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Zur Notwendigkeit eines arbeitsrechtlichen und haftungsrechtlichen Whistleblowerschutzes

von Evelyn Kozak (Autor:in)
©2016 Dissertation 273 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht die Offenbarung von Rechtsverstößen im Unternehmen durch Whistleblower. Die Bedeutung von Whistleblowern – auch Hinweisgeber genannt – wird für die Durchsetzung des Rechts immer größer. Dabei haben diese Whistleblower häufig mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Aufgrund der gesetzlichen Unsicherheitslage fehlt es bis dato an hinreichendem Schutz. Die Autorin versucht, Lösungsansätze zu liefern und stellt abschließend einen Entwurf eines Whistleblowerschutzgesetzes vor. Sie geht dabei auf den arbeitsrechtlichen, den strafrechtlichen/ordnungswidrigkeitenrechtlichen und den haftungsrechtlichen Schutz ein.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil 1: Einleitung
  • A. Hintergründe
  • B. Begriff und Bedeutung des Whistleblowings
  • I. Erscheinungsformen des Whistleblowings
  • II. Whistleblowing im öffentlichen Sektor
  • C. Motive des Whistleblowers und ihre Relevanz
  • I. Motive des Whistleblowers
  • II. Relevanz der Motive
  • D. Problemaufriss und Gegenstand der Untersuchung
  • Teil 2: Der kartellrechtliche Kronzeuge als Whistleblower
  • A. Historische und rechtliche Einordnung
  • B. Inhalt und Wesen eines Kronzeugenprogramms
  • I. Repression und Prävention
  • II. Public und Private Enforcement
  • C. Die Besonderheit des an der Tat beteiligten Whistleblowers
  • I. Die Interessen des an der Tat beteiligten Whistleblowers
  • II. Das Unternehmen als „Whistleblower“
  • D. Vergleichbare Bonusregelung in anderen Rechtsgebieten
  • Teil 3: Aktivismus gegen den Gesetzesverstoß
  • A. Whistleblowing im Bereich Gesundheit
  • I. Beispielsfall: Der Fall Strecker
  • II. Besonderes Interesse
  • B. Whistleblowing im Bereich Umweltschutz/Naturschutz
  • I. Beispielsfall: Der Fall Moormann
  • II. Exkurs: Störfälle in Hochrisikoanlagen
  • III. Besonderes Interesse
  • C. Whistleblowing im Bereich Steuern
  • I. Beispielsfall: Der Fall Schmenger/Wehrheim
  • II. Besonderes Interesse
  • D. Whistleblowing im Bereich Wettbewerb
  • I. Kartellstrafrecht im Allgemeinen
  • II. Beispielsfall: Das Bierkartell 2014
  • III. Besonderes Interesse
  • Teil 4: Der Schutz des Whistleblowers de lege lata
  • A. Arbeitsrechtlicher Schutz
  • I. Derzeitige Rechtslage – der unbeteiligte Whistleblower
  • 1. Das Kündigungsverbot
  • a. Offenbarungspflichten
  • b. Anzeige- und Beschwerderechte
  • 2. Sonderfall Druckkündigung
  • 3. Auflösungsantrag
  • 4. Das Benachteiligungsverbot
  • 5. Schadensersatzanspruch des Whistleblowers bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
  • 6. Beweislastumkehr
  • 7. Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers
  • a. Notwehr nach § 227 BGB?
  • b. Schadensersatz und Rechtsstaatsprinzip
  • 8. Fazit
  • II. Rechtslage beim an der Tat beteiligten Whistleblower
  • 1. Die Kündigung
  • 2. Schadensersatz gegenüber dem Arbeitgeber
  • 3. Fazit
  • III. Whistleblowerschutz durch den SOX?
  • 1. Whistleblowing in den USA
  • 2. Bedeutung für deutsche Unternehmen
  • IV. Rechtsprechung zur „Kündigung wegen einer Strafanzeige“ im Rahmen des Whistleblowings
  • 1. Bisherige Rechtsprechung
  • 2. Der Fall Heinisch vs. Bundesrepublik Deutschland
  • a. Sachverhalt
  • b. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte
  • aa. Arbeitsgericht Berlin
  • bb. Landesarbeitsgericht Berlin
  • cc. Bundesarbeitsgericht/Bundesverfassungsgericht
  • c. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • aa. Die Bedeutung der EMRK und der Entscheidungen des EGMR im deutschen Recht
  • bb. Wesentliche Eckpunkte der Heinisch-Entscheidung
  • (1) Das öffentliche Interesse an der Information
  • (2) Andere Möglichkeiten der Aufdeckung
  • (3) Wahrheit der offengelegten Informationen
  • (4) Die subjektive Vermutung – „guter Glaube“
  • (5) Leichtfertigkeit der Anzeige
  • cc. Die Bindungswirkung der Entscheidung
  • dd. Fazit
  • 3. Whistleblowing gegenüber sonstigen Dritten
  • B. Strafrechtlicher und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Schutz
  • I. Schutz des Whistleblowers als Tatunbeteiligter
  • 1. Strafbarkeit nach dem StGB
  • 2. Strafbarkeit nach dem UWG
  • 3. Die Rechtfertigung nach § 34 StGB
  • a. Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut
  • b. Gegenwärtigkeit
  • c. Nicht anders abwendbar
  • d. Interessenabwägung
  • aa. Einzelne Rechtsgüter – Erhaltungsrechtsgüter –
  • bb. Einzelne Rechtsgüter – Eingriffsrechtsgüter –
  • cc. Rangverhältnis
  • dd. Grad der drohenden Gefahren
  • ee. Bewertung
  • e. Subjektives Rechtfertigungselement
  • f. Gesamtresümee
  • II. Schutz des Whistleblowers als Tatbeteiligter
  • 1. Strafbarkeit nach dem StGB
  • 2. Schutz durch das StGB
  • a. Der Rücktritt
  • b. Die tätige Reue
  • 3. Ahndung nach dem OWiG
  • 4. Ordnungswidrigkeitenrechtlicher Schutz
  • a. Allgemeines Ordnungswidrigkeitenrecht
  • b. § 81 Abs. 7 GWB und die Bonusregelung
  • C. Haftungsrechtlicher Schutz gegenüber Ansprüchen Dritter
  • I. Schutz vor zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen gegen den an der Tat unbeteiligten Whistleblower
  • II. Schutz vor zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen gegen den an der Tat beteiligten Whistleblower
  • 1. Ansprüche des Dritten gegen den beteiligten Whistleblower
  • 2. Tätige Reue im Zivilrecht?
  • 3. Ansprüche des Dritten gegen den am Kartell beteiligten Whistleblower
  • a. Grundlage kartellrechtlicher Schadensersatzklagen
  • b. Änderungen nach der 8. GWB-Novelle vom 26. Juni 2013
  • aa. Verwaltungsverfahren
  • bb. Bußgeldrecht
  • cc. Akteneinsichtsrecht
  • (1) Entwurf eines § 81 b GWB
  • (2) Fehlgeschlagene Implementierung
  • dd. Anonymes Hinweisgebersystem
  • 4. Schutz des kartellrechtlichen Whistleblowers durch Begrenzung des Akteneinsichtsrechts
  • a. Das Akteneinsichtsrecht im Rahmen von Kronzeugenverfahren
  • aa. Zugriff auf Dokumente im Besitz des Bundeskartellamtes
  • bb. Akteneinsicht durch Auskunftsersuchen der Gerichte
  • cc. Exkurs: Datenübermittlung
  • dd. Zugriff auf Dokumente im Besitz des Kronzeugen
  • b. Weißbuch der Europäischen Kommission „Schadensersatzklagen wegen der Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“
  • aa. Prinzipien und Ziele des Weißbuches
  • bb. Vorgeschlagene Maßnahmen und rechtspolitische Optionen
  • (1) Klagebefugnis
  • (2) Zugang zu Beweismitteln
  • (3) Verhältnis zwischen Kronzeugenprogrammen und Schadensersatzklagen
  • cc. Umsetzung des Weißbuches
  • c. Der Fall Pfleiderer
  • aa. Die Entscheidung des Bundeskartellamtes
  • bb. Die Entscheidung des EuGH
  • cc. Der Beschluss des AG Bonn
  • dd. Rechtliche Würdigung
  • d. Der Fall Kaffeeröster
  • aa. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
  • bb. Rechtliche Würdigung
  • e. Der Fall Donau Chemie – Modifikation der Pfleiderer-Entscheidung?
  • aa. Die Entscheidung des EuGH
  • bb. Rechtliche Würdigung
  • cc. Folgerungen für das nationale Recht
  • f. Grenzüberschreitende Kartelle und die Transparenzverordnung
  • aa. Die Transparenzverordnung
  • (1) Anwendbarkeit
  • (2) Anwendungsbereich
  • bb. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichts
  • (1) Schutz der geschäftlichen Interessen
  • (2) Schutz des Wettbewerbsverfahrens
  • (3) Schlussfolgerung
  • cc. Die Entscheidung des EuGH
  • dd. Ausblick
  • 5. Europäische Richtlinie zu Schadensersatzklagen im Kartellrecht
  • a. Erwägungsgründe und Regelungsgegenstände
  • aa. Recht auf vollständigen Schadensersatz (Art. 3 RL)
  • bb. Offenlegung von Beweismitteln (Art. 5–7 RL)
  • (1) Offenlegung von Beweismitteln (Art. 5 RL)
  • (2) Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind (Art. 6 RL)
  • (3) Beschränkungen für die Verwendung von allein durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangten Beweismittel (Art. 7 RL)
  • cc. Gesamtschuldnerische Haftung (Art. 11 RL)
  • dd. Wirkung von Vergleichen auf anschließende Schadensersatzklagen (Art. 19 RL)
  • b. Rechtliche Würdigung
  • 6. Gesamtfazit
  • Teil 5: Der Schutz des Whistleblowers de lege ferenda
  • A. Arbeitsrechtlicher Schutz durch Kodifizierung eines Schutzgesetzes
  • I. Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes
  • 1. Hintergründe
  • 2. Der Entwurf
  • a. Überblick
  • b. Begründung
  • 3. Kritische Würdigung
  • 4. Ausblick
  • II. Entwurf eines Whistleblower-Schutzgesetzes
  • 1. Der Entwurf 2012
  • a. Regelungsgegenstände
  • b. Rechtliche Würdigung
  • 2. Der Entwurf 2014
  • a. Regelungsgegenstände
  • b. Rechtliche Würdigung
  • 3. Gesamtresümee
  • III. „Guidelines on Whistleblowing“ – Europäische Kommission 2012
  • 1. Die Leitlinien im Überblick
  • 2. Würdigung
  • IV. “Recommendation on Protecting Whistleblowers” – Europarat 2014
  • 1. Die Empfehlung im Überblick
  • 2. Würdigung
  • V. Richtlinienentwurf zum Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen
  • VI. Schutz durch Implementierung eines Compliance-Systems?
  • 1. Bedeutung im Arbeitsrecht
  • 2. Rechtspflicht zur Einführung eines Compliance-Systems
  • 3. Würdigung
  • B. Strafrechtlicher und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Schutz durch Strafmilderung
  • C. Zivilrechtlicher Schutz durch Haftungsbegrenzung
  • I. Schutz des beteiligten Whistleblowers gegenüber Ansprüchen geschädigter Dritter
  • II. Schutz des am Kartell beteiligten Whistleblowers gegenüber Ansprüchen geschädigter Dritter
  • 1. Gesetzliche Regelung zur Vorwegnahme des Abwägungsergebnisses oder der Abwägungskriterien
  • 2. Beschränkung von Kronzeugendokumenten
  • 3. Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung des Kronzeugen
  • a. Gesamtschuldnerische Haftung
  • b. Gesamtschuldnerausgleich von Kartellmitgliedern im Innenverhältnis
  • c. Sonderstellung des Kronzeugen im Außenverhältnis
  • 4. Schutz durch Compliance und Risikomanagement im Kartellrecht
  • a. Standpunkt der Kommission
  • b. Exkurs: Berücksichtigung eines Compliance-Programms bei der Bußgeldbemessung
  • aa. Compliance-Anreizsystem
  • bb. Best Practice Compliance-Programm
  • c. Ausblick
  • III. Schutz durch Umsetzung der Europäischen Richtlinie zu Schadensersatzklagen im Kartellrecht
  • Teil 6: Bewertung und Ausblick
  • A. Zusammenfassung und Bewertung
  • B. Thesen
  • Literaturverzeichnis
  • Index

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Teil 1: Einleitung

A.   Hintergründe

Sowohl die Demokratie als auch der Rechtsstaat sind grundlegende Prinzipien, die die Ordnung und Einhaltung der Gesetze regeln, die der Gesetzgeber als Rechtsordnung vorgibt. Den Bürger trifft die Pflicht, sich gesetzeskonform zu verhalten und sein Handeln an der Rechtsordnung zu orientieren. Begeht er einen Gesetzesverstoß, muss er mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Auch Unternehmen haben sich an Recht und Gesetz zu halten. Die Einhaltung der durch die Rechtsordnung geschützten und verankerten Rechte der einzelnen Bürger gehört zum Pflichtenkanon eines jeden Unternehmens. Wird gegen Recht und Gesetz verstoßen, drohen dem Rechtsverletzer Strafen und Sanktionen.

Was aber gilt für die Personen, die diese Gesetzesverstöße entdecken und dagegen vorgehen wollen?

Darf es in einem demokratischen Rechtsstaat Regelungen geben, die denjenigen sanktionieren, der Rechtsverstöße im Unternehmen aufdeckt und offenbart?

Die Frage wird in letzter Zeit häufig gestellt und geht mit der Überlegung einher, dass es schwer begründbar ist, einen Bürger arbeitsrechtlichen, strafrechtlichen/ordnungswidrigkeitenrechtlichen und haftungsrechtlichen Sanktionen auszusetzen, obwohl er sich mit der Offenbarung in den Dienst der Rechtsordnung gestellt hat.

Schutzwürdig sollte in einem demokratischen Verfassungsstaat die unternehmerische Verhaltensweise nur sein, wenn das Unternehmensgeheimnis mit dem geltenden Recht im Einklang steht. Das Recht darf nicht das Unrecht schützen. Die derzeitige Realität sieht jedoch anders aus. Weil es der Gesetzgeber von Anfang an unterlassen hat, den von ihm in das einfache Gesetzesrecht eingeführten Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses zu definieren, muss er von Rechtsprechung und Literatur näher konkretisiert werden. Die Rechtsprechungspraxis, insbesondere zu Whistleblower-Aktivitäten, zeigt, dass ohne Bedenken davon ausgegangen wird, das berichtenswerte Verhalten – mithin das gesetzeswidrige Verhalten – falle unter den Geheimnisschutz und sei durch arbeitsrechtliche Vorschriften und Gepflogenheiten sowie von Art. 12 GG und § 17 UWG geschützt.

In der Presse ist häufig über schwerwiegende Fehlverhalten und grobe Missstände in Unternehmen oder Organisationen zu lesen. Der Berichterstattung kann entnommen werden, dass eine innerbetriebliche Behebung des Fehlverhaltens nicht erfolgversprechend war – meistens liegt das daran, dass der Arbeitgeber selbst in die (illegalen) Machenschaften involviert war oder ist. Viele fragen sich in diesen Fällen, wie es dazu kommen konnte, und vor allem, warum nicht schon früher jemand dagegen vorgegangen ist. Aber wer will handeln, wenn er mit arbeitsrechtlichen, strafrechtlichen oder sogar haftungsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss? Die ← 17 | 18 → Bekanntmachung von Missständen bzw. Gesetzesverstößen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses wird als Whistleblowing bezeichnet.

Ein Whistleblower, der Kartellrechtswidrigkeiten aufdeckt, wird Kronzeuge genannt. Ausgangspunkt dafür ist ein Kartellverstoß. Der Kronzeuge meldet maßgebliche Kartelle und Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht mit dem Ziel, einer Geldbuße der Wettbewerbsbehörden zu entkommen. Zudem bedient er sich Regelungen, die ihm Handlungsanweisungen vorgeben. Kronzeugenregelungen im Kartellrecht sind ein Werkzeug zur Ermittlung von Kartellen und zur Durchsetzung des Kartellverbots, wobei der Kronzeuge zur Erlangung der Straffreiheit bzw. Strafmilderung mit der Kartellbehörde „zusammenarbeiten“ und somit zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen muss. Die Besonderheit des Kronzeugen als Whistleblower ist, dass er oder zumindest sein Rechtsvorgänger im Unternehmen in das Geschehen involviert war und somit als Täter oder Mittäter zum Zeitpunkt der Tat zu qualifizieren ist. In dem Moment aber, in dem der Kronzeuge sich entschließt, das gesetzeswidrige Verhalten für sich zu beenden und offenzulegen, steht er in keiner rechtlich missbilligten Beziehung mehr zu den Missständen im Unternehmen.

Sowohl dem zunächst involvierten Whistleblower als auch dem unbeteiligten Whistleblower ist gemein, dass sie über besondere Informationen verfügen und bei Veröffentlichung dieser Betriebsinterna mit Repressalien rechnen müssen.

In letzter Zeit wird der Ruf nach rechtlichem Schutz für diese Personen lauter. Demjenigen, der ein Verhalten beenden will, dass gegen geltende Gesetze verstößt, um den Einklang der Rechtsordnung wiederherzustellen, sollte Immunität oder zumindest Amnestie zukommen.

B.   Begriff und Bedeutung des Whistleblowings

Eine einheitliche, allgemein anerkannte Definition des Begriffs Whistleblowing hat sich im deutschen Rechtsraum bis jetzt nicht durchgesetzt. In vielen wissenschaftlichen Schriften wird aber folgende Definition bevorzugt: So spricht man häufig dann von Whistleblowing, wenn ein ehemaliges oder aktuelles Mitglied einer Organisation Kenntnis von illegalen, unmoralischen oder illegitimen Verhaltensweisen hat, die im Verantwortungsbereich der „Organisationsführung“ liegen, und dieses Fehlverhalten (mangels Möglichkeit, es selbst zu beheben) gegenüber Personen oder Organisationen aufdeckt, die Handlungsmöglichkeiten besitzen.1 Im weitesten Sinne sind darunter auch kritische Äußerungen, Beschwerden oder Anzeigen von abhängig Beschäftigten über Missstände oder Fehlverhalten in ihrem Unternehmen bzw. ← 18 | 19 → gegenüber der zuständigen Behörde, staatlichen Stellen, der Presse oder sonstigen Dritten zu verstehen.2 Der Begriff hat seinen Ursprung im angloamerikanischen Rechtskreis und leitet sich aus dem englischen “to blow the whistle on somebody“ ab.3 Dies bedeutet so viel wie „etwas enthüllen“, „jemanden verpfeifen“ oder „über jemanden auspacken“.4

Von dieser Definition sind jedoch moralische Verhaltensweisen auszunehmen. Zwar ist ein unmoralisches Verhalten in gewissen Branchen sehr bedenklich, jedoch würde dessen Einbeziehung den Handlungsbereich des Whistleblowers zu sehr ausweiten. Whistleblower sind Diener der Rechtsordnung und keine Moral- oder Sittenwächter. Sie stellen sich in den objektiven Dienst der Rechtsordnung und sehen sich in der Pflicht, rechtswidrige Verhaltensweisen anzuzeigen (intern oder extern) und zukünftiges rechtswidriges Verhalten zu unterbinden. Ein Whistleblower ist somit jede Person, die zum Wohle der Allgemeinheit Rechtsverstöße bzw. rechtswidrige Verhaltensweisen (Missstände), die im Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung liegen, aufdeckt und öffentlich macht. Um das positive Element verstärkt zum Ausdruck zu bringen, wird im deutschen Rechtsraum diese Person auch als Hinweisgeber qualifiziert.

Whistleblower dringen auf Abhilfe und verweigern unter Umständen auch ihre weitere Mitwirkung an der kritisierten Praxis. Haben sie damit keinen Erfolg, tragen sie gegebenenfalls ihre Kritik nach außen in die Öffentlichkeit.

Anlässlich der Verleihung des ersten Whistleblower-Preises5 im Jahre 1999 an den russischen Ex-Marine-Kapitän und Wissenschaftler Alexander Nikitin aus St. Petersburg sagte der damalige Richter am Bundesverfassungsgericht Dr. Jürgen Kühling6:

Auch das gesellschaftliche Umfeld des ‚Whistleblowers‘ ist gewöhnlich nicht auf seiner Seite. Sein Verhalten wird als Verrat eingestuft, gilt als illoyal. Ein tief verwurzeltes Ethos der Gefolgschaftstreue überlagert die Grundsätze einer aufgeklärten Ethik, die sein Verhalten gutheißt. Zustimmung erfährt er, wenn überhaupt, gewöhnlich von weither. Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt – das ist das gewöhnliche Schicksal dessen, der sich im Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt.“

Je nach Standpunkt des Betrachters mag man derartige Anzeigen als „Denunziantentum“ ablehnen oder als Ausdruck von Verantwortungsgefühl preisen. In den USA ← 19 | 20 → (und in vielen anderen Common Law-Staaten) sind Whistleblower gesellschaftlich allgemein anerkannt und werden rechtlich geschützt.7 Aber auch in Deutschland ist dieses Thema zunehmend aktuell und Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Im Übrigen existieren private Stiftungen und Einrichtungen, die solch ein von Zivilcourage getragenes Verhalten mit Preisen ehren.8 Diese Sichtweise beruht auf der Erkenntnis, dass sich mangelnde Sicherheitsvorkehrungen oder finanzielle Missstände – um nur einige Problemfelder zu nennen – durch den Whistleblower am ehesten aufdecken lassen, da er als „Insider” über die entsprechenden Kenntnisse verfügt.9

I.   Erscheinungsformen des Whistleblowings

Anders als in den USA, in denen der Begriff Whistleblowing durch gesetzliche Bestimmungen, insbesondere den Whistleblower Protection Act,10 den Sarbanes-Oxley Act11 und den Dodd-Frank-Act12 geregelt wird,13 existieren im nationalen Recht bisher keine entsprechenden Bestimmungen, die sich mit der Materie des Whistleblowings auseinandersetzen.14 Meist fehlt bereits eine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen des Whistleblowings. Die Literatur unterscheidet zwischen externem und internem Whistleblowing, was erhebliche Auswirkungen auf den Schutz des Hinweisgebers hat.15 Denn je nachdem, welche der beiden Formen der Hinweisgeber nutzt, ergeben sich unterschiedliche Voraussetzungen und Folgen hinsichtlich eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des ← 20 | 21 → arbeitsrechtlichen Schutzes. Wendet sich der Arbeitnehmer an seinen Arbeitgeber, an eine betriebsinterne Beschwerdestelle oder an eine dafür ausdrücklich eingerichtete Whistleblower-Hotline,16 handelt es sich um internes Whistleblowing.17 Hierdurch wird Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, diskret und vertraulich Fehlverhalten zu melden und dadurch innerbetrieblich Abhilfemaßnahmen zu erreichen. Auf der anderen Seite erhält der Arbeitgeber durch einen intern offengelegten Hinweis die Chance, die Angelegenheit schneller, kostengünstiger und ohne Aufsehen der Öffentlichkeit zu korrigieren.18 Hilfreich ist daher der Verweis an einen Compliance-Beauftragten,19 aber auch eine Telefonschaltung zu einem externen Rechtsanwalt mag sich anbieten, wenn anzunehmen ist, dass Hinweisgeber diesem wegen dessen beruflicher Verschwiegenheitsverpflichtung mehr Vertrauen entgegenbringen.20 Logischerweise setzt dies jedoch ein integriertes und funktionierendes Compliance-System im Unternehmen und vor allem die gute Organisation und Durchführung eines solchen Systems durch einen Compliance-Beauftragten voraus.21

Wird im Unternehmen nicht oder nicht in angemessener Form auf das angezeigte Fehlverhalten reagiert oder sind die Verantwortlichen nicht willens zu handeln, bleibt dem Whistleblower nur der externe Weg.

Von externem Whistleblowing spricht man, wenn sich der Hinweisgeber nach außen, das heißt an staatliche Behörden, Interessenverbände oder unmittelbar an die öffentliche Presse wendet.22 Oft wird darin der falsche Weg gesehen, weil durch die öffentliche Preisgabe die Schäden materieller und immaterieller Art (negative Schlagzeilen, Rufschädigung) für das Unternehmen unkalkulierbar sind und die Funktionsunfähigkeit des Betriebs droht.23 In diesen Fällen entwickelt sich ein Spannungsverhältnis zwischen Zivilcourage und Denunziantentum. Während Aufsichtsbehörden in der Regel eine Aufklärung unter Ausschluss der Öffentlichkeit anstreben, geht es der Presse vorrangig um die öffentliche Aufmerksamkeit. Deswegen wird der Gang an die Presse als Form des externen Whistleblowings am kritischsten gesehen. ← 21 | 22 →

II.   Whistleblowing im öffentlichen Sektor

Aufgrund des thematischen Zusammenhangs soll in gebotener Kürze die Rechtslage zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor aufgezeigt werden. Eine vertiefte Auseinandersetzung findet nicht statt, da für Whistleblowing von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ein anderer Maßstab anzuwenden ist. Grund dafür ist das besondere Vertrauensverhältnis. Dabei sind einige Pflichten, die dem Kern der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums angehören, besonders relevant: die allgemeine Treuepflicht, welche die Verfassungstreuepflicht, die Gehorsamspflicht sowie die Neutralitätspflicht beinhaltet, das Dienstweggebot, die Verschwiegenheitspflicht sowie die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten. Deshalb ist ein Vergleich mit einem Whistleblower in der Privatwirtschaft nicht angebracht.

Durch das Urteil des EGMR24 im Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch ist die Debatte über die Zulässigkeit von Whistleblowing außerhalb des rein privatwirtschaftlichen Bereiches angeheizt worden. Der Fall betraf die Kündigung einer Arbeitnehmerin, deren beklagter Arbeitgeber im Mehrheitsbesitz des Landes Berlin stand.

Im öffentlichen Sektor sind Angestellte des öffentlichen Dienstes und Beamte zu unterscheiden. Beide Bereiche sind solche des öffentlichen Dienstes, jedoch gelten unterschiedliche Gesetze und Maßstäbe.25 Für Angestellte des öffentlichen Dienstes ist die Verschwiegenheitspflicht in § 3 Abs. 1 TVöD/§ 3 Abs. 2 TV-L tarifvertraglich geregelt: Verschwiegenheit ist zu wahren über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung gesetzlich vorgesehen oder vom Arbeitgeber angeordnet worden ist. An die Verschwiegenheitspflicht eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind höhere Maßstäbe anzulegen als bei Beschäftigten der Privatwirtschaft; insbesondere sind die dem Staat zur Verfügung gestellten Daten und Erkenntnisse wegen des Datenschutzes zugunsten des Bürgers zu schützen.26 § 3 Abs. 2 TV-L statuiert sogar eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, was die besondere Bedeutung dieser Pflicht hervorhebt. Zwar besteht im privatrechtlichen Arbeitsrecht die Möglichkeit, eine (nachvertragliche) Verschwiegenheitspflicht vertraglich zu vereinbaren. Jedoch ist dann die Grenze des billigen Ermessens nach § 315 BGB zu beachten, sowie eventuell eine AGB-Prüfung vorzunehmen.

Für Beamte ergibt sich die Rechtslage aus dem Bundesbeamtengesetz oder dem Beamtenstatusgesetz. Beamte stehen aufgrund von Art. 33 Abs. 5 GG (hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums) in einem besonderen Pflichten- und Treueverhältnis, das ihnen wesentlich engere Grenzen im Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber ihrem Dienstherrn vorgibt, als dies bei den übrigen Arbeitnehmern der ← 22 | 23 → Fall ist.27 Hinsichtlich des Whistleblowings weisen bestimmte Regelungen auf besondere Dienstpflichten hin, z. B.:

  • öffentlich-rechtliches Treueverhältnis gem. § 4 BBG/§ 3 BeamtStG,
  • Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung gem. § 60 BBG/§ 33 BeamtStG,
  • achtungs- und vertrauensvolles Verhalten gem. § 61 BBG/§ 34 BeamtStG,
  • Einhaltung des Dienstweges gem. § 125 BBG/§ 36 BeamtStG und
  • die Verschwiegenheitspflicht gem. § 67 BBG/§ 37 BeamtStG.

Neben der gesetzlich begründeten Pflicht, Straftaten anzuzeigen (§ 138 StGB) und für den Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung einzutreten, sind § 67 Abs. 2 BBG bzw. § 37 Abs. 2 BeamtStG Spezialregelungen für die Offenlegung von Korruptionsdelikten durch Beamte. Zur Umsetzung von Art. 9 des Zivilrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 4. November 199928 wurde mit § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG bzw. § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG für externes Whistleblowing eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht geschaffen.29 Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gilt demnach nicht, wenn Beamte einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 bis 337 StGB gegenüber einer zuständigen Stelle anzeigen. Die Vorschriften legen nahe, dass dabei sowohl interne (zuständige oberste Behörde) als auch externe Instanzen (Strafverfolgungsbehörden) angerufen werden können. Der Beamte ist daher grundsätzlich frei in der Wahl der Hinweisstelle. Zudem ist seine Motivlage irrelevant, da in § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG bzw. § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG keine Gründe für die Offenlegung thematisiert werden.30 Damit ist der deutsche Gesetzgeber einen Schritt weiter gegangen als Art. 9 des Zivilrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption, der nur auf den in redlicher Absicht handelnden Beschäftigten abstellt.31

Eine weitere beamtenspezifische Regelung, die Bezüge zum Whistleblowing aufweist, ist das Remonstrationsverfahren nach § 63 Abs. 2 BBG bzw. § 36 Abs. 2 BeamtStG. Ausgangspunkt ist das Spannungsverhältnis, das dadurch entstehen kann, dass Beamte auf der einen Seite Anordnungen von Vorgesetzten ausführen müssen (Gehorsamspflicht) und auf der anderen Seite für die Rechtmäßigkeit ihrer ← 23 | 24 → dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung tragen. Das Remonstrationsverfahren sieht vor, dass Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Anordnungen gegenüber ihren Vorgesetzten geltend machen.32 Wird die Anordnung aufrechterhalten und hilft auch die nächsthöhere Stelle nicht ab, müssen Beamte diese trotzdem ausführen, sind aber von der eigenen Verantwortung befreit.33 Da bei einer Remonstration allerdings regelmäßig nichts „enthüllt” wird, sondern lediglich eine andere rechtliche Bewertung bekannter Tatsachen dargelegt werden darf, führt diese nicht zur gewünschten Offenlegung von rechtswidrigen Verhaltensweisen und Missständen. Ferner können Beamte lediglich gegen Anordnungen remonstrieren, die ihnen aufgetragen wurden. Somit können Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Handlungen der jeweiligen Behörde, die Kollegen oder Vorgesetzte betreffen, nicht mithilfe des Remonstrationsverfahrens vorgebracht werden.

Neben dem gesetzlichen Antrags- und Beschwerderecht nach § 17 Abs. 1 ArbSchG i. V. m. § 125 BBG und dem gesetzlich geregelten Anzeigerecht des § 17 Abs. 2 ArbSchG, dass für Angestellte aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses gilt, ergibt sich die Zulässigkeit von Whistleblowing aus den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften und deren Konkretisierungen durch die Rechtsprechung. Wie beim privatwirtschaftlichen Arbeitsrecht besteht der Grundkonflikt in den widerstreitenden Interessen von Dienstherr und Beamten. Insbesondere der Grundsatz des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG, aus dem die besondere Verschwiegenheitspflicht hergeleitet werden kann, genießt höchste Priorität und erschwert es einem Beamten, seine Grundrechte wahrzunehmen.34

Die Güterabwägung in Form der praktischen Konkordanz kann ergeben, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung zurücktreten muss. Die Rechtsprechung hat dabei als Maßstab zur Abwägung die aus dem Zivilrecht bekannte „Stufentheorie“ herangezogen, nach der interne Abhilfeversuche externen Meldungen vorgehen.35 Was den Hinweisgehalt angeht, können ebenfalls Vergleiche zum Arbeitsrecht in der Privatwirtschaft gezogen werden. Wissentliche Falschaussagen, Leichtfertigkeit im Falle schwerwiegender Anschuldigungen sowie haltlose Vorwürfe sind nicht geschützt und stellen einen Pflichtverstoß dar. Auch die Entscheidung des EGMR36 zum Fall Heinisch führt nicht zu einer Abweichung von den bisherigen, in der Rechtsprechung angelegten Grundsätzen.37 Besondere beamtenrechtliche Relevanz kommt dem expliziten Verweis auf das Urteil im Fall Guja/Moldawien38 zu, das sich erstmalig ← 24 | 25 → mit der Weitergabe von internen Informationen an die Medien durch einen Beamten auseinanderzusetzen hatte.39 Laut EGMR ist gerade bei Beamten (und Angestellten des öffentlichen Dienstes) die Loyalitäts- und Zurückhaltungspflicht besonders stark ausgeprägt.40 Daher haben sie grundsätzlich Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen zu prüfen und aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht zunächst den Vorgesetzten zu informieren.41 Nur wenn dies eindeutig zu keinem Erfolg führen kann, können sie sich an die Öffentlichkeit wenden, wobei stets zu prüfen ist, ob ihnen nicht doch ein milderes und gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um den Missstand zu beheben.

Für Angestellte des öffentlichen Dienstes, deren Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht, sind tarifvertraglich keine Bestimmungen zum Schutz von Whistleblowing getroffen worden. Insofern ist in diesen Fällen ein Schutzdefizit zu verzeichnen.

Der beamtenrechtliche Schutz von Whistleblowern ergibt sich aus der Rechtsfolge der Ausnahmeregelung zur Verschwiegenheitspflicht. Denn mit einer zulässigen Anzeige nach § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG bzw. § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG begeht der Beamte kein Dienstvergehen. Die Anzeige darf kein Anlass für Disziplinar- oder Personalmaßnahmen sein.42 Zudem sieht Art. 9 des Zivilrechtsübereinkommens vor, dass Beschäftigte, die einen begründeten Korruptionsverdacht mitteilen, angemessen vor ungerechtfertigten Nachteilen geschützt werden sollen.43

Insgesamt ist festzuhalten, dass Whistleblowing im öffentlichen Sektor Rechtsprobleme und Interessenkollisionen aufweist, die im zivilrechtlichen Pendant ebenfalls bekannt sind, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden. Grundsätzlich hat jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst den internen Dienstweg zu durchlaufen. Nur für die Korruptionstatbestände nach §§ 331–337 StGB ist ein externes beamtenrechtliches Anzeigerecht vorgesehen. Dennoch bleiben in allen anderen Fällen praktische Unsicherheiten. Ein einheitliches Gesamtkonzept für das Whistleblowing fehlt.

Trotz gewisser Ähnlichkeiten zum privaten Sektor beschäftigt sich diese Arbeit nicht weiter mit Angehörigen des öffentlichen Dienstes, da bei diesen Beschäftigten aufgrund der gesteigerten Treuepflicht die rechtspolitische Problematik anders beurteilt werden muss als bei Arbeitnehmern aus der Privatwirtschaft. ← 25 | 26 →

C.   Motive des Whistleblowers und ihre Relevanz

“Our lives begin to end the day we become silent about things that matter.” (Martin Luther King)

Personen, die nicht wegschauen, sondern genau hinsehen und notfalls auch laut darüber reden, opfern sich selbstlos zum Nutzen einer bedeutenden Sache auf. Die einen verehren sie als „Heilige“ einer säkularen Kultur.44 Für andere handelt es sich um Verräter oder Profilneurotiker, die sich wichtigmachen und aufspielen: Whistleblower.

Der Preis, den Whistleblower zahlen müssen, ist meist sehr hoch: Sie werden als Lügner, geistig Verwirrte, inkompetente Wichtigtuer oder ähnlich herabwürdigend bezeichnet.45 Ein Bericht über eine US-amerikanische Studie zeigt, dass die Konsequenzen für Whistleblower dramatische Dimensionen erreichen können:46

90 Prozent verloren ihren Job oder wurden degradiert?

27 Prozent wurden juristisch verfolgt

27 Prozent brauchten psychiatrische oder medizinische Hilfe

17 Prozent verloren ihr Haus

15 Prozent ließen sich scheiden

Details

Seiten
273
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653067088
ISBN (ePUB)
9783653950656
ISBN (MOBI)
9783653950649
ISBN (Hardcover)
9783631672075
DOI
10.3726/978-3-653-06708-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Schlagworte
Kartellrechtliche Kronzeuge Rechtsordnung Kündigung Hinweisgeber
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 273 S.

Biographische Angaben

Evelyn Kozak (Autor:in)

Evelyn Kozak hat an der Freien Universität Berlin Rechtswissenschaft studiert. Sie war als studentische Mitarbeiterin am Institut für Energie- und Regulierungsrecht Berlin tätig.

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Titel: Zur Notwendigkeit eines arbeitsrechtlichen und haftungsrechtlichen Whistleblowerschutzes
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