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Mutterschutz für GmbH-Geschäftsführerinnen

Rechtslage de lege lata im Lichte verfassungsrechtlicher und europäischer Vorgaben

von Christine Hepp (Autor:in)
©2016 Dissertation XXIII, 323 Seiten

Zusammenfassung

Der Status des GmbH-Geschäftsführers – ist er Dienst- oder Arbeitnehmer? – ist trotz der EuGH-Urteile in den Rechtssachen Danosa und Balkaya im deutschen Recht weiterhin ungeklärt. Dies ist gleichermaßen dogmatisch wie praktisch unbefriedigend. Dieser Problematik widmet sich das Buch. Die Autorin setzt sich kritisch mit dem durch die vorherrschende gesellschaftsrechtliche Auffassung geprägten Postulat der Inkompatibilität von Organstellung und Arbeitnehmereigenschaft auseinander und wendet sich den Folgen für den Mutterschutz zu. Die Überprüfung der Vereinbarkeit der Rechtslage de lege lata mit höherrangigem Recht berücksichtigt die übergeordneten verfassungsrechtlichen Ziele und Leitprinzipien, die europäischen Harmonisierungsvorschriften sowie die Regelungsabsichten des nationalen Gesetzgebers. Die Reichweite und Folgen der Danosa-Entscheidung für die nationale vertragliche und gesellschaftsrechtliche Ebene betrachtet die Autorin ebenso wie die Individualrechtsschutzmöglichkeiten betroffener GmbH-Geschäftsführerinnen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Verzeichnis abgekürzt zitierter europäischer Rechtsakte, völkerrechtlicher Verträge und Übereinkommen
  • Einleitung
  • 1. Problemstellung
  • 2. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel: Rechtslage de lege lata – Kein Mutterschutz für GmbH-Geschäftsführerinnen
  • 1. Abschnitt: Persönlicher Geltungsbereich des MuSchG
  • I. Begriff des Arbeitsverhältnisses
  • II. Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft
  • III. Erstreckung auf arbeitnehmerähnliche Personen?
  • IV. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Rechtsnatur des Anstellungsvertrages der GmbH-Geschäftsführerin
  • I. Keine gesetzlichen Regelungen zur Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
  • 1. Neutralität arbeitsrechtlicher Bereichsausnahmen
  • 2. Bloße Indizwirkung sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Normen
  • II. Meinungsstand in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
  • 1. Bundesgerichtshof
  • 2. Bundesarbeitsgericht
  • 3. Bundessozialgericht
  • 4. Bundesfinanzhof
  • III. Schlussfolgerungen aus der Rechtsprechung
  • 1. Bestehende Divergenzen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
  • 2. Erforderlichkeit einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe?
  • IV. Kritik an der zivilgerichtlichen und arbeitsrechtlichen Rechtsprechung
  • 1. Doppeldeutigkeit der »Arbeitgeberfunktionen«
  • 2. Sonderstellung aufgrund »originärer« Funktionsgewalt?
  • 3. Defizite bei der Anwendung des Trennungsgrundsatzes
  • 4. Fehlende Entscheidungsharmonie
  • 5. Alternative Lösungsansätze
  • V. Ergebnis
  • 3. Abschnitt: Zusammenfassung
  • Zweites Kapitel: Grundlagen des deutschen Mutterschutzes
  • 1. Abschnitt: Historische Entwicklung des Mutterschutzes
  • I. Anfänge des Mutterschutzes
  • II. Vom Mutterschutz für Fabrikarbeiterinnen zum Mutterschutz für Arbeiterinnen
  • 1. Mutterschutz für Fabrikarbeiterinnen
  • 2. Gründe für Beschränkung auf Fabrikarbeiterinnen
  • a. Ausgangslage
  • b. Mutterschutz als Instrument zum Machterhalt
  • c. Weitere Faktoren
  • 3. Mutterschutz für Arbeiterinnen
  • III. Mutterschutz in der Weimarer Republik und zu Zeiten des Nationalsozialismus – Mutterschaft als Leistung für die Volksgemeinschaft
  • IV. Entwicklung des Mutterschutzes in der Neuzeit – Mutterschutz für Arbeitnehmerinnen
  • 1. Mutterschutzgesetz von 1952
  • 2. Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs von 1979
  • V. Schlussfolgerungen
  • 1. Keine bloße Übernahme historischer Begrifflichkeiten
  • 2. Keine Diskrepanz zwischen gesetzgeberischer Regelungsabsicht und gesetzlicher Ausgestaltung
  • 3. Rückschlüsse auf Regelungssystematik des MuSchG
  • VI. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Verfassungsrechtliche Grundlagen
  • I. Mutterschutzgebot nach Art. 6 Abs. 4 GG
  • 1. Subjektiv-öffentlicher Charakter von Art. 6 Abs. 4 GG
  • 2. Grundrechtsfunktionen von Art. 6 Abs. 4 GG
  • a. Art. 6 Abs. 4 GG als Ausdruck einer ausstrahlenden Wertentscheidung
  • b. Art. 6 Abs. 4 GG als Schutzauftrag
  • c. Art. 6 Abs. 4 GG als Abwehrrecht
  • d. Art. 6 Abs. 4 GG als Diskriminierungsverbot
  • e. Art. 6 Abs. 4 GG als Leistungsrecht?
  • 3. Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung
  • a. Grundrechtsrechtsberechtigung
  • b. Grundrechtsverpflichtung
  • 4. Ergebnis
  • II. Gleichberechtigungsgebot nach Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG
  • III. Ergebnis
  • 3. Abschnitt: Europäische Grundlagen und völkerrechtliche Einflüsse
  • I. Europäische Grundlagen
  • 1. Primäres Unionsrecht
  • a. Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV)
  • b. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • 2. Sekundäres Unionsrecht
  • a. Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG
  • b. Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG
  • c. Gleichbehandlungsrichtlinie für Selbstständige 2010/41/EU
  • d. Gescheiterte Neugestaltung der Mutterschutzrichtlinie
  • II. Exkurs: Völkerrechtliche Einflüsse
  • 1. Übereinkommen der ILO zum Mutterschutz
  • a. ILO-Übereinkommen Nr. 3 von 1919
  • b. ILO-Übereinkommen Nr. 103 von 1952
  • c. ILO-Übereinkommen Nr. 183 von 2000
  • 2. Europäische Sozialcharta
  • III. Schlussfolgerungen
  • 1. Mutterschutz im Spannungsfeld zwischen Arbeitsschutz und Gleichbehandlung
  • 2. Leitprinzipien des europäischen Mutterschutzes
  • 3. Bedeutung für das MuSchG
  • 4. Fehlender Grundkonsens bei Weiterentwicklung des Mutterschutzes
  • IV. Ergebnis
  • 4. Abschnitt: Zusammenfassung
  • Drittes Kapitel: Unvereinbarkeit der Rechtslage de lege lata mit höherrangigem Recht
  • 1. Abschnitt: Verfassungswidrigkeit der Rechtslage de lege lata
  • I. Vorbemerkung zum Prüfprogramm
  • II. Verletzung des Mutterschutzgebotes nach Art. 6 Abs. 4 GG
  • 1. Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens
  • a. Wesensgehalt
  • b. Untermaßverbot
  • 2. Realisierung der staatlichen Schutzpflicht in Bezug auf GmbH-Geschäftsführerinnen?
  • a. Ausreichende medizinische Versorgung
  • b. Fehlender Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
  • c. Keine Einräumung von Schonzeiten vor und nach der Geburt
  • d. Mangelhafte Unterhaltssicherung
  • e. Ungenügende Arbeitsplatzsicherung
  • 3. Ergebnis
  • III. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG
  • 1. Ungleichbehandlung von GmbH-Geschäftsführerinnen
  • 2. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von GmbH-Geschäftsführerinnen gegenüber Arbeitnehmerinnen?
  • a. Anzuwendender Prüfungsmaßstab
  • b. Zulässiges Differenzierungsziel
  • c. Zulässigkeit des Differenzierungskriteriums
  • d. Subjektive Legitimation der Ungleichbehandlung?
  • e. Objektive Legitimation der Ungleichbehandlung?
  • i. Ziele des gesetzlichen Mutterschutzes
  • ii. Keine geringere Schutzwürdigkeit von GmbH-Geschäftsführerinnen
  • iii. Fehlender Legitimationszusammenhang zwischen Zielen des MuSchG und Weisungsgebundenheit
  • iv. Keine verfassungsrechtlich zulässige Typisierung
  • v. Kein alternatives Schutzkonzept für GmbH-Geschäftsführerinnen
  • 3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gegenüber Heimarbeiterinnen?
  • 4. Ergebnis
  • IV. Verstoß gegen das Gleichberechtigungs- und Förderungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG
  • 1. Inhalt des Gleichberechtigungsgebotes
  • 2. Kein Schutz der GmbH-Geschäftsführerin vor geschlechtsspezifischen Benachteiligungen
  • 3. Ergebnis
  • V. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Europarechtswidrigkeit der Rechtslage de lege lata
  • I. Verstoß gegen europäisches Primärrecht?
  • 1. Vereinbarkeit mit Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV)
  • 2. Isolierter Verstoß gegen Grundrechtecharta?
  • II. Verstoß gegen europäisches Sekundärrecht
  • 1. Unzureichende Umsetzung der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG
  • a. Ausgestaltung des persönlichen Geltungsbereiches
  • i. Gesetzliche Ausgangslage
  • ii. Maßgeblicher Arbeitnehmerbegriff – nationales vs. unionsrechtliches Begriffsverständnis?
  • iii. Kriterien der Arbeitnehmereigenschaft
  • b. Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs für nichtbeherrschende GmbH-Geschäftsführerinnen
  • i. Urteil des EuGH in der Rechtssache Danosa
  • ii. Übertragbarkeit der Auslegungsgrundsätze
  • iii. Einordnung der GmbH-Geschäftsführerin
  • iv. Ausblick: Auswirkungen des Kommissionsvorschlags zur Überarbeitung der Richtlinie 92/85/EWG
  • c. Umsetzungsdefizite aufgrund abweichendem Anwendungsbereich der Umsetzungsmaßnahmen
  • d. Ergebnis
  • 2. Unzureichende Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG
  • a. Eröffnung des Anwendungsbereiches
  • b. Intensiveres Schutzniveau für nichtbeherrschende GmbH-Geschäftsführerinnen
  • c. Divergierende Umsetzungspflichten
  • d. Erfüllung aller Umsetzungspflichten?
  • e. Ergebnis
  • 3. Unzureichende Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie für Selbstständige 2010/41/EU
  • a. Regelungsgehalt
  • b. Eröffnung des persönlichen Geltungsbereiches
  • c. Ausgestaltung des Mutterschutzes in Art. 8 GbRL-Selbst.
  • d. Umsetzungsdefizite für selbstständige GmbH-Geschäftsführerinnen
  • i. Keine ausreichende finanzielle Versorgung
  • ii. Keine Ersetzung von Mutterschaftsleistungen durch BEEG
  • e. Ergebnis
  • III. Ergebnis
  • 3. Abschnitt: Zusammenfassung
  • Viertes Kapitel: Lösungsansätze zur Herstellung der Verfassungs- und Europarechtskonformität
  • 1. Abschnitt: Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Vorgaben
  • I. Wirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht
  • II. Keine Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung
  • 1. Gebot der Bevorzugung der verfassungsgemäßen Auslegung
  • 2. Fehlen mehrerer Deutungsmöglichkeiten
  • 3. Gefahr einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung
  • 4. Ergebnis
  • III. Folgen für Individualrechtsschutzmöglichkeiten einer betroffenen GmbH-Geschäftsführerin
  • 1. Sicherung und Durchsetzung eines Mindestmaßes an Mutterschutz durch Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG?
  • 2. Nichtigkeit einzelner mutterschutzrechtlicher Regelungen aufgrund konkreter Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG?
  • IV. Ergebnis
  • 2. Abschnitt: Konsequenzen der europäischen Vorgaben
  • I. Wirkung des europäischen Rechts im Arbeitsrecht
  • 1. Anwendungsvorrang des Unionsrechts
  • 2. Keine horizontale Drittwirkung von Richtlinien
  • 3. Erweiterung der Richtlinienwirkung durch europäische Grundrechte?
  • 4. Schlussfolgerungen für die GmbH-Geschäftsführerin
  • II. Erfüllung der Umsetzungspflichten durch richtlinienkonforme Auslegung?
  • 1. Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung
  • 2. Richtlinienkonforme Erstreckung von § 1 Nr. 1 MuSchG auf nichtbeherrschende GmbH-Geschäftsführerinnen
  • 3. Richtlinienkonforme Einschränkung von § 38 Abs. 1 GmbHG?
  • 4. Keine Möglichkeit zur richtlinienkonforme Auslegung von § 6 AGG
  • 5. Ergebnis
  • III. Folgen für Individualrechtsschutzmöglichkeiten einer betroffenen GmbH-Geschäftsführerin
  • IV. Ergebnis
  • Zusammenfassung und abschließende Würdigung
  • Literaturverzeichnis

← XIV | XV →

Abkürzungsverzeichnis

← XX | XXI →

Verzeichnis abgekürzt zitierter europäischer Rechtsakte, völkerrechtlicher Verträge und Übereinkommen

← XXIV | 1 →

Einleitung

Die Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern und sonstigen Organvertretern birgt seit jeher eine Problematik, über die auch heute noch lebhaft gestritten wird. In der arbeitsrechtlichen Praxis ist die Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern und sonstigen Organvertretern juristischer Personen ein Dauerbrenner – sei es, dass der zulässige Gerichtsweg vor dem Hintergrund von § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG bestimmt werden muss oder die Anwendung einzelner Arbeitnehmerschutzgesetze, wie das KSchG oder das AGG, im gerichtlichen Verfahren streitig ist.1 Die Nachhaltigkeit dieses Themas wird dabei durch den Mangel an gesetzlichen Regelungen zum Arbeitnehmerbegriff im Allgemeinen und zum schuldrechtlichen Status des GmbH-Geschäftsführers im Besonderen bedingt.2 Auch wenn die Einordnung des Anstellungsverhältnisses mittlerweile zahlreiche Dissertationen und Monografien füllt,3 ist sie immer noch von besonderem wissenschaftlichem und praktischem Gewicht.

1.  Problemstellung

Eine Auseinandersetzung mit den zur Klassifikation des Anstellungsvertrages von GmbH-Geschäftsführern vertretenen Rechtsauffassungen lässt relativ schnell eine je nach Rechtsgebiet variierende Beurteilung des Status des GmbH-Geschäftsführers erkennen. So gelten GmbH-Geschäftsführer vor allem in der gesellschaftsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht als Arbeitnehmer. Wegen der Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers als Organ, das die nicht selbst handlungsfähige Gesellschaft im Außenverhältnis vertritt und für die Geschäftsführung der Gesellschaft verantwortlich ist, gebühre der Organstellung der Vorrang vor bestehenden dienstvertraglichen Regelungen.4 Zudem müssten die Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft und die Organisationsfreiheit der Gesellschafter gewahrt werden.5 Etwaige Weisungen der Gesellschafter bezögen sich daher lediglich auf die im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer ← 1 | 2 → beschränkte Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers und zeitigten keinen unmittelbaren Folgen für das Anstellungsverhältnis.6

Das BAG setzt hingegen bei der Frage nach dem Status des GmbH-Geschäftsführers bei der Definition des Arbeitnehmerbegriffes an, wonach jeder, der »auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags zur Arbeit im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist« als Arbeitnehmer gilt.7 Die Abgrenzung zu Dienstnehmerinnen erfolgt im Umkehrschluss zu § 84 Abs. 1 S. 2 HGB danach, ob der jeweilige Beschäftigte seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit individuell bestimmen kann, oder ob er in eine fremde Arbeitsorganisation derart eingebunden ist, dass dem Arbeitgeber ein Weisungsrecht hinsichtlich Art, Zeit, Ort und Umfang der Tätigkeit zukommt.8 Entscheidendes Kriterium ist damit das Vorliegen der Weisungsgebundenheit. Obwohl insbesondere die Weisungsgebundenheit eines Fremdgeschäftsführers, der wie ein leitender Angestellte in die Arbeitsorganisation einer GmbH eingegliedert ist und kaum über eigene unternehmerische Entscheidungsbefugnisse verfügt, sondern vielmehr jede seine Entscheidungen mit der Gesellschafterversammlung abstimmen muss, auf der Hand zu liegen scheint, hat das BAG bisher in jedem der ihm zur Entscheidung vorliegenden Fälle eine über § 37 GmbHG hinausgehende Weisungsgebundenheit abgelehnt. Eine von der Rechtsprechung des BGH abweichende Beurteilung sei nur in seltenen Ausnahmefällen möglich.9

An dieser primär durch das Gesellschaftsrecht geprägten Betrachtungsweise wird seit mehr als 60 Jahren festgehalten,10 obwohl sie nicht unwidersprochen geblieben ist.11 Tatsächlich würdigt die herrschende Ansicht zur fehlenden Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern die Doppelstellung des Geschäftsführers als Organ der Gesellschaft und als natürliche Person, die zur Gesellschaft in einem Anstellungsverhältnis steht, nur ungenügend. Sie vermag daher nicht das Spannungsverhältnis zwischen Gesellschaftsrecht- und Dienstvertrags- bzw. Arbeitsrecht auflösen. ← 2 | 3 →

Die Frage, wie die teilweise divergierenden Wertungen des Arbeits- und Gesellschaftsrecht beim GmbH-Geschäftsführer in Ausgleich zu bringen sind, hat durch die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Danosa an Brisanz gewonnen.12 Die Entscheidung des EuGH zur Anwendbarkeit der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG auf schwangere Organvertreterinnen traf mitten in die teilweise ambitioniert geführte gesellschaftspolitische Diskussion über die Einführung von Frauenquoten und über die sogenannte »gläserne Decke« für Frauen in Führungspositionen, die von dem seit 2008 andauernden politischen Tauziehen um eine Revision der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG zwischen europäischen Parlament, Kommission, Rat und nationalen Verbänden wie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände überschattet wurde.13

Obgleich die im Einzelnen noch näher zu betrachtende Entscheidung des EuGH geeignet ist, die von den nationalen Gerichten bis dato entwickelten Grundsätze zur fehlenden Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern auf den Kopf zu stellen, hat sie bisher lediglich in einzelnen praxisnahen Beiträgen Beachtung gefunden.14 Die im nationalen Recht verhaltene Reaktion auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Danosa ist kaum nachvollziehbar, wirft sie doch zahlreiche Fragen auf, wie etwa »Gelten GmbH-Geschäftsführerinnen zukünftig als Arbeitnehmer?«, »Müssen Gesellschafter einer GmbH künftig das MuSchG im Blick behalten? Wenn ja, welche Folgerungen ergeben sich für die einzelne GmbH-Geschäftsführerin hieraus?«, »Sind GmbH-Geschäftsführerinnen zukünftig nicht mehr frei abberufbar?«, oder »Müssen neben dem MuSchG noch weitere Arbeitnehmerschutzgesetze bei schwangeren GmbH-Geschäftsführerinnen beachtet werden?«.

Ungeachtet der möglichen Konsequenzen der Danosa-Entscheidung für die arbeitsrechtliche Stellung von GmbH-Geschäftsführer im Allgemeinen gibt das EuGH-Urteil in seinen Entscheidungsgründen Anlass, sich dezidiert und fundiert mit dem nationalen Mutterschutz auseinanderzusetzen. Denn dem gesetzlichen Mutterschutz kommt in Deutschland seit seiner Einführung in § 135 der ← 3 | 4 → Gewerbeordnung von 1878 eine zentrale soziale und rechtspolitische Bedeutung zu. Während Sozialgesetze früher als notwendiges Korrektiv zur Vormachstellung der Unternehmen angesehen wurden, und insbesondere der Mutterschutz als Ausprägung des Arbeitnehmerinnenschutzes der Wiederherstellung der Sittlichkeit und der traditionellen Form der Familie diente,15 sieht sich der Mutterschutz heute der Herausforderung gegenüber, durch kinderfreundliche Rahmenbedingungen der nachteiligen demografischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte entgegenwirken zu müssen.16 Zudem nehmen immer mehr berufstätige Frauen vom klassischen Modell der Einversorgerehe und der traditionellen Rollenverteilung in der Kindererziehung Abstand, sodass sie auch im Falle der Schwangerschaft und Mutterschaft berufstätig bleiben. Für alle berufstätigen Mütter stellen aber die aus der Mutterschaft resultierenden Verpflichtungen und Aufgaben ein besonderes Problem dar. Sie befinden sich im permanenten Widerstreit zwischen ihren mütterlichen Pflichten und ihrer Stellung im Berufsleben. Insbesondere während der Schwangerschaft und in der unmittelbaren Zeit nach der Geburt des Kindes erscheint ein natürlicher Ausgleich der Interessenlage der Mutter auf der einen Seite mit den Anforderungen der Berufswelt auf der anderen Seite unmöglich. Um gerade diesen Ausgleich zu ermöglichen, bedarf es gesetzlicher Schutzbestimmungen im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind. Irrelevant ist dabei, ob eine schwangere Frau in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis weisungsfrei oder weisungsgebunden tätig ist. Entscheidend ist vielmehr, dass sie aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in die benannte Konfliktsituation geraten kann.

Dies hat schon der Verfassungsgesetzgeber erkannt und das Mutterschutzgebot unter Art. 6 Abs. 4 GG in den ersten Abschnitt des Grundgesetzes eingefügt. Durch die Einräumung eines Anspruchs auf Schutz und Fürsorge durch die Gemeinschaft wird die erhöhte Schutz- und Hilfebedürftigkeit von (werdenden) Müttern hervorgehoben. Zudem wird der besonderen Bedeutung der Mutterschaft für die Gesellschaft Ausdruck verliehen. Aus diesem Grund entfaltet das Mutterschutzgebot neben seinem subjektiv-öffentlichen Charakter eine weitergehende, für alle Bereiches ← 4 | 5 → des Rechts verbindliche Wirkung als objektive Wertentscheidung.17 Damit enthält Art. 6 Abs. 4 GG den bindenden Auftrag an den Gesetzgeber, das Mutterschutzgebot zu verwirklichen und durch gesetzliche Regelungen die Belastungen von Müttern, die im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, auszugleichen.18

Einen Teil seines Schutzauftrages hat der Gesetzgeber durch das MuSchG erfüllt. – Einen Teil? – Ja, bereits bei einem Blick in das derzeit geltende MuSchG fällt auf, dass der persönliche Anwendungsbereich in § 1 MuSchG auf »Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen« sowie auf »weibliche in Heimarbeit Beschäftigte und ihnen Gleichgestellte« beschränkt ist.19 Zwar verbietet Art. 6 Abs. 4 GG grundsätzlich keine am jeweiligen Schutzgrad orientierte Abstufung bei der Intensität des Mutterschutzes.20 Ein Mindestmaß an gesetzlichen Schutzbestimmungen muss jedoch für jede Frau gewährleistet sein.21 Ob dieses Mindestmaß durch andere mutterschutzrechtliche Regelungen außerhalb des MuSchG erreicht wird, ist fraglich.

Offensichtlicher wird die Diskrepanz zwischen verfassungsrechtlicher Wertung und gesetzlicher Ausgestaltung, wenn die Situation der GmbH-Geschäftsführerin betrachtet wird. Nach der im Einzelnen noch darzustellenden Rechtslage de lege lata ist das MuSchG auf GmbH-Geschäftsführerinnen nicht anwendbar.22 Dieser Status quo zeitigt weitreichende Folgen. So sind GmbH-Geschäftsführerinnen grundsätzlich nicht berechtigt, Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Ferner haben sie – abgesehen von der Regelung des § 616 BGB23 – keinen Anspruch darauf, für die Zeit der Geburt und der unmittelbaren Zeit danach bezahlt freigestellt zu werden, denn auch der Anwendungsbereich des EFZG knüpft an die Arbeitnehmereigenschaft an.24 Zudem kommt die Geschäftsführerin nicht in den Genuss der Entgeltsicherung durch Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs. 1 MuSchG i. V. m. ← 5 | 6 → § 24i Abs. 2 S. 1 bis S. 6 SGB V, sondern kann nur dann Mutterschaftsgeld nach § 24i Abs. 1 1. Alt., Abs. 2 S. 7 SGB V in Höhe des Krankengeldes beanspruchen, wenn sie Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist.25 Als besonders erschwerend dürfte schließlich die fehlende Beschäftigungssicherung durch einen Sonderkündigungsschutz während der Schwangerschaft und das Risiko einer jederzeitigen Abberufung als Geschäftsführerin nach § 38 Abs. 1 GmbHG gelten. Ergänzung findet diese Situation darin, dass de lege lata das AGG aufgrund der Regelung in § 6 Abs. 3 AGG auf Organmitglieder nur eingeschränkt Anwendung findet.26

Folglich unterliegt der Schutz der GmbH-Geschäftsführerin im Schwangerschafts- und Mutterschaftsfalle primär der privatautonomen Vertragsgestaltung. In der Praxis müssen deshalb vor allem Frauen, die bereits vor ihrer Berufung zur GmbH-Geschäftsführerin im Rahmen eines regulären Arbeitsverhältnisses bei der GmbH angestellt waren und zur Geschäftsführerin befördert werden, eine vertragliche Regelung zum Mutterschutz oder zur Freistellung für Schwangerschaft und Geburt forcieren. Indes werden Gesellschafter einer GmbH regelmäßig kein ausgeprägtes Interesse daran haben, einer GmbH-Geschäftsführerin kraft vertraglicher Vereinbarung besondere Beschäftigungs- und Kündigungsverbote einzuräumen und ihr dadurch das gleiche Schutzniveau wie einer Arbeitnehmerin zu gewähren. Die Durchsetzung des gleichen Schutzniveaus hängt damit ausschließlich von der individuellen Durchsetzungsfähigkeit der GmbH-Geschäftsführerin bei den Vertragsverhandlungen ab.27

Inwiefern dieses Ergebnis mit den gesetzgeberischen Intentionen und höherrangigen Recht − insbesondere mit der in Art. 6 Abs. 4 GG zum Ausdruck kommenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidung – zu vereinbaren ist, ist zweifelhaft. Neben Art. 6 Abs. 4 GG bedarf insbesondere Art. 3 Abs. 2 GG der Beachtung. Er gebietet den Ausgleich faktischer Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, ← 6 | 7 → durch begünstigende Regelungen,28 um hierdurch langfristig Chancengleichheit herzustellen.29 Tradierte Rollenverteilungen zwischen Männern und Frauen, infolge derer Frauen höhere Belastungen auferlegt werden oder infolge der sie auf eine andere Art und Weise nachteilig behandelt werden, müssen im Interesse der Gleichberechtigung der Geschlechter aufgebrochen werden.30

Details

Seiten
XXIII, 323
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653060188
ISBN (ePUB)
9783653949551
ISBN (MOBI)
9783653949544
ISBN (Hardcover)
9783631665794
DOI
10.3726/978-3-653-06018-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Arbeitsrecht Gesellschaftsrecht Unionsrecht GmbH
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XXIV, 323 S.

Biographische Angaben

Christine Hepp (Autor:in)

Christine Hepp studierte Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School in Hamburg und an der University of Cape Town. Sie promovierte am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht der Bucerius Law School und ist als Rechtsanwältin im Arbeitsrechtsbereich einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Hamburg tätig.

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