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Der Urlaubsanspruch als synallagmatischer Einheitsanspruch

Die Einordnung des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs in das arbeitsvertragliche Synallagma unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Urlaubsbegriffs nach der Rechtsprechung des EuGH

von Natascha Ziemek (Autor:in)
©2016 Dissertation XVIII, 201 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch beschäftigt sich mit dem seit der «Schultz-Hoff»-Entscheidung des EuGH wandelnden deutschen Urlaubsrecht. Auf der Basis der analysierten Rechtsprechung des EuGH zur unionsrechtlichen Arbeitszeitrichtlinie im Vergleich zur Rechtsprechung des BAG definiert die Autorin den Urlaubsanspruch als Einheitsanspruch. Dieser besteht aus Freizeitgewährung und Urlaubsentgeltzahlung und ist grundsätzlich von der Erbringung der Arbeitsleistung abhängig, es sei denn, der Arbeitgeber trägt die Verantwortung für das Risiko der Urlaubsgewährung. Die Autorin ordnet den Urlaubsanspruch und den Urlaubsabgeltungsanspruch neu in das Schuldrecht des BGB und das BUrlG ein. Sie bewertet praxisrelevante Fälle hinsichtlich der Risikoverantwortlichkeit und stellt mit der Neueinordnung in das arbeitsvertragliche Synallagma eine Vereinbarkeit des deutschen Urlaubsrechts mit dem Unionsrecht her.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung: Die Definition von Urlaub im Arbeitsrecht
  • 1. Teil: Der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch im deutschen Recht vor der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH
  • A. Die rechtliche Einordnung des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs nach der „neuen“ Rechtsprechung des BAG seit 1982
  • I. Urlaubsrecht als Teil des Privatrechts
  • II. Rechtliche Grundsätze der „neuen“ Rechtsprechung
  • 1. Die Urlaubsgewährungspflicht als nichtsynallagmatische Freistellungspflicht
  • 2. Urlaubsentgelt als fortzuzahlendes Arbeitsentgelt
  • 3. Befristeter Anspruch
  • 4. Der Urlaubsabgeltungsanspruch als Erfüllungssurrogat des Urlaubsanspruchs
  • 5. Die Übertragbarkeit des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • a) Urlaubsanspruch
  • b) Urlaubsentgelt
  • c) Urlaubsabgeltungsanspruch
  • B. Der Regelungsinhalt des Bundesurlaubsgesetzes und seine Einordnung in das Schuldrecht
  • I. Persönlicher Geltungsbereich
  • II. Sachliche Voraussetzungen für das Entstehen des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 1. Entstehen des Urlaubsanspruchs
  • 2. Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • III. Erlöschen des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 1. Erlöschen des Urlaubsanspruchs
  • a) Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB
  • aa) Leistungshandlung
  • bb) Leistungserfolg
  • b) Leistungsstörungen
  • aa) Dauerhafte Leistungshindernisse
  • (1) Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • (2) Tod des Arbeitnehmers
  • (3) Befristung des Urlaubsanspruchs
  • bb) Vorübergehende Leistungshindernisse
  • (1) Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
  • (2) Mutterschutzzeiten
  • (3) Elternzeiten
  • (4) Erwerbsunfähigkeits/ -minderungszeiten
  • cc) Verzug des Arbeitgebers und Ersatzurlaubsanspruch
  • c) Ausschlussfristen
  • 2. Erlöschen des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • a) Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB
  • b) Leistungsstörungen
  • aa) Dauerhafte Leistungshindernisse
  • (1) Tod des Arbeitnehmers
  • (2) Befristung des Abgeltungsanspruchs
  • bb) Vorübergehende Leistungshindernisse
  • (1) Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
  • (2) Mutterschutzzeiten
  • (3) Erwerbsunfähigkeits-/ minderungszeiten
  • cc) Verzug des Arbeitgebers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Ersatzabgeltungsanspruch
  • c) Ausschlussfristen
  • IV. Durchsetzbarkeit der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche
  • 2. Teil: Der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch im Recht der Europäischen Union
  • A. Die rechtliche Einordnung des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs durch die Rechtsprechung des EuGH
  • I. Rechtliche Grundlagen des unionsrechtlichen Urlaubsrechts
  • 1. Urlaubsrecht als Teil des Sozialrechts der Europäischen Union
  • 2. Urlaubsregelungen in der Arbeitszeitrichtlinie
  • 3. Der Urlaubs-“anspruch” in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • II. Rechtliche Grundannahmen des EuGH im Urlaubsrecht
  • 1. Urlaubsanspruch und Urlaubsentgelt als „ein Anspruch mit zwei Aspekten“
  • 2. Möglichkeiten der Befristung
  • 3. Urlaubsabgeltung als Ersatzanspruch
  • 4. Übertragbarkeit der Ansprüche
  • a) Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs und des Urlaubsentgeltanspruchs
  • b) Übertragbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • B. Der Regelungsinhalt des unionsrechtlichen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs aus Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie
  • I. Persönlicher Geltungsbereich
  • II. Sachliche Voraussetzungen für das Entstehen des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 1. Entstehen des Urlaubsanspruchs
  • 2. Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • III. Regelungsbefugnisse der Mitgliedsstaaten
  • 1. Verbot von Regelungen über die Voraussetzungen für das Entstehen des Urlaubsanspruchs
  • 2. Regelungen bezüglich der Erfüllung und Erfüllbarkeit des unionsrechtlichen Urlaubs-„anspruchs“
  • a) Regelungen zu Urlaubsgewährung und Krankheitszeiten
  • b) Urlaubsentgeltregelungen
  • c) Regelungen zum Abgeltungsanspruch
  • d) Mutterschaftsurlaub erfüllt nicht Erholungsurlaub
  • e) Regelungen bezüglich eines Übertragungszeitraums
  • aa) Festlegung von Übertragungszeiträumen
  • bb) Grenzen der Festlegung eines Übertragungszeitraums
  • cc) Beachtung des Grundsatzes der Äquivalenz und der Effektivität
  • 3. Teil: Der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch im deutschen Urlaubsrecht unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben
  • A. Die unzureichende Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie in das deutsche Urlaubsrecht und die Konsequenzen für die Anwendung des BUrlG durch die nationalen Gerichte
  • I. Das umzusetzende Richtlinienziel
  • II. Die unzureichende Umsetzung des Richtlinienziels im BUrlG
  • III. Konsequenzen der unzureichenden Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie für die Anwendung des BUrlG durch die nationalen Gerichte
  • IV. Die Berücksichtigung des Anspruchs auf Jahresurlaub gem. Art. 31 Abs. 2 der Charta als Grundsatz des Sozialrechts für die nationale Rechtsprechung
  • B. Das unionsrechtliche Urlaubsverständnis und die Auswirkung seiner Übertragung in das deutsche Urlaubsrecht
  • I. Der Urlaubsanspruch als Einheitsanspruch
  • II. Das Urlaubsentgelt als Teil des Urlaubsanspruchs
  • III. Die Folgen der Einordnung des Urlaubsanspruchs als Einheitsanspruch auf die Übertragbarkeit des Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 1. Die Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs
  • 2. Die Übertragbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • C. Die Abhängigkeit zwischen der Arbeitsleistungspflicht und der Urlaubsgewährungspflicht
  • I. Das synallagmatische Verhältnis zwischen der Arbeitsleistungspflicht und der Urlaubsgewährungspflicht und die Einordnung von Arbeitsunfähigkeitszeiten
  • II. Der Entgeltcharakter des Urlaubsanspruchs
  • D. Die rechtlichen Konsequenzen der Einordnung des Urlaubsanspruchs als Einheitsanspruch mit Entgeltcharakter in das arbeitsvertragliche Synallagma für das Entstehen, den Fortbestand und die Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs
  • I. Entstehen des Urlaubsanspruchs
  • 1. Arbeitsunfähigkeitszeiten
  • 2. Mutterschutzzeiten
  • 3. Elternzeiten
  • 4. Erwerbsminderungszeiten
  • 5. Unberechtigte Nichterbringung der Arbeitsleistung
  • 6. Nichterbringung der Arbeitsleistung für nicht erhebliche Zeiten gem. § 616 BGB
  • 7. Arbeitsausfallzeiten aufgrund Annahmeverzugs des Arbeitgebers
  • 8. Nichterbringung der Arbeitsleistung und Betriebsrisiko gem. § 615 S. 3 BGB
  • 9. Pflegezeiten gem. § 3 Abs. 1 Alt. 1 PflegeZG („Vollzeit“-Pflegezeit)
  • 10. Sabbatical und andere urlaubsschädliche Arbeitsausfallzeiten
  • 11. Zusammenfassung
  • II. Erlöschen des Urlaubsanspruchs
  • 1. Erfüllung des Urlaubsanspruchs gem. § 362 Abs. 1 BGB
  • 2. Dauerhafte Leistungshindernisse
  • a) Nichtgewährung des Urlaubs wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder aufgrund Vereinbarung
  • b) Nichtgewährung des Urlaubs wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Todes des Arbeitnehmers
  • c) Nichtgewährung des Urlaubs wegen der Befristung des Urlaubsanspruchs
  • aa) Die Position des BAG
  • bb) Verstoß der Auslegung des BAG gegen das Gewaltenteilungsprinzip
  • cc) Verstoß der Auslegung des BAG gegen Unionsrecht
  • dd) Unionsrechtskonforme Auslegung und mögliche Regelung der Befristung
  • 3. Vorübergehende Leistungshindernisse
  • a) Die Arbeitsunfähigkeit als vorübergehendes Leistungshindernis
  • b) Mutterschutzzeiten als vorübergehende Leistungshindernisse
  • c) Elternzeiten als vorübergehende Leistungshindernisse
  • d) Erwerbsminderungszeiten als vorübergehende Leistungshindernisse
  • 4. Verzug des Arbeitgebers und Ersatzurlaubsanspruch
  • 5. Ausschlussfristen
  • III. Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs
  • 1. Einwand des Rechtsmissbrauches
  • 2. Einrede der Verjährung
  • E. Die rechtlichen Konsequenzen der Einordnung des Urlaubsanspruchs als Einheitsanspruch mit Entgeltcharakter in das arbeitsvertragliche Synallagma für das Entstehen, den Fortbestand und die Durchsetzbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • I. Rechtsnatur des Urlaubsabgeltungsanspruchs – Aufgabe der Surrogatstheorie
  • II. Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • III. Erlöschen des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 1. Erfüllung des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 2. Dauerhafte Leistungshindernisse
  • a) Tod des Arbeitnehmers als dauerhaftes Leistungshindernis
  • b) Befristung als dauerhaftes Leistungshindernis
  • 3. Vorübergehende Leistungshindernisse
  • 4. Verzug des Arbeitgebers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Ersatzabgeltungsanspruch
  • 5. Ausschlussfristen und Urlaubsabgeltungsanspruch
  • IV. Durchsetzbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs
  • 4. Teil: Gesamtergebnis und Ausblick
  • A. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • I. Unionsrechtliche Vorgaben für den Urlaubsanspruch im deutschen Recht
  • 1. Das Fristenregime des BAG verstößt gegen das Gewaltenteilungsprinzip und das Unionsrecht
  • 2. Der Urlaubsanspruch als Einheitsanspruch
  • II. Die Neueinordnung des Urlaubsanspruchs in das Schuldrecht
  • 1. Urlaubsgewährungspflicht als synallagmatische Hauptpflicht
  • 2. Erlöschen des Urlaubsanspruchs
  • 3. Keine Befristung des Anspruchs
  • 4. Rechtliche Konsequenzen für den Urlaubsabgeltungsanspruch
  • III. Durchsetzbarkeit der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche
  • B. Ausblick: Konsequenzen für den Gesetzgeber und die Auslegung des BUrlG
  • I. Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie
  • II. Regelungen für eine „unionsfeste“ Befristung
  • III. Neue Regelungen im BUrlG
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Einleitung: Die Definition von Urlaub im Arbeitsrecht

Die Einordnung des Urlaubsanspruchs in das arbeitsvertragliche System ist, seitdem es Urlaubsansprüche gibt, ein rechtlich umstrittenes Problem.1

„Den Urlaub habe ich mir verdient“ ist eine übliche laienhafte Aussage, basierend auf der Annahme des Arbeitnehmers, seinen Urlaub mit der Arbeit als „Gegenleistung“ erdient zu haben.

Zu Zeiten des Reichsarbeitsgerichts wäre diese Aussage auch rechtlich richtig gewesen. Das Reichsarbeitsgericht und Teile der damaligen Literatur sahen den Urlaub als Teil des Entgelts, der eine Doppelnatur, bestehend aus Freistellung und Zahlung des Urlaubsentgelts, hatte.2 Auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis konnte der „verdiente“ Urlaub daher nicht verweigert werden.3 Diese Auffassung gehörte zu den sogenannten Entgelttheorien.4 Zeitlich etwas später entwickelte sich im Dritten Reich die durch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers geprägte Einheitstheorie, wonach wegen des im Vordergrund stehenden Erholungszwecks des Urlaubsanspruchs, die Elemente der Urlaubsvergütung und der Freistellung untrennbar miteinander verbunden waren.5 Dem lag der Gedanke zugrunde, dass man sich nur dann erholen kann, wenn man keine finanziellen Sorgen hat. Das Arbeitsverhältnis sei kein Austauschverhältnis, sondern ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, so dass der Urlaubsanspruch aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erwachse, jedoch nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der erbrachten Arbeit stehe.6

Das BAG vertrat nach dem zweiten Weltkrieg bis 1982 zum einen eine Form der Einheitstheorie, ohne sich jedoch ausdrücklich auf diese als Begründung für den Urlaubsanspruch zu beziehen.7 Zum anderen vertrat das BAG vor 1982 jedoch auch die Auffassung, dass man bei einem Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und ← 1 | 2 → Urlaub wegen Rechtsmissbräuchlichkeit den Urlaub kürzen müsse.8 Hierbei standen die Fälle der dauerhaften Erkrankung des Arbeitnehmers wegen der dadurch fehlenden Arbeitsleistung im Vordergrund. Hinzu kam die Auffassung des BAG, dass die gesetzliche Befristung der Urlaubsnahme aus § 7 Abs. 3 BUrlG nicht in Krankheitsfällen gelten solle. Der bis 1982 zuständige Fünfte Senat hatte bis dahin entschieden, dass Urlaub bei Krankheit unabhängig davon, ob verschuldet oder nicht, nicht verfalle.9 Dennoch wurde bei langer Arbeitsunfähigkeit wiederum problematisiert, dass nach einer längeren Karenzzeit als der von drei Monaten die Urlaubsnahme rechtsmissbräuchlich sein könne.10

Darin sahen die Gegner dieser Rechtsprechung einen Widerspruch, da man nicht einen Anspruch aufgrund von Fürsorgepflichten unter gleichzeitiger Ablehnung eines Austauschcharakters begründen könne, der dann nach seinem Entstehen aufgrund fehlender Arbeitsleistung wegen Rechtsmissbrauchs wieder entfallen sollte.11 Letztere Auffassung ist entgeltorientiert, weil ein Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung und dem Anspruch auf Urlaub angenommen wird.12 Damit bestand ein Widerspruch zu der Annahme, der Urlaubsanspruch erwachse aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Der Sechste Senat des BAG hat daher mit seiner Rechtsprechungsänderung seit 1982 den Versuch unternommen, eine schuldrechtliche Einordnung des Urlaubsanspruchs unter Ablehnung der Einheitstheorie und der Entgelttheorie vorzunehmen, insbesondere mit dem Ziel, Rechtsklarheit zu schaffen.13 Damit vertrat das BAG unter Ablehnung eines Erholungszwecks die Auffassung, dass die Urlaubsgewährungspflicht unabhängig von der Arbeitsleistung als nichtsynallagmatische Nebenpflicht entstehe und nicht auf Fürsorgepflichten des Arbeitgebers beruhe.14

Das Hauptbestreben der Rechtsprechung des BAG seit 1982 ist es, negative Folgen von Arbeitsunfähigkeitszeiten im Urlaubsrecht zu verhindern. Arbeitsunfähigkeitszeiten sollen den Urlaubsanspruch nicht vermindern. Sie sollen keinen negativen Einfluss auf die Entstehung und den Fortbestand des Anspruchs haben. Arbeitsunfähigkeitszeiten führen im arbeitsvertraglichen Synallagma jedoch grundsätzlich zu einem nachträglichen Teilunvermögen des Arbeitnehmers bezüglich seiner Arbeitsleistungspflicht und infolgedessen auch zum Untergang der Vergütungspflicht des Arbeitgebers als Gegenleistung. Um diese Rechtsfolgen für die ← 2 | 3 → Urlaubsgewährungspflicht zu vermeiden, hat das BAG für das Urlaubsrecht den Grundsatz aufgestellt, dass der Urlaubsanspruch nicht in Abhängigkeit von der Arbeitsleistungspflicht des Arbeitnehmers entsteht. Seine Erfüllung ist nur eine nichtsynallagmatische Nebenpflicht und besteht aus einer reinen Freistellungspflicht, die keinen Vermögens(-gegen-)wert hat. Die seit 1982 überwiegend vertretene Auffassung ist die Theorie vom Freistellungsanspruch, wonach Urlaub nur zu dem Anspruch des Arbeitnehmers führt, von der Arbeit freigestellt zu werden, ohne dass seine Arbeitsvergütung entfällt. Die Vergütung wird weiter gezahlt, obwohl nicht gearbeitet wird. Da die Urlaubsgewährungspflicht des Arbeitgebers nur eine Nebenpflicht ist, gilt für die Zeit der Freistellung der Grundsatz „ohne Arbeit kein Geld“ nicht. Urlaubsentgelt ist danach nur eine andere Bezeichnung für das Arbeitsentgelt, das in der Urlaubszeit gezahlt wird und keinen Ersatz desselben darstellt. Wegen dieser Grundannahmen entsteht der Urlaubsanspruch in jedem Fall der Nichterbringung der Arbeitsleistung, selbst wenn das Arbeitsverhältnis ruht. Dem jährlichen Anwachsen von Urlaubsansprüchen bei langen Ruhenszeiten und langen Arbeitsunfähigkeitszeiten wurde und wird mit der angeblichen Befristung des Urlaubsanspruchs begegnet. Seit dem Urteil des Sechsten Senats des BAG vom 13.05.198215 wurde durchgehend die Auffassung vertreten, dass die angeblich dem BUrlG immanente Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Urlaubsjahr bzw. auf den dreimonatigen Übertragungszeitraum des Folgejahres ohne Ausnahme auch bei Erkrankungen des Arbeitnehmers anzuwenden sei. Der Urlaub sei ein befristeter Anspruch. Um nicht einen beschäftigten Arbeitnehmer, der über den 31.03. hinaus arbeitsunfähig war und daher seinen Urlaub verlor, gegenüber einem bis dahin ausgeschiedenen Arbeitnehmer, der weiterhin krank war, zu benachteiligen, wurde die Surrogatstheorie für den Abgeltungsanspruch entwickelt. Diese Surrogatstheorie besagte, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei kein reiner Abfindungsanspruch, sondern ein an die Stelle des Urlaubsanspruchs tretendes Surrogat, welches in seiner Erfüllbarkeit von den gleichen Voraussetzungen abhängig sei wie der zu ersetzende Urlaubsanspruch.16 Sollte der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im laufenden Urlaubsjahr oder in dem sich daran anschließenden Übertragungszeitraum genesen, könne er die Abgeltung verlangen.17 Sei er weiterhin arbeitsunfähig, könne er theoretisch keinen Urlaub nehmen und erhalte deshalb auch keine Abgeltung hierfür.18 Am 23.06.198319 entschied das BAG daher, dass der ← 3 | 4 → Abgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs befristet sei und verfalle, wenn der Arbeitgeber bis zum Fristablauf wegen Erkrankung des Arbeitnehmers den Abgeltungsanspruch nicht erfüllen kann.

Diese Rechtsprechung wurde bis in das Jahr 2008 beibehalten.20 Infolgedessen gelangte das BAG wegen Ablehnung der Einheitstheorie und Herauslösung aus dem Synallagma zu einer komplizierten Einordnung des Urlaubsrechts in das System des Schuldrechts. Spätestens seit der Änderung der Rechtsprechung im Jahr 1982 ist es rechtlich falsch zu behaupten, „man habe sich den Urlaub verdient“, denn die Urlaubsgewährung ist nach Auffassung des BAG keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit.

Nunmehr eröffnet sich Anfang des Jahres 2009 durch die Rechtsprechung des EuGH die Möglichkeit, den Urlaubsanspruch neu einzuordnen und das Urlaubsrecht dogmatisch anders in das Schuldrecht zu integrieren: Das BAG musste seit dem 24.03.2009 aufgrund der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH21 seine Rechtsprechung bezüglich des Verfalls des Urlaubsanspruchs und des Urlaubsabgeltungsanspruches bei lang andauernder Krankheit ändern.22 Bis dahin schien die Auslegung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG aufgrund der Rechtsprechung des BAG über 25 Jahre hinweg eindeutig und unantastbar zu sein. Der seit 1982 geänderten Rechtsprechung des BAG hatten sich die Gerichte und die Literatur im Wesentlichen angeschlossen.23 Nur die 12. Kammer des LAG Düsseldorf hat seit 1989 zu der Frage der Gewährung von Urlaub bei lang andauernder Erkrankung eine andere Auffassung vertreten und beharrlich im Sinne der alten Rechtsprechung des BAG vor 1982 entschieden.24 Die 12. Kammer des LAG Düsseldorf vertritt die Rechtsauffassung, dass der Urlaubsanspruch und damit auch der Urlaubsabgeltungsanspruch weder befristet seien noch verfallen noch deren Erfüllung zum Ende des Jahres oder des Übertragungszeitraumes unmöglich werde, wenn der Arbeitnehmer erkrankt. Nach Auffassung der 12. Kammer des LAG Düsseldorf entstehen Urlaubsabgeltungsansprüche als Wertersatz mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und sind nicht von ← 4 | 5 → einem hypothetischen Verlauf nach Beendigung abhängig. Die Surrogatstheorie des BAG wird abgelehnt.25 Diese Entscheidungen wurden regelmäßig vom Urlaubssenat des BAG mit wiederholter Kritik aufgehoben, wenn es zu einer Revision kam.26

Details

Seiten
XVIII, 201
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653062533
ISBN (ePUB)
9783653956023
ISBN (MOBI)
9783653956016
ISBN (Hardcover)
9783631668818
DOI
10.3726/978-3-653-06253-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Urlaubsrecht Arbeitsleistung neues Schuldrecht Arbeitsunfähigkeit
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XVIII, 201 S.

Biographische Angaben

Natascha Ziemek (Autor:in)

Natascha Ziemek studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hannover. Die promovierte Juristin und Mediatorin DAA ist als Fachanwältin auf dem Gebiet des Arbeitsrechts tätig.

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