spanien und Portugal, später aber auch aus der Türkei. Die erste Generation dieser Zuwanderer erwarb Deutsch ohne Kurse und Lehrbücher im täglichen Umgang mit der Sprache, denn nur wenige von ihnen hatten schon vorher Unterricht in Deutsch als Fremdsprache (DaF). Als sich abzeichnete, dass diese ‚Arbeitsmigranten‘ auf längere Zeit in Deutschland bleiben würden, begann das Nachdenken über Deutsch als Zweitsprache (DaZ), und in vielen Fällen wurde die Herkunftssprache des Elternhauses bereits zur Zweitsprache. Für die nächste Generation, die Kinder, kam noch die ‚Schulsprache‘ Englisch (auch Französisch) hinzu. In jedem Fall stellte sich das Phänomen der Mehrsprachigkeit (‚Plurilingualität‘) ein, denn diese Sprachen konkurrieren nicht miteinander, sondern stützen und fördern sich gegenseitig.

Im GeR wurde zwar das Konzept der Mehrsprachigkeit propagiert, schlug sich aber nicht in konkreten Skalen und Deskriptoren nieder. Mehrsprachigkeit wurde also zunächst als allgemeines Prinzip formuliert, das einer Konkretisierung bedurfte. Dieses Postulat findet sich zwar im GeR von 2001, stand aber in der Rezeption des Dokumentes nicht im Fokus.

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3 Plurilingualität und Plurikulturaltät im Begleitband

Erst im CEFR Companion Volume with New Descriptors aus den Jahren 2016 (Entwurfsfassung), 2018 (erste vollständige Version) und 2020 auf der Homepage des Council of Europe veröffentlicht (https://rm.coe.int/common-european-framework-of-reference-for-languages-learning-teaching/16809ea0d4, deutsch bei Ernst Klett Verlag 2020) finden sich erweiterte Kapitel mit Skalen zu Plurikulturalität und Plurilingualität, beides Konzepte, die bereits im GeR angelegt waren und jetzt angesichts von Globalisierung und Migration und der zunehmenden Anzahl mehrsprachiger und mehrkultureller Menschen und vor allem Lernenden im Fremdsprachenunterricht in ganz Europa wichtiger werden.

Der GeR und der neue Begleitband spielen eine wichtige Rolle in Lehr- und Lernarrangements, aber auch bei der Beurteilung von Lernerperformanz, in der Lernende als sozial Agierende (social agents) und intercultural speakers konzipiert werden, die für die gemeinsame Konstruktion und Aushandlung von Bedeutung in der Interaktion allgemeine, plurilinguale und plurikulturelle Ressourcen mobilisieren.

Diesem Aspekt sind drei der Beiträge in diesem Band gewidmet. Christiane Fäcke diskutiert die Ausdifferenzierung der plurikulturellen und plurilingualen Aspekte durch die neuen Skalen zu ‚Mediation von Kommunikation‘ und im Kapitel „Plurilinguale und plurikulturelle Kompetenz“. Byrams (1997) Modell der savoirs sieht sie vor allem mit einem deutlichen Fokus im Bereich savoir-faire, also der Umsetzung in Kommunikationssituationen, sodass Wissen und Einstellungen nachgeordnet bleiben. Man könnte hinzufügen, dass savoir s’engager aus Byrams System sogar ganz fehlt, ohne dass dafür eine Erklärung gegeben wird. Das ist umso bemerkenswerter, als gerade dieser Aspekt, das ‚politische Engagement‘, eigentlich im Zentrum der Interessen des Europarats steht, der als eine seiner vielen Aufgaben z.B. die Wahrung der Menschenrechte oder den Schutz von Minderheiten sieht. Das ist auch das Fazit ihres Beitrags, dass „[…] gesellschaftspolitisch relevante Themen im Kontext von Globalisierung, Migration und Digitalisierung sowie die sprachliche und kulturelle Heterogenität der Schülerschaft und der Gesellschaft […]“ eine wichtige Rolle im Fremdsprachenunterricht spielen müssen (Fäcke in diesem Band). Der Fremdsprachenunterricht solle folglich auch einen Beitrag zum Fremdverstehen leisten und zur Akzeptanz des ‚Anderen‘, also von Diversität beitragen.

Der Beitrag von Rudi Camerer beschäftigt sich mit den gleichen Fragen im Bereich der Weiterbildung bzw. Erwachsenenbildung. In seinem Beitrag wird die Entwicklung im Bereich der interkulturellen Kommunikation auch theoretisch und historisch aufgearbeitet, weil der aktuelle Begleitband in eine reiche ←10 | 11→sprachdidaktische Tradition eingebettet ist. Die Beispiele, die vorgestellt werden, zeigen, wie in bestimmten Bereichen der beruflichen Kommunikation der Aspekt der Plurikulturalität schon immer wichtig war. Die Materialien, die zur Veranschaulichung aufgeführt werden, stammen aus Camerers eigenem Online-Angebot für den Bereich der schriftlichen und mündlichen beruflichen Kommunikation.

Jenny Jakisch nimmt den Aspekt der Mehrsprachigkeit in den Blick, der in der Theorie der Fremdsprachendidaktik schon seit langem eine wichtige Rolle spielt, nicht zuletzt unter dem Einfluss des GeR, aber in der Unterrichtspraxis bislang meistens ausgeblendet wird. Dabei ist die Lebenswelt vieler Schülerinnen und Schüler aller Schulformen mehrsprachig, wie oben bereits dargestellt. Verschieden stark ausgeprägte Kompetenzen in Herkunftssprachen, zumindest denen der Eltern, migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und nicht zuletzt Englisch als internationale Verkehrssprache jenseits des schulischen Unterrichts in den Medien und der Jugendkultur sind ein reicher Schatz, auf dem man aufbauen könnte, aber das würde erfordern, dass Lehrkräfte auch darauf zurückgreifen. Der schulische Fremdsprachenunterricht ist aber zunehmend auf die Sprache Englisch fokussiert und andere Sprachen, wie z.B. Französisch, bleiben dabei auf der Strecke (vgl. Quetz 2010), ganz zu schweigen von den wichtigsten Herkunftssprachen (vgl. Küppers / Schröder 2017). Jakisch berichtet dabei von ihrem Projekt „Mehrsprachigkeit im Englischunterricht der Grundschule“, aus dem auch Unterrichtsbeispiele angeführt werden.

Wie ernst der Europarat diese Aufgabe nimmt, schlägt sich in einer Vielzahl von Publikationen nieder, die eigene Wege verfolgen bzw. den GeR ergänzen und fortschreiben. Vor allem der REPA / CARAP, der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen, muss an dieser Stelle genannt werden (Candelier et al. 2007). Dabei handelt es sich um ein Werkzeug für die Entwicklung eines an Kompetenzen in mehreren Sprachen und Kulturen orientierten (Fremdsprachen-)Unterrichts, in dem auch Materialien zur Umsetzung in der Unterrichtspraxis zur Verfügung gestellt werden. Im Kapitel über „Plurikulturalität / Plurilingualität“ des Begleitbandes gibt es einige Skalen, die an den CARAP/REPA angelehnt sind.

4 Mediation als zentrales Konzept im Begleitband

Obgleich die Autoren des CEFR (John Trim, Daniel Coste, Brian North, Joseph Sheils) ursprünglich die Rezeption des CEFR in der Praxis abwarten und dann eine Überarbeitung in Angriff nehmen wollten, legte der Europarat ab 2016 bis 2018 bzw. 2020 einen CEFR Companion (dt. Begleitband) vor, der auch eine ←11 | 12→konzeptionelle Erweiterung ist. Diese betrifft vor allem den Bereich der Mediation, das gedankliche Kernstück des Begleitbands.

Das Konzept von Mediation war schon in einer ersten Entwurfsfassung des GeR erwähnt (Council for Cultural Co-operation 1996); Mediation ergänzte die rezeptiven, produktiven und interaktiven Bereiche durch einen „transaktiven“ Bereich, „[…] der sämtliche Aktivitäten umfasst, die mit der Umformung eines vorhandenen Textes verbunden sind, also alle erdenklichen Formen von ‚Transaktionen‘ (Dolmetschen, Übersetzen, Zusammenfassen, Paraphrasieren, stilistisches Umgestalten, Erläutern oder Vereinfachen von schriftlichen und mündlichen Texten jeglicher Art). Erst später wurde dieser Bereich als Mediation bzw. letztendlich im deutschsprachigen GeR als Sprachmittlung bezeichnet“ (Glaboniat / Peresich in diesem Band).

Tim Goodier, Brian North und Enrica Piccardo, die wichtigsten Autoren des Companion, sehen ‚Mediation‘ als zentrales Element; der Begriff entspricht aber nur ungefähr dem deutschen Konzept von ‚Sprachmittlung‘, sofern damit eine sprachübergreifende Transaktion ins Spiel kommt. Das Autorenteam unterscheidet bei Mediation zwischen einer kognitiven und einer Beziehungsebene. Auf der kognitiven Ebene (Cognitive Mediation) geht es darum, dass Sprachmittler/innen versuchen, das, was jemand sagt oder schreibt, möglichst sinngetreu an einen oder mehrere Rezipienten zu vermitteln. Bei der Mediation im weiteren Sinne müssen alle Akteure interagieren und kooperieren. Auf dieser Beziehungsebene (Relational Mediation) geht es u.a. um die Schaffung eines plurikulturellen Raums. North und sein Team konzipieren Mediation somit auch als soziale Interaktion. Teil des Mediationskapitels sind also sprachlich orientierte Aspekte, also Kompetenzen, wie sie z.B. bei Verhandlungen zwischen Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen oder bei der Mediation in Scheidungsprozessen in der L1 erforderlich sind. Die relationale Dimension von Sprachmittlung schlägt sich in den Skalen ‚Interaktion und Zusammenarbeit in einer Gruppe erleichtern‘ sowie ‚Plurikulturellen Raum fördern‘ und ‚Kommunikation in heiklen Situationen und bei Meinungsverschiedenheiten erleichtern‘ nieder.

Mit diesem Aspekt befasst sich der Beitrag von Leonhard Krombach, „Wegweisende Expansion oder unscharfes Konstrukt.“ Krombach untersucht das Konzept von Mediation mit Bezug auf die fachdidaktische Diskussion in Deutschland, vergleicht es mit dem des GeR und entwickelt Vorschläge für die Unterrichtspraxis. Dort kommt man nämlich nicht mit einer Skala aus, weil eine Skala allein nicht dieses multidimensionale Konstrukt bei der Planung von Unterricht vollständig widerspiegeln kann. Krombach zeigt auch die Schnittstellen zwischen plurikulturellen Skalen und denen für Mediation im engeren Sinne auf.

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5 Vier Kompetenzbereiche, fünf oder mehr (oder weniger)?

Der Begleitband enthält eine Änderung in der traditionellen Systematik der Fertigkeiten (skills) bzw. Kompetenzen (competences), die mit der erweiterten Rolle der Mediation zusammenhängt. Das folgende Schaubild soll dies illustrieren:

Abbildung 1: Beziehungen zwischen Rezeption, Produktion, Interaktion und Mediation

Während der GeR noch ein relativ traditionelles Konzept von Kompetenzen enthielt, nämlich mündliche bzw. schriftliche Interaktion und Produktion, präsentiert der Begleitband eine eigene Sicht von Kompetenzen. An der Oberfläche werden die Skalen des GeR beibehalten und lediglich ergänzt, aber in der Einleitung werden sie in neue, andere Kontexte gestellt, wie diese Übersicht zeigt:

Tabelle 1: Makro-funktionale Grundlagen von Kategorien kommunikativer Sprachaktivitäten im GeR

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Das sind neue Aspekte in allen Bereichen, die zwar im GeR von 2001 angedacht, aber nie systematisch in Skalen erfasst wurden. Das Autorenteam des Begleitbandes wagt sich hier in Bereiche der Sprach- bzw. Fremdsprachendidaktik, die eine Erweiterung in soziale und psychosoziale Dimensionen darstellen. Eine solche Konzeption war im deutschen Bildungssystem unbekannt, in dem Sprachmittlung bis dahin eine untergeordnete Rolle neben Dolmetschen und dem altehrwürdigen Übersetzen spielte. Hier liegt der eigentliche innovative Impetus des Begleitbandes. Die Konsequenzen dieser Erweiterung sind noch nicht absehbar, finden aber schon ihren Niederschlag in manchen Änderungen in der Weiterbildung, wie vor allem der Beitrag von Rudi Camerer in diesem Band zeigt.

Seit einiger Zeit findet man z.B. in den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch / Französisch) auf der Oberstufe des deutschen Schulsystems ‚Mediation‘ als verpflichtenden Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts. Im Augenblick tun sich die Verfasser/innen der Mediationsaufgaben noch schwer mit der sinnvollen Einbettung in plausible Kontexte und Situationen.

6 Zur inneren Stimmigkeit der Skalen mit Beispieldeskriptoren

Ein Aspekt des GeR, der von Anfang an kritisch diskutiert wurde, obgleich der durchschlagende Erfolg des GeR vor allem auf den Skalen mit Beispieldeskriptoren beruht, war die Stimmigkeit eben dieser Deskriptoren und ihre Zuordnung zu den Referenzniveaus. In einer vernichtenden Kritik durch J Charles Alderson et al. (2004) wurde die mangelnde Systematizität der Skalen mit Beispieldeskriptoren dargelegt, bei deren Formulierung sich quantitative und qualitative Merkmale mischen („hat keine Schwierigkeiten …“ bzw. „ein breites Spektrum …“), daneben werden Merkmale von Themen, Situationen, Texttypen („vertraute/komplexe/abstrakte Themen“, „live oder durch Medien“ usw.) verwendet, zudem werden in den Kann-Beschreibungen sprachliche Merkmale benutzt („idiomatische Wendungen“, „komplexe Sprache“ usw.). Weiterhin werden manchmal Bedingungen und Beschränkungen genannt, manchmal nicht („sofern Standardsprache benutzt wird“, „sofern Bilder als Unterstützung vorhanden sind“ u.v.a.). Diese Merkmale werden aber nicht auf allen Referenzniveaus benutzt, sondern finden sich unsystematisch verteilt auf verschiedenen Stufen und in verschiedenen Skalen. Diese Tatsache begründet North (2014) mit dem salient features approach der Niveaustufen, deren Deskriptoren typischerweise das erfassen, was für die jeweilige Niveaustufe relevant ist, was zu der beschriebenen fehlenden Systematik führt. Kritik daran findet sich auch bei Quetz (2001), Fulcher (2004), Quetz (2004), Burwitz-Melzer / Quetz (2006), Hulstijn (2007) bezogen auf Spracherwerbsprozesse sowie Quetz / Vogt (2009) und Vogt (2011).

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Dass der Begleitband auf diesem Feld das Chaos nicht beseitigt hat, zeigt die Tatsache, dass sich in vielen der schon im GeR enthaltenen Skalen neue Deskriptoren finden, deren Herkunft zwar meistens dokumentiert ist, die aber aus sehr unterschiedlichen Kontexten stammen. Hier als Beispiel die Skala ‚Konversation‘, in die Deskriptoren aus zusätzlichen Quellen zu denen aus dem GeR aufgenommen wurden.

Tabelle 2: Beispiel der Herkunft von Deskriptoren am Beispiel der Skala ‚Konversation‘

Konversation

Details

Seiten
256
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631848173
ISBN (ePUB)
9783631848180
ISBN (MOBI)
9783631848197
ISBN (Hardcover)
9783631793688
DOI
10.3726/b18077
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Fremdsprachen Fremdsprachendidaktik Mehrsprachigkeit Plurikulturelles Lernen Fremdsprachenkompetenz Sprachenpolitik Fremdsprachenunterricht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 256 S., 8 s/w Abb., 9 Tab.

Biographische Angaben

Karin Vogt (Band-Herausgeber:in) Jürgen Quetz (Band-Herausgeber:in)

Die Herausgeber Karin Vogt ist Professorin für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen, Leistungsbeurteilung im Fremdsprachenunterricht, berufsorientierten Fremdsprachenunterricht sowie Medien und Telekollaboration im Fremdsprachenunterricht. Jürgen Quetz war Professor für Sprachlehrforschung und Didaktik der englischen Sprache an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt. Er hat 2001 im Auftrag des Goethe-Instituts den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen und 2020 zusammen mit Rudi Camerer auch den Begleitband zum GeR übersetzt. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. Sprachtests, Lehrplan- und Kursgestaltung, Sprachenlernen in der Erwachsenenbildung und angewandte Sprachwissenschaften.

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Titel: Der neue Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen
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