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700 Jahre Pfarrarchiv Perleberg

Findbuch zum Bestand im Domstiftsarchiv Brandenburg mit einer Edition der nachreformatorischen Stiftungsurkunden

von Uwe Czubatynski (Band-Herausgeber:in)
©2016 Andere 372 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Findbuch erschließt mit dem Pfarrarchiv Perleberg einen wertvollen Bestand zur brandenburgischen Landesgeschichte. Die über einen Zeitraum von 700 Jahren erwachsenen Archivalien ermöglichen vielfältige Einblicke in die Stadt- und Kirchengeschichte. Mit insgesamt 140 Urkunden verfügt dieses Pfarrarchiv über eine ungewöhnlich große Anzahl dieser Quellengattung. Ergänzend zu dem systematisch geordneten Findbuch werden daraus 18 Stiftungsurkunden im Volltext veröffentlicht. Sie umfassen den Zeitraum von 1561 bis 1884 und belegen exemplarisch die lutherisch geprägte Frömmigkeit in einer märkischen Kleinstadt. Eine ausführliche Einleitung widmet sich der Geschichte des Archivs. Das gesamte Material wird durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen und durch 20 Abbildungen bereichert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zum Geleit
  • Einführung
  • Archivalienverzeichnis
  • I. Perleberg
  • 0. Akten mit Betreffen mehrerer Hauptgruppen
  • 1. Kirchengemeinde und Pfarrsprengel
  • 1.0 Bestand und Verfassung
  • 1.1 Geschichte, Statistik
  • 1.2 Archiv, Registratur, Bibliothek
  • 1.3 Organe der Kirchengemeinde
  • 1.4 Kirchenkreis
  • 1.6 Sprengel, Landeskirche
  • 1.8 Andere Religionsgemeinschaften
  • 2. Kirchliche Ämter
  • 2.0 Pfarramt und Pfarrer
  • 2.3 Kirchliche Beamte und Angestellte
  • 2.4 Pfarrbesoldung und Entschädigungen
  • 3. Verkündigungsdienst und Gemeindearbeit
  • 3.0 Gottesdienste
  • 3.1 Amtshandlungen
  • 3.2 Aufzeichnung der Amtshandlungen
  • 3.3 Konfirmandenunterricht
  • 3.4 Seelsorge
  • 3.5 Gemeindearbeit
  • 3.6 Fürsorge
  • 3.7 Innere Mission
  • 3.8 Kirchliche Werke
  • 4. Vermögensverwaltung
  • 4.0 Matrikeln und Lagerbücher
  • 4.1 Grundvermögen und Liegenschaften
  • 4.2 Geldvermögen
  • 4.3 Einkünfte und deren Ablösungen
  • 4.4 Gebühren
  • 4.5 Kirchensteuern
  • 4.6 Schenkungen, Stiftungen, Legate
  • 4.7 Lasten und Steuern
  • 4.9 Kassen- und Rechnungswesen
  • 5. Gebäude und Friedhof
  • 5.0 Allgemeines
  • 5.1 Kirche und Kircheninventar
  • 5.3 Pfarrgebäude und -grundstücke
  • 5.6 Weitere kirchliche Gebäude
  • 5.9 Friedhof
  • 6. Küsterei und Schule
  • 6.1 Allgemeines
  • 6.2 Küster und Lehrer
  • 6.3 Schüler
  • 6.4 Schulvermögen
  • 6.5 Küster- und Schulgebäude
  • II. Burghagen
  • 1. Kirchengemeinde
  • 3. Amtshandlungen und Gemeindearbeit
  • 4. Vermögensverwaltung
  • 5. Gebäude und Friedhof
  • 6. Küsterei und Schule
  • III. Düpow
  • 1. Kirchengemeinde
  • 3. Amtshandlungen und Gemeindearbeit
  • 4. Vermögensverwaltung
  • 5. Gebäude und Friedhof
  • 6. Küsterei und Schule
  • IV. Spiegelhagen
  • 1. Kirchengemeinde
  • 3. Amtshandlungen und Gemeindearbeit
  • 4. Vermögensverwaltung
  • 5. Gebäude und Friedhof
  • 6. Küsterei und Schule
  • Chronologisches Verzeichnis der Urkunden
  • Konkordanz zu den Urkunden
  • Die verlorenen Urkunden des Kalands
  • Edition der nachreformatorischen Stiftungsurkunden
  • E 1. Stiftung des Lüdke von Quitzow, 1561
  • E 2. Testament des Joachim Möllendorff, 1561
  • E 3. Stiftung des Bürgermeisters Georg Hentzke, 1571
  • E 4. Stiftung des Bürgers Betke Pott, 1572
  • E 5. Testament der Witwe Lucia Konow geb. Bulss, 1581
  • E 6. Stiftung des Domdechanten Matthäus Ludecus, 1598
  • E 7. Testament des Sükower Pfarrers Joachim Giese, 1638
  • E 8. Satzung für die Schmiedesche Stiftung, um 1657
  • E 9. Erste Stiftung des Bürgermeisters Matthias Hasse, 1665
  • E 10. Zweite Stiftung des Bürgermeisters Matthias Hasse, 1688
  • E 11. Stiftung des Bürgermeisters Georg Krusemark, 1699
  • E 12. Stiftung der Witwe Margarethe Rost, 1710
  • E 13. Testament des Notars Samuel Straube, 1736
  • E 14. Testament des Superintendenten Johann Christian Meißner, 1782
  • E 15. Testament des Eisenhändlers Johann Friedrich Schultze, 1824
  • E 16. Stiftung des Kaufmanns Carl Wilhelm Mertens für das Hospital St. Spiritus, 1833
  • E 17. Testament des Stadtgerichtsdirektors George Gottfried Guticke, 1842
  • E 18. Testament des Rentiers Gustav Adolf Wilhelm Bormann, 1884
  • Abbildungen
  • Personenregister
  • Ortsregister

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Zum Geleit

Das Domstiftsarchiv Brandenburg ist das älteste brandenburgische Archiv: Die von ihm verwahrte Überlieferung reicht mit ihrem ältesten Zeugnis, der Originalurkunde König Ottos I. (des Großen) über die Gründung des Bistums Brandenburg, bis in das Jahr 948 zurück und setzt damit lange vor den Anfängen des Archivs der Markgrafen von Brandenburg im 13. Jahrhundert ein – was insofern nicht verwundert, als das Bistum Brandenburg trotz seines tatsächlichen Unterganges im großen Slawenaufstand von 983 den ideellen Anspruch auf seine Fortexistenz immer aufrechterhielt und daher nur in seine alten Rechte eintrat, als ihm der Aufbau eines deutschen Landesfürstentums östlich der mittleren Elbe, der askanischen Markgrafschaft Brandenburg unter Albrecht dem Bären und seinen Nachfolgern seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, die Umsetzung seiner überkommenen Privilegien ermöglichte. Seiner größten Gefährdung entging das Domstiftsarchiv in den Stürmen der kirchlichen Erneuerung des 16. Jahrhunderts, als die Mark Brandenburg zur lutherischen Reformation überging, die kirchliche Organisation vollständig umgestaltet wurde und gemäß der lutherischen Lehre die meisten Klöster und Bistümer aufgelöst wurden. So wurden auch das Bistum Brandenburg und sein Bischofsamt in einer längeren Übergangsphase beseitigt, und vom Archiv der Bischöfe, die seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auf der Burg Ziesar residiert hatten, sind nur ganz wenige Bruchstücke zufällig übrig geblieben, wie auch fast alle klösterlichen Archive das Ende ihrer klösterlichen Gemeinschaften nicht überdauerten und allenfalls in kleineren oder größeren Trümmern in den Registraturen ihrer weltlichen Rechtsnachfolger überlebt haben. Das katholische Domkapitel zu Brandenburg, das seit seiner Wiedererrichtung in der Mitte des 12. Jahrhunderts immer in seinen Räumlichkeiten auf der Brandenburger Burg- bzw. Dominsel im unmittelbaren Umfeld des Domes verblieben war, vermochte hingegen durch seine Umwandlung in ein evangelisches Domstift sein selbständiges Dasein zu behaupten, und das Domstift überstand auch mit mancherlei inneren und äußeren Umformungen die zahlreichen, tiefgreifenden Umbrüche der preußisch-deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. So bewahrte es die aus seiner eigenen Tätigkeit und Wirksamkeit entsprungenen schriftlichen Dokumente ohne ← 11 | 12 → äußere Beeinträchtigungen und Verluste in seinem eigenen Archiv, hat dieses bis auf den heutigen Tag unterhalten und seine Arbeit gewährleistet. Das Domstiftsarchiv Brandenburg umfaßt daher in ungebrochener Kontinuität Archivgut aus der mehr als 1050jährigen Geschichte seines Trägers, ein in der gesamten brandenburgischen Landes- und Archivgeschichte einmaliges Phänomen. Das historische Gewicht des Bistums, des Domkapitels und des Domstiftes Brandenburg haben es konsequenterweise mit sich gebracht, daß die Bestände des Domstiftsarchivs zeitlich und sachlich denen aller anderen kirchlichen Archive in Brandenburg deutlich überlegen und sie zugleich wegen der bis ins 20. Jahrhundert reichenden engen Verbindung von Staat und Kirche für die allgemeine Landesgeschichtsforschung unverzichtbar sind. In den letzten Jahrzehnten hat das Domstiftsarchiv seinen Rang nochmals dadurch gesteigert, daß es in großer Anzahl lokale Pfarrarchive der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg vornehmlich aus den westlichen Regionen Brandenburgs übernommen, gesichert und erschlossen hat, Pfarrarchive, die oft genug auf Grund der Laufzeit, des Umfanges und des Inhaltes ihrer Urkunden und Akten den parallelen Kommunalarchiven vorangehen und für die Erforschung der Orts- und Regionalgeschichte vorrangig benutzt und ausgewertet werden sollten (was leider viele Historiker noch nicht in hinreichendem Maße bemerkt haben).

Zwischen dem Domstiftsarchiv Brandenburg und dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert entgegen dem üblichen bloßen Nebeneinander der verschiedenen Archivsparten ein sehr enges Zusammenwirken entwickelt, vor allem auf Grund der gemeinsamen Überzeugung, daß die archivwissenschaftliche Erschließung und Analyse der Bestände und die Veröffentlichung der erarbeiteten Findhilfsmittel unabdingbare archivische Voraussetzungen für die brandenburgische Landesgeschichtsforschung schaffen, daß sie für eine quellengestützte Untersuchung und Darstellung der brandenburgischen Landesgeschichte zwingend erforderlich sind. Die Kooperation ist mittlerweile institutionell in der Weise verfestigt worden, daß der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs mit anderen archivarischen und bibliothekarischen Fachkollegen und -kolleginnen in den Wissenschaftlichen Beirat des Domstiftsarchivs und der Domstiftsbibliothek Brandenburg berufen worden ist, der das Domstift und seine Leitungsorgane in den fachlichen Aufgaben und Herausforderungen seiner beiden genannten Einrichtungen berät und ← 12 | 13 → dazu Empfehlungen ausspricht. Gemeinsame Veranstaltungen des Domstiftsarchivs und des Landeshauptarchivs dienten der Unterrichtung und Fortbildung von Orts- und Regionalhistorikern über die für deren Arbeiten zu berücksichtigenden Archivalien. Kleinere Bestandsüberschneidungen im Bereich gutsherrschaftlicher Überlieferungen wurden durch klare Bestandsabgrenzungen beseitigt.

Insbesondere aber haben sich beide Seiten mit vereinten Kräften nachdrücklich um die Veröffentlichung der gewichtigen im Domstiftsarchiv erzielten Forschungsleistungen bemüht. Das Domstiftsarchiv Brandenburg verdankt die modernen archiv- und editionswissenschaftlichen Anforderungen vollständig genügende Bildung und Erschließung seiner Bestände sowie die Herausgabe besonders wertvoller Bestandsgruppen den jahrzehntelangen, in den 1970er Jahren einsetzenden Anstrengungen seines wissenschaftlichen Archivars Wolfgang Schößler, und das Brandenburgische Landeshauptarchiv hat ihm gern in seinen Schriftenreihen die Gelegenheit zur Publikation seiner Arbeitsergebnisse gegeben. Seine am Provenienzprinzip ausgerichtete Neuordnung der Bestände hat er 2005 in dem in dieser Reihe „Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs“ (Bd. 15) herausgebrachten Werk „Das Domstift Brandenburg und seine Archivbestände“ beschrieben, einer Beständeübersicht, die die vorhandene Überlieferung nach ihren Entstehungsstätten, dem Domkapitel bzw. dem Domstift Brandenburg sowie der Ritterakademie Brandenburg, gliedert und sie in einer wohlüberlegten, tiefgestaffelten systematischen Ordnung unter Einbeziehung der Urkunden in die Sachgruppen darbietet und den Stoff durch konzentrierte institutionen- und archivgeschichtliche Einleitungen erläutert. Sehr viel Zeit und Kraft hat Schößler den mittelalterlichen, vorreformatorischen Quellen gewidmet. Die vollständige Neuverzeichnung der Urkunden und der sonstigen Geschäftsaufzeichnungen von der Gründung des Bistums 948 bis zu seiner in den frühen 1540er Jahren einsetzenden evangelischen Neuorganisation führten zu dem voluminösen, fast 1.700 Seiten umfassenden Werk „Die Regesten der Urkunden und Aufzeichnungen im Domstiftsarchiv Brandenburg“, das in zwei Teilen (Teil 1: 948 bis 1487, Teil 2: 1488 bis 1519/45) 1998 und 2009 erschien (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 36 und 54, Weimar 1998 bzw. Berlin 2009). Man kann mit Fug und Recht keiner Übertreibung geziehen werden, wenn man urteilt, daß Schößlers Urkundenregesten zu den herausragendsten Quelleneditionen der ← 13 | 14 → brandenburgischen Landesgeschichtsforschung seit dem Zweiten Weltkrieg gehören, daß seine Urkundenbearbeitung die höchsten Standards der Mediävistik erfüllt und daß im nationalen deutschen Rahmen eine editorische Spitzenleistung erreicht worden ist. Die Qualität der Vollregesten einschließlich ihrer Sachkommentare ebenso wie die der Register beeindruckt jeden Benutzer, der sie einmal intensiver für seine Themen herangezogen und ausgewertet hat. Man braucht nur die Edition der Urkunden des Domstiftsarchivs, wie sie Adolf Friedrich Riedel in den 1840er Jahren in seinem Codex diplomaticus Brandenburgensis vorgelegt hat, mit der Edition Schößlers zu vergleichen, um zu ermessen, welchen gewaltigen Erkenntnisfortschritt seine Grundlagenforschung heraufgeführt hat. Ein solches Musterbeispiel archiv- und hilfswissenschaftlicher Aufbereitung eines Quellenstoffes sollte eigentlich jeden Skeptiker davon überzeugen, daß die in den letzten Jahrzehnten allzu sehr zugunsten modischer Wellen vernachlässigten „historischen Grundwissenschaften“ beständiger Pflege bedürfen, wenn man nicht die Bindung der Geschichtswissenschaft an ihre Quellen in Frage stellen oder gar aufgeben will.

Auf die eben angesprochenen Veröffentlichungen aus dem „Kernbereich“ des Domstiftsarchivs folgt jetzt mit dem hier von Schößlers Nachfolger Uwe Czubatynski fertiggestellten Manuskript ein Werk aus dem Bereich der im Domstiftsarchiv deponierten Pfarrarchive. Es verdankt seine Entstehung einerseits dem langjährigen, nachhaltigen Interesse des Autors an der Geschichte der Prignitz, der nordwestlichen brandenburgischen Landschaft, die, befördert von ihrer Residenz- bzw. Berlin-Ferne, ihre regionale Eigenständigkeit durch das Wirken ihrer geistlichen, adeligen und bürgerlichen Stände, darunter Rat und Bürgerschaft ihrer „Hauptstadt“ Perleberg, d. h. ihrer bedeutendsten und vorrangigsten Stadt, nach ihrer in der deutschen Ostsiedlung des 13. Jahrhunderts erfolgten Bildung jahrhundertelang bewahrt hat. Czubatynski, der in dieser Region 13 Jahre lang als Pfarrer tätig gewesen ist, hat der Prignitzer Regionalgeschichtsschreibung durch verschiedene Initiativen, vornehmlich durch die Leitung des Vereins für Geschichte der Prignitz und durch die damit verbundene, von ihm selbst geleistete Herausgabe einer jährlich erscheinenden Zeitschrift, der „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz“, starken Auftrieb gegeben und durch die Zusammenführung der interessierten Kräfte ihren Bestrebungen feste Formen und größere Wirkung verliehen. Darüber hinaus hat er selbst durch zahlreiche eigene Untersuchungen die Forschung belebt und ← 14 | 15 → weitergeführt; erwähnt sei hier nur sein Buch „700 Jahre Quitzöbel. Beiträge zur Ortsgeschichte auf der Grundlage des Pfarrarchivs“ (Nordhausen 2010), das überzeugend belegt, wie die Unterlagen eines Pfarrarchivs zur sicheren Grundlage einer umfassenden Ortsgeschichte gemacht werden.

Der Blick des Domstiftsarchivars Czubatynski ist im Rundgang durch sein Magazin im Bereich der Deposita nicht zufällig auf das 1998 übernommene Pfarrarchiv Perleberg gefallen, nimmt es doch unter den im Domstiftsarchiv befindlichen Pfarrarchiven quantitativ wie qualitativ eine außergewöhnliche Stellung ein. Der Perleberger Aktenbestand überragt die meisten vergleichbaren Bestände anderer Pfarreien schon durch seinen Umfang, und die Erkenntnismöglichkeiten, die er der Erforschung der kirchlichen wie der weltlichen Geschichte der Prignitzer Hauptstadt bietet, werden dadurch erheblich gesteigert, daß die Akten durch die intensive, von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Erschließung in ihren vielschichtigen Inhalten überhaupt erst detailliert erschlossen worden sind, gerade Sammelakten ohne eindeutigen Sachbezug durch Enthält-Vermerke mit ihrer Erfassung der unterschiedlichen Gegenstände gezielt ausgewertet werden können. Seinen ausgezeichneten Wert erhält aber das Perleberger Pfarrarchiv durch seinen mit 140 Nummern außergewöhnlich umfangreichen und inhaltsreichen Urkundenbestand, der bereits mit dem Jahr 1315 einsetzt – der äußere Anlaß für die Herausgabe dieser Publikation im 700. Jubiläumsjahr. Er ist schon von Adolf Friedrich Riedel auswahlweise vornehmlich für einen der ersten Bände seines Codex diplomaticus Brandenburgensis 1843 verwertet worden, aber eine umfassende kritische Edition hat er erst in Schößlers erwähnten Urkundenregesten erfahren, entsprechend deren Konzeption für den Zeitraum bis 1545. Czubatynski führt Schößlers Ausgabe weiter, indem er die gesamte Überlieferung in Form von Kurzregesten dem Leser vorstellt, denn sie endet eben nicht, wie man gemeinhin auf Grund der Schlagworte vom Mittelalter als Urkunden- und der Neuzeit als Aktenzeitalter zu meinen glaubt, mit dem frühen 16. Jahrhundert, sondern reicht bis ins späte 18. Jahrhundert. Die Regesten verdeutlichen dem Leser sehr rasch, wie verfehlt es wäre, die frühneuzeitlichen Urkunden unbeachtet zu lassen, und es wäre der Diplomatik, der Lehre von der Urkundenforschung, zu wünschen, daß sie ihre bisherige Konzentration auf das Mittelalter überwände und auch die nachfolgenden Jahrhunderte in ihre Betrachtung einbezöge. ← 15 | 16 →

Die historische Aussagekraft des Urkundenbestandes verdeutlicht Czubatynski mit der Edition der im Pfarrarchiv im Original und abschriftlich überlieferten Stiftungsurkunden. Das (spät)mittelalterliche Stiftungswesen hat sich als Zeugnis besonders bürgerlicher, städtischer Frömmigkeit seit jeher beachtlicher Aufmerksamkeit erfreut und immer wieder zu Quellenveröffentlichungen wie zu Monographien und Aufsätzen Anlaß gegeben. Czubatynski belegt eindrucksvoll mit seiner – allein ein Drittel seines Werkes ausmachenden – Ausgabe von 18 Perleberger Stiftungsurkunden aus dem Zeitraum von 1561 bis 1884 (mit dem zeitlichen Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 16. und dem 17. Jahrhundert), wie ergiebig diese für die Erfassung und das Verständnis frühneuzeitlicher evangelischer, lutherischer Frömmigkeit ebenso wie frühneuzeitlichen bürgerlichen Gemeinschaftssinns sind. Wenn man sich in die Texte vertieft, tritt einem unmittelbar der Geist entgegen, in dem die Perleberger Bürger ihr Leben vom 16. bis 18. Jahrhundert eingerichtet haben, begegnen einem unmittelbar die geistlichen Überzeugungen wie die weltlichen Gesinnungen, mit denen sie ihr Dasein gestaltet haben. Die Stifter bezeugen mit ihren Darlegungen, wie nachhaltig sie die Kernstücke der lutherischen Theologie in sich aufgenommen und sie verinnerlicht haben, und stellen damit in aller wünschenswerten Klarheit unter Beweis, wie sehr sie die kirchliche Erneuerung des 16. Jahrhunderts, die reformatorische Umwandlung von Kirche, kirchlichem Leben und geistlicher Frömmigkeit ergriffen und in ihrem Inneren bewegt haben. Wenigstens ein paar Kostproben aus den nachfolgend edierten Quellen mögen diese Einschätzung belegen und veranschaulichen, um dadurch zugleich zu einer umfassenden Auswertung dieser Quellengruppe anzuregen.

Die Stifter sind davon durchdrungen, daß durch Luthers Auftreten und Lehre das Evangelium Christi nach den Jahrhunderten seiner vom Papsttum verursachten Verdunkelung wieder in aller Reinheit und Klarheit unter den Menschen verbreitet worden ist: daß das göttliche Wort „Gott lob durch den Herrn Martin Luther sehliger gedächtnüs rein an tagk bracht“ (Joachim Möllendorf 1561), „vonn der Zeitt an, als das newleuchtend Evangelium von den grossen gnaden Gottes wiederumb helle auffgangenn“ (Matthäus Ludecus 1598). Die Stifter sind davon überzeugt, daß sie von ihren Sünden und vom Tod allein durch das Blut Christi und durch seine Kreuzigung, nicht aber durch eigene Werke und eigenes Verdienst erlöst worden sind, daß sie der ihnen von Gott gewährten Gnade vertrauen dürfen und sich nicht auf ← 16 | 17 → ihre eigene Kraft zu verlassen brauchen; das Kernstück von Luthers Lehre, sein „sola fide“, der unerschütterliche Glauben an die göttliche Gnade unter Abwehr der mittelalterlichen Werkgerechtigkeit, kehrt ständig in ihren Äußerungen wieder: „… als befehl ich … nach tödlichem abgange meine Seele in die Hände unsers einigen Heylandes und Erlösers Jesu Christi, der sie ohn alle mein Dienst und Zuthun durch sein Sterben, leiden und blut Vergießen, vom ewigen tode Teüffel und Hellen aus lauter Gnaden und Barmhertzigkeit erlöst und entfreyt hatt. … nicht daß ich hiedurch [= durch seinen letzten Willen] und des gleichen übergaben und Donation, mir die Seeligkeit wolte erkauffen, sondern daß ich ümb daß Verdienst und gnugthuung des Sohns Gottes JESU CHRISTI meines Heylandes und Erlösters Willen, bin Seelig Worden“ (Georg Hentzke 1571). Die Stifter sehen ihrem Tod entgegen in der unbezweifelten Gewißheit ihrer Auferstehung und der Auferstehung aller Gläubigen: Lucia Kunow wünscht auf dem Gottesacker bei ihren seligen Kindern begraben zu werden, „doselbst der herlichen Zukunfft unsers Hern Jesu Christi und frolichen Auferstehung aller Christgleubigen zugewartenn“ (1581). Die Stifter danken Gott für das ihnen gewährte Leben, für die Erfolge, die sie in ihm auf Grund seiner Güte, Wohltat und Barmherzigkeit mit glücklicher Ehe und zahlreichen Kindern, mit Errettung aus Krankheiten, mit Schaffung oder Vermehrung ihrer Vermögenswerte erreicht haben. Sie bedenken, „das der grundgutige Gott aus gnaden Unser guter bey Unseren sauren schweis, arbeit Und sorgfalt mildiglich gesegnet“ hat (Joachim Giese 1638); sie wissen: „Solche Vielfeltig über mich ausgeschüttete Göttliche Gühte nun … erheischet von mihr ein abermahliges öffentliches Danckzeichen zur erhaltung der Göttlichen Ehre in dieser Sterbligkeit von den mihr mitgeteileten Segen zue stifften“ (Matthias Hasse 1688).

So wollen die Stifter gegen Ende ihres irdischen Daseins aus Dank für die ihnen reichlich verliehenen zeitlichen Güter durch ihre testamentarische Stiftung ihre vorhandenen Mittel zur künftigen Förderung des Dienstes am Wort Gottes und zur künftigen Unterstützung der christlichen Existenz ihrer Perleberger Bürgerschaft einsetzen, da „nichts beßers in diesem Zeitlichen Leben geschaffet und gestifftet könne werden, alß befürderung des Heiligen reinen Gottlichen worts Zu der Menschen Heil und sehligkeit. Und Ich alß ein Christen mich datzu auch schüldig erkenne.“ (Joachim Möllendorff 1561). Die Stiftungen dienen konkret der Unterhaltung der Kirche, der Versorgung ihrer Diener, der Prediger des göttlichen Wortes, und der ← 17 | 18 → Vermehrung des Gottesdienstes. Sie dienen ferner der Ausbildung und Unterrichtung der Jugend, besonders armer und unvermögender Jugendlicher, in den Schulen und auf den Universitäten, wollen durch das Studium der Theologie oder anderer Fächer zur Heranziehung gelehrten Personals für die geistlichen und weltlichen Aufgaben des Gemeinwesens beitragen, denn aus der Perleberger Schule sind „offtmals feine gelarte geschicktte leutte zum Geistlichenn und Wellttlichen Regiment genommen und nutzlich gebraucht wordenn“ (Matthäus Ludecus 1598). Sie dienen schließlich der Fürsorge für die Armen und Bedürftigen durch Gewährung von Brot und Kleidung für das alltägliche Dasein. „Gebe der Dreyeinige Gott, daß dieses Stipendium unverrückt in flore Verbleiben, der Studirenden jugend Zum besten, und den Armen Zum heilsamen Nutzen angewendet werden möge“ (Schmiedesche Stiftung um 1657). Die unverbrüchliche Hoffnung und unerschütterliche Zuversicht des gläubigen Perleberger Bürgers auf die Gnade Gottes für die eigene Heimatstadt und ihr Gedeihen ist vielleicht nie eindringlicher ausgedrückt worden als von ihrem Bürgermeister Matthias Hasse, als er nach den Verwüstungen und Verheerungen des 30jährigen Krieges, von denen die Prignitz stark betroffen war, sich am Ende seiner Stiftungsurkunde wünschte, „das der Gnedige Gott über … diese durch kriegk Undt Brandt Ruinierte Stadt mitt gnediger Hanndt halten Und walten, alles Unglück ferner Von Sie abwenden, Undt das Heilige sehligkmachende reine wortt Gottes darinnen bis Zum lieben Jungsten tage blühen Undt frucht bringen lassen wolle, Undt solches alles umb seines Heiligen nahmens ehre willen Amen.“ (1665).

Die von Wolfgang Schößler und Uwe Czubatynski erarbeiteten Veröffentlichungen haben mit aller gebotenen Präzision dargelegt, welche archivalischen Schätze das Domstiftsarchiv Brandenburg in seinen Magazinen verwahrt und welche Erkenntnisse aus ihnen für die Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte gewonnen werden können. Archivalische Kostbarkeiten müssen von ihren kundigen Hütern erst gehoben und ihr Rang dem Publikum bewußt gemacht werden, wenn sie die verdiente Anziehungskraft ausüben sollen. Dieser zentralen Herausforderung haben sich die Brandenburger Domstiftsarchivare im vergangenen halben Jahrhundert kraftvoll gestellt und durch Ordnung und Erschließung ihrer Bestände wie durch die Edition ausgewählter Quellen eine archivische und historische Leistung erreicht, die, schaut man sich im Kreise vergleichbarer Archive um, ihresgleichen sucht und die die volle Anerkennung der Außenstehenden verdient. Denn es ist dabei ← 18 | 19 → zu berücksichtigen, daß die gesamte Aufgabenfülle im Domstiftsarchiv seit Jahrzehnten jeweils von zwei Personen, allenfalls zuweilen von zusätzlichen Projektkräften unterstützt, bewältigt wird. Den Verantwortlichen des Brandenburger Domstiftes möge daher bewußt bleiben, daß ihr Archiv zu ihren „Perlen“ gehört, deren Pflege und Behauptung ihnen obliegt, wenn sie das ihnen anvertraute geistliche und kulturelle Erbe für die künftigen Generationen bewahren und fruchtbar machen wollen.

Potsdam, im Juli 2015

Details

Seiten
372
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653063608
ISBN (ePUB)
9783653959161
ISBN (MOBI)
9783653959154
ISBN (Hardcover)
9783631667538
DOI
10.3726/978-3-653-06360-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Archivwesen Kirchengeschichte Urkunden Stiftungen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 372 S., 11 farb. Abb., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Uwe Czubatynski (Band-Herausgeber:in)

Uwe Czubatynski studierte Theologie und Bibliothekswissenschaft in Berlin und Erfurt. Er promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Archivar des Domstifts Brandenburg sowie Vorsitzender des Vereins für Geschichte der Prignitz.

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Titel: 700 Jahre Pfarrarchiv Perleberg
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