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Die Sicherung der Widmung öffentlicher Sachen

Eine Untersuchung zur Existenz von Sicherungsinstrumenten nach öffentlichem (Sachen)Recht zur Gewährleistung des widmungsgemäßen Gebrauchs

von Christian Kessen (Autor:in)
©2016 Dissertation XX, 231 Seiten

Zusammenfassung

Ausgangspunkt dieses Buches ist die seit Jahrzehnten im öffentlichen Sachenrecht umstrittene Frage, ob eine Widmung dingliche Rechtsfolgen auslöst. Trotz der gegenläufigen Entscheidung im Hamburger Stadtsiegelfall sind in der Rechtsprechung im Falle widmungswidriger Nutzung einer öffentlichen Sache Störungsbeseitigungsansprüche für den öffentlichen Sachherrn anerkannt worden, die gesetzlich nicht geregelt sind. Hier setzt der Autor an. Er untersucht, ob und welche Sicherungsmöglichkeiten für die diversen öffentlichen Sachen nach öffentlichem (Sachen-)Recht bestehen. Das Straßen- und Wasserrecht stellt gesetzliche Grundlagen für Sicherungsinstrumente bereit. Im Übrigen hat eine Widmung keine sachenrechtliche Wirkung. Insbesondere scheidet Gewohnheitsrecht als Grundlage von Sicherungsinstrumenten aus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Problemaufriss
  • A. Entwicklung in der Rechtsprechung
  • I. Zwangsversteigerung eines Kriegsschiffes
  • II. Herausgabe eines mit einem Rathaus bebauten Grundstückes
  • III. Herausgabe einer versteigerten öffentlichen Sache (Stadtsiegel)
  • IV. Herausgabe einer ersessenen öffentlichen Sache (Rheinsteinbögen)
  • V. Duldungsverpflichtung des Eigentümers hinsichtlich der Nutzung einer res sacra
  • VI. Herausgabe von Aktenbeständen bei Besitzstörung
  • VII. Zusammenfassung der Rechtsprechungsentwicklung
  • B. Weitere Untersuchung hinsichtlich Sicherungsinstrumenten im Recht der öffentlichen Sachen
  • 2. Kapitel: Die traditionelle Lehre des Rechts der Öffentlichen Sachen
  • A. Umriss der Rechtsmaterie öffentliches Sachenrecht
  • I. Öffentliches Sachenrecht als Rechtsmaterie
  • 1. Öffentliches Sachenrecht als Rechtsgebiet
  • 2. Zweck der öffentlichen Sachen
  • 3. Der Sachbegriff im Öffentlichen Sachenrecht
  • a) Erfordernis der Körperlichkeit i.S.d. § 90 BGB
  • b) Öffentliche Sache und § 93 ff. BGB
  • II. Entstehungsvoraussetzungen einer Öffentlichen Sache
  • 1. Widmung
  • a) Funktionen der Widmung
  • b) Widmungsformen
  • 2. Tatsächliche Indienststellung
  • III. Rechtsnatur der öffentlichen Sache
  • 1. Theorie des öffentlichen Eigentums
  • a) Grundidee Otto Mayers
  • b) Nachteile einer Einführung öffentlichen Eigentums an öffentlichen Sachen
  • 2. Lehre vom modifizierten Privateigentum
  • a) Grundsätzliche Annahmen
  • b) Rechtsfolgen der dualistischen Betrachtungsweise
  • 3. Zwischenergebnis
  • 4. Möglichkeit der Einführung einer besonderen öffentlichen Sachherrschaft
  • a) Öffentliches Eigentum
  • b) Öffentliche Sachenrechte generell
  • c) Zwischenergebnis
  • B. Einteilung der öffentlichen Sachen
  • I. Öffentliche Sachen im Zivilgebrauch
  • 1. Sachen im Gemeingebrauch
  • 2. Sachen im Sondergebrauch
  • 3. Sachen im Anstaltsgebrauch
  • II. Öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch
  • III. Res sacrae
  • IV. Abgrenzungen
  • C. Zusammenfassung
  • 3. Kapitel: Instrumente zur Störungsbeseitigung und somit Sicherung des widmungsgemäßen Gebrauchs
  • A. Einführung
  • I. Gang der Untersuchung
  • II. Begriff der „Sicherungsinstrumente“
  • B. Sicherungsinstrumente bei gesetzlich geregelten öffentlichen Sachen
  • I. Straßenrechtliche Möglichkeiten zur Widmungssicherung
  • 1. Einführung in das Straßenrecht
  • a) Gesetzgebungskompetenzen
  • b) Im Straßenrecht beteiligte Hoheitsträger
  • (1) Öffentlicher Sachherr
  • (2) Unterhaltungspflichtiger
  • (3) Zusammenfassung
  • 2. Straßenrechtliche Widmung und deren Rechtsfolgen
  • a) Widmungsakt
  • b) Rechtsfolgen der Widmung
  • (1) Sicherungsinstrumente für den öffentlichen Sachherrn
  • (a) Störungsbeseitigungsansprüche bei Beeinträchtigung der Widmung öffentlicher Straßen
  • (b) Besitzrecht zur Aufrechterhaltung des Widmungszwecks
  • (c) Duldungspflicht für den Eigentümer des Straßengrundstückes
  • (2) Erhalt des Nutzungszwecks der Straße als straßenrechtliche Maxime
  • (a) Zwangsvollstreckung
  • (b) Zivilrechtliche Verfügungen hinsichtlich des straßenrechtlich gewidmeten Grundstückes
  • c) Zusammenfassender Überblick zu den Widmungsfolgen
  • 3. Erlöschen der Rechte durch Einziehung
  • 4. Grundlage und Durchsetzung straßenrechtlicher Sicherungsinstrumente
  • a) Handelnder Hoheitsträger
  • b) Befugnisnormen nach Straßenrecht
  • (1) Inanspruchnahmeverfügung
  • (2) Zuständigkeit bei Verstößen hinsichtlich des Gemeingebrauchs anhand des § 22 StrWG NRW
  • (a) Wortlaut
  • (b) Systematik
  • (c) Historie und Telos
  • (d) Zwischenergebnis
  • (3) Vorgehen aufgrund weiterer straßenrechtlicher Befugnisnormen
  • c) Abgrenzung zu Maßnahmen nach der StVO
  • d) Abgrenzung zu Straßensperren von Privatwegen
  • e) Handlungsform
  • f) Zwischenergebnis
  • 5. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • II. Wasserrechtliche Möglichkeiten zur Widmungssicherung
  • 1. Einleitung
  • 2. Maßgebliche gesetzliche Regelungen
  • a) Einteilung der Gewässer und Verhältnis der Wassergesetze zueinander
  • b) Gesetzgebungskompetenzen
  • 3. Eigentumsverhältnisse und Unterhaltungslast an Gewässern
  • 4. Gewässer als öffentliche Sache im Zivilgebrauch
  • a) Gemeingebrauch
  • b) Sondergebrauch
  • 5. Widmungszweck der öffentlichen Sache Wasser
  • a) Widmung der Gewässer
  • b) Ermittlung des Widmungszwecks anhand des WHG
  • c) Ergebnis
  • 6. Öffentliche Sachherrschaft an Gewässern
  • 7. Grundlage und Durchsetzung wasserrechtlicher Sicherungsmittel
  • a) Relevante Regelungswerke
  • b) System der wasserrechtlichen Gefahrenabwehr nach dem WHG
  • (1) Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 S. 2 WHG
  • (2) Tatbestand und Rechtsfolge des § 100 Abs. 1 S. 2 WHG
  • (a) Gefährdung des Wassers als öffentliche Sache im Sondergebrauch
  • (b) Ermächtigungsgrundlage zur Einhaltung des Gemeingebrauchs
  • (3) Sicherungsinstrumente nach Fallgruppen
  • c) Zusammenfassung
  • 8. Zusammenfassung zum Wasserrecht
  • III. Ergebnis für die geregelten Materien des öffentlichen Sachenrechts
  • C. Sicherungsinstrumente bei „nicht gesetzlichen“ öffentlichen Sachen
  • I. Eigenständige Sicherungsinstrumente nach öffentlichem (Sachen-)Recht
  • 1. Herleitung „nicht gesetzlicher“ Sicherungsmittel für öffentlichen Sachen
  • a) Zivilrecht analog
  • b) Öffentliches Recht
  • c) Ohne normative Anknüpfung
  • 2. Durchsetzbarkeit
  • a) Verwaltungsakt
  • b) Allgemeine Leistungsklage
  • II. Allgemeine einfachgesetzliche Sicherungsinstrumente
  • 1. Vollstreckungsschutz aus § 882a ZPO und § 128 GO NRW
  • 2. Weitere einfachgesetzliche Sicherungsmittel
  • 4. Kapitel: Einwände gegen „nicht gesetzliche“ Sicherungsmittel
  • A. Erfordernis der Verlautbarung der Widmung an Sachen im Verwaltungs- und Anstaltsgebrauch
  • I. Publizitätsgebot als Begründungserfordernis öffentlicher Sachenrechte
  • 1. Funktion des Publizitätsgebotes
  • 2. Publizitätsmittel der zivilrechtlichen Sachenrechte
  • a) Rechte und Publizitätsmittel im Zivilrecht
  • b) Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Publizitätsmittel in das Öffentliche Recht
  • (1) Publizitätsmittel Besitz
  • (2) Publizitätsmittel Übergabe
  • c) Zwischenergebnis
  • II. Publizitätsmittel und Wirksamkeitsvoraussetzungen nach öffentlichem Recht
  • 1. Sichtbarer Gebrauch als besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe
  • a) Vergleich mit der Bekanntgabe von Verkehrsschildern
  • b) Übertragbarkeit auf öffentliche Sachen
  • 2. Mögliches Publizitätserfordernis aus §§ 35 S. 2, 41 Abs. 3 S. 2 VwVfG
  • a) Widmung durch Allgemeinverfügung
  • b) Systematik der §§ 35 S. 2, 41 Abs. 3 VwVfG
  • (1) Begriff der Öffentlichen Bekanntgabe
  • (2) Auslegung
  • (a) Wortlaut
  • (b) Systematik
  • (c) Historie
  • (d) Telos
  • (3) Zwischenergebnis
  • 3. Ergebnis zu den Publizitätsmitteln und zur Wirksamkeit
  • III. Ergebnis
  • B. Verstoß gegen das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes
  • I. Verletzung von Art. 14 GG
  • 1. Widmung bei Sachen im Zivilgebrauch
  • 2. Widmung bei Sachen im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch
  • a) Schutzbereich des Art. 14 GG
  • b) Mögliche Eingriffe
  • (1) Widmung als Eingriffsakt
  • (a) Widmung ohne Eigentümerstellung oder Zustimmung der Berechtigten
  • (b) Zustimmung des vom öffentlichen Sachherrn personenverschiedenen Eigentümers oder sonstigem dinglichen Berechtigten
  • (c) Öffentlicher Sachherr ist Eigentümer der gewidmeten Sache
  • i. Begründung des öffentlichen Sachstatus als Grundrechtseingriff für den Rechtsnachfolger
  • ii. Ausschluss von Rechten Dritter
  • (d) Zwischenergebnis
  • (2) Eingriff durch Sicherungsinstrumente
  • (3) Zusammenfassung
  • II. Rechtfertigung von Eingriffen
  • 1. Gewohnheitsrecht
  • a) Voraussetzungen von Gewohnheitsrecht
  • (1) Allgemeine Rechtsüberzeugung
  • (2) Lange Übung der betreffenden allgemeinen Rechtsüberzeugung
  • (a) Relevante Gerichtsentscheidungen
  • (b) Zwischenergebnis relevante Gerichtsentscheidungen
  • b) Ergebnis Gewohnheitsrecht
  • c) Rechtfertigung durch vorkonstitutionelle Widmungen kraft Gewohnheitsrecht
  • 2. Rechtfertigung durch allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts
  • III. Ergebnis
  • C. Die Einführung öffentlicher Sachenrechte durch die Exekutive als Kompetenzproblem
  • I. Gesetzesauftrag durch Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG
  • II. Kompetenzzuweisung aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt
  • 1. Der (allgemeine) Vorbehalt des Gesetzes
  • 2. Die „Wesentlichkeitstheorie“ als Kompetenzzuweisung
  • 3. Das Rechtsstaatsprinzip als Kompetenzzuweisung
  • a) Numerus clausus der Sachenrechte
  • b) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Allgemeinen
  • III. Ergebnis
  • D. Verstoß gegen sachenrechtliche Prinzipien
  • I. Typenzwang der Sachenrechte
  • II. Nulla res sua servit – Grundsatz
  • III. Ergebnis
  • E. Zusammenfassung
  • 5. Kapitel: Sicherungsinstrumente bei den res sacrae: Die res sacra als Sondermaterie im öffentlichen Sachenrecht
  • A. „Schutzordnungen“ der res sacrae
  • I. Schutzordnung des öffentlichen Sachenrechts
  • 1. Relevanz des Körperschaftsstatus
  • a) Geschützte Gegenstände
  • b) Widmungsfolgen
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Rechtliche Implikationen
  • 3. Rechtsgrundlage der Unterstellung in das öffentliche Sachenrecht
  • a) Gewohnheitsrecht und „altes“ Landesrecht
  • (1) Existenz und wirksames Fortgelten
  • (2) Zwischenergebnis
  • b) Verfassungsrecht
  • (1) Körperschaftsgarantie nach Art. 137 Abs. 5 WRV
  • (a) Öffentliche Sache kraft öffentlichen Status
  • (b) Öffentliche Sache kraft „anerkannter“ Befugnis aus Art. 137 Abs. 5 WRV
  • (c) Zwischenergebnis
  • (2) Kirchengutsgarantie Art. 138 Abs. 2 WRV
  • (a) Bestandsgarantie als Grundlage der Widmungsfolgen
  • (b) Keine Perpetuierung verfassungswidriger Regelungen
  • (c) Zwischenergebnis
  • (3) Absolute Widmungswirkung durch das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV
  • c) Zwischenergebnis
  • II. Verfassungsrechtlicher Schutz der res sacrae
  • 1. Rechtsgrundlagen
  • 2. Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes
  • 3. Geschützte Gegenstände
  • III. Verfahrensrechtliche Vorgehensweise
  • IV. Zusammenfassender Überblick
  • B. Ergebnis zu den res sacrae insgesamt
  • 6. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse
  • A. Zusammenfassung in Thesen
  • B. Fazit
  • Literaturverzeichnis

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1.  Kapitel: Problemaufriss

Die Widmung ist der „Schlüsselbegriff“1 des Rechts der öffentlichen Sachen. Welche Rechtsfolgen sich aber aus einer Widmung zur öffentlichen Sache ergeben, wird sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt. Es ist deshalb ungewiss, wie der in der Widmung festgelegte Zweck der öffentlichen Sache im Falle der Störung des widmungsgemäßen Gebrauchs für die Allgemeinheit gesichert wird.

Sowohl die Verwaltungsrechtswissenschaft als auch die Rechtsprechung gingen lange Zeit davon aus, dass der öffentliche Sachherr2 Störungsbeseitigungsansprüche gegen widmungswidrige Nutzer der Sache hat. Solche Sicherungsinstrumente werden traditionell ohne gesetzliche Grundlage als Konsequenz einer dinglichen Widmungswirkung angenommen. Zu den Sachen im Verwaltungsvermögen meinte man wohl auch aufgrund dieser selbstverständlichen Annahme: „Rechtliche Schwierigkeiten bietet diese Gruppe öffentlichrechtlicher Sachen nicht“.3 Rechtliche Probleme gehen mit dieser traditionellen Annahme aber gerade dann einher, wenn der öffentliche Sachherr und der zivilrechtliche Eigentümer personenverschieden oder zudem an der öffentlichen Sache noch dritte Personen nutzungsberechtigt sind.

Nachdem ein eigenständiger Herausgabeanspruch nach öffentlichem Sachenrecht als eine Form der Widmungssicherung für den öffentlichen Sachherrn in der Rechtsprechung explizit durch das OVG Münster am 25.2.1993 abgelehnt worden war4, erkannte das OVG Greifswald einen solchen in seinem Beschluss vom 27. Mai 20085 wieder an. In dieser Monographie soll daher aufgezeigt werden, ob die im öffentlichen Sachenrecht traditionell angenommenen materiell-rechtlichen Wirkungen einer Widmung im gesetzlich geregelten Bereich überhaupt erforderlich sowie im gesetzlich nicht geregelten Bereich rechtlich unbedenklich sind. Es geht um die Frage: Welche Sicherungsinstrumente gibt es an welchen öffentlichen Sachen nach öffentlichem (Sachen-)Recht? ← 1 | 2 →

A.  Entwicklung in der Rechtsprechung

Zum Verständnis der Problemstellungen, die mit den Sicherungsinstrumenten zur Gewährleistung des widmungsgemäßen Gebrauchs einer öffentlichen Sache einhergehen, wird die Entwicklung in der Rechtsprechung aufgezeigt. Es handelt sich dabei stets um Fallkonstellationen, in denen eine öffentliche Sache dem öffentlichen Sachherrn mit dem in der Widmung begründeten Zweck nicht mehr zur Verfügung steht respektive eine Zweckentfremdung einzutreten droht. Es drängt sich jeweils die Frage auf, inwiefern dem öffentlichen Sachherrn Rechte zur Sicherung des widmungsgemäßen Gebrauchs zugestanden werden. Da in den gesetzlich geregelten Bereichen des öffentlichen Sachenrechts gesetzliche Regelungen existieren6, soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie gerade in den gesetzlich nicht geregelten Bereichen dem öffentlichen Sachherrn Rechte eingeräumt wurden, die Widmung zu „sichern“.

I.  Zwangsversteigerung eines Kriegsschiffes

Hinsichtlich der Frage7, ob zur Schadensregulierung aus dem Erlös ein Kriegsschiff zwangsvollstreckt werden kann (Kriegsschifffall), urteilte das Reichsgericht, dass ein Kriegsschiff dem Verkehr entzogen sei und eine Zwangsvollstreckung darin nicht stattfinden könne:8 „Die Kriegsschiffe dürfen im Staatsinteresse ihrer Aufgabe, der Verteidigung des Reiches und dem Schutze seiner Seeinteressen zu dienen, nicht entzogen werden“.9 Es war fraglich, ob der Reichsfiskus für Schäden haftet, die vom Kommandanten eines Kriegsschiffes durch Zusammenstoß mit einem Kauffahrtschiff schuldhaft verursacht worden waren.10 ← 2 | 3 →

II.  Herausgabe eines mit einem Rathaus bebauten Grundstückes

Im sog. „Rathausfall11 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass die Eigenschaft einer öffentlichen Sache im Verwaltungsgebrauch einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht entgegengehalten werden könne.12 Ein solches Recht für Sachen im Verwaltungsgebrauch wurde, soweit ersichtlich, erstmals höchstrichterlich verneint. Im Vergleich zu den Sachen im Gemeingebrauch, wo die Widmung geregelt sei, mangele es insbesondere an Entschädigungsregelungen. So verbiete sich die Annahme, dass durch eine Widmung zu Sachen im Verwaltungsgebrauch Rechte Dritter ausgeschaltet würden. Dafür sei gemäß Art. 20 Abs. 3 GG eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die zudem im Sinne des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG qualifiziert sein müsse.13

Die Kläger als ursprüngliche Eigentümer forderten ein mit einem Rathaus bebautes Grundstück aus ungerechtfertigter Bereicherung zurück, da der Grundstückstauschvertrag nichtig war. Die Herausgabe sollte hilfsweise Zug um Zug gegen Rückübereignung des von der Beklagten erlangten Grundstücks erfolgen.14

III.  Herausgabe einer versteigerten öffentlichen Sache (Stadtsiegel)

Im sogenannten Hamburger Stadtsiegelfall15 begehrte die Stadt Hamburg Herausgabe eines Siegeltypars (Handstempel zum Siegeln von Urkunden) nebst dem dazugehörigen Aufbewahrungsbeutel. Dieses sei schon im Jahre 1306 zum Siegeln von Urkunden benutzt worden. Zwischendurch wurde das Siegel außer Vollzug gesetzt, darauf zur Verifizierung von Urkunden verwandt, später wurde es in die Petschaft-Sammlung der Stadt Hamburg übernommen. Nach einer Auslagerung des Archivguts 1944 kam es abhanden, im April 1986 erwarb die Beklagte das Siegel auf einer Auktion eines Kunsthauses und bot ihn 1987 in ← 3 | 4 → Köln auf einer Kunstmesse zum Verkauf an. Die Hansestadt Hamburg verfolgte den Zivilrechtsweg auf Herausgabe des Siegels ohne Erfolg.16

Der dann ersuchte Verwaltungsrechtsweg wurde zunächst erfolgreich beschritten. Das VG Köln erkannte mit Urteil vom 20.3.199117 einen Herausgabeanspruch zugunsten der Stadt Hamburg an. Weil der Siegelstempel noch eine öffentliche Sache sei, schließt sich das VG der rechtlichen Konstruktion vom modifizierten Privateigentum an18, wonach ein Eigentümerwechsel hinsichtlich des widmungsgemäßen Gebrauchs unschädlich sei. Für das VG Köln genießt die öffentliche Sachherrschaft absoluten Vorrang vor allen privatrechtlichen Verhältnissen.19 Dieser unbestrittene Herausgabeanspruch ergebe sich „ohne weiteres aus einer Annexkompetenz zu der dem öffentlichen Sachherrn verliehenen Befugnis, die Sache widmungsgemäß zu verwenden“20. Einwände gegen dieses Sicherungsmittel begegnet es damit, die Sache sei bereits belastet erworben worden. Der angenommene ungeschriebene Herausgabeanspruch sei „unmittelbarer Ausfluss der das privatrechtliche Eigentum überlagernden öffentlichrechtlichen Widmung“21

Die Berufung der Beklagten vor dem OVG Münster hatte jedoch Erfolg. Das OVG Münster nahm mit Urteil vom 25.2.199322 an, dass es keine Rechtssätze gebe, aus denen sich ein Anspruch auf Herausgabe gutgläubig erworbener öffentlicher Sachen im Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch ergibt. Das öffentliche Sachenrecht könne den vom Kläger erhobenen Herausgabeanspruch nicht rechtfertigen.23 Wegen Art. 14 GG und des Auftrags an die Gesetzgebung, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage, die nicht ersichtlich sei.24 Ferner blieben schutzwürdige Belange des ← 4 | 5 → gutgläubigen Erwerbers unberücksichtigt.25 Im Übrigen führe das Zivilrecht zu sachgerechten Ergebnissen.26

Eine Revision wurde nicht zugelassen, eine erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.27

IV.  Herausgabe einer ersessenen öffentlichen Sache (Rheinsteinbögen)

Die Klägerin, die aus der früheren Reichsdruckerei hervorgegangen ist, begehrte von der Beklagten die Herausgabe von zwei ungummierten Druckbögen von 10 mal 5 Briefmarken mit jeweils dem Aufdruck „eine Reichsmark“ und dem Motiv „Burg Rheinstein“. Durch einen Versteigerungsaufruf aufmerksam geworden erwirkte sie eine einstweilige Verfügung, durch der das Auktionshaus die Versteigerung untersagt worden war, und forderte die Beklagte im Januar 1992 erfolglos zur Herausgabe der Marken auf. Mit vor dem VG Berlin im Mai 1992 erhobener Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter.28 Das VG Berlin hielt die allgemeine Leistungsklage auf Herausgabe für unbegründet. Die Beklagte sei durch Ersitzung Eigentümerin der streitbefangenen Bögen geworden und sei zudem gutgläubig gewesen. Auch hindere ein etwaiges Abhandenkommen im Sinne von § 935 Abs. 1 BGB einen Eigentumserwerb durch Ersitzung nicht.29 ← 5 | 6 →

Es könne dahinstehen, ob ein gutgläubiger Eigentumserwerb zum Untergang der Widmung führe oder ob die Widmung weiterhin auf die Sache laste und auf den gutgläubigen Rechtsnachfolger übergehe. Für den geltend gemachten Herausgabeanspruch fehle ein Rechtssatz, der einer Widmung zur öffentlichen Sache die in Rede stehende Rechtsfolge beimesse.30

V.  Duldungsverpflichtung des Eigentümers hinsichtlich der Nutzung einer res sacra

Die Klägerin, eine evangelische Kirchengemeinde, begehrte von den Beklagten, ein in deren Eigentum stehendes Kirchengebäude für Gottesdienste nutzen zu können (Klosterzimmern-Fall).31 Die Beklagten haben das Gut Klosterzimmern im Jahre 2000 erworben und bewohnen das Anwesen mit rund 80 weiteren Anhängern ihrer religiösen Bewegung. In der Zeit vor dem Eigentümerwechsel wurde der Kirchengemeinde seit den 1960er Jahren eine Nutzung im Umfang von sechs bis acht Gottesdiensten jährlich erlaubt. Die Beklagten widersetzten sich nach deren Eigentumserwerb der weiteren Benutzung der Kirche durch die Klägerin.32

Das Nutzungsrecht an dem Kirchengebäude zugunsten der Glaubensgemeinschaft wurde mit der Eigenschaft als res sacra begründet.33 Der Eigentümer habe die kirchliche Zweckbestimmung zu dulden, da die Eigenschaft als res sacra zu einer Überlagerung der zivilrechtlichen Verhältnisse führe und der Kirchengemeinde ein Recht zum Besitz gebe.34 Halte man für eine fortgeltende Widmung einer Sache eine gesetzliche Grundlage für erforderlich, wird diese in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV gesehen.35 Die Beklagten machten im Wege der Widerklage einen Anspruch auf Entwidmung geltend. Das VG Augsburg ← 6 | 7 → erachtete diese als unbegründet, da kein Anspruch auf Entwidmung bestehe. Ein Anspruch auf Entwidmung könnte nach dem allgemeingültigen Grundsatz der „clausula rebus sic stantibus“ bestehen, da die Zustimmung zur Widmung entfallen sei.36 Es erfolgt ein Abwägung zwischen Art. 14 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV37 und Art. 138 Abs. 2 WRV38 im Rahmen praktischer Konkordanz39. Das VG Augsburg kommt zu dem Ergebnis, dass die res sacra in dem Umfang weiter genutzt werden dürfe, wie dies vor dem Eigentumswechsel der Fall war.40 Die Interessen der Eigentümer müssten auch deshalb zurücktreten, da sie das Eigentum am Kirchengebäude von vornherein mit der Eigenschaft als „res sacra“ belastet erworben hätten.41

VI.  Herausgabe von Aktenbeständen bei Besitzstörung

Eine Gemeinde ließ ein Grundstück versteigern, das mit einem früher als Kindergarten genutztem Gebäude bebaut war. Im Keller des Gebäudes wurde ein umfangreicher Aktenbestand aufbewahrt.42 Nach der Versteigerung forderte der Datenschutzbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern die Gemeinde dazu auf, „die Sache zu klären“, da der Aktenbestand (15–20 Aktenordner)43 personenbezogene Daten beinhaltete, die sich nun beim Antragsgegner befänden (Aktenfall).44

Für das OVG Greifswald sind auf den Aktenbestand die Grundsätze der Sachen im Verwaltungsgebrauch anwendbar.45 Unabhängig davon, ob die Akten nun öffentliche Sachen seien, bestehe an diesen durch das Entstehen der Akten und deren Verwendung für die öffentliche Verwaltung eine öffentlich-rechtliche ← 7 | 8 → Sonderbeziehung kraft Natur der Sache. Diese speziell öffentlich-rechtliche Zuordnung zum Träger der öffentlichen Verwaltung bestehe auch bei bereits abgeschlossenen Verwaltungsvorgängen weiter.46 Aus der öffentlich-rechtlichen Zuordnung ergebe sich eine Aufbewahrungspflicht für den Träger der öffentlichen Verwaltung, die in eine Pflicht zur Aktenvernichtung münde, wenn diese nicht wieder gebraucht werden.47 In der Begründung, dass auch die Zwangsversteigerung an dieser öffentlich-rechtlichen Sonderzuordnung nichts ändere, tauchen dann wieder Argumente des traditionellen Verständnisses des öffentlichen Sachenrechts auf.48

VII.  Zusammenfassung der Rechtsprechungsentwicklung

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass verschiedene Instrumente zur Widmungssicherung in Betracht kommen. Der öffentliche Sachzweck kann durch Ausschluss öffentlicher Sachen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gesichert werden. Ferner kann bei Herausgabebegehren Dritter ein Recht zum Besitz zugunsten des öffentlichen Sachherrn den widmungsgemäßen Gebrauch der öffentlichen Sache sichern. Zu diesem Zweck können dem öffentlichen Sachherrn auch Störungsbeseitigungsansprüche wie ein Herausgabeanspruch, ein Abwehr- sowie gegebenenfalls ein Unterlassungsanspruch zustehen. Diese Instrumente dienen dazu, dass die öffentliche Sache weiterhin entsprechend ihres Widmungszwecks genutzt werden kann. Die Möglichkeiten des öffentlichen Sachherrn zur Widmungssicherung nach öffentlichem (Sachen-)Recht werden aber nicht gleichermaßen anerkannt.

Für das Reichsgericht ist eine öffentliche Sache deshalb keiner Zwangsvollstreckung zugänglich, da sie ihrer staatlichen Aufgabe nicht entzogen werden dürfe. Allein aufgrund des öffentlichen Sachstatus war die öffentliche Sache keiner Zwangsvollstreckung zugänglich. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte im Rathausfall zumindest für Sachen im Verwaltungsgebrauch kein Recht zum Besitz zugunsten des öffentlichen Sachherrn nach öffentlichem Sachenrecht an. Auch das OVG Münster im Stadtsiegelfall und das VG Berlin im Rheinsteinbogenfall sprachen dem öffentlichen Sachherrn jeweils keinen Herausgabeanspruch nach öffentlichem Sachenrecht gegen den Eigentümern der jeweiligen (öffentlichen) Sache zu, um diese wieder ihrem Widmungszweck zuführen zu können. ← 8 | 9 →

Einen solchen öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruch erkannten jedoch das VG Köln im Stadtsiegelfall sowie das OVG Greifswald im Aktenfall an. Die Begründung des VG Köln ist dabei dogmatischer, die Argumente des OVG Greifswald für einen öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruch sind eher pragmatischer Natur.

Im Klosterzimmern-Fall zog das VG Augsburg im Speziellen für die res sacrae sowohl das öffentliche Sachenrecht als auch Verfassungsrecht zur Sicherung der widmungsgemäßen Nutzung heran.

B.  Weitere Untersuchung hinsichtlich Sicherungsinstrumenten im Recht der öffentlichen Sachen

Im nächsten Schritt wird das traditionelle Verständnis des Rechts der öffentlichen Sachen aufgezeigt, was also öffentliche Sachen sind, zwischen welchen öffentlichen Sachen differenziert wird, wie sie entstehen sowie welche Rechtsfolgen das Entstehen einer öffentlichen Sache mit sich bringt.

Es wird daraufhin untersucht, welche Sicherungsinstrumente sich für den öffentlichen Sachherrn für welche öffentliche Sache zur Widmungssicherung ergeben. Zunächst werden die gesetzlich geregelten Materien öffentlicher Sachen analysiert, ob also das einfache Gesetzesrecht in diesen Sondermaterien Befugnisse für den öffentlichen Sachherrn bereithält, den widmungsgemäßen Gebrauch der Sache bei Störungen aufrecht zu erhalten. Die dort womöglich zur Verfügung stehenden Sicherungsinstrumente werden grundsätzlich losgelöst von der Frage einer etwaigen Dinglichkeit der Widmungswirkung behandelt.49

Anschließend wird geprüft, ob im Sinne des traditionellen Verständnisses des Rechts der öffentlichen Sachen Sicherungsinstrumente schlicht aus den Widmungsfolgen hergeleitet werden dürfen, wie es für nicht sondergesetzlich geregelte öffentliche Sachen angenommen wird. Diese werden auf Rechtskonformität überprüft: Dürfen Sicherungsinstrumente für den öffentlichen Sachherrn zur Gewährleistung oder Aufrechterhaltung des widmungsgemäßen Gebrauchs in nicht gesetzlich geregelten Bereichen des Rechts der öffentlichen Sachen aus der Widmung selbst resultieren?

Schließlich werden auch die res sacrae, die als Spezialmaterie der traditionell anerkannten öffentlichen Sachen gelten, auf die Existenz von Sicherungsinstrumenten untersucht. ← 9 | 10 →


1 Siehe Axer, Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen.

2 Das ist diejenige Behörde, der durch die Widmung eine Verfügungsgewalt über die Sache zusteht.

3 So noch Schallenberg, Die Widmung, S. 96; ähnlich Stürner, Privatrechtliche Gestaltungsformen bei der Verwaltung öffentlicher Sachen, S. 9.

4 NJW 1993, 2635 ff.

5 NordÖR 2008, 456 f.

6 Dazu mehr im 3. Kapitel.

7 Siehe für das weitere Vorbringen RGZ 72, 347 ff.

8 RGZ 72, 347, 348, 352.

Details

Seiten
XX, 231
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653064247
ISBN (ePUB)
9783653952636
ISBN (MOBI)
9783653952629
ISBN (Paperback)
9783631671160
DOI
10.3726/978-3-653-06424-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Hamburger Stadtsiegelfall Widmungsfolgen res sacrae Straßenrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XX, 231 S.

Biographische Angaben

Christian Kessen (Autor:in)

Christian Kessen schloss das Studium der Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ab und war dort anschließend als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kommunalwissenschaftlichen Institut tätig.

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Titel: Die Sicherung der Widmung öffentlicher Sachen
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