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Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. § 15 Abs. 3 WpHG

Legalausnahme oder bewusste Befreiungsentscheidung des Emittenten?

von Katja Bodenhöfer-Alte (Autor:in)
©2016 Dissertation 229 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch setzt sich mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht auseinander, der im Zuge der weltweiten Vernetzung der Kapitalmärkte eine immer größere Bedeutung zukommt, da die Investoren auf die Informationen des Unternehmens angewiesen sind. Zudem hat der EuGH die Publizitätspflicht durch seine Rechtsprechung weiter ausgedehnt. Deshalb wird die Möglichkeit des Unternehmens immer wichtiger, von dem Befreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG Gebrauch machen zu können. Die Autorin untersucht nicht nur die Voraussetzungen, unter denen die Unternehmen von der Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht Gebrauch machen können. Sie stellt auch die Umsetzung der europäischen Richtlinien in das jeweilige nationale Recht im Rahmen eines Rechtsvergleichs den wichtigsten europäischen Rechtsordnungen gegenüber. Danach ist die Selbstbefreiung als Legalausnahme zu qualifizieren und der Emittent muss gerade keine bewusste Entscheidung treffen, ob er von der Befreiungsmöglichkeit Gebrauch machen möchte.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einführung
  • I. Einleitung
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Sinn und Zweck der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 WpHG
  • I. Schutz der Funktionsfähigkeit und der Integrität der Finanzmärkte sowie Kapitalmarkteffizienz
  • 1. Ausgleich des Informationsgefälles zwischen Emittent und nicht informiertem Anleger
  • 2. Ad-hoc-Publizitätspflicht als Ergänzung der Regel- und Beteiligungspublizität
  • II. Ad-hoc-Publizitätspflicht als Präventivmaßnahme gegen Insiderhandel
  • III. Ad-hoc-Publizitätspflicht als Instrument des Anlegerschutzes
  • C. Die Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG
  • I. Voraussetzungen
  • 1. Inlandsemittent
  • a. Herkunftsstaat ist Deutschland
  • b. Herkunftsstaat ist Mitgliedstaat der EU / EWR
  • c. Herkunftsstaat ist Drittstaat
  • d. Keine Erstreckung auf den Freiverkehr gem. § 48 BörsG
  • 2. Finanzinstrumente
  • 3. Insiderinformation iSd. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG
  • a. Information über Umstände oder Ereignisse
  • b. Konkrete Information
  • i. Konkrete Information – Tatsachen
  • ii. Konkrete Information – Zukünftige Ereignisse oder Umstände
  • (a). Hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit
  • (b). Preisbeeinflussungspotential des zukünftigen Ereignisses / Kursspezifität
  • iii. Gerüchte als konkrete Informationen
  • (a). Gerüchte sind keine Insiderinformationen
  • (b). Differenzierte Auffassung der BaFin
  • (c). Stellungnahme
  • (d). Zwischenergebnis
  • iv. Mehrstufige Entscheidungsprozesse
  • (a). Streitstand hinsichtlich des Zeitpunkts des Entstehens einer Insiderinformation
  • (b). Stellungnahme
  • 4. Nicht öffentlich bekannte Information
  • a. Ordnungsgemäße Bekanntmachung erforderlich
  • b. Zeitpunkt des Bekanntwerdens
  • c. „Öffentliche Bekanntheit“ durch Weitergabe der Insiderinformation auf der Hauptversammlung
  • 5. Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung
  • a. Ausschluss von Bagatellfällen (Erheblichkeitsschwelle)
  • b. Feststellung der Preiserheblichkeit durch den Emittenten
  • 6. Unmittelbarer Emittentenbezug, § 15 Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 3 WpHG
  • a. Ausschließlicher Bezug zum emittierten Finanzinstrument
  • b. Im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetretene Insiderinformation
  • c. Außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Emittenten eingetretene, den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformation
  • d. Außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Emittenten eingetretene, den Emittenten nur mittelbar betreffende Insiderinformation
  • 7. Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation – MAR) und Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation (CRIM-MAD)
  • 8. Besondere Anwendungsfälle
  • a. Insiderinformationen im Konzern
  • i. Vorliegen der Insiderinformation in einer Tochtergesellschaft des Emittenten
  • ii. Vorliegen der Insiderinformation bei der Muttergesellschaft des Emittenten
  • (a). Sachverhaltskonstellationen
  • (b). Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 WpHG
  • (c). Fazit
  • b. Squeeze- Out, §§ 327a ff. AktG
  • c. „Director’s Dealing“, § 15a WpHG
  • II. Rechtsfolgen
  • III. Zusammenfassung
  • D. Die Befreiung von der Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG
  • I. Die Entwicklung des Selbstbefreiungstatbestands bis hin zur heutigen Fassung des § 15 Abs. 3 WpHG
  • 1. Vorgesetzliche Bemühungen, Börsenzulassungsrichtlinie (1979) und Insiderrichtlinie (1989)
  • a. Vorgesetzliche Bemühungen: Segré-Bericht und europäische „Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen“
  • b. Börsenzulassungsrichtlinie 79/279/EG und ihre Umsetzung durch § 44a BörsG
  • c. Insiderrichtlinie 1989
  • 2. Mittel zur Finanzmarktförderung: 2. FFG und Einführung des § 15 WpHG
  • a. Hintergrund und Regelungszweck des 2. FFG
  • b. Befreiungsmöglichkeit von der Ad-hoc-Publizitätspflicht unter Geltung des 2. FFG
  • 3. Jahressteuerergänzungsgesetz 1996 und 3. FFG
  • 4. 4. FFG
  • 5. Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG)
  • 6. Marktmissbrauchsrichtlinie (2003) und AnSVG (2004)
  • a. Entstehung und Gang der Rechtsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie
  • b. Zentrale Inhalte der Marktmissbrauchsrichtlinie
  • c. AnSVG
  • i. Ursprüngliche Befreiungsregelung: Antrag auf Befreiung bei der BaFin
  • ii. Neuregelung gem. Art. 6 Abs. 2 Marktmissbrauchsrichtlinie: Selbstbefreiung
  • 7. Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung (WpAIV)
  • 8. Emittentenleitfaden der BaFin und CESR-Empfehlungen
  • a. Emittentenleitfaden der BaFin
  • b. CESR-Empfehlungen
  • 9. Aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene
  • 10. Zusammenfassung und Ergebnis
  • II. Die Befreiungsvoraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG
  • 1. Berechtigte überwiegende Interessen des Emittenten
  • a. § 6 Satz 1 WpAIV als Ausgangspunkt
  • i. Güterabwägung durch den Emittenten
  • ii. Güterabwägung im Einzelnen
  • (a). Zu berücksichtigende Emittenteninteressen
  • (b). Abwägung gegenüber den Kapitalmarktinteressen
  • (aa). Dauer der Geheimhaltung
  • (bb). Verfrühter Veröffentlichungszeitpunkt
  • (cc). Umfang der Preisbeeinflussung
  • iii. Abwägung der Emittenteninteressen mit den Kapitalmarktinteressen
  • iv. Ermessensspielraum des Emittenten iSd. Business Judgement Rule
  • b. Die Regelbeispiele des § 6 Satz 2 WpAIV
  • i. § 6 Satz 2 Nr. 1 WpAIV
  • ii. § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV
  • (a). Problemstellung bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen
  • (b). Legitimation des Geheimhaltungsinteresses des Emittenten
  • 2. Keine Befürchtung der Irreführung der Öffentlichkeit
  • 3. Gewährleistung der Vertraulichkeit der Insiderinformation, § 7 Nr. 1 WpAIV
  • a. Sinn und Zweck der Gewährleistung der Vertraulichkeit der Insiderinformation
  • b. Voraussetzungen und richtlinienkonforme Auslegung des § 7 WpAIV
  • c. Wirksame Vorkehrungen
  • i. Schaffung von Compliance-Strukturen
  • ii. Umgang mit Gerüchten
  • d. Vertraulichkeitsvereinbarung
  • e. Führung eines Insiderverzeichnisses und Aufklärung über die gesetzlichen Pflichten
  • E. § 15 Abs. 3 WpHG – Legalausnahme oder bewusste Befreiungsentscheidung des Emittenten erforderlich?
  • I. Problemaufriss
  • II. Grammatikalische Auslegung
  • III. Historische Auslegung
  • IV. Auslegung nach dem Sinn und Zweck
  • V. § 15 Abs. 3 WpHG im Lichte des Emittentenleitfadens der BaFin
  • VI. Vergleich mit dem europäischen Wettbewerbsrecht
  • VII. Zwischenergebnis
  • VIII. Vergleich der Befreiungssysteme in ausgewählten europäischen Staaten
  • 1. Vorgaben des Unionsrechts für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
  • a. Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG
  • b. Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG
  • 2. Regelungen in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU
  • a. Polen
  • b. Italien
  • c. Österreich
  • d. Spanien
  • e. Schweden
  • f. Frankreich
  • g. Großbritannien
  • 3. Regelungen in Nicht-EU-Staaten
  • a. Darstellung und Bewertung der schweizerischen Regelung
  • i. Materielle Tatbestandsvoraussetzungen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Aufschubtatbestands
  • ii. Formelle Voraussetzungen: eigenverantwortlicher Aufschub durch Emittent
  • b. Zwischenergebnis
  • 4. Fazit der rechtsvergleichenden Betrachtungen
  • F. Rechtsfolgen der Selbstbefreiung
  • I. Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Selbstbefreiung
  • 1. Haftung auf Schadensersatz nach § 37b WpHG (Emittentenhaftung)
  • a. Rechtsnatur der Emittentenhaftung
  • b. Haftungsadressaten
  • c. Unterlassung der Veröffentlichung
  • d. Haftungsbegründende Kausalität
  • e. Rechtswidrigkeit, insbesondere rechtmäßiges Alternativverhalten
  • f. Verschulden
  • g. Ausschluss der Haftung
  • h. Schaden
  • i. Naturalrestitution durch Rückgängigmachung des Wertpapiergeschäfts
  • ii. Ersatz des Kursdifferenzschadens
  • iii. Stellungnahme
  • i. Verjährung
  • 2. Haftung aufgrund weiterer Normen
  • a. Haftung gem. § 826 BGB iVm. § 31 BGB
  • i. Tatbestandsvoraussetzungen
  • ii. Ersatzfähiger Schaden iSd. § 826 BGB
  • iii. Verjährung
  • b. Haftung gem. §§ 823 Abs. 2, 31 BGB iVm. Schutzgesetz
  • 3. Gesellschaftsrechtliche Beschränkungen der Haftung durch § 57 AktG
  • 4. Ordnungswidrigkeit gem. § 39 Abs. 2 Nr. 5 lit. a) WpHG
  • 5. Eingriffsbefugnisse der BaFin
  • II. Rechtsfolgen einer rechtmäßigen Selbstbefreiung
  • 1. Nachholung der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht, § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG
  • a. Inhalt und Zeitpunkt der nachzuholenden Ad-hoc-Mitteilung iSd. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG
  • b. Veröffentlichungsverfahren
  • 2. Vorabmitteilungspflicht über die Nachholung der Veröffentlichung, § 15 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 WpHG
  • G. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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A. Einführung

I. Einleitung

Auf Ebene der Europäischen Union wird bereits seit den 1970er Jahren versucht, die Transparenz von börsennotierten Unternehmen zugunsten der Aktionäre und Investoren schrittweise zu erhöhen. Ein erster Versuch wurde hierzu mit der Börsenzulassungsrichtlinie im Jahr 1979 unternommen. Dieser Ansatzpunkt, wonach börsennotierte Unternehmen sog. Insiderinformationen unverzüglich veröffentlichen müssen, wurde in den Folgejahren stetig weiterentwickelt. Insbesondere das Platzen der Blase am sog. Neuen Markt zu Beginn der 2000er Jahre in Deutschland hat gezeigt, dass die Transparenzanforderungen an die Emittenten noch verbesserungswürdig sind.

Das heutige Regime zur Ad-hoc-Publizitätspflicht beruht im Wesentlichen auf der Marktmissbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) und ihrer Durchführungsverordnung (2003/124/EG) sowie deren jeweilige Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten. In Deutschland erfolgte die Umsetzung durch die Regelung in § 15 Abs. 1 WpHG, die eine der zentralen Normen des deutschen Kapitalmarktrechts darstellt.

Die Finanzmarktkrise1 des Jahres 2008 hat gezeigt, wie eng die Kapital- und Finanzmärkte rechtlich und ökonomisch miteinander verbunden sind. Die hieraus resultierenden Risiken, die sich u.a. in der Finanzmarktkrise verwirklicht haben, sollen nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers durch eine erhöhte Berichtspflicht der börsennotierten Unternehmen sowohl über periodische Finanzdaten2 als auch über sonstige wichtige Entwicklungen in Bezug auf das jeweilige Unternehmen früher erkannt und ihnen entgegengewirkt werden.

Die erhöhten Anforderungen an die Transparenz führen unweigerlich zu einem Interessenskonflikt zwischen dem Emittenten und dem Anlegerpublikum. Während der Emittent3 grundsätzlich geneigt ist, Informationen – insbesondere negative Informationen – über sein Unternehmen möglichst geheim zu halten, ist ← 19 | 20 → das Anlegerpublikum auf möglichst umfassende Informationen über den Emittenten angewiesen, um die Renditemöglichkeiten der vom Emittenten begebenen Wertpapiere beurteilen zu können.

Ein wesentlicher Teil der Informationspflichten eines börsennotierten Unternehmens ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht. Danach hat der Emittent die Pflicht, außergewöhnliche Ereignisse unverzüglich, also ad-hoc, zu veröffentlichen4. Diese Verpflichtung stellt den Emittenten vor eine große Herausforderung, da er nicht nur sicherstellen muss, dass alle der Ad-hoc-Pflicht unterfallenden Informationen im Unternehmen erkannt werden, sondern er muss danach noch die Entscheidung treffen, ob die Voraussetzungen für eine Ad-hoc-Meldung überhaupt vorliegen. Zudem kann die Ad-hoc-Publizitätspflicht den Emittenten in ein Dilemma bringen: soll er eine wichtige Information über sein Unternehmen entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung veröffentlichen und dem Unternehmen aufgrund dieser Veröffentlichung gegebenenfalls einen Nachteil, z.B. in Form der Aufgabe eines Wettbewerbsvorteils, zufügen oder soll er gegen seine gesetzlichen Verpflichtungen verstoßen, aber einen Vorteil für das Unternehmen weiterhin sichern?

In dieser Situation hilft dem Emittenten gegebenenfalls die Möglichkeit der zeitweiligen Befreiung von der Ad-hoc-Pflicht gem. § 15 Abs. 3 WpHG weiter. Nach § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG ist der Emittent von der Ad-hoc-Publizitätspflicht solange befreit, wie der Schutz seiner berechtigten Interessen dies erfordert, eine Irreführung der Öffentlichkeit nicht zu befürchten ist und die Geheimhaltung der Insiderinformation durch den Emittent gewährleistet werden kann. Die rechtliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen des Emittenten zeitweilig aufgeschoben werden darf, verlangt den Verantwortlichen regelmäßig eine Prüfung des konkreten Sachverhalts ab.

Im Rahmen der einzelnen Voraussetzungen, unter denen eine Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 Abs. 3 WpHG in Betracht kommt, ist in Literatur und Rechtsprechung besonders die Frage umstritten, ob der Emittent zur wirksamen Inanspruchnahme des Befreiungstatbestands einen Befreiungsbeschluss fassen muss oder ob es sich bei dem kapitalmarktrechtlichen Befreiungstatbestand vielmehr um eine Legalausnahme handelt. Die Beantwortung dieser streitigen Rechtsfrage, mit der für den Emittenten regelmäßig ein erhebliches (Haftungs-)Risiko verbunden ist, ist zentraler Gegenstand dieser Arbeit. Während bis zum Inkrafttreten des AnSVG die BaFin alleinige Herrin des Befreiungsverfahrens war, indem sie als oberste Aufsichtsbehörde entschied, ob ← 20 | 21 → die Befreiungsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt waren, liegt das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung nunmehr bei dem Emittenten selbst. Die Antwort auf diese Frage bestimmt nicht nur, wer das Risiko für eine fehlerhaft unterlassene Ad-hoc-Meldung trägt, sondern hat auch noch weitergehende Konsequenzen. So nutzt die Qualifikation als Legalausnahme dem Emittenten auch in Situationen, in denen er gar nicht erkennt, dass eine Insiderinformation vorliegt, er aber von der Veröffentlichungspflicht befreit ist. Zur Beantwortung dieser Frage sind nicht nur die Marktmissbrauchsrichtlinie und die hier relevante Umsetzungsnorm des § 15 Abs. 3 WpHG im Wege der Auslegung zu untersuchen. Vielmehr muss auch analysiert werden, wie andere EU-Mitgliedsstaaten den hier einschlägigen Art. 6 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG umgesetzt haben. Damit ist sowohl für den Emittenten als auch mit Blick auf die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts diese Frage von höchster praktischer Bedeutung.

Die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage, ob es sich bei dem Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG um eine Legalausnahme handelt, oder ob eine Befreiungsentscheidung des Emittenten erforderlich ist, hat insbesondere dadurch an immenser praktischer Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen, dass sich der EuGH in seiner Entscheidung vom 28.6.2012 (Daimler/Geltl-Urteil) ausdrücklich mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Falle von mehrstufigen Entscheidungsprozessen auseinandergesetzt und entschieden hat, dass bereits jeder Zwischenschritt für sich genommen ad-hoc-publizitätspflichtig sein kann. Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die Ad-hoc-Publizitätspflicht bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen deutlich ausgeweitet5. Daher kommt es bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen verstärkt auf die Befreiungsmöglichkeit an, damit nicht jeder Zwischenschritt veröffentlicht werden muss.

Die vorgenannte Fragestellung hat nicht nur eine nationale, sondern vielmehr eine internationale Dimension. Aufgrund des globalen Zusammenwachsens der Märkte kommt der anlassbezogenen Veröffentlichungspflicht eine immer größere Bedeutung für das weltweite Finanzsystem zu. Veröffentlicht beispielsweise die Deutsche Bank AG eine Insiderinformation im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung, so zieht dies aufgrund der Listung der Deutsche Bank AG an in- und ausländischen Börsen auch Veröffentlichungspflichten an diesen Börsen nach sich und beeinflusst damit den deutschen, europäischen und internationalen ← 21 | 22 → Kapitalmarkt und dessen Anlegerpublikum. Dementsprechend hat sich vor allem der europäische Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten mit einer Fortentwicklung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und ihrer Befreiung hiervon beschäftigt. Dies mündete am 12.6.2014 in die Verabschiedung der Marktmissbrauchsverordnung, deren Regelungen zum 3.7.2016 in den EU-Mitgliedsstaaten wirksam werden. Damit schafft die Europäische Kommission erstmals ein EU-weit identisches Regime für die Ad-hoc-Publizitätspflicht.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht unter besonderer Berücksichtigung der Klärung der Frage, ob die Selbstbefreiung iSd. § 15 Abs. 3 WpHG einen Befreiungsbeschluss des Emittenten erfordert oder als Legalausnahme zu qualifizieren ist.

Details

Seiten
229
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653063714
ISBN (ePUB)
9783653955453
ISBN (MOBI)
9783653955446
ISBN (Paperback)
9783631669020
DOI
10.3726/978-3-653-06371-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Kapitalmarktpublizität Kapitalmarktrecht Insiderinformation Marktmissbrauchsrichtlinie (MAR) Rechtsvergleichung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 229 S.

Biographische Angaben

Katja Bodenhöfer-Alte (Autor:in)

Katja Bodenhöfer-Alte studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Ihr Schwerpunkt ist das Kapitalmarktrecht.

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