Die antike Unterwelt im christlichen Mittelalter
Kommentierung ‒ Dichtung ‒ philosophischer Diskurs
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Petra Korte
VII. Schlussbetrachtung und Ausblick
Extract
Die vorliegende Untersuchung nahm ihren Ausgang von einer Polemik Bernards von Morlaix. Der Cluniazenser beklagte die Präsenz, die die antike Unterwelt offenbar in der Gedankenwelt seiner Zeitgenossen besaß. Seine Bedenken fanden sich mit ei- nem Blick auf Dantes ‘Inferno’ indirekt bestätigt; Dante hatte einem Großteil des anti- ken Unterweltpersonals einen Platz im allegorischen Höllenszenario der ‘Commedia’ eingeräumt. Diese ‘Longue durée’ der antiken Unterwelt sollte daher in einem Unter- suchungszeitraum von der Spätantike bis zu den frühen Dantekommentaren verfolgt werden. Nach einhelliger Fachmeinung kulminiert die mittelalterliche Vergilvereh- rung, die sich vor allem in zahlreichen Kompetenzzuschreibungen an den antiken Dichter und in seiner unangefochtenen Stellung als literarisches Vorbild äußerte, in Dantes ‘Commedia’ ‒ zudem aber, und dies wurde als die übergeordnete These der vorliegenden Arbeit entworfen, kulminierte im Höllenabstieg des Dichters und gleich- zeitigen Protagonisten Dante auch eine spezifisch mittelalterliche Diskurstradition der antiken Unterwelt. Mit den frühen Dantekommentaren sollte das ‘Inferno’, als volks- sprachige Dichtung außerhalb des gewählten Untersuchungshorizonts, mittelbar einge- bunden werden. Wie in der Einleitung postuliert wurde und wie sich im Verlauf der Untersuchung bestätigte, galt die mittelalterliche Rezeption dem antiken Infernum als einem dezidiert literarischen Phänomen und konzentrierte sich in weiten Teilen auf ihr Erscheinungs- bild im Unterweltabstieg, dem Descensus. Für das mittelalterliche Publikum besaß das Abstiegsszenario, begründet in der Überlieferungssituation und der Autorität Vergils als des zentralen Schulautors, seine normative Gestalt in Aen. 6. Die Bedeutung, die Vergil mit seiner Unterweltdarstellung...
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