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Kartellrechtscompliance in Wirtschaftsverbänden

von Christian Kiel (Autor:in)
©2016 Dissertation 295 Seiten

Zusammenfassung

Die kartellrechtlich schwierige Positionierung von Wirtschaftsverbänden ist offensichtlich: Einerseits sollen sie als Lobbygruppen die Interessen ihrer Mitglieder bündeln und fördern, was auch den intensiven Informationsaustausch zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen bedingt. Andererseits besteht hierbei jedoch die Gefahr von Verstößen gegen das Kartellverbot des § 1 GWB oder andere kartellrechtliche Vorschriften. Vor diesem Hintergrund untersucht der Autor die besonderen Herausforderungen an eine kartellrechtskonforme Tätigkeit von Wirtschaftsverbänden sowie die Möglichkeiten, durch ein funktionierendes Compliance-System Kartellrechtsverstöße zu verhindern. Hierfür entwickelt er praxisgerechte Lösungsvorschläge für die tägliche Verbandsarbeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Einführung
  • A. Problemaufriss
  • B. Gang der Untersuchung
  • 2. Kapitel: Der Wirtschaftsverband – Begriff, Erscheinungsformen, Aufgaben, rechtliche Grundlagen
  • A. Begriff, Erscheinungsformen und Aufgaben
  • B. Rechtliche Grundlagen
  • I. Öffentlich-rechtliche Grundlagen
  • II. Vereinsrechtliche Grundlagen
  • C. Zusammenfassung
  • 3. Kapitel: Compliance – Begriff, Ursprung und Funktionen
  • A. Begriff und Ursprung der Compliance sowie aktuelle Entwicklungen
  • I. Begriff der Compliance
  • II. Ursprung der Compliance in den USA und Deutschland
  • III. Aktuelle Entwicklungen
  • B. Compliance – Funktionen
  • C. Zusammenfassung
  • 4. Kapitel: Begriff der Kartellrechtscompliance und allgemeine Grundlagen des Kartellrechts
  • A. Begriff der Kartellrechtscompliance
  • B. Allgemeine Grundlagen des Kartellrechts
  • I. Begriff und Funktionen des Wettbewerbs
  • 1. Wettbewerbsbegriff
  • 2. Wettbewerbsfunktionen
  • II. Regelungsbereiche des Kartellrechts
  • 1. Das Kartellverbot
  • 2. Das Missbrauchsverbot
  • 3. Das Boykottverbot
  • 4. Kartellverfahrensrecht
  • C. Zusammenfassung
  • 5. Kapitel: Notwendigkeit kartellrechter Compliance in der Verbandsarbeit
  • A. Reform des Kartellverfahrensrechts
  • B. Ermittlungstätigkeit der Kartellbehörden und verstärkte Zusammenarbeit
  • C. Kronzeugenregelungen und Beschwerden
  • D. Haftungsrisiken für Wirtschaftsverbände
  • I. Bußgelder
  • 1. Bußgelder auf europäischer Ebene
  • a) Überblick über die Systematik der Bußgeldtatbestände in Art. 23 VO Nr. 1/2003
  • b) Haftung von Unternehmensvereinigungen nach Art. 23 Abs. 4 VO Nr. 1/2003
  • aa) Entstehungsgeschichte und Zielrichtung
  • bb) Abgestuftes Verfahren
  • c) Bemessung der Bußgeldhöhe und Nichtberücksichtigung von Kartellrechtscompliance-Programmen als bußgeldmildernder Umstand
  • d) Bußgeldpolitik der Europäischen Kommission
  • 2. Bußgelder in Deutschland
  • II. Behördliche Befugnisse zur Durchsetzung des Kartellrechts
  • III. Zwangsgelder
  • IV. Zivilrechtliche Sanktionen
  • 1. Zivilrechtliche Nichtigkeit
  • 2. Schadensersatz, Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
  • a) Schadensersatz
  • b) Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
  • c) Zwischenergebnis
  • V. Kommerzielle Risiken
  • 1. Opportunitätskosten
  • 2. Reputationsverluste
  • E. Haftungsrisiken für Verbandsleitung und Mitarbeiter
  • I. Bußgelder
  • 1. Keine Bußgelder gegen natürliche Personen auf europäischer Ebene
  • 2. Bußgelder gegen natürliche Personen nach deutschem Kartell- und Ordnungswidrigkeitenrecht
  • a) Unmittelbar Beteiligte
  • b) Andere Beteiligte
  • c) Aufsichtspflichtige Mitarbeiter gem. § 130 OWiG
  • II. Schadensersatzrisiko
  • 1. Innenhaftung von Leitungsorganen und Geschäftsführung
  • a) Bußgeldregress durch den Verband
  • aa) Organschaftliche Haftung
  • (1) Bestehen eines Schuldverhältnisses
  • (2) Pflichtverletzung
  • (3) Vertretenmüssen der Pflichtverletzung
  • (4) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
  • (5) Ausschluss des Bußgeldregresses gegen Verbandsorgane?
  • (a) Ablehnung des Regresses wegen auferlegter Bußgelder
  • (b) Kein Ausschluss der Organhaftung
  • (c) Stellungnahme
  • (6) Allgemeine Ausschlussgründe für eine (Regress-)Haftung, Haftungsmilderung und Haftungsbeschränkung
  • (a) Haftungsausschluss durch Entlastung
  • (b) Haftungsausschluss/Haftungsbeschränkung durch Verzicht oder Vergleich
  • (c) Haftungsbeschränkung wegen arbeitsrechtlicher Regelungen zur Gefahrverteilung
  • (d) Haftungsbeschränkung durch Satzung, Vereinsordnung oder Anstellungsvertrag
  • (e) Haftung nach § 31a BGB wegen Ehrenamtlichkeit
  • bb) Weitere Haftungsrisiken für handelnde Organmitglieder
  • b) Haftung wegen Schadensersatzansprüchen Dritter gegen den Verband
  • 2. Die persönliche Außenhaftung von Geschäftsleitern bei Kartellrechtsverstößen
  • a) Keine persönliche Außenhaftung nach § 33 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 GWB
  • b) Befürwortung einer persönlichen Außenhaftung
  • c) Stellungnahme
  • III. Strafrechtliches Risiko
  • 1. Deutschland
  • a) Straftaten gegen den Wettbewerb, §§ 298, 299 StGB
  • b) Betrug, § 263 StGB/Untreue, § 266 StGB
  • c) Bedürfnis nach einer Verschärfung des kartellrechtlichen Sanktionensystems?
  • aa) Befürwortung einer weitergehenden Kriminalisierung von Kartellen
  • bb) Ablehnung einer weitergehenden Kriminalisierung des Kartellrechts
  • cc) Stellungnahme
  • 2. Internationale Ebene
  • IV. Arbeitsrechtliches Risiko und Abberufung von Organen
  • F. Kartellrechtstypische Probleme in der Verbandsarbeit
  • I. Marktinformationsverfahren und Benchmarking
  • 1. Überblick
  • 2. Identifizierende und nichtidentifizierende Marktinformationsverfahren im deutschen Kartellrecht
  • a) Identifizierende Marktinformationsverfahren
  • b) Nichtidentifizierende Marktinformationsverfahren
  • c) Weitere Beurteilungskriterien
  • 3. Informationsaustauschsysteme im europäischen Kartellrecht
  • a) Europäische Kommission, Entsch. v. 17.2.1992 – UK Agricultural Tractor Registration Exchange
  • b) CEPI-Cartonboard
  • 4. Spezifische Marktinformationsverfahren
  • a) Preismeldeverfahren
  • b) Statistische Meldeverfahren
  • c) Angebotsmeldeverfahren, insbesondere Verfahren in der Bauwirtschaft
  • II. Lieferantenbewertungssysteme
  • III. Koordination von Marktgesprächen
  • 1. Zulässigkeit von Marktgesprächen
  • a) Konzertierungen im Sinne des Kartellverbots
  • b) Wettbewerbsbeschränkung
  • 2. Potentiell wettbewerbsbeschränkende Themen und Verhalten in Verbandssitzungen
  • 3. Verwaltungspraxis: Bundeskartellamt, Pressemitteilung v. 13.1.2014 – Bierbrauer
  • IV. Verbandsempfehlungen
  • 1. Überblick
  • 2. Fallgruppen
  • a) Preisempfehlungen
  • b) Kalkulationshilfen
  • c) Allgemeine Geschäftsbedingungen
  • d) Boykottverbot, § 21 Abs. 1 GWB
  • aa) Überblick
  • bb) Tatbestandsvoraussetzungen
  • (1) Beteiligte
  • (2) Boykotthandlung
  • (3) Absicht unbilliger Beeinträchtigung
  • cc) Rechtsfolgen
  • dd) Der Boykottaufruf in der deutschen Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis
  • (1) Kammergericht, Beschl. v. 23.3.1994 – Schnäppchenführer
  • (2) BKartA, Pressemitteilung v. 2.7.2009 – Boykottaufruf durch Apothekerverbände
  • V. Aufnahmezwang, § 20 Abs. 5 GWB
  • 1. Überblick
  • 2. Tatbestandsvoraussetzungen
  • a) Normadressaten
  • b) Aufnahmeverweigerung durch die Wirtschaftsvereinigung
  • c) Ungleichbehandlung
  • d) Sachliche Rechtfertigung
  • e) Benachteiligung im Wettbewerb
  • 3. Rechtsfolgen
  • 4. Rechtsprechungspraxis
  • a) BGH, Beschl. v. 13.11.1979 – Deutscher Landseer Club
  • b) BGH, Beschl. v. 1.12.1985 – Schwarzbuntzüchter
  • VI. Wettbewerbsregeln, § 24 GWB
  • 1. Überblick
  • 2. Begriff und Gegenstand der Wettbewerbsregeln
  • a) Lauterkeitswettbewerbsregeln
  • b) Leistungswettbewerbsregeln
  • 3. Aufstellungsbefugnis
  • 4. Anerkennungsverfahren
  • VII. Kooperation im Hinblick auf Normen und Standards
  • VIII. Messen
  • 1. Überblick
  • 2. Rechtsprechungpraxis: BGH, Beschl. v. 3.3.1969 – Sportartikelmesse
  • IX. Selbstverpflichtungen
  • X. Beratung von Mitgliedsunternehmen
  • XI. Lobbyarbeit
  • G. Zusammenfassung
  • 6. Kapitel: Verantwortung zu und praktische Umsetzung von Kartellrechtscompliance in Wirtschaftsverbänden
  • A. Verantwortung der Verbandsleitung zu Kartellrechtscompliance und ihre praktische Umsetzung
  • I. Rechtspflicht zu Kartellrechtscompliance für den Verbandsvorstand?
  • 1. Keine Rechtsgrundlage im Kartellrecht
  • 2. Ziff. 4.1.3 DCGK
  • 3. Gesamtanalogie öffentlich-rechtlicher Normen
  • 4. § 27 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 664 ff. BGB
  • a) Verankerung der Compliance-Verantwortung in den allgemeinen Sorgfaltspflichten des Verbandsvorstandes
  • aa) Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht
  • bb) Vereinsvermögenserhalt (Schadensabwendungspflicht)
  • b) Vereinsleiterermessen und Kartellrechtscompliance
  • aa) Vereinsleiterermessen durch entsprechende Anwendung § 93 Abs. 1 S. 2 AktG
  • bb) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene der Entschließung („ob“)
  • cc) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene der inhaltlichen Ausgestaltung der Compliance-Organisation („wie“)
  • c) Eingeschränkte Compliance-Verantwortung des gesetzlichen Verbandsvorstands
  • 5. § 130 OWiG
  • II. Rechtspflicht zur Kartellrechtscompliance für andere Verbandsorgane?
  • 1. Präsidium und Geschäftsführer
  • 2. Aufsichtsrat
  • 3. Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung
  • III. Umsetzung eines Kartellrechtscompliance-Programms im Verband (Compliance-Instrumente)
  • 1. Rechtliche Mindestanforderungen
  • 2. Analyse kartellrechtlicher Risikofelder („Risikoinventur“)
  • a) Überblick über den Verband und die Mitglieder
  • b) Sichtung und Analyse problematischer Dokumente
  • c) Einbeziehung der Mitarbeiter
  • d) Dokumentation des bisherigen Verlaufs
  • 3. „Mission Statement“ der Verbandsleitung
  • 4. Organisation der Kartellrechtscompliance
  • a) Einbindung der Entscheidungsträger
  • b) Zuweisung von Aufgaben und Verantwortlichkeit
  • c) Mitarbeiterhandbuch (sog. „Compliance Manual“)
  • aa) Überblick
  • bb) Verbandsinterne Richtlinien für das Verhalten der Mitarbeiter, insbesondere bei Verbandstreffen
  • d) Der Compliance-Officer
  • e) Mitarbeiterschulungen
  • f) Überwachungssysteme
  • aa) „Audits“
  • bb) „Whistleblowing“
  • g) Handeln bei Aufdeckung eines Kartellrechtsverstoßes
  • aa) Abstellen des Verstoßes
  • bb) Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden?
  • cc) Disziplinarische Maßnahmen
  • (1) Disziplinarische Maßnahmen gegenüber den Verbandsmitarbeitern
  • (2) Disziplinarische Maßnahmen gegenüber den Verbandsmitgliedern und deren Mitarbeitern
  • 5. Dokumentation
  • B. Verantwortung von Wirtschaftsverbänden zu Kartellrechtscompliance gegenüber ihren Untergliederungen und Mitgliedern
  • I. Mögliche Organisationformen von Wirtschaftsverbänden
  • 1. Vereinsverband
  • 2. Gesamtverein
  • 3. Bedeutende Unterschiede zwischen Gesamtverein und Vereinsverband
  • II. Verantwortung zu Kartellrechtscompliance im Gesamtverband
  • 1. Untergliederungen des Gesamtverbandes
  • a) Selbständige Untergliederungen (Zweigvereine)
  • b) Unselbständige Untergliederungen
  • 2. Verbandsdimensionale Verantwortung zu Kartellrechtscompliance im Gesamtverband und Instrumente der Verbands-Compliance
  • a) Verbandsdimensionale Compliance-Verantwortung eines Hauptverbandes gegenüber seinen selbständigen Untergliederungen (Zweigvereinen)
  • aa) Compliance-Verantwortung im aktienrechtlichen Konzern
  • (1) Rechtspflicht für die Geschäftsleiter von Konzernobergesellschaften zur Konzern-Compliance?
  • (a) Konzerndimensionale Compliance-Verantwortung im Eigeninteresse der Obergesellschaft
  • (b) Konzerndimensionale Compliance-Verantwortung in Erfüllung einer für die Obergesellschaft bestehenden Rechtspflicht?
  • (2) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene des Entschließung („ob“)
  • (3) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene der inhaltlichen Ausgestaltung der Compliance-Organisation („wie“)
  • bb) Anwendung der Grundsätze zur konzerndimensionalen Compliance-Verantwortung auf Gesamtverbände
  • (1) Verbandsdimensionalität der Compliance-Verantwortung
  • (2) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene der Entschließung („ob“)
  • (3) Geltung der Business Judgement Rule auf der Ebene der inhaltlichen Ausgestaltung der Compliance-Organisation („wie“)
  • cc) Instrumente der verbandsdimensionalen Compliance
  • (1) Beschränkte Weisungsrechte des Hauptverbandes gegenüber Zweigvereinen
  • (2) Auskunfts- bzw. Informationsrechte von Gesamtverbänden gegenüber Zweigvereinen
  • (3) Compliance-Officer
  • (4) Prüfungshandlungen durch die Verbands-Compliance
  • (5) Einheitliche Verbands-Compliance-Standards
  • b) Compliance-Verantwortung des Gesamtvereins gegenüber unselbständigen Untergliederungen
  • 3. Verantwortung des Gesamtverbandes zu Kartellrechtscompliance gegenüber seinen Mitgliedern
  • a) Keine Compliance-Verantwortung bei verbandsunabhängigen Aktivitäten der Mitglieder
  • b) „Doppelte“ Compliance-Verantwortung bei Verantwortungsüberschneidungen zwischen Verbands- und Mitgliedssphären
  • c) Verschiebung der Verantwortungsbereiche in Abhängigkeit von der Ebene der Aktivität
  • III. Verantwortung zu Kartellrechtscompliance im Vereinsverband
  • 1. Keine verbandsdimensionale Verantwortung zu Kartellrechtscompliance
  • 2. Verantwortung des Vereinsverbandes zu Kartellrechtscompliance gegenüber seinen Mitgliedern
  • C. Zusammenfassung
  • 7. Kapitel: Fazit
  • A. Die wichtigsten Ergebnisse in Thesenform
  • B. Ausblick
  • Literaturverzeichnis

← 20 | 21 →

Abkürzungsverzeichnis

← 24 | 25 →

1. Kapitel:  Einführung

A.  Problemaufriss

Verbänden im Allgemeinen und Wirtschaftsverbänden im Besonderen kommt als Bindeglied zwischen Gesellschaft und politisch-administrativen System seit jeher eine herausragende Bedeutung zu1. Wirtschaftsverbände „stehen im Zentrum vielseitiger Interessen“2 und zeichnen sich dadurch aus, dass sie die wirtschaftspolitischen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung hinreichend vertreten, was ihnen häufig den Vorwurf des „Lobbyismus“3 einbringt.4 Darüber hinaus erbringen sie für ihre Mitglieder Dienstleistungen5, z.B. in Form von Marktinformationsverfahren6, als Ausrichter von Messen7 oder durch die Koordination von Marktgesprächen8 zwischen Wettbewerbern im Rahmen von Ausschusssitzungen, Arbeitskreisen oder Arbeitsessen9. Dadurch können sie – so legitim und notwendig die Arbeit von Wirtschaftsverbänden auch ist – schnell in das Visier der Kartellbehörden geraten.10 Wie Unternehmen unterfallen auch Verbände dem Kartellrecht und werden kartellrechtlich unter den Begriff der „Unternehmensvereinigung“11 subsumiert (vgl. Art. 101 Abs. 1 AEUV/§ 1 GWB, §§ 20 Abs. 1, 2 und 5, 21 Abs. 1 bis 3 GWB)12. ← 25 | 26 → Damit haben sie bei ihrer Tätigkeit uneingeschränkt die Vorschriften des deutschen und des europäischen Kartellrechts zu beachten.13

Wurden in früheren – längst vergangenen Zeiten – Kartelle in Deutschland als Ausfluss der Gewerbefreiheit zumindest gebilligt, so sind sie seit Inkrafttreten des GWB am 1.1.1958 verboten. Seither verfolgen die Kartellbehörden auf nationaler sowie internationaler Ebene kartellrechtliche Zuwiderhandlungen rigoros. Dies wird durch eine Vielzahl deutscher und europäischer Bußgeldverfahren belegt, die nicht selten (auch) mit Verbänden im Zusammenhang stehen. So verhängte die Europäische Kommission in der Vergangenheit Geldbußen beispielsweise gegen den amerikanischen und finnischen Zellstoffverband14, gegen eine Großhandelsvereinigung15 oder gegen eine nationale Eurocheque-Gemeinschaft16,17 Diese und andere Fälle verdeutlichen, dass die Arbeit von Verbänden rechtliche, insbesondere kartellrechtliche Gefahren birgt. Dabei gilt, dass Verbände nicht als Deckmantel für Kartelle und damit für eine Umgehung kartellrechtlicher Vorschriften benutzt werden dürfen, um Wettbewerbsbeschränkungen herbeizuführen.18 Dazu kommt es vor allem bei Verbandstreffen, auf denen es des Öfteren zu einem kartellrechtswidrigen Meinungs- und Informationsaustausch der Mitglieder kommt.

Die legitime Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsverbänden und deren Mitgliedern wird durch Art. 101 Abs. 3 AEUV/§§ 2 f. GWB erleichtert. Darin ist geregelt, dass wettbewerbswidrige Absprachen i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen, von Gesetzes wegen nicht verboten sind. An die Stelle einer von der Europäischen Kommission grundsätzlich in jedem Einzelfall einzuholenden Freistellung vom Kartellverbot ist durch die Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts und der damit einhergegangenen Einführung der VO Nr. 1/2003 eine Behandlung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV als Legalausnahme (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1/2003), folglich als eine unmittelbar aus der Normgeltung abzuleitende gesetzlich fixierte Ausnahme vom Kartellverbot, getreten.19 Den Adressaten des Kartellverbots – und damit auch Wirtschaftsverbänden – obliegt es nunmehr selbst, ← 26 | 27 → ihre Handlungen regelmäßig auf die Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht zu prüfen.20 Des Weiteren wurde mit der angesprochenen Reformierung Art. 23 Abs. 4 VO Nr. 1/2003 eingeführt. Dieser ist vor allem für Verbandsmitglieder von besonderer Bedeutung, da er eine Ausfallhaftung dahingehend kodifiziert, dass diese zur Zahlung einer der Unternehmensvereinigung auferlegten Geldbuße verpflichtet sind, wenn die Unternehmensvereinigung selbst nicht zahlungsfähig ist. Mit anderen Worten: Nach Maßgabe des Art. 23 VO Nr. 1/2003 haften nicht nur Verbände für Kartellrechtsverstöße im Verband, sondern – im Wege der Ausfallhaftung nach Art. 23 Abs. 4 VO Nr. 1/2003 – auch ihre Mitglieder.21 Darüber hinaus hat die Frage der Schadensersatzpflicht durch die jüngst auf europäischer Ebene beschlossene EU-Richtlinie für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union22 sowohl für Unternehmen als auch für Verbände nochmals an Bedeutung gewonnen. So ist in Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie festgelegt, dass jeder, der einen durch eine Zuwiderhandlung eines Unternehmens oder einer Unternehmensvereinigung gegen das Wettwerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, das Recht, den vollständigen Ersatz dieses Schadens von diesem Unternehmen oder dieser Unternehmensvereinigung zu verlangen, wirksam geltend machen kann. Der Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst damit explizit auch Verbände und stellt diese vor zusätzliche Haftungsgefahren.23

Um kartellrechtliche Risiken zu minimieren und damit Verstöße gegen kartellrechtliche Regelungen zu vermeiden, wird mittlerweile auch im Vereinsrecht, „vor allem bei Wirtschaftsverbänden, der aus dem Bereich wirtschaftlicher Unternehmen schon länger bekannte Begriff der Compliance thematisiert“.24 Auslöser hierfür sind neben dem Verbandskartellrecht „auch andere Verbandsbereiche wie das Arbeitsrecht, das Datenschutzrecht, das Steuerrecht, der Umgang mit Geschenken und Einladungen, Interessenskonflikte und der Schutz von Unternehmensgeheimnissen usw., die nicht zu unterschätzende Haftungsrisiken für den Verband und dessen Mitgliedsunternehmen in sich bergen“.25 Bei Compliance geht es im Kern darum, durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung von Gesetzen und anderer, z.B. selbst gegebener Verhaltensregeln ← 27 | 28 → sicherzustellen.26 Das gestiegene Interesse an (Kartellrechts-)Compliance hat mittlerweile auch Wirtschaftsverbände dazu bewogen, ihren Mitarbeitern Richtlinien an die Hand zu geben, um sie insbesondere für den Umgang mit dem Kartellrecht zu sensibilisieren. So haben beispielsweise der Verband der Automobilindustrie e.V.27 und der Verband der Chemischen Industrie e.V.28 (kartellrechtliche) Leitfäden veröffentlicht und sich ausdrücklich zu Compliance bekannt. Compliance-Leitfäden sollen helfen, (Kartell-)Rechtsverstößen präventiv entgegenzuwirken, um drohende Haftungsrisiken wie Bußgelder oder Schadensersatzansprüche für Verbände selbst als auch deren Leitungsorgane und Mitarbeiter sowie für ihre Mitgliedsunternehmen zu vermeiden.

In der Literatur finden sich zum Thema kartellrechtlicher Compliance mittlerweile zwar eine Vielzahl von Handbüchern, Aufsätzen und Dissertationen, jedoch beschäftigen sich diese – wenn überhaupt – meist nur am Rande mit der speziellen Situation in Wirtschaftsverbänden. Ausgehend davon befasst sich die vorliegende Untersuchung konkret mit der Kartellrechtscompliance in Wirtschaftsverbänden29 und stellt dabei vor allem die Notwendigkeit kartellrechtlicher Compliance in der Verbandsarbeit, aber auch deren Grenzen in den Mittelpunkt. Des Weiteren werden als weitere, zentrale Punkte untersucht, ob die Leitung eines Wirtschaftsverbandes zur Einrichtung einer (umfassenden) Kartellrechtscompliance-Organisation im Verband verpflichtet ist, und ob eine Compliance-Verantwortung von Wirtschaftsverbänden gegenüber ihren Untergliederungen und ihren Mitgliedern besteht.

B.  Gang der Untersuchung

Im Einzelnen wird im Verlauf der Darstellung zunächst dem Begriff, den Erscheinungsformen, den Aufgaben sowie den rechtlichen Grundlagen von Wirtschaftsverbänden nachgegangen (2. Kapitel). Damit sollen die allgemeinen Grundlagen gelegt werden, die für das Verständnis der weiteren Kapitel notwendig sind.

Das dritte Kapitel widmet sich dem Begriff und den Grundlagen der Compliance. Neben der Darstellung der verschiedenen Definitionsansätze von Compliance werden sowohl ihre historische als auch ihre aktuelle Entwicklung sowie die Compliance-Funktionen in gebotener Kürze aufgezeigt.

Darauffolgend werden im 4. Kapitel neben einer Erklärung des Begriffs „Kartellrechtscompliance“ auch die allgemeinen Grundlagen des Kartellrechts dargestellt. Dabei wird auf die mit der Verbandsarbeit im Zusammenhang stehenden Vorschriften ← 28 | 29 → eingegangen werden, namentlich das Kartellverbot, das Missbrauchsverbot, das Boykottverbot sowie das Kartellverfahrensrecht.

Das 5. Kapitel bildet einen ersten Schwerpunkt der Arbeit und geht auf die Notwendigkeit kartellrechtlicher Compliance in der Verbandsarbeit ein. Dabei stehen die verbandstypischen kartellrechtlichen Probleme wie etwa Marktinformationsverfahren, die Koordination von Marktgesprächen, Verbandsempfehlungen, der Aufnahmezwang oder die (Rechts-)Beratung von Verbandsmitgliedern im Mittelpunkt. Zuvor werden die zunehmenden Gefahren dargestellt, die vom Kartellrecht für Wirtschaftsverbände ausgehen. Insoweit werden die Veränderungen der Reform des Kartellverfahrensrechts durch die VO Nr. 1/2003 sowie die damit einhergehenden Veränderungen in Ermittlungstätigkeit und Bebußung durch die Kartellbehörden aufgezeigt. Ferner werden ausführlich die Haftungsrisiken für Wirtschaftsverbände auf der einen Seite sowie für Verbandsleitung und Verbandsmitarbeiter auf der anderen Seite untersucht.

Das 6. Kapitel widmet sich der Verantwortung zu Kartellrechtscompliance in Wirtschaftsverbänden und stellt den zweiten Schwerpunkt der Arbeit dar. Dort wird zunächst die Frage aufgeworfen, ob und ggf. auf welcher rechtlichen Grundlage die Organe eines Verbandes (intern) zur Implementierung eines Kartellrechtscompliance-Programms verpflichtet sein können und anschließend dessen Reichweite bestimmt. Zudem wird die praktische Umsetzung von Kartellrechtscompliance-Programmen in Verbänden beschrieben. Dabei werden die rechtlichen Mindestanforderungen an solche Programme sowie deren wesentliche Elemente skizziert. Darauffolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob Wirtschaftsverbände eine (externe) Compliance-Verantwortung gegenüber ihren Untergliederungen und Mitgliedern trifft und wie sie dieser Verantwortung ggf. nachkommen können. Dazu wird ein Vergleich mit der Rechtslage im Aktienrecht angestrengt, insbesondere zur Konzern-Compliance bei faktischer Konzernierung.

Den Abschluss der Bearbeitung bildet das 7. Kapitel, dem eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in Thesenform und ein kurzer Ausblick vorbehalten sind. ← 29 | 30 →


1 Witt/Seufert/Engberger, ZögU 1996, 414, 427; Zwicker, Kartellrechtliche Beschränkungen der Verbandsautonomie der Wirtschaftsverbände in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 27.

2 Witt/Seufert/Engberger, ZögU 1996, 414, 415.

3 Der Verbandsbegriff steht häufig auch als Synonym für den Begriff „pressure group“, d.h. Druck ausübende Gruppe (Rauh, Versicherungsverbände und Kartellrecht, S. 12).

4 Breitling, in: Blümle/Schwarz, Wirtschaftsverbände und ihre Funktion, S. 32; Rauh, Versicherungsverbände und Kartellrecht, S. 1; vgl. auch Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privater Wirtschaftsverbände, S. 3, 52 ff.; Zwicker, Kartellrechtliche Beschränkungen der Verbandsautonomie der Wirtschaftsverbände in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 27.

5 Zwicker, Kartellrechtliche Beschränkungen der Verbandsautonomie der Wirtschaftsverbände in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 27.

6 Zu Marktinformationsverfahren siehe S. 146.

7 Zu Messen siehe S. 227 ff.

8 Zur Koordination von Marktgesprächen siehe S. 170 ff.

9 Kapp/Hummel, CCZ 2013, 240, 241.

10 Kapp/Hummel, CCZ 2013, 240.

11 Teilweise wird auch der Begriff „Vereinigungen von Unternehmen“ verwendet.

Details

Seiten
295
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653069105
ISBN (ePUB)
9783653961683
ISBN (MOBI)
9783653961676
ISBN (Hardcover)
9783631672921
DOI
10.3726/978-3-653-06910-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Marktinformationsverfahren Marktgespräche Kartellrechtscompliance-System Gesamtverein
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 295 S.

Biographische Angaben

Christian Kiel (Autor:in)

Christian Kiel studierte Rechtswissenschaften an der Universität Jena. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Kartellrecht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Universität Jena sowie in internationalen Wirtschaftskanzleien. Er ist Referent im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums.

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