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Das kostenlose periodische Druckwerk

Struktur, presse- und wettbewerbsrechtliche Problematik von Anzeigenblättern

von Liane Vollmer-Gärtner (Autor:in)
©2016 Dissertation 314 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch beleuchtet die Pressegattung Anzeigenblatt erstens als publizistisches Phänomen und Geschäftsmodell auf dem Pressemarkt und zweitens als unlautere Wettbewerbshandlung, die vermeintlich die Pressefreiheit untergräbt. Die Autorin stellt die zentrale Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern rechtlich unzulässig sein kann und prüft dies aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive. Ein Verbot befindet sie nur dann als angemessen, wenn die unentgeltliche Verteilung von Presseerzeugnissen den Pressewettbewerb konkret gefährdet. Dieser Fall tritt ein, falls die Anzahl der Presseerzeugnisse auf dem jeweiligen Zeitungsmarkt abnimmt, ohne dass die Anzeigenblätter denselben Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung erbringen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungen
  • Einleitung
  • Kapitel 1: Das Anzeigenblatt als periodisches Druckwerk
  • A) Definition und Abgrenzung zur Zeitung
  • I. Das Anzeigenblatt – Anzeigenfinanzierung und kostenlose Verteilung
  • II. Die Zeitung
  • III. Anzeigenblätter als Zeitungen
  • IV. Die Abgrenzung von Anzeigenblättern zu anderen Publikationen
  • B) Anzeigenblätter auf dem deutschen Pressemarkt (1945 bis heute)
  • I. Das Erscheinungsbild von Anzeigenblättern
  • II. Die Auflagen und Umsätze – das Geschäft mit Anzeigenblättern
  • III. Die publizistische Leistung von Anzeigenblättern
  • 1. Meinungen in der Literatur
  • 2. Empirische Ergebnisse
  • 3. Aktuelle Entwicklung bei klassischen Anzeigenblättern
  • IV. Nutzung und Bewertung von Anzeigenblättern durch die Leser
  • C) Ergebnis
  • Kapitel 2: Anzeigenblatt und Kaufzeitung – Der Konflikt
  • A) Die Entwicklung von Anzeigenblättern und ihr Verhältnis zur entgeltlichen Zeitung bis 1949
  • B) Anzeigenblätter und ihr Verhältnis zur entgeltlichen Zeitung nach 1949
  • I. Der Kampf der Zeitungsverleger mit rechtlichen Mitteln (1950 bis 1971)
  • II. Der Einstieg der Zeitungsverleger ins Anzeigenblattgeschäft (1972 bis 1978)
  • III. Die Dominanz der Zeitungsverleger auf dem Anzeigenblattmarkt (1979 bis 1996)
  • IV. Der Kampf gegen zeitungsähnliche Anzeigenblätter (1997 bis 2002)
  • 1. Auseinandersetzung auf dem Pressemarkt
  • a) Klassische Sonntagsanzeigenblätter
  • b) Sonntagsgratiszeitung
  • c) Gratiszeitungen
  • 2. Auseinandersetzung vor Gericht
  • V. Kurzer Auftritt: Die Wirtschaftsgratiszeitung „BusinessNews“ (2006–2007)
  • VI. Ausblick: Sind Gratiszeitungen langfristig aufzuhalten?
  • C) Ergebnis
  • Kapitel 3: Rechtliche Zulässigkeit von Anzeigenblättern
  • A) Die Anzeigenblätter im Spiegel der Rechtsprechung des BGH
  • I. Freiburger Wochenbericht (1956)
  • II. Westfalen-Blatt (1957)
  • III. Stuttgarter Wochenblatt I (1968)
  • IV. Stuttgarter Wochenblatt II (1971)
  • V. Lippische Rundschau (1978)
  • VI. Bliestal-Spiegel (1984)
  • VII. Stumme Verkäufer I (1996)
  • VIII. Zeitung zum Sonntag (2003)
  • IX. 20 Minuten Köln (2003)
  • X. Stumme Verkäufer II (2009)
  • XI. Ergebnis
  • B) Die Anzeigenblätter unter dem Schutzbereich der Grundrechte
  • I. Die einschlägigen Grundrechte
  • 1. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
  • a) Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der Gratisvertrieb
  • b) Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der kommerzielle Herausgabezweck
  • c) Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und die ausschließliche Anzeigenfinanzierung
  • d) Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der Inhalt von Anzeigenblättern
  • 2. Art. 12 GG und Art. 14 GG
  • 3. Das Verhältnis von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu Art. 12 GG und 14 GG
  • 4. Ergebnis zu den einschlägigen Grundrechten
  • II. Die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit
  • 1. Die „öffentliche Aufgabe“ der Presse
  • 2. Der Bestands- und Funktionsschutz der Presse
  • 3. Der Schutz des Pressewettbewerbs
  • 4. Das Verhältnis der beiden Dimensionen der Pressefreiheit
  • III. Die Drittwirkung der Grundrechte
  • 1. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte
  • 2. Grundrechte als staatliche Schutzpflichten
  • C) Das Verbot des Anzeigenblatts: Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit
  • D) Das UWG als Schranke der Pressefreiheit
  • I. Das UWG als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GG
  • II. Der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern unter dem UWG
  • 1. Der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern als geschäftliche Handlung
  • 2. Das Wettbewerbsverhältnis zwischen Anzeigenblatt- und Kaufzeitungsverleger
  • 3. Der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern als unlautere geschäftliche Handlung
  • a) Der Schutzzweck des UWG
  • b) Begriff der Unlauterkeit und die Systematik der Unlauterkeitstatbestände
  • c) Der Gratisvertrieb als unlautere geschäftliche Handlung nach § 4 UWG
  • aa) Der Gratisvertrieb als Wertreklame
  • (1) Wertreklame als unangemessen unsachliche Beeinflussung
  • (2) Wertreklame als nicht transparente Verkaufsförderungsmaßnahme
  • bb) Der Gratisvertrieb als psychischer Kaufzwang
  • cc) Der Gratisvertrieb als unlauteres Anlocken
  • (1) Unentgeltlichkeit
  • (2) Unaufgeforderte Zustellung
  • dd) Der Gratisvertrieb als gezielte Behinderung
  • d) Der Gratisvertrieb als allgemeine Marktstörung nach § 3 UWG
  • aa) Vorab: Die Berücksichtigung von Marktfolgen durch das UWG
  • bb) Allgemeine Marktstörung durch Massenverteilung von Originalware
  • cc) Preisunterbietung ohne Verdrängungsabsicht
  • dd) Allgemeine Marktstörung durch Nichtleistungswettbewerb
  • (1) Die Aufhebung des Vertriebswettbewerbs durch den Gratisvertrieb
  • (2) Die Verzerrung des Leistungsvergleichs durch den Gratisvertrieb
  • 4. Ergebnis zum Gratisvertrieb von Anzeigenblättern unter dem UWG
  • E) Die Verhältnismäßigkeit des Vebots eines Anzeigenblatts
  • I. Die Wechselwirkungslehre des BVerfG
  • II. Der Prozess der Güterabwägung
  • 1. Der mit dem Eingriff verfolgte legitime Zweck
  • 2. Die Geeignetheit des Eingriffs
  • 3. Die Erforderlichkeit des Eingriffs
  • 4. Die Angemessenheit des Eingriffs
  • a) Die Interessen der Beteiligten
  • aa) Die Interessen der Kontrahenten
  • bb) Die Interessen der Leser
  • cc) Die Interessen der Inserenten
  • b) Die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit und ihre Strukturprinzipien
  • c) Die Konkretisierung der Strukturprinzipien der Pressefreiheit: Schutz der Qualität
  • aa) Darstellung des Strukturprinzips Qualität
  • (1) Das Gebot redaktioneller Qualität und das Zensurverbot
  • (2) Definition von (redaktioneller) Qualität
  • (3) Die (Un-)Übertragbarkeit rundfunkrechtlicher Maßstäbe auf das Pressewesen
  • (4) Qualität und öffentliche Meinungsbildung in der Rechtsprechung
  • (5) Qualität und öffentliche Meinungsbildung im Spiegel der Literatur
  • (6) Ergebnis zur Darstellung des Strukturprinzips Qualität
  • bb) Kein generelles Verbot wegen mangelnder Qualität von Anzeigenblättern
  • (1) Die redaktionelle Qualität von Anzeigenblättern
  • (2) Keine generelle Verdrängungswirkung von Anzeigenblättern
  • cc) Verbot wegen mangelnder Qualität des Anzeigenblatts im Einzelfall
  • (1) Das Nicht-Ausreichen einer abstrakten Gefahrenlage
  • (2) Die Notwendigkeit einer konkreten Gefahrenlage
  • (3) Die Feststellung einer konkreten Gefahrenlage durch Marktanalyse
  • (4) Die Bedeutung der Prognose bei der Feststellung der konkreten Gefahrenlage
  • (5) Exkurs: Vorrang des GWB?
  • (6) Die Bewertung des aktuellen Pressemarkts
  • (7) Ergebnis der Einzelfallprüfung
  • dd) Ergebnis zum Strukturprinzip Qualität
  • d) Die Konkretisierung der Strukturprinzipien der Pressefreiheit: Auswahl- und Entscheidungsfreiheit der Leser
  • aa) Darstellung des Strukturprinzips Auswahl- und Entscheidungsfreiheit
  • bb) Einfluss der Anzeigenblätter auf den Steuerungs- und Rückkopplungseffekt
  • cc) Exkurs: Verpflichtung des Staats zur Bereitstellung kostenloser Information
  • dd) Ergebnis zum Strukturprinzip Auswahl- und Entscheidungsfreiheit
  • e) Die Konkretisierung der Strukturprinzipien der Pressefreiheit: Pressevielfalt
  • aa) Darstellung des Strukturprinzips Pressevielfalt
  • bb) Pressevielfalt und Wettbewerb
  • cc) Anzeigenblätter unter dem Strukturprinzip Pressevielfalt
  • dd) Anzeigenblätter und das System des Presse-Grossos
  • ee) Ergebnis zum Strukturprinzip Pressevielfalt
  • f) Die Konkretisierung der Strukturprinzipien der Pressefreiheit: Redaktionelle Unabhängigkeit
  • aa) Darstellung des Strukturprinzips redaktionelle Unabhängigkeit
  • bb) Anzeigenblätter unter dem Strukturprinzip redaktioneller Unabhängigkeit
  • cc) Die Bedeutung der redaktionellen Unabhängigkeit bei Anzeigenblättern
  • dd) Die redaktionelle Unabhängigkeit unter dem Diktat des Massengeschmacks
  • ee) Ergebnis zum Strukturprinzip redaktionelle Unabhängigkeit
  • g) Ergebnis der Angemessenheitsprüfung
  • 5. Ergebnis der Güterabwägung
  • Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungen

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Einleitung

In der Bundesrepublik Deutschland kommen heute auf jede redaktionelle Zeitungsausgabe vier Anzeigenblätter.1 Diese gratis vertriebenen Presseerzeugnisse haben als eigenständiger, periodisch erscheinender Pressetyp hohe Titel- und Auflagensteigerungen auf dem deutschen Pressemarkt nach dem 2. Weltkrieg erzielt und das allein auf der Grundlage des Anzeigengeschäfts. Bis auf wenige Ausnahmen beschränkte sich bis Mitte der 90er-Jahre des vorherigen Jahrhunderts die Berichterstattung der Anzeigenblätter noch allein auf eine Ratgeber-, Service- und Veranstaltungskalenderfunktion und die Verbreitung lokaler Nachrichten. In den letzten Jahren hat sich aber auch – insbesondere mit der Einführung von Sonntagsanzeigenblättern – der Anteil von Anzeigenblättern erhöht, die ihre Berichterstattung auf überregionale und bundesweite Themen ausgeweitet haben. Endpunkt dieser Entwicklung bildete die Ende der 90er-Jahre herausgegebene Freiburger „Zeitung zum Sonntag“, die selbst inhaltlich einer entgeltlichen Sonntagszeitung glich. Darauf folgten weitere vollwertige Anzeigenblätter bzw. Gratiszeitungen, die nicht nur das Niveau entgeltlicher Straßenverkaufszeitungen hatten, sondern auch mehrmals wöchentlich erschienen.

Anzeigenblätter sind bis heute eine feste Institution auf dem deutschen Pressemarkt, die sich gegen die reguläre, entgeltliche (Tages-)Presse behauptet hat. Zurzeit werden in Deutschland zwar keine vollwertigen Anzeigenblätter vertrieben, es ist aber nicht zu erkennen, dass das Konzept als solches gescheitert wäre. Der Vertrieb von Gratiszeitungen kann weiterhin als Hebel dienen, um die hohen Markteintrittshürden, die auf dem deutschen Pressemarkt bestehen, zu überwinden. Der Konflikt zwischen den Anzeigenblättern und entgeltlichen Presseerzeugnissen wurde und wird dabei nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet ausgefochten, indem die etablierten Presseunternehmen immer wieder die Idee des Gratisvertriebs kopiert und eigene Anzeigenblätter als „Abwehrblätter“ herausgegeben haben, sondern wurde auch vor Gericht verhandelt. Die traditionellen Zeitungsverlage versuchten gegen die unentgeltliche Presseverteilung auf Unterlassung zu klagen. Das Verschenken geldwerter Leistung sei, so argumentierten die Zeitungsverleger, eine unlautere und damit unzulässige geschäftliche Handlung. Sie verstoße dabei gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete Institution der freien Presse und sei damit eine Gefahr für die Pressefreiheit schlechthin. ← 21 | 22 →

Mit der vorliegenden Arbeit soll das Anzeigenblatt als kostenloses periodisches Druckwerk untersucht werden. Es ist dabei sowohl als publizistisches Phänomen zu beleuchten als auch als Geschäftsmodell, das als unlautere Wettbewerbshandlung vermeintlich die Pressefreiheit untergräbt. Dieser doppelte Ansatz ist notwendig, weil eine juristische Bewertung ohne die publizistische nicht auskommen kann. Im ersten Kapitel soll zunächst der Begriff „Anzeigenblatt“ definiert, die verschiedenen Typen bzw. Ausformungen präsentiert und den (regulären) entgeltlichen Zeitungen gegenübergestellt werden. Es ist dabei zwischen reinen, klassischen und vollwertigen Anzeigenblättern zu unterscheiden. Diese Trennung zwischen den verschiedenen Formen von Anzeigenblättern soll in der gesamten Arbeit berücksichtigt werden. Es wird zudem auf die Auflagen und Umsätze von Anzeigenblättern eingegangen, um dabei auch die Gründe herauszuarbeiten, die für ihren Erfolg auf dem deutschen Pressemarkt (mit-)verantwortlich sind. Dazu gehört ebenfalls die Beantwortung der Frage, welche publizistische Leistung Anzeigenblätter tatsächlich erbringen und welche Resonanz sie beim Publikum gerade auch im Unterschied zur regulär-entgeltlichen Presse erzielen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung von Anzeigenblättern und den Konflikten, die zwischen den Anzeigenblättern und der Kaufpresse aufgetreten sind, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit nach 1945 liegt.

Im dritten Kapitel wird die rechtliche Seite der Auseinandersetzung zwischen Anzeigenblättern und entgeltlicher Presse in den Blick genommen. Dabei wird zunächst die Rechtsprechung des BGH zu Anzeigenblättern (und verwandten Vertriebsformen) dargestellt, um einen ersten Anknüpfungspunkt an die rechtliche Bewertung von Anzeigenblättern zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund soll die Frage beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern tatsächlich rechtlich unzulässig sein kann. Diese Prüfung wird aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive erfolgen: Es ist dabei zunächst zu untersuchen, durch welche Grundrechte die Tätigkeit des Anzeigenblattverlegers geschützt ist. In einem zweiten Schritt ist zu klären, ob das Verbot eines Anzeigenblattes einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Tätigkeit des Anzeigenblattverlegers darstellt und drittens, inwieweit dieser Eingriff zu rechtfertigen ist. Dabei ist in den Blick zu nehmen, inwieweit der Gratisvertrieb von Anzeigenblättern gegen das hier einschlägige Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstößt. Unter dem neuen (seit 2004 bzw. 2008) geltenden UWG sind die vorher durch die Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zur Unlauterkeit von Wettbewerbshandlungen kodifiziert worden. ← 22 | 23 →

Das Verfassungsrecht strahlt dabei aber wiederum auf das einfache Recht aus. Es muss deshalb bedingt durch die sogenannte Wechselwirkungslehre in einem vierten Schritt durch eine umfassende Abwägung ein verfassungsrechtlicher Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden werden. Dabei sind vor allem die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit und ihre Strukturprinzipien (Schutz der Qualität von Presseerzeugnissen, Auswahl- und Entscheidungsfreiheit der Leser, Pressevielfalt, redaktionelle Unabhängigkeit) in die Abwägung einzustellen. Im Ergebnis soll die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit von Anzeigenblättern in ihren verschiedenen Ausge-staltungsformen umfassend beantwortet werden können.

Die Auseinandersetzung um die rechtliche Zulässigkeit des Gratisvertriebs von Anzeigenblättern war bereits Gegenstand akademischer Untersuchungen. Die zu dem Thema „Gratisvertrieb von Anzeigenblättern/Gratiszeitungen“ vorliegenden Untersuchungen haben aber bislang nicht konsequent zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen von Anzeigenblättern – reine, klassische und vollwertige Anzeigenblätter – unterschieden, obwohl das Thema nur über diese Differenzierung sauber zu fassen ist. Zudem beantwortet erst die vorliegende Arbeit die rechtliche Zulässigkeit des Gratisvertriebs von Anzeigenblättern nach dem neuen (seit 2004 bzw. 2008 gültigen) UWG. Dabei ist die Frage zu beantworten, ob die vermeintlich mindere Qualität von Anzeigenblättern ihre rechtliche Unzulässigkeit begründen kann. Soweit erkennbar ist dieser Aspekt – wie misst man redaktionelle Qualität, welche Qualität haben Anzeigenblätter, in welchem Verhältnis stehen Fürsorge für den Erhalt höherwertiger Presseerzeugnisse und die institutionelle Garantie der Pressefreiheit zueinander und wie muss unter dem Gesichtspunkt „Qualität von Anzeigenblättern“ unter dem UWG bzw. GWB eine abstrakte bzw. konkrete Gefährdung der Pressefreiheit bewiesen werden – bislang nicht mit der notwendigen Prüfungstiefe behandelt worden. Gleiches gilt auch für die übrigen Strukturprinzipien der objektiv-rechtlichen Dimension der Pressefreiheit. Im Übrigen scheint die Rechtsprechung zum Gratisvertrieb publizistischer Leistung mit der BGH-Entscheidung „Stumme Verkäufer II“ aus dem Jahr 2009 einen zumindest vorläufigen Abschluss gefunden zu haben, in dem die bereits seit 2003 für Anzeigenblätter bestehende Judikatur („Zeitung zum Sonntag“, „20 Minuten Köln“) auf den faktischen Gratisvertrieb entgeltlicher Zeitungen übertragen wurde. Diese Entwicklung konnte durch die bereits als Dissertationen vorliegenden Untersuchungen noch nicht dargestellt und kommentiert werden. Auch diese Lücke soll durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden. ← 23 | 24 →


1 Vgl. BVDA (2014) und BDZV (2014).

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Kapitel 1:  Das Anzeigenblatt als periodisches Druckwerk

A) Definition und Abgrenzung zur Zeitung

I. Das Anzeigenblatt – Anzeigenfinanzierung und kostenlose Verteilung

Der Begriff Anzeigenblatt lässt mehrere Auslegungen zu. Er bezeichnet sowohl Blätter, die sich ausschließlich aus Anzeigen finanzieren, als auch Publikationen, die mehrheitlich aus Anzeigen bestehen.2 Im Alltagsgebrauch werden Anzeigenblätter häufig mit kostenlosen Presseerzeugnissen mit einem geringen publizistischen Niveau assoziiert3 – im Gegensatz zu den Pressetypen „Zeitung“ oder „Zeitschrift“. Nach der Definition von Dovifat/Wilke sind Anzeigenblätter „periodisch überwiegend einmal wöchentlich erscheinende Druckwerke, die sich ausschließlich aus Anzeigeneinnahmen finanzieren und kostenlos und unbestellt an die Haushalte verteilt werden.“4 Diese Beschreibung setzt den Schwerpunkt auf die ökonomischen und organisatorischen Bedingungen dieser Druckwerke.5 Unter den Begriff „Anzeigenblatt“ fallen dann sowohl reine Anzeigenblätter, die ausschließlich aus Anzeigen bestehen, als auch normale oder besser klassische Anzeigenblätter, die sich zu etwa einem Drittel aus redaktionellem Text mit hohem lokalem Bezug und zu zwei Dritteln aus Anzeigen zusammensetzen.6 Die beiden für ein Anzeigenblatt konstitutiven Merkmale – Anzeigenfinanzierung und kostenlose Verteilung – treffen außerdem auf die vollwertigen Anzeigenblätter zu.

Unterscheiden lassen sich die Anzeigenblätter relativ genau über ihren Inhalt. Der Inhalt von reinen Anzeigenblättern ist eindeutig zu bestimmen: Er besteht ← 25 | 26 → vollständig aus Anzeigen.7 Das klassische Anzeigenblatt besteht dagegen im Durchschnitt aus 15,8 Seiten, davon 5,3 Seiten Text und 10,5 Seiten Anzeigen,8 wobei sich der redaktionelle Teil aus Lokalberichterstattung zusammensetzt. Service- und Ratgeberthemen, Veranstaltungs- sowie kommunalpolitische und kulturelle Meldungen und Nachrichten stehen im Vordergrund.9 Im Vergleich dazu hat eine Tageszeitung mit einem Textanteil von etwa zwei Dritteln und einem Anzeigenteil von einem Drittel ein genau umgekehrtes Text-Anzeigen-Verhältnis.10 Die klassischen Anzeigenblätter lassen sich in vier Kategorien unterteilen, und zwar in Blätter ohne Lokalredaktion, deren redaktioneller Inhalt überwiegend aus PR-Beiträgen bestückt wird, in Stadtteilblätter mit einem starken Akzent auf sublokale Themen sowie in im Boulevardstil gehaltene Anzeigenblätter mit hohem Bild- und Farbanteil.11 Diese unterschiedlichen Ausprägungsformen der klassischen Anzeigenblätter gibt es (bis auf die PR-Blätter) jeweils mit publizistischem und ohne publizistisches Niveau. Als vierter Typus des klassischen Anzeigenblatts existiert das Anzeigenblatt mit zeitungsähnlichen Inhalten und hohem redaktionellen Anspruch.12 Zu diesen anspruchsvolleren, zeitungsähnlichen klassischen Anzeigenblättern gehören vor allem die Sonntagsanzeigenblätter, die in den letzten zehn Jahren den redaktionellen Teil durch die Inanspruchnahme von Nachrichtenagenturdiensten mit überregionalen politischen und vor allem Sportthemen ausgebaut haben.13 Die Stadtteil- und Boulevardblätter mit publizistischem Niveau sowie die klassischen Anzeigenblätter mit zeitungsähnlichem Inhalt können insgesamt als klassische Anzeigenblätter mit publizistischem Anspruch bezeichnet werden. Sie nähern sich als solche dem vollwertigen Anzeigenblatt zumindest an.

Die vollwertigen Anzeigenblätter zeichnen sich durch ein höheres redaktionelles Niveau, größeren Textumfang und ein breiteres Themenspektrum als die klassischen Anzeigenblätter aus.14 Das Verhältnis von redaktionellem Text zu Anzeigen ← 26 | 27 → beträgt wie bei traditionellen Kaufzeitungen zwei zu eins.15 Die vollwertigen Anzeigenblätter werden wegen ihrer höheren Qualität häufig als Anzeigenzeitungen oder Gratiszeitungen bezeichnet;16 aufgrund ihrer kostenlosen Verteilung auch als Verteilzeitungen.17 Ein Beispiel für ein vollwertiges Anzeigenblatt war die vierzigseitige Freiburger „Zeitung zum Sonntag“, die redaktionelle Beiträge zu regionalen und überregionalen Themen anbot, eine umfangreiche Sportberichterstattung sowie einen ausführlichen Veranstaltungskalender und damit das Niveau einer herkömmlichen Leserzeitung erreichte.18 Auch die etwas später erstmals erschienenen Gratiszeitungen „20 Minuten Köln“ des norwegischen Zeitungskonzerns Schibsted und „15 Uhr aktuell“ der HBV Beteiligungsgruppe (einem Unternehmen der Hypovereinsbank) glichen einer „normalen“ (Boulevard-) Tageszeitung hinsichtlich Inhalt, Aufmachung und des die Anzeigen überwiegenden redaktionellen Teils.19 Der Übergang vom klassischen Anzeigenblatt zum vollwertigen Anzeigenblatt oder zur Gratiszeitung ist fließend.20 Alle drei Anzeigenblatt-Typen – reine, klassische und vollwertige Anzeigenblätter – erfüllen also die Kriterien der hundertprozentigen Anzeigenfinanzierung, der kostenlosen und unbestellten Verteilung an die Haushalte sowie der überwiegend wöchentlichen Erscheinungsweise und sind deswegen ausnahmslos als Anzeigenblatt zu qualifizieren.

II. Die Zeitung

Details

Seiten
314
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653060843
ISBN (ePUB)
9783653956283
ISBN (MOBI)
9783653956276
ISBN (Hardcover)
9783631668511
DOI
10.3726/978-3-653-06084-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Wettbewerbsrecht Pressefreiheit Gratiszeitung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 314 S., 6 Tab.

Biographische Angaben

Liane Vollmer-Gärtner (Autor:in)

Liane Vollmer-Gärtner studierte Publizistik mit Schwerpunkt Medienrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Nach ihrer Tätigkeit als Redakteurin arbeitet sie als Key Account Managerin in einem Verlag für Unternehmenskommunikation.

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